Alles nur für Sarah

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Laura will die kleine Sarah adoptieren, da kehrt ihr Vater Gray Longwalker zurück. Jahrelang hat er sich nicht blicken lassen, und jetzt will er seine Tochter mitnehmen. Obwohl sich Lauren in Gray verliebt, bleibt sie kühl. Gray spielt doch nur mit ihren Gefühlen, um so leichter das Sorgerecht für Sarah zu bekommen! Als der einflussreiche Buck ihr einen Heiratsantrag macht, sieht Laura ihre Chance, das heißgeliebte Kind zu behalten ...


  • Erscheinungstag 28.08.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774509
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich glaube, Sie haben etwas, was mir gehört.“

Lauren Whitmore blickte zu dem großen schwarzhaarigen Mann auf, der praktisch die ganze Tür ausfüllte. Er trug einen Staubmantel sowie einen schwarzen Stetson und warf einen drohenden Schatten über die Türschwelle. Sein rabenschwarzes Haar war länger als üblich, was ihm – zusammen mit seinen breiten Schultern und dem scharf geschnittenen Gesicht – das Aussehen eines Schurken verlieh. Nichtsdestotrotz war er ein durchaus gut aussehender Mann.

Zuerst vermutete Lauren, dass der attraktive Fremde sich verirrt haben müsse. Aber ein Blick in seine Augen veranlasste sie dazu, diese Vermutung fallen zu lassen. Und vor Schreck verschlug es ihr einen Moment lang sogar den Atem.

Es waren Augen, in die Lauren jeden Tag schaute. Genau die gleichen grauen Augen der von ihr demnächst adoptierten Tochter. Schleichende Angst befiel sie.

„Da muss ein Irrtum vorliegen, Sir“, brachte sie endlich heraus, obwohl aufsteigende Panik ihr die Kehle zuzuschnüren drohte. Lauren umgriff den Türknauf fester, bereit, die Tür zuzustoßen und hinter sich abzuschließen. Hoffentlich verschwand der Fremde bald. Sie musste sofort Don anrufen! Don würde wissen, wie sie sich verhalten sollte.

Der Mann legte die flache Hand gegen die Tür und hielt Lauren von ihrem Vorhaben ab. „Warten Sie! Sie sind Lauren Whitmore.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.

Lauren zweifelte nicht daran, dass dieser Mann jedes Wort genau überlegte, ehe er es aussprach. Bevor er sie auf ihrer Ranch aufsuchte, hatte er ganz sicher bereits gewusst, wer sie war.

„Ja“, bestätigte sie mit angespannter Stimme. Es kostete sie Mühe, nach außen hin gelassen zu bleiben. „Ich bin Lauren Whitmore.“ Sie überlegte krampfhaft, wie sie diesen Mann loswerden könnte, zumindest so lange, bis sie von Don telefonisch Anweisungen bekommen hatte. „Aber hier gibt es nichts, was Ihnen gehören könnte“, setzte sie vorsichtig hinzu.

„Das hier ist Ihre Anzeige.“

Er hielt ihr eine zerdrückte Zeitung vor die Nase. Sein Gesichtsausdruck war entschlossen, seine scharf geschnittenen Züge waren hart, geradezu wie aus Stein gemeißelt.

Lauren befeuchtete die trockenen Lippen. Sogar das Schlucken fiel ihr schwer. Sie blickte auf die Zeitung in seiner zur Faust geballten Hand. Dann konzentrierte sie sich auf ihre eigene Hand, um das Zittern zu unterdrücken, während sie die Zeitung entgegennahm. Dann starrte sie auf die rot umrandete Anzeige. Lauren brauchte das Gedruckte nicht zu lesen, sie wusste, was darin stand. Die Anzeige kam tatsächlich von ihr.

Es überlief sie kalt. Sie befand sich mitten in dem Albtraum, vor dem sie sich gefürchtet hatte. Auch wenn ihr guter Freund und zuverlässiger Anwalt ihr versichert hatte, dass es niemals dazu kommen würde.

Niemals, hatte er betont.

Lauren holte tief Luft und stellte sich dem forschenden Blick des Mannes, der nach wie vor in der Tür stand. „Wer sind Sie?“, fragte sie so herausfordernd wie möglich. Ihr Herz raste, als sie auf die Antwort wartete, die sie nicht hören wollte.

„Gray Longwalker“, antwortete er grob.

„Können Sie sich ausweisen?“ Lauren hoffte, dass sie ihn mit dieser Taktik hinhalten könnte. Obwohl Furcht sie gepackt hielt, wich sie keinen Schritt zurück. Sie musste erfahren, was er beabsichtigte.

Er hob die Mundwinkel zu einem müden Lächeln, so als ob er ihre Hinhaltetaktik durchschaute und sie äußerst lästig fand. Möglich wäre aber auch, dass er in seinem Leben nicht oft gelächelt hatte. Irgendwie störte Lauren dieser Gedanke. Sie würde es nicht zulassen, dass sie auch nur eine Spur von Sympathie für ihn empfand. Dieser Mann hatte möglicherweise die Macht, ihr das Liebste auf der Welt wegzunehmen.

Lauren straffte sich und wartete. Er griff in die Gesäßtasche seiner verblichenen Jeans und holte eine Brieftasche heraus, ließ sich Zeit dabei, um Lauren einschätzen zu können. Der Märzwind schlug ihm den Staubmantel um seine Beine – das einzige Geräusch in der sonst fast beklemmenden Stille.

Er zeigte ihr einen in Texas ausgestellten Führerschein und wiederholte: „Gray Longwalker.“ Dann steckte er die abgenutzte Brieftasche mit dem Ausweis zurück in die Gesäßtasche. „Ich bin gekommen, um meine Tochter abzuholen.“

Die Worte schnitten Lauren in die Seele, obwohl sie nicht unerwartet kamen. Ihre Haut fühlte sich plötzlich feuchtkalt an, und ihr wurde hundeübel. Sie kannte die Symptome und wusste, was ihnen folgen würde. Sie holte langsam und tief Luft, um die Benommenheit niederzukämpfen. Sie durfte jetzt keinesfalls die Kontrolle über sich verlieren.

„Sie ist nicht hier“, teilte Lauren ihm mit und war selbst überrascht, wie ruhig sie klang.

„Sind Sie sich da sicher?“, drängte er und machte einen Schritt in die Eingangsdiele.

Lauren unterdrückte den Impuls, ihm einen Stoß vor die Brust zu versetzen, damit er endlich verschwand. Aber das wäre zu unbesonnen. Und so bemühte sie sich, vernünftig zu handeln. Gray Longwalker kannte den Namen seines Kindes nicht, er wusste nicht einmal, wie es aussah, und doch war er gekommen, um Anspruch auf das Kind zu erheben. Wie konnte er nur erwarten, es einfach so von hier wegholen zu können? Er ließ den Blick suchend durch die Diele schweifen, dann starrte er Lauren an.

„Ich habe es Ihnen gesagt, dass sie nicht hier ist.“ Lauren wich seinem unfreundlichen Blick nicht aus.

„Dann möchte ich wissen, wo mein Kind ist“, beharrte er ruhig. Zu ruhig. „Bitte“, setzte er steif hinzu.

Dieses Wort war ihm nicht leicht über die Lippen gekommen, das war deutlich. Etwas leuchtete in den Tiefen seiner grauen Augen auf. Etwas, das der Verzweiflung gleichkam, die sie fühlte und die ihn als den Vater des Kindes auswies, das Lauren seit fast einem Jahr ihr Kind nannte.

Bis jetzt hatte er sich höflich verhalten. Aber unter dem zur Schau gestellten kühlen Äußeren braute sich ein Sturm zusammen. Er strahlte es förmlich aus. Gray Longwalker zügelte seinen Zorn, und Lauren zweifelte kein bisschen daran, dass sie sich vor einem Ausbruch fürchten sollte.

„Ich kann mich nur wiederholen“, erklärte Lauren klar und fest. „Ihr Kind ist nicht hier. Das muss Ihnen genügen.“ Sie musste stark sein. Sie musste diesen Mann bekämpfen.

Seine Züge verdunkelten sich. Offensichtlich hatte er nicht mehr vor, seinen Zorn zu bändigen. „Geduld ist nicht meine Stärke, Ms Whitmore“, warnte er sie mit leiser, drohender Stimme. „Ich frage Sie ein letztes Mal. Wo ist meine Tochter?“

Das Herz schlug Lauren bis zum Hals, aber sie achtete nicht darauf. „Warten Sie bitte draußen. Ich hole nur meinen Autoschlüssel. Sie können mir in die Stadt zur Kanzlei meines Anwaltes folgen.“

Er schüttelte langsam den Kopf. „Ich will Ihren Anwalt nicht. Ich will meine Tochter.“

„Mr Longwalker, wenn Sie schon keine Rücksicht auf meine Gefühle nehmen, so nehmen Sie zumindest Rücksicht auf die des Kindes.“ Lauren blinzelte die Tränen zurück, die ihr in den Augen brannten. „Was glauben Sie, was Sie dem Kind antäten, wenn Sie in den Klassenraum stürmten und verkündeten, Sie wären der Vater?“

Er fing an zu begreifen.

Und Lauren begriff, dass sie Gray Longwalker soeben verraten hatte, wo er seine Tochter finden könnte. Oh Himmel! Nein! Sie konnte es sich sehr gut vorstellen, wie er durch die langen Gänge der Thatcher Grundschule schritt und nach seinem Kind suchte, dessen Namen er nicht einmal kannte. Er schien Lauren nicht der Typ zu sein, der sich durch irgendwelche Formsachen abhalten oder seine Pläne durchkreuzen ließe.

„Ich danke Ihnen für ihre freundliche Hilfe, Ms Whitmore“, sagte er knapp, drehte sich um und ging davon.

Dass er fest entschlossen war, geradewegs zur Schule zu fahren, war absolut klar. Er hatte bereits die Veranda überquert und die Treppe genommen, als Lauren ihre Stimme wiederfand.

„Warten Sie! Bitte!“, rief sie hinter ihm her. Bis er sich umgewandt hatte, hatte Lauren die unterste Stufe erreicht und stand praktisch in Augenhöhe mit ihm. Sie schauderte, als sie seinem Blick begegnete. Es war seltsam, aber für den Bruchteil einer Sekunde war es Lauren, als ob er ganz tief in ihrem Inneren etwas berührt hätte.

„Was ist?“, fragte er ungeduldig. Offensichtlich hatte er das, was sie empfunden hatte, nicht gespürt.

Lauren verdrängte schnell dieses merkwürdige Gefühl. Sie sagte sich, dass es der Schock sein müsse, unter dem sie stand, seit Gray Longwalker plötzlich und unerwartet vor ihrer Tür aufgetaucht war und ohne jegliche Vorrede nach ihrem Kind verlangt hatte. Ganz sicher würde sie wieder diese heftigen Kopfschmerzen bekommen, vor denen sie sich so fürchtete. „Überlegen Sie bitte, ehe Sie handeln“, flehte sie. „Wir beide wollen das Beste für Sarah.“

„Sarah. Ist das ihr Name?“ Sein Gesichtsausdruck entspannte sich ein wenig, und in seine wachsamen Augen schlich sich eine kaum wahrnehmbare Verletzlichkeit.

„Ja.“

Er blickte von ihr weg und schluckte schwer. Gray Longwalker hatte den Ruf, kalt und skrupellos zu sein. Doch es berührte ihn offensichtlich tief, zum ersten Mal den Namen seines Kindes zu hören. Was würde noch auf sie zukommen? Er konnte unmöglich Sarah so lieben, wie sie das Kind liebte!

„Weiß … Sarah etwas von mir?“ Jetzt blickte er Lauren wieder an. Jedes Zeichen von Verletzlichkeit war verschwunden. Der Blick seiner grauen Augen war forschend auf sie gerichtet, ganz sicher, um herauszufinden, wie er ihre Abwehr umgehen könnte.

„Nein“, antwortete Lauren einfach.

Gray schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. Lauren hatte einen Ausbruch von Zorn erwartet und sich bereits darauf eingestellt. Aber der blieb aus. Einen flüchtigen Moment wollte sie die Hand ausstrecken und ihm versichern, dass ihr die ganze Situation sehr leidtäte und dass sie gemeinsam überlegen sollten, wie das Problem am Besten zu lösen wäre. Gerade rechtzeitig kam ihr das Versprechen in den Sinn, das sie Sarahs Mutter gegeben hatte.

„Mr Longwalker, ich liebe Sarah. Ich muss Sie warnen, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, um dem Kind ein glückliches und sicheres Zuhause zu garantieren.“

Er hob abrupt den Kopf, und seine Augen blitzten vor Zorn. Erschrocken wich Lauren zurück.

„Dann wollen wir beide genau das Gleiche“, konterte er schroff.

Lauren hatte keine Ahnung, wie er auf das reagieren würde, was sie ihm jetzt sagen wollte. Aber er musste verstehen, warum sie so handelte. „Ich habe Sarahs Mutter an ihrem Totenbett versprochen, dass ich Ihnen das Kind niemals überlassen werde. Und ich habe vor, mein Versprechen zu halten.“

Schmerz schlich sich in seine Augen. Fühlte er sich verraten? Es schien so. Er rückte den schwarzen Stetson auf dem Kopf zurecht und warf Lauren einen letzten wütenden Blick zu. „Dann machen Sie sich lieber sofort auf den Weg zu Ihrem Anwalt, denn Sie werden ihn brauchen, wenn Sie glauben, dass ich meine Tochter Ihnen überlasse.“ Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ging zu seinem Truck. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die einer Katze, drückten zugleich aber auch die gefährliche Entschlossenheit eines Raubtieres aus.

Lauren war kein Feigling, doch gewöhnlich hasste sie es geradezu, sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Im Augenblick hatte sie keine andere Wahl. Im Nu hatte sie Gray Longwalker eingeholt, hatte ihn am Arm gepackt und ihn zu sich umgedreht, was nur möglich war, weil sie ihn völlig überrumpelt hatte. Er starrte sie zornig an. Und mit einer einfachen Bewegung der Schulter schüttelte er ihre Hand ab. „Wollen Sie mir noch etwas sagen, bevor wir zu Ihrem Anwalt fahren?“

„Wie kann ich sicher sein, dass Sie mir zum Anwalt folgen und nicht versuchen, Sarah in der Schule zu finden?“ Lauren blickte ihn genauso zornig an wie er sie. Innerlich zitterte sie jedoch. Man zerriss sich in der Stadt geradezu die Mäuler über diesen Mann. Jede Gemeinheit, die er angeblich begangen haben sollte, ging Lauren durch den Kopf, während sie auf seine Antwort wartete. Es waren Gerüchte, die auch die unerschrockenste Frau bei einer Begegnung mit ihm in Furcht versetzen würde. Vor allem, wenn sie allein war.

„Ich bleibe direkt hinter Ihnen, Ms Whitmore“, versicherte er ihr. „Sie haben mein Wort.“

Fast hätte Lauren gelacht, so absurd fand sie seine Beteuerung. „Ich fürchte, Ihr Wort gilt nicht viel in dieser Umgebung, Mr Longwalker.“

„Da sagen Sie mir tatsächlich etwas, was ich bis jetzt nicht gewusst habe.“ Es klang spöttisch. „Sie haben jedenfalls mein Wort“, setzte er dann betont hinzu.

Lauren blickte Gray Longwalker nach, wie er mit ausholenden Schritten zu seinem Truck marschierte. Er setzte sich hinter das Lenkrad, machte aber keine Anstalten, den Motor zu starten. Er saß einfach da und starrte sie an. Wartete er darauf, dass sie ihm mit ihrem Wagen voranfuhr?

Vielleicht war es dumm von ihr, aber sie glaubte ihm. Longwalker kam ihr nicht wie ein Mann vor, der sein Wort leicht gab, auch wenn die Gerüchte über ihn das Gegenteil behaupteten. Sie ging ins Haus, um die Schlüssel zu holen, die sie stets verlegte. Obwohl sie ihm irgendwie vertraute, erwartete sie, jeden Moment das Aufheulen des Motors von seinem Truck zu hören. Doch nichts geschah.

Schließlich fand sie die Schlüssel, schnappte sich ihre Umhängetasche und verließ das Haus.

In einer Stunde hatte sie ein Gespräch mit einem Kunden und seinem Bauunternehmer vorgemerkt. Sie würde ihre Assistentin, Rosemary, von Dons Kanzlei aus anrufen, damit sie einen neuen Termin vereinbarte. Und die Verabredung zum Essen? Lauren hätte am liebsten Buck Buckmaster verwünscht. Buck hatte sie heute zum Lunch eingeladen. Er war geradezu darauf versessen, sich mit ihr zu treffen. Aber auch er musste warten.

Laurens einzige Sorge im Augenblick galt Gray Longwalker.

Gray beobachtete Lauren Whitmore und ihren Anwalt, die leise miteinander sprachen. Er erinnerte sich nur vage an Don Davis, der wohl so an die zehn Jahre älter war als er selbst. Als Gray vor sechs Jahren den kleinen Ort Thatcher in Texas den Rücken kehrte, hatte Davis mit seinem Vater zusammen als Anwalt in der Kanzlei gearbeitet. Gray nahm an, dass der Senior entweder in den Ruhestand getreten oder verstorben war, weil auf dem Schild neben dem Eingang nur Don Davis aufgeführt war. Gray konnte sich an den älteren Davis als einen fairen Mann erinnern. Er hoffte nur, dass sein Sohn sich als genauso rechtschaffen erweisen würde.

Er runzelte die Stirn, als das geflüsterte Gespräch ein wenig lauter wurde. Was auch immer Davis dieser Lauren Whitmore klarzumachen versuchte, sie schien damit nicht ganz einverstanden zu sein.

Lauren Whitmore war eine Hinzugezogene … aus dem Norden, wie Gray aus ihrem Akzent herausgehört hatte, noch bevor Davis Chicago erwähnte. Aus der Unterhaltung, die sie vorhin gehabt hatten, hatte Gray erfahren, dass sie vor etwa drei Jahren nach Thatcher gezogen war und sich mit Sharon Johnson – eine Ausgestoßene wie er – befreundet hatte.

Gray schloss die Augen und rief sich Sharons Bild in Erinnerung. Eine zierliche Frau mit feuerrotem Haar und Augen wie der klare Sommerhimmel. Er mochte es vor sich selbst nicht zugeben, aber Tatsache war, dass er seit Jahren nicht mehr an sie gedacht hatte. Er und Sharon waren nicht ineinander verliebt gewesen, doch ihre Gefühle füreinander waren recht stark gewesen. Sharon war für ihn der einzige Mensch gewesen, der sein leidenschaftliches Wesen zu verstehen suchte. Sie war ihm Hilfe und Beistand gewesen, und er hatte nicht vorgehabt, mit ihr zu schlafen. Es war einfach passiert. Es belastete ihn, dass sie ihn nicht gebeten hatte, ihr zu Hilfe zu kommen, als sie in Not war. Sie war einsam gestorben. Außer dieser Lauren Whitmore und dem Kind, das Sharon vor ihm geheim gehalten hatte, war niemand bei ihr gewesen.

Gray öffnete die Augen und zwang sich, die schmerzliche Erinnerung zurückzudrängen. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Lauren Whitmore. Eine dicke Mähne von blondem Haar fiel ihr über die Schultern. Ihre Augen waren so grün, wie Gray es noch nicht zuvor gesehen hatte. Wie Jade. Sie hatte lange wohlgeformte Beine, die durch die dunkelblauen Leggings noch betont wurden. Der farblich dazu passende lange Pullover konnte die üppigen Kurven darunter nicht verbergen. Es war ein aufreizender Anblick, und Gray fühlte sich plötzlich erregt. Hastig wandte er den Blick von ihr ab.

Auch wenn sie fantastisch aussah, so wusste er jetzt schon, dass sie ihn genauso behandeln würde, wie es ein jeder in dieser Stadt getan hatte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie zwischen ihm und seinem Kind stand, von dessen Existenz er erst kürzlich erfahren hatte.

Gray bezwang den aufsteigenden Zorn. Die Vergangenheit wieder aufzuwärmen würde seiner Absicht nur schaden. Und er würde es nicht dazu kommen lassen, dass das, was gewesen war, sich wiederholte. Gray war sein ganzes Leben lang Halbblut genannt worden. Niemand, der an seinem Leben hing, würde es wagen, ein Kind von ihm Halbblut zu nennen. Und kein Kind von ihm würde jemals Bastard gerufen werden.

Niemand würde ihn davon abbringen können, ein Anrecht auf sein Kind geltend zu machen.

Niemand.

Lauren und Davis waren offensichtlich zu einer Entscheidung gekommen, denn sie kehrten beide zu ihrem Sitz zurück. Davis nahm hinter dem massiven Schreibtisch aus Eichenholz Platz, und Lauren setzte sich in den Sessel neben dem von Gray.

Grays Puls jagte. Gleich würde er herausfinden, wie ernst es Lauren Whitmore damit war, sein Kind von ihm fernzuhalten.

„Mr Longwalker“, fing Davis an, „das Gesetz gibt Ihnen das unbestrittene Recht auf das Sorgerecht für ihr Kind.“

Lauren stieß einen leisen Schrei aus, aber sie räusperte sich gleich und verschränkte die Hände in ihrem Schoß. Gray bemerkte, wie viel Mühe es sie kostete, Haltung zu bewahren.

„Vorausgesetzt natürlich“, fuhr Davis fort, „Sie sind tatsächlich Sarahs leiblicher Vater.“

„Gibt es irgendwelche Zweifel, dass ich der Vater bin?“ Gray richtete sich in seinem Sessel auf. „Ich dachte, dass Sharon mich als den Vater auf dem Geburtsschein angegeben hat.“ Angesichts seiner Navajo-Abstammung konnte es wohl kaum ernsthafte Zweifel geben, ob das Kind sein war oder nicht. Die Merkmale der indianischen Herkunft waren nicht so leicht zu übersehen, auch wenn die Mutter des Kindes irischer Herkunft war.

„Das stimmt. Ms Johnson hat Sie als Vater angegeben. Doch das allein würde vor dem Gericht nicht bestehen.“

Diese Erklärung brachte Gray in Wut. „Sharon Johnson mochte nicht gerade Thatchers anerkannteste Bürgerin gewesen sein, aber sie hätte bei einer solchen Sache niemals gelogen.“

„Ich habe auch nicht vorgehabt, so etwas anzudeuten“, stellte Davis schnell klar.

„Gut.“ Gray kämpfte seine Wut nieder. Er hatte lange daran gearbeitet, seine gefährliche Gereiztheit zu kontrollieren, aber diese neue Wendung von Ereignissen stellte seine Geduld auf eine unendliche Probe.

„Ms Whitmore wurde von der leiblichen Mutter des Kindes das volle Sorgerecht übergeben. Wenn Sie es vorziehen, in das Adoptionsverfahren einzugreifen, dann bleibt es Ihnen überlassen, Ihr Recht durch ein gerichtliches Verfahren geltend zu machen.“

Gray zuckte die Schultern. „Damit habe ich keine Probleme. Sagen Sie mir nur, an wen ich mich wenden muss und was ich zu tun habe.“

Davis betrachtete ihn skeptisch. „Der Vaterschaftstest ist teuer, und auch die Gerichtskosten sind hoch, Mr Longwalker. Da es Ihre Sache ist, die Vaterschaft zu beweisen, werden Sie die Kosten alleine tragen müssen.“

„Ich trage sie“, erklärte Gray einfach.

Lauren wagte einen nervösen Blick in seine Richtung. Gray lächelte in sich hinein. Er mochte Thatcher als ein armer Dreckskerl verlassen haben, aber er war zumindest kein dummer Dreckskerl. Don Davis würde es wahrscheinlich die Sprache verschlagen, wenn er wüsste, wie viele Zinsen allein das gut angelegte Geld bei einer Bank in Dallas ihm einbrachte.

„Nun gut.“ Davis machte einige Notizen auf seinem Block. „Ich kümmere mich um die Vorkehrungen für den Test. Hinterlassen Sie bei meiner Sekretärin die Telefonnummer, wo wir Sie erreichen können. Ich setze mich dann mit Ihnen in Verbindung. Sobald die Vaterschaftssache gesetzlich geregelt ist, Mr Longwalker, können Sie wegen des Sorgerechts einen schriftlichen Antrag beim Gericht einreichen.“

„In Ordnung“, sagte Gray. „Wann kann ich Sarah sehen?“

„Don“, protestierte Lauren. Sie hielt die Armlehnen ihres Sessels so fest umgriffen, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

„Wir wollen über die Besuche nicht reden, bis über die Vaterschaft gesetzlich verfügt wurde“, erklärte Davis, und es war klar, dass für ihn das Gespräch damit beendet war.

Gray erhob sich, lehnte sich vor, legte die Handflächen auf die glänzende Platte des Schreibtischs und blickte Davis voll ins Gesicht. „Wir können über Besuche reden oder auch nicht, das ist mir egal. Aber ich will meine Tochter sehen. Ist das klar?“

„Sie werden absolut keinen Kontakt mit Lauren Whitmore haben, es sei denn durch mich, Mr Longwalker. Ich hoffe, dass das klar ist“, entgegnete Davis vorsichtig. „Und mich bedrohen bringt Ihnen bestimmt keinen Vorteil ein.“

„Das ist keine Drohung“, brachte Gray vor. Er nahm seinen Stetson und machte einen Schritt vom Tisch zurück. „Es ist ein Versprechen.“ Er begegnete Lauren Whitmores Blick und hielt ihn einen Moment lang fest, dann drehte er sich um und marschierte zur Tür hinaus.

So wütend wie er war, so wusste er doch eins: Niemals würde er den Ausdruck auf Lauren Whitmores Gesicht vergessen können. Weiß wie Kreide, Augen, in denen sich blanke Angst spiegelte. Sie hatte ausgesehen, als ob sie jeden Moment zusammenbrechen würde.

Er verschloss sein Herz gegen das Mitgefühl, das in ihm aufstieg. Es war ja nicht so, dass er ihr keine Gelegenheit gegeben hätte, die Sache zwischen ihnen beiden zu klären. Doch davon hatte sie nichts wissen wollen. Sie war fest entschlossen, seine Tochter von ihm fernzuhalten, so viel war klar. Er hatte keine Zweifel, dass sie für seine Tochter sehr gut sorgte und sich um sie kümmerte. Lauren Whitmore würde bei diesen gerichtlichen Auseinandersetzungen leiden. Aber ihr Schmerz war unwichtig. Wichtig für ihn war nur, den Anspruch auf seine Tochter Sarah durchzusetzen.

2. KAPITEL

Gray stand auf dem einzigen Friedhof von Thatcher. Der Märzwind war kalt und heftig, und er pfiff durch die Äste der alten Eichen – das einzige Geräusch in der sonst tödlichen Stille. Gray fror, und er fühlte sich verlassen, was für ihn ungewöhnlich war. In einiger Entfernung lag die kleine Stadt – die seine Heimatstadt sein sollte – umgeben von flachem Land, das kein Ende zu nehmen schien. Es waren keine guten Erinnerungen, die in ihm hochkamen. Es gab keine Freunde, die er gern besucht hätte. Nichts war ihm geblieben als Schmerz, Bitternis und so viel Zorn, dass er sein ganzes Leben lang andauern würde. Aber hier war er geboren, und hier war er aufgewachsen.

Und deshalb war dieser Friedhof, wo Tote ihre letzte Ruhe fanden, seine Heimat.

Gray war immer ein Außenseiter gewesen. Ein Halbblut, ein Bastard, der für zwei gearbeitet und knapp für einen bezahlt bekommen hatte. Gray schluckte die Wut herunter, die mit der Erinnerung kam. Der alte Jennings hatte ihm zumindest einen Platz zum Schlafen und drei Mahlzeiten den Tag gegeben. Sonst hatte ihn keiner aufgenommen, nachdem seine Mutter gestorben war und ihn mit sechzehn allein zurückgelassen hatte, ohne einen Pfennig Geld, ohne einen Platz, wo er hätte hingehen können.

Gray atmete tief durch und blickte hinauf zu dem wolkenlosen blauen Himmel. Während der acht Jahre Handlangerarbeit auf der Jennings-Ranch hatte er dann sein Talent mit Pferden entdeckt und war selbst darauf gekommen, wie er das Talent nutzen konnte. Aber erst nachdem er den verhassten Ort verlassen hatte, konnte er lernen, sein Können im vollen Umfang gut anzuwenden.

Pferdetraining erforderte große Geduld und die Fähigkeit, das Vertrauen der Tiere zu gewinnen. Bevor Gray jedoch damit hatte anfangen können, musste er zuerst seinen Jähzorn bändigen. Ein Jähzorn, der sich seit seinem zehnten Lebensjahr bei jeder Gelegenheit entlud. Selbstbeherrschung zu üben war ein langer und harter Lernprozess gewesen. Es war jetzt vier Jahre her, dass er diese Kunst schließlich erlernt hatte. Oh, gelegentlich hatte er einen Rückfall, wie an diesem Vormittag in der Anwaltskanzlei. Aber er hatte sich recht schnell wieder in der Gewalt gehabt. Er war nicht mehr der Mann, als der er vor sechs Jahren den Ort verlassen hatte. Trotz der Gleichgültigkeit und des Spotts, die er während der Zeit des Heranwachsens hatte erleiden müssen, hegte er keinen Groll.

Mit einer Ausnahme.

Gray blickte über die Reihen der Grabsteine, bis er den entdeckte, unter dem der Mann begraben war, der ihn gezeugt hatte. Ein wuchtiges Denkmal ragte über dem Familiengrab auf. Gray biss die Zähne zusammen und zwang die Erbitterung nieder, die nach so vielen Jahren wieder in ihm hochkam. Sein Vater. Bei dem Wort drehte sich ihm der Magen um. Er hatte Grays Mutter ausgenutzt, hatte sie zu seiner Geliebten gemacht. Und dann hatte er sie durch sein Verhalten langsam ums Leben gebracht. Nicht ein einziges Mal hatte er auch nur eine Andeutung von Sorge für sein Kind gezeigt. Für seinen Sohn, der unehelich geboren wurde, hatte er kein Interesse gehabt. Noch bevor Gray ins Schulalter gekommen war, hatte er beiden den Rücken gekehrt und in der darauf folgenden Zeit sein Unrecht vertuscht und ihnen das Leben schwer gemacht.

Entschlossen, sich von seiner Vergangenheit nicht unterkriegen zu lassen, kehrte Gray dem protzigen Familiengrab den Rücken zu und blickte auf den kleinen Grabstein, der Sharon Johnsons endgültigen Ruheplatz kennzeichnete. Winzige blaue Blümchen bedeckten das ein Jahr alte Grab. Grübelnd stand er da.

Warum hatte Sharon die Existenz seines Kindes vor ihm verheimlichen wollen? Sie waren befreundet gewesen. Es stimmte zwar, dass er falsch gehandelt hatte, als er in jener letzten Nacht mit ihr geschlafen hatte. Aber sie hatte ihn genauso gewollt wie er sie.

„Schluss mit den Gedanken“, sagte er leise zu sich selbst. Es hatte keinen Zweck, darüber nachzusinnen, warum er nicht wissen sollte, dass sie beide ein Kind hatten. Tatsache war, dass Sharon sich von dieser Lauren Whitmore das Versprechen hatte geben lassen, das Kind von ihm fernzuhalten. Irgendwie konnte er das Sharon aber auch nicht anlasten.

Das Geräusch eines ankommenden Wagens störte seine Gedanken. Gray blickte auf. Ein Sedan älterer Bauart mit einer dicken Staubschicht auf dem dunkelblauen Lack hielt vor dem Eingang zum Friedhof. Gray kniff die Augen zusammen, um das Gesicht des Fahrers zu erkennen. Die Fahrertür öffnete sich, und eine alte Frau stieg langsam und etwas schwerfällig aus dem Wagen.

Mrs Jennings.

Gray nahm den Stetson ab und wartete, während die alte Frau sich den Grabreihen näherte. Sie blieb zögernd stehen, als sie Gray bemerkte, und er sah, dass sie ihn erkannte. Sie betrachtete ihn eine Weile. Dann kam sie auf ihren Stock gestützt auf ihn zu.

Autor

Debra Webb
Debra Webb wurde in Alabama geboren und wuchs als Tochter von Eltern auf, die ihr beibrachten, dass alles möglich ist, wenn man es nur zielstrebig verfolgt. Debra liebte es schon immer, Geschichten zu erzählen und begann schon mit neun Jahren zu schreiben. Die Farm, auf der sie aufwuchs bot viel...
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