Wer zuletzt küsst, küsst am längsten

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Garth Duncan kann sich gar nicht mehr daran erinnern, wie es sich anfühlt, nicht komplett von Rache erfüllt zu sein. Zwanzig Jahre ist es her, dass sein Vater ihn verstoßen hat, und endlich ist der Tag da, an dem er den alten Milliardär zu Fall bringen kann. Wäre da nicht die eifrige Polizistin Dana. Sie ist fest entschlossen, seinen Plan zu vereiteln. Je mehr er versucht, sie einzuschüchtern, desto gewillter scheint sie, die gute Seite an ihm zu sehen. Und je öfter er ihr in die Augen schaut, desto sehnlicher wünscht er sich, der Mann zu sein, den sie verdient.


  • Erscheinungstag 24.04.2019
  • Bandnummer 4
  • ISBN / Artikelnummer 9783745750867
  • Seitenanzahl 352
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es hatte sie vier Monate und eine Kiste teuren Scotch gekostet, sie hatte jeden Gefallen einfordern müssen, der ihr noch geschuldet wurde, und ein abstoßendes Date mit einem schleimigen Privatdetektiv hinter sich gebracht, der gedacht hatte, „Date“ sei gleichbedeutend mit „Sex“, und dann am eigenen Leib erfahren musste, dass ein Knie in der Leibesmitte genauso schmerzhaft war, wie es im Fernsehen aussah. Aber am Ende hatte Dana Birch das bekommen, was sie wollte.

Als sie jetzt im Fahrstuhl zu Garth Duncans Penthouse-Wohnung fuhr, schaute sie lächelnd auf die Papiere in ihren Händen. Papiere, die verlangten, dass Garth sich zu einem Gespräch mit den guten Menschen im Polizeirevier von Dallas einzufinden hatte. Papiere, die besagten, dass Garth ein schlimmer Tag bevorstand. Sie hingegen hätte nicht glücklicher sein können.

„Rattenarsch, verräterischer Hund“, murmelte sie, als sie aus dem Fahrstuhl trat und zu seiner Wohnungstür ging. „Du fandest dich so clever, hast gedacht, du könntest tun und lassen, was du willst, ohne je erwischt zu werden. Du hast geglaubt, du könntest meinen Freundinnen wehtun.“

In einer vollkommenen Welt würde er sich weigern, sie zu begleiten, und sie könnte ihn mit ihrer Waffe bedrohen. Ihn vielleicht sogar aus Versehen anschießen. Wenn er doch nur der Typ Mann wäre, der angesichts staatlicher Autorität in die Knie gehen würde. Sie träumte davon, ihn zittern und betteln zu sehen. Und wenn das auch nicht ganz so gut war, wie ihn bluten zu sehen, wäre es doch nah genug dran. Unglücklicherweise war Garth eher der Typ, der einem Anwalt tausend Dollar die Stunde dafür zahlte, dass der nichts lieber tat, als die Polizei zu verklagen. Aber dieser hochkarätige Anwalt würde ihm heute auch keine große Hilfe sein.

„ Du gehörst mir, Garth“, sagte sie und klopfte an die Tür. In der Minute, die er brauchte, um zu öffnen, genoss sie ihren Sieg. Sie hatte hart dafür gearbeitet, Garth festzunageln, und es war jede Überstunde wert, in der sie nachgeforscht, Hinweise verfolgt und auf den Durchbruch gewartet hatte. Er hat selber Schuld, dachte sie fröhlich. Er hatte sich mit Leuten angelegt, die ihr am Herzen lagen. Wer das tat, musste sich darauf einstellen, es mit ihr zu tun zu bekommen. Die Wohnungstür wurde geöffnet. Sie lächelte, als sie Garth durch den Spalt blinzeln sah. Vielleicht hat er ja tatsächlich Angst, dachte sie voller Verachtung.

Sie hielt ihm die Papiere hin. „Guten Morgen. Wir beide werden einen kleinen Ausflug in die Stadt unternehmen.“

„Werden wir das?“, fragte er und zog die Tür weiter auf, damit sie ihn ganz sehen konnte. „Darf ich mich vorher vielleicht noch anziehen?“

Eine unerwartete Wendung, dachte Dana grimmig, als ihr Blick auf die Handtücher fiel, die um seinen Hals lagen und um seine Hüfte gebunden waren. Er tropfte noch, offensichtlich hatte sie ihn aus der Dusche herausgeholt. Seine dunklen Haare standen wie Stacheln vom Kopf ab, und sein Gesichtsausdruck wirkte eher amüsiert als verängstigt.

„Zumindest weißt du so, dass ich nicht bewaffnet bin“, sagte er mit einem unterdrückten Lachen in der Stimme.

„Es würde mir keine Angst machen, wenn es so wäre.“

„Das liegt daran, dass du keine Ahnung hast, wozu ich fähig bin, Deputy Birch. Also, was darf es sein? Bist du bereit, mich nackt durch die Straßen von Dallas zu führen, oder darf ich mir noch was anziehen?“

Er klang selbstsicher, so als ob er wüsste, dass sie ihn nicht so, nur mit einem Handtuch bekleidet, mitnehmen würde. Womit er natürlich recht hatte. Verdammter Mistkerl. Ihr war es lieber, wenn sie die Kontrolle über eine Situation hatte.

„Du kannst dich anziehen“, sagte sie widerstrebend. „Ich muss allerdings dabei sein, um sicherzustellen, dass du nicht versuchst zu fliehen.“

Er zwinkerte ihr doch tatsächlich zu! „Natürlich musst du das. Und die Ausrede ist so gut wie jede andere.“

Sie war irritiert. Instinktiv legte sie ihre rechte Hand auf ihre Waffe. „Davon träumst du wohl“, gab sie barsch zurück. „Lass mich dir versichern, ich habe keinerlei Interesse daran, deinen knochigen Hintern zu sehen. Oder irgendeinen anderen Körperteil von dir.“

Einer seiner Mundwinkel verzog sich leicht nach oben. „Du kannst gerne zugucken, Dana. Es macht mir nichts aus.“

Er spielte mit ihr, versuchte, sie zu verwirren. Sie konzentrierte sich auf die Aufgabe, wegen der sie hier war.

„Mach du nur Witze, solange du noch kannst“, sagte sie. „Du wirst nämlich ins Gefängnis wandern.“

„Wenn der Wunsch doch reichen würde.“

„Es ist kein Wunsch, ich habe Beweise“, sagte sie energisch.

„Nein, hast du nicht.„ Seine Stimme war leise und trügerisch sanft. „Wenn du die nötigen Beweise hättest, würdest du mich verhaften und nicht für eine Befragung aufs Präsidium bringen. Gib es zu, Dana. Du bist nicht mal nah dran, mir irgendetwas anzuhängen. Das hier ist doch reines Fischen im Trüben.“

Vom Kopf her wusste sie, dass jegliche Gewaltanwendung nur ihre Position schwächen und ihm recht geben würde. Trotzdem hätte sie ihm unglaublich gerne eine reingehauen.

„Ich melde mich offiziell als gelangweilt“, sagte sie und ließ ihre Hand sinken. „Bringen wir es einfach hinter uns.“

„Den Teil, bei dem du mich beim Anziehen beobachtest?“

Sie trat in die Wohnung und verdrehte die Augen. „Ja, ich Glückliche. Haben die von der ‘Arrogant Monthly’ schon mal einen Artikel über dich verfasst?“

„Ich war auf dem Cover.“

Er machte die Tür hinter ihr zu und ging durch das große Penthouse voran.

Der Hauptraum war riesig – Dana schätzte, dass sie ihr Apartment und noch fünf weitere problemlos hier unterbringen könnte. Aus den Panoramafenstern hatte man einen grandiosen Ausblick über Dallas. Auch wenn sie so etwas natürlich überhaupt nicht interessierte.

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Mann vor sich. Stirnrunzelnd nahm sie wahr, wie das Sonnenlicht auf seinem Rücken tanzte und die Narben beleuchtete, die kreuz und quer über seinen Rücken verliefen.

Einige davon waren nur dünne Linien, aber die meisten waren wulstig und erhaben, als wenn die Haut wieder und wieder zerschnitten worden wäre. Ihr Magen krampfte sich leicht zusammen, aber sie schaffte es, sich nichts anmerken zu lassen.

Sie kannte ein paar grundlegende Fakten über Garth Duncan. Er war reich – Furcht einflößend reich, besaß Dutzende Firmen, und sein Geld floss wie Wasser. Er hatte im Ölgeschäft angefangen und während seiner Zeit in Südamerika sicherlich einen noch unberührten Teil der Welt geplündert und gerodet. Dann war er von wütenden Einheimischen gefangen genommen worden. Sie hatten ihn und einen Mitarbeiter mit verbundenen Augen monatelang im Dschungel festgehalten und beide täglich gefoltert.

Ihr Blick fiel auf seine langen muskulösen Beine. Auch auf ihnen konnte sie verblasste Narben sehen, aber die stammten von Operationen. Während der Gefangenschaft hatte man Garth beide Beine gebrochen. Sein Freund hatte ihn damals in Sicherheit getragen.

Wenn Garth nur damals draufgegangen wäre, dachte Dana, allerdings ohne große Energie auf den Gedanken zu verschwenden. Dann würde er jetzt ihren Freundinnen nicht wehtun können. Aber er war nicht gestorben, ganz im Gegenteil, er war danach noch mehr aufgeblüht.

Er betrat das große Schlafzimmer und ging weiter in ein Bad von der Größe eines durchschnittlichen Supermarkts. Von hier aus ging es in einen dieser schicken begehbaren Kleiderschränke aus dunklem Holz. Seine Kleidungsstücke waren nach Farben geordnet einsortiert, und die Schuhe standen ordentlich auf Regalen.

Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und ließ Garth nicht aus den Augen. „Meinetwegen kann es jederzeit losgehen“, sagte sie.

Sein dunkler Blick verfing sich in ihrem. Er schien die Situation zu genießen, was sie höllisch nervte. Aber nicht mehr lange. Sobald die Polizei ihn in den Händen hatte, würde sich seine arrogante Art schon geben. Es war ihre Aufgabe, ihn hinzubringen, und für den Augenblick war das genug.

Sein Lächeln kehrte zurück. Er zog das Handtuch von seinen Schultern und ließ es auf den Boden fallen. „Wenn du in den nächsten paar Stunden keinen Termin hast, könnten wir meinen momentanen Mangel an Bekleidung doch eigentlich auch nutzen.“

„Stunden? Oh, bitte. Mit Glück hältst du sechs Minuten durch. Hör auf, Spielchen zu spielen, Garth. Ich habe heute noch eine Menge zu erledigen. Und auch wenn du es nicht gerne hörst, aber du bist nicht der Höhepunkt meines Tages.“

„Jawohl, Deputy Birch.“

Jetzt ließ er auch das um die Hüfte gewickelte Handtuch fallen.

Sie schaute ihm weiter ins Gesicht. Nicht nur, weil er sie nicht im Mindesten interessierte, sondern auch, weil sie in beruflicher Funktion hier war. Sie war stolz auf ihren Job und das, was sie für die Gemeinde tat. Die guten Menschen in ihrer Stadt bezahlten sie nicht dafür, dass sie Leute wie Garth Duncan begaffte.

„Immer noch nicht interessiert?“, fragte er, nun komplett nackt. „Ich stehe zu deiner vollen Verfügung.“

Sie täuschte ein Gähnen vor.

Er lachte. Ein tiefes herzhaftes Lachen, das von Humor und vielleicht auch widerwilligem Respekt zeugte. Aus Gründen, die sie sich selbst nicht erklären konnte, hätte sie ihn gerne angelächelt. Als hätten sie eine Verbindung. Als hätten sie etwas gemeinsam. Als könnten sie einander mögen und sogar Freunde sein.

Dana drehte sich um und ging ins Badezimmer. „Zieh dich an“, rief sie ihm über die Schulter zu.

„Was, wenn ich hier drin eine Waffe habe?“, rief er zurück.

„Dann hab ich wenigstens einen Grund, dich zu erschießen.“

Sie trat ans Fenster im Schlafzimmer und starrte nach draußen. Doch anstatt die Skyline zu sehen, sah sie die Gesichter ihrer Freundinnen. Die drei Schwestern, die Garth zu ruinieren plante. Er hatte sich nicht mit dem Versuch zufriedengegeben, Lexis Spa oder Skyes Stiftung zu zerstören. Nein, er hatte sogar versucht, Izzy zu töten. Wie zum Teufel kam sie da auf die Idee, ihn anzulächeln?

Garth war der Feind. Das Böse. Sie würde ihn für eine lange Zeit ins Gefängnis bringen.

Fünf Minuten später betrat er das Schlafzimmer. Er trug einen Anzug, der nach ihrer Schätzung mehr kostete, als sie in zwei Monaten verdiente.

„Gehen wir“, sagte sie. „Wir nehmen mein Auto.“

„Ich rufe von unterwegs meine Anwältin an. Sie wird uns dann am Polizeirevier treffen.“

„Meinetwegen kannst du den Kongress und Gott persönlich anrufen.„ Sie zeigte auf den Flur. „Vorwärts.“

Anstatt in Richtung Wohnzimmer zu gehen, kam er auf sie zu. Für den Bruchteil einer Sekunde fragte sich Dana, ob er vielleicht wirklich eine Waffe in seinem Schrank versteckt gehabt hatte. Sie griff nach ihrer Pistole.

„Ich habe nicht versucht, sie umzubringen“, sagte Garth und schaute ihr tief in die Augen. „Ich hatte nichts mit dem zu tun, was Izzy passiert ist.“

Die Geschichte kannte sie bereits. Sie war aber immer noch nicht gewillt, sie zu glauben.

„Ich bin nicht diejenige, die du überzeugen musst“, erklärte Dana ihm.

„Du bist ein Cop. Sieh mich an, Dana. Sag mir, ob du glaubst, dass ich lüge.„ Er schaute ihr in die Augen. „Ich habe nicht versucht, Izzy umzubringen. Ich habe die Explosion nicht verursacht. Ich habe ihr nie irgendetwas getan.“

Er ist zu nah, dachte sie mit einem Mal. Sie machte sich keine Sorgen, dass er sie angreifen könnte, aber sie fühlte sich trotzdem unbehaglich. Was war hier los?

Sie hasste es, sich schwach zu fühlen, und trat einen Schritt zurück.

Er log. Er musste einfach lügen. Aber die Stimme in ihrem Kopf, die sie immer warnte, wenn jemand versuchte, sie hinters Licht zu führen, war ungewohnt still.

„Ich nehme an, du hast überhaupt nichts getan.„ Sie packte seinen Arm und wandte sich in Richtung Flur. „Du bist komplett unschuldig.“

Er lächelte bloß.

Er hätte sich leicht aus ihrem Griff lösen können, aber das tat er nicht, was sie in die unglückliche Situation versetzte, ihn weiter festzuhalten. Sie spürte die Hitze seiner Haut, die Muskeln, den weichen Stoff seines modischen Anzugs.

„Leg dich nicht mit mir an“, knurrte sie.

„Ich hab doch gar nichts gesagt.“

Warum war sie dann so verwirrt und desorientiert?

Schwächen sind nicht erlaubt, ermahnte sie sich. Nicht bei ihm und auch bei niemand anderem.

„Bitte sag mir, dass sie dir gedroht haben, bevor ich hergekommen bin“, sagte Mary Jo Sheffield, als sie und Garth zu ihrem Auto gingen. „Ich brenne darauf, Klage einzureichen.“

Seine Anwältin, eine Blondine Mitte vierzig, die ihm kaum bis zur Schulter reichte, sah entschlossen aus. Sie konnte Blut mit der Effizienz eines Hais riechen, was einer der Gründe war, warum er sie engagiert hatte.

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen“, erwiderte Garth. Er wartete, bis sie den Mercedes aufgeschlossen hatte, dann fuhr er fort: „Sie waren sehr höflich und haben nicht einmal die Presse informiert.“

Mary Jo runzelte die Nase. „Sag mir, dass dich jemand getreten oder dir Schläge angedroht hat. Sag mir, dass sie deine Katze grob behandelt haben, als sie dich abholten. Ich brauche etwas, womit ich arbeiten kann.“

„Ich habe keine Katze“, sagte Garth.

„Komisch, nur wenige Männer haben Katzen. Ich hab das nie verstanden. Katzen behandeln ihre Besitzer mit Verachtung, und Gott weiß, dass euer Geschlecht sich andauernd in Frauen verliebt, die euch schlecht behandeln.„ Mary Jo grinste. „Sorry. Hör mir einfach nicht zu. Also willst du mir sagen, ich kann das Dallas Police Department nicht verklagen?“

„Ich sage, dass ich dir kein belastendes Material für ein Verfahren liefern kann.“

„Verdammt.“ Sie stieg ein, und Garth nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

Sein Verhör hatte beinahe sechs Stunden gedauert. Mary Jo war nur die ersten dreißig Minuten nicht anwesend gewesen. Ihm wurden Kaffee, Sandwiches und reichlich Pausen angeboten. Es war alles sehr nett gewesen … zu nett.

Deputy Dana Birch wird entsetzt sein, wenn sie davon erfährt, dachte er und genoss die Vorstellung, wie sie irgendeinen ahnungslosen Sergeant dafür anbrüllte, dass er Garth nicht an den Daumen aufgehängt und mit einem Rohr verprügelt hatte. Wenn es nach ihr ginge, würde er gefoltert werden, bis er alles gestanden hatte, und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Natürlich, wenn sie ihn kennen würde, würde sie wissen, dass Folter ihn nicht zum Reden brächte. Glücklicherweise unterstand das Justizsystem von Texas nicht Danas Leitung.

„Was ist mit der Polizistin?“, wollte Mary Jo wissen. „Deputy Birch. Kann ich ihr was anhängen? Was fällt ihr ein, dich einfach aufs Revier zu bringen? Sie gehört nicht zur Polizei von Dallas. Sie ist aus Titanville. Hier geht doch irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu. Vielleicht kann ich sie suspendieren lassen.“

„Lass Dana aus dem Spiel“, sagte er, als sie das Parkhaus verließen.

Mary Jo sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an. „Dana? Du kennst sie?“

„Wir sind uns über den Weg gelaufen.“

„Sag mir, dass du nicht mit ihr schläfst, Garth. Sag mir, dass es nichts Persönliches ist.“

Er lachte unterdrückt. Es war persönlich, aber nicht so, wie seine Anwältin meinte. „Wir haben nichts miteinander, wir sind noch nicht einmal Freunde. Sie ist …“

Dana war die Freundin seiner Halbschwestern. Ein Deputy in der Stadt, in der seine Mutter lebte. Sie war nervtötend, dickköpfig und fest entschlossen, ihn in den Knast zu bringen.

„Sie ist eine Freundin der Familie“, sagte er schließlich.

„Ich wusste nicht, dass du eine Familie hast.“

„Sehe ich so aus, als wäre ich aus einem Ei geschlüpft?“

Sie seufzte. „Okay. Ich werde Deputy Birch nicht verklagen. Aber sag ihr, dass sie mir aus den Augen bleiben soll. Sie bedeutet nichts als Ärger. Ich hatte in der Vergangenheit mit ihr zu tun. Ich kenne Typen wie sie. Sie ist ehrlich und loyal. Du weißt, wie nervig diese beiden Eigenschaften sein können.“

Das wusste er. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte auch er an sie geglaubt. In letzter Zeit war er jedoch mehr an Ergebnissen interessiert. Eine Sichtweise, die ihn viel gekostet, aber auch sichergestellt hatte, dass er gewann. Und im Moment war gewinnen alles, was zählte.

„Ich habe die Papiere für das Darlehen fertig“, sagte Mary Jo. „Ich wiederhole mich ungern, aber du bist vollkommen verrückt. Jed Titan wird die Bedingungen dieses Kredits niemals akzeptieren. Selbst wenn er das Geld braucht, wird er von dir nichts annehmen.“

„Er weiß ja nicht, dass es von mir ist.“

„Aber er vermutet es bestimmt.“

„Ihm bleibt keine andere Wahl. Ich werde weiter daran arbeiten, seine Firma aufzukaufen. Die Gesellschafter werden langsam nervös. Sie wissen, dass ich Interesse habe, aber sie kennen mein Ziel nicht, und genau so hatte ich es geplant. Jed musste in letzter Zeit eine ganze Menge schlechter Presse einstecken. Allein die mögliche Anklage wegen Landesverrats hat seine Aktien so in den Keller geschickt, dass seine Gesellschafter eine Menge Geld verloren haben.“

Mary Jo warf ihm einen Blick zu, dann konzentrierte sie sich wieder auf die Straße. „Ich finde es interessant, dass der Preis von Jeds Aktien gerade in dem Moment gefallen ist, als du kaufen wolltest.“

„Ja, seltsam, wie sich manchmal alles fügt, nicht wahr?“

„Sag mir, dass du nicht das Gesetz gebrochen hast.“

„Ich habe auf keine Weise die Regeln und Gesetze der Börsenaufsicht verletzt.“

„Lass dir von deiner Anwältin einen guten Rat geben: Bleib auch in Zukunft in diesem Graubereich.“

Den hatte er schon längst verlassen, aber so, dass man es nicht zu ihm zurückverfolgen konnte. Die meisten seiner Attacken auf die Titan-Familie waren wesentlich subtiler gewesen. So blieb die Sache interessanter.

„Was passiert jetzt?“, fragte Mary Jo. „Oder will ich das lieber nicht wissen?“

„Ich gehe zur Arbeit und beginne meinen Tag.“

Sie warf ihm erneut einen Blick zu. „Du wirst mir nicht erzählen, was wirklich los ist, oder?“

„Nein.“

Sie musste nichts von seinen Plänen wissen, Jed Titan zu zerstören, oder gar, dass er sein Vater war. Irgendwann würde sich das schon herumsprechen. Er würde als Titan-Bastard gebrandmarkt sein. Aber wenn das passierte, würden ihm bereits Jeds Arsch und alles, was er sonst noch besaß, gehören. Er hätte seinen Vater zerstört und alles in Besitz genommen, was dem alten Mann gehörte. Er hätte gewonnen.

Mary Jo hielt vor seinem Apartmenthaus und sah ihn an. „Du weißt, dass du mein Lieblingskunde bist.“

„Ich bin dein einziger Kunde.„ Mary Jo arbeitete exklusiv für ihn. Es hatte ihn mehrere Millionen Dollar gekostet, sie von der mächtigen Kanzlei wegzulocken, in der sie gearbeitet hatte, aber bisher war sie jeden Penny wert gewesen.

„Ich will nicht, dass du ins Gefängnis kommst“, sagte sie. „Du machst mir Angst, und du weißt, dass ich mich nicht so schnell fürchte.“

„Es gibt keinen Grund, Angst zu haben.“

Sie atmete tief durch. „Dana ist zäh. Hartnäckig, ehrgeizig. Sie ist dir sehr ähnlich. Wenn sie denkt, dass sie etwas gegen dich in der Hand hat, wird sie nicht aufhören, bis sie dich am Kragen hat. Man sollte sie nicht auf die leichte Schulter nehmen.“

„Das klingt nach einem würdigen Gegner.“

„Das ist kein Spiel, Garth.“

Er lächelte und stieg aus. „Natürlich ist es das. Mach dir keine Gedanken – am Ende bin ich immer der Sieger.“

Dana betrachtete den blauen Stoff ihres Sofas. Nicht weil er sie interessierte, sondern weil es wesentlich einfacher war, über Bezüge nachzudenken, als sich mit der Frau zu beschäftigen, die ihr gegenübersaß. Aber als das Schweigen andauerte, war sie irgendwann gezwungen, ihre Freundin anzusehen.

„Es ist nicht gut gelaufen“, gab Dana zu. Die Worte auszusprechen, hasste sie beinahe genauso sehr, wie sie es hasste, zu versagen. „Ich habe ihn aufs Revier gebracht, und da wurde er mehrere Stunden lang verhört.“

„Und?“, wollte Izzy erwartungsvoll wissen.

„Und nichts. Er war freundlich, kooperativ und hat nicht eine Sache rausgelassen.“

Izzy grinste. „Ja!“

Dana starrte sie an. „Du weißt, dass dieser Mann für die Explosion verantwortlich ist, die dich beinahe getötet hätte?“

„Das stimmt nicht.„ Izzy beugte sich in ihrem Sessel vor. „Er hat es nicht getan, Dana. Ich weiß, dass er es nicht gewesen ist.“

„Woher? Weil er es dir gesagt hat?“

„Zum Teil. Und weil Nick ihm glaubt.“

Was genau das Problem ist, dachte Dana, genervt von dieser Schlussfolgerung. Nick war tatsächlich einer der Guten. Und er kannte Garth besser als jeder andere.

„Ich will mehr“, erwiderte Dana stur.

„Ich will ihm vertrauen.“

„Etwas zu wollen heißt nicht, es auch zu kriegen.“

„Es zu verleugnen aber auch nicht.“

„Ich hol ihn mir, das schwöre ich“, murmelte Dana. „Ich weiß nicht, wie, aber mir wird schon was einfallen.“

„Wenn er schuldig ist“, sagte Izzy mit einem warnenden Unterton in der Stimme, der Dana verärgerte. „Nur wenn er schuldig ist.“

Izzy war die jüngste der Titan-Schwestern. Lexi, die älteste, war mit Dana zur Schule gegangen. Skye, die mittlere, war nur ein Jahr älter als Izzy. Sie waren privilegiert und in Reichtum aufgewachsen, was Dana ihnen aber nicht vorhielt. Sie waren ihre Familie, sie kümmerten sich um sie, und sie würde alles für sie tun. Inklusive ihren Halbbruder zur Strecke bringen.

Ungefähr vor neun Monaten hatte Lexi ein paar finanzielle Probleme mit ihrem Wellnesstempel gehabt. Nachdem sie sich Geld geliehen hatte, um ihr Geschäft auszubauen, war der Kredit von heute auf morgen gekündigt worden, sodass ihr nur einundzwanzig Tage geblieben waren, um die Kreditsumme in Höhe von zwei Millionen Dollar zurückzuzahlen. Ein paar Wochen später war Skyes Wohltätigkeitsstiftung wegen Geldwäsche angezeigt worden. Auch ihr Vater, Jed Titan, hatte sich verschiedenen Schwierigkeiten gegenübergesehen. Unter anderem waren die Dopingtests seiner Rennpferde positiv ausgefallen. Über den Frühling und Sommer war die Situation immer schlimmer geworden, und ihren bisherigen Höhepunkt hatte sie in der Explosion der Ölplattform gefunden, auf der Izzy gearbeitet hatte. Der Unfall hatte sie zeitweilig erblinden lassen.

Und wer steckte hinter all dem? Der wütende Garth Duncan.

Dana war es egal, dass er es auf Jed abgesehen hatte – der alte Mann war zu Garth besonders gemein gewesen. Aber die Schwestern waren tabu. Leider sah Garth das ganz anders.

„Ich wünschte, ich könnte ihn verhaften.„ Dana wusste, dass es der glücklichste Tag in ihrem Leben wäre, wenn sie Garth Handschellen anlegen könnte. „Oder erschießen.“

„Hey.„ Izzy warf ihr einen bösen Blick zu. „Du sprichst hier von meinem Bruder. Ich weiß, dass er eine Menge Mist gebaut hat, aber er schwört, dass er mit der Explosion nichts zu tun hatte, und ich glaube ihm.“

Es ist nicht Izzys Schuld, dachte Dana. Izzy war isoliert von der realen Welt aufgewachsen. Sie glaubte nicht, dass Menschen wirklich böse sein konnten. Und Danas Bauchgefühl stimmte ihr unterschwellig auch noch zu, was sie nur noch mehr verärgerte. Wenn es um Garth ging, wollte sie klares Schwarz und Weiß und keine Grauschattierungen.

„Ihr reichen Leute haltet halt zusammen“, murmelte sie vor sich hin.

„Ich bin nicht reich.“

„Das wirst du aber sein, sobald dein Treuhandfonds frei wird.„ Dana lehnte sich auf dem Sofa zurück und schloss die Augen. „Ich bin umgeben von reichen Leuten. Wie konnte das nur passieren?“

„Du liebst uns“, erinnerte Izzy sie.

„Das stimmt. Du und deine Schwestern sind meine besten Freunde, was nur zeigt, was für eine unglaublich verständnisvolle Person ich bin.“

Izzy lachte. „War Garth eigentlich überrascht, dich zu sehen?“

Dana öffnete die Augen wieder und setzte sich gerade hin. Besser, sich mit Izzy zu beschäftigen, als sich an den nackten, tropfnassen Garth zu erinnern. „Er hat die Situation gefasst über sich ergehen lassen.“

Besser noch als gefasst. Er war total entspannt gewesen, kein bisschen eingeschüchtert und beinahe … nun ja, beinahe … charmant.

Was war das für ein Gedanke? Sie fand Männer nicht charmant, und schon gar nicht Männer wie ihn. Er war ein nervtötender, egoistischer, entschlossener Bastard, der den Menschen, die sie liebte, wehgetan hatte. Aber er war nicht charmant. Auf gar keinen Fall.

Es klopfte an der Haustür.

Dankbar für die Unterbrechung, sprang sie auf und durchquerte den kleinen Raum. Nachdem sie beide Schlösser geöffnet hatte, ließ sie Lexi und Skye ein.

„Es ist tatsächlich kalt da draußen“, sagte Skye, als sie aus ihrer leichten Jacke schlüpfte. „Ich bin so bereit für den Winter, das kann ich euch gar nicht sagen.“

Dana grinste. „Es sind 18 Grad.“

Lexi legte ihre Hand auf die kleine Kugel ihres Bauchs. „Als jemand, der angefangen hat, professionell anzuschwellen, bin ich eindeutig für kühlere Temperaturen.„ Sie packte Danas Arm. „Hast du ihn gefasst? Ist er im Gefängnis und bereits Bubbas Liebessklave?“

„Nein. Er wurde befragt und durfte dann wieder gehen.“

„Verdammt.“

„Das ist gut“, sagte Izzy und stand auf, um ihre Schwestern zu umarmen. „Ich verspreche es. Jetzt setzt euch doch, ich muss euch was erzählen.“

Skye und Lexi drehten sich zu Dana um. „Was hat sie nun schon wieder angestellt?“, fragte Skye.

Dana hob abwehrend beide Hände. „Keine Ahnung, das ist nicht meine Party. Ich habe nur einen neutralen Ort zur Verfügung gestellt. Aber ihr solltet noch einmal tief durchatmen, das wird eine ganz schöne Überraschung werden.“

Lexi und Skye tauschten einen argwöhnischen Blick, bevor sie sich aufs Sofa setzten.

Dana blieb an der Tür stehen. Sie wusste, dass Izzys Ankündigung eine einschlagende Wirkung haben würde, und sie wollte alles ganz genau mitbekommen.

Izzy schüttelte den Kopf und strich sich mit der Hand über ihre wilden Locken. „Ich habe euch etwas mitzuteilen“, fing sie an.

„Das haben wir schon verstanden“, sagte Lexi und hielt eine Hand beschützend über ihren Bauch. „Worum geht es?“

„Um Garth. Wie ihr wisst, habe ich mit ihm gesprochen, bevor Nick und ich wieder zueinandergefunden haben. Er hat sich auf Nicks Seite geschlagen und die Verantwortung für das übernommen, was geschehen ist.“

„Das ist keine große Überraschung“, gab Skye kurz angebunden zurück. „Es gibt nichts, was der Mann nicht getan hätte, um das zu zerstören, was ihr beide euch mühevoll aufgebaut habt. Oh, ich werde schon wieder so wütend.“

„Entschuldige bitte.„ Izzy schüttelte den Kopf. „Ich war gerade dran mit Reden. Als ich mit Garth zusammensaß, hatte ich eine Erleuchtung. Mir wurde bewusst, dass er unser Fleisch und Blut ist. Okay, das wusste ich schon länger, aber da waren es nur Worte, die keine Bedeutung für mich hatten.“

Lexi schaute Dana an. „Wo soll das hinführen?“

„Frag nicht mich. Ich bin bloß ein neutraler Beobachter.“

Izzy lächelte. „Seit Monaten versuchen wir, ihn zu bekämpfen, und es hat nicht funktioniert. Unsere Strategie war ein völliger Fehlschlag. Wir sollten ihn nicht bekämpfen. Wir sollten ihn vor sich selbst beschützen. Das war es, was ich euch beiden sagen wollte. Garth ist unser Bruder, und es ist unsere Aufgabe, ihn in die Familie zu holen. Wir müssen ihn retten.“

Skye und Lexi starrten ihre Schwester mit offenen Mündern an, die Augen vor Schock geweitet.

Dana verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Willkommen in der Show.“

2. KAPITEL

Ihn retten?“, quiekte Lexi. Sie rappelte sich auf die Füße und starrte Izzy wütend an. „Bist du verrückt? Du stehst wohl immer noch unter Einfluss irgendwelcher Medikamente von deiner Augenoperation, denn du redest total wirr. Wir werden ihn nicht retten. Er hat versucht, dich umzubringen. Du bist beinahe erblindet. Das ist nicht in Ordnung. Das kann niemals in Ordnung sein. Und er ist immer noch entschlossen, uns alle zu ruinieren. Garth retten? Vor was? Und vor allem: warum?“

„Du musst ruhig bleiben und dich wieder setzen“, riet Izzy ihrer Schwester. “Denk an das Baby.“

„Lass mein Baby aus dem Spiel. Wenn du so besorgt um mein Baby wärst, würdest du dir keine Gedanken über einen Mann machen, der alles tut, um uns das Leben zur Hölle zu machen.“ Lexi schob sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Verdammt, Izzy. Ich hätte mehr von dir erwartet.“

Dana trat ans Sofa. Falls nötig, würde sie dazwischengehen, um sicherzustellen, dass die Sache nicht aus dem Ruder lief.

Izzy spannte sich merklich an. „Du kannst erwarten, was du willst. Das Einzige, was zählt, ist, dass ich mit Garth gesprochen habe. Er gehört zur Familie, Lexi. Er ist mit uns genauso verwandt wie wir untereinander. Er ist verletzt worden. Dad hat ihn hintergangen, und das weißt du.“

„Fein. Jed hat sich sowohl Garth als auch seiner Mutter gegenüber mies verhalten. Aber das gibt ihm nicht das Recht, es an uns auszulassen. Wir hatten damit nichts zu tun.“

„Er ist für die Explosion der Bohrinsel nicht verantwortlich. Ich glaube ihm, und Nick glaubt ihm auch. Sieh mal, betrachte ihn als eine Art Darth Vader. Er muss vor sich selbst beschützt werden.“

„Glaubst du wirklich, dass Filmbeispiele deinem Fall helfen?“, fragte Lexi.

Dana sah Skye an, die gebannt zuhörte, aber nichts sagte. Izzy hatte die falsche Strategie gewählt. Skye war die emotionale der Schwestern. Wenn Izzy wollte, dass alle drei zusammenarbeiten, hätte sie erst Skye überzeugen müssen. Gemeinsam hätten sie dann Lexi bearbeiten können.

„Er ist unser Bruder“, wiederholte Izzy dickköpfig. “Ich habe in ihm etwas gesehen, das ich nicht beschreiben kann.“

„Die Verwüstungen eines schwarzen und leeren Herzens“, murmelte Lexi.

„Ich sah, wer er sein sollte.“ Izzy beugte sich vor. „Ich sah den vierzehnjährigen Jungen aufblitzen, der seinen eigenen Vater anbettelte, einen Mann, der ihn nie anerkannt hatte, ihm das Geld zu geben, um seine Mutter vor einem Gehirntumor zu retten. Jed hat ihn abgewiesen. Jed hat ihn auf die Straße geworfen. Jed ist der Grund, warum er Rache will.“

„Das wissen wir doch alles“, sagte Skye leise.

„Aber der Mensch, der er hätte werden sollen, ist immer noch da. Stellt euch doch mal vor, wie Garth wäre, wenn seine Mutter nicht krank geworden wäre. Stellt euch vor, wir hätten ihn getroffen, als wir zehn oder fünfzehn waren. Wenn wir gemeinsam aufgewachsen wären. Wir wären eine Familie gewesen.“

„Jetzt ist es zu spät, um umzukehren“, sagte Lexi tonlos.

„Aber es ist nicht zu spät, nach vorne zu schauen. Wenn du die Explosion außen vor lässt, hat er uns nicht wirklich wehgetan.“

„Was nicht daran liegt, dass er es nicht versucht hätte.“

„Er wollte mich wieder mit Nick zusammenbringen“, sagte Izzy.

„Er ist der Grund, warum ihr euch überhaupt erst getrennt habt“, erinnerte Lexi sie.

„Das stimmt, aber er hat eingesehen, dass er unrecht gehabt hat. Er ist zu mir gekommen und hat ein gutes Wort für Nick eingelegt. Ohne dass Nick etwas davon wusste. Garth hatte keinen Grund, uns zu helfen, aber er hat es trotzdem getan. Er ist nicht nur schlecht.“

Lexi und Skye schauten einander an. Izzy sah den Blickwechsel und nutzte die Gunst der Stunde.

„Warum sollte er lügen, was die Explosion angeht? Er hat doch auch alles andere zugegeben.“ Izzy warf Dana einen Blick zu. “Natürlich nicht auf eine Art, die vor Gericht standhalten würde.“

„Das hatte ich befürchtet.“

Lexi seufzte und wandte sich an Dana. “Hast du nicht versucht, ihr das auszureden?“

„Doch“, erwiderte Dana. “Aber sie hat ihren eigenen Kopf. Was hauptsächlich eure Schuld ist. Sie ist eure kleine Schwester. Ihr hättet sie als Kind mehr unterdrücken müssen. Aber nein, ihr musstet sie ja verwöhnen. Jetzt seht ihr, wie es euch gedankt wird.“

„Sehr lustig“, sagte Lexi. “Hast du auch etwas Ernsthaftes zur Sache beizutragen?“

Dana schaute sie alle der Reihe nach an. “Izzy ist kein Idiot, und sie hat eine gute Menschenkenntnis. Glaube ich, dass sie recht hat? Ich weiß es nicht. Bin ich gewillt zu behaupten, sie liegt komplett falsch?“ Sie zögerte. „Nein.“

Izzy grinste. “Seht ihr, Dana glaubt mir.“

„Das habe ich nicht gesagt, Izzy“, widersprach Dana.

„Aber fast.“ Izzy lächelte ihre Schwestern an. “Wir stehen hier unter enormem Zeitdruck. Ich will Garth bis Weihnachten in den Schoß der Familie zurückgeführt haben. Dann können wir alle zusammen feiern.“

„Schade, dass ich das verpasse“, sagte Dana und meinte es beinahe auch so.

„Das wirst du nicht“, strahlte Izzy.

„Du bist diejenige, die er versucht hat zu töten“, meldete sich jetzt endlich Skye zu Wort. “Bist du dir vollkommen sicher, dass er damit nichts zu tun hat?“

Izzys Lächeln schwand. Sie beugte sich vor und schaute Skye in die Augen. “Ich schwöre es. Ich glaube ihm. Er ist nicht unschuldig, aber er hatte seine Gründe, warum er sich gegen uns gewandt hat. Und er ist unser Bruder. Ich weiß ganz tief in meiner Seele, dass der einzige Weg, ihn aufzuhalten, ist, ihn in unsere Familie zu integrieren. Alles wiedergutzumachen.“

„Jed wird ihn niemals akzeptieren“, merkte Skye an.

„Hier geht es nicht um Jed, hier geht es um uns. Jed hat wieder und wieder bewiesen, dass wir ihm nichts bedeuten. Aber das ist in Ordnung, denn wir haben einander. Und nun haben wir auch noch Garth.“

Skye schwieg einen Augenblick, dann nickte sie langsam. „Okay.“

Izzy sprang auf die Füße. „Ich wusste, dass du es verstehen würdest.“

„Vielleicht tut sie das, aber ich nicht“, warf Lexi ein. „Selbst wenn ich akzeptieren würde, dass er nicht versucht hat, dich umzubringen – was ich nicht tue. Na und? Was ist mit den ganzen anderen Sachen? Er muss immer noch für eine ganze Menge geradestehen.“

Skye nickte. „Lexi hat recht. Wir müssen uns sicher sein. Wir müssen sicher sein, dass das nicht nur ein Trick ist und er eine neue Strategie fährt. Vielleicht war er nicht für die Explosion verantwortlich. Vielleicht war es nur schlechtes Timing oder was weiß ich. Aber es gibt noch andere Fragen, die beantwortet werden müssen.“

Dana räusperte sich. „Technisch gesehen ist das nicht Garths Strategie, sondern Izzys. Ich glaube nicht, dass er überhaupt ein Teil der Familie werden möchte.“

„Was die ganze Angelegenheit nur noch unangenehmer macht“, murmelte Lexi.

„Wir müssen es tun“, beharrte Izzy. „Wir müssen ihn retten.“

„Wenn er es wert ist, gerettet zu werden“, wandte Skye ein. “Wie können wir das sicherstellen?“

Schweigen legte sich über den Raum, als die vier Frauen einander anschauten. Plötzlich grinste Izzy.

„Wir ärgern ihn“, verkündete sie fröhlich. “Wenn ich recht habe und irgendwo in ihm noch der nette Kerl steckt, der nur darauf wartet, herausgelassen zu werden, wird er vielleicht genervt sein, aber nichts unternehmen. Wenn er jedoch so schlimm ist, wie ihr drei denkt, wird er uns sein wahres Ich zeigen. Stress bringt den wahren Charakter eines Menschen an die Oberfläche.“

„Da hat sie recht“, stimmte Skye langsam zu. „Wenn wir ihm in die Quere kommen, stellen wir sehr schnell fest, mit wem wir es wirklich zu tun haben.“

„Wir müssen ihn auf eine sehr offensichtliche Art provozieren“, sagte Dana. Ihr gefiel die Idee, Garth zu ärgern.

Skye lächelte. „Wie wäre es, wenn eine von uns ihn beschattet? Da schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Entweder wir beobachten ihn dabei, wie er einem anderen Böses tut, oder er reagiert auf unsere persönliche Überwachung.“

Lexi nickte. „Wenn er so ist, wie Izzy behauptet, wird er es verstehen. Wenn nicht, wird er vielleicht wütend werden und uns zeigen, was hinter der glatten Fassade steckt. Egal wie, wir können nicht verlieren. Das gefällt mir.“

„Mir nicht“, sagte Izzy, „aber ich verstehe, was ihr meint. Also, wer von uns soll es machen?“

Dana dachte an alles, was in den letzten Monaten passiert war, wie verängstigt ihre Freundinnen gewesen waren und wie rücksichtslos Garth sich verhalten hatte. Sie dachte daran, wie Jed seine Töchter ignoriert, sie vollkommen allein einer Situation überlassen hatte, die alleine durch ihn überhaupt erst entstanden war. Sie dachte daran, wie viel jede einzelne der Titan-Schwestern ihr bedeutete.

„Ich tu es“, sagte sie und schaute die drei an. „Ich nehme unbezahlten Urlaub und hefte mich Garth rund um die Uhr an die Fersen.“

„Das kannst du nicht machen“, sagte Skye.

„Natürlich kann ich das. Den Urlaub bekomme ich problemlos. Und ihr braucht einen objektiven Dritten, der weiß, wonach er gucken muss. Ich bin die perfekte Wahl.“

„Dann musst du aber wenigstens akzeptieren, dass wir dich dafür bezahlen“, sagte Lexi. „Du wirst in der Zeit ja nichts verdienen.“

„Das kannst du vergessen“, widersprach Dana vehement.

Skye stand auf und schaute sie an. Sie war ein grünäugiger Rotschopf mit dem entsprechenden Temperament. Es dauerte eine Weile, bis sie sich aufregte, aber wenn es passierte, war es ein beeindruckendes Erlebnis.

„Freunde lassen Freunde nicht umsonst arbeiten“, erklärte Skye ihr. “Entweder wir bezahlen dich dafür, oder wir finden jemand anderen.“

„Es ist ja nicht so, als wenn ihnen das Geld fehlen würde“, warf Izzy ein. “Sie sind reich.“

„Wenn du deinen Treuhandfonds erhältst, wirst du deinen Anteil dazugeben“, merkte Skye an.

Dana wollte ihr Geld nicht nehmen, aber sie wollte auch niemand anderen mit der Untersuchung betrauen. Dazu stand zu viel auf dem Spiel.

„Okay. Aber nicht mehr als mein normales Gehalt vom Sheriffsbüro.“

„Abgemacht“, sagte Lexi und stemmte sich in eine stehende Position hoch. „Du bleibst an Garth dran und findest alles heraus, was du kannst. Wenn er zu einem der Guten wird, fassen wir einander alle an den Händen und singen ‘Kumbaya’. Wenn nicht, hast du das Vergnügen, seinen Arsch ins Gefängnis zu verfrachten.“

Dana lächelte. „Das würde ich sehr gerne tun.“

Izzy stemmte die Hände in die Hüften. „Du wirst nett zu ihm sein.“

„Ich werde keine Narben hinterlassen“, versprach sie.

„Und auch keine blauen Flecken.“

Dana seufzte. „Du gönnst mir aber auch nicht das kleinste bisschen Spaß.“

Garths Telefon klingelte.

„Hier sind zwei Damen, die Sie gerne sehen möchten“, erklang die Stimme seiner Assistentin durch den Lautsprecher. „Sie haben keinen Termin, sagen aber, dass – und ich zitiere – es Ihnen sicher nichts ausmacht, sich etwas Zeit in Ihrem engen Terminplan freizuräumen, um sie mit Angehörigen zu verbringen.“

Garth kannte nur eine Frau, die sich so ausdrückte. „Izzy und eine ihrer Schwestern?“

„Ms. Skye Titan, Sir.“

„Schicken Sie sie rein.“

Er stand auf und ging um seinen Schreibtisch herum. Warum sollten Izzy und Skye ihn besuchen kommen? Nicht um ihren Triumph zu genießen. Seinen Besuch beim Dallas Police Department konnten sie kaum als Sieg verbuchen.

Sekunden später rauschte Izzy in sein Büro. Ihre langen dunklen Locken fielen ihr über die Schultern. Sie lächelte, als wenn sie ein delikates Geheimnis teilten. Skye kam hinter ihr her. Sie sah weitaus weniger überzeugt aus, sich an dem Ort zu befinden, wo sie sein wollte.

„Was für ein unerwartetes Vergnügen“, sagte er und deutete zu den Sofas am Fenster. “Kann ich den Damen etwas bringen lassen?“

„Nein, danke. Wir sind hier, um mit dir zu reden“, sagte Izzy und ließ sich auf eines der Sofas fallen. “Lexi hatte andere Verpflichtungen. Zumindest soll ich das sagen. Aber ehrlich gesagt ist sie sich mit dir noch nicht ganz sicher. Ich habe gesagt, dass du in Ordnung bist, aber Skye ist die Einzige, die mir glaubt.“

Er wandte seine Aufmerksamkeit der wohlgeformten Rothaarigen in dem maßgeschneiderten Kostüm und den Perlenohrringen zu, die sich neben ihre Schwester gesetzt hatte. „Du bist dir sicher, was mich angeht?“

Kühle grüne Augen starrten in seine. „Ich sagte, dass ich gewillt bin, zu erwägen, dass du nicht durch und durch böse bist. Das ist ein Unterschied.“

„Stimmt.“ Er wandte sich wieder an Izzy. „Worüber reden wir hier überhaupt?“

„Über dich. Darüber, dich vor dir selbst zu schützen.“ Sie runzelte die Stirn. „Erinnerst du dich nicht? Wir haben doch schon mal darüber gesprochen.“

Izzy hatte irgendwelches sentimentales Zeug erzählt, dass er ihr Bruder war und die Schwestern seine Familie wären – eine Tatsache, die für ihn überhaupt nichts änderte. Er hatte ihren Kommentar als das belanglose Geplapper einer Frau mit gebrochenem Herzen abgetan.

„Du warst traurig wegen Nick“, sagte er.

„Oh, bitte. Das hatte doch aber keinen Einfluss auf mein Gehirn.“ Sie setzte sich bequemer hin und klopfte auf das Kissen neben sich. „Komm, setz dich zu uns. Wie ich an dem Tag schon sagte, du gehörst zur Familie. Dieser Weg der Zerstörung, den du eingeschlagen hast, ist einfach nur dumm. Also werden wir dich retten.“

„Gegen meinen Willen?“

„Wenn nötig auch das.“ Sie lächelte. „Wir können sehr überzeugend sein.“

„Izzy will, dass du ein Teil der Familie wirst“, warf Skye ein.

„Bis Weihnachten“, ergänzte Izzy.

Er erinnerte sich, dass sie schon einmal so etwas erwähnt hatte. “Nett gemeint, aber nein, danke.“

„Du hast keine Wahl.“

„Ist das ein Teil des Plans, mich gegen meinen Willen zu retten?“

„Jupp. Komm schon, Garth, wir sind deine Schwestern. Hast du dir nie gewünscht, jemanden zu haben, der dir die Haare flicht?“

„Da muss ich passen.“

„Ignorier ihn einfach“, sagte Izzy an ihre Schwester gewandt. “Er taut schon noch auf.“

„Und wenn er nicht auftauen will?“, fragte Skye. „Das hier ist kein wohlüberlegter Plan.“

„Und wann hat mich das jemals aufgehalten?“

Garth konnte sich nicht erinnern, wann er sich in Gegenwart von zwei Frauen jemals so unbehaglich gefühlt hatte. Seltsamerweise konnte er den Grund für sein Unbehagen jedoch nicht benennen.

Er zwang sich, näher heranzugehen und sich hinzusetzen.

Skye wandte sich ihm zu. „Obwohl Izzy sehr wild und impulsiv sein kann, besitzt sie doch eine sehr gute Menschenkenntnis. Sie sagt, dass du es wert bist.“

„Das bin ich aber nicht“, erwiderte er. Er wusste, je länger diese Unterhaltung andauern würde, desto schwerer würde es für ihn, die Titan-Welt skrupellos an sich zu reißen.

Skye musterte ihn eindringlich, als wenn sie sich nur ausreichend anstrengen müsste, um seine Gedanken lesen zu können.

„Ich verstehe, warum du es auf Jed abgesehen hast“, sagte sie nach ein paar Sekunden. „Was er getan hat, war grausam. Ich schäme mich für sein Verhalten und entschuldige mich in seinem Namen dafür. Nicht, dass meine Entschuldigung irgendeinen Wert hätte.“

„Gar keinen“, sagte er.

„Verständlich. Aber warum wir? Was haben wir getan, um deine Verachtung zu verdienen?“

Er mochte das Wort nicht. Verachtung. Es implizierte Gefühle, wenn er doch einzig und allein rational war. „Ihr wart leichte Ziele“, sagte er. “Wenn ich euch wehtat, habe ich gleichzeitig Jed wehgetan.“

„Aber inzwischen müsste dir doch klar sein, dass wir Jed vollkommen egal sind. Er ist kein wirklicher Vater.“

Sie sagte die Worte leichthin, aber er hörte den unterdrückten Schmerz in ihrer Stimme. Sie hatte die Wahrheit über ihren Vater vielleicht akzeptiert, aber sie hatte immer noch die Macht, sie zu verletzen.

Garth zuckte mit den Schultern. “Es reicht mir schon, wenn es ihn kurzfristig ablenkt.“

„Nein, das tut es nicht“, schaltete Izzy sich ein. “Komm schon, du hattest nicht vor, so viel Mist zu bauen. Das ist nicht dein Stil.“

Ihre Einschätzung nervte ihn – vielleicht weil sie zutraf. “Du kennst meinen Stil nicht.“

„Aber ich kann Vermutungen anstellen. Ich schätze, du wolltest einen klaren Sieg“, stellte Izzy fest. “Als du mit all dem hier angefangen hast, dachtest du, wir wären eine glückliche Familie. Schneide einen, und alle bluten. Du dachtest, du könntest Jed schwächen, wenn du es auf die absiehst, die er am meisten liebt. Was eine grobe Fehlkalkulation war, großer Bruder. Fühlen wir uns jetzt ein wenig dumm?“

„Nein.“ Dumm war nicht ganz das richtige Wort für die Gefühle, die er durchlebte.

Die skrupellose Seite an ihm drängte ihn, ihnen die Wahrheit zu sagen. Dass ihr Vater zu ihm gekommen war und ihm angeboten hatte, Titan World zu leiten. Allerdings unter der Bedingung, dass Jeds drei Töchter niemals einen Penny zu sehen bekämen.

Aber er sprach die Worte nicht aus. Es gab keinen Grund, sie noch mehr zu verletzen. Das konnte Jed auch ohne Hilfe sehr gut selbst erledigen.

„Wir sind nicht deine Feinde“, sagte Skye. „Wir wollen nichts von dir.“ Sie sah zu Izzy hinüber, die den Kopf schüttelte. Dann seufzte Skye. „Izzy will, dass du ein Teil der Familie wirst, aber das ist was anderes. Wir sind nicht hinter deiner Macht oder deinem Geld her. Wir wollen einfach nur in Frieden leben. Kannst du das einfach nur nicht glauben, oder steckst du inzwischen zu tief drin, um jetzt aufzuhören?“

Bevor er etwas erwidern konnte, war Izzy von ihrem Sofa aufgestanden und hatte sich neben ihn gesetzt. Sie streckte die Hand aus und berührte seinen Arm.

„Das mit deiner Mom tut uns leid. Ich verstehe nicht, wie Jed so herzlos und gemein sein konnte. Oder vielleicht verstehe ich es doch, und es macht mir Angst. Er ist auch mein Vater. Warum muss er so böse sein?“

Garth wollte nicht über seine Mutter oder das, was passiert war, nachdenken. Er zog sich zurück. „Das funktioniert nicht. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich weiß, was ich will, und ich werde es bekommen.“

Izzy lächelte nur. „Das kannst du nicht. Wir sind deine Familie. Nicht Jed. Er verdient, was er bekommen wird, aber wir nicht. Du weißt, dass wir unschuldig sind. Du weißt, dass wir nicht verdienen, was du uns antust. Jedes Mal, wenn du dich gegen eine von uns wendest, wirst du mehr und mehr wie Jed, und das ist nicht, wer du bist.“

Er spürte die Wahrheit in ihrer Aussage, doch er sagte nichts.

„Du übst Druck auf ihn aus, Izzy“, sagte Skye. „Hör auf damit. Schluss mit der emotionalen Erpressung. Kümmern wir uns lieber um die Fakten. Wenn du nicht für die Explosion der Bohrinsel verantwortlich bist, wer war es dann? Oder war es ein Unfall?“

Garth wusste den Themenwechsel zu schätzen. „Die vorläufigen Untersuchungsergebnisse weisen alle auf eine unnatürliche Ursache für die Explosion hin. Jemand hat es mit Absicht gemacht.“

„Aber wer, wenn nicht du?“, fragte Skye.

„Daran arbeite ich noch.“

„Warum interessiert es dich überhaupt?“, wollte Skye wissen.

„Ich werde die Verantwortung für das übernehmen, was ich getan habe, für sonst nichts.“

„Nach allem, was du bisher getan hast“, wandte Skye ein, „stehst du auf der Liste der Verdächtigen ganz oben.“

Er nickte. „Ich weiß, aber ich war es nicht. Explosionen sind zu gefährlich. Man kann ihre Auswirkungen nicht kontrollieren. Ich hingegen weiß immer, worauf die Dinge hinauslaufen.“

„Ich nehme nicht an, dass du dich mit einem Lügendetektortest einverstanden erklären würdest?“, fragte Skye.

Er unterdrückte ein Lachen. „Nein.“ Auch wenn ich mich durchaus einer intensiven Befragung durch Deputy Dana stellen würde, dachte er amüsiert. Sie faszinierte ihn mit ihrer Entschlossenheit und Respektlosigkeit.

„Wenn du herausfindest, wer dafür verantwortlich ist, wirst du es uns dann sagen?“, fragte Skye.

„Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Die Antwort könnte dir nicht gefallen.“

Sie runzelte die Stirn. „Weißt du es bereits?“

„Ich habe eine Vermutung. Das ist ein Unterschied.“

Skye sah mit einem Mal schwach aus, als wenn ihr etwas in den Sinn gekommen wäre, das sie einfach nicht glauben konnte. „Wirst du es uns sagen?“, fragte sie erneut ganz leise.

„Ja.“

„Einfach so?“

„Ich werde es euch sagen“, sagte er mit fester Stimme.

Sie stand auf. “Ich schätze, dann warten wir darauf, von dir zu hören.“

Er und Izzy erhoben sich ebenfalls.

Izzy schaute ihn an. „Wegen dieser Familiensache. Ich mache keine Witze. Du bist jetzt einer von uns. Hör also auf, gemein zu sein.“

Und bevor er sie davon abhalten konnte, schlang sie ihre beiden Arme um ihn und lehnte sich gegen seine Brust. Die Umarmung war unangenehm und ungewohnt. Er war daran gewöhnt, Frauen in den Armen zu halten, aber das hier war was anderes.

Sie ließ ihn los und schaute ihm in die Augen. Ihr Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln.

„Nächstes Mal erwiderst du die Umarmung“, flüsterte sie. „Du brauchst uns, Garth. Und wir brauchen dich.“ Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Alles wird gut.“

Als wenn sie ihm gut zureden wollte. Aber das hier war sein Spiel, und er gewann. Kapierten sie das nicht?

Skye schaute ihn misstrauisch an. „Ich fühle mich mit dieser ganzen Umarmungsnummer noch nicht wohl.“

„Kein Problem.“

„Ich hoffe, dass Izzy recht hat. Ich hoffe, dass du es wert bist, gerettet zu werden. Nun, wir werden es herausfinden.“ Sie lächelte. „Aber das Verfahren wird dir vermutlich nicht gefallen.“

Die Frauen verließen das Büro.

Er starrte ihnen hinterher, wollte sie zurückrufen, ihnen sagen, dass er es nicht wert war, gerettet zu werden. Dass es lächerlich war, ihre Energien auf diese Weise zu verschleudern. Gleichzeitig hatte er das komische Gefühl, dass sie diese Runde gewonnen hatten und er durch diesen unerwarteten Sieg ins Hintertreffen geraten war.

Es war beinahe neun Uhr abends, als Garth an diesem Tag mit dem Fahrstuhl von der Garage in sein Penthouse fuhr. Er war müde, was nach einem Fünfzehnstundentag kein Wunder war.

Aber seine Müdigkeit schien tiefer zu gehen als sonst. Er hatte sich eine Aktentasche voll Arbeit mit nach Hause gebracht, jedoch nicht vor, auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Und irgendwie behagte ihm der Gedanke gar nicht, einen Abend alleine zu verbringen.

Wenn er seine Stimmung hätte analysieren müssen – etwas, das er nur äußerst selten tat –, würde er sagen, dass er einsam war.

Es war nicht so, als ob er normalerweise seine Abende Poker spielend mit Freunden verbrachte, aber in letzter Zeit schien seine Einsamkeit umfassender zu sein. Vielleicht lag es daran, dass er seinen besten Freund verloren hatte. Oder vielleicht brauchte er einfach nur einen Drink und ein gutes Footballspiel im Fernsehen.

Als der Fahrstuhl im Erdgeschoss anhielt, stieg er aus und holte seine Post ab. Auf dem Weg zu den Briefkästen sah er jemanden auf einem der gepolsterten Sofas in der Lobby sitzen. Einen sehr bekannten Jemand, der ihn beobachtete.

Dana Birch stand auf. „Du arbeitest lange.“

Sie trug keine Uniform, sondern Jeans, eine Lederjacke und Stiefel. Nichts Modisches oder Teures, und doch standen ihr die schlichten Sachen sehr gut.

Garth wandte sich an George, den Nachtportier seines Hauses. Der ältere Mann rutschte unruhig hin und her.

„Sie, äh, haben Besuch, Mr. Duncan.“

„Das sehe ich.“

Dana ging auf ihn zu. „Geben Sie George nicht die Schuld. Sein Neffe ist ein Neuzugang im Büro des Sheriffs von Titanville. Ich habe ihm ein paar Mal geholfen. George war mir was schuldig.“

„Wirklich?“

Garth nahm seine Post und klemmte sie unter seinen Arm. Seine Aktentasche hatte er in der einen Hand, eine Tüte mit chinesischem Essen in der anderen. „Warum bist du hier?“

„Weil du es auch bist.“

Nicht, dass es ihm was ausmachte – auch eine mächtige Frau konnte Garth nicht einschüchtern. Ehrlich gesagt fand er die Herausforderung sogar durchaus interessant. Noch interessanter fand er nur Danas Mund. Die volle Unterlippe, die leichte Biegung an den Mundwinkeln. Das alles sprach von Sinnlichkeit und Versprechen. Oder vielleicht wünschte er sich das auch nur.

„Gründest du einen Fanclub?“, fragte er.

„Nicht direkt. Ich habe mir unbezahlten Urlaub genommen, um dir folgen zu können. Ich werde dir so lange an den Hacken kleben, bis ich herausgefunden habe, wer und was du bist.“

„Du weißt bereits, wer ich bin.“

„Ich denke nicht. Izzy meint, dass du das Zeug zum Bruder hättest. Skye und Lexi sind sich da nicht so sicher.“

Eine unerwartete Wendung. „Und du bist das Zünglein an der Waage?“

Sie lächelte. “Ich bin hier, um deinen Charakter zu überprüfen. Sieh mich als Feuerprobe an.“

Er musste den Titan-Schwestern Punkte für ihre Kreativität geben. „Du machst mir keine Angst, Dana.“

„Lass mir ein bisschen Zeit.“

Er lachte unterdrückt und hielt die Tüte mit dem Essen hoch. „Hast du Hunger? Das ist genug für zwei.“

„Ich Glückliche.“

„Ist das ein Ja?“

Sie hielt einen Augenblick inne, bevor sie sich die Tüte schnappte. “Sicher. Warum nicht?“

Gemeinsam gingen sie zum Fahrstuhl hinüber.

Als sie am Empfangstresen vorbeikamen, streckte George ihm den erhobenen Daumen entgegen. Garth unterdrückte ein Lachen. Angesichts der Tatsache, dass Dana ziemlich gereizt war und gewillt, das Schlechteste in ihm zu sehen, standen die Chancen, dass er diese Nacht Glück haben würde, bei null. Aber er war ein Mann, der eine Herausforderung zu genießen wusste.

3. KAPITEL

Schweigend fuhren sie mit dem Fahrstuhl nach oben. Dana hatte gar nicht bemerkt, wie hungrig sie war, bis ihr der Duft des chinesischen Essens in die Nase stieg und ihr Magen anfing zu grummeln. Genauso beunruhigend war sie sich des neben ihr stehenden Mannes bewusst. Garth hatte nicht im Mindesten besorgt gewirkt, dass sie zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen unangemeldet bei ihm aufgetaucht war. Warum konnte er nicht wenigstens so tun, als wäre er nervös?

Im obersten Stockwerk stiegen sie aus, und sie folgte ihm zu seinem Penthouse. Er schloss die Tür auf und ließ ihr den Vortritt.

Sie betrat einen dunklen Raum. Sekunden später schaltete Garth das Licht an.

Gestern Morgen war sie mehr an dem Mann als an seiner Wohnung interessiert gewesen und hatte nicht viel mehr mitbekommen als den offenen Grundriss und den Mörderausblick. Jetzt ignorierte sie die Lichter der Stadt und konzentrierte sich stattdessen auf ihre unmittelbare Umgebung.

Die Wohnung war im Loft-Stil erbaut und bestand im vorderen Teil aus einem einzigen großen Raum. Das Wohnzimmer lag vorne, eine Essecke zur Rechten. Eine halbhohe Wand trennte die einem Restaurant würdige Küche mit ihren glänzenden Einbauschränken und der Arbeitsplatte aus Granit vom Rest des Raumes. Die Möbel waren imposant, die Farben gedeckt und maskulin, der Teppich war flauschig. Der ganze Raum sah teuer und gemütlich aus, was eine sehr seltene Kombination war.

„Du hattest eine gute Innenarchitektin“, sagte sie.

Garth legte seine lederne Aktentasche und die Post auf einen Tisch an der Eingangstür und zog sich sein Anzugjackett aus. „Danke. Ich finde auch, dass er seinen Job gut gemacht hat.“

„Er? Es war keine Frau? Das überrascht mich.“

„Ich weiß Talent in beiden Geschlechtern zu schätzen.“

„Oh, ein kleiner Mister Aufgeschlossen.“

Er trat neben sie und deutete auf den großen Holztisch im Essbereich. „Sollen wir?“

Sie ging zum Tisch und stellte die Tüte mit dem Essen ab. Er stand bereits am Weinschrank, der zwischen Ess- und Wohnbereich in die Wand eingebaut war.

„Wein?“, fragte er. „Oder bist du im Dienst?“

„Wein wäre nett.“

Er kehrte mit zwei Gläsern und einer Flasche Rotwein zurück. Das Etikett sagte Dana nichts, was allerdings auch nicht überraschend war. Sie war eher die Biertrinkerin.

„Teller sind in der Küche“, sagte er, während er an ein Sideboard trat, eine Schublade aufzog und einen Korkenzieher herausholte.

Sie ging in die riesige Küche und machte das Licht an. Die Arbeitsplatte bot Platz für zwanzig Köche, es gab eine doppelte Spüle, einen doppelten Ofen und eine Wärmeschublade.

„Dein Caterer muss ganz wild darauf sein, hier zu arbeiten. Man braucht nur noch ein paar Lakaien.“

„Ich habe Lakaien. Sie haben nur heute ihren freien Abend.“

Sie drehte sich um, damit er ihr Lächeln nicht sehen konnte. Dann öffnete sie eine Schranktür nach der anderen, bis sie die Teller gefunden hatte. Das Besteck war in der darunterliegenden Schublade. Nachdem sie sich noch ein paar Haushaltstücher als Servietten geschnappt hatte, kehrte sie an den Esstisch zurück.

Er hatte die Weingläser am einen Ende des Tisches einander gegenübergestellt. Während sie den Tisch deckte, packte er die Kartons mit dem chinesischen Essen aus der Tüte.

„Das ist ein historischer Moment“, sagte er, als sie sich setzten. „Möchtest du ein paar Worte sagen?“

„Keine, die für eine feine Gesellschaft angemessen wären.“

Er zwinkerte. „So fein bin ich gar nicht.“

„Stimmt.“

Er bot ihr etwas an, das nach Hühnchen Kung Pao aussah. „War das dein Ernst mit dem unbezahlten Urlaub?“

Sie füllte sich etwas von dem scharfen Hühnchen auf ihren Teller. „Absolut. Mein neuer Job bist du. Ich weiß, dass das dein Herz erzittern lässt.“

Anstatt sich selber zu bedienen, krempelte er die Ärmel seines weißen Hemdes auf und nahm einen Schluck Rotwein.

Autor

Susan Mallery
<p>Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren herzerwärmenden Frauenromanen, die in 28 Sprachen übersetzt sind. Sie ist dafür bekannt, dass sie ihre Figuren in emotional herausfordernde, lebensnahe Situationen geraten lässt und ihre Leserinnen und Leser mit überraschenden Wendungen zum Lachen bringt. Mit ihrem Ehemann, zwei Katzen und einem...
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