Zum Beißen verführt

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Seit Jahrhunderten ist Vampir Zoltan auf der Jagd nach den Mördern seines Vaters. Die Spur führt ihn in den verschneiten Himalaya. Dort trifft der muskelbepackte Vampir auf die betörende Schönheit Neona. Zoltan wird von der jungen Kriegerin auf der Stelle umgehauen - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn in Neonas Dorf sind Männer strengstens verboten. Das heißt: Für eine gewisse Sache sind sie ganz gut zu gebrauchen. Zwischen dem Vampir und der Amazone entsteht eine heiße Leidenschaft, die gegen alle Regeln verstößt …


  • Erscheinungstag 12.06.2017
  • Bandnummer 17
  • ISBN / Artikelnummer 9783955766696
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

An alle Leser von „Love at Stake“, ich bin begeistert von euch!
Ihr erhaltet die Untoten seit fünfzehn Büchern am Leben!

Danksagung

Wie man in der Widmung lesen kann, verdanken meine Charaktere und ich den Lesern so viel. Danke für all die fantastische Unterstützung und Ermutigung, die ich über die Jahre von euch erhalten habe! Ich möchte auch den Buchhändlerinnen und Bibliothekarinnen danken, die meine Serie und Liebesromane im Allgemeinen gefördert haben.

Vielen Dank außerdem an die Profis von Harper Collins, die mich klüger und cooler aussehen lassen, als ich es selbst je könnte: meine Lektorin, Erika Tsang, und ihre Assistentin Chelsey; Tom vom Art Department, der mich immer wieder mit den tollsten Covern überrascht; Pamela und Jessie aus dem Publicity Department; und viele andere, die hinter den Kulissen arbeiten. Ein großes Dankeschön an Michelle Grajkowski von der Three Seas Literary Agency, meine Cheerleaderin Nummer eins. Und mein Dank geht auch an Shelley und Peggy von Webcrafters, die meine Webseite aufgebaut haben und betreuen, und die meine Anzeigen und Werbegeschenke designen.

Auf persönlicher Seite bin ich weiterhin mit Unterstützung und Liebe gesegnet. Meine lieben Freundinnen und Kritikpartner, Sandy, M. J. und Vicky, sind einfach die Besten! Und mein Mann und meine Kinder inspirieren mich, bringen mich zum Lachen und geben mir Kraft. Euch gehört meine unsterbliche Liebe und Dankbarkeit!

1. Kapitel

Als Zoltan Czakvar die Waffenkammer seiner Burg in Transsilvanien betrat, richtete sein Blick sich automatisch auf den Pfeil, mit dem man seinen Vater ermordet hatte.

In seiner Nische an der gegenüberliegenden Wand kaum sichtbar, ließ der Pfeil ihn doch noch immer auf der Stelle innehalten. Und mit angespannten Nerven zurück. Verdammt. Er sollte das blöde Ding runterreißen, ins Feuer werfen und es damit endgültig loswerden.

Da er ein Mann war, der sich damit rühmte, nie aufzugeben, ehe er eine Aufgabe erledigt hatte, diente der Pfeil als schmerzliche Erinnerung an sein großes Versagen. Er hatte nie herausgefunden, wer verantwortlich war für den Mord an seinem Vater und die Zerstörung seines Dorfes. Leider war das alles bereits im Jahre 1241 vorgefallen, eine Chance auf Erfolg schien also schon lange begraben zu sein.

Er hatte es versucht. Bei Gott, wie hatte er es versucht. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr war er mit diesem verdammten Pfeil herumgereist, jahrelang, verzweifelt auf der Suche nach jemandem, der wusste, wo er seinen Ursprung hatte. Ein merkwürdiges Muster war in den hölzernen Schaft des Pfeils geschnitzt, das ihn einzigartig machte. Aber es hatte ihn nie jemand erkannt. Bis zum heutigen Tag blieb der Pfeil ein Rätsel, das ihn verspottete und ihn daran erinnerte, was er verloren hatte.

Seufzend stellte er die Kühlbox hin, die er die schwach beleuchtete Wendeltreppe hinabgetragen hatte. Als dieser Teil der Burg im fünfzehnten Jahrhundert fertiggestellt worden war, hatte man diesen höhlenartigen Raum im Keller zur Waffenkammer gemacht. Mittelalterliche Piken und Streitäxte gab es dort nicht mehr, aber eine Sammlung Schwerter und Armbrüste war geblieben, und dazu kam eine moderne Ausstattung mit Schusswaffen und Munition.

Wie fast in der ganzen Burg hatte er auch in diesem Keller elektrische Leitungen verlegen lassen. Er schaltete das Licht an. Auch wenn die weiter entfernten Winkel des Raumes im Dunkeln blieben, leuchteten an den Wänden neben ihm eine beeindruckende Sammlung Schwerter auf, die das Licht spiegelten und seine düstere Laune aufhellten. Wie treue Freunde hatten sie ihm über die Jahrhunderte einen guten Dienst erwiesen. Das Schwert war noch immer die Waffe der Wahl für ihn und seine älteren Vampirfreunde. Bei seinen moderneren Kumpanen war es anders.

Er warf einen Blick auf seine Uhr. Zehn Minuten bis zum vereinbarten Zeitpunkt.

Die Vorräte, die er am Abend zuvor heruntergebracht hatte, lagen ordentlich aufgereiht auf einem langen Holztisch. Ein paar Messer. Eine Schachtel mit Patronen für eine automatische Handfeuerwaffe. Noch eine Schachtel mit Gewehrpatronen und Handgranaten. Und eine lange Schachtel mit modernen Pfeilen. Er stellte die Kühlbox an ein Ende des Tisches. Das Trockeneis darin würde das synthetische Blut tagelang kühl halten.

„Hey, Zoltan“, erklang eine Stimme von der Wendeltreppe, „bist du da unten?“

Verdammt. Das war Howard, sein neuer Wachmann. Zoltan drehte sich zu dem riesigen Wer-Bären um, der sich bücken musste, um sich am Eingang zum Kellerraum nicht den Kopf zu stoßen. „Du musst nicht nach mir sehen, es geht mir gut. Ich dachte, du willst deine Frau zum Essen ausführen.“

„Will ich auch. Sie wollte sich erst frisch machen.“ Howard ließ seinen scharfen Blick durch den Raum wandern und ihn dann auf dem Tisch voller Vorräte verweilen. „Das ist also die Waffenkammer.“

„Ja.“ Vor einer Woche hatte Zoltan Howards Frau, Elsa, und ihr Team von Renovierungs-Experten eingestellt, um Arbeiten am verfallenen Ostflügel und dem Turm zu erledigen. Sie hatten sich auf die Chance gestürzt, eine echte transsilvanische Burg in ihrer Fernsehsendung vorzustellen. Howard dagegen hatte seine Frau seit fast sechs Monaten nicht gesehen, weil er in Japan stationiert gewesen war. Sein Boss, Angus MacKay von MacKay Security and Investigation, hatte Zoltan gebeten, den Wer-Bären als seinen neuen Leiter des Sicherheitsdienstes zu akzeptieren, damit das Paar wieder etwas mehr Zeit zusammen verbringen konnte.

Zoltan wusste, dass es sich dabei nur um eine Ausrede handelte. Seit drei Jahrhunderten hatte er den Posten des Zirkelmeisters von Osteuropa inne. Zu seinen Pflichten gehörte es, seine Untergebenen vor den bösen Vampiren, die als Malcontents bekannt waren, zu beschützen, er hatte sich mit den Jahren also durchaus einige Feinde gemacht. Erst vor Kurzem hatte er einen Menschenhändler-Ring der Malcontents hochgehen lassen. Angus sorgte sich, dass sie auf Rache aus waren, weswegen er von Howard erwartete, die Sicherheitsvorkehrungen in Zoltans Burg und seiner Stadtvilla in Budapest auf den neuesten Stand zu bringen.

Zoltan hatte sich nur zögernd einverstanden erklärt. Wie hatte er ablehnen können, wenn Elsa ihn mit so hoffnungsvoller Miene darum gebeten hatte, zuzustimmen? Sie war den ganzen Tag aufgeregt gewesen und hatte ungeduldig auf ihren Mann gewartet, der vor ungefähr einer Stunde angekommen war. Schlechtes Timing, was Zoltan anging, denn er hatte in genau acht Minuten ein Treffen vereinbart, das geheim bleiben sollte.

„Ich bin mir sicher, du willst dringend bei deiner Frau sein“, sagte er zu dem Wer-Bären, „ich werde dir also morgen Abend die ganze Burg zeigen. Oder wenn du willst, kann Milan, mein Assistent, mit dir morgen tagsüber die Tour machen.“

Howard nickte. „Den habe ich gerade oben getroffen. Er redet ziemlich viel.“

Zoltan zuckte innerlich zusammen. Milan musste sein Bestes getan haben, um Howard davon abzuhalten, in den Keller zu kommen. „Warum nehmt ihr nicht eines meiner Autos für die Fahrt in die Stadt? Milan kann euch zeigen, wo die Garage ist.“

„Das hat er auch schon angeboten.“ Howard runzelte die Stirn. „Weißt du, als neuer Sicherheitschef muss ich sagen, dass ich schockiert bin, wie wenig Vorkehrungen du hier getroffen hast. Ich habe nur eine Überwachungskamera entdecken können, draußen am Eisentor …“

„Dem Fallgatter, ja.“

„Und die funktioniert nicht einmal.“

„Verstehe, na ja …“ Zoltan ging auf ihn zu und deutete dabei auf die Treppe. „Darüber können wir morgen noch reden. Hab einen schönen Abend.“

Howard rührte sich nicht. „Soweit ich es bisher sagen kann, weiß jeder hier in der Burg, dass du ein Vampir bist.“

„Ja.“

„Und das Restaurant, das du empfohlen hast – ich habe dort angerufen und die haben mich gefragt, ob ich beim hiesigen Vampir in der Burg untergekommen bin.“

„Du musstest nicht anrufen. Es gibt nur zwei Straßen im Dorf und ein einziges Restaurant. Das kann man kaum übersehen.“

„Darum geht es nicht! Zoltan, wie viele Menschen wissen, dass du ein Untoter bist?“

Er zuckte mit den Achseln. „Eine Menge, denke ich. Wir sind hier schließlich in Transsilvanien.“

„Das Risiko ist viel zu groß. Du solltest euer Gedankenkontroll-Ding machen und ihre Erinnerungen löschen.“

Seufzend sah Zoltan auf die Uhr. Ihm blieben nur noch sechs Minuten. „Ihre Erinnerungen sorgen für meine Sicherheit. Die Leute in dieser Gegend wissen, dass sie und ihre Vorfahren seit Generationen in Sicherheit sind, weil ich sie beschütze. Ich habe sie gegen Mongolen, Ottomanen, Türken, Ungaren, Preußen, Deutsche, Russen und unzählige Banden von Dieben und Banditen verteidigt. Die Dorfbewohner würden nie zulassen, dass mir jemand schadet. Man könnte sie als meine erste Verteidigungslinie bezeichnen.“

Howard legte den Kopf schräg und sah ihn neugierig an. „Deswegen behaupten also alle Sterblichen, mit denen ich hier spreche, du wärest ein Held? Trotzdem habe ich meine Bedenken …“

„Die habe ich auch. Wenn ich so ein blöder Held sein soll, warum bin ich dann immer noch allein?“

Howard schnaubte. „Woher soll ich das wissen? Mich kümmert es, dass es hier an Sicherheitsvorkehrungen mangelt, nicht an Bettgeschichten.“

„Eloquent ausgedrückt.“ Zoltan deutete auf die Treppe. „Und wo wir dabei sind, du solltest deine Frau nicht warten lassen.“

„Ich meine es ernst, Zoltan. Egal, wie viele treue Freunde du hast, es braucht nur einen Feind, um dich umzubringen.“

„Tatsache.“ Zoltan deutete wieder auf die Treppe. „Wir können uns auch morgen über mein kurz bevorstehendes Ableben unterhalten. Macht euch einen schönen Abend.“

„Warum habe ich das Gefühl, dass du mich hier unten nicht haben willst?“, fragte Howard.

„Er will nicht, dass du mich siehst“, sagte eine Stimme aus einer dunklen Ecke.

Stöhnend drehte Zoltan sich nach dem Vampir um, der sich gerade hereinteleportiert hatte. „Du bist zu früh.“

„Ich bin am Verhungern.“ Der Ankömmling trat ins Licht, stellte eine leere Kühlbox auf dem Tisch ab und nahm sich eine Flasche synthetisches Blut aus der vollen.

Howard erstarrte. „Russell.“

Der ehemalige US-Marine sah ihn schief an, während er die Flasche öffnete. „Howard.“ Er nahm einen tiefen Schluck.

Howard betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Vorräte auf dem Tisch und sah dann wieder Zoltan an. „Wie lange versorgst du ihn schon?“

Zoltan zuckte mit den Achseln. „Ungefähr zwei Jahre.“

Stirnrunzelnd verschränkte Howard die Arme vor der Brust. „Du meinst, seit er sich unerlaubt von der Truppe entfernt hat?“

„Ungefähr. Wäre es dir lieber, wenn er verhungert? Oder Sterbliche beißen muss?“

„Es wäre uns lieber, wenn er sich ab und zu melden würde“, knurrte Howard.

Russell hielt inne, die fast leere Flasche nur ein kurzes Stück von seinen Lippen entfernt. „Beachtet mich einfach nicht. Sprecht ruhig weiter über mich, als wäre ich nicht da.“

Howard warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Meinst du, wir machen uns keine Sorgen um dich? Angus schickt J. L. und Rajiv immer wieder nach China, um nach dir zu suchen.“

„Ich weiß.“ Russell trank die Flasche aus und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. „Ich musste ihnen schon ein paarmal aus der Patsche helfen.“

Howard schnaubte. „Sie wären nicht in Schwierigkeiten geraten, wenn sie nicht auf der Suche nach dir gewesen wären.“

„Ich habe niemanden darum gebeten, nach mir zu suchen.“ Russell lud ein neues Magazin in seine Waffe und steckte sie sich dann in den Gürtel. „Ich nehme an, du wirst Angus erzählen, dass ich hier war.“

Howard sah sich nach Zoltan um. „Du hast Angus nie davon erzählt?“

Zoltan schüttelte den Kopf. „Ich arbeite nicht für Angus.“

„Er ist dein Freund. Und er ist Russells Schöpfer.“ Howard drehte sich zu dem Ex-Marine um. „Solltest du nicht so etwas wie Loyalität ihm gegenüber empfinden?“

„Er hat mich nicht verwandelt.“ Russell füllte die Taschen seines alten Mantels mit weiteren Magazinen für seine Waffe. „Das hat Master Han getan. Angus hat den Job nur zu Ende gebracht. Und Zoltan war es, der sich meiner angenommen und mir nach der Verwandlung geholfen hat.“

„Wir alle würden dir helfen“, stellte Howard klar. „Glaubst du, wir würden uns nicht um dich kümmern? Oder dich mit Vorräten versorgen?“

Russell räumte die Gewehrmunition in eine abgegriffene Segeltuchtasche. „Das würdet ihr, aber für einen Preis. Ihr würdet erwarten, dass ich eure Fragen beantworte.“

„Das nennt sich Kooperation. Wir sind auf derselben Seite, weißt du. Wir wollen alle, dass Master Han stirbt.“

Russells Augen blitzten wütend auf. „Er gehört mir. Eure Art von Hilfe ist mir nur im Weg. Ihr habt verdammt noch mal viel zu viel damit zu tun, seine Soldaten zu retten …“

„Das sind Sterbliche“, wandte Howard ein.

„Sie haben sich ihm freiwillig angeschlossen, im Tausch gegen Superkräfte.“ Russell steckte sich in jeden Stiefel ein neues Messer. „Sie haben ihre Wahl getroffen. Es ist nicht mein Problem, wenn sie dafür bezahlen müssen.“

„Ihre Superkräfte kommen von einem Dämon. Wenn man sie umbringt, kommen sie in die Hölle.“

„Wie gesagt. Nicht mein Problem.“ Russell befestigte die Handgranaten an seinem Gürtel.

Howard seufzte. „Kommst du wenigstens nach Japan, um dir anzusehen, was da passiert? Ich habe die letzten sechs Monate dort mit unserem Team aus Ärzten und Wissenschaftlern verbracht. Sie haben mehr als hundert von Master Hans Soldaten wieder zurückverwandelt.“

Russell verzog verächtlich das Gesicht. „Brillant. Dann fehlen nur noch neunhundert.“

„Howard?“, rief Elsa die Treppe hinab. „Bist du da unten?“

„Einen Augenblick!“ Howard blieb am Eingang zum Treppenhaus noch einmal stehen. „Komm morgen Abend wieder, Russell, damit wir uns unterhalten können.“

„Nein danke.“ Russell öffnete die Schachtel mit den Pfeilen.

Howard sah Zoltan stirnrunzelnd an. „Wir unterhalten uns, wenn ich vom Abendessen zurück bin.“

„Keine Eile. Hab einen schönen Abend.“ Zoltan sah zu, wie der riesige Wer-Bär die schmale Wendeltreppe erklomm. „Sobald er aus der Tür ist, ruft er Angus an.“

„Falls er überhaupt so lange wartet.“ Russell nahm den Köcher von seinem Rücken und stellte ihn schwungvoll neben den Karton mit Pfeilen auf den Tisch. „Ich fülle nur noch schnell auf und verschwinde.“ Er sah Zoltan an. „Bekommst du deswegen jetzt Schwierigkeiten?“

Zoltan schnaubte. „Was soll Angus schon machen? Wenn er in Japan ist, ist dort wahrscheinlich sowieso schon Tag. Er ruft mich an, wenn er aufwacht, um mir Vorhaltungen zu machen, aber letztendlich wird er mir danken, weil ich mich um dich gekümmert habe. Er ist kein schlechter Kerl, weißt du.“

Russell nahm sich eine Handvoll Pfeile aus der Schachtel. „Wir haben unterschiedliche Prioritäten.“

Zoltan nickte. Angus und seine Angestellten, wie Howard, wollten Sterbliche vor bösen Vampiren beschützen, Russell wollte dagegen nichts weiter, als Master Han umbringen. Der böse Kriegsherr hatte Russell während des Vietnamkrieges angegriffen und ihn danach vierzig Jahre im Vampirkoma liegen lassen. Als sie Russell in einer Höhle in Thailand entdeckt hatten, hatte Angus den Prozess der Verwandlung vollzogen, damit Russell aufwachen und sich dem Kreis der Untoten anschließen konnte. Seit zwei Jahren durchsuchte Russell das riesige Territorium von Master Han und wartete auf seine Gelegenheit, den bösen Vampir zu töten.

Russell schob einen alten Pfeil zur Seite, um in seinem Köcher Platz für die neuen zu schaffen. Zoltan blinzelte, seinen Augen kaum trauend.

„Moment!“ Er stürzte sich auf den Köcher. Die Federn an dem alten Pfeil kamen ihm bekannt vor.

Er zog ihn heraus, und sein Herz fing an zu rasen, als er die Schnitzereien am Schaft entdeckte. Hatte er nach achthundert Jahren wirklich ein Duplikat gefunden? Er eilte zu dem an der Mauer hängenden Pfeil hinüber, um die beiden miteinander zu vergleichen. Die Spitze des neuen Pfeils war modern, aber ansonsten sahen beide genau gleich aus.

Er drehte sich zu Russell um. „Wo hast du den her?“

Ein misstrauischer Ausdruck legte sich auf Russells Gesicht, ehe er sich abwandte und die restlichen Pfeile in seinen Köcher stopfte. „Keine Ahnung. Ich teleportiere im ganzen südlichen China, im nördlichen Myanmar und in Tibet herum. Und auf dem Weg sammele ich alles Mögliche ein. Ich hätte ihn überall finden können.“

„Du musst dich daran erinnern.“ Zoltan ging auf ihn zu. „Es ist sehr wichtig.“

Russell setzte sich den Köcher wieder auf den Rücken. „Ich habe keine Ahnung.“

„Du versuchst es nicht richtig.“ Zoltan knirschte mit den Zähnen. „Ich muss wissen …“

„Ich kann es dir nicht sagen.“

Zoltans Herzschlag setzte aus. Russell hielt sein Gesicht bewusst ausdruckslos. „Du meinst, du willst es mir nicht sagen.“

„Ich muss los.“ Russell nahm sich die Kühlbox. „Danke für die Vorräte.“

„Warte!“ Zoltan sprang vor und packte gerade in dem Augenblick Russells Arm, als der sich zu teleportieren begann.

Sobald sie sich wieder materialisiert hatten, stieß Russell ihn von sich. „Was zur Hölle machst du da?“

Zoltan fing sich rasch und sah sich um. Natur. Baumlose Hügellandschaft. Gelbliches Gras, das ihm fast bis an die Knie reichte. Ein Halbmond und zahllose Sterne strahlten am wolkenlosen Himmel. „Wo sind wir?“

„Du hättest nicht mitkommen sollen. Geh nach Hause.“

Zoltan zeigte ihm den Pfeil, den er immer noch fest in der rechten Hand hielt. „Das ist mein erster Hinweis seit fast achthundert Jahren. Sag mir, woher er gekommen ist.“

„Das kann ich nicht.“

Ein Blitz aus Wut durchzuckte Zoltan. „Ich helfe dir jetzt seit zwei Jahren, sag mir …“

„Ich kann nicht!“

„Verdammt, Russell!“ Zoltan umklammerte den Pfeil noch fester. „Wegen genau so einem Pfeil bin ich zum Vampir geworden. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen zu sterben, ohne zu erfahren, was passiert ist. Ich musste jung und gesund bleiben, um weiter nach der Wahrheit suchen zu können. Ich habe meine Sterblichkeit dafür aufgegeben, sag mir also, wo du diesen verdammten Pfeil gefunden hast!“

Russell verzog schmerzlich seine Miene. „Schön. Vor zwei Wochen habe ich Lord Liao und eine Gruppe Soldaten verfolgt, als sie von einer kleineren Einheit angegriffen wurden. Ich dachte mir, der Feind meines Feindes ist mein Freund, und sie haben schwere Verluste erlitten, also habe ich ihnen geholfen. Wir haben die meisten von Lord Liaos Soldaten umgebracht, aber er selbst hat sich natürlich in Sicherheit teleportiert. Ich war verwundet und habe das Bewusstsein verloren. Ich wäre bei Sonnenaufgang gestorben, aber sie haben mich gerettet.“

„Wer waren sie?“

Russell stöhnte. „Das Einzige, was sie im Gegenzug verlangt haben, war, dass ich niemandem verrate, wer sie sind und wo sie leben. Es tut mir leid. Ich weiß wirklich zu schätzen, was du für mich getan hast, aber mehr kann ich dir nicht erzählen.“

„Na schön. Dann halt den Mund und zeig nur in die richtige Richtung.“

„Warum ist dir das so wichtig?“

Zoltan hob den Pfeil an. Mondlicht brach sich an seiner stählernen Spitze. „Ein Pfeil wie dieser hat meinen Vater getötet.“

„Dann willst du Rache?“

Zoltan schüttelte den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass der Schuldige schon lange tot ist. Ich will Antworten.“

Russell trat von einem Fuß auf den anderen. „Manchmal gibt es keine. Geh wieder nach Hause. Sie wollen in Ruhe gelassen werden.“

„Wer sind sie?“

„Geh nach Hause!“ Russell teleportierte sich davon.

Zoltan stürzte ihm nach, aber er war verschwunden. „So ein Mist.“ Auch gut. Russell hätte ihm ohnehin nicht mehr verraten.

Sich im Kreis drehend versuchte Zoltan, sich zu orientieren. Mitten im Nirgendwo. Keine Waffe bei sich, bis auf den Pfeil. Er nahm sein Smartphone zur Hand und ließ seinen Aufenthaltsort per GPS bestimmen. Tibet.

Er überlegte sich, in seine Burg zurückzukehren und Waffen und einen Mantel zu besorgen. Auch wenn es Mitte Mai war, in Tibet kam der Frühling erst spät. Ein kalter Wind wehte von Norden her und zauste das Gras, das noch grün werden musste.

Auf seinem Telefon machte er das nächstgelegene Dorf aus, über hundert Meilen nach Südwesten. Warum Zeit damit verschwenden, noch einmal nach Hause zu gehen? Er konnte in einer halben Stunde in diesem Dorf sein und Fragen stellen.

Er machte sich eilig auf den Weg. In ihm wuchs die Aufregung. Das war viel interessanter als das, was er normalerweise jeden Abend tat: in seinem Büro in Budapest arbeiten. Er war für die Arbeit angezogen – weißes Hemd, rote Krawatte, ein teurer italienischer Anzug und Lederschuhe. Überhaupt nicht geeignet für ein Abenteuer in Tibet, aber wenn er in irgendwelche Schwierigkeiten geriet, konnte er sich einfach nach Hause teleportieren.

Tibet. Waren die Mörder seines Vaters wirklich den ganzen Weg aus Tibet gekommen? Als er vor Jahrhunderten nach ihnen gesucht hatte, hatte er dabei Osteuropa, Westrussland und den Nahen Osten abgedeckt. Im nordwestlichen Teil von Indien hatte er endlich aufgegeben, weil er nicht glauben konnte, dass irgendwer so weit gereist wäre, um jemanden in Transsilvanien zu töten.

Hatte der Mord an seinem Vater irgendwie mit dem geheimnisumwobenen Hintergrund seiner Mutter zu tun? Sie war aus dem Osten gekommen, aber niemand wusste, woher genau. Sein Vater, ein Händler, der die Seidenstraße bereiste, hatte sich in sie verliebt und sie mit nach Hause gebracht.

Konnte sie aus Tibet stammen? Zoltans Puls beschleunigte sich. Nach fast achthundert Jahren würde er vielleicht endlich Antworten finden.

Er teleportierte sich, so weit er sehen konnte, und wiederholte diesen Vorgang dann, bis er in der Nähe des Dorfes angekommen war. Die Landschaft veränderte sich Stück für Stück, wurde hügeliger und immer mehr bewaldet. Er teleportierte sich auf den hohen Ast einer Pinie, damit er das Dorf auskundschaften konnte. Es lag in ein Tal geschmiegt an den Ufern eines Flusses. Keine Elektrizität. Entlang der einzigen Hauptstraße waren ein paar Laternen angezündet. Er sah auf sein Handy. Kein Empfang. Wenn er noch einmal herkam, musste er ein Satelliten-Telefon mitbringen.

Er ließ sich wieder auf den Boden hinab, ordnete seinen Anzug und seine Krawatte und schlenderte dann gelassen in das Dorf hinein. Eine alte Frau war über einen handgemachten Besen gebeugt und fegte vor ihrer Haustür.

Als Zoltan sie begrüßte, richtete sie sich auf und sah ihn misstrauisch an.

Er begrüßte sie noch einmal auf Englisch und schenkte ihr ein Lächeln. Dann zeigte er ihr den Pfeil. „Wissen Sie, wo …“

Sie ließ eine Tirade aus wütenden Worten los, schüttelte ihren Besen nach ihm und rannte dann in ihr marodes Haus, die Tür hinter sich zuknallend.

Zoltan seufzte. Die Sprachschwierigkeiten hätten ihm klar sein müssen. Über die Jahrhunderte hatte er neun Sprachen gelernt, aber das Tibetisch, das in diesem Dorf gesprochen wurde, gehörte nicht dazu.

Er entdeckte einen Mann, der vor einem anderen Haus saß und etwas aus einem Lederbeutel trank. „Guten Abend.“ Er hob den Pfeil. „Wissen Sie, wo …“

Der Mann stand stolpernd auf und murmelte leise etwas. Dann wedelte er mit den Armen, als wollte er Zoltan davonjagen. Als das nicht funktionierte, spuckte er auf den Boden, rannte ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.

Dummer Mensch will wohl umgebracht werden.

Zoltan drehte sich nach der Stimme um, sah aber nur einen Hund, der auf der Veranda vor einem Haus ein Stück die Straße hinab lag. Natürlich. Seit seiner frühesten Kindheit besaß Zoltan die seltsame Gabe, mit Tieren kommunizieren zu können. Oft waren sie seine beste Informationsquelle, da die Gespräche mit ihnen rein in Gedanken verliefen und es keine Sprachbarriere gab.

Er ging langsam auf den Hund zu und schickte ihm eine Nachricht. Warum sollte man mich wegen meiner Fragen umbringen?

Der Hund setzte sich mit einem Ruck auf. Was war das?

Ich war das. Zoltan blieb auf der Straße stehen, bereit, sich zu teleportieren, wenn es sein musste. Es war immer schwer vorherzusagen, wie ein Tier reagieren würde. Die meisten Hunde waren freundlich, aber ab und an fühlte sich einer von ihnen bedroht und ging zum Angriff über.

Was? Der Hund legte den Kopf zur Seite und spitzte die Ohren. Redest du mit mir?

Ja. Ich habe die Gabe, mit Tieren zu kommunizieren.

Soll das ein Witz sein? Der kleine gefleckte Hund sprang von der Veranda und trottete auf ihn zu. Kannst du wirklich mit mir reden? Kannst du meine Gedanken hören?

Ja. Und du meine.

Heiliges Hundehäufchen! Der Hund lief im Kreis um ihn herum. Das ist ja klasse! Ich wusste nicht, dass Menschen auch denken. Manche von ihnen wirken nicht so helle, weißt du, deswegen habe ich mich immer gewundert. Konntest du das schon immer? Konntest du es schon als Welpe? Du musst ein seltsamer Mensch sein. Ich finde du riechst auch komisch. Isst du gerne? Ich mag Kaninchen. Wollen wir Freunde sein?

Sicher, antwortete Zoltan, als der Hund ihn zum fünften Mal umrundete. Es handelte sich offensichtlich um einen von der freundlichen Sorte. Kannst du dich ein bisschen beruhigen?

Warum? Kommst du nicht mit? Ich hatte schon immer den Verdacht, Menschen sind ein bisschen langsam. Du riechst nicht so wie die Menschen, die ich kenne. Ich könnte dich anpinkeln, damit du besser riechst.

Nein danke.

Der Hund sprang plötzlich auf und sah sich um. Was war das?

Ich bin mir nicht sicher.

Ich glaube, das war ein Kaninchen. Kaninchen mag ich am liebsten. Hast du Hunger? Ich schon. Wenn du dein Stöckchen wirfst, bringe ich es dir zurück.

Zoltan zeigte dem Hund seinen Pfeil. Ich wüsste gerne mehr über dieses Stöckchen und die Menschen, die es hergestellt haben.

Der Hund setzte sich vor ihn hin und neigte den Kopf zur Seite. Hast du was zu essen dabei?

Nein. Aber ich könnte dir den Kopf kraulen.

Der Hund ließ seine Zunge hängen, während er überlegte. Okay.

Zoltan tätschelte ihm den Kopf. Guter Hund. Also, was weißt du von den Machern dieses Pfeils?

Der Hund schlug mit seinem Schwanz auf den Boden. Das sind Jäger. Wilde Krieger. Die Menschen hier haben Angst vor ihnen. Du solltest dich von ihnen fernhalten.

Zoltan rieb den Hund hinter den Ohren, bis er so fest mit dem Schwanz schlug, dass sein ganzes Hinterteil ins Wackeln geriet. Warum sollte ich mich fernhalten?

Weil sie dich umbringen werden.

Zoltan hielt inne. Wo sind sie?

Du hast mit dem Streicheln aufgehört. Und ich sollte es dir nicht verraten, weil die dich dann umbringen. Ich habe schon immer vermutet, dass Menschen nicht sehr schlau sind.

Zoltan kraulte ihm wieder den Kopf. Was für ein kluger Hund du bist. Wo sind sie?

In den Bergen im Süden. Willst du jetzt mit mir spielen?

Ich muss jetzt gehen. Danke für deine Hilfe.

Du gehst? Aber wir haben uns gerade erst kennengelernt. Und du bist jetzt mein Freund.

Du bist ein guter Hund. Zoltan tätschelte ihn noch einmal und sauste dann aus dem Dorf.

Wow! Die Stimme des Hundes wurde immer schwächer. Du bist echt schnell für einen Menschen. Ich wette, du könntest ein Kaninchen fangen. Versuch, dich nicht umbringen zu lassen, okay?

Neona presste die Hand auf den runden Erdhügel, unter dem ihre Zwillingsschwester Minerva begraben lag.

Zwei Wochen waren vergangen. Zwei Wochen, seit man ihr die halbe Seele entrissen hatte. Tränen sprangen ihr in die Augen, und immer wieder spulte sich die gleiche Litanei an Fragen in ihren Gedanken ab.

Wie soll ich ohne dich leben? Wie jeden Tag ertragen? Sie ballte die Faust um eine Handvoll Erde und drückte sie zu einem Ball zusammen, als ein wütender Blitz ihre Trauer durchschlug. Warum hast du nicht härter gekämpft?

Eine Träne lief ihr die Wange hinab, und Neona ließ den Erdklumpen wieder fallen. Sie kannte die Antwort. Sieben Jahre zuvor hatte ihre Schwester einen Sohn zur Welt gebracht. Männliche Kinder waren in Beyul-La nicht gestattet, deswegen war Minerva gezwungen gewesen, den kleinen Jungen an das buddhistische Kloster abzugeben, das sich dreißig Meilen entfernt befand. Ihr gebrochenes Herz war nie ganz geheilt.

Am Anfang hatte Neona versucht, den Schmerz ihrer Schwester zu lindern, indem sie eine fröhliche Fassade aufsetzte. Aber je tiefer Minervas Trauer gegangen war, desto mehr hatten Frustration und Trauer auch Neonas Seele belastet. Sie und ihre Schwester hätten sich der Königin widersetzen und den kleinen Jungen behalten müssen.

Seufzend legte Neona sich auf den grasbewachsenen Hügel und sah hinauf zu den Sternen. Wie hätten sie sich der Königin widersetzen können, wo sie doch ihre Mutter war? Sie hätten deswegen aus Beyul-La verbannt werden können. Wie hätten sie ihr Zuhause verlassen sollen und alles, was es ihnen bedeutete?

Neona liebte Beyul-La. Es war das schönste Tal im ganzen Himalaya. Sie vermutete, in der ganzen Welt. Es schenkte ihnen Leben und einen Zweck, während die Welt dahinter nur Elend und Tod zu versprechen schien. Aber es hatte auch Zeiten gegeben, in denen sie im Gras lagen, zu den Sternen hinaufblickten und Minerva behauptete, dass sie Gefangene waren.

„Sieh dir an, wie weit der Himmel ist“, hatte Minerva gesagt. „Die Welt um uns herum muss ebenso weit sein. Sehnst du dich nicht danach, sie kennenzulernen?“

Neona hatte versucht, das Unglück ihrer Schwester zu lindern, indem sie die Worte wiederholte, die sie seit frühester Kindheit gehört hatten, das Mantra, das ihnen seit Jahren Trost spendete, weil sie sich dadurch besonders und wichtig fühlten. „Wir sind die erwählten Hüterinnen dieses heiligen Tales und seiner Geheimnisse. Unsere Mission ist edel und notwendig.“

„Was war edel daran, dass man mich gezwungen hat, mein Kind fortzugeben?“, hatte Minerva verbittert gemurmelt.

Seufzend wischte Neona sich die Tränen aus dem Gesicht. Das Mantra konnte sie nicht mehr trösten. Und ihre Schwester war auf die einzige Art entkommen, die sie kannte. Mit dem Tod. Die Schlacht vor zwei Wochen hatte ihr Leben und das von vier anderen gekostet.

„Neona!“, wies jemand sie mit scharfer Stimme zurecht. „Du solltest dein Leben nicht hier bei den Toten verschwenden.“

Neona setzte sich auf und sah Lydia auf sich zukommen. Ein paar Sekunden lang überlegte sie, ihrer alten Freundin in Erinnerung zu rufen, dass auch Mitglieder ihrer Familie hier bei den Toten begraben lagen. Eine Reihe aus fünf frischen Erdhügeln verschandelte die Landschaft, und daneben ein alter, mit Gras bewachsener Hügel. Aber der verhärmte Ausdruck auf Lydias Gesicht hielt Neona vom Reden ab. Lydia litt stumm.

Alle Kriegerinnen von Beyul-La litten. Die Schlacht vor zwei Wochen war vernichtend gewesen. Innerhalb von Minuten hatte sich ihre Zahl von elf auf sechs verringert.

Lydia blieb auf halbem Weg den Hügel hinauf stehen. „Die Königin hat den Alarm erklingen lassen. Es gibt einen Eindringling in unserem Territorium.“

Neona sprang auf und kam den Hügel hinabgelaufen. „Nur einen?“

„Es scheint so.“ Lydia begleitete sie in das kleine Dorf mit den sechs strohgedeckten Steinhäusern.

Die anderen Frauen waren bereits dort und zündeten einige Fackeln am Lagerfeuer an, ehe es gelöscht wurde, um das Tal in Dunkelheit zu tauchen. Dann eilten die fünf Frauen in die Höhle, wo Neonas Mutter, Königin Nima, bereits wartete.

Die Fackeln steckten sie in Halterungen an den Steinwänden, und der große Raum erhellte sich. Rosa und cremefarbene Tropfsteine hingen feucht glänzend von der hohen Decke, und aus einem Riss in der Steinwand ergoss sich glitzerndes Wasser in ein Becken darunter. Hinter dem Becken wand sich ein schmaler Pfad tief in das Innerste des heiligen Berges. Vor dem Becken befand sich ein großer Steinboden, der über die Jahrhunderte glatt abgetreten worden war.

Königin Nima ging dort auf und ab und deutete auf die Eule, die auf der Lehne ihres Thrones hockte. „Er hat einen männlichen Eindringling entdeckt, der unser Territorium von Norden her betreten hat.“

Lydias Nichte, Winifred, fluchte leise. „Könnte es Lord Liao sein?“

„Möglich“, antwortete Nima. „Oder ein Soldat von Master Han.“

„So nahe sind sie uns noch nie gekommen“, sagte Neona. Die Schlacht vor zwei Wochen hatte sich vierzig Meilen entfernt zugetragen. Die Kriegerinnen von Beyul-La hatten sich im benachbarten Dorf Pferde für den weiten Weg geliehen, um dem Feind entgegenzutreten, denn oberstes Gebot war, das heilige Tal geheim zu halten.

„Keinem Mann darf es gestattet sein, Beyul-La zu erblicken“, warnte Nima sie, wie schon so oft. „Freya, du übernimmst den Bereich im Osten. Winifred, du den Westen, Neona den Norden. Und Tashi den Süden. Findet ihn. Wenn er ein Dorfbewohner ist, der sich verlaufen hat, weist ihm den Weg nach Hause. Droht ihm mit dem Tode, falls er noch einmal zurückkommt. Wenn es einer von Master Hans Männern ist, tötet ihn, ohne zu zögern.“

Die vier Frauen deuteten mit einem Neigen ihrer Köpfe an, dass sie ihre Befehle entgegengenommen hatten.

Neona rannte in den Bereich, wo sie ihre Rüstungen und Waffen aufbewahrten. Sie trug immer den Brustpanzer und den Helm, die ihr Vater hinterlassen hatte, ein Krieger aus Griechenland.

„Jetzt sind wir nur noch zu sechst“, sagte Winifred, während sie einen Brustpanzer aus mit Metallnieten besetztem Leder anlegte.

„Das wissen wir“, murmelte Lydia, die ihrer einzigen verbliebenen Tochter, Tashi, beim Anlegen ihrer Rüstung zusah.

„Ich denke, wir sollten alle in Betracht ziehen, eine Tochter zu bekommen“, fuhr Winifred fort.

„Vielleicht“, antwortete Königin Nima. „Darüber reden wir später. Erst müssen wir mit dieser Invasion fertigwerden.“

„Oh, ich verstehe, was Freddie meint“, sagte Freya, ihre Schwester verteidigend. „Der Eindringling hat vielleicht Potenzial.“

„Ganz genau!“ Winifred nickte. „Vielleicht ist er schmucken Antlitzes, stark und leichtfüßig.“

Lydia lachte spöttisch. „Eher ist er ein tollpatschiger Trottel, der sich verlaufen hat und nicht weiß, wie er wieder nach Hause kommt.“

„Aber wenn er doch ein gutes Exemplar ist“, wendete Winifred ein, „sollten wir uns überlegen, seinen Samen zu nehmen.“

Freya steckte ihr Schwert ein. „Ich hoffe, ich finde ihn.“

Winifred schnaubte. „Es war mein Vorschlag. Ich sollte diejenige sein, die ihn findet.“

Lachend reichte Tashi jeder von beiden ein Stück Seil. „Hier. Falls ihr ihn festbinden müsst.“

Neona runzelte die Stirn. Freddie und Freya schienen beide sehr begierig darauf, ein Kind zu bekommen. War es ihnen egal, dass sie das Kind weggeben mussten, wenn es ein Junge wurde? Neona hatte nur ein einziges Mal versucht, schwanger zu werden, und als der Samen in ihr keine Wurzeln geschlagen hatte, war sie heimlich erleichtert gewesen. Nachdem sie den Schmerz gesehen hatte, den ihre Schwester durchgemacht hatte, fürchtete sie, in das gleiche verzweifelte Loch zu fallen.

„Nun gut“, räumte Königin Nima ein. „Ihr könnt den Samen des Mannes nehmen, aber nur, wenn er ein Prachtexemplar ist. Unsere Töchter müssen Kriegerinnen sein, geistig und körperlich überlegen. Und vergesst nicht den Hauptgrund eurer Mission.“

Neona nickte, und die anderen Frauen murmelten: „Ja, Euer Majestät.“

Immer mehr Unbehagen machte sich in Neona breit, während sie den Helm ihres Vaters aufsetzte. Er war aus Messing mit einem schwarzen Kamm und verziertem Wangenschutz. Sie hatte sich immer gefragt, was aus dem mutigen griechischen Soldaten geworden sein mochte, der so weit von zu Hause fortgereist war und schließlich sie selbst und Minerva gezeugt hatte.

Als sie noch jung war, hatte sie ihre Mutter danach gefragt, und Nima hatte geantwortet, dass er nach Griechenland zurückgekehrt war. Dann hatte sie Neona gewarnt, nie wieder von ihm zu sprechen. Mit den Jahren war Neona der Verdacht gekommen, dass ihre Mutter nicht die Wahrheit gesagt hatte.

„Bleibt unserem edlen Zweck treu“, rief Königin Nima ihnen in Erinnerung. „Wenn ihr mit dem Mann fertig seid, bringt ihn um.“

2. Kapitel

Von seinem Standpunkt hoch auf einem zerklüfteten Gipfel überblickte Zoltan die Landschaft, in der er sich befand.

Je südlicher er gereist war, desto gebirgiger war das Gebiet geworden. Hoch oben konnte er weiter sehen, aber der kalte Wind schnitt durch seinen Anzug. Als Vampir konnte er das besser ertragen als die meisten Menschen, und weil er sich immer etwas darauf eingebildet hatte, nicht aufzugeben, bis er eine Aufgabe erledigt hatte, entschloss er sich weiterzumachen.

Ein großer Vogel flog vorbei, ein Falke, vermutete Zoltan. Es war zu schade, dass er nie in der Lage gewesen war, mit Vögeln zu kommunizieren, so wie seine Mutter es gekonnt hatte. Sonst hätte er den Falken fragen können, wo sich die wilden Krieger befanden, vor denen der Hund ihn gewarnt hatte. Oder vielleicht wusste der Vogel sogar etwas über die Federn am Ende des neuen Pfeils, den er immer noch in der Hand hielt.

Vor ein paar Jahren hatte er den alten Pfeil aus seiner Burg einigen Wissenschaftlern in Budapest gezeigt, damit sie ihn mit modernster Technologie untersuchen konnten. Das Ergebnis hatte sie alle überrascht. Die Pfeilspitze war uralt, ähnlich denen, die in der Armee von Alexander dem Großen benutzt worden waren. Die Schnitzereien waren unbekannt. Die Federn stammten von einem Goldadler, und das Holz kam von einer Zypressenart, die in Teilen von China und in Tibet vorkam. Die Wissenschaftler hatten bestimmt, dass der Pfeil im antiken Griechenland gefertigt worden sein musste, mit Holz, das aus dem Osten importiert worden war. Man hatte ihn gedrängt, den Pfeil einem Museum zu spenden, aber er hatte abgelehnt.

Jetzt fragte er sich, ob die Wissenschaftler es verdreht hatten. Was, wenn der Pfeil hier in Tibet gefertigt worden war und man dazu eine alte griechische Pfeilspitze benutzt hatte? Bedeutete das, diese sogenannten wilden Krieger waren den ganzen Weg von Tibet nach Transsilvanien gereist, um seinen Vater umzubringen?

Zoltan hatte sich immer gefragt, ob der Mord an seinem Vater ein Akt der Rache nach dem Tod seiner Mutter gewesen war, aber es kam ihm unwahrscheinlich vor. Im Jahre 1241 hätte eine solche Reise Monate beansprucht. Und sein Vater war nur wenige Stunden nach dem Tod seiner Mutter ermordet worden.

Es sei denn … konnte der Mörder ein Vampir gewesen sein? Ein Vampir hätte sich nach Transsilvanien teleportieren können. Oder vielleicht stimmte auch die fantastische Geschichte, die von den wenigen überlebenden Dorfbewohnern erzählt worden war. Sie hatten ihm einen schrecklichen Bericht von Monstern geliefert, und von so wilden Kriegern, dass kein Sterblicher sich ihnen je hätte entgegenstellen können. Zoltan hatte immer vermutet, ihre ausgeschmückte Geschichte wäre nicht mehr als ein armseliges Märchen, mit dem sie sich rechtfertigten, weil sie ihr Dorf und ihre Angehörigen nicht hatten retten können. Wenn er sich nur besser an jenen schicksalhaften Tag erinnern könnte … aber er war die meiste Zeit bewusstlos gewesen. Am nächsten Tag war er Meilen vom Dorf entfernt aufgewacht, ohne zu wissen, wie er dort hingekommen war.

Er atmete tief durch. Das war 1241 gewesen. Diese Krieger, wenn sie auch wild und monströs gewesen sein mochten, waren lange tot. Es sei denn, sie waren Vampire … Aber wenn sie böse Vampire waren, warum hatten sie dann vor zwei Wochen gegen Lord Liao gekämpft? Warum hatten sie Russell gerettet?

Zoltan schwebte höher in die Luft, die Zähne gegen den kalten Wind zusammenbeißend. Höher und höher, bis er über die Berggipfel sehen konnte. Dort, gen Süden, waren das Lichter?

Er konzentrierte sich darauf, damit er sich zu ihnen teleportieren konnte, aber dann verloschen sie plötzlich. Verdammt.

Wie konnte er jetzt aufgeben? Er teleportierte sich durch das Tal auf den Gipfel des nächsten Berges und dann immer weiter auf die Stelle zu, an der er die Lichter vermutete. Nachdem er zehn Minuten so gereist war, landete er an einem schrägen Abhang, umgeben von Wald. Er musste ganz in der Nähe sein.

Totes Laub und Nadeln lagen wie ein weiches Polster auf dem Boden und dämpften beim Abstieg seine Schritte. Immer wieder lichtete der Wald sich um eine Felszunge aus großen Findlingen, die im Mondlicht silbern schimmerten.

Mit seinem übermenschlichen Gehör bemerkte er das Plätschern eines Baches ein ganzes Stück entfernt auf seiner rechten Seite. Er lief den Berg hinab bis in das Tal darunter. Und hinter ihm brach leise ein Zweig.

Tier oder Krieger? Er blieb stehen, um genauer hinzuhören. Ein Rauschen. Er duckte sich gerade rechtzeitig hinter einen Busch, um einem Pfeil auszuweichen, der knapp an ihm vorbeizischte und dumpf in einen Baumstamm eindrang.

Er sah zu dem Pfeil hinauf. Die gleichen Schnitzereien auf dem Schaft. Die Federn eines Goldadlers. Er hatte sie gefunden!

Oder vielmehr hatten sie ihn gefunden. Er teleportierte sich auf eine nahe gelegene Felszunge und sah sich, auf den Steinen hockend, im Wald um.

Dort. Ein messingfarbenes Aufblitzen im Mondlicht. Ein Krieger. Er war kaum hörbar, das musste Zoltan ihm lassen. Dem Krieger war es gelungen, sich an ihn heranzuschleichen, und das kam selten vor.

Aber sonst wirkte der Krieger wenig beeindruckend. Schmal gebaut. Ein wenig kleiner als der durchschnittliche Mann. Der Brustpanzer aus Messing war keine gute Idee, weil er das Mondlicht reflektierte und damit seinen Standort verriet. Der Helm war in der Mitte mit einem Kamm aus schwarzem Rosshaar verziert, und der Schutz für Wangen und Nase verdeckte fast das ganze Gesicht des Kriegers. Er war mit Pfeil und Bogen bewaffnet, einem Schwert und wenigstens einem Messer, das Zoltan entdecken konnte. Der Krieger sah durchaus wild aus, aber altertümlich, als sollte er Troja plündern, statt in Tibet umherzuwandern.

Die alte Pfeilspitze, die seinen Vater getötet hatte, war aus dem antiken Griechenland gekommen.

Zoltan rief auf Griechisch: „Ich komme in …“ Er warf sich gerade rechtzeitig flach auf den Felsen, ehe eine Sekunde später ein Pfeil über seinen Kopf hinwegsauste. „… Frieden“, flüsterte er. Der Krieger war nicht groß, aber er war schnell und konnte auch in der Dunkelheit ausgezeichnet zielen.

„Bist du ein Vampir?“, brüllte Zoltan auf Russisch und teleportierte sich dann, den Pfeil auf dem Felsen liegen lassend, damit er die Hände frei hatte, hinter den Krieger. In der Zwischenzeit beantwortete sein Feind die Frage, indem er einen weiteren Pfeil über den Steinhaufen hinwegschoss.

Zoltan atmete tief durch, um den Duft des Mannes aufzuspüren. Angefüllt mit Blut. AB negativ. Menschlich.

Der Krieger zog sein Schwert und schlich sich langsam auf die Felszunge zu.

Zoltan teleportierte sich hinter die Findlinge und wartete. „Ich komme in Frieden“, sagte er auf Ungarisch, als er den Krieger sehen konnte. „Pax?“ Er sprang zurück, um dem Schwerthieb des Mannes auszuweichen. Sich hinter einen Baum duckend, versuchte er es auf Rumänisch und Serbisch. Holzsplitter stoben auf, als der Mann sein Schwert gegen den Baumstamm schlug.

„Français? Deutsch?“ Er warf sich zu Boden und rollte sich in Sicherheit, als der Mann sein Schwert noch einmal nach ihm schlug. „Verdammt, ich will doch nur reden!“

Der Krieger zögerte, sein Schwert hoch in die Luft gehoben.

Zoltan richtete sich vorsichtig auf. „Das hast du verstanden?“

Das Schwert rauschte auf ihn herab, und er sprang zur Seite. Das reichte. Zoltan stürzte sich vor, packte den Schwertarm des Kriegers, hob ihn an und drückte zu, bis der Mann keuchte und seine Waffe fallen ließ.

Der Krieger schlug zurück, indem er die linke Hand um Zoltans Kehle legte. Starke Finger gruben sich in seinen Hals.

Zoltan packte das Handgelenk des Kriegers und riss dessen Hand von sich. „Du verstehst mich, oder? Hör auf, mich anzugreifen.“

Der Krieger stieß einen frustrierten Laut aus, als er versuchte, sich aus Zoltans Griff zu befreien. Er ließ sich zurückfallen, zog Zoltan dabei mit sich, stemmte ihm dann die Füße in den Bauch und stieß fest zu, um ihn auf den Rücken zu drehen.

Zoltan landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden. Er drehte sich um und griff nach seinem Gegner. Leider erwischte er dabei nur seinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen, und als der Mann wieder aufsprang, riss er ihm beides vom Rücken.

Als der Krieger sich auf sein Schwert stürzte, sprang Zoltan dem Mann auf den Rücken und warf ihn zu Boden. Der Mann schrie auf, riss den Kopf zurück und traf Zoltan mit seinem Helm an der Stirn.

„Au!“ Zoltan war nur eine Sekunde erstarrt, aber sie reichte dem Krieger aus, um sich zu befreien und wieder auf das Schwert zu stürzen.

Zoltan spürte, wie ihm etwas die Stirn herunterlief, und der Geruch nach Blut machte ihn wütend. Er hatte das lange genug mitgemacht. Brüllend sprang er auf. Dann benutzte er seine Vampirkraft, um den Krieger herumzudrehen und ihn gegen einen Baum zu schleudern.

Der Messinghelm prallte so fest gegen den Baum, dass der Krieger noch einmal keuchte. Zoltan hielt die Arme des Mannes über seinen Kopf gestreckt fest und beugte sich dicht an ihn heran.

„Jetzt hör auf …“ Zoltan stutzte über das Augenpaar, das ihn anblickte. Es waren die blauesten Augen, die er je gesehen hatte. Ein unwahrscheinliches Königsblau.

Er wich gerade rechtzeitig zur Seite aus, als der Mann versuchte, ihm sein Knie zwischen die Beine zu rammen. Trotzdem traf er seine Hüfte so heftig, dass es ihm einen Schmerzenslaut entlockte. Verdammt, was für ein ehrbarer Krieger wagte so einen Tiefschlag?

Er kniff die Augen zusammen. Die Laute, die der Krieger von sich gegeben hatte, waren ziemlich hoch gewesen. Konnte es sein …?

Zoltan ließ das Handgelenk des Mannes los und riss ihm den Helm vom Kopf. Langes schwarzes Haar ergoss sich über die Schultern des Kriegers und rahmte ein Gesicht ein, das feinzügig und feminin war. Ihre Miene war ebenso erstaunt wie seine. Der Helm glitt ihm aus der Hand und fiel mit einem dumpfen Aufprall zu Boden, während er einfach nur wie gebannt dastand. Sie war unvergleichlich. Die schönste Frau, die er jemals –

„Aaagh!“ Dieses Mal hatte ihr Knie sein Ziel getroffen, und er ging, sich krümmend, zu Boden.

Sie stürzte vor, um sich ihr Schwert zurückzuholen.

„Verdammt noch mal“, knurrte Zoltan, während er sie am Fußgelenk packte und sie mit einem Ruck zu Fall brachte. Sie fiel auf die Seite und rollte sich ab, das Schwert hoch erhoben.

„Genug!“ Die Zähne vor Schmerz zusammengebissen stürzte Zoltan sich auf sie, packte ihren Schwertarm und schlug ihn auf den Boden.

Mit der linken Hand versuchte sie wieder, an seinen Hals zu kommen, aber er packte ihr Handgelenk und hielt es fest. Sie wand sich unter ihm, aber er legte sein ganzes Gewicht auf sie.

„Genug“, flüsterte er, und sie wurde ganz ruhig und betrachtete ihn eingehend.

Er hatte das seltsame Gefühl, unter die Lupe genommen zu werden. „Freut mich, dich kennenzulernen. Ich heiße Zoltan. Und du bist …?“

Sie starrte ihn einfach weiter an.

„Ich fürchte, wir haben auf dem falschen Fuß angefangen, aber ich versichere dir, ich will dir nichts tun.“ Er nahm ihr behutsam das Schwert aus der Hand und warf es zur Seite. Sie wehrte sich nicht, als er wieder ihre Handgelenke umfasste. „Das ist schon besser. Du wolltest mir gerade deinen Namen verraten …?“

„Du bist sehr kräftig und leichtfüßig“, sagte sie leise, als würde sie laut denken.

„Du sprichst also wirklich Englisch.“

Sie legte die Stirn in Falten. „Dein Antlitz ist schmuck, und scheinbar bist du auch intelligent.“

„Scheinbar?“

„Das ist noch unklar.“

„Dann erlaube mir, das für dich klarzustellen. Meine Intelligenz ist ausgezeichnet.“

Sie sah ihn an, als hätte er ihr gerade das Gegenteil bewiesen. „Es war nicht klug von dir, hierherzukommen.“

Er schnaubte. Wenigstens sein Antlitz hielt sie für erträglich. „Eigentlich fand ich es ziemlich klug von mir, wie ich euch gefunden habe.“ Auch wenn er dafür achthundert Jahre gebraucht hatte. „Ich habe einige Fragen, weißt du, einen Pfeil betreffend …“ Er sah zu der Felszunge, auf der er den Pfeil gelassen hatte, und erstarrte.

Ein Schneeleopard hockte auf den Steinen, zum Sprung bereit.

Langsam, ohne die Raubkatze aus den Augen zu lassen, stieg Zoltan von der jungen Frau und griff nach ihrem Schwert. „Wenn ich aufstehe, geh vorsichtig rückwärts. Dann lauf so schnell es geht nach Hause.“

„Du willst mich beschützen?“, fragte sie. „Warum? Ich hatte vor, dich umzubringen.“

„Ja, aber du hast es nicht geschafft.“ Er sah sie schief lächelnd an. „Keine Angst. Das werfe ich dir nicht vor.“

Sie riss die Augen auf, lag sehr ruhig da und starrte ihn an.

Vielleicht hatte er sie zu hart angefasst. Sie schien sich nicht regen zu können. Er schüttelte sie vorsichtig. „Du solltest jetzt nach Hause gehen, okay? Ich kümmere mich um das hier.“ Er beschützte die Menschen seit fast achthundert Jahren, sodass er es nicht mehr infrage stellte. Er tat es einfach.

Er richtete sich auf und wendete sich dem Felshaufen zu, das Schwert fest in der Hand.

Der Schneeleopard fauchte.

„Du bist sehr mutig“, sagte die Frau hinter ihm.

„Scheinbar“, murmelte er und hob dabei das Schwert. „Und jetzt geh langsam rückwärts.“

Schmerz explodierte in seinem Schädel, als etwas fest auf seinem Hinterkopf aufschlug. Er fiel vorwärts und ließ dabei das Schwert fallen. Warum? war das Letzte, was ihm durch den schmerzenden Kopf ging, ehe alles um ihn herum schwarz wurde.

„Gutes Kätzchen.“ Neona kraulte den jungen Schneeleoparden zwischen den Ohren. „Auch wenn ich mit dir schimpfen sollte, weil du auf den Zweig getreten bist. Du hast meinen Überraschungsangriff ruiniert.“

Der acht Monate alte Leopard stieß seinen Kopf gegen ihr Bein.

„Na ja, du hast es wiedergutgemacht, deswegen will ich dir noch einmal verzeihen. Das war sehr klug von dir, so zu tun, als würdest du uns angreifen.“ Sie strich mit der Hand über Zhans gefleckten Rücken.

Der Schneeleopard war zu ihrem Gefährten geworden, nachdem sie ihn vor sieben Monaten während einer Wache gefunden hatte. Sie hatte das Kätzchen mit nach Hause genommen, wo zwei der Frauen mit ihm kommunizieren konnten. Zhans Mutter und seine Geschwister waren von einem Rudel Wölfe gerissen worden, ihm war es gelungen zu überleben, indem er sich in einem Kaninchenbau verkrochen hatte.

Auch wenn Neona nicht die Gabe besaß, mit Tieren kommunizieren zu können, bevorzugte Zhan sie deutlich vor den anderen Frauen. Wahrscheinlich, weil sie es gewesen war, die ihn gerettet und danach gesund gepflegt hatte. Sie vermutete, dass der Katze immer noch genug Wildheit blieb, um es unangenehm zu finden, dass die anderen Frauen seine Gedanken lesen konnten.

Im Augenblick jedoch sehnte sie sich nach jemandem, mit dem sie kommunizieren konnte. Denn sie musste entscheiden, was mit dem Mann zu tun war, der sich Zoltan nannte.

Er lag noch immer bewusstlos auf dem Bauch. Sie zuckte zusammen, als sie die riesige Beule entdeckte, die sich an seinem Hinterkopf bildete. Sie hatte mit dem stumpfen Griff ihres Messers fest zugeschlagen in der Vermutung, dass er einen besonders harten Schädel besaß.

Ihr Blick wanderte über seine breiten Schultern seinen Rücken hinab bis zu seinen Beinen. Er war kräftig gebaut und trotzdem sehr leichtfüßig. Wie er ihrem Angriff ausgewichen war, hatte sie beeindruckt. Er war ein ausgezeichnetes Exemplar, wie Winifred es ausgedrückt hätte.

Behutsam drehte Neona den Mann um, und es verschlug ihr die Sprache. Sie hatte sein Antlitz als schmuck beschrieben, aber das war eine Untertreibung. Noch nie im Leben hatte sie einen so schönen Mann gesehen. Auch keinen so schnellen und starken. Die Männer, die in der Nähe ihres Territoriums lebten, waren entweder arme Bauern oder buddhistische Mönche, nicht die Art Mann, die ihr eine Tochter geschenkt hätte, aus der eine Kriegerin werden musste. Und da ihre Gegend abgelegen war und die Hälfte des Jahres der Schnee sie von der Außenwelt abschnitt, kamen Fremde nur selten dorthin. Ein Mann wie dieser Zoltan sogar extrem selten. Kräftig, leichtfüßig und unfassbar gut aussehend. Als er sie vorhin angelächelt hatte, hatte es ihr den Atem geraubt.

Was für eine schöne Tochter sie haben könnte. Wenn sie es nur wagte. Die Tochter könnte auch den Mut dieses Mannes vererbt bekommen.

Sie kniete sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die breite Brust. „Er wollte mich beschützen, obwohl ich ihn angegriffen habe. Er hat ein edles Herz.“

Der Schneeleopard stieß ihre Hand mit seinem Kopf zur Seite, und sie musste lächeln.

„Bist du eifersüchtig? Keine Sorge. Wenn ich mit ihm fertig bin, werde ich ihn umbringen …“ Ihr stockte der Atem. Wie konnte sie das tun? Es war eine Sache, einen Mann im Eifer des Gefechts zu töten, aber mit ihm zu schlafen und ihn dann umzubringen? Das musste falsch sein. Ihre Mutter, die Königin, sah das anders. Sie sagte immer, dass nichts wichtiger war, als die Geheimisse von Beyul-La zu beschützen.

Neona schloss die Augen, als eine Welle der Trauer über sie hereinbrach. Ihre Schwester war wichtiger als alles andere gewesen, und jetzt war sie fort. Minerva hätte nie den Samen eines Mannes genommen und ihn dann umgebracht.

Nach einigen zittrigen Atemzügen traf Neona ihren Entschluss. Sie würde diesen Mann davon überzeugen, zu verschwinden und nie wieder zurückzukehren. Das könnte aufgrund seiner fraglichen Intelligenz schwierig werden, also musste sie streng sein. Sogar drohen, ihn umzubringen, falls er sich je wieder blicken ließ.

Um Erfolg zu haben, musste sie Herr der Situation bleiben. Immerhin war sie eine Kriegerin, sie konnte niemals einem Mann unterlegen sein. Wenn er einverstanden war, würde sie sich nehmen, was sie brauchte, und ihn dann fortschicken. Sie nahm ein Stück Seil aus einem Beutel an ihrem Schwertgürtel und band dem Mann damit die Hände zusammen. Dann schleppte sie ihn bis an einen Baumstamm und band ihn mit dem restlichen Seil daran fest.

Er stöhnte.

Wachte er auf? Ihr Herz klopfte wild, als sie sich neben ihn kniete. Wollte sie das wirklich tun? Feigling, rügte sie eine innere Stimme. Wenn eine der anderen Frauen ihn gefunden hätte, wäre sie jetzt schon fertig.

Sollte sie ihn ausziehen? Dringend nötig war es nicht, aber sie vermutete, dass er einen herrlichen Anblick bot.

Sie hob den schmalen Streifen aus roter Seide an, den er sich um den Hals geknotet hatte. „Er zieht sich merkwürdig an.“ Sie zog daran, schloss ihn damit aber nur enger um seinen Hals.

„Entschuldige.“ Sie steckte die Finger unter den Knoten und lockerte ihn wieder. Als sie die Hand zurückzog, strich sie dabei über sein Kinn und spürte das Kratzen seiner Bartstoppeln.

Neugierig berührte sie seine Wange. Wie seltsam der Bart eines Mannes war. Wie merkwürdig … anziehend. In ihrem Magen fing es an zu flattern, und sie zog schnell die Hand zurück. Dieser Mann sah viel zu gut aus. Obwohl ihm Blut aus der Schläfe tropfte. Sein Haar war schulterlang, in der dunkelbraunen Farbe frisch aufgeworfener Erde. Seine Augen waren gerade geschlossen, aber sie erinnerte sich an ihre Farbe – goldbraun, wie dunkler Bernstein. Seine Nase war gerade und kräftig. Seine Stirn breit und intelligent.

Scheinbar intelligent, dachte sie in sich hineinlächelnd, als sie sich daran erinnerte, wie empört er deswegen ausgesehen hatte. Anscheinend war es ihm wichtig, was sie von ihm dachte. Auch das fand sie anziehend.

Sie beugte sich vor, um sich die Wunde an seiner Schläfe anzusehen. Es wäre zu schade, wenn der arme Mann wegen ihr eine Narbe davontrüge. Besonders, wo er so gut aussah.

Er stöhnte wieder, und sie lehnte sich zurück und wartete ab, ob er die Augen öffnen würde.

Als er es nicht tat, ließ sie den Blick seinen Körper hinabwandern. Hatte er immer noch Schmerzen dort, wo sie ihn mit dem Knie getroffen hatte? Das war ein bedauerliches Manöver ihrerseits gewesen, besonders jetzt, wo sie diesen Teil von ihm voll funktionstüchtig brauchte.

Jede Frau in Beyul-La hatte eine besondere Gabe, und ihre war die des Heilens. Leider musste sie den Schmerz, um ihn zu lindern, für kurze Zeit selbst in sich aufnehmen.

Sie streckte die Hand bis kurz über seiner Hose aus. Wollte sie das wirklich tun? Sie biss sich auf die Unterlippe. Welche Wahl blieb ihr sonst? Der Mann war so nahe an Perfektion, wie sie es nur zu hoffen wagen konnte. Wann würde sie je wieder so eine Gelegenheit bekommen? In ihr entstand das Bild eines kleinen Mädchens mit langen dunklen Haaren und bernsteinfarbenen Augen. Mit mutigem, edlem Herzen und einem blendenden Lächeln.

Neona stiegen Tränen in die Augen. Sie hatte ihre Schwester verloren, aber sie konnte eine Tochter haben. Eine Tochter zum Lieben.

Oder einen Sohn, der ihr das Herz brach.

Eine Träne lief ihr die Wange hinab. „Bitte, Gott, lass mich ein Mädchen bekommen.“

Sie legte ihm die Hand in den Schritt, schloss die Augen und spürte schon bald, wie ein dumpfer, pochender Schmerz in ihrer Hand vibrierte. Dem Mann würde es gut gehen. Der schlimmste Schmerz war bereits vergangen. Sie entzog ihm den verbliebenen Schmerz, der ihr den Arm hinauflief.

„Was zum …?“

Neona riss keuchend die Augen auf. Unfreiwillig schloss sie die Hand fester um sein bestes Stück.

Er sah sie skeptisch an. „Was machst du da?“

Sie riss ihre Hand los und zuckte zusammen, als sein Schmerz sich in ihrem Körper ausbreitete, ehe er verflog. „I-ich wollte nur …“

„Was zur Hölle machst du da?“, verlangte er zu wissen, nachdem er anscheinend gerade erst gemerkt hatte, dass seine Hände gefesselt waren und das Seil an einem Baum befestigt war.

„Ich kann das erklären …“

„Verdammt noch mal!“ Er zerrte an seiner Fessel. „Der Leopard ist direkt hinter dir! Mach mich los, damit ich dich beschützen kann.“

„Die Katze gehört zu mir.“

„Was?“

Behalt die Überhand, rief sie sich in Erinnerung. Sie reckte ihr Kinn und sah ihm fest in die Augen. „Bleib ruhig. Es wird nicht lange dauern.“

„Was?“

„Ich will deinen Samen nehmen.“

3. Kapitel

Zuerst war Zoltan sich nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte.

Vielleicht hatte sie ihm so fest eins übergezogen, dass er halluzinierte. Aber was für ein Traum das wäre! Diese wunderschöne Frau wollte ihm an die Wäsche? Allein der Gedanke reichte aus, um ihn zu erregen.

Aber in welcher Welt war das normal? Sie war aus dem Nichts aufgetaucht, hatte ihn angegriffen, ihn bewusstlos geschlagen, und jetzt wollte sie seinen Samen? Wenn er bei Verstand wäre, sollte er sich in Sicherheit teleportieren vor ihr und ihrem zahmen … Leoparden? Oder sich wenigstens per Teleportation von den Fesseln befreien, mit denen sie ihn an den Baum gebunden hatte.

Aber sobald er sich teleportierte, würde er sich ihr als Vampir zu erkennen geben. Das war ein Trumpf, den er lieber erst ausspielen wollte, wenn es notwendig war. Und außerdem, wenn er sich jetzt nach Hause teleportierte, würde er sie vielleicht nie wiedersehen. Wie konnte er gehen, ehe er mehr über sie erfahren hatte? Sie war die faszinierendste Frau, die ihm je begegnet war.

Also würde er noch etwas bleiben, aber zu seinen eigenen Bedingungen. Und das bedeutete, er musste die Situation unter Kontrolle bringen. Erstens, die größte Bedrohung beseitigen.

Er sah den Schneeleoparden an und schickte ihm in Gedanken eine Nachricht. Bist du wirklich ihr zahmes Haustier, oder tust du nur so?

Der Leopard schnaufte und wendete sich ab.

Ich weiß, dass du mich hören kannst, Kater. Schade einem von uns, und ich ziehe dir bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren.

Der Leopard drehte sich wieder zu ihm um, die goldenen Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Große Worte für jemanden, der an einem Baum festgebunden ist. Was habe ich Angst.

Solltest du auch. Du würdest ein hübsches Paar Hausschuhe abgeben.

Der Leopard machte einen Buckel und fauchte ihn an.

„Zhan.“ Die Frau schüttelte den Kopf über den Leoparden. „Benimm dich.“

Die Katze trat dichter zu ihr und sah sie mit großen Augen unschuldig an.

„Braves Kätzchen.“ Sie kraulte ihm die Ohren, und er schnurrte. „Jetzt lauf und geh ein bisschen spielen.“

Hast du gehört, Kater? fragte Zoltan den Leoparden. Sie will, dass du verschwindest.

Das Tier starrte ihn unverwandt an. Ich bin ihr Liebling. Nicht du. Der Leopard stapfte über die Lichtung zu einem Baum und schärfte sich ausgiebig die Krallen, ehe er sie in dem Holzstamm vergrub.

Schritt zwei, dachte Zoltan, die Führung des Gesprächs übernehmen. Er betrachtete die Frau. Sie saß stumm neben ihm und biss sich auf die Unterlippe. Nervös. Das war ein gutes Zeichen. Er wollte nicht glauben, dass sie so etwas oft machte. „Habe ich dich richtig verstanden? Du willst meinen Samen?“

Ihre Wangen röteten sich, aber sie sah ihm direkt in die Augen. „Ja.“

„War das die ganze Zeit dein Plan? Mich niederschlagen, fesseln und vergewaltigen?“

Sie zuckte zusammen. „Das ist keine Vergewaltigung.“

„Wie würdest du es sonst nennen, wenn du mit Gewalt versuchst, mir den Samen zu nehmen?“

„Ich habe angenommen, du würdest einverstanden sein.“

„Mich vergewaltigen zu lassen?“

Sie verzog das Gesicht. „Es ist keine Vergewaltigung, wenn du einverstanden bist.“

„Was, wenn ich es nicht bin?“

Sie sah einen Augenblick lang verblüfft aus. „Ich dachte, Männer wären immer bereit.“

Er krallte die Hände fest um das Seil, als ein unerwarteter Wutschwall ihn erfasste. Wie viele bereite Männer hatte sie über die Jahre gefunden? Wahrscheinlich viele. Welcher Mann, der etwas auf sich hielt, würde sich nicht von einer schönen Frau in den Wäldern vernaschen lassen? Verdammt noch mal.

Er atmete tief durch. Behalt die Kontrolle. „Ehe ich über dein Angebot nachdenken kann, muss ich wissen, was genau du von mir erwartest.“

Ihr Blick senkte sich hinab auf seinen Schritt. „Ich dachte, das wäre offensichtlich.“

„Im Gegenteil, es gibt mehrere Punkte, die der Klärung bedürfen.“ Zum Glück sah sie ihm wieder ins Gesicht. Er wollte nicht, dass sie die anschwellende Beule in seiner Hose bemerkte.

Sie runzelte die Stirn. „Klärung?“

„Ja. Zum Beispiel, wie lange muss ich Leistung erbringen? Bekomme ich Entschädigung für etwaige Verletzungen, die ich mir während des Aktes zuziehe?

Sie riss die Augen auf. „Verletzungen?“

„Das kann passieren. Ich bin dafür bekannt, ziemlich wild zu werden. Glücklicherweise sieht es aus, als würdest du dich bester Gesundheit erfreuen, du solltest die Tortur also überleben. Würde es dir etwas ausmachen, eine Verzichtserklärung zu unterschreiben?“ Er genoss es, wie sie ihn immer entsetzter ansah. „Welche Position möchtest du benutzen? Oder wären dir verschiedene lieber? Wie viele Höhepunkte möchtest du erlangen?“

Daraufhin fiel ihr buchstäblich die Kinnlade herunter. Dann jedoch schüttelte sie sich und funkelte ihn herausfordernd an. „Zehn.“

Er blinzelte. Hatte sie gemerkt, dass er nur bluffte? „Zehn was? Positionen oder Höhepunkte?“

Sie zögerte eine Sekunde, reckte dann aber ihr Kinn. „Beides.“

Er verkniff sich ein Lachen. Sie ließ sich von ihm nicht unterkriegen.

Idiot, grollte der Leopard. Hör auf, mit ihr Katz und Maus zu spielen.

Zoltan hob den Blick und entdeckte, dass die Katze sich auf dem Ast eines nahen Eichenbaumes rekelte. Du solltest doch verschwinden.

Sie schlug mit dem Schwanz gegen den Ast. Ich verschwinde, wenn mir danach ist.

Geht sie jede Nacht irgendeinem Mann so an die Wäsche? fragte Zoltan.

Was glaubst du denn? Der Leopard kniff die Augen zusammen. Wer jetzt wohl eifersüchtig ist.

Ich bin nicht – oder war er es doch? Zoltan schob diesen Gedanken zur Seite und wandte sich wieder der Frau zu. „Bist du sicher, dass du zehn Höhepunkte durchhältst?“Sie zuckte mit den Achseln. „Bist du sicher, dass du sie lieferst?“

Er lächelte. Es gefiel ihm, wie sie ihm die Stirn bot. „Ich würde mein Bestes geben. Aber es könnte schon eine Stunde dauern, je nachdem, wie …“

„Oh nein! Wir müssen schneller sein. Nicht mehr als fünf Minuten. Tatsächlich sollten wir lieber sofort anfangen, ehe Freddie und die anderen uns finden.“

Wieder kochte die Wut in ihm hoch. „Freddie? Wer ist der schon wieder?“

„Freddie ist nicht …“

„Nicht an einen Baum gefesselt, was? War der deine fünf Minuten von gestern Abend?“

Sie starrte ihn entgeistert an.

Wie eifersüchtig kann man sein? Der Leopard sah ihn verächtlich an.

Bin ich nicht! Mist. War er doch. Eifersüchtig auf die unbekannten Liebhaber einer Frau, die er noch kaum kennengelernt hatte. Er musste den Verstand verlieren.

In den blauen Augen der Frau blitzte die Wut auf. „Du glaubst, ich mache das jede Nacht?“

„Woher soll ich wissen, wie viele Männer du schon gefesselt und missbraucht hast?“

„Ich habe dich nicht missbraucht!“ Sie stand wütend auf. „Ich glaube, ich will nicht mehr.“

Wollte sie wirklich gehen? „Es tut mir leid.“

Autor

Kerrelyn Sparks
<p>Kerrelyn Sparks unterrichtete Französisch und Geschichte an der High School, bis im Jahr 2002 ein Traum für sie in Erfüllung ging: Ihr erstes Buch wurde veröffentlicht. Mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern lebt die mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin im Großraum Houston, Texas, wo es sehr zur Enttäuschung ihrer Tochter keine...
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