Cora Collection Band 34

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KÜSSE, SÜSS WIE SCHOKOLADE von SHIRLEY JUMP

Noch einmal holt Dr. Brody McKenna tief Luft. Dann betritt er Kate Spencers Schokoladengeschäft. Er muss ihr eine schreckliche Mitteilung machen. Auf alles ist er vorbereitet, nur nicht darauf, dass er beim Anblick der hübschen Ladenbesitzerin dahinschmilzt …

SEX ODER SCHOKOLADE? von CARRIE ALEXANDER

Das süße Glücksgefühl, wenn Schokolade langsam im Mund zergeht, hilft Sabrina über jeden Frust hinweg. Denn seit sie als Kellnerin in einem Restaurant in Manhattan jobbt, ist sie verliebt - in den attraktiven Koch Kit, der sie lieber heute als morgen vernaschen würde. Doch Sabrina traut den Männern nicht mehr!

SEIDE, SEX UND SCHOKOLADE von TAWNY WEBBER

… stehen ganz oben auf Isabels erotischer Wunschliste! Wild und zärtlich möchte sie mit dem attraktiven Dante ihre Fantasien ausleben. Aber sie muss vorsichtig sein: Isabel will sich auf keinen Fall in den sexy Rebellen verlieben!


  • Erscheinungstag 18.12.2020
  • Bandnummer 34
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728779
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Shirley Jump, Carrie Alexander, Tawny Weber

CORA COLLECTION BAND 34

1. KAPITEL

Es war für Brody McKenna bereits der dritte Patient mit Halsentzündung an diesem Vormittag. Wie den beiden Patienten davor verordnete er auch diesmal die bewährten Mittel: Bettruhe, viel Heißes zu trinken und Grippetabletten.

Eigentlich hätte Brody mit seinem Leben vollauf zufrieden sein müssen. Er hatte einen sicheren Job als Allgemeinmediziner mit gut gehender Praxis. Seine Großmutter und seine Brüder, mit denen er sich ausgezeichnet verstand, lebten ganz in der Nähe. Aus Afghanistan war er unversehrt zurückgekehrt, und er hätte froh sein sollen, mit seiner üblichen Arbeit weitermachen zu können.

Das war er aber nicht.

Sobald sein Patient den Behandlungsraum verlassen hatte, schaute Helen Maguire, die altgediente Sprechstundenhilfe, herein, eine mütterliche Frau mit grauen Haaren und einem freundlichen Lächeln.

„Das war der letzte Patient heute Vormittag“, verkündete sie. „Wir haben jetzt eine Stunde Zeit, dann geht es mit den Impfungen los, und am Nachmittag stehen Belastungs-EKGs auf dem Programm.“

Brodys Gedanken schweiften ab, weg von seinen nächsten Terminen und den ganzen hektischen Aktivitäten seiner Praxis hier in Newton. Sein Blick fiel auf die Regale, in denen bereitstand, was er für seine Arbeit brauchte, angefangen von einfachen Holzspateln und Tupfern bis hin zu Verbandmaterial und Wunddesinfektionsmitteln für Notfälle.

Plötzlich fühlte er sich zurückversetzt in ein heißes Land, in eine Hütte mit gestampftem Lehm als Fußboden, in der es keine solchen Vorräte gab.

Und schon gar keine Wunder.

„Doc? Haben Sie mir überhaupt zugehört?“

„Wie? Ja, ja. Natürlich, Helen.“ Er stand auf und wusch sich am Waschbecken gründlich die Hände.

Denk an die Arbeit hier, ermahnte er sich. Denk nicht an diesen Augenblick, der nicht mehr zu ändern ist, an die Menschen, die du nicht retten konntest!

„Zurzeit leiden viele an Erkältungen“, bemerkte er.

„So ist das nun mal im Herbst.“ Helen zuckte die Schultern. „Mir gefällt es irgendwie, dass man sozusagen seinen Kalender nach den typischen Krankheiten ausrichten kann. Das hat fast einen gewissen Rhythmus. Finden Sie nicht auch?“

„Ja.“

Brody hatte lange Zeit geglaubt, dass sein Leben perfekt sei. Praktischer Arzt war der ideale Beruf für einen typischen Familienmenschen wie ihn. Doch sein Plan, eine eigene Familie zu gründen, war in die Brüche gegangen, als seine Verlobte ihn verlassen hatte. Zu der Zeit arbeitete er bereits als Nachfolger von Doktor Watkins, und es wäre Wahnsinn gewesen, die einträgliche Praxis zu verlassen. Also blieb er.

Und lange war er glücklich. Er mochte seine Patienten. Er arbeitete besonders gern mit Kindern, und er beobachtete mitfühlend, wie die Familien größer wurden und sich veränderten.

Dann hatte er angefangen, zusätzlich ehrenamtlich zu arbeiten. In einer Klinik in Alabama, in einem Obdachlosenasyl in Maine … Als sich ihm die Möglichkeit bot, einen Monat lang in Afghanistan zu arbeiten, hatte er sich sofort gemeldet. Mit anderen Ärzten war er mit einer mobilen Praxis über Land gefahren, zu weit abgelegenen Dörfern, in denen es keine medizinische Versorgung gab. Sie wurden von amerikanischen Soldaten begleitet, die sie gegen Übergriffe der Aufständischen schützen sollten.

Brody hatte etwas bewirken wollen. Das war ihm auch gelungen – aber nicht so, wie er es erhofft hatte.

Und nun fand er keinen Frieden mehr, egal, was er versuchte.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte Helen sich besorgt.

„Ja. Ich war nur in Gedanken anderswo. Heute gehe ich wieder aus, denke ich, statt am Schreibtisch zu essen.“

„Das ist eine prima Idee. Frische Luft tut Ihnen bestimmt gut.“ Sie lächelte. „Da sieht alles gleich viel freundlicher aus, finde ich.“

„Ich bin um ein Uhr zurück“, versprach er und verließ die Praxis.

Es war ein ungewöhnlich warmer Tag für Ende September, beinah noch sommerlich. Brody lief den gleichen Weg wie fast jeden Tag zur Mittagszeit. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn seine Schritte schon Vertiefungen in den Bürgersteig geprägt hätten.

Als er um die Ecke bog, zog er aus seiner Tasche eine Postkarte, die schon ziemlich abgegriffen war, aber noch immer gut lesbar.

Hallo Superman, pass auf dich auf und komm heil nach Hause! Wir hier lieben und vermissen dich sehr. Vor allem ich. Ohne dein Grinsen fehlt einfach was!

Ich hab dich lieb! Kate.

Brody blieb stehen. Er war am Ziel seiner mittäglichen Gänge angelangt, dem Laden mit der rot-weiß gestreiften Markise, der sich Nora’s Sweet Shop nannte.

Soll ich reingehen oder nicht? überlegte er zum x-ten Mal.

Er hatte Andrew versprochen, Kate aufzusuchen und sich zu überzeugen, dass es ihr halbwegs gut ging. Und er hatte versprochen, nicht zu berichten, was mit Andrew wirklich passiert war. Der junge Soldat hatte befürchtet, seine Schwester würde sich sonst schwere Vorwürfe machen.

Dieses Versprechen einzulösen fiel Brody schwer. Bisher hatte er sich vor dem Laden immer wieder umgedreht und war zurück in seine Praxis geflüchtet, zurück zu Thermometern, Stethoskopen und Verbänden. Doch wie sollte er dort je Frieden finden? Er musste den entscheidenden Schritt endlich wagen!

Brody atmete tief durch und betrat das Geschäft. Die herrlichen Aromen von Schokolade und Vanille umwehten ihn, sanfte Musik tönte im Hintergrund. An einem Ende befand sich eine Vitrine mit Cupcakes und Pralinen, am anderen standen bunt dekorierte Geschenkkörbe. Im Schaufenster prangte ein Hochzeitskuchen, ganz aus Cupcakes aufgebaut und mit rosa und weißem Zuckerguss verziert. Über den Regalen zog sich der Name des Ladens in dunklem Rosa, abgesetzt mit Schokoladenbraun, wie eine Girlande entlang.

„Bin gleich bei Ihnen!“, rief eine Frau aus dem Raum hinter dem eigentlichen Geschäft.

„Es eilt nicht“, erwiderte er. „Ich möchte nur …“

Ja, was? Er wollte sich nicht umschauen, er wollte keine Cupcakes kaufen. Aber er wollte ihr auch nicht die Wahrheit sagen.

Die Wahrheit nämlich, dass er in diesen kleinen Laden in Newton gekommen war, um Vergebung zu finden.

Brody griff sich den erstbesten Geschenkkorb und ging damit zum Tresen. Als er das Portemonnaie hervorzog, kam eine schlanke junge Frau aus dem rückwärtigen Raum.

„Guten Tag, ich bin Kate“, grüßte sie. „Was kann ich für Sie tun?“

Das war also Kate Spencer, die Besitzerin des Geschäfts, die ihm in den vergangenen Wochen nicht aus dem Sinn gegangen war. Er hatte sie noch nicht kennengelernt, hatte aber so viel über sie gehört, dass er einige Kapitel ihrer Biografie hätte verfassen können.

Nun war er überrascht. Er hatte eine jüngere Version von Helen Maguire erwartet, eine mütterliche Frau mit einem ordentlichen Knoten, einer sauberen Schürze und einem herzlichen Lächeln. So hatte er sich Andrews Schwester nach dessen Beschreibung vorgestellt. Liebevoll, warmherzig, verlässlich. Tröstlich wie eine Daunendecke.

Hier stand aber eine schlanke, fitte, dynamische Frau, die ihre dunkelbraunen Haare zu einem kecken, leicht schiefen Pferdeschwanz gebunden hatte. Ihr Lächeln war tatsächlich freundlich – und ihre Lippen waren verführerisch rot, voll und schön geschwungen. Ihr zartes Gesicht war fein geschnitten, doch unter den wunderschönen grünen Augen lagen Schatten, und ihre Schultern wirkten verspannt.

Brody öffnete schon den Mund, um sich vorzustellen und endlich seine Mission zu erfüllen, aber er brachte keinen vernünftigen Satz heraus.

„Ich … ja, also … das heißt …“ Er blickte auf den Korb in seinen Händen. „Ich wollte das hier kaufen.“

„Ja, gern. Ist es ein Geschenk für eine bestimmte Person?“

Verzweifelt überlegte er. „Ja! Für meine … Großmutter. Sie liebt Schokolade.“

„Und Baseball?“, hakte Kate nach. „Ist sie ein Fan der Red Sox?“

Nun blickte er genauer in den Korb und entdeckte, dass die Pralinen wie Bälle und Schläger geformt und in Folie mit den Farben des berühmten Vereins gewickelt waren. Das würde seiner Großmutter ganz und gar nicht gefallen.

Er lachte. „Ich bin der Fan. Ich habe sogar ein Saisonticket. Meine Großmutter ist, wenn überhaupt, eine Anhängerin der Yankees, aber das darf man in Boston ja nicht laut sagen.“

Kate lachte ebenfalls. Es klang unbeschwert und melodisch. „Nun, Mr. Red Sox, ich stelle Ihnen gern einen Korb zusammen, der einer alten Dame eher gefällt. Wollen Sie inzwischen vielleicht eine Grußkarte schreiben? Die finden Sie dort drüben.“

„Danke, gern.“ Er suchte eine Karte aus und schrieb seinen Namen darauf.

Das gab ihm die Gelegenheit, sich darauf einzustellen, wie Kate wirklich war: nicht, wie er sie sich vorgestellt hatte.

Sie war, in einem Wort gesagt, wunderschön. Genau die Frau, die er unter anderen Umständen zu einem Date eingeladen hätte. Sie war freundlich, schien gern zu lächeln, und hatte eine warme, angenehme Stimme. Ihr Lächeln hatte es ihm angetan und Empfindungen in ihm geweckt, die ihn überraschten. Brody hatte nicht erwartet, sich so sehr zu ihr hingezogen zu fühlen.

Nun versuchte er, die richtigen Worte zu finden, um sein Versprechen, das er Andrew gegeben hatte, endlich einzulösen. Er hatte sie im Kopf schon hundert Mal geübt, aber jetzt wollten sie ihm nicht über die Lippen kommen. Mit dem Thema durfte er Kate Spencer nicht unerwartet überfallen, er musste irgendwie auf Umwegen dahin kommen. Leichter gesagt als getan! Wahrscheinlich wäre es einfacher, den Mount Everest zu besteigen.

„Wie läuft das Geschäft?“, erkundigte Brody sich bewusst beiläufig.

„Ziemlich gut. Nur montags ist weniger los, was ich nicht übel finde. Es ist beinah wie ein verlängertes Wochenende.“

„Machen Sie all die Kuchen und Süßigkeiten selber?“, fragte er weiter.

Lachend schüttelte sie den Kopf. „Das könnte ich nicht schaffen. Das Geschäft besteht seit 1953 und ist viele Jahre lang ein Familienbetrieb gewesen, aber …“ Plötzlich schien Kate in Gedanken weit weg zu sein. „Jedenfalls habe ich eine Helferin, die für mich von geradezu unschätzbarem Wert ist. Wieso fragen Sie? Wollten Sie sich als Bäcker bewerben?“

„Um Himmels willen! In der Küche habe ich zwei linke Hände.“

„Ganz schön riskant, wenn man mit Messern umgeht“, scherzte sie. „Aber Backen kann man ziemlich einfach lernen. Ich habe keine Ausbildung als Konditorin, sondern alles meiner Großmutter abgeguckt. Von Kindheit an.“

„Sie klingen, als würden Sie sehr gern hier arbeiten“, bemerkte Brody.

„Stimmt! Arbeit ist die beste Therapie.“

Er brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, warum sie plötzlich so unendlich traurig aussah. Wegen Andrews Tod. Und der war auf Entscheidungen zurückzuführen, die er, Brody, am anderen Ende der Welt getroffen hatte.

„Ja, Arbeit kann gut für die Seele sein“, stimmte er zu.

Das versuchte er sich zumindest selbst jeden Tag einzureden, wenn er seine Praxis betrat. Aber seit er aus Afghanistan zurückgekehrt war, hatte er in seiner Arbeit nicht mehr die Befriedigung gefunden wie zuvor.

„Und welche Seelen fördernde Arbeit machen Sie?“, wollte Kate wissen und wurde rot. „Entschuldigung. Das war eine zu persönliche Frage. Sie brauchen sie nicht zu beantworten.“

„Ich bin Arzt“, informierte er sie.

„Ein sehr lohnender Beruf. Viel dankbarer als Backen. Und viel komplizierter, als Teig in Formen zu füllen.“

„Ihr Beruf ist auch lohnend“, hielt er dagegen. „Sie machen Menschen glücklich.“

„Mit viel ungesundem Zucker“, bestätigte sie. „Aber danke für die ermutigenden Worte. Dieser Laden ist seit drei Generationen in der Familie, und wir haben immer unser Bestes gegeben.“

Brody blickte zu den gerahmten Zeitungsartikeln, die an der einen Wand hingen. Die meisten waren lobende Erwähnungen des Familienbetriebs und seiner ausgezeichneten Produkte, das letzte Blatt jedoch zeigte einen gut aussehenden, lächelnden jungen Mann in Uniform unter der Schlagzeile „Bruder der Besitzerin von Nora’s Sweet Shop in Afghanistan gestorben“.

Wie es dazu gekommen war, wusste Brody genau. Wie so oft seither stand ihm alles wieder lebhaft vor Augen. Die staubige, stickige Hütte, in der er abwechselnd betete und fluchte, während er versuchte, Andrew am Leben zu erhalten.

Ohne Erfolg.

Er glaubte, wieder die Brust des jungen Soldaten unter den Handflächen zu spüren, das regelmäßige Auf und Ab der Herzmassage, die so verflucht wirkungslos blieb gegen das ständige Verströmen der Lebenskraft.

Verzweifelt und völlig machtlos hatte Brody dem Sterben zusehen müssen.

Diese Wunde, die das Schicksal Kate und ihrer Familie beigebracht hatte, würde die Zeit nicht heilen können. Egal, wie viel davon verstrich.

Warum hat Andrew mich hierher geschickt?

„Sir? Ihr Korb ist jetzt fertig.“

Rasch drehte Brady sich um. „Welcher Korb?“, fragte er wie benommen.

Kate hielt ihn hoch, sodass er den Inhalt begutachten konnte. Die Pralinen sahen jetzt aus wie Blüten, und das Band um den Henkel war rosa und weiß.

„Das ist doch besser geeignet für Ihre Großmutter, oder?“, meinte sie freundlich.

„Ja, sicher. Danke für Ihre Mühe“.

Und nun?

Er hatte ein Versprechen gegeben und musste einen Weg finden, es zu halten.

Er wies auf den Artikel über Andrew und fragte: „Sie hatten einen Bruder, der in Afghanistan stationiert war?“

Es war, als wäre ein Schatten auf ihr Gesicht gefallen. „Ja. Andrew. Er war jünger als ich. Vorigen Monat ist er umgekommen. Wir dachten, er wäre nicht in Gefahr, weil ja der eigentliche Krieg vorbei ist, aber dort lauert immer noch an jeder Ecke der Tod.“

„Das tut mir so leid für Sie“, sagte Brody leise. Die tröstenden Worte, die er sich bisher im Kopf zurechtgelegt hatte, kamen ihm nun unzulänglich vor. „Es muss sehr schwer für Sie sein.“

„Ja. Zum Glück habe ich meine Arbeit. Und manchmal rede ich mit Andrew. Das klingt verrückt, ich weiß, aber es hilft mir.“

„Ich finde nicht, dass es verrückt klingt“, meinte er ehrlich.

Kate strich über den Tresen. „Er hat auch hier gearbeitet. Ich vermisse ihn an jedem einzelnen Tag. Er war der Organisator und wäre entsetzt über den Zustand, in dem sich mein Büro jetzt befindet.“ Sie versuchte zu lachen. Dann wies sie auf den Korb. „Soll ich die Karte dazugeben?“

„Ja, bitte.“ Er reichte sie ihr. Wieder schaffte er es nicht, ihr zu sagen, weshalb er tatsächlich hier war. „Seltsam, dass ich noch nie im Laden war, obwohl ich ganz in der Nähe wohne.“

„Schön, dass Sie heute in Nora’s Sweet Shop eingekauft haben!“, bedankte Kate sich und reichte ihm den Korb. „Ich hoffe, Ihre Großmutter genießt das Geschenk.“

„Das tut sie sicher.“ Nun hätte er wirklich gehen sollen, wollte es aber nicht. „Wenn Sie Kate sind, wer ist dann Nora?“, erkundigte er sich.

Die Antwort kannte er, denn Andrew hatte ihm viel von dem Laden und dessen Anfängen berichtet.

„Nora ist meine Großmutter“, erklärte Kate bereitwillig. „Sie hat den Laden in den Fünfzigerjahren aufgemacht, zusammen mit meinem Großvater. Er hat hier mit ihr fast sechzig Jahre lang Seite an Seite gearbeitet, dann haben sie das Geschäft mir und Andrew übergeben. Sie ist die Nora in ‚Nora’s Sweet Shop‘. Und für meinen Großvater ist sie die Süße in seinem Leben. Das behauptet er jedenfalls gerne.“

„Die beiden leben noch?“

„Ja. Sie haben sich offiziell zur Ruhe gesetzt, kommen aber ständig her und helfen mir beim Ausliefern der Ware.“ Kate lächelte. „Andrew und ich sind praktisch hinter dem Tresen aufgewachsen. Zum einen haben wir gern geholfen, zum anderen waren wir hier unter Aufsicht, während meine Eltern arbeiteten. Wir waren ziemlich vorwitzige Kinder. Andrew hatte immer die tollsten Ideen. Auch als Erwachsener noch.“

Diese Geschichte kannte er schon von Andrew, der oft von seinen Großeltern und Kate geschwärmt hatte. Von seinen Eltern hatte er nur berichtet, dass sie geschieden waren.

Brody, der seine Eltern als Kind verloren hatte, war ebenfalls bei seinen Großeltern aufgewachsen, und das hatte ein Band zwischen ihm und Andrew geschaffen, ebenso wie die enge und liebevolle Beziehung zu den jeweiligen Geschwistern.

„Meine Großmutter führt auch ein Familienunternehmen: eine Marketingagentur, die mein Großvater gegründet hat. Da meine Brüder und ich keine Neigung dazu gezeigt haben, hofft sie jetzt auf unseren Cousin als Nachfolger.“

„Sie sind also alles andere als ein Geschäftsmann, Doc?“, erkundigte Kate sich humorvoll.

„Genau!“, bestätigte er und lachte.

„Aber wenn ich mich mal nicht gut fühle, weiß ich, an wen ich mich wenden kann.“ Sie presste gespielt dramatisch die Hand aufs Herz.

Brody wurde ganz seltsam zumute, und einen Moment lang wusste er nicht mehr, warum er hier war. Zuerst konnte er den Blick nicht von ihren schlanken Fingern wenden, dann ließ er ihn zu ihren schön geschwungenen Lippen gleiten.

„Wenn Sie mich brauchen: Meine Praxis ist gleich um die Ecke. Ich bin praktisch in Rufweite“, informierte er sie schließlich heiser und schaute ihr in die Augen.

„Wie schön!“ Sie lächelte.

Spannung baute sich im Raum auf, der plötzlich wärmer zu werden schien. Nur gedämpft erklang von draußen das Summen des Verkehrs. Brody wünschte, er wäre ein ganz normaler Kunde mit einem ganz normalen Anliegen.

Dann müsste er ihr nicht das Lächeln rauben, indem er ihr endlich die Wahrheit sagte.

Kate wandte als Erste den Blick ab. „Jetzt hätte ich beinah vergessen, Ihnen eine Rechnung zu stellen.“

„Und ich habe gar nicht mehr ans Bezahlen gedacht“, meinte er und reichte ihr seine Kreditkarte.

Sie zog sie durch die Registrierkasse und gab sie ihm zurück. „Sie sind also Doktor McKenna“, bemerkte Kate.

Ob sie den Namen kennt und weiß, dass ich der Arzt bin, der ihren Bruder hat sterben lassen? fragte er sich bestürzt.

„Ja, aber es wäre mir lieber, Sie nennen mich Brody“, sagte er und unterschrieb den Kontrollabschnitt.

„Dann sage ich danke, Brody.“

Es gefiel ihm, wie sie seinen Namen aussprach.

„Ich hoffe, Sie schauen wieder mal in den Laden, wenn Sie in der Nähe sind.“

„Ja, gern, Kate.“ Er nahm seinen Korb und wollte gehen, obwohl er seine Mission nicht erfüllt hatte. „Vielleicht kann ich Ihnen auch mal einen Gefallen tun.“

„Einen Gefallen? Ich habe doch nur meinen Job gemacht“, wehrte sie bescheiden ab. „Aber wenn Sie etwas für mich tun möchten, empfehlen Sie mich Ihren Freunden und Bekannten. Das ist mehr als genug.“

Wieder lächelte sie ihn an, und ihm war zumute, als hätte er ein Geschenk bekommen.

„Nein, es ist nicht genug“, erwiderte er leise und verließ das Geschäft.

2. KAPITEL

„Bitte, sag mir, dass du deswegen so still bist, weil du die hübsche Kellnerin da drüben bewunderst“, bat Riley seinen Bruder Brody.

Die beiden hatten sich in ihrem neuesten Stammlokal zum Mittagessen verabredet, einen Tag nachdem Brody bei Kate gewesen war. So kam er nicht in Versuchung, in der Mittagspause wieder in ihrem Geschäft aufzutauchen.

Nur um wieder unverrichteter Dinge den Rückzug anzutreten …

„Wieso erwähnst du die Kellnerin?“, fragte Brody gespielt streng. „Heiratest du nicht demnächst?“

„Ja, sicher. Aber ich kann doch trotzdem ein Auge auf hübsche Frauen werfen … um eine für dich zu finden. Damit auch der letzte von uns McKennas in den Ehehafen einläuft. Also, fass dir ein Herz und werde Mitglied im Club der Verheirateten.“

„Auf keinen Fall! Ich habe es probiert und …“

„Du warst nur verlobt“, unterbrach Riley ihn. „Das zählt nicht. Du bist sozusagen zum Rand der Klippe gegangen, aber dann nicht gesprungen.“

„Aus gutem Grund!“

Ja, Melissa war mehr daran interessiert gewesen, die Frau eines Arztes zu sein, als die Frau von Brody. Als ihr klar wurde, dass er lediglich als einfacher Allgemeinmediziner praktizieren wollte, statt sich eine gut bezahlte und prestigeträchtige Sparte wie Schönheitschirurgie oder Kardiologie auszusuchen, hatte sie ihm den Laufpass gegeben. Sie wollte keinen Mann, der sich für andere „aufopferte“.

Egal, was Brody sagte, er hatte sie nicht umstimmen können. Sein Traum von einer glücklichen Familie war damit geplatzt wie eine Seifenblase …

Brody nahm die Speisekarte und überflog das Angebot. „Was macht die Arbeit?“, erkundigte er sich beiläufig.

Riley lachte. „Du willst bloß das Thema wechseln.“

„Ertappt“, gab Brody zu. „Ich gestehe, ich möchte nicht über die Kellnerin reden oder über mein Liebesleben oder darüber, warum ich nicht geheiratete habe. Ich wollte dich einfach noch einmal sehen, bevor du dich ins Ehejoch spannen lässt.“

„Da ist kein Zwang nötig, denn ich bin bis über beide Ohren in Stace verliebt.“ Ein seliges Lächeln umspielte Rileys Lippen. „Wir sind dabei, die letzten Einzelheiten für das Hochzeitsfest zu regeln. Wo wir feiern, ist ja wohl klar.“

„Ja, in Staces Lokal, im ‚Morning Glory‘.“

Lächelnd dachte Brody daran, wie alles gekommen war. Seine Großmutter hatte ihrem nichtsnutzigen jüngsten Enkel vor einiger Zeit kurzerhand den Geldhahn abgedreht, damit er gezwungen war, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Und endlich erwachsen zu werden.

Riley hatte einen Job in Staces Lokal gefunden, und war nun, zwei Monate später, wie verwandelt. Stace hatte wirklich das Beste in ihm zum Vorschein gebracht.

„Granny hat zwar einen Anfall bekommen, als sie hörte, wo wir feiern wollen, aber schließlich ist es Staces und mein Fest, oder?“, meinte Riley zufrieden. „Stace hat sich schon ein Kleid gekauft, aber ich darf es erst am Hochzeitstag sehen. Wie ich höre, habt ihr Jungs auch schon eure dunklen Anzüge parat.“

„Ja, und nochmals danke, dass du uns nicht zwingst, einen Smoking zu tragen“, warf Brody ein.

„Du weißt doch, dass ich selber lieber ein härenes Büßerhemd als einen Smoking tragen würde. Finn ist der Einzige, dem die Idee nicht passt. Aber ich vermute, Ellie wird ihn noch zur Einsicht bringen, wie viel angenehmer ein Anzug ist. Etwas Besseres als diese Frau konnte unserem Finn gar nicht passieren.“

Brody lachte. „Ich kann es nicht fassen, dass ich hier sitze und mit dir über deine Hochzeitspläne rede. Du hast dich sehr verändert.“

„Zum Besseren, glaub mir“, versicherte Riley ernsthaft. „Stace hat mich dazu gebracht, mein ganzes Leben zu verwandeln, und darüber bin ich ehrlich froh.“

Die Kellnerin kam und nahm die Bestellung auf.

„Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte Riley, als sie wieder allein am Tisch waren.

„Ja, sicher.“ Brody vermied es, seinem jüngeren Bruder in die Augen zu sehen.

„Du schwindelst! Man merkt dir doch an, dass du mit Problemen kämpfst. Vielleicht solltest du darüber reden.“

Die Kellnerin brachte die Getränke, somit blieb Brody die Antwort erspart. Reden hatte ihm noch nie geholfen. Von den drei McKenna-Brüdern war Brody überhaupt der zurückhaltendste. Und über Andrews Tod wollte er auf keinen Fall sprechen.

„Übrigens, wenn ihr noch keinen Hochzeitskuchen habt, Riley – bei mir in der Nähe gibt es eine Bäckerei, in der sie Hochzeitskuchen aus Cupcakes machen. Ich habe so einen im Schaufenster gesehen. Sehr originell. Das wäre doch was für dich und Stace, oder?“

„Wechselst du mal wieder das Thema?“

Brody lächelte. „Ich versuche es jedenfalls.“

„Okay, wie du willst. Das mit dem Kuchen finde ich eine gute Idee. Übrigens, gehört die Bäckerei der Schwester dieses jungen Soldaten, von dem du mir neulich erzählt hast?“

„Ja, aber ich habe nicht ihretwegen den Vorschlag gemacht, sondern weil ich dir und Stace Kosten und Mühe ersparen möchte.“

Riley lachte leise. „Wenn du meinst. Stace wollte den Kuchen selber backen, aber sie hat auch so alle Hände voll zu tun. Ich rufe sie gleich mal an und frage, was sie von deiner Anregung hält.“

„Du brauchst nicht meinetwegen …“, begann Brody.

„Das weiß ich doch.“ Rileys Blick drückte Mitgefühl aus.

Dabei weiß er nur so wenig über das, was ich in Afghanistan mitgemacht habe, dachte Brody bedrückt.

Er hatte Riley – der ihn gleich nach seiner Rückkehr besucht und einige Flaschen Bier mitgebracht hatte – nach der dritten Flasche von dem jungen Mann aus Newton erzählt, mit dem er sich angefreundet hatte und der dann leider gestorben war. Auch die Schwester war kurz erwähnt worden, die die Bäckerei betrieb. Mehr nicht.

Er hatte gehofft, über Andrew zu reden würde die Schuldgefühle bannen, aber es hatte nicht geholfen. Am nächsten Morgen waren sie sogar schlimmer gewesen.

Nun nahm Riley sein Handy und wählte. „Wie geht es der schönsten Braut von Boston heute?“, fragte er.

Brody hörte Stace am anderen Ende lachen, dann wandte er sich ab und betrachtete das lebhafte Kommen und Gehen der Gäste an den Nachbartischen.

„Stace ist begeistert“, verkündete Riley nach einigen Minuten. „Ich soll dir ausrichten, unsere Farben sind Rosa und Lila.“

„Ihr habt ein Farbkonzept für die Feier?“

„Ja, warum nicht? Wenn es Stace glücklich macht.“ Riley wurde ein bisschen rot, dann lächelte er versonnen.

Brody beneidete seinen Bruder um dieses Lächeln, um den Ausdruck von Frieden auf seinem Gesicht. Auch er hatte sich Glück und Zufriedenheit ersehnt, aber nicht gefunden.

„Und wie läuft dein Projekt?“, fragte Brody, um weiteren Fragen nach seinem Befinden zuvorzukommen.

Riley hatte an der kunstorientierten Highschool, auf die er selbst gegangen war, ein Programm verschiedener Kurse gestartet, die freiwillig nach dem Unterricht besucht werden konnten. Es war genau die richtige Aufgabe für den kreativen, dynamischen Riley.

„Beeindruckend. Die Kinder an der Schule lieben es. Und wir lassen jetzt auch andere Kids aus der Gegend in die Kurse. Außerdem überlegen wir, an andere Schulen zu expandieren.“

„Das ist ja toll!“, lobte Brody ehrlich.

Die Kellnerin brachte das Essen: Hamburger und Pommes frites für Riley, Waldorfsalat für Brody.

„Dein Essen ist weniger toll“, fügte Brody kritisch hinzu. „Du weißt doch, was das Fett in deinen Adern anrichtet.“

Unbeeindruckt aß Riley eine Fritte. „Da wir gerade über ungesundes Essen reden: Der Hochzeitskuchen sollte für fünfzig Gäste reichen. Wir wollen die Feier eher klein halten. Am liebsten wäre es mir, nur mit Stace zu feiern.“

Brody nickte und versuchte, sich den Neid über das Glück seines Bruders nicht anmerken zu lassen. Erst Finn, jetzt Riley. Seine beiden Brüder hatten die Frau fürs Leben gefunden. Und er selbst?

„War schön, dich zu sehen“, sagte Brody, als sie aufgegessen hatten, und legte ein paar Geldscheine auf den Tisch. Er stand auf und zog sich die Jacke an. „Ich sage der Bäckerin dann wegen des Kuchens Bescheid.“

„Klar. Und … Brody?“

„Ja?“

„Wie geht es dir wirklich?“, fragte Riley leise.

Brody dachte an die Patienten in seiner Praxis, die von ihm erwarteten, dass er sie wieder gesund machte. In Afghanistan hatte er einen Monat lang geglaubt, tatsächlich etwas bewirken zu können.

Bis er hilflos mit ansehen musste, wie das Licht in Andrews Augen erlosch …

„Ich dachte, es geht mir gut“, gestand Brody rau. „Aber ich habe mich geirrt.“

Kate betrachtete den Stapel von Bestellungen auf dem Schreibtisch und dachte dabei an den gut aussehenden Arzt, der vor Kurzem im Geschäft gewesen war. Er war freundlich gewesen, hatte aber zugleich … sorgenvoll gewirkt. Ja, das war das treffende Wort.

Als sie scherzhaft vorgeschlagen hatte, er könne als Gegenleistung für den Geschenkkorb ja Reklame für sie machen, hatte er erwidert, das wäre nicht genug.

Was konnte er nur damit gemeint haben? Sie hatte doch nichts Großartiges für ihn getan.

Kate stand auf und ging zum Fenster. Die Szenerie draußen nahm sie nicht wahr, denn sie dachte weiterhin über ihren attraktiven Kunden nach. Sie wusste so gut wie nichts über ihn, außer dass er Brody McKenna hieß, ein Fan der Red Sox war und ganz in der Nähe eine Arztpraxis besaß. Er hatte für seine Großmutter einen Geschenkkorb ausgesucht, der eher für einen Mann gepasst hätte, also war er vielleicht einer von diesen zerstreuten Wissenschaftlern, die in ihrem Fach brillant waren, aber mit dem richtigen Leben nicht wirklich klarkamen.

Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab. Sie hatte wirklich anderes zu tun, als sich über einen gut aussehenden Arzt Gedanken zu machen! In ihrem Leben waren ihr bisher nur zwei Sorten Männer begegnet: nichtsnutzige Faulpelze, die sich von ihr durchfüttern lassen wollten, oder ehrgeizige Karrieristen, die mehr Energie in den Beruf als in die Beziehung investierten.

Männer wie ihr Bruder waren selten. Männer, die für andere da waren und jeden Tag mit Herz und Elan angingen. Bis sie so einen kennenlernte, waren ihr eine gute Tasse Kaffee und ein Stück frisch gebackener Kuchen allemal lieber als ein Date.

Die Ladenglocke klingelte, und Kate ging ins Geschäft. Dort stand ihre Großmutter hinter dem Tresen und stibitze sich gerade einen Cupcake.

„Grandma! Was für eine nette Überraschung.“

„Ach wirklich?“ Die alte Dame umarmte sie lachend. „Ich bin doch fast jeden Tag hier und versorge mich mit meiner Dosis Zuckerzeug.“

„Und du weißt, wie ich mich darüber freue“, versicherte Kate ehrlich.

„Sag bloß deinem Großvater nicht, wie viele Cupcakes ich hier esse. Er findet mich süß genug.“

„Ja, weil er dich liebt“, sagte Kate und lächelte.

Ihre Großeltern führten eine ausgesprochen glückliche Ehe, ganz anders als ihre Eltern, die den Kleinkrieg zur täglichen Gewohnheit gemacht hatten, bevor sie sich scheiden ließen.

Ja, Grandma ist in Grandpa verliebt, war es immer und wird es immer bleiben, dachte Kate ein bisschen neidisch. Nicht vielen Menschen war dieses Glück vergönnt.

„Wie läuft es so?“, erkundigte ihre Großmutter sich und aß einen Bissen Kuchen.

„Gut. Ich habe viel zu tun.“

„Und wie steht es mit der Suche nach einem zweiten Laden?“

Kate zuckte die Schultern. „Darum habe ich mich nicht mehr gekümmert.“

„Du hattest doch schon Pläne gemacht, Kindchen.“

„Ja, Grandma, aber das war bevor …“

„Schon gut, ich verstehe.“

Als Andrew noch lebte, hatten sie geplant, weitere Läden aufzumachen. Vor einiger Zeit hatte sie per Internet in Weymouth ein geeignetes Geschäft ausfindig gemacht. Seit Andrews Tod, der ja erst wenige Wochen zurücklag, hatte sie sich nicht mehr darum gekümmert.

„Mir gefällt die Idee eines zweiten Ladens namens Nora’s Sweet Shop, aber ich mache mir Sorgen um dich, Kindchen. Wenn du dir eine Auszeit nehmen möchtest, können Grandpa und ich dich vertreten. Das tun wir doch gern.“

Kate betrachtete ihre dreiundachtzigjährige Großmutter liebevoll. „Ich weiß, und ich bin dir echt dankbar für das Angebot, aber es geht mir gut. Ehrlich. Du und Grandpa tut genug für mich, indem ihr die Zustellungen übernehmt.“

„Das hält uns in Schwung. Du weißt doch, wie gern wir durch die Stadt fahren und unsere alten Kunden besuchen.“

„Ihr verdient es aber, eure goldenen Jahre zu genießen. Und ich komme wirklich gut klar.“

„Das tust du nicht“, widersprach ihre Großmutter und strich ihr zart übers Gesicht.

Kate traten Tränen in die Augen. „Du hast recht. Ich vermisse Andrew so sehr!“

Sie gestand allerdings nicht, wie unendlich sie es bedauerte, dass sie ihren Bruder ermutigt hatte, zum Militär zu gehen. Wenn sie ihm etwas anderes vorgeschlagen oder ihm seine Pläne ausgeredet hätte, wäre er vielleicht noch am Leben.

Auch ihre Großmutter war den Tränen nahe. „Wir alle vermissen ihn, Kate. Aber er würde nicht wollen, dass du hier nur herumsitzt und ihm nachtrauerst. Er hat sein Leben ausgekostet und jeden Moment genossen. Das war seine spezielle Fähigkeit. Denk nur mal daran, als er das Paragleiten ausprobierte.“

Trotz ihres Kummers lächelte Kate. Ja, ihr Bruder war von klein an stürmisch und begeisterungsfähig gewesen. Immer war er auf sein nächstes Ziel losgegangen, ohne einen Blick zurück.

„Oder als er zum ersten Mal mit dem Fallschirm gesprungen ist! Nicht zu vergessen das Tauchen zwischen den Haien!“ Kate schüttelte nachsichtig den Kopf. „Er liebte nun mal das Risiko.“

„Deshalb würde er wollen, dass du vorwärts schaust, statt dich hier in deiner Arbeit zu vergraben“, meinte ihre Großmutter. „Er würde wollen, dass du dein Leben genießt und glücklich bist.“

Bevor Andrew nach Afghanistan abgereist war, hatte er mit seiner Schwester über die Zukunft sprechen wollen. Kate war auf sein „was wäre, wenn …“ nicht eingegangen. Sie hatte gar nicht daran denken wollen. Nun tat es ihr leid, ihm nicht zugehört zu haben. Vielleicht hätte sie dann das Geheimnis seiner unerschrocken zupackenden, risikofreudigen Art entdeckt. Etwas, das ihr nun helfen würde, den Weg, den sie gemeinsam geplant hatten, weiterzugehen.

„Ich werde versuchen, mich öfter daran zu erinnern, was Andrew von mir gewollt hätte“, versprach sie und wischte sich die Tränen ab.

„So ist es richtig“, sagte ihre Großmutter aufmunternd und blickte zur Tür. „Achtung, Kate: attraktiver Mann im Anmarsch. Bist du auch präsentabel?“

Kate lachte unwillkürlich. Ihre Großmutter wollte sie unbedingt an den Mann bringen, weil sie auf Urenkel hoffte, die sie dann noch mehr verwöhnen würde als die Enkel.

„Grandma, ich bin im Moment nicht an Verabredungen interessiert.“

„Warte, bis du den Kunden siehst, Kindchen. Dann änderst du deine Ansicht.“

Die Tür wurde geöffnet, und Brody McKenna kam herein. Kates Herz schien einen kleinen Sprung zu machen, und plötzlich nahm sie nichts anderes wahr als die strahlend blauen Augen des Arztes.

„Sind Sie gekommen, um sich noch einen Korb zu holen, Doc?“, fragte sie scherzhaft.

Bei seinem Lächeln wurde ihr ganz anders zumute wurde. Doch sie musste ihn auf Distanz halten! Sie hatte bei ihren Eltern gesehen, was aus einer Ehe wurde, die nur auf leidenschaftliche Verliebtheit gegründet war, ohne dass die Partner gemeinsame Interessen und Ziele hatten.

Kate wollte eine solide, verlässliche Basis für eine Beziehung, keinen Mann, der nur ihr Herz schneller schlagen ließ und ihre Vernunft außer Kraft setzte.

„Ich wollte mich vor allem für den ersten bedanken“, erklärte Brody. „Der Korb war ein Volltreffer. Meine Großmutter möchte Ihnen ebenfalls danken. Ich soll Ihnen ausrichten, dass die Kirschpralinen köstlich sind. Tatsächlich habe ich den Befehl bekommen, unbedingt noch eine Schachtel davon zu kaufen, Miss Spencer.“

„Die Kirschpralinen habe ich auch am liebsten“, mischte ihre Großmutter sich ein. „Ich bin Nora Spencer.“ Sie reichte Brody über den Tresen hinweg die Hand.

„Ach, die berühmte Nora, die dem Laden den Namen gegeben hat. Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Brody McKenna.“

„Ein Arzt, wenn ich Kate eben richtig gehört habe?“

„Ja. Mir gehört die Hausarztpraxis ganz in der Nähe. Ich bin Doc Watkins’ Nachfolger“, erklärte er.

„An den erinnere ich mich gut. Ein netter Mann – außer, wenn er beim Golf verlor. Da er immer mittwochs spielte, habe ich schnell gelernt, mir nie einen Arzttermin für einen Donnerstagvormittag geben zu lassen.“

„Eine weise Entscheidung“, lobte er.

„Übrigens, sind Sie der Doktor McKenna, der so viel freiwillige Arbeit leistet? Ich habe von einer Wohltätigkeitsveranstaltung gelesen, die von Ihrer Familie organisiert wird. Irgendetwas mit Ärzten und Grenzen, oder so ähnlich.“

„Medizin ohne Grenzen“, erklärte er und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Ja, da mache ich mit. Wir reisen im In- und Ausland und kümmern uns um die medizinische Versorgung von notleidenden Menschen.“

Kate kam der Name der Organisation ebenfalls bekannt vor. Wahrscheinlich hatte sie im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen. Brody schien nicht gern darüber zu reden, denn er blickte beiseite und verspannte sich. Offensichtlich war er ein Mensch, der sich lieber im Hintergrund hielt.

„Und sagen Sie mir, Doktor McKenna“, Nora neigte sich näher zu ihm, „gibt es denn auch eine Frau Doktor?“

„Grandma, lass das!“, zischte Kate entsetzt.

„Nein, die gibt es nicht“, berichtete Brody bereitwillig. „Allerdings bin ich wegen einer Hochzeit hier, die demnächst stattfindet.“

Enttäuschung durchflutete Kate. Unsinn, sagte sie sich sofort. Sie kannte den Mann doch so gut wie gar nicht. Es konnte ihr völlig egal sein, dass er demnächst heiratete!

„Wenn es um den Hochzeitskuchen geht, helfen wir Ihnen gern“, sagte sie in geschäftsmäßigem Ton und nahm Block und Bleistift. „Was hätten Sie denn gern?“

„Er ist nicht für mich, sondern für meinen Bruder“, erklärte Brody.

„Wunderbar!“, unterbrach Nora, „in dem Fall helfen wir Ihnen sogar noch lieber!“

„Grandma, hör auf!“, flüsterte Kate.

„Oh, keine Sorge. Vom Heiraten bin ich weit entfernt! Der Kuchen ist für Riley, meinen jüngeren Bruder. Die Hochzeit ist nächsten Samstag. Es wird eine Feier im engsten Kreis, Trauung und Hochzeitsempfang finden im ‚Morning Glory‘ in Boston statt. Das Lokal gehört nämlich der Braut. Kennen Sie es vielleicht?“

„Ja, ich bin zumindest schon daran vorbeigekommen“, antwortete Kate.

„Stace – das ist Rileys Verlobte – möchte so viel wie möglich selber machen, aber ich will ihr den Stress mit dem Hochzeitskuchen ersparen. Außerdem kann ich so einem hiesigen Geschäft einen Auftrag zukommen lassen“, fügte Brody hinzu.

Warum sucht er ausgerechnet unser Geschäft aus? fragte sich Kate. Es gab schließlich genug Bäckereien in der Gegend, einige davon sogar spezialisiert auf Hochzeitskuchen. Anderseits, sie konnte die Einnahmen gut brauchen, und zudem war es eine prima Werbung für den Laden.

„Da sind Sie bei uns genau richtig“, mischte sich ihre Großmutter ein.

„Ja, ich habe den Kuchen aus Cupcakes im Schaufenster gesehen“, erklärte Brody. „Riley und Stace fanden es eine tolle Idee. Das ist eine andere Art von Kuchen, nicht die übliche elegante Hochzeitstorte. Sie sind ein untypisches Paar, und deshalb passt auch ein untypischer Hochzeitskuchen. Übrigens hätte Stace gern Rosa und Lila als vorherrschende Farben beim Zuckerguss.“

„Kein Problem“, versicherte Kate. „Wie viele Gäste werden erwartet?“

„Etwa fünfzig, sagte Riley.“

„Das hört sich gut an.“ Sie machte sich ein paar Notizen. Mit diesem zusätzlichen Auftrag würde sie diese Woche ganz schön zu tun haben, um alle Bestellungen zu erledigen.

Zum Glück stand ihr Joanne zur Seite, die mehr Erfahrung hatte als zehn Bäcker zusammen und schon so lange in Nora’s Sweet Shop arbeitete, dass keiner mehr wusste, wann genau sie angefangen hatte.

„Könnten Sie uns Ihre Telefonnummer geben, falls wir Rückfragen haben?“, mischte Nora sich nun ein.

Brody nannte seine Praxisnummer.

„Möchten Sie auch meine Handynummer?“, fragte er dann.

„Nein, danke“, antwortete Kate.

„Ja, bitte“, übertönte ihre Großmutter sie.

Brody gab ihnen auch diese Nummer. Dann machte er eine Pause und schaute sich im Laden um, als ob er noch etwas sagen wollte.

„Ähm, ja, also … danke!“, brachte er schließlich hervor.

„Gern geschehen. Vielen Dank für Ihre Bestellung!“, meinte Kate.

„Sie sagten doch, ich solle Sie weiterempfehlen.“ Er zog die Schultern hoch und schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Das habe ich getan. Schade nur, dass der Auftrag nicht lukrativer ist.“

„Ach, ich bin über jeden froh“, versicherte sie.

Wieder schien er etwas sagen zu wollen, nickte ihr und ihrer Großmutter dann aber nur zum Abschied zu und verließ den Laden.

Nachdenklich sah Kate dem attraktiven Arzt nach. Warum faszinierte er sie so?

„Wieso hast du ständig versucht, mich mit ihm zu verkuppeln?“, fragte sie ihre Großmutter streng, als sich die Tür hinter Brody geschlossen hatte.

„Weil er ein sehr gut aussehender Mann ist – und du dich für ihn interessierst.“

„Unsinn!“, widersprach Kate heftig.

„Na, da habe ich deinen schmachtenden Blick wohl falsch gedeutet“, meinte ihre Großmutter trocken.

„Mein Blick ist ausschließlich auf eines gerichtet, Grandma. Der Laden muss weiterlaufen und soll sogar noch erweitert werden. Das habe ich versprochen!“

3. KAPITEL

Brody tat sein Bestes, das Leben wieder in die alten Bahnen zu bringen, aber er schaffte es nicht. Bisher hatte er nach den freiwilligen Einsätzen seine Arbeit mit neuem Enthusiasmus ausgeübt, diesmal war es anders.

Er wusste auch, warum – wegen Andrew Spencer. Und wegen des Versprechens. Es war leicht gewesen, es zu geben. Es zu halten kam ihm mittlerweile unmöglich vor.

Vielleicht hilft es, wenn ich mir zuerst aufschreibe, was ich sagen will? überlegte Brody, nachdem der letzte Patient am Nachmittag die Praxis verlassen hatte. Helen Maguire war auch schon nach Hause gegangen. Er hatte jetzt die Wahl, in sein stilles Apartment zu fahren … oder hierzubleiben und seine Gedanken schriftlich zu ordnen.

Es war zumindest einen Versuch wert.

Brody nahm Schreibblock und Kuli. Nach kurzem Überlegen begann er.

Ich hätte nie erwartet, mich mit Andrew Spencer anzufreunden. Er war für mich in erster Linie mein Beschützer – und manchmal ein Hindernis bei meiner Arbeit, weil er uns Ärzte zwang, zu warten, während er und seine Kameraden die Gegend sicherten und sich überzeugten, dass keine Gefahr drohte.

Wenn ich ihn darauf hinwies, dass die Zeit drängte und es für die Patienten auf jede Stunde ankommen konnte, konterte er, dass die Kranken auf jeden Fall sterben müssten, wenn die Ärzte getötet wurden.

So war Andrew: Er dachte zuerst immer an die anderen, setzte deren Wohlergehen über sein eigenes. Er hat viel Male für uns sein Leben riskiert. Und beim letzten Mal

Als er mit dem Text so weit gekommen war, klingelte sein Handy. Kurz überlegte er, nicht abzunehmen, entschied dann aber anders.

„Hier McKenna.“

„Hallo, Doc, hier Kate Spencer von Nora’s Sweet Shop. Ich rufe an, weil es mit Ihrem Auftrag leider ein Problem gibt. Kurz gesagt, ich kann ihn nicht ausführen. Meine Assistentin musste zu ihrer Tochter, die ihr erstes Baby früher als erwartet bekommen hat. Jetzt stehe ich also allein da und muss alle meine vielen Aufträge ohne Hilfe bewältigen. Wenn ich daran denke, dass ich für heute Abend eine riesige Bestellung habe, um die ich mich noch kümmern muss … Jedenfalls habe ich mir erlaubt, Ihren Auftrag an eine andere Bäckerei hier im Ort weiterzuleiten, die ausgezeichnete Arbeit leistet und nicht mehr verlangt als ich.“

Dass Kate im Stress war, hörte Brody ihr deutlich an. Da hatte er ihr mit dem Auftrag helfen wollen, und ihr letztlich nur noch mehr Schwierigkeiten bereitet!

„Ich gebe Ihnen jetzt mal die Nummer der anderen Bäckerei durch, dann können Sie alles mit denen noch mal genau besprechen“, sagte Kate rasch. „Meine Notizen habe ich schon weitergeben.“

Brody notierte die Nummer, dabei fiel sein Blick auf den Briefentwurf und die Worte: Er dachte zuerst immer an die anderen, setzte deren Wohlergehen über sein eigenes.

Plötzlich war es ihm, als hätte Andrew ihm aus dem Jenseits einen aufmunternden sanften Stoß versetzt.

Unternimm endlich etwas, und steh Kate bei, wie du es versprochen hast, sagte Brody sich eindringlich.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte er zögernd.

Sie lachte, aber es klang nicht fröhlich. „Ja, indem Sie mir innerhalb einer halben Stunde einen erfahrenen Bäcker beschaffen, der in den nächsten Tagen für mich arbeitet. Nein, keine Sorge, Mr. McKenna! Ich schaffe das schon. Es tut mir nur leid, dass ich Ihnen so kurzfristig absage. Aber wie gesagt, die andere Bäckerei ist erstklassig. Danke nochmals, dass Sie uns beauftragt hatten, und bitte, denken Sie auch später wieder an uns.“

„Falls ich jemals für eine weitere Hochzeit den Kuchen besorgen muss?“

„Ja, genau. Vielleicht sogar für Ihre eigene“, meinte sie.

„Das ist nicht wahrscheinlich!“

„Wieso? Sie sind Arzt und Junggeselle. Das ist eine unwiderstehliche Kombination. Oh!“ Nun lachte sie verlegen. „Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe! Wie albern von mir. Tut mir leid.“

„Nein, nein, ich bin geschmeichelt“, versicherte Brody ihr. „Ehrlich. Die meisten Leute, die ich sehe, beklagen sich bei mir. Da ist es zur Abwechslung nett, auch mal ein Kompliment zu hören.“

Nun lachte Kate richtig, und ihm wurde ganz warm ums Herz.

„Na gut, Doc. Freut mich, Ihren Tag verschönert zu haben. Und nochmals vielen Dank für den Auftrag.“

„Gern geschehen.“ Kate verabschiedete sich und legte auf.

Er starrte den Telefonhörer an. Dann überflog er noch einmal seinen halbherzigen Briefentwurf, der ihm jetzt genauso halbherzig vorkam wie sein Versuch, sein Versprechen zu halten. Er knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in den Papierkorb.

Kurz entschlossen stand er auf und zog seine Jacke an. Es war an der Zeit, etwas zu unternehmen. Er konnte Kate zwar keinen Bäcker beschaffen, schon gar nicht innerhalb von dreißig Minuten, aber er konnte ihr zeigen, dass ihr Wohlergehen und ihre glückliche Zukunft ihm am Herzen lagen.

Zumindest konnte er es versuchen.

Der Wind heulte um das Haus, und Regen prasselte ans Schaufenster des Ladens. Gelegentlich donnerte es sogar. Der Sturm kündigte den rauen Herbst an, der nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.

Kate saß am Schreibtisch und blätterte die Bestellungen durch. Zwei Firmenbestellungen, drei Bankette und die Hochzeit von Riley McKenna. Ach nein, den Auftrag hatte sie ja weitergeleitet. Trotzdem blieb noch viel Arbeit für sie.

Früher hätte sie sich darüber gefreut, jetzt fühlte sie sich eher erdrückt. Seit Andrews Tod hatte sich ihre Freude am Backen verringert, ja, manchmal schien sie sich völlig verflüchtigt zu haben – wie Sonnenschein an einem wolkigen Tag. Und nun musste sie die vielen Aufträge ohne Joannes Hilfe bewältigen! Das war, als müsste sie einen riesigen Berg bezwingen. Ganz allein.

„Ich schaffe es nicht“, sagte Kate vor sich hin und dachte an all die Pläne, die sie mit Andrew gemacht hatte. „Ich brauche Hilfe.“

In dem Moment läutete die Ladenglocke.

Kate eilte ins Geschäft, und für einen Augenblick stellte sie sich vor, Andrew würde jetzt dort stehen, mit einem strahlenden Lächeln auf seinem Gesicht.

Stattdessen stand Brody McKenna dort und strich sich durch die feuchten Haare. Er lächelte ein bisschen befangen und wirkte zugleich verloren und unglaublich sexy.

Am liebsten hätte sie ihm einen Teller heiße Suppe, eine kuschelige Decke und eine Umarmung angeboten. Nein, daran darf ich nicht denken, ermahnte sie sich. Es würde nur zu Komplikationen führen, wenn sie sich zu sehr mit dem attraktiven Arzt beschäftigte.

„Doctor McKenna, schön, Sie zu sehen“, begrüßte sie ihn und strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht. „Hat es mit der anderen Bäckerei nicht geklappt?“

„Na ja, ich war noch gar nicht dort“, gestand er verlegen. „Eigentlich bin ich nur hier, um zu fragen, ob Sie schon gegessen haben.“

„Gegessen?“, wiederholte sie erstaunt.

„Ja. Ich wohne doch ganz in der Nähe, und auf meinem Heimweg ist mir öfter aufgefallen, wie spät hier abends noch Licht brennt. Und wie früh schon, wenn ich mal im Morgengrauen rausmuss. Da frage ich mich, ob Sie jemals nach Hause gehen und sich Zeit für eine ordentliche Mahlzeit nehmen.“

„Also …“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Noch nie hatte sich jemand, der nicht zu ihrer engsten Familie gehörte, für ihr Wohlergehen interessiert. Sie gefragt, ob sie vielleicht zu viel arbeitete und zu wenig aß. Warum kümmerte es Brody? Weil er Arzt war? Oder steckte mehr dahinter?

„Ich mache mir meistens ein Tiefkühlgericht warm und esse es schnell zwischendurch“, erklärte Kate.

„Das ist ungesund“, bemerkte er streng.

Sie zuckte die Schultern. „Das gehört zum Leben einer Geschäftsfrau dazu. Man muss die Nachteile ebenso in Kauf nehmen wie das Gute. Letzteres ist zurzeit allerdings schwerer zu finden.“

Dass sie sich in der Arbeit vergrub, um nicht ständig zu grübeln und sich mit jemandem zu unterhalten, den es nicht mehr gab, verriet sie lieber nicht.

Brody kam näher, und sie fragte sich kurz, wie es wäre, den Kopf an seine feste Brust zu schmiegen und ihm alle Sorgen und allen Kummer anzuvertrauen.

Kate schüttelte den Kopf, über sich selbst gereizt. Der Arzt hatte sie nur nach ihren Essgewohnheiten gefragt. Er hatte sich nicht als Gesprächspartner angeboten, dem sie ihr Herz ausschütten durfte.

„Wissen Sie, Kate, ich arbeite auch oft sehr lange und mache mir zu Hause dann nur ein Schnellgericht statt einer gesunden Mahlzeit“, gestand Brody.

Sie lachte. „Sie halten sich also nicht an Ihre eigenen Ratschläge? Da kann man nur den alten Spruch zitieren: Arzt, heile dich selbst zuerst!“

„Sie haben recht. Also: Lassen Sie uns zusammen essen gehen, danach können Sie sich wieder ans Backen machen, oder was immer Sie vorhaben“, drängte er. „An einem ungemütlichen Abend wie heute braucht man eine warme Mahlzeit und nette Gesellschaft.“

„Mit Letzterem meinen Sie sich vermutlich selbst?“, fragte Kate und lächelte.

„Probieren Sie mich aus, und entscheiden Sie dann selber.“ Er erwiderte ihr Lächeln. „Meine Sprechstundenhilfe findet mich erträglich, meine Großmutter lobt mich über den grünen Klee.“

„Dazu sind Großmütter ja da, oder?“

„Genau!“

Kate überlegte kurz. Sie aß zwar zwei Mal pro Woche bei ihrer Großmutter, aber sonst begnügte sie sich oft mit einigen raschen Bissen, wenn sie neben der Arbeit kurz die Hände freihatte. Das war wirklich alles andere als gesund.

„Na ja, hungrig bin ich schon“, gab sie schließlich zu.

„Ich ebenfalls. Und ich möchte heute Abend nicht allein essen.“

„Ich eigentlich auch nicht“, stimmte sie leise zu.

Ihre Abende waren oft so einsam, dass sie sich in Gedanken oder sogar laut mit Andrew unterhielt …

„Ganz in der Nähe gibt es ein nettes Restaurant mit dem hübschen Namen ‚Zur eisernen Bratpfanne‘. Waren Sie da schon mal?“, erkundigte Brody sich.

„Ja. Die machen ein herrliches Hühnchen, in der Pfanne gebraten, mit viel Knoblauchbutter und Kartoffelpüree. Beim Gedanken daran läuft mir richtig das Wasser im Mund zusammen.“

„Mir auch. Also, worauf warten wir noch? Auf zur ‚Eisernen Pfanne‘, okay?“

Kate zögerte nur ganz kurz, dann entschied sie, dass die Arbeit noch ein bisschen warten konnte.

„Okay!“, sagte sie, zog sich die Jacke an und nahm den Regenschirm.

Als sie dann draußen war und sich umdrehte, um den Laden abzuschließen, fragte sie sich plötzlich, ob sie sich von dem gut aussehenden Arzt nicht nur zum Essen hatte überreden lassen. Sondern zu so etwas wie einem Date.

Das Essen war so ausgezeichnet wie erwartet, aber Brody achtete kaum darauf. Kate hatte ihm vom ersten Augenblick an gefallen, und sie gefiel ihm von Mal zu Mal besser.

Was damit begonnen hatte, die Person, von der Andrew immer so geschwärmt hatte, besser kennenzulernen, wurde unversehens zu etwas Größerem. Dabei war er doch hier, um sein Versprechen zu erfüllen, nicht um sich in Andrews Schwester zu verlieben!

Kate trank einen Schluck Wasser und reckte leicht die Schultern. Sie hatte schon die Hälfte ihrer Portion verspeist, war also wirklich hungrig gewesen. Ja, dachte Brody, es war richtig, sie spontan zum Essen einzuladen. Eigentlich hatte er sich nur erkundigen wollen, wie es ihr ging. Aber sie hatte sofort sein Mitgefühl geweckt. Anscheinend vernachlässigte sie ihre eigenen Bedürfnisse, also musste sich jemand anderer ein bisschen um sie kümmern.

„Ich habe vergessen, in welcher Fachrichtung genau Sie arbeiten“, bemerkte Kate, während sie einen Bissen Huhn auf ihre Gabel nahm.

„Ich bin ein einfacher praktischer Arzt“, antwortete er. „Meine Patienten leiden an Erkältungen, Rückenschmerzen und verstauchten Knöcheln, die ich ihnen verbinde. Außerdem verpasse ich ihnen ihre Impfungen.“

„Alles in allem sehr dankbare Aufgaben“, meinte sie und lachte.

„Ja, wirklich!“, erwiderte er ernsthaft. „Ich habe in den vergangenen Jahren viele Menschen dazu gebracht, ein besseres, gesünderes und erfüllteres Leben zu führen.“ Er lächelte breit. „Vorausgesetzt, sie haben sich tatsächlich an meine Ratschläge gehalten.“

„Was heißt, sie essen nicht ständig Junkfood und sitzen auch nicht stundenlang vorm Fernseher“, ergänzte sie.

„Richtig! Alles in Maßen, sage ich immer. Meistens wissen meine Patienten ohnehin, was sie tun sollten. Sie brauchen eher jemanden, der ihnen zuhört.“

„Wie das?“

„Na ja, sie sprechen über ihre Angst vor einem Herzinfarkt oder vor Krebs und wollen dann beruhigt werden. Sie brauchen eben jemand, der sich …“

„… kümmert und mitfühlend ist.“

„Ja, und der ihre Sorgen ernst nimmt und ihnen dann hilft, die Probleme zu überwinden.“

„An welchem Krankenhaus hatten Sie nach dem Studium Ihre erste Anstellung?“ Kate klang echt interessiert.

„Am Mass General auf der Notfallstation. Das genaue Gegenteil einer Hausarztpraxis. Man wusste von Minute zu Minute nicht, was einen erwartete. Auf die Hektik kann ich gut verzichten, auch wenn mir manchmal die Schnupfennasen jetzt im Herbst ein bisschen zu vorhersehbar sind.“

„Das sind Cupcakes auch.“ Sie lachte. „Wenn man den Dreh einmal heraushat, ist einer wie der andere, auch wenn ich bei der Verzierung experimentieren kann. Und bei den Pralinen ist durchaus Kreativität gefragt.“

„Möchten Sie denn manchmal aus dem üblichen Trott ausbrechen und etwas ganz anderes probieren?“, wollte Brody wissen.

„Jedenfalls habe ich große Pläne“, antwortete sie. „Mein Bruder und ich wollten seit Längerem das Geschäft ausbauen, das heißt, Filialen gründen, womöglich eine ganze Kette von Nora’s Sweet Shops landesweit. Andrew hatte die großartigen Ideen, ich bin da etwas vorsichtiger, um nicht zu sagen zaghafter. Aber wenn er mit mir über seine Pläne sprach, hat er mich mit seiner Begeisterung angesteckt.“

„Und haben Sie schon expandiert?“ Brody hörte interessiert zu. Das war jetzt genau das Thema, das er mit Kate hatte diskutieren wollen. Allerdings schien sie nicht wirklich gern darüber zu reden.

„Ich habe nur darüber nachgedacht. Im Internet habe ich sogar schon ein geeignetes Geschäftslokal in Weymouth entdeckt, aber …“, Kate seufzte tief, „… seit Andrews Tod hat mein Enthusiasmus sehr gelitten. Ich weiß, Andrew würde wollen, dass ich weitermache, aber ohne ihn ist es sehr schwer.“

„Sie sollten es trotzdem versuchen“, ermutigte Brody sie, von Schuldgefühlen geplagt.

Warum war es ihm nicht gegönnt gewesen, Andrew zu retten? Dann würde Kate jetzt vielleicht mit ihrem Bruder hier sitzen und seine Heimkehr feiern …

„So wie Sie Ihren Bruder schildern, würde er wirklich wollen, dass Sie den Blick nach vorn richten. Ich kann Ihnen bei Ihrem Vorhaben helfen, wenn Sie möchten.“

„Sie?“ Kate lachte zweifelnd. „Was verstehen Sie denn von Ladenketten und Geschäftseröffnungen?“

„Nichts, das gebe ich zu. Aber ich erkenne eine gute Idee, wenn sie mir begegnet. Und falls Sie finanzielle Unterstützung brauchen …“

Versuch ich etwa gerade, mein Problem mit Geld zu lösen? fuhr es Brody durch den Kopf.

„… kann ich Ihnen die geben, Kate. Mit Vergnügen.“

„Sie kennen mich doch kaum! Und wie könnten Sie sich das leisten?“

„Ich bin ein McKenna, und das bedeutet, ich bin sehr wohlhabend. Ich habe eine ganze Menge Geld geerbt, als meine Eltern starben, und meine Großeltern haben es gewinnbringend investiert. Jetzt habe ich so viel davon, dass ich nicht weiß, was ich damit anfangen soll.“ Er neigte sich vor und hoffte die magischen Worte zu finden, mit denen er Kate überzeugen konnte. „Ich weiß, wie gut Ihre Kuchen und Pralinen schmecken. Ihr Geschäft ist es wert, unterstützt zu werden.“

„Oh!“ Sie wirkte kurz überwältigt. „Danke für das Angebot, aber ich bin noch nicht bereit zu expandieren. Oder sonst eine wesentliche Änderung ins Auge zu fassen. Vielleicht später einmal.“

Sie drehte die Gabel zwischen den Fingern hin und her, dann sah sie ihm plötzlich in die Augen.

„Ich habe wohl irgendwie Angst vor dem Unbekannten“, gestand Kate leise. „Andrew war für jedes Risiko zu haben. Er ist zuerst gesprungen und hat dann geschaut, wo er landet. Ich prüfe mehrfach, bevor ich irgendetwas unternehme. Voranstürmen ist nicht meine Art.“

„Ich war früher auch so“, gab Brody zu. „Das heißt, ich hatte Angst vor dem Unbekannten. Dann hatte ich meinen ersten Einsatz für Medizin ohne Grenzen, und das hat mich von meiner Angst geheilt.“

„Wie denn?“

„Na ja, ich wurde sozusagen ins kalte Wasser geworfen, und dann hieß es schwimmen oder sinken. Wenn ich untergegangen wäre, hätte ich andere Menschen geschädigt. Also musste ich mich zusammenreißen und mir nicht länger den Kopf zerbrechen, ob ich als Arzt gut genug bin, sondern einfach anpacken.“

Bin ich als Arzt denn gut genug? fragte er sich im Stillen. Neuerdings tat er das wieder häufig. Sicher, er hatte schon vielen Menschen geholfen, aber als es im Angesicht des Todes darauf ankam, war er erfolglos geblieben.

Er hatte sein Bestes versucht, aber es war zu wenig gewesen …

Und egal, wie oft er seine Entscheidung im Rückblick hinterfragte und überlegte, ob er alles richtig gemacht hatte, es brachte Andrew nicht zurück.

Nun fragte Brody sich ständig, ob er es jemals wieder wagen würde, eine weitere Mission anzunehmen. Oder würde er sich sein ganzes weiteres Leben lang vor möglichen Fehlentscheidungen ängstigen?

„Meine Familie hat schon immer viel von Wohltätigkeit gehalten und für gute Zwecke gespendet, aber das ist ziemlich einfach, wenn Sie mich fragen“, meinte Kate. „Was Sie tun, Brody, erfordert dagegen echten Mut.“

„Mut besteht auch darin, seine Träume zu verwirklichen“, stellte er fest. „Also, seien Sie mutig und gründen Sie die neue Filiale! Wenn Sie mich brauchen, können Sie auf mich zählen. Jederzeit.“

„Sie kennen mich doch kaum“, wehrte Kate ab.

„Richtig. Aber was ich über Sie weiß, überzeugt mich, dass ich mein Geld gut investieren würde.“

Errötend blickte sie beiseite. „Danke. Ich lasse Sie dann wissen, wenn ich bereit bin, einen Schritt vorwärts zu machen.“

Verflixt, sie klingt immer noch alles andere als begeistert, dachte Brody enttäuscht. Aber da konnte er wohl nichts machen. Fürs Erste.

„Ach, ich habe letztens ganz vergessen, wieder Pralinen für meine Großmutter zu besorgen. Ich soll Ihnen von ihr übrigens ausrichten, dass sie von den Schokoblättern ganz begeistert war, Sie meinte, die wären fast zu schön, um sie zu essen.“

„Danke. Es freut mich, wenn sie zufrieden ist.“ Kate errötete heftiger.

„Sie brauchen doch nicht verlegen zu sein! Auf so gute Produkte wie Ihre können Sie wirklich stolz sein.“

„Nochmals danke! Ich bin es einfach nicht gewöhnt, im Rampenlicht zu stehen“, erklärte sie. „Grandma war immer das Gesicht, das zu Nora’s Sweet Shop gehörte, dann hat Andrew diese Rolle übernommen, nun bin ich eben dran. Ob ich will oder nicht.“

„Ihr Gesicht eignet sich wunderbar. Es ist so süß wie Ihre Kuchen und Pralinen“, sagte Brody, bevor er sich stoppen konnte.

„Wenn Sie mir weiterhin solche Komplimente machen, wird mein Gesicht gar nicht mehr aufhören zu glühen. Denn dass ich rot bin, merke ich.“ Sie lächelte trotzdem erfreut.

„Mir gefällt es“, versicherte er.

Flirte ich etwa mit Kate Spencer? fragte er sich dann entsetzt. Er war doch hier, um sie zu ermutigen, die Pläne zu verwirklichen, die sie mit Andrew gefasst hatte! Da musste er so schnell wie möglich wieder zum Thema kommen.

„Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass Sie Ihren Beruf sehr lieben“, fügte er hastig hinzu.

„Ja, das tue ich. Außer vielleicht, wenn ich viele Bestellungen habe und keine Hilfe. Weil …“ Sie blickte auf die Uhr und stöhnte leise. „Schon so spät! Und ich muss mich heute noch um eine Zustellung kümmern. Danke für das vorzügliche Essen, aber ich muss jetzt wirklich los.“

„Ich begleite Sie zurück“, bot er ihr an.

„Danke, es ist doch nicht weit“, wehrte sie ab.

„Ein Gentleman lässt eine Dame nicht allein nach Hause gehen. Das hat mein Großvater mir eingebläut.“

„Ein Gentleman, was? Nun, ich will Ihren Großvater auf keinen Fall enttäuschen!“

Brody bezahlte, und sie gingen gemeinsam in die nasse, windige Nacht hinaus. Er spannte den Regenschirm auf und hielt ihn über Kate.

„Machen Sie viele Zustellungen selber?“

„Tagsüber übernehmen meine Großeltern das“, erklärte sie. „Sie kommen gern unter Leute. Im Dunkeln sind sie allerdings nicht gern mit dem Wagen unterwegs, also übernehme ich dann den Job. Wenn ich tagsüber schon viel zu tun hatte, ist es manchmal ganz schön anstrengend.“

„Sie brauchen nicht eine Assistentin, sondern eine ganze Schar Helfer, Kate!“

Sie lachte. „Stimmt. Wenn Joanne zurück ist und ich einen Moment übrig habe, um eine Annonce aufzugeben und Interviews zu führen, engagiere ich sofort eine Hilfstruppe. Ich möchte nie wieder in einer solchen Lage wie jetzt stecken.“

4. KAPITEL

Brody brachte Kate nicht nur bis zum Laden, er ging auch mit hinein.

„Danke für die Begleitung“, sagte sie und knipste das Licht an, während er den tropfenden Schirm neben die Tür stellte. „Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihre Bestellung weiterleiten musste. Ich würde sie ja gern erledigen, aber ich habe zu viel zu tun.“

„Nehmen Sie doch eine Aushilfskraft“, schlug er vor. „Ich mache das so, wenn meine Sprechstundenhilfe im Urlaub ist oder mehr Betrieb ist als üblich.“

„Es wäre aufwendiger, jemand zu suchen, der für so wenige Tage kommt, als es selber zu machen“, wehrte sie ab.

„Wie wollen Sie denn alles allein schaffen, Kate? Backen, Liefern, Papierkram erledigen, und was sonst noch dazugehört?“, fragte er eindringlich.

„Indem ich hart arbeite. Lange arbeite. Das meiste Backgeschäft erledige ich abends nach Ladenschluss. Das bedeutet lange Nächte. Aber manchmal geht es nicht anders.“

Brody sah die Anspannung in ihrem Gesicht, die Schatten unter ihren Augen, das Gewicht der Verantwortung auf ihren Schultern. Andrew hatte ihm erzählt, wie viel seine Schwester für den Laden geopfert hatte, wie viel er ihr bedeutete. Dass das Backen Kate schon immer glücklich gemacht hatte.

Andrew hatte Brody beauftragt, seine Schwester zu unterstützen und ihr dabei zu helfen, wieder glücklich zu werden. Hier war mehr gefragt als nur gute Ratschläge.

„Und wenn ich Ihnen helfe?“, bot Brody kurz entschlossen an.

„Sie?“ Kate lachte und ging durch den Raum, um in der Backstube das Licht anzuknipsen. „Haben Sie mir nicht erzählt, Sie hätten in der Küche zwei linke Hände?“

„Ja, aber ich kann präzise mit einer Waage umgehen“, pries er seine Vorteile an.

Er musste ihr helfen! Nicht nur, indem er Pralinen und Kuchen bei ihr kaufte. Dass er in eine weitere Filiale investierte, wollte sie nicht zulassen, und er hatte zu wenig Erfahrung, um ihr einfach eine zu kaufen. Aber vielleicht konnte er ihr doch die eine oder andere Tätigkeit abnehmen.

Er folgte ihr in die Backstube und versuchte weiter, sich als Helfer anzubieten.

„Bestimmt kann ich Mehl und Zucker abwiegen, und ich bin sicher nicht zu ungeschickt, um ein Backblech in den Ofen zu schieben. Meine Handschrift ist vielleicht nicht die Schönste von allen, aber … ich schaffe es bestimmt, einen Cupcake mit Zuckerblüten zu verzieren.“

„Ich bin Ihnen für das Angebot wirklich dankbar, Brody, aber Sie haben doch bestimmt mit Ihrer Praxis genug zu tun. Der Job als Hilfsbäcker ist nicht so einfach, wie man denkt. Ehrlich, ich komme allein klar.“

Sie nahm einen Bestellzettel und las ihn. Wahrscheinlich war es die Bestellung, die sie heute noch liefern musste. Womöglich in eine nicht besonders vertrauenerweckende Gegend, und das ganz unbegleitet.

Andrew hatte ihm gesagt, Kate würde zwar zäh wirken, aber im Grunde sehr sensibel sein. Man müsse sie beschützen. So wie er es sein Leben lang getan hatte.

Nun ist das meine Aufgabe, sagte Brody sich. Und am wichtigsten war im Augenblick, Kate die Arbeitslast zu erleichtern.

„Lassen Sie mich doch wenigstens jetzt mit der Zustellung helfen“, drängte er sie. „Wenn das klappt, kann ich Ihnen in der Backstube vielleicht auch zur Hand gehen.“

„Ich weiß nicht, ob …“

Er ließ sie nicht weiter zu Wort kommen. „Es wäre nur für wenige Tage, und ich arbeite gratis. Wir könnten gemeinsam den Hochzeitskuchen für meinen Bruder fabrizieren. Das würde mich zum Helden unter den Hochzeitsgästen machen. Bitte, Kate, lassen Sie mich helfen. Dann fühle ich mich einfach besser.“

„Warum?“ Eindringlich sah sie ihn mit ihren großen grünen Augen an.

„Weil Sie die Unterstützung brauchen, Kate. Und ich … brauche etwas, womit ich mich in meinen freien Stunden beschäftigen kann.“

„Warum?“, fragte sie nochmals.

Jetzt hätte er ihr eine witzig abwehrende Antwort geben können, zum Beispiel, dass er sich als Single fürchterlich langweilte und einfach nicht genug zu tun hatte. Aber er entschied sich für die Wahrheit. Nicht die ganze natürlich, doch mehr, als er bisher gestanden hatte.

„Ich habe ein bestimmtes Problem, das mich seelisch ziemlich belastet“, erklärte Brody. „Deshalb hätte ich gern eine Aufgabe, die mich ein wenig ablenkt, bis ich eine Möglichkeit gefunden habe, mit dem Problem umzugehen.“

Kate biss sich auf die Unterlippe und betrachtete ihn nachdenklich. „Einverstanden“, sagte sie schließlich. „Wir fangen mit der Lieferung an. Die ist einfach, weil wir nur diese Cupcakes“, sie wies auf einen Stapel mit Kuchenschachteln auf dem Regal, „zu einer Party hier in Newton bringen müssen.“

„Okay!“ Er nahm die Kartons, wobei er darauf achtete, sie ganz gerade zu halten, und folgte Kate nach draußen.

Der Lieferwagen stand hinter dem Geschäft. Sie öffnete die Tür, und Brody lud vorsichtig die Schachteln ins Innere.

„Ich möchte Sie darauf vorbereiten, dass es auf der Party hoch hergehen und ziemlich laut werden könnte“, warnte Kate ihn.

„Tatsächlich? Hier in Newton?“, hakte er überrascht nach, während sie den Laderaum des Van schloss und dann nach vorn ging.

„Ja. Sie werden ja sehen.“ Sie stieg auf der Fahrerseite ein.

Brody nahm auf dem Beifahrersitz Platz und beobachtete Kate unauffällig, wie sie den Wagen in Gang setzte und langsam zur Straße fuhr, wo der Verkehr noch ziemlich dicht war.

Nach einer Weile bogen sie auf den Parkplatz eines Gebäudes ein, auf dem ein Schild verkündete, dass es sich um die Seniorenresidenz Golden Age handelte.

„Hier geht es also bei Partys hoch her“, meinte Brody und zog spöttisch die Brauen hoch.

Kate lächelte nur. Sie hielt an und sagte, bevor sie ausstieg: „Sie haben hoffentlich Schuhe an, in denen Sie tanzen können.“

„Wieso denn das?“, fragte er verwundert, aber sie gab keine Erklärung ab.

Er nahm die Schachteln und folgte Kate nach drinnen. Im Foyer ertönte flotte Jazzmusik, und die Einrichtung war alles andere als spießig, vielmehr schlicht, modern und in angenehmen, fröhlichen Farben gehalten.

Eine zierliche grauhaarige Frau eilte ihnen entgegen und strahlte Kate an.

„Schön, dass Sie da sind! Die Leute wurden schon ein bisschen unruhig. Sie sind ein Engel, Kate.“

„Ach was. Ich helfe gern, Mrs. White“, wehrte Kate bescheiden ab.

„Sie wissen doch, wenn Sie mich mit Mrs. White anreden, komme ich mir alt wie meine eigene Großmutter vor. Nennen Sie mich doch Tabitha!“

„Ja gern. Wie hatte ich das nur vergessen können.“

„Vielleicht liegt es an Ihrem fortgeschrittenen Alter?“, meinte die alte Dame schelmisch und winkte ihnen, ihr in einen großen Raum zu folgen, der für eine Party hergerichtet war.

An der Decke drehte sich sogar eine Discokugel, die ihre glitzernden Reflexe an die Wände warf. Daran entlang waren die Sitzgelegenheiten aufgereiht, sodass in der Mitte eine Tanzfläche frei blieb, auf der sich die Senioren mit großem Vergnügen zu der flotten Tanzmusik bewegten, in Paaren oder auch allein. An der Schmalseite des Raums war ein kaltes Büfett aufgebaut, mit einem leeren Platz für die Cupcakes.

Ein großer Mann mit dichtem weißem Haar und funkelnden blauen Augen kam zu Kate und begrüßte sie freudig.

„Sie sind also hier, um mir den versprochenen Tanz zu schenken?“, fragte er.

„Ja, sicher.“ Sie stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Ich muss nur die Kuchen abstellen, Mr. Roberts, dann tanzen wir beide Tango!“

„Fein! Und wie ich sehe, haben Sie einen Tänzer für Mrs. White mitgebracht“, bemerkte der alte Herr und nickte Brody zu. „Ich wusste gar nicht, dass Sie noch einen Bruder haben, Kate.“

„Oh, er ist nicht mein Bruder“, verbesserte sie rasch.

„Ach so! Ein Verehrer?“ Mr. Roberts zwinkerte Brody zu. „Das ist schön. Sie verdienen jemand, der Sie gut behandelt. Das tun Sie ja hoffentlich, junger Mann!“

Brody suchte verzweifelt eine passende Antwort, und Kate kam ihm zu Hilfe.

„Brody ist nicht mein Verehrer“, erklärte sie unbefangen. „Nur ein Freund.“

Ein Freund. Diese Wortwahl war bekanntlich der Todesstoß für jede Hoffnung auf eine Liebesbeziehung.

Aber will ich denn überhaupt mehr? fragte sich Brody.

Autor

Carrie Alexander
Von Anfang an stand fest, dass Carrie Alexander einen kreativen Beruf ausüben würde. Bereits als Kind hatte sie eine überaus lebhafte Fantasie, dachte sich Geschichten aus und malte viel.

Schließlich wurde sie Bibliothekarin. Sie versuchte sich in ihrer Freizeit an Horrorgeschichten und malte in Öl. Damals entdeckte sie ihre erste...
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<p>Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
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