Cora Collection Band 44

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Oft schlagen die Herzen von Verliebten nicht gleich im selben Takt – was sich aber schnell ÄNDERN KANN!

GEHÖRT DEIN HERZ EINER ANDEREN? von MAGGIE COX
Bei ihren ersten Tönen weiß Jake, dass Caitlin die ideale Sängerin für seine Band ist. Und wenn er sich ihre Kurven ansieht, wäre sie auch ideal für ihn! Doch sie weist ihn ab – gehört ihr Herz einem anderen? Jake muss es herausfinden. Auch wenn er Caitlin dann verlieren könnte …

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  • Erscheinungstag 24.09.2021
  • Bandnummer 44
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502214
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maggie Cox, Kimberly van Meter, Kate Hoffmann

CORA COLLECTION BAND 44

1. KAPITEL

„Was denkst du?“, fragte Jake Sorenson. Enttäuscht schaute er zu seinem Partner Rick hoch, der entnervt auf der Bühne auf und ab tigerte. Das Casting lief alles andere als gut.

Rick blieb abrupt stehen und fuhr sich mit einer Hand ungeduldig durch das dicke blonde Haar. „Was glaubst du denn, was ich denke?“, erwiderte er gereizt. „Ich denke, dass Rosie Rhys-Jones, oder wie auch immer ihr Name lautet, einfach nicht gut genug ist. Natürlich ist es verdammt schwer, einen adäquaten Ersatz für Marcie zu finden, aber Rosie …“

„Josie.“

„Josie. Wie auch immer …“ Rick machte ein finsteres Gesicht, verschränkte die Arme über seiner schwarzen Lederweste und fuhr fort: „Die Frau wäre auf einem Kreuzfahrtschiff in Ordnung, wo sie Leute unterhält, die über mehr Geld als Geschmack verfügen, aber nicht als Leadsängerin einer Rockband. Ganz ehrlich? Keine der Kandidatinnen, die wir bis jetzt gehört haben, hat das Zeug, die Frontfrau einer so großartigen Band wie Blue Sky zu werden – oder siehst du das anders?“

Jake antwortete nicht, sondern starrte nur in die Ferne. Wenn er an die vergangenen Castings zurückdachte, dann konnte er nur zustimmen. Schließlich richtete er den Blick wieder auf seinen Freund. „Natürlich hast du recht. Wir müssen einfach weitersuchen.“

Jake führte seine Gedanken selten näher aus. Nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Zumal das letzte Wort ohnehin bei ihm lag. Zwar arbeitete Rick noch länger im Musikbusiness als er selbst – auf dem Höhepunkt seiner Karriere war Jake einer der erfolgreichsten Plattenproduzenten der Branche gewesen –, dennoch schätzte der Freund seine Fähigkeiten und sein Urteilsvermögen.

„Ist da draußen noch jemand?“ Gähnend stand Jake auf und streckte dabei die Arme über den Kopf. Durch die Bewegung rutschte sein Hemd ein Stück hoch und enthüllte seinen flachen, muskulösen Bauch.

Gleichzeitig sprang Rick von der Bühne, durchquerte den Saal und gesellte sich zu Jake. „Nicht, dass ich wüsste.“ Sein Gesichtsausdruck machte deutlich, was er davon hielt, ein Gesangscasting in einem obskuren Gemeindesaal im tiefsten ländlichen England abzuhalten. Jake wusste aber die Ungestörtheit zu schätzen, die sie hier genossen und die in London nicht so ohne Weiteres zu finden war.

Die Musik- und Boulevardpresse stürzte sich immer wie eine Hyäne auf alles, was er in Angriff nahm. Schließlich war er der Mann, der mehrere britische Bands zu internationalem Ruhm geführt hatte. Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er in einen schlimmen Skandal verwickelt worden, der seinem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg ein jähes Ende bereitet hatte.

Nach seinem öffentlichen Absturz hatte er seine Wunden geleckt, indem er sich aus dem Musikgeschäft zurückzog und mehrere Jahre durch die Welt reiste. Zu Beginn hätte er es für völlig ausgeschlossen gehalten, jemals wieder in diese Branche einzusteigen, doch während er reiste, lernte er die ethnischen Klänge anderer Völker kennen, und ihm wurde klar, dass er ohne Musik nicht leben konnte. Also kehrte er nach Großbritannien und zu seinen Wurzeln zurück.

Er hatte schon Bands gemanagt, lange, bevor er Produzent geworden war, und jetzt, nach fünfzehn Jahren im Geschäft, schloss sich der Kreis, denn nun war er Manager von Blue Sky.

Jake blickte auf seine Armbanduhr und zog eine Grimasse. „Wie auch immer, ich habe genug gehört, um zu wissen, dass wir unsere Sängerin noch nicht gefunden haben. Sollen wir für heute Schluss machen? Morgen früh kommt noch ein Mädel aus Birmingham, das ganz vielversprechend erscheint. Sie ist die Frontfrau einer Band, die sich in ihrer Heimatstadt eine ziemlich große Fangemeinde erspielt hat.“

Obwohl er sich bemühte, optimistisch zu klingen, wusste Jake, dass ihm seine Skepsis deutlich anzuhören war. Wonach er suchte – wonach sie alle suchten –, war jemand Außergewöhnliches, eine Sängerin, die aus der Masse herausstach. Die mit einer Band mithalten konnte, die kurz vor dem Durchbruch gestanden hatte, ehe Marcie sie abrupt verließ.

Es war eine Schande, dass die Frau kurz vor dem Ziel entschieden hatte, doch lieber ihre Jugendliebe zu heiraten, in die Dordogne zu ziehen und dort Wein anzubauen, anstatt mit einer Rockband auf Tour zu gehen. Doch wenn jemand noch ein Wunder bewirken konnte, dann war es Jake. Dazu musste er einfach nur eine umwerfende Sängerin finden.

Urplötzlich knallte mit voller Lautstärke eine Tür zu. Der halbe Raum schien dabei zu erzittern. Was zur Hölle …?

Jake war überrascht, als er den Eindringling sah. Groß, schlank und dunkelhaarig war die Frau, die mit dem Gürtel ihres Regenmantels kämpfte, der sich in der Hintertür des Gemeindesaals verfangen hatte. Sein faszinierter Blick wanderte von ihren schwarzen Wildlederstiefeln über die langen, schlanken Beine, die in schwarz schimmernden Strümpfen steckten. Für einen Moment war er von einem wohlgeformten Knie wie gebannt, denn dort hatten die Strümpfe ein kleines Loch, durch das zarte Haut schimmerte.

Kurz drehte Jake den Kopf und sah, dass Rick breit grinste. Und zwar nicht nur, weil die Frau sich eingeklemmt hat. Als sie es endlich geschafft hatte, ihren Gürtel zu befreien, den Kopf zu heben und mit einiger Verlegenheit eine Entschuldigung zu murmeln, blieb Jake im ersten Moment die Luft weg. Sie ist absolut atemberaubend. Selbst auf die Distanz konnte er erkennen, dass sie die grünsten Augen besaß, die er je gesehen hatte, und volle, sinnliche, kirschrote Lippen. Er spürte förmlich, wie allen Männern im Raum – neben ihm und Rick waren das die drei Musiker der Band – die Kinnlade nach unten klappte.

Rick war der Erste, der sich fing. „Hallo. Kann ich dir helfen?“, rief er fröhlich.

„Hier findet doch das Gesangscasting statt, oder?“

Die junge Frau blickte sich nervös um, registrierte die fünf Männer, die da standen, die Plastikstühle, die man gegen die Wand geschoben hatte, den staubigen Boden und den vergilbten Gipsputz an der Decke. Sie sah aus, als könne sie nicht recht fassen, wo sie hier gelandet war, und sie bewegte sich keinen Zentimeter von der Tür weg.

„Komme ich zu spät? Es tut mir leid, dass ich es nicht früher geschafft habe, aber ich war noch mit der Inventur beschäftigt.“

Es ist an der Zeit, das Heft in die Hand zu nehmen, dachte Jake leicht irritiert. Die Frau mochte ja nett anzusehen sein, aber wahrscheinlich würde er auch mit ihr nur seine Zeit verschwenden – Gott allein wusste, dass er in den vergangenen vier Tagen genug lausige Sängerinnen gehört hatte und es allmählich leid war.

Was das Ganze noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass er mit genau so einer Frau zusammengelebt hatte – und durch ihre rücksichtslose Sucht nach Ruhm und Geld in den Ruin getrieben worden war. Zumal sie für ihr Ziel bereit gewesen war, über Leichen zu gehen. Wie auch immer, die junge Frau vor ihm brachte vermutlich keinen geraden Ton heraus.

Dummerweise erwachte in Jake ein heißes Verlangen, als er seinen Blick über sie gleiten ließ. Es war so heftig, dass ihm beinah schwindlig wurde – ein eindeutiges Warnsignal, dass er sich von ihr fernhalten sollte. Egal, wie schwierig es sein mochte, einer solchen Schönheit zu widerstehen.

„Um ehrlich zu sein – Sie sind zu spät dran.“

Kaum ausgesprochen, strafte Jakes weiteres Verhalten seine Worte auch schon Lügen. Denn er konnte nicht anders, als auf diese verführerische Frau zuzugehen, und das Bedürfnis, sie schnellstmöglich loszuwerden, verflog schlagartig. Sein Instinkt sagte ihm, dass er sich die Chance nicht entgehen lassen durfte, ihre Schönheit zu bewundern. Immerhin schneite nicht jeden Tag ein leibhaftiger Engel in sein Leben.

„Was ich damit sagen will“, fuhr er fort, „ist, dass Sie für das heutige Casting zu spät dran sind, aber Sie können morgen wiederkommen, wenn Sie es wirklich ernst meinen. Falls nicht, kann ich mich nur für Ihr Interesse bedanken und Ihnen alles Gute wünschen.“

„Sie bezweifeln, ob ich es ernst meine? Warum sollte ich sonst hier sein?“

Es überraschte ihn, dass sie so zurückschoss. „Nun, wenn dem so ist, dann macht es Ihnen sicher nichts aus, morgen erneut zu erscheinen, oder?“, entgegnete Jake trocken. „Wir sind alle schon seit heute früh dran und können eine Pause gebrauchen.“

Er sah, wie sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr schob und gleich wieder löste, so, als wisse sie nicht, was sie als Nächstes tun sollte.

„Ich hatte wirklich gehofft, dass Sie mich heute Abend noch anhören können. Die Sache ist nämlich die: Ich habe morgen leider keine Zeit.“

Da er sich nicht von ihrem engelsgleichen Gesicht und ihren grünen Augen bezirzen lassen wollte, ermahnte Jake sich, nicht nachzugeben. Dennoch hörte er sich selbst fragen: „Wie ist Ihr Name?“

„Ich heiße Caitlin. Caitlin Ryan.“

„Nun, Caitlin …“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und ließ seinen Blick interessiert über ihre Figur wandern – einfach weil es zu verführerisch war, es nicht zu tun. „Wie ich bereits sagte: Wenn Sie es ernst meinen, kommen Sie morgen wieder. Sollen wir gegen halb zwölf sagen?“

„Es tut mir leid …“ Sie wirkte verlegen. „Ich möchte ganz sicher keine Umstände bereiten, aber morgen kann ich einfach nicht. Einer engen Freundin – der Besitzerin des Ladens, in dem ich arbeite – werden morgen die Weisheitszähne entfernt, und ich bin die Einzige, die im Geschäft für sie einspringen kann.“

Jake bekämpfte den Drang, laut loszulachen. Er hätte ja mit allem gerechnet, nur nicht mit dieser Erklärung. Einer Freundin wurden die Weisheitszähne gezogen!

Er hörte beinahe, wie Rick sich hinter ihm das Lachen verbiss. Mist. Es war verdammt schwierig, dieser Schönheit etwas abzuschlagen, wenn sie ihn wie ein unschuldiges kleines Mädchen anstarrte.

„Nun hab dich nicht so, Jake“, sagte Rick und legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. „Die Band ist noch da, die Instrumente sind angeschlossen – was haben wir zu verlieren?“

Ich meinen Verstand, dachte Jake mit unguter Vorahnung. Wenn Caitlin Ryan jetzt schon völlig verloren wirkte, wo er noch keinen Ton von ihr gehört hatte, wie würde sie dann erst ausschauen, wenn er ihr sagte, dass sie ihren Job besser nicht aufgeben sollte.

Er seufzte entnervt, fuhr sich mit den Fingern durch das dichte dunkle Haar und starrte sie an.

„Okay“, erwiderte er resigniert. „Ich gebe Ihnen zehn Minuten, um mir zu zeigen, was Sie drauf haben.“ Oder eher, was Sie nicht drauf haben. Er würde nicht so tun, als hätte er allzu große Erwartungen.

Caitlins Herz schlug wie verrückt. Okay, ich schaffe das, redete sie sich gut zu. Das Singen ist meine zweite Natur.

Leider zeigte ihr Versuch, sich Mut zu machen, keinerlei Wirkung. Nervös ging sie auf die Bühne zu. Die drei jungen Männer, die dort bereits versammelt waren, kehrten lässig an ihre Instrumente zurück. Caitlin fragte sich, wie viele Sängerinnen sie schon gecastet hatten – besonders beeindruckt wirkten sie jedenfalls nicht.

Als Erster stellte sich der Gitarrist vor. Sein Name war Mike. Mit ausgestreckter Hand half er ihr die letzte Stufe zur Bühne hinauf. Er hatte ein offenes, freundliches Gesicht, ganz anders als Kapitän Ahab da unten, der so aussah, als würde er ihr lieber den Hals umdrehen, bevor er auch nur ein Lächeln an eine Frau verschwendete, die ihm offensichtlich nur seine Zeit stahl.

Oh Gott, warum bin ich bloß auf die Idee gekommen, bei diesem Casting mitzumachen? Nur weil sie Spaß am Singen hatte, hieß das doch noch lange nicht, dass sie genug Talent besaß, um mit einer professionellen Rockband aufzutreten …

„Ich bin übrigens Rick. Der Typ, der dir gesagt hat, dass du morgen wiederkommen sollst, ist der Oberboss. Willst du deinen Mantel nicht ausziehen?“

Der Mann, der seinen Chef überzeugt hatte, ihr eine Chance zu geben, stand am Fuß der Bühne und zwinkerte ihr mit seinen haselnussbraunen Augen verschwörerisch zu. Es war ein himmelweiter Unterschied zu dem Empfang, den ihr sein Kollege mit dem versteinerten Gesicht bereitet hatte.

Während sich sein finster dreinblickender Freund im Hintergrund hielt, fiel ihr auf, dass er sie anstarrte, so als wolle er sagen: Dein Vortrag muss schon verdammt außergewöhnlich sein, wenn du mich beeindrucken willst.

„Ich würde ihn lieber anlassen“, antwortete sie Rick. „Mir ist ein bisschen kalt.“

Sie legte ihre Hand um das Mikro, so als brauche sie etwas, woran sie sich festhalten könne. Warum in aller Welt habe ich nur diesen kurzen Rock angezogen? Weil ihre Freundin Lia gesagt hatte, dass sie sich Mühe geben solle, „hübsch auszusehen“, deshalb. Caitlin hätte bei ihrem üblichen Outfit aus Jeans und T-Shirt bleiben sollen.

Rick hob die Stimme, damit sie ihn auch gut hören konnte. „Was willst du für uns singen?“

Caitlin sagte es ihm. Es war ein Song, den man in den Annalen der Rockgeschichte als Klassiker bezeichnen würde. Auch wenn er einen treibenden, groovigen Beat hatte, lagen in den Lyrics Leidenschaft und Pathos. Sie liebte diesen Song.

„Eine gute Wahl.“

Zu dumm, dass sein Lob sie erröten ließ. Rasch drehte sich Caitlin zur Band herum, damit er nicht sah, wie ihre Wangen Farbe annahmen. „Ist das für euch in Ordnung?“, fragte sie.

Der blonde Schlagzeuger, der sich als Steve Bridges vorgestellt hatte, antwortete, indem er einen zustimmenden Trommelwirbel ertönen ließ, und der kräftige schottische Bassist, dessen Name Keith Ferguson war, spielte ein paar Akkorde auf seinem Instrument.

„Dann wollen wir es mal krachen lassen, oder?“ Rick grinste sie spöttisch an. „Die Bühne gehört ganz dir. Rock it, baby!

Ich schaffe das, redete sich Caitlin noch mal gut zu, während sie darauf wartete, dass die Band loslegte.

Für ein paar Sekunden kniff sie die Augen fest zusammen. Wenn sie nicht das letzte Quäntchen Mut verlieren wollte, schaute sie besser nicht zu Mr. Groß, Dunkel, Einschüchternd. Gott sei Dank verschwand ihre Furcht, als die ersten Akkorde erklangen. Schlagartig setzte ihre Freude am Singen ein.

Dieses spezielle Stück kannte sie in- und auswendig. Was sie den Männern im Saal gegenüber jedoch nicht zugeben würde, war die Tatsache, dass sie es bislang nur unter der Dusche oder in ihrem Schlafzimmer gesungen hatte. Ach ja, und einmal für Lia. Caitlin wartete auf ihren Einsatz, dann öffnete sie den Mund und begann zu singen.

Jake durchzuckte es wie ein Blitz. Sein Magen zog sich heftig zusammen, während er von schockartiger Begeisterung erfasst wurde. Er hörte der rauchigen Samtstimme zu, die von der schwarzhaarigen Schönheit auf der Bühne kam, und wusste, dass er auf pures Gold gestoßen war. Er hätte sie den Song nicht mal zu Ende singen lassen müssen, um das zu erkennen, aber natürlich würde er sie nicht unterbrechen.

Caitlins einmalige Stimme verschmolz mit dem fantastischen Sound der Band, als wären sie füreinander gemacht. Ihre Leistung war schlicht atemberaubend … sie zwang ihn förmlich in die Knie.

Jake sah, wie sich die Bandmitglieder angrinsten, und er sah auch, wie Rick lautlos das Wort „Heureka!“ murmelte, als er sich zu seinem Freund umdrehte und mit dem Daumen nach oben zeigte. In den vergangenen vier Tagen hatte Jake nicht eine Kandidatin gehört, die auch nur annähernd über Caitlin Ryans Talent verfügte. Zur Hölle … in den ganzen vergangenen Jahren hatte er keine Sängerin gehört, die in ihrer Liga spielte. Die Frau interpretierte den Song, als wäre sie nur dafür geboren. Verdammt.

Plötzlich spürte Jake, wie ihn Erregung erfasste. Wenn er wirklich für etwas brannte, konnte er vierundzwanzig Stunden am Tag ohne Pause arbeiten, und das würde er nur allzu bereitwillig tun, um diese Band zum Erfolg zu führen. Allerdings verlangte er von allen Beteiligten, dass sie genau denselben Einsatz zeigten.

Als die letzten Töne verklangen, atmete Caitlin erleichtert aus. Dann ließ sie widerwillig das Mikro los.

Hinter ihr pfiff Steve Bridges anerkennend durch die Zähne. „Das war unglaublich. Du hast es wirklich drauf!“

Das Kompliment ließ sie schon wieder erröten. Noch dazu stellte sie überrascht fest, dass die zwei Männer, die sie beobachtet hatten, plötzlich auf die Bühne sprangen.

„In welchen anderen Bands haben Sie gesungen?“, fragte Jake, der sie als Einziger siezte.

Caitlin blickte in seine faszinierenden Augen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. „Ich … ich habe in gar keinen anderen Bands gesungen“, gab sie leise zu.

„Du machst Witze.“ Rick wirkte völlig fassungslos.

„Nein, ich habe immer nur zu meinem eigenen Vergnügen gesungen, und weil ich einfach nicht anders kann. Ich liebe Musik. Das ist meine große Leidenschaft.“

Erneut zog sich Jakes Magen heftig zusammen. Ja, sie ging mit viel Leidenschaft an die Sache heran, das konnte er sehen. Es war der große Unterschied zwischen ihr und all den anderen Möchtegern-Sängerinnen, die man schon vergessen hatte, kaum dass der Song beendet war.

„Sie haben also noch niemals professionell gesungen?“, hakte er nach.

„Nein.“ Ihre großen grünen Augen wirkten völlig unschuldig.

„Und womit verdienen Sie dann Ihren Lebensunterhalt?“

„Ich arbeite in einem Geschäft. Erinnern Sie sich daran, dass ich sagte, ich müsse die Ladenbesitzerin vertreten?“

„Und wo ist dieses Geschäft?“

„Hier im Dorf natürlich.“

Jake war total verblüfft. Sie hatten Sängerinnen aus ganz Großbritannien gehört, und diese junge Frau – dieser unglaubliche Schatz – kam direkt aus dem Dorf, in dem sie das Casting abhielten. Das würde ihnen niemand glauben.

Rick lachte prompt laut auf und schlug sich dabei auf den Oberschenkel. „Na, wenn das nicht wirklich der Hammer ist! Du willst uns also sagen, dass wir uns seit vier Tagen die Haare raufen, weil wir keine geeignete Sängerin finden, und in der ganzen Zeit warst du hier?“

„Ich habe erst heute von dem Casting erfahren, als ich das Plakat in der Post sah. Ich konnte es gar nicht glauben. Normalerweise passiert im Dorf nie etwas Aufregendes.“ Sie strich sich eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr und lächelte unsicher. „Wie auch immer … vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Egal, was passiert, ich habe es sehr genossen.“

Sie wandte sich ab, um die Treppe hinunterzugehen, doch Jake hob die Hand und schaute Caitlin irritiert an.

„Wo wollen Sie hin?“

„Ich muss zurück zur Arbeit. Ich habe Ihnen doch gesagt – wir machen gerade Inventur. Das geht wahrscheinlich noch die halbe Nacht.“

„Wollen Sie in dieser Band singen oder nicht?“, entgegnete Jake schroff, der kaum glauben konnte, was er da hörte.

„Was …? Wollen Sie damit sagen, dass …?“

Ihr erstaunter Gesichtsausdruck hätte geradezu komisch gewirkt, wenn Jake nach Lachen zumute gewesen wäre – was definitiv nicht der Fall war.

„Angesichts der fantastischen Kostprobe Ihres Könnens, die Sie gerade abgeliefert haben, wäre ich wohl verrückt, Ihnen die Chance nicht zu bieten. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass Sie genau die sind, nach der wir suchen.“ Er sah sie eindringlich an. „Aber auch wenn wir Sie aufnehmen, ist Ihnen hoffentlich klar, dass eine Menge Arbeit vor uns liegt? Sie können vielleicht singen, Caitlin, aber Sie müssen noch verdammt viel lernen, ehe wir Sie auf die Bühne loslassen können. Haben Sie wirklich noch nie professionell gesungen?“

Er glaubt mir nicht. Caitlin wusste instinktiv, dass die Beziehung zu diesem Mann schwierig werden würde. „Ich war drei Jahre lang in einer Schulband. Hin und wieder spiele ich Klavier und Gitarre.“

Rick hob die Augenbrauen. „Du bist also auch Musikerin?“

„Ja, das heißt, ich kann Noten lesen und spiele ein bisschen. Ich übe, sooft ich kann … zumindest auf der Gitarre. Ich habe leider kein Klavier mehr.“

Kein Wunder, dass sie instinktiv wusste, wann sie einsetzen musste, dachte Jake. Er sah seine Überraschung gespiegelt, als er einen Blick zu Rick hinüberwarf.

Sweetheart, was mich angeht, bin ich felsenfest überzeugt, dass du die richtige Sängerin für die Band bist.“ Der Amerikaner lächelte und schüttelte begeistert Caitlins Hand. „Mein voller Name lautet übrigens Rick Young – ich bin das Mädchen für alles. Das heißt, ich organisiere die Gigs, sorge dafür, dass die Band rechtzeitig auftaucht, und sammle die Gage am Ende des Konzerts ein. Der Mann hier neben dir mit dem Pokerface ist Jake Sorenson – ein sehr bekannter Plattenproduzent und Manager der Band. Du musst von ihm gehört haben? Wie auch immer, er wird uns eines Tages alle so reich machen, wie er selbst es längst ist. Darauf kannst du wetten. Wenn jemand Wunder bewirken kann, dann Jake. Er sollte einen Ehrenplatz in der Rock and Roll Hall of Fame, dem Museum in Cleveland, bekommen.“

„Sehr witzig.“

Jake reichte Caitlin nicht die Hand. Im Moment hatte er das Gefühl, dass er diese Frau nicht mehr loslassen würde, wenn er es tat. Er musste professionellen Abstand wahren, wenn das hier funktionieren sollte.

Als die Band sie beglückwünschte und willkommen hieß, sah er, dass ihre Freude echt war. Er bemerkte auch, wie ihr zauberhaftes Gesicht strahlte.

„Kommen Sie mit in mein Büro, Caitlin“, forderte er sie auf. „Wir müssen uns ungestört unterhalten.“

Jake verließ die Bühne und durchquerte den Saal, wobei seine Stiefelabsätze bei jedem Schritt laut auf dem Boden aufschlugen.

Nachdem er Caitlin die Treppe hinuntergeholfen hatte, beeilte Rick sich, seinen rätselhaften Boss einzuholen. „Hey, willst du mich nicht dabeihaben?“, rief er.

Jake schüttelte den Kopf. „Im Moment nicht, mein Freund. Wir haben später noch genug Zeit, den Terminplan für die Proben durchzugehen. Morgen Nachmittag halten wir ein Bandmeeting ab, da können wir alles besprechen. Jetzt möchte ich mich mit Caitlin unter vier Augen unterhalten.“

Damit wandte er sich ab und öffnete die Tür zu seinem Büro.

Caitlin folgte ihm mit einer Mischung aus Aufregung und Furcht. Das Ganze fühlte sich völlig surreal an. Der Raum, den der charismatische Bandmanager als Büro nutzte, war nicht viel größer als eine Besenkammer. Er war lediglich mit zwei grauen Plastikstühlen möbliert und einer hochkant gestellten Orangenkiste, die als Tischersatz fungierte.

„Nehmen Sie Platz“, sagte Jake.

Caitlin tat wie geheißen. Als sie saß, presste sie die Knie zusammen, zupfte ihren Mantel zurecht und wartete voller Nervosität darauf, dass Jake weitersprechen würde.

„Sie haben mir bereits gesagt, dass Sie einen Job haben. Ich nehme an, es ist eine Vollzeitstelle?“ Er öffnete ein schwarzes Notizbuch, das auf dem provisorischen Tisch lag, und begann zu schreiben.

„Ja.“

„Sie sagten, Sie arbeiten in einem Geschäft? Welche Art Geschäft?“ Jake hob den Kopf und fesselte sie mit dem Blick seiner stahlblauen Augen an den Stuhl.

„Der Laden heißt Morgana“, antwortete sie. „Er ist auf Esoterikbücher und Selbsthilferatgeber spezialisiert. Aber wir verkaufen auch Räucherstäbchen, Indianerschmuck, spirituelle Musik und Kristalle.“

Und ich arbeite wirklich verdammt gern dort, dachte sie.

„Ihnen muss klar sein, dass Sie nicht mehr täglich acht Stunden in einem Geschäft arbeiten können, wenn Sie in dieser Band singen wollen?“

Jake ließ sie nicht eine Sekunde aus den Augen. Sein unverwandter Blick schnürte ihr die Kehle zu.

„Die Proben beginnen morgen Nachmittag und dauern drei Wochen. Dann wird die Band erstmals öffentlich auftreten. Danach gehen wir auf eine dreiwöchige Tournee. Sind Sie bereit, sich diesem Zeitplan zu unterwerfen, Caitlin?“

„Ich habe noch gar nicht über das Casting hinausgedacht“, gab sie ehrlich zu, „aber mir ist klar, dass die Sängerin von Blue Sky regelmäßige Gigs spielen und auf Tournee gehen muss. Insofern, ja, Mr. Sorenson, ich bin dazu bereit. Ich habe mir noch nie etwas sehnlicher gewünscht.“

„Und Sie sind bereit, Ihren derzeitigen Job aufzugeben?“

„Natürlich.“

Obwohl sie keine Sekunde gezögert hätte, entging Jake nicht die kleine Falte, die sich plötzlich zwischen ihren eleganten Augenbrauen abzeichnete.

„Beunruhigt Sie das?“

Sie hob das Kinn, fest entschlossen, seinem Blick nicht auszuweichen.

„Ich gebe zu, dass es ein wenig beängstigend ist, etwas zu verlassen, was mir so vertraut ist, aber ich will mich der Herausforderung stellen. Vor allem, wenn es mir hilft, meinen Traum zu verwirklichen, eine professionelle Sängerin zu werden. Außerdem … Veränderung ist unvermeidbar, nicht wahr? Nichts bleibt auf ewig so, wie es ist.“

„Es besteht kein Grund, Angst davor zu haben. Ich erwarte nicht, dass Sie den Vertrag noch heute Abend unterschreiben“, entgegnete er. „Aber ich werde auch nicht zulassen, dass Sie Ihre Meinung ändern. Wenn ich etwas will, Caitlin, dann ruhe ich nicht eher, bis ich es erreicht habe. Kommen Sie morgen um fünf wieder. Wir werden bis spät in die Nacht proben. Sind wir uns einig?“

Sie biss sich auf die Lippe. „Ja – sind wir. Aber können wir Viertel vor sechs sagen? Ich muss den Laden um halb sechs schließen. Ich verspreche, dass ich keine Minute später komme.“

„Also gut, dann Viertel vor sechs. Und ehe Sie gehen, geben Sie mir besser Ihre Adresse und Ihre Mobilnummer – nur für den Fall der Fälle.“

Caitlin gab ihm beides und beobachtete, wie er die Infos in sein Notizbuch schrieb. Dann warf er den Kugelschreiber auf die Kiste und stand auf. Sie folgte seinem Beispiel, wobei ihr Herz erneut wie verrückt pochte – er war so groß und dominant. Sie maß einsfünfundsiebzig, dennoch überragte er sie mindestens um einen Kopf. Plötzlich wirkte der Raum viel zu klein.

Mit zitternden Fingern schloss sie ein paar Mantelknöpfe und versuchte sich an einem zaghaften Lächeln. „Dann sehen wir uns morgen, Mr …?“

„Sie können mich Jake nennen“, fiel er ihr ins Wort.

Zu ihrer Überraschung erschien wie von Zauberhand ein sexy Grübchen neben seinem sinnlichen Mund. Caitlins Inneres krampfte sich zusammen.

„Okay.“

„Nur noch eins, bevor Sie gehen.“

„Ja?“

„Ich erkläre Ihnen besser die wichtigsten Regeln. Keine Verbrüderungen mit Bandmitgliedern tief in der Nacht – und damit meine ich jetzt nicht ein paar Drinks Backstage nach dem Gig. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“

Caitlin wurde flammend rot. Sie versuchte krampfhaft, seinem Blick auszuweichen. Wenn er ernsthaft meinte, dass sie … Natürlich konnte er nicht wissen, dass sie den Männern für immer und ewig abgeschworen hatte. Nach allem, was ihr Exfreund Sean ihr angetan hatte, würde sie eher im Pelzmantel die Sahara durchqueren, als sich auf eine weitere destruktive Beziehung einzulassen … egal, wie kurz.

„Ich möchte einfach nur singen. Alles andere interessiert mich nicht. Das kann ich Ihnen versichern.“

Jake fragte sich sofort, warum dem so war. Er hatte Schmerz und Zorn in ihren wundervollen grünen Augen aufflackern sehen.

Er seufzte. „Also gut. Dann ist da nur noch eins.“

„Und das wäre?“

Diesmal schaute sie ihn trotzig an, so als solle er es bloß nicht wagen, noch einmal in ihre Privatsphäre einzudringen.

Jake lächelte. „Ich würde ernsthaft darüber nachdenken, in ein neues Paar Strümpfe zu investieren, wenn ich Sie wäre.“

„Woher wissen Sie, dass es …?“

„Halterlose Strümpfe sind und keine Strumpfhose?“ Er grinste sie unverschämt an. „Sagen wir mal, langjährige Erfahrung …“, gab er betont lässig zurück, weil er sich ziemlich sicher war, dass sie ihm eine Ohrfeige verpassen würde, wenn er gestand, dass er einen verführerischen Blick auf die Strumpfenden erhascht hatte, als Caitlin Platz genommen hatte.

Caitlin musste sich daran erinnern zu atmen. Vor lauter Verlegenheit platzte sie heraus: „Das Dumme ist, dass ich mir immer entweder ein Loch oder eine Laufmasche reiße. Sie sind einfach nicht praktisch. Normalerweise trage ich Jeans.“

„Glauben Sie mir …“, Jake senkte die Stimme, sodass sie herrlich rau und sexy klang, „… halterlose Strümpfe sind besser …“

2. KAPITEL

Die Türglocke läutete, und die Windlichter, die von der violett gestrichenen Decke hingen, klimperten hübsch in dem Luftzug, der entstand. Caitlin ging davon aus, dass Nicky, die Aushilfe, den Kunden bedienen würde, doch die junge Frau schien gerade auf der Toilette zu sein.

Caitlin seufzte leise, blickte sich aber nicht um, da Nicky sicher gleich auftauchen würde. Deshalb schrubbte sie weiter an dem besonders hartnäckigen Fleck herum, den sie auf dem untersten Boden des momentan leer geräumten Regals entdeckt hatte.

„Hallo.“

Caitlin erstarrte, als sie die tiefe, rauchige Stimme erkannte. Immer noch angespannt, drehte sie den Kopf und begegnete Jake Sorensons eindeutig amüsiertem Blick. War es tatsächlich erst einen Tag her, dass sie ihn gesehen hatte? Konnte sie wirklich schon vergessen haben, wie gefährlich attraktiv der Mann war und wie sehr er sie verunsicherte?

Sie ließ den Lappen auf dem Regalbrett liegen und erhob sich rasch. Dabei lösten sich ein paar Strähnen ihres glänzenden schwarzen Haars aus dem Pferdeschwanz und fielen über ihre erhitzten Wangen. Noch dazu hatte sie ein bisschen Staub auf der Nase. Nur mit Mühe brachte sie eine Begrüßung zustande.

„Hallo. Tut mir leid, aber Sie haben mich in einem etwas ungünstigen Augenblick erwischt. Ich habe gerade …“

„Lassen Sie mich raten … Inventur gemacht?“, sprach er ihren Satz zu Ende.

Caitlin schluckte. Der Mann hätte ihr eine technische Gebrauchsanweisung vorlesen können, und sie hätte es erotisch gefunden. „Ich habe gerade geputzt, nur geputzt. Die Inventur war gestern.“

„Schön, dass Sie sich jeder Aufgabe mit solcher Hingabe widmen“, erwiderte er lächelnd und blickte sich dann in dem Raum um. „Interessanter Laden“, bemerkte er und studierte die Titel einiger Bücher im Regal. Neben weiteren Esoterik-Titeln entdeckte er eines, das Lebe dein Schicksal hieß, und lächelte erneut. Er kannte eine Menge Hippies, die dieses Zeug liebten. Als er aufblickte, registrierte er die zahlreichen Windlichter, die an der Decke hingen, und die Musik, die von einem amerikanischen Indianerstamm kommen musste, sorgte für eine entspannte Atmosphäre. Doch so vielseitig die Ladeneinrichtung auch war, er interessierte sich weit mehr für Caitlin.

Sie trug eine Jeans und ein rotes T-Shirt, das sich wie eine zweite Haut um ihren Körper schmiegte. Allein der Anblick löste Verlangen in ihm aus. Ein so spontanes Verlangen, dass er sofort auf der Hut war. Vor dieser grünäugigen Verführerin musste er sich in Acht nehmen.

„Das Geschäft gehört meiner Freundin Lia“, sagte sie. „Wenn sie heute nicht in der Zahnklinik wäre, würde ich sie Ihnen vorstellen.“ Ihr Blick wanderte automatisch zur Kasse hinüber, wo natürlich nichts von der kleinen, zierlichen Blondine mit den sanften braunen Augen zu sehen war.

Nicky scheint in die Toilette gefallen zu sein, dachte Caitlin und wünschte, das Mädel hätte sich einen anderen Moment dafür ausgesucht. Was für ein Pech! Wenn Nicky da gewesen wäre, hätte sie Jake an die Aushilfe verweisen können. Andererseits war er sicher nicht hier, um etwas zu kaufen …

„Wie auch immer, was kann ich für Sie tun?“, fragte sie.

Jake schaute sie etwas zerstreut an. Du hast keine Ahnung, was mir da alles einfallen würde, schoss es ihm durch den Kopf, ehe er sich innerlich zur Ordnung rief. Was war nur mit ihm los, um Himmels willen? Er hatte einen guten Grund, ihre neue Sängerin aufzusuchen, und nun stand er vor ihr und starrte sie an wie ein hormongeplagter Teenager, der ihre Nähe suchte. Die Erkenntnis war ziemlich ernüchternd.

„Was die Probe heute Abend angeht“, begann er, „wollte ich Ihnen nur sagen, dass es sehr spät werden kann – vielleicht proben wir bis in die frühen Morgenstunden. Wenn Sie einen Freund haben, hoffe ich, dass er verständnisvoll ist. Falls nicht, haben wir ein Problem.“

„Es gibt keinen Freund.“

„Gut.“

Caitlin runzelte die Stirn. Kurz strich sie sich mit den Händen über die nackten Arme, dann schaute sie wieder in Jakes faszinierende blaue Augen. Der Mann hatte einfach eine wahnsinnig sinnliche Ausstrahlung. Sie musste aufpassen. Doch es war nicht nur sein gutes Aussehen, auf das sie ansprang. Wenn Jake Sorenson sagte, dass es heute spät werden könne, dann meinte er es sicherlich auch so.

Was, wenn ich einen schrecklichen Fehler begehe? verfiel sie plötzlich in Panik. Was, wenn ich einfach nicht das Zeug zur professionellen Sängerin habe?

Es war, als könne er Gedanken lesen. „Jetzt schauen Sie nicht so ängstlich“, sagte er belustigt. „Ich verspreche, dass ich Ihnen beim ersten Mal nicht zu viel zumuten werde. Aber danach müssen Sie mit dem, was ich fordere, genauso klarkommen wie die anderen. Jeder, der einen Traum verfolgt, muss Opfer bringen, und die Musikbranche ist ein hartes Geschäft, Caitlin. In den vergangenen zwei Jahren hat Blue Sky im ganzen Land gespielt, hat versucht, sich zu etablieren. Die Band hat sich dabei eine ganze Reihe treuer Fans erspielt. Als ihre Sängerin Marcie gegangen ist, war das ein großer Schock. Mehr als das. Es war eine Art Verrat. Ich schulde es dem Rest der Band, mein Versprechen einzuhalten und sie an die Spitze zu bringen. Und glauben Sie mir, genau das werde ich tun.“ Er lächelte sie an. „Und jetzt kommen Sie her.“

Ehe sie auch nur ahnen konnte, was er vorhatte, zog er sie auch schon in seine Richtung und wischte ihr den Staub von der Nase. Sofort wurden ihre Sinne von seinem Duft bombardiert – eine verführerische Mischung aus Leder und seinem ganz individuellen frischen Geruch.

„Danke. Wahrscheinlich bin ich von oben bis unten mit Staub bedeckt und sehe schrecklich aus, nicht wahr?“, bemerkte sie nervös.

Die Worte waren raus, ehe sie es verhindern konnte. Caitlin hätte sich in den Hintern beißen können, denn jetzt musste Jake ja denken, dass sie es auf ein Kompliment abgesehen hatte.

Doch er lächelte nur leicht, sagte aber nichts. Stattdessen ging er zur Tür, öffnete sie und drehte sich nur noch einmal kurz um. „Wir sehen uns heute Abend. Viertel vor sechs. Kommen Sie nicht zu spät.“

Dann trat er auf den Bürgersteig, und Caitlin hatte das unbestimmte Gefühl, zurückgelassen worden zu sein. Oder vielmehr fühlte sie sich beraubt – so als hätte er einen wichtigen Teil von ihr mitgenommen.

Dass sie zu spät war, obwohl es dafür einen guten Grund gab, machte Caitlin furchtbar wütend auf sich selbst. Als sie den Wagen auf dem Kiesweg vor dem viktorianischen Gemeindesaal parkte, warf sie einen ängstlichen Blick auf die Uhr. Viertel nach sechs … Sie war nicht einfach nur zu spät – sie war extrem zu spät. Aber wie hätte sie auch ahnen sollen, dass genau eine Minute vor Ladenschluss noch eine Kundin hereinkommen würde? Sie hatte die junge Frau schlecht wegschicken können – schon gar nicht, als sie Caitlin tränenreich erzählte, dass sie sich gerade von ihrem Freund getrennt und jemand ihr empfohlen hatte, Rosenquarz zur Linderung des Schmerzes zu besorgen.

Caitlin sammelte all ihren Mut, stieg aus dem Wagen und öffnete die Tür zum Gemeindesaal. Die Deckenbeleuchtung war gedimmt, wie sie bemerkte. Die drei Bandmitglieder probten bereits, während Rick Young sich wie aus dem Nichts vor ihr aufbaute. Trotz seines ernsten Gesichtsausdrucks nahm sie wahr, dass er ihr zuzwinkerte.

„Du bist ganz schön spät, hübsche Dame. Kein guter Start. Ich wollte dich nur vorwarnen.“

Er deutete mit dem Kinn auf Jake, der bereits von der Bühne sprang und mit langen Schritten auf sie zukam. Man musste keine Intelligenzbestie sein, um zu sehen, dass er vor Wut kochte. Großartig!

Caitlin krampfte die Finger um die Autoschlüssel und hielt sie fest.

„Es tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich habe noch …“

„Was habe ich zuletzt zu Ihnen gesagt?“, blaffte er sie an.

Überrascht schaute Caitlin zu Rick hinüber. Der wirkte, als habe er ähnliche Szenen schon mehr als einmal erlebt.

„Dass ich mich nicht verspäten soll?“, murmelte sie kleinlaut.

„Und habe ich Ihnen nicht auch gesagt, dass Sie um Viertel vor sechs hier sein sollen? Jetzt ist es zwanzig nach sechs. Sie sind fünfunddreißig Minuten zu spät. Das ist nicht hinnehmbar, Caitlin. Ganz und gar nicht hinnehmbar.“

„Eine Kundin kam in den Laden, als ich gerade abschließen wollte …“, sprudelte sie hervor und umklammerte die Autoschlüssel noch fester.

„Und diese Kundin konnten Sie nicht wegschicken und ihr sagen, dass sie morgen wiederkommen soll?“, fuhr er sie an.

Caitlin sah ihn beleidigt an.

„Ich schicke Kunden niemals weg. Die Menschen kommen nicht einfach nur in unseren Laden, um etwas zu kaufen, Mr. Sorenson. Viele von ihnen suchen eine Art Heilung. Die junge Frau, die kam, war verzweifelt. Sie hatte sich gerade von ihrem langjährigen Partner getrennt und suchte nach etwas, das ihren Liebeskummer linderte. In so einer Situation sage ich ihr bestimmt nicht, sie solle morgen wiederkommen.“

Jake war so überrascht von der Antwort, dass sein Zorn schlagartig verflog. Er holte tief Luft und schüttelte den Kopf. „Also gut, wir haben ohnehin schon genug Zeit verschwendet“, knurrte er. „Ziehen Sie Ihren Mantel aus, und gehen Sie auf die Bühne. Wir haben noch eine Menge vor uns. Es kann gut sein, dass wir bis zum Frühstück hier sind – nur damit Sie vorgewarnt sind.“

Rasch folgte Caitlin seiner Anweisung und entschuldigte sich bei den anderen Bandmitgliedern für ihre Verspätung. Als sie sah, dass Jakes Aufmerksamkeit gerade von Rick in Anspruch genommen wurde, begann sie mit ihnen ein lebhaftes Gespräch über Musik. Schrieben sie all ihre Songs selbst? Oder spielten sie auch Coverstücke? Und hatten sie eine Playlist für die heutige Probe, die sie sich anschauen konnte?

„Caitlin?“

Als sie ihren Namen hörte, wirbelte sie herum und kreuzte die Arme über dem blauen Männerhemd, das sie angezogen hatte, weil ihr rotes T-Shirt viel zu freizügig war. Natürlich schaute sie schon wieder in dieses Paar strahlend blauer Augen. Sofort bekam sie einen ganz trockenen Mund. Jake reichte ihr ein Blatt Papier mit Noten und Text. Caitlin nahm es wortlos entgegen und blickte auf den Titel. Es war ein weiterer großer Rockklassiker, den sie nur zu gut kannte.

Der Text war leidenschaftlich und herzzerreißend. Als sie sich den Song selbst beigebracht hatte, waren all ihre enttäuschten Gefühle in den Gesang geflossen.

Rasch überflog sie das Arrangement, wobei ihr Herz nervös pochte. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, der Band und ihrem fordernden Manager zu beweisen, dass sie liefern konnte, was sie sich erhofften.

„Kennen Sie das Stück? Wir können auch etwas anderes aussuchen, falls nicht.“

Jakes Blick glitt über das unförmige Männerhemd, das Caitlin über das sexy rote T-Shirt gezogen hatte. Nicht zum ersten Mal hatte er den Eindruck, dass sie mit ihrem Körper nicht ganz im Reinen war. Warum sonst sollte sie ihn so verhüllen? Und wie würde sie damit fertig werden, vor Hunderten oder gar Tausenden Menschen auf der Bühne zu stehen? Wäre sie dann auch unsicher?

Sie war eine natürliche Schönheit. Ihre sinnliche Ausstrahlung hatte wahre Killerqualitäten. Ja, ihr Aussehen war ein großes Plus für die Band, und er wollte nicht, dass sie diesen umwerfenden Körper unter sackartiger Kleidung versteckte. Aber es war noch mehr als genug Zeit, dieses Thema anzusprechen. Erst einmal musste Caitlin ihnen beweisen, dass sie ein würdiger Ersatz für Marcie war.

„Der Song ist in Ordnung“, antwortete sie. „Ich kenne ihn gut.“

„Prima. Dann mal los, Jungs.“

Als die Band mit dem Intro begann, hörte Caitlin aufmerksam zu. Sie legte die Hände um das Mikro und starrte lieber auf die gegenüberliegende Wand als zu Jake. Dann schloss sie die Augen. Die Worte kamen direkt aus ihrer Seele.

Sie musste sich gar nicht vorstellen, die Frau aus dem Song zu sein, denn sie war es tatsächlich. Sie war von einem Mann benutzt und verletzt worden, den sie geliebt und dem sie ihr Vertrauen geschenkt hatte. Diese schreckliche Erfahrung hatte sie misstrauisch und vorsichtig gemacht.

Als sie die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf Jake. Er war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Konzentriert und aufmerksam verfolgte er ihre Performance. Ein paar Minuten später kam sie zum Ende des Songs, worüber sie froh war, denn sie musste einfach Atem holen. Ihr Herz klopfte erneut wie verrückt, weil durch das Lied so viele schmerzliche Erinnerungen hochgekommen waren.

„Nicht schlecht“, lobte Jake widerwillig.

Sie hatte gehofft, dass sie deutlich besser als „nicht schlecht“ gewesen wäre, aber Jake war nun mal der Boss, und ihr ging es nicht nur um belanglose Komplimente. Ihr Ziel bestand darin, eine professionelle Sängerin zu werden – unabhängig von Liebe, Selbstbewusstsein oder Sicherheit.

Deshalb würde sie sich seiner wesentlich größeren Erfahrung in dieser Branche beugen und alles daran setzen, sich zu verbessern. Hoffentlich würde sie es schaffen.

„Wow! Honey, mit einer Stimme wie dieser wirst du dir um deinen Lebensunterhalt nie mehr Gedanken machen müssen“, schwärmte Rick, der neben seinem Freund stand.

Die Unterschiede zwischen den beiden Männern hätten nicht größer sein können. Ricks langes, verstrubbeltes Haar leuchtete hellblond, während Jakes von einem dunklen Kastanienbraun war. Auch in der Figur unterschieden sich die beiden. Jake hatte breite Schultern, war groß und schlank, wohingegen Rick deutlich kleiner, kompakter und muskulöser war. Doch egal, wie groß die optischen Unterschiede sein mochten, Caitlin spürte, dass die zwei gute Freunde waren.

„Sie war fantastisch“, sagte Rick und drehte sich dabei zu Jake um. „Ich habe die ganzen Gefühle gespürt, die sie in den Song gelegt hat … sie hat ihn zu ihrem eigenen Song gemacht.“

„Das mag stimmen“, gab Jake zu, dessen kühler Blick von Caitlin zu Rick schweifte. „Aber er wird ihr nicht gehören, ehe sie ihn in- und auswendig kann. Probt ihn noch mal, Jungs. Danach könnt ihr einen eurer eigenen Songs spielen.“

Erst drei Stunden später konnte Caitlin das erste Mal richtig Luft holen. Sie saß auf der Bühnenkante, ließ die Beine hinunterbaumeln und stocherte in ihrer Portion des chinesischen Essens herum, das Rick für alle bestellt hatte. Ihr Hals schmerzte, ihre Schläfen pochten, und sie hätte im Stehen einschlafen können.

In den vergangenen Stunden hatte sie eine Anweisung nach der anderen versucht umzusetzen. „Probieren Sie das noch mal! Legen Sie mal Ihr ganzes Herz in den Song! Nein, diesen Ton ein bisschen zurückhalten … vielleicht sogar einen Ton tiefer … Verdammt, Caitlin, Sie geben sich einfach nicht genug Mühe!“ Jetzt brachte sie kaum noch die Energie auf, einen Bissen zu essen.

„Kein Hunger?“

Ihr müder Blick fiel auf Jakes Beine, als dieser sich neben sie auf die Bühnenkante setzte. Ihr Herz schlug einen Purzelbaum. Als sie aufschaute, schien sie sich wieder einmal im tiefen Blau seiner Augen zu verlieren.

Zu allem Überfluss atmete sie auch noch den Duft seines Rasierwassers ein – sofort reagierte ihr Körper darauf. „Eigentlich dachte ich schon, ich wäre hungrig“, antwortete sie schließlich. Dann zuckte sie die Achseln, schob die Box mit dem Essen fort und tupfte ihre Lippen mit einer Serviette ab.

„Ihnen muss doch klar gewesen sein, dass es nicht leicht werden würde. Wollen Sie trotzdem weitermachen?“, fragte Jake herausfordernd. „In dieser Branche brauchen Sie mehr als nur Talent, Caitlin. Sie benötigen mindestens ebenso viel Willen und Durchhaltevermögen.“

„Ich kann verdammt viel Willen und Durchhaltevermögen aufbringen, wenn es nötig ist. Glauben Sie mir.“

Ein trotziges Funkeln glomm in ihren wundervollen grünen Augen auf, worauf Jake leise lachte. Sie hatte auch den Pferdeschwanz gelöst, sodass ihr glänzendes schwarzes Haar weit über ihren Rücken hinabfloss. Es juckte ihn in den Fingern, es zu berühren. Um dem Drang nicht nachzugeben, ballte er die Hände zu Fäusten.

„Es wird natürlich ein bisschen Zeit brauchen, bis ich alle Songs gelernt habe“, sagte sie, „aber ich nehme die Arrangements mit nach Hause und übe sie auf der Gitarre.“

Jake hatte beinahe vergessen, dass Caitlin ja auch Gitarre spielte. Wie gut, wusste er nicht, aber ihrem Gesangstalent nach zu urteilen, war sie wahrscheinlich auch darin alles andere als schlecht.

„Gute Idee“, entgegnete er, „aber morgen müssen Sie erst mal Ihre Kündigung im Laden einreichen. Wenn Sie in diese Band einsteigen wollen, können Sie keinesfalls nebenher noch einen Vollzeitjob ausführen. In gerade mal drei Wochen werden wir auf Tour gehen, und Sie müssen sich von diesem verschlafenen kleinen Nest verabschieden.“

Seine Worte klangen so endgültig, dass Caitlin unwillkürlich schauderte. Doch sie erinnerte sich sofort daran, dass dies eine einmalige Gelegenheit war, die sie unbedingt mit beiden Händen ergreifen sollte.

Den Großteil ihres Lebens hatte sie in diesem Dorf verbracht, nachdem ihre Familie mit ihr aus London hierhergezogen war. Damals war sie noch ein Kleinkind gewesen. Als ihre Eltern sich dann vor drei Jahren entschlossen, zu ihrem Bruder Phil und dessen Frau nach Kalifornien zu ziehen, hatte Caitlin ihnen gesagt, dass sie hierbleiben würde. Sie war noch nicht bereit, das Land zu verlassen, erklärte sie ihren Eltern. Es gab noch so viele Dinge in Großbritannien auszuprobieren.

Doch in erster Linie war sie geblieben, weil sie die Zeit brauchte, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln – die Chance, ihre eigenen Träume zu verfolgen und nicht nur die anderer. Es war sogar nötig gewesen, dass sie riesige Fehler beging, wie ihre Beziehung zu Sean. Nichts davon wäre möglich gewesen, wenn ihre wohlmeinende, aber schrecklich fürsorgliche Familie da gewesen wäre.

Sie schluckte schwer.

„Heißt das … dass Sie mir eine Vollzeitstelle in dieser Band anbieten?“, fragte sie.

Angespannt wartete sie auf Jakes Antwort.

„Es sieht ganz so aus, oder?“ Er lächelte. Dann sprang er geschmeidig wie eine Raubkatze von der Bühne und gesellte sich zu Rick und den anderen.

3. KAPITEL

„Wir gehen alle noch ins Pilgrim’s Inn auf ein paar Drinks – kommst du mit?“

Mike Casey stand wartend neben ihr, während Caitlin ihren Regenmantel überzog. Alle anderen waren schon draußen und luden das Equipment in den Van. Rick hatte zuvor bereits dieselbe Einladung ausgesprochen, und Caitlin hatte geantwortet, dass sie darüber nachdenken würde. Aber allein der Gedanke, wieder dieses spezielle Pub zu betreten und daran erinnert zu werden, was dort zwischen ihr und Sean vorgefallen war, löste Übelkeit in ihr aus.

Sean war an jenem Abend so grausam gewesen – er stand völlig neben sich, weil er einen gefährlichen Cocktail aus Alkohol und Drogen intus hatte. Caitlin hatte damals das Schlimmste befürchtet.

„Es ist sehr nett von dir, dass du fragst“, antwortete sie Mike, „aber ich fürchte, ich muss ablehnen. Es ist schon ziemlich spät.“

Ein rascher Blick auf die Uhr bestätigte, dass es kurz nach halb elf war. Sie hatten seit drei Uhr nachmittags geprobt. Caitlin wollte lieber nach Hause gehen, heiß duschen, ihren Pyjama anziehen, ein Glas Wein trinken und die Füße hochlegen.

„Du nennst halb elf spät? Es ist Samstagabend. Sag nicht, das ganze Dorf geht so früh ins Bett?“, entgegnete Mike überrascht.

Als sie sein ungläubiges Grinsen sah, lächelte Caitlin scheu. „Ich muss dir ziemlich langweilig vorkommen, was? Ich bin ganz sicher nicht die typische Rockröhre. Aber mir ist schon klar, dass frühes Schlafengehen ein Ende hat, sobald wir auf Tour sind.“

„Seid ihr zwei so weit?“ Rick tauchte im Türrahmen auf und blickte Caitlin und Mike neugierig an. „Ich muss abschließen. Caitlin? Jake will mit dir reden.“

Was denn, jetzt? stöhnte sie innerlich. Er hatte nicht gelogen und sie härter rangenommen als den Rest der Band. Vielleicht lag es daran, dass die drei Jungs bereits wussten, was nötig war und sie nicht? Doch irgendwie glaubte Caitlin nicht, dass darin der einzige Grund lag, weshalb Jake sie den ganzen Abend angeschrien hatte.

Vielleicht mag er mich einfach nicht. Vielleicht bereute er bereits, dass er ihr diese Chance gegeben hatte, schließlich verfügte sie über herzlich wenig Erfahrung. Allerdings konnte sie sich jetzt noch die halbe Nacht den Kopf zerbrechen, solange sie nicht mit ihm redete, würde sie keine Antworten finden.

Jake trug seine schwarze Lederjacke, ein Sweatshirt und eine Jeans und lehnte an seinem Jeep. Als Caitlin auf ihn zuging und dabei seinem Blick begegnete, machte sich ein nervöses Flattern in ihrem Magen bemerkbar – es war eine Mischung aus Furcht, beunruhigender Vorahnung und sexueller Anziehung. Sie wusste nicht, ob sie lächeln oder weglaufen sollte.

„Rick sagte, dass Sie mich sprechen wollen?“, fragte sie leicht atemlos und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die der Wind ihr ins Gesicht geweht hatte. Noch dazu regnete es. Das Wetter war wirklich bescheiden.

Deshalb bemerkte Jake auch sofort, dass Caitlin in ihrem viel zu dünnen Regenmantel zitterte. Mir würde schon etwas einfallen, wie ich dich aufwärmen könnte, dachte er. Der Himmel allein wusste, dass Caitlin Ryan seine Willenskraft auf eine harte Probe stellte.

„Kommen Sie jetzt mit auf einen Drink oder nicht?“, fragte er angespannt.

„Darüber wollten Sie mit mir reden?“

Sie griff nach ihrem Mantelgürtel und knotete ihn fest zu. „Ich habe Mike bereits gesagt, dass ich nicht mitkomme. Ich will lieber nach Hause und früh ins Bett gehen“, erwiderte sie. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde morgen pünktlich um drei zur Probe da sein.“

„Ich will, dass Sie auf einen Drink mit ins Pub kommen. Es ist eine gute Gelegenheit, um uns alle besser kennenzulernen. Morgen ist Sonntag. Sie können ausschlafen.“

Caitlin fiel kein Gegenargument ein, auch wenn ihr Herzschlag bei dem Gedanken, den Rest des Abends in der Gesellschaft dieses charismatischen Bandmanagers zu verbringen, kurz aussetzte. Abgesehen davon gab es noch das Problem, dass sie nicht ins Pilgrim’s Inn wollte.

„Ich … ich möchte lieber nicht mitkommen, wenn Ihnen das nichts ausmacht.“

„Das war keine Einladung, sondern ein Befehl. Sie müssen sich daran gewöhnen, spät ins Bett zu gehen, wenn Sie in dieser Band singen wollen. Steigen Sie in den Wagen. Sie können mit mir und Rick fahren.“

Und so saß Caitlin ein paar Minuten später im Pub auf einem abgewetzten roten Samtsofa, eingepfercht zwischen Rick auf der einen und Jake auf der anderen Seite, während die restlichen Bandmitglieder um das gemütliche warme Kaminfeuer herumstanden und ihr Bier tranken.

„Also, erzähl mal, Cait, welche Musik gefällt dir am besten?“

Rick kürzte ihren Namen so ab, seit sie das Pub betreten hatten, und Caitlin musste sich jedes Mal dazu zwingen, nicht zusammenzuzucken, weil ihr Exfreund Sean sie genauso genannt hatte. Besorgt ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Gott sei Dank schien keiner der Anwesenden besondere Notiz von ihr zu nehmen. Hinter der Bar waren zwei Kellnerinnen damit beschäftigt, die Kunden zu bedienen. Eine von ihnen, eine üppige Blondine namens Tina Stevens, trug ein derart tief ausgeschnittenes Top, dass man sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses hätte verhaften können.

Caitlin richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Rick und antwortete: „Oh, ich habe einen so breit gefächerten Geschmack, das glaubst du gar nicht. Wenn ich es in Worte fassen müsste, dann würde ich sagen, ich liebe Musik mit einem guten Beat und großartigen Texten. Wie ist es mit dir? Was hörst du gern?“

Rick zuckte die Achseln, nippte an seinem Bier und stellte das Glas dann wieder ab. „Mein Geschmack ähnelt deinem, Honey. Offensichtlich haben du und ich eine Menge gemeinsam, verdammt viel sogar.“

„Das ist der Alkohol, der aus ihm spricht“, bemerkte Jake trocken. „Er versucht nur, sich bei Ihnen lieb Kind zu machen.“

„Das ist unfair. Ein Mann wie ich muss es gar nicht versuchen, einer Frau zu gefallen. Sie fliegen ganz von allein auf mich. Das ist meine natürliche Begabung. Und wo wir gerade davon reden …“

Rick stand abrupt auf und umrundete vorsichtig ihren Tisch, damit keins der Gläser umfiel. Caitlin sah, wie sein interessierter Blick auf Tina Stevens ruhte, die sich in diesem Moment gefährlich weit über den Tresen beugte, um mit einem begeisterten männlichen Gast zu plaudern und ihm dabei tiefen Einblick zu gewähren.

„Entschuldigt mich, Leute, aber ich sehe gerade eine Jungfrau in Not, die ich retten muss …“ Mit zielstrebigen Schritten marschierte Rick auf die Bar zu.

„Sie wird ihn zum Frühstück verspeisen“, scherzte Jake und grinste dabei.

Es war ein Schock, so urplötzlich seinem stahlblauen Blick zu begegnen. Caitlin stockte der Atem. Die Spannung, die zwischen ihnen in der Luft lag, war eindeutig sexueller Natur. Caitlins Muskeln verkrampften sich.

„Er sieht so aus, als könnte er gut auf sich selbst aufpassen“, murmelte sie, war aber mit ihren Gedanken ganz woanders.

„Also …“ Jake nahm einen Schluck von seinem Bier und schaute sie dabei aufmerksam an. „Warum kein Freund?“, fragte er beiläufig.

Caitlin nippte rasch an ihrem Weißwein und wich Jakes Blick aus.

„Ich wusste nicht, dass der vorgeschrieben ist.“

„Habe ich behauptet, dass es so wäre?“

Sie antwortete nicht. Ihre Beziehung zu Sean und die Tatsache, dass er beinahe ihr ganzes Leben ruiniert hatte, war nichts, was sie freiwillig zum Besten gab … und schon gar nicht in einer beiläufigen Unterhaltung.

Der Schmerz, den Jake in ihren Augen gesehen hatte, überraschte ihn. Ganz offensichtlich hatte sie jemanden zu nah an sich herangelassen und war dabei böse verletzt worden.

Auch wenn er vermutlich eine ähnlich bittere Erfahrung gemacht hatte, warnte ihn eine innere Stimme, sich aus Empathie nicht zu sehr zu öffnen. Zwischenmenschliche Beziehungen waren von Natur aus eine Herausforderung, egal, in welcher Situation. Aber Jake war wiederum nicht so ein Mistkerl, dass er keinerlei Mitgefühl zeigen konnte.

„Was ist passiert?“

„Was meinen Sie?“

„Sie sind von einem Mann verletzt worden“, erklärte er nachdenklich. „Wer war es?“

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir das Thema fallen lassen?“

Jakes Frage ging ihr zu nah. Sie trank einen weiteren Schluck Wein und merkte, wie der Alkohol ihre Wangen erhitzte.

„Wir werden in den nächsten Wochen viel Zeit miteinander verbringen – in den nächsten Monaten, um genau zu sein. Irgendwann kommt es sowieso heraus. Warum erzählen Sie es mir nicht jetzt? Dann haben Sie es hinter sich.“

„Das mag ja sein, aber mein Privatleben steht nicht zur Debatte. Bitte drängen Sie mich nicht weiter.“

Ihre Stimme zitterte leicht. Jake kam sich wie ein unsensibler Klotz vor. Instinktiv legte er seine Hand über Caitlins – selbst wenn er mit dieser Berührung eine unerwünschte Reaktion seines Körpers riskierte.

„Es tut mir leid …“, murmelte er.

Caitlin starrte auf die starke, warme Hand, die ihre bedeckte. Dabei fiel ihr der ungewöhnliche Silberring auf, den Jake trug. Er bestand aus zwei schwarzen Steinen, die von acht kleineren eingefasst waren, und tat seiner Männlichkeit keinerlei Abbruch.

„Das ist ein wunderschöner Ring“, sprach sie ihre Gedanken laut aus.

„Ja, das stimmt. Er war ein Geschenk.“

Wenn er jetzt darüber nachdachte, dann hätte er das Ding vermutlich loswerden sollen. Er trug den Ring ganz sicher nicht aus sentimentalen Gründen, aber er würde Caitlin auch nicht sagen, dass er ihn von seiner Exfrau Jodie bekommen hatte – ein Jahr und einen Tag nachdem sie geheiratet hatten und sechs Monate bevor sie sich scheiden ließen.

Abrupt zog er seine Hand zurück und blickte quer durch das sich jetzt schnell leerende Pub zu Rick, der sich immer noch angeregt mit der kurvigen Tina Stevens unterhielt. Jake stellte amüsiert fest, dass von dem vorherigen Bewunderer der Blondine nichts mehr zu sehen war.

Er wandte sich wieder Caitlin zu und sagte: „Haben Sie genug?“ Sein Blick fiel auf ihr immer noch fast volles Weinglas.

„Ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass Sie gehen wollen?“

„Ich denke, ich sollte Sie nach Hause bringen. Sie sehen müde aus.“

„Sie brauchen mich nicht nach Hause zu bringen. Ich kann sehr gut alleine …“

„Warum ziehen Sie nicht einfach Ihren Mantel an?“

Draußen wehte ein starker Wind. Schweigend lief Caitlin neben Jake über den Bürgersteig.

„Wie weit ist es bis zu Ihnen?“, erkundigte er sich. „Wir können auch meinen Wagen nehmen, wenn Sie müde sind. Ich habe kaum etwas getrunken.“

„Ich wohne nur zehn Minuten von hier die Straße rauf, und ich würde lieber zu Fuß gehen. Aber Sie müssen mich nicht begleiten.“

Sie war schrecklich angespannt. Zum großen Teil lag das daran, dass sie nie wusste, was Jake dachte oder fühlte.

Er ignorierte ihre Bemerkung. „Was sagen Sie, wie läuft es?“

Überrascht blickte sie ihn an. „Sie meinen die Proben? Ich finde, sie laufen gut. Ich meine, ich weiß, dass ich noch viel lernen muss, aber ich probe ja nicht nur mit der Band, sondern übe auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu Hause auf der Gitarre.“

Jake seufzte. „Sie machen das hervorragend, Caitlin. Ich hege keinerlei Zweifel, dass Sie die richtige Sängerin für Blue Sky sind. Sie haben eine großartige Stimme, sind schön und sexy … das Gesamtpaket stimmt. Aber auch das größte Talent ist keine Garantie dafür, dass alles klappt. Wir haben immer noch eine Menge Arbeit vor uns, ehe wir auf Tournee gehen, und dann wird der Druck erst so richtig einsetzen. Ich schätze, ich versuche einfach nur herauszufinden, ob Sie sich dieser Sache voll und ganz verschreiben oder ob Sie lieber hier im Dorf, in Ihrem kleinen Buchladen bleiben würden. Verstehen Sie mich nicht falsch – mir ist schon klar, dass diese Option für eine Frau wie Sie einigen Reiz haben muss.“

„Was meinen Sie mit einer Frau wie mich?“, entgegnete sie ungehalten, weil sie den Eindruck hatte, dass er sie bevormundete. „Sie kennen mich doch gar nicht.“

Er hob eine Augenbraue und lächelte. „Ich weiß, dass Sie gern vorgeben, taffer zu sein, als Sie aussehen, dass Sie mit allem fertig werden, was ich Ihnen vor den Latz knalle, aber …“

„Hören Sie sofort auf!“ Jetzt war sie richtig wütend. „Ich gebe vor, taff zu sein? Halten Sie mich wirklich für so ein Mimöschen, das beim ersten Druck zusammenbricht? Zu Ihrer Information: Ich habe zwei Jahre Hölle mit einem Mann überlebt, der drogen- und alkoholabhängig war und mich um jeden Penny gebracht hat, den ich besaß. Ich musste sogar mein Klavier, meinen wertvollsten Besitz, verkaufen. Ich habe mein Zuhause, mein Auto und meine Würde verloren, nur um seinen Drogenkonsum zu finanzieren. Ja, ich war dumm – aber eines Tages bin ich aufgewacht, habe die Kraft gefunden, Schluss zu machen, und neu angefangen. Ich habe verdammt viel Leid und Schmerz überlebt, und das hat mich stärker gemacht. Also sagen Sie mir nicht, dass ich vorgebe, taff zu sein!“

Sie hielt kurz inne, um Atem zu holen.

„Und was meinen Wunsch anbelangt, Teil der Band zu sein – das Singen war immer meine größte Leidenschaft. Ich werde alles tun, um es zu meinem Beruf zu machen. Es geht mir nicht darum, berühmt zu werden oder mein Foto in den Zeitungen zu sehen. Alles, was ich will … was ich je wollte … ist Singen. Wenn Sie mich also fragen, ob ich mich dem ganz und gar verschreibe, dann lautet meine Antwort definitiv Ja!“

Am Ende ihres hitzigen Monologs war Caitlin den Tränen nahe. Sie war mit all den Dingen herausgeplatzt, die sie eigentlich für sich behalten wollte.

„Hey …“ Jake streckte den Arm aus und streichelte sanft ihre Wange. „Ich wollte Ihren Charakter nicht infrage stellen. Es tut mir sehr leid, wenn es so rüberkam.“

Seine zärtliche Berührung löste irgendetwas in ihrem Inneren aus. Als sie erkannte, dass es ihr Bedürfnis war, in den Arm genommen zu werden, verkrampfte sie sich.

„Mir tut es auch leid.“

Kopfschüttelnd trat sie einen Schritt zurück, um Distanz zu Jake herzustellen und sich auf ihre Selbstschutzmechanismen zu besinnen. Doch als sie wieder losgehen wollte, umfasste er ihren Arm und hielt sie fest. Seine Geste war irgendwie … besitzergreifend.

„Laufen Sie nicht vor mir davon. Ich will Ihnen doch nur helfen.“

„Mir helfen … wie?“

Er senkte den Kopf, und seine Antwort bestand aus einem fordernden, heißen Kuss, den man nur als explosiv bezeichnen konnte.

Caitlin war bis in ihre Grundfesten erschüttert, dennoch erwiderte sie den Kuss, als hinge ihr Leben davon ab. Sie vergrub sogar die Finger in Jakes Haar, um ihn noch dichter an sich zu ziehen. Mein Gott, dieser Mann küsste mindestens ebenso gut, wie er aussah, und sogar noch besser, als sie es sich in ihren erotischen Fantasien ausgemalt hatte …

Nie zuvor war sie derart erregt gewesen. In diesen leidenschaftlichen Minuten drohten die Schutzmauern, die sie so sorgfältig um ihr Herz errichtet hatte, ernsthaft ins Wanken zu geraten …

Irgendwann beendete Jake den Kuss widerwillig. Er betrachtete Caitlin mit einem Blick, der mehr als ein bisschen überrascht und immer noch voller Verlangen war.

Mit tiefer Stimme murmelte er: „Schäm dich nicht, weil du mir deine Geschichte erzählt hast. In der Musikbranche gibt es unzählige Typen wie deinen Exfreund. Ich glaube nicht, dass es schlechte Menschen sind. Eine Drogenabhängigkeit ist eine Krankheit, keine Schwäche. Schließ mich nicht aus, nur weil du etwas enthüllt hast, was du lieber für dich behalten hättest, Caitlin.“

Sie atmete tief ein und ließ die Hände aus seinem Haar gleiten. Der Wunsch, sich an ihn zu schmiegen, ihn zu einem weiteren Kuss zu drängen, vielleicht sogar auf eine Tasse Kaffee in ihre Wohnung einzuladen, war unglaublich groß … Aber als ihr klar wurde, was sie da in Erwägung zog, nahm sie schnell wieder Vernunft an. Hatte sie nicht schon genug durchgestanden?

Sie löste sich von ihm.

„Um dich auszuschließen, müsste ich dich erst einmal hereinlassen, Jake, und das werde ich nicht tun. Nicht einmal, wenn du mir den Himmel auf Erden versprechen würdest.“

„Jetzt, wo es so weit ist, möchte ich dich nicht gehen lassen“, gestand Lia.

Sie goss sich einen Becher Kaffee ein und trug ihn zu dem schmiedeeisernen Tisch herüber, an dem die beiden Frauen ihren Lunch einnahmen.

Caitlin, die ihren Gedanken nachgehangen hatte, zuckte zusammen, als die zierliche Blondine den Stuhl ihr gegenüber zurückzog und darauf Platz nahm.

„Tut mir leid, was hast du gesagt?“

„Ich sagte, dass ich dich nicht gehen lassen will.“ Lia seufzte tief. Während sie die Hände um den dampfenden Kaffeebecher schloss, versuchte sie nicht, ihre Gefühle zu verbergen.

Caitlin war ehrlich gerührt. Die beiden Frauen waren nun schon lange Freundinnen, hatten in guten wie in schlechten Zeiten zueinandergehalten, und es fiel Caitlin genauso schwer, ihren Job aufzugeben, wie Lia, sie gehen zu lassen.

„Es wird für uns beide nicht leicht werden“, stimmte Caitlin zu und legte ihre Hand auf Lias. „Aber ich bin ja nicht aus der Welt. Ich arbeite vielleicht nicht mehr im Laden, doch das heißt ja nicht, dass ich gar nicht mehr hier wäre. Ich lebe immer noch im Dorf, und wenn ich nach der Tour zurückkomme, sehen wir uns jeden Tag, weil ich vorbeischauen und mit dir plaudern und Kaffee trinken werde.“

„Das weiß ich alles.“ Lia löste ihre Hand und fuhr sich mit den Fingern durch das kurze blonde Haar. „Aber wenn ich ganz ehrlich bin, mache ich mir Sorgen um dich.“

„Warum?“, fragte Caitlin erstaunt.

„Nun … du willst mit ein paar Fremden Gott weiß wohin fahren. Woher willst du wissen, dass du diesen Leuten vertrauen kannst?“

„Lia, ich habe sie kennengelernt. Sie sind keine Fremden mehr. Sie sind professionelle Musiker. Jake Sorenson, der Manager, ist …“

„Ja, gerade über Jake wollte ich mit dir reden.“ Die Blondine atmete durch. „Hast du ihn denn nicht erkannt, als du ihn das erste Mal gesehen hast? Erinnerst du dich nicht, dass er vor ein paar Jahren in einen Skandal verwickelt war? Seine Frau hat ihn für einen der größten Rockmusiker der Welt verlassen und dann in einem Zeitungsartikel alles über ihre Ehe mit Jake ausgeplaudert.“

Bei Lias Worten klingelte es. Caitlin hatte das Bild des Musikers vor Augen, den die Freundin erwähnt hatte. Schockiert starrte sie Lia an.

„Ich erinnere mich. Sie hat ihn für Mel Justice verlassen … den Frontmann von Heart and Soul. Ich habe gar nicht gecheckt, dass der Plattenproduzent, mit dem sie verheiratet war, Jake ist.“

„Ja, aber genau so ist es. Und das Bild, das sie von ihrem Leben mit ihm gezeichnet hat, ist nicht gerade schmeichelhaft. Wusstest du, dass sie ein Model war? Jake hatte wohl versprochen, sie zum Star zu machen, und dieses Versprechen dann nicht gehalten. Anscheinend wollte sie die Modelkarriere aufgeben, um Sängerin zu werden. Aber als er nach ihrer Hochzeit seinen Teil des Deals nicht einhielt, begann sie eine Affäre mit Mel Justice. Schließlich ließ sie sich von Jake scheiden, um mit Justice zusammen zu sein.“

„Und dann hat sie die Story an die Zeitung verkauft“, fügte Caitlin ruhig hinzu.

Aus irgendeinem Grund erschütterte es sie, dass er verheiratet gewesen war.

„Wie auch immer … was hat das, was du mir gerade erzählt hast, mit mir zu tun, Lia? Warum gräbst du diese alten Geschichten um Jake Sorenson aus?“

„Warum? Weil du wissen sollst, auf was du dich da einlässt, deshalb.“

Die Blondine hob den Becher an die Lippen, nahm aber nur einen winzigen Schluck und stellte den Kaffee wieder ab.

„Als deine beste Freundin fühle ich mich nun einmal für dich verantwortlich. Die Leute in dieser Branche, in die du einsteigen willst, geben sich allen möglichen Verführungen hin. Sie legen ganz häufig ein schlechtes Benehmen an den Tag. Eine große Loyalität scheint es zwischen ihnen nicht zu geben.“

„Lia, ich bin sechsundzwanzig, schon vergessen? Kein leichtgläubiger, naiver Teenager. Ich kann auf mich selbst aufpassen.“

Doch Caitlins Herz raste. Bislang hatte Lia mit keiner Silbe angedeutet, was sie tatsächlich davon hielt, dass ihre Freundin in die Band einstieg. Sie hatte Caitlin unterstützt und ermutigt. „Folge deinem Traum, lass dich durch nichts davon abhalten“, hatte sie gesagt. Aber jetzt wusste Caitlin nicht mehr, was sie denken sollte.

„Also schön, wenn du so gut auf dich aufpassen kannst, was ist dann mit Sean?“ Lias braune Augen funkelten.

Caitlin konnte kaum glauben, was sie da hörte.

„Das war unter der Gürtellinie, Lia“, entgegnete sie. „Okay, ich habe hin und wieder in meinem Leben eine falsche Entscheidung getroffen. Hast du das nicht auch schon getan? Tut das nicht jeder mal? Das heißt doch nicht, dass alles, was ich mache, zum Scheitern verurteilt ist!“

„Ich hätte das nicht sagen sollen. Das über Sean, meine ich.“ Lia schniefte. „Es tut mir leid, Caitlin. Es ist nur so, dass es mir manchmal schwerfällt, den Mund zu halten, wenn es um jemanden geht, der mir am Herzen liegt. Du weißt doch, wie Männer sein können. Bei Frauen wie dir haben sie nur eines im Sinn, und versteh das jetzt bitte als ein Kompliment. Du bist wunderschön und talentiert, und du bist so lieb und vertrauensvoll. Sie werden es darauf anlegen, das auszunutzen, und du verschwindest mit fünf von ihnen in die Pampa!“

„Nun, du musst einfach versuchen, dir wegen mir keine Gedanken zu machen, Lia.“ Caitlin stand abrupt auf und trug ihren leeren Becher zum Spülbecken hinüber. Dort wusch sie ihn aus und stellte ihn kopfüber ins Abtropfgitter.

„Ich gehe jetzt besser nach oben und löse Nicky ab, damit sie auch Pause machen kann. Heute ist mein letzter Tag im Laden – lass ihn uns nicht verderben, indem wir miteinander streiten.“

„Es tut mir leid. Ich bin einfach ein bisschen aufgewühlt, weil du gehst. Sei nicht böse auf mich, ja?“, flehte Lia und stand ebenfalls auf.

„Sei doch nicht albern!“ Grinsend zerzauste Caitlin ihrer Freundin das Haar. „Wie sollte ich dir böse sein, weil du dir Sorgen um mich machst? Das ist doch eine wunderschöne Geste.“

Doch noch während sie die Ängste ihrer Freundin weglachte, dachte Caitlin über das nach, was sie über Jake gehört hatte. Dass er bereits einmal verheiratet gewesen war, machte ihr zu schaffen. Sie las nicht oft die Klatschspalten in Zeitungen oder im Internet, worüber sie im Moment auch froh war. Was auch immer zwischen Jake und seiner Exfrau vorgefallen war, es musste für beide schmerzhaft gewesen sein. Sie selbst sollte sich einzig und allein darauf konzentrieren, in der Band zu singen, und nicht darauf, wie der Manager von Blue Sky sein Privatleben führte.

4. KAPITEL

Am Ende eines emotional anstrengenden Tages sank Caitlin erschöpft in ein dampfendes Bad und atmete die exotischen Aromen ein, die das Badeöl und die zahlreichen Duftkerzen, die sie aufgestellt hatte, verströmten. Es war zwar nicht so, dass sie alle Brücken hinter sich abbrach – Lia hatte ihr versichert, dass sie jederzeit zu ihr zurückkommen konnte –, aber es war schon ein wenig beängstigend, etwas so Sicheres und Beständiges für das genaue Gegenteil aufzugeben.

Mit einem Stirnrunzeln dachte sie an die Probe des heutigen Tages zurück und daran, wie Jake sie wiederholt wegen ihrer mangelnden Konzentration und tausend anderer Dinge kritisiert hatte. Himmel, er hatte sie so oft angeschrien, dass die anderen sich schon fragende Blicke zuwarfen, weil sie sich wunderten, was wohl los war.

Benahm Jake sich so merkwürdig, weil er es bereute, sie geküsst zu haben? Nun, sie hatte ihn ganz sicher nicht darum gebeten! Und wie sollte sie sich seiner Meinung nach überhaupt verhalten? Immerhin war es nicht leicht, einen Job aufzugeben, dem sie die letzten fünf Jahre voller Hingabe nachgegangen war.

„Verdammt sollst du sein, Jake Sorenson! Ich gebe wirklich mein Bestes. Das könntest du endlich mal anerkennen.“

Caitlin griff nach der unschuldigen kleinen Plastikente, die auf dem Wasser tanzte, und schleuderte sie voller Wut quer durchs Bad. Trotzdem fühlte sie sich danach nicht besser.

Ausgerechnet in diesem Moment klingelte es auch noch an der Tür.

Caitlin fluchte laut und beschloss, es einfach zu ignorieren. Doch als es ein zweites und drittes Mal läutete, geriet ihre Entschlossenheit ins Wanken. Schließlich stieg sie tropfend aus der Wanne, griff nach einem blauen Frotteebademantel und schlüpfte, wilde Verwünschungen ausstoßend, hinein.

Sie marschierte durch das Wohnzimmer, dann über die kalten Linoleumtreppenstufen und fragte sich, wer wohl so unsensibel sein könnte, sie bei einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen derart rüde zu stören.

„Jake.“

Als sie ihren unerwarteten Gast erkannte, wich alle Kraft aus ihren Gliedern. Kein anderer Mann besaß die Macht, sie so aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er hatte einfach diese Ausstrahlung – es war, als würde sich jeder rationale Gedanke verabschieden, wenn sie Jake sah.

Dennoch begegnete sie mutig seinem Blick. „Was ist los? Stimmt etwas nicht?“

„Kann ich reinkommen?“

Weil seine Frage sie völlig überrumpelte, nickte sie mechanisch. Dann wich Caitlin in den nur schwach erleuchteten Hausflur mit seiner hässlichen Goldtapete und dem schäbigen roten Teppich zurück, damit Jake eintreten konnte. Das feuchte Haar hatte sie nur rasch zu einem Knoten geschlungen. Mehrere Strähnen hatten sich bereits gelöst und fielen ihr nun über die Wange. Sie war noch halb nass, weil sie keine Zeit gehabt hatte, sich abzutrocknen. Und sie war splitterfasernackt unter diesem Bademantel …

Autor

Maggie Cox
<p>Schreiben und Lesen gingen bei Maggie Cox schon immer Hand in Hand. Als Kind waren ihre liebsten Beschäftigungen Tagträumen und das Erfinden von Geschichten. Auch als Maggie erwachsen wurde, zu arbeiten begann, heiratete und eine Familie gründete blieben ihre erfundenen Heldinnen und Helden ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Was immer...
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