Julia Weekend Band 114

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VERFÜHRT VON EINEM TRAUMPRINZEN von CHANTELLE SHAW

Um Erin ist es geschehen! Unter dem blassen Sichelmond von Qubbah gibt sie sich Scheich Zahir hin. Doch was hat er mit ihr vor? Will er sie bloß zu seiner Geliebten zu machen – oder sieht er sie etwa als zarte blonde Königin an seiner Seite?

GEHEIMNIS EINER WÜSTENNACHT von ANNIE WEST

Das muss Schicksal sein! Mitten in der Wüste findet Annalisa einen verletzten Mann, dessen Blicke ihr Herz höher schlagen lassen. Tag und Nacht wacht sie an seinem Lager – und ahnt nicht: Der Mann ist Prinz Tahir, der nächste König von Qusay …

VERFÜHRUNG IM HAREM von TERESA SOUTHWICK

„Wäre ich eine gute Haremsdame?“ Auf diese kokette Frage gibt es nur eine Antwort! Wüstenprinz Kardahl küsst Jessica voller Verlangen – und will vergessen, dass sie die Ehe annullieren lassen möchte. Oder kann er Jessica heute Nacht überzeugen, für immer bei ihm zu bleiben?


  • Erscheinungstag 06.01.2024
  • Bandnummer 114
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527651
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Chantelle Shaw, Annie West, Teresa Southwick

JULIA WEEKEND BAND 114

1. KAPITEL

Der Königspalast im Wüstenreich Qubbah.

Prinz Zahir bin Kahlid al Muntassir stürmte mit langen Schritten durch die Palastkorridore auf die Privaträume von König Kahlid zu. Sein Gesichtsausdruck war so grimmig, dass die Palastwachen hastig zur Seite sprangen, um ihm ungehindert Einlass zu gewähren. „Wie geht es ihm?“, fragte er eindringlich, nachdem ihn A’waan, der Kammerdiener seines Vaters, mit einer Verbeugung begrüßt hatte.

„Er schläft, Sire – der Doktor hat ihm ein Beruhigungsmittel gegeben und angeordnet, dass Seine Hoheit nicht gestört werden soll“, murmelte A’waan, wobei er ängstlich die Tür zum Schlafzimmer des Königs im Auge behielt.

„Ist schon gut, A’waan, ich habe nicht vor, ihn zu stören“, versicherte Zahir. „Die Nachricht von Prinz Faisals Tod hat uns alle tief getroffen, aber ganz besonders meinen Vater.“

„Seine Hoheit ist untröstlich. Er hat sich noch nicht richtig von der Virusinfektion erholt, die er sich erst kürzlich zugezogen hat, und ich befürchte, dass diese Nachricht zu viel für ihn ist“, erwiderte A’waan ernst. „Der einzige Lichtblick Ihres Vaters ist die Entdeckung, dass er einen Enkel hat – ein Kind, das jetzt eine Waise ist. Es ist der größte Wunsch Seiner Hoheit, dass Sie nach England reisen und den Jungen nach Qubbah bringen.“

„Ich bin mir der Wünsche meines Vaters wohl bewusst“, entgegnete Zahir gepresst. Er ging zum Fenster hinüber und starrte auf den wunderschönen Garten hinunter, in dessen Mitte sich ein eleganter Springbrunnen befand. Innerhalb des Palastgeländes hatte man die Wüste gezähmt, doch jenseits der mittelalterlichen Festungsmauern streckte sich eine endlose, goldene Weite aus.

Zahir erinnerte sich daran, wie er zusammen mit Faisal durch die Sanddünen geritten war, wie sie ihre Falken freigelassen und ihrem elegantem Flug zugesehen hatten. Damals waren sie viel mehr als Brüder gewesen – die innigsten Freunde –, doch das Band zwischen ihnen war zerbrochen, weil sie sich beide in dieselbe Frau verliebt hatten. Zahir runzelte die Stirn. Liebe, hatte er gelernt, war eine vollkommen destruktive Gefühlsregung. Nie wieder würde er zulassen, dass sie sein Herz oder seinen Verstand beherrschte.

Abrupt drehte er sich um, durchschritt den Raum und wandte sich noch einmal an den Diener. „Wenn mein Vater aufwacht, sagen Sie ihm bitte, dass ich nach England gereist bin.“

Ingledean House – North Yorkshire

„Erin! Da ist ein Gordon Straker, der dich sprechen möchte“, verkündete Alice Trent, Köchin und Haushälterin in Ingledean House, als Erin die Küche betrat. „Er sagt, er ist Faisals Notar, und er hat etwas in Sachen Testament erwähnt.“

„Oh, ja.“ Erin nickte. „Ich habe vor ein paar Tagen mit ihm telefoniert. Da kündigte er an, dass er aus London hierher kommen würde.“

„Nun, er wartet in der Bibliothek.“ Alice, die gerade Kartoffeln schälte, hielt mitten in der Bewegung inne und betrachtete Erins zerzauste Erscheinung. „Was in aller Welt hast du denn getrieben? Du siehst aus, als hättest du in einem Kohlebergwerk gearbeitet.“

„Ich habe das große Gästeschlafzimmer ausgeräumt.“ Erin blickte reumütig auf ihre schmutzige Jeans hinunter. „Kazims Kinderzimmer ist zu klein, um all die Spielsachen unterzubringen, jetzt wo er in einem richtigen Bett schläft. Das Gästeschlafzimmer würde ein perfektes Spielzimmer abgeben. Außerdem muss ich mich beschäftigen“, verteidigte sie sich, als sie Alices skeptischen Blick auffing.

Es war alles gut und schön, solange Kazim wach war und sie einen lebhaften Dreijährigen zu bändigen hatte, der all ihre Zeit in Anspruch nahm, doch mittlerweile fürchtete sie sich vor seinem Nachmittagsschlaf – eine Stunde der Ruhe und des Friedens, die ihr Gelegenheit zum Nachdenken bot.

Faisals Beerdigung lag nun beinahe drei Wochen zurück. Sein Tod war nicht überraschend gekommen – er hatte schon seit einem Jahr gewusst, dass sein Gehirntumor inoperabel war –, und sie war froh, dass er nun endlich Frieden gefunden hatte und vielleicht wieder mit seiner geliebten Maryam vereint war. Aber er war ihr Freund gewesen, und sie vermisste ihn. Wenn sie an die Zukunft dachte, konnte sie manchmal nichts dagegen tun, dass ein Gefühl der Panik sie überkam. Kazims Wohlergehen lag nun ganz allein in ihrer Verantwortung, und aus irgendeinem Grund hatte sie furchtbare Angst, ihm vielleicht nicht gerecht zu werden.

Erin drehte sich um und betrachtete den kleinen Jungen, der ihr in die Küche gefolgt war und nun eifrig alle Schränke und Schubladen öffnete, um deren Inhalt zu begutachten.

Ja, es stimmte, der Kleine hatte keine lebenden Verwandten mehr, aber er hatte sie, und sie würde ihn lieben und beschützen, solange er sie brauchte – genauso wie sie es seinem Vater versprochen hatte.

„Ich habe Tee gekocht“, durchbrach Alice ihre Überlegungen. „Wenn du ihn mit nach oben nehmen willst, passe ich so lange auf Kazim auf.“

Erin blickte auf das Tablett. „Warum hast du drei Tassen draufgestellt, Alice?“

„Mr. Straker hat noch jemanden mitgebracht. Der Mann hat mir einen richtigen Schreck eingejagt – im ersten Moment dachte ich glatt, Faisals Geist würde vor mir stehen.“ Die Köchin lachte verlegen. „Wahrscheinlich lag es nur am Lichteinfall. Der Mann stammt ganz offensichtlich aus dem Mittleren Osten – wirklich gutaussehend. Groß, dunkel und wahnsinnig attraktiv. Sein Gesicht hat mich an Faisal erinnert“, fügte sie langsam hinzu. „Glaubst du, er könnte ein Verwandter sein?“

Aus irgendeinem Grund spürte Erin eine ungute Vorahnung in sich aufsteigen. „Faisal hatte keine Familie“, erklärte sie rasch. „Ich weiß nicht, wer der Mann ist, vermutlich einer seiner Geschäftspartner. Ich gehe besser schnell zu ihnen nach oben“, fügte sie hinzu und griff nach dem Tablett.

Erin eilte aus der Küche und durchquerte das Foyer. Als sie einen kurzen Blick in den dortigen Wandspiegel warf, zog sie eine Grimasse. Ihre abgetragene Jeans und das alte T-Shirt waren schmutziger als sie angenommen hatte, und aus ihrem Haar, das sie zu einem langen Zopf geflochten trug, lösten sich bereits etliche Strähnen, die nun in wilden Locken ihr Gesicht umrahmten. Daran konnte sie jetzt allerdings nichts mehr ändern. Außerdem waren vermutlich weder Gordon Straker noch sein Begleiter an ihrem Aussehen interessiert, beruhigte sie sich, während sie mit einer Hand das Tablett balancierte und mit der anderen die Tür zur Bibliothek öffnete. Doch im nächsten Moment erstarrte sie.

Am Fenster stand ein Mann und betrachtete die zu dieser Jahreszeit trübe Aussicht übers Moor. Für ein paar Sekunden schien ihr Herz tatsächlich stillzustehen, und sie verstand, was Alice gemeint hatte, als sie glaubte, Faisals Geist gesehen zu haben. Das Profil des Fremden wirkte schmerzhaft vertraut, genauso wie das rabenschwarze Haar und die goldbraune Haut. Doch dann drehte der Mann den Kopf zu ihr – und der gesunde Menschenverstand kehrte zurück.

Dieser Mann war kein Geist, sondern höchst lebendig. Seine Ähnlichkeit mit Faisal lag sicherlich nur an den dunklen Haaren und dem exotischen Aussehen, sagte sich Erin ungeduldig.

Sein Haar war sehr kurz geschnitten, seine Augen nachtschwarz, das Nasenbein hatte eine leichte Wölbung, was seinen ansonsten perfekten Zügen mit dem energischen Kinn und dem sinnlichen Mund jedoch keinerlei Abbruch tat. Er war schlicht und ergreifend ein Prototyp männlicher Schönheit, dachte sie, während ihr regelrecht der Atem stockte.

Der Fremde warf ihr einen langen, kühlen Blick zu. Erin errötete. „Hallo, ich habe Tee gebracht. Ihnen ist vermutlich eiskalt. Die Zentralheizung hier in Ingledean ist nicht gerade auf dem neuesten Stand.“

Er zog eine Augenbraue hoch, woraufhin ihr das Blut noch heißer in die Wangen schoss. Die Ähnlichkeit des Mannes mit Faisal war nicht zu leugnen – doch ihre Gefühle für Faisal hatten immer auf Freundschaft und Zuneigung basiert. Weder er noch irgendein anderer Mann hatten jemals dieses schockierend starke sexuelle Verlangen ausgelöst, das jetzt durch ihre Adern pulsierte. Die rohe, ungezügelte Männlichkeit des Fremden verunsicherte sie. Mit Schrecken stellte sie fest, dass sie ihn anstarrte. Rasch zwang sie sich dazu, normal zu atmen, zum Schreibtisch hinüberzugehen und das Tablett abzustellen.

„Ich bin Erin.“ Zaghaft lächelte sie, streckte halb die Hand aus und wartete darauf, dass er sich vorstellte. Ihr Lächeln verblasste zusehends, als er überhaupt nicht reagierte.

„Sie können den Tee einschenken und dann gehen. Ihre Anwesenheit ist nicht länger erforderlich“, erklärte er schließlich herablassend, ehe er sich wieder umdrehte und erneut dem Schneetreiben zusah, das vor dem Fenster tanzte.

Erin starrte seinen steifen Rücken an. Die unglaubliche Arroganz des Mannes machte sie sprachlos. Für wen hielt der Kerl sich eigentlich? Und wie konnte er es wagen, mit ihr zu reden als wäre sie nicht mehr als eine kleine, unbedeutende Magd in einem viktorianischen Melodram?

Der Schock wich und wurde ersetzt durch Zorn. Den Großteil ihrer Kindheit und Jugend fühlte sie sich wertlos – bis ihre Pflegeeltern sie vor einem Leben bewahrt hatten, das rapide bergab ging, und ihr eintrichterten, dass sie ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft war. Doch das zerbrechliche Selbstbewusstsein, das sie im Laufe der Jahre bei John und Anne Black aufgebaut hatte, erlitt ganz schnell Risse, und tief in ihrem Inneren war sie immer noch das ungeliebte Kind und der rebellische Teenager, der in ein Waisenhaus gesteckt worden war, nachdem ihre Mutter sich in ihrer Heroinsucht den goldenen Schuss gesetzt hatte.

Erin griff nach der Teekanne, hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis, einfach den Raum zu verlassen, und der Versuchung, diesem unverschämten Fremden ganz genau zu sagen, was er mit dem verdammten Tee anstellen konnte. Doch ehe sie auch nur die Gelegenheit hatte, den Mund aufzumachen, wurde die Tür geöffnet und der grauhaarige Notar, den sie mit Faisal bei einem Besuch in London einmal getroffen hatte, betrat die Bibliothek.

„Ah, Erin, Tee – wie wunderbar.“ Gordon Straker begrüßte sie enthusiastisch. Sein kurzes Lächeln galt sowohl ihr als auch dem Mann am Fenster, doch der Anblick des dichten Schneetreibens ließ ihn die Stirn runzeln. Besorgt sah er auf die Uhr, während er sich an den Schreibtisch setzte und nach den Dokumenten griff, die dort lagen. „Nehmen Sie bitte beide Platz, sodass wir gleich anfangen können, ja?“, sagte er, wobei er den überraschten Blick des Fremden ignorierte. „Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Faisals Testament ist klar und eindeutig.“

Zahir blieb stehen. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er, wie das Dienstmädchen einen Stuhl heranzog.

Möglicherweise war sie die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Irritiert registrierte er, dass sein Körper bereits auf sie reagierte – ganz deutlich spürte er die sexuelle Anziehung. Ihre Gesichtszüge konnte man nur als perfekt bezeichnen. Während er sie ungehemmt anstarrte, nahm er jedes einzelne Detail in sich auf, angefangen bei den hohen Wangenknochen über die großen, grauen Augen, die elegant geschwungenen Brauen, die schmale, kleine Nase und den etwas zu breiten Mund mit den verführerischen Lippen, die geradezu zum Küssen einluden.

Ein dicker kastanienroter Zopf fiel ihr über den Rücken. Es juckte ihn in den Fingern, das Band aus ihrem Haar zu ziehen und die Hände in der rotgoldenen Pracht zu vergraben.

Selbst gegen Ende seines Lebens schien Faisal sein Auge für atemberaubende Frauen nicht verloren zu haben, dachte Zahir. Aber warum hatte der Notar diese Frau, deren Aufmachung darauf schließen ließ, dass sie zum Dienstpersonal gehörte, gebeten, der Verkündung von Faisals Testament beizuwohnen? War sie eine Begünstigte in Faisals letztem Willen? Zweifellos war sie wunderschön, und Faisal war allein gewesen … Doch der Gedanke, dass sein Bruder ihr als Bezahlung für ihre Gunst etwas vermacht haben könnte, war seltsam widerwärtig. Innerlich verfluchte sich Zahir für seine ausufernde Fantasie.

Verärgert ging er zum Schreibtisch hinüber, griff nach dem nächstbesten Stuhl und setzte sich genau in dem Moment, als das Dienstmädchen neben ihm Platz nahm.

Gordon Straker räusperte sich und begann dann, das Testament vorzulesen. „Ich, Faisal bin Kahlid al Muntassir, vermache meinen gesamten Besitz, inklusive Ingledean House, meiner Ehefrau.“

Aus dem Augenwinkel heraus sah Erin, wie der unbekannte Mann leicht zusammenzuckte und sich aufrechter hinsetzte. Seiner Stimme war die Ungeduld deutlich anzuhören. „Wenn ich recht verstanden habe, dann ist meine Schwägerin vor drei Jahren gestorben. Dieses Testament ist ungültig. Es muss ein aktuelleres geben“, erklärte er überheblich.

Gordon Straker schaute ihn über den Rand seiner Brille hinweg an und entgegnete frostig: „Ich versichere Ihnen, dass dies das aktuelle Testament ist. Mein Mandant hat mich vor zehn Monaten gebeten, es aufzusetzen.“ Der Notar zögerte, während sein Blick zwischen den zwei schockierten Gesichtern, die ihm gegenübersaßen, hin und her wanderte. Ganz allmählich dämmerte es ihm, und er schüttelte den Kopf.

„Verzeihen Sie mir bitte. Ich habe Sie nicht vorgestellt, weil ich davon ausging, dass Sie beide sich bereits kennen würden … dass Sie sich … bei der Hochzeit begegnet wären.“ Verwirrung und Verlegenheit schienen sich noch zu verstärken. „Ganz offensichtlich ist das nicht der Fall“, fügte er langsam hinzu, als die beiden ihn immer noch verständnislos ansahen. „Ich entschuldige mich vielmals … Erin, darf ich Ihnen Scheich Zahir bin Kahlid al Muntassir vorstellen – Faisals Bruder. Scheich Zahir, das ist Erin – Faisals zweite Frau.“

Die Wände um sie herum schienen sich plötzlich zu drehen. Erin umklammerte die Schreibtischkante und bemühte sich verzweifelt, die Worte des Notars zu begreifen. „Aber Faisal hat mir gesagt, er habe keine Familie“, murmelte sie und suchte hektisch Gordon Strakers Blick, um anschließend wieder den Mann neben ihr zu betrachten, dessen Miene so arrogant wirkte, dass es ihr eisig den Rücken hinunterlief.

„Da muss ein Fehler vorliegen.“ Zahir richtete die Worte an den Notar. Panik durchströmte ihn, und damit einhergehend eine heftige und unerklärliche Wut, die selbst die Trauer überlagerte, die ihn erfasst hatte, als er von Faisals Tod erfuhr.

Was für eine bittere Ironie, dass er wieder mal gegen seinen Bruder verloren hatte – genau wie vor sechs Jahren, dachte er düster. Diese Frau mit den rauchgrauen Augen und dem sinnlichen Mund war Faisals Ehefrau. Faisal musste ihr wunderschönes Haar gelöst und zugeschaut haben, wie es in grandiosen Kaskaden über ihren Rücken fiel. Er würde diese milchweiße Haut liebkost haben … genauso wie er, Zahir, es sich vom ersten Moment ihrer Begegnung an erträumte.

Und selbst das Wissen, dass sie seit wenig mehr als zwei Wochen die Witwe seines Bruders war, schmälerte die Anziehung kein bisschen. Es änderte nichts an der Tatsache, dass er das primitive Bedürfnis verspürte, ihren Mund im Sturm zu erobern, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie hier auf diesem Schreibtisch zu lieben.

Selbstekel erfasste ihn, und er brachte es nicht über sich, ihr in die Augen zu schauen. Rasch ging er zum Fenster zurück, weil er etwas Abstand zwischen sich und diese Frau legen musste, die eine solch verstörende Wirkung auf ihn ausübte.

Auch Erin sprang auf und starrte ihn zornig an. „Es ist kein Fehler, das versichere ich Ihnen“, erklärte sie vehement. „Ich war Faisals Ehefrau – ich habe die Heiratsurkunde, um es zu beweisen!“

Zahir hob eine Augenbraue. „Ich bitte um Verzeihung – ich hatte ja keine Ahnung. Ihr Outfit entspricht wohl kaum der Stellung der Ehefrau eines Scheichs, daher konnte ich Sie nur für ein Mitglied des Dienstpersonals halten.“

Erin errötete tief, während sie seinen kritischen Blick ertragen musste, der von ihrem Scheitel bis zu ihren Sohlen wanderte. Wenn sie sich doch nur für das Treffen mit Gordon Straker etwas angemessener gekleidet hätte! Fairerweise musste man allerdings sagen, dass sie nicht damit gerechnet hatte, von einem furchtbar arroganten, verteufelt attraktiven Scheich begutachtet zu werden, der sich zufälligerweise als Faisals Bruder erwies.

Trotzig hob sie das Kinn und begegnete Zahir bin Kahlid al Muntassirs provozierendem Blick. Das unmaskierte sexuelle Interesse in seinen tiefschwarzen Augen löste einen sinnlichen Schauer in ihrem Körper aus. Erst als er den Blickkontakt abbrach, merkte sie, dass sie den Atem angehalten hatte.

„Mein Bruder hat sich vor sechs Jahren mit seiner Familie zerstritten“, erklärte er kühl.

Bei dem Wort „Familie“ drehte sich Erin der Magen um. Was für eine Familie? Faisal hatte ihr gegenüber immer wieder behauptet, es gäbe keine lebenden Verwandten, und jetzt schien es nicht nur so, dass er einen Bruder besaß, sondern auch noch weitere Familienmitglieder. Warum hatte er sie belogen? Und wenn er sich mit seiner Familie zerstritten hatte, wie hatte sein Bruder dann von seinem Tod erfahren? Ihre Beunruhigung wuchs und wurde bei Zahirs nächsten Worten zu regelrechter Angst.

„Ich habe erst in Faisals Brief, den Mr. Straker in seinem Auftrag an mich geschickt hat, erfahren, dass meine Schwägerin vor drei Jahren gestorben ist. In diesem Brief erwähnte Faisal jedoch mit keinem Wort, dass er wieder geheiratet hat“, fügte er spitz hinzu und schaute kurz zu Erin hinüber. „Bis vor zwei Wochen wusste ich noch nicht einmal, dass mein Bruder einen Sohn hat – ein Kind, das nun zur Waise geworden ist.“

Erneut streifte sein Blick Erin, und dabei wirkten seine Augen kalt und hart. „Als Faisals einzige Begünstigte sind Sie jetzt eine sehr reiche Frau“, erklärte er gedehnt. „Aber ich bin nicht an Geld interessiert. Dieses zugige Monstrum von einem Haus können Sie gerne behalten“, fügte er verächtlich hinzu und warf einen kurzen Blick durch die Bibliothek, in der das knisternde Kaminfeuer wenig dazu beitrug, den Raum zu erwärmen.

„Mein Interesse richtet sich ausschließlich auf meinen Neffen, Kazim. Ich nehme an, dass seit Faisals Tod gut für ihn gesorgt wurde?“ Er ignorierte Erins Versuch zu antworten und verkündete kühl: „Ich bin hergekommen, um ihn in sein Heimatland Qubbah zu bringen, sodass er von seiner Familie aufgezogen werden kann. Bitte informieren Sie die Nanny, oder wer auch immer für ihn zuständig ist, dass ich ihn treffen möchte, und sorgen Sie dafür, dass seine Sachen so schnell wie möglich gepackt werden. Ich möchte aufbrechen, ehe das Wetter noch unberechenbarer wird.“

Erin starrte ihn fassungslos an; ihr Herz pochte wie verrückt. „Sie bringen Kazim nirgendwo hin!“, fauchte sie. Seine Arroganz und Überheblichkeit lösten eine ungeheure Wut in ihr aus. „Als ich Faisal geheiratet habe, wurde Kazim von mir adoptiert. Ich bin seine legale Mutter, und er bleibt hier in Ingledean. Das hier ist sein Zuhause“, schloss sie vehement, während sie sich schlicht weigerte, sich von Zahirs zornigem Gesichtsausdruck einschüchtern zu lassen.

Seine Augen verengten sich. „Stimmt das?“

Wieder einmal hatte er sich an den Notar gewandt, doch Erin hatte es satt, wie ein Möbelstück behandelt zu werden. Die Hände in die Hüften gestemmt, funkelte sie ihn aufgebracht an.

„Und ob das stimmt! Kazim ist gesetzlich mein Sohn, und ich werde nicht erlauben, dass Sie ihn mir wegnehmen. Sie haben nicht das Recht dazu!“

„Das werden wir noch sehen – oder vielmehr werden sich meine Anwälte darum kümmern“, entgegnete Zahir eisig.

Sein Kiefer verkrampfte sich. In seinen ganzen sechsunddreißig Jahren war es ihm nie passiert, dass jemand derart respektlos mit ihm sprach – und schon gar nicht eine Frau! Unter der Herrschaft seines Vaters entwickelte sich Qubbah allmählich zu einem liberaleren Königreich, und er selbst hatte einen Großteil seines Lebens in den USA und Europa verbracht, wo er lernte, dass Männer und Frauen einander gleichgestellt waren, doch als Prinz war er daran gewöhnt, dass man ihn entsprechend behandelte – genau genommen begegnete man ihm nur mit allergrößter Ehrerbietung, und Frauen beider Kulturen umschmeichelten ihn hemmungslos.

Er war es nicht gewöhnt, von einer rothaarigen Hexe angeschrien zu werden, und die Tatsache, dass Erin noch atemberaubender aussah, wenn sie wütend war, war auch keine große Hilfe.

Zahir fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Zur Hölle, sie war eine unvorhergesehene Komplikation, die er wirklich nicht brauchte, dachte er zornig. Auf der anderen Seite der Welt wartete ein alter, todunglücklicher Mann darauf, seinen Enkel zu sehen. Er hatte seinem Vater versprochen, dass er Faisals Sohn nach Qubbah bringen würde, und er würde dieses Versprechen halten! Allerdings schien die Situation weniger eindeutig zu sein als angenommen. Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht, was er tun sollte, und dieses Gefühl behagte ihm ganz und gar nicht.

„Ich fasse es nicht, dass Sie tatsächlich geglaubt haben, Sie könnten so mir nichts dir nichts hier auftauchen und ein dreijähriges Kind, das Sie nicht mal kennt, in ein fremdes Land entführen“, hielt Erin ihm vor. „Kazim ist beinahe noch ein Baby! Ein kleiner Junge, der gerade erst seinen Vater verloren hat. Ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass es ihn zu Tode ängstigen würde, von einem völlig Fremden verschleppt zu werden?“

„Ich hatte nicht vor, ihn irgendwohin zu verschleppen“, zischte Zahir, der sich wahnsinnig über ihre Kritik ärgerte. „Ich bin heute allein hierher gekommen anstatt gemeinsam mit meinen üblichen Leibwächtern, damit er eine Chance hat, mich kennenzulernen. Außerdem habe ich in Qubbah bereits eine äußerst qualifizierte Nanny eingestellt, die sich um ihn kümmern wird.“

Panik erfasste Erin, und auch ihre Verwirrung verstärkte sich, doch sie verbarg ihre Gefühle. „Nun, es tut mir leid, dass Sie diese Reise umsonst gemacht haben“, entgegnete sie und zwang sich, ruhig zu klingen. „Aber Faisal hat sehr deutlich gemacht, dass Kazim in England aufwachsen soll – bei mir. Er hat mich gebeten, Kazim zu adoptieren, was ich mit Freuden getan habe.“

„Wenn das der Fall ist, warum hat er Sie dann mit keinem Wort in seinem Brief erwähnt?“

Das war genau die Frage, die Erin nicht beantworten konnte, doch in diesem Moment stand Gordon Straker glücklicherweise auf und schaltete sich ein.

„Es tut mir leid, wenn ich Sie unterbreche, aber das Wetter sieht so aus, als würde es noch schlimmer werden, und ich muss meinen Zug erwischen“, entschuldigte er sich. Der Notar griff bereits nach seinem Mantel und blickte besorgt zum Fenster hinaus. „Erin, wenn Sie meinen Rat brauchen …“ Er zögerte und schaute kurz zu Zahir hinüber, ehe er seinen Blick wieder auf Erin richtete. „Sie können mich jederzeit in meinem Büro in London kontaktieren.“ Im nächsten Moment ging er auf die Tür zu, hielt jedoch inne, als Zahirs scharfe Worte ihn aufhielten.

„Sind Sie sicher, dass das Testament nichts über das Kind aussagt? Keine Klausel, die bestimmt, wer sich um Kazim kümmern soll, oder eine finanzielle Regelung, was seine Zukunft angeht?“

„Nein“, entgegnete der Notar schlicht. „Ihr Bruder hat seinen gesamten Besitz Erin hinterlassen – ich nehme an, in der Erwartung, dass sie sich um Kazim kümmern würde.“

„Was ich auch tun werde“, betonte Erin, die sich schrecklich über Zahirs skeptischen Gesichtsausdruck ärgerte. „Ich liebe Kazim, als wäre er mein eigenes Kind.“

„Wirklich?“ Zahir wandte sich von ihr ab und lachte harsch. Diese Frau klang zwar überzeugend, doch er konnte einfach nicht glauben, dass sie aus Liebe ihr Leben einem Kind widmen wollte, das nicht mal ihr eigenes war. Nein, warum sollte sie das tun? Schließlich war er selbst von seiner eigenen Mutter im Stich gelassen worden!

In den vergangenen zehn Jahren hatte er kaum einen Gedanken an seine Mutter verschwendet. Georgina war die zweite Frau seines Vaters gewesen – eine Amerikanerin, die sich laut seiner drei Halbgeschwister nur schwer an das strikte Protokoll gewöhnen konnte, das der Frau des Königs von Qubbah auferlegt wurde. Zahir hatte das nicht gewusst, und als kleiner Junge akzeptierte er einfach die Tatsache, dass sie sehr häufig in die USA flog. Jedes Mal wartete er ungeduldig auf ihre Rückkehr. Doch als er elf Jahre alt war, kehrte sie nicht mehr zurück, und seitdem hatte er sie weder gesehen noch mit ihr gesprochen.

Sein Vater erklärte ihm damals, dass sie sich um ihre kranke Mutter kümmern müsse und daher nicht zurückkommen könne. Zahir vermisste sie schrecklich, und lange Zeit weinte er sich Nacht für Nacht in den Schlaf. Doch mit vierzehn erfuhr er dann die Wahrheit – dass sie sich geweigert hatte, weiter in Qubbah zu leben, und stattdessen ein finanzielles Arrangement akzeptierte, mit dem sie auf das Sorgerecht für ihren einzigen Sohn verzichtete.

Seine Mutter hatte ihn verkauft – nachdem er um diese Tatsache wusste, waren seine Tränen versiegt, und er dachte nie wieder an sie. Allerdings war ihm eine wertvolle Lektion in Sachen Liebe und Vertrauen erteilt worden, dachte er bitter – eine Lektion, die vor sechs Jahren noch einmal bestätigt worden war, als ihn die einzige andere Frau, die er jemals geliebt hatte, ebenfalls betrog.

Geräusche von jenseits der Bibliothekstür holten ihn in die Gegenwart zurück: ein Kind, das weinte, vermischt mit einem unverwechselbaren, breiten Yorkshire-Akzent. Im nächsten Moment flog die Tür auf, und eine Frau mit einem hysterisch heulenden Kleinkind auf dem Arm trat ein.

„Entschuldige die Störung.“ Sie sprach zu Erin und ignorierte die offensichtliche Spannung im Raum. „Kazim hat sich den Kopf am Küchentisch gestoßen. Du weißt ja, dass er überall herumläuft. Er hat eine Beule an der Stirn so groß wie ein Ei, aber er will sich nicht von mir trösten lassen – er will nur zu dir.“

Schnell streckte Erin die Arme aus und nahm der Köchin das weinende Kind ab. Ihr Herz zog sich zusammen, als Kazim die Ärmchen um ihren Hals schlang und sich ganz fest an sie presste. „Psst, ist doch schon gut, mein Schätzchen. Lass mich mal deinen Kopf anschauen.“ Sie strich ihm die dunklen Locken aus der Stirn und betrachtete die blasse Beule, ehe sie den Eisbeutel darauf legte, den Alice ihr reichte. „Das ist eine ganz schön große Beule, die du hast, aber sie ist nicht weiter schlimm.“

Kazims Schluchzer verebbten allmählich, während sie ihn in den Armen wiegte. Er roch ganz wunderbar nach Seife und Babypuder, und die Liebe, die sie für ihn empfand, ließ ihr Herz überquellen. Nichts würde sie je dazu bringen, ihn aufzugeben, schwor sie innerlich. Doch als sie aufblickte und sah, wie Faisals Bruder sie mit kühlem Blick beobachtete, stellte sich erneut dieses Gefühl unguter Vorahnung ein.

„Sollten Sie seine Kopfverletzung nicht von einem Arzt untersuchen lassen?“, fragte er kalt.

Kazim wand sich bereits in ihren Armen. Er wollte auf den Boden gestellt werden und schien schon wieder guter Dinge. „Ihm geht es gut“, erklärte Erin knapp. „Mein Gott, er ist ein lebhafter Dreijähriger, ich kann ihn nicht ständig in Watte packen. Außerdem bin ich eine voll ausgebildete Erzieherin mit Qualifikation in Erster Hilfe“, fügte sie hinzu, als Zahir sie weiter skeptisch anblickte. „Ich bin hervorragend geeignet, um mich um ihn zu kümmern.“

Trotzig hob sie das Kinn und begegnete seinem eisigen, leicht verächtlichen Blick. Erin hasste seine Arroganz, dennoch konnte sie einfach nicht wegschauen. Während sie sich anstarrten, flammte Hitze in den dunklen Tiefen seiner Augen auf, und für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ungehemmtes, sexuelles Verlangen darin aufblitzen, doch dann senkte er den Blick und verbarg seine Gefühle wieder.

Aufgewühlt schaute sie zu Gordon Straker hinüber, der sich im Aufbruch befand. „Erin, es tut mir wirklich leid, aber ich muss …“

„Ja, natürlich.“ Sie traf eine rasche Entscheidung, setzte Kazim ab und wandte sich an Alice. „Würdest du kurz auf ihn aufpassen, während ich Mr. Straker nach draußen begleite?“

Sie eilte dem Notar hinterher und hielt ihn am Arm, als er bereits die Haustür erreicht hatte. „Mr. Straker, wann hat Faisal Ihnen den Brief gegeben, den Sie nach seinem Tod an seinen Bruder schicken sollten? Als er mich geheiratet hat?“, fragte sie heiser.

„Oh, nein, es war etwa einen Monat, bevor er gestorben ist. Bis dahin wusste auch ich nicht, dass Faisal eine Familie hat. Wie ich sehe, stellt die Neuigkeit einen gewissen Schock für Sie dar“, fügte er sanft hinzu.

Erin biss sich auf die Lippe. Plötzlich überkam sie das Bedürfnis, sich dem freundlichen Notar anzuvertrauen. „Als Faisal erfuhr, dass er sterben würde, war er verzweifelt darum bemüht, Kazims Zukunft zu sichern“, erklärte sie eindringlich. „Ich habe mich um ihn gekümmert, seit er drei Monate alt war. Faisals Ehefrau ist an Komplikationen, die durch die Geburt verursacht worden waren, gestorben, und als Faisals Gehirntumor vor einem Jahr diagnostiziert wurde, hat er mich gebeten, ihn zu heiraten, damit es leichter für mich wäre, Kazim zu adoptieren. Er sagte mir, dass er keine weitere Familie habe, und er wollte nicht, dass Kazim in einem Waisenhaus groß würde – so wie ich.“

Sie hasste es, über ihre Vergangenheit zu sprechen und senkte den Blick, während sie hastig mit leiser Stimme fortfuhr. „Meine Mutter war drogenabhängig. Sie starb, als ich zehn war. Den Rest meiner Kindheit habe ich in irgendwelchen Sozialeinrichtungen verbracht. Ich war ein schwieriger Teenager, und ich wüsste nicht, wo ich heute wäre, wenn mich meine Pflegeeltern nicht aufgenommen hätten – vermutlich würde ich auf der Straße arbeiten wie meine Mutter, um meinen nächsten Schuss zu verdienen“, gestand sie rau. „Mein Pflegevater hat hier in Ingledean als Gärtner gearbeitet. Als Faisal das Haus kaufte, hat er mich als Kazims Nanny eingestellt. Trotz meines Hintergrundes wusste er, dass ich Kazim lieben und beschützen würde, als wäre er mein eigenes Kind.“

Es verletzte sie, dass Faisal nicht ehrlich zu ihr gewesen war. Er besaß doch eine Familie, und kurz vor seinem Tod hatte er die Entscheidung getroffen, dieser Familie mitzuteilen, dass er einen Sohn hatte. Lag es daran, dass er zu zweifeln begonnen hatte, ob sie seinem Kind eine gute Mutter sein würde? Hatte er beschlossen, dass seine Familie, zu der er seit sechs Jahren keinen Kontakt mehr hatte, an Kazims Erziehung beteiligt sein sollte?

All ihre Zweifel und alten Unsicherheiten stiegen erneut in ihr auf, doch Gordon Straker öffnete die Tür, worauf ein eisiger Wind hereinwehte und Erin aus ihren Überlegungen herausriss.

Der Notar schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. „Sie sind Kazims Adoptivmutter, Erin“, sagte er sanft, „und niemand kann Ihnen den Jungen wegnehmen. Es liegt ganz allein an Ihnen, zu entscheiden, ob es im Interesse des Kleinen ist, Kontakt zu seiner Familie in Qubbah aufzubauen.“

Er schlug den Kragen hoch und trat hinaus in den Schnee, doch er wandte sich noch einmal zu ihr um. „Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt, und was ich so gehört habe, ist Scheich Zahir ein hervorragender Geschäftsmann, der zuweilen hohe Risiken eingeht. Überall achtet man ihn für seine Fähigkeiten und seinen Mut. Wenn er ein Ziel hat, verfolgt er es mit allen Mitteln, dennoch finden ihn viele Menschen unglaublich charmant und überzeugend – vor allem Frauen.“ Er lächelte leicht, als sie errötete. „Damit will ich nur sagen – seien Sie vorsichtig, Erin, und lassen Sie sich nicht von ihm einschüchtern.“

„Seien Sie unbesorgt, das werde ich nicht“, erwiderte Erin bestimmt.

Doch als sie zurück in die Bibliothek eilte, wo sie den Scheich mit ihrem Sohn zurückgelassen hatte, legte sich eine eigenartige Beklemmung um ihr Herz. Vom ersten Moment ihrer Begegnung an hatten Zahirs fantastisches Aussehen und seine sexuelle Ausstrahlung sie in den Bann geschlagen. Der Mann war eine echte Gefahr, und das raubtierhafte Funkeln in seinen Augen warnte sie, dass sie auf der Hut sein musste.

2. KAPITEL

Zahir wandte sich vom Fenster samt seiner trüben Aussicht ab und blickte auf den kleinen Kazim, der ihn mit seinen schokoladenbraunen Augen neugierig anstarrte. Langsam sank er auf die Knie, um sich auf eine Höhe mit dem Kind zu begeben. Schmerz erfasste ihn. Der Junge sah seinen beiden Eltern wirklich verdammt ähnlich – allein der Anblick seines kleinen, lebhaften Gesichtes mit dem lausbubenhaften Grinsen ließ Faisals und Maryams frühzeitigen Tod noch tragischer erscheinen.

Zorn und Bitterkeit, die so lange an Zahir genagt hatten, fielen mit einem Mal von ihm ab und wurden von einem ganz anderen Gefühl ersetzt. Liebe – rein und unverfälscht – durchströmte ihn, und so streckte er die Hand aus und streichelte mit zitternden Fingern sanft über Kazims Wange.

Faisals kleiner Sohn war eine Waise, doch er würde sich niemals allein oder ungeliebt fühlen müssen. Er, Zahir, würde dafür sorgen. Sein dummer Stolz hatte verhindert, dass er sich rechtzeitig mit seinem Bruder ausgesöhnt hatte, aber seinen kleinen Neffen würde er lieben wie sein eigenes Kind. Kazim gehörte nach Qubbah. Nichts und niemand würden Zahir daran hindern, ihn nach Hause zu bringen.

„Er wirkt sehr groß für einen Dreijährigen“, bemerkte er an die Köchin gewandt, die sich auf einen Sessel am Kamin niedergelassen hatte.

„Oh, das ist er auch – und stark“, stimmte sie heiter zu. „Er ist außerdem verdammt dickköpfig, ein außerordentlich liebenswertes Kind, das genau weiß, was es will. Manchmal muss Erin allerdings ganz schön mit dem Kleinen ringen – vor allem, wenn er gebadet werden soll.“

Zahir runzelte die Stirn. „Was meinen Sie damit – mit ihm ringen? Verliert sie die Beherrschung?“

Kazim war ein kräftiges Kleinkind, doch seit dem Tod seines Vaters war er – ganz allein auf der Welt – vollkommen auf Erins Fürsorge angewiesen. Wer war diese Frau eigentlich, in deren Obhut Faisal seinen Sohn gegeben hatte? Erin behauptete, dass sie Kazim liebe, aber er, Zahir, war ein Blutsverwandter des Kleinen, und plötzlich erfasste ihn ein regelrechter Beschützerinstinkt.

„Himmel, nein.“ Alice schüttelte vehement den Kopf. „Erin ist bewundernswert geduldig mit ihm. Sie betrachtet ihn wirklich als ihr eigenes Kind – und immerhin ist sie die einzige Mutter, die er je gekannt hat.“

Die letzten Worte der Köchin behagten Zahir ganz und gar nicht, weshalb sich sein Stirnrunzeln noch vertiefte. Als er jedoch zu ihr hinüberschaute, setzte er bewusst ein entwaffnendes Lächeln auf. „Wenn ich recht verstanden habe, dann hat Erin zuerst für meinen Bruder gearbeitet und ihn dann vor einem Jahr geheiratet?“

„Ja. Faisal hat sie als Kazims Nanny eingestellt, als er hier einzog“, bestätigte Alice, die unter Zahirs Charmeattacke förmlich dahinschmolz. „Nach Faisals Tod gab es dann unten im Dorf einigen unschönen Klatsch und Tratsch. Ein paar Leute behaupteten, sie hätte ihn durch ihr Versprechen, sich um Kazim zu kümmern, dazu gebracht, sie zu heiraten und ihr Ingledean zu vermachen.“ Sie schnaubte verächtlich. „Völliger Unsinn, natürlich – Erin ist kein bisschen berechnend, aber manche Leute sind derart gehässig und missgünstig, dass sie all die alten Sachen über ihre Vergangenheit wieder ausgraben …“

Plötzlich verstummte die Köchin verlegen. Zahir hakte sofort nach: „Was ist mit ihrer Vergangenheit?“

„Oh, es war nichts“, versicherte Alice rasch. „Erin hatte eine sehr unglückliche Kindheit, und als Teenager ist sie wohl einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Es war nur eine kleine Sache, soweit ich weiß.“ Sie hielt inne, ganz offensichtlich beschämt, weil sie so viel ausgeplaudert hatte. „In jedem Fall hat Faisal Erin vertraut“, sagte sie fest, während sie aufstand und etwas Holz ins Feuer warf. „Auch wenn sie keine normale Ehe geführt haben, so haben sie sich doch sehr gemocht.“

Keine normale Ehe? Zahir wurde neugierig und hätte Alice am liebsten weitere Fragen gestellt, doch die Köchin hatte ganz rote Wangen und wirkte peinlich berührt, er musste seine Ungeduld zügeln. Sobald wie möglich würde er Omran, seinen persönlichen Assistenten, anrufen und beauftragen, Erins Hintergrund zu durchleuchten.

Zahir wandte seine Aufmerksamkeit wieder Kazim zu, und diesmal war sein Lächeln echt. „Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht“, erzählte er dem kleinen Jungen, dessen Augen sofort aufleuchteten. „Es ist ein Spielzeug-Kamel, es sieht so aus wie die echten Kamele in der Wüste. Was hältst du davon, wenn du mit mir in meine Heimat kommst und auf einem richtigen Kamel reitest?“

Erin schob die Tür zur Bibliothek auf und sah, wie Kazim völlig gebannt Zahir in die Augen blickte. Faisals Bruder kniete auf dem Boden, sodass er auf einer Höhe mit dem Kleinen war. Sofort erkannte Erin die frappierende Ähnlichkeit zwischen Onkel und Neffe. Auch Alice schaute den Mann aus Qubbah mit einem derart verträumten Ausdruck an, dass Erins Verärgerung weiter wuchs. Also gut, der Mann sah aus wie Lawrence von Arabien, und seine Stimme klang nicht mehr kalt und überheblich, sondern warm und sinnlich wie geschmolzener Honig – doch das war noch lange kein Grund, ihn derart anzuschmachten, dachte sie wütend.

„Erin! Ich habe ein Kamel!“ Kazim hatte sie entdeckt und rannte quer durch den Raum auf sie zu, wobei er fröhlich mit dem Kuscheltier winkte. „Ich werde auf einem reiten – einem echten“, fügte er aufgeregt hinzu. „Können wir jetzt gleich in die Wüste fahren?“

Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Erin schaffte es, den Jungen anzulächeln, während sie gleichzeitig Zahir, der sich gerade aufrichtete, einen mörderischen Blick zuwarf.

„Heute nicht, Schätzchen“, murmelte sie. „Die Wüste ist ganz weit weg von hier.“ Kühl lächelte sie Zahir an. Hoffentlich sah man ihr nicht an, wie heftig ihr Herz schlug!

„Gordon Straker hat gut daran getan, sich auf den Weg zu machen, ehe das Wetter noch schlechter wird. Ich schlage vor, Sie tun dasselbe. Sie wollen doch sicher nicht in diesem ‚zugigen Monstrum von einem Haus‘ festsitzen“, fügte sie süßlich hinzu. „Alice, würdest du Kazim in die Küche mitnehmen? Es ist Zeit für seinen Tee.“

„Oh – natürlich.“ Alice wirkte ob Erins brüskem Tonfall leicht überrascht, streckte Kazim jedoch die Hand entgegen und verließ zusammen mit dem Kleinen den Raum.

Nachdem sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, schaute Erin zu Zahir hinüber und stellte mit sinkendem Herzen fest, dass er sie voller Zorn anstarrte.

„Sie gönnen mir nicht mal fünf Minuten mit dem Sohn meines Bruders?“, fragte er harsch. „Kazim ist mein Fleisch und Blut …“

„Ich wusste nichts von Ihnen“, verteidigte sie sich. „Faisal sagte mir, dass weder er noch seine erste Frau Familie hätten. Sie müssen verstehen, dass Ihr heutiges Auftauchen ein ganz schöner Schock für mich ist.“ Sie biss sich auf die Lippen, während ihre Gedanken nur so durcheinander wirbelten. „Als Sie sagten, dass Kazims Familie in Qubbah lebt – wen meinten Sie da genau?“

„Meinen Vater …“ Zahir zögerte. Erin schien wirklich überaus verwirrt darüber, dass Faisal Familie besaß. Aus irgendeinem Grund musste sein Bruder ihr verschwiegen haben, dass er ein Prinz und sein Sohn der rechtmäßige Nachfolger auf den Thron von Qubbah war. Im Moment sah Zahir jedoch keinen Grund, ihr die Wahrheit zu sagen. „Meine Familie verfügt über sehr viel Macht und Einfluss in Qubbah“, teilte er ihr lediglich mit. „Mein Vater, Scheich Kahlid, kann es nicht abwarten, seinen zehnten Enkel zu sehen. Meine drei Schwestern sind verheiratet und haben etliche Kinder, die alle Kazims Cousinen und Cousins sind. Außerdem hat mein Vater sechs Geschwister, die alle wiederum verheiratet sind. Kazim besitzt wirklich eine riesige Familie.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr.

„Und Sie müssen doch einsehen, dass es für Kazim besser wäre, von seiner wahren Familie erzogen zu werden. Von Verwandten, die ihn lieben, die ihm alles über seine Kultur und sein Erbe beibringen werden und die nur das Beste für ihn wollen?“, fragte er ungeduldig, als Erin ihn nur fassungslos anstarrte.

Kazim gehörte ihr, dachte sie verzweifelt, niemand konnte ihn ihr wegnehmen, das hatte Gordon Straker gesagt. „Ich liebe ihn“, erklärte sie heftig. „Ich will das Beste für ihn. Ich weiß nicht, warum Faisal sich mit seiner Familie zerstritten hat, aber es muss schon ein sehr ernster Grund gewesen sein, wenn sechs Jahre lang kein Kontakt bestand. Kazim ist ein kleiner Junge, der beide Elternteile verloren hat, und er braucht die Stabilität und Sicherheit, die er hier in seinem Zuhause bekommt. Vielleicht könnte es einen Kontakt geben, wenn er ein wenig älter ist“, bot sie zögerlich an. „Sie könnten zu Besuch kommen …“

„Ich habe nicht die Absicht, den Kontakt zu meinem Neffen auf einen gelegentlichen Besuch zu beschränken“, widersprach Zahir eisig. „Kazim gehört nach Qubbah, zu seinen Blutsverwandten, und genau dorthin werde ich ihn auch bringen – mit oder ohne Ihre Zustimmung.“

„Das dürfen Sie nicht.“ Erin erinnerte sich an Strakers Warnung, dass sie sich von Zahir nicht einschüchtern lassen solle, deshalb straffte sie die Schultern und verbarg ihre Angst. „Kazim ist rechtlich mein Sohn, und ich habe vor, Faisals Wunsch zu folgen und ihn hier in England aufzuziehen. Ich sehe ja ein, dass es gut für Kazim wäre, seine Verwandten kennenzulernen“, gestand sie verzweifelt ein, wobei ihr jetzt schon bang wurde bei dem Gedanken, den Jungen mit Fremden zu teilen, die ihr vermutlich mit Ablehnung begegnen würden, „und ich verstehe auch das Bedürfnis Ihres Vaters, seinen Enkel zu sehen. Aus diesem Grund erlaube ich ihm, Kazim zu besuchen.“

Erlauben? Zahir wurde von einem derart unglaublichen Zorn erfasst, dass er im ersten Moment sprachlos war. Niemand erlaubte der Königsfamilie von Qubbah irgendetwas. Ihre Macht war absolut!

Während er aus dem Fenster blickte, biss er die Zähne zusammen. Er hatte einfach nicht die Zeit, hier herumzustehen und sich zu streiten. Wenn er nur an seinen kranken Vater dachte, an den Ausdruck auf seinem Gesicht, als er von Faisals Tod erfahren hatte … Kazim war eine Art Rettungsanker. Vermutlich war der Kleine der einzige Mensch, der den König aus seiner Verzweiflung befreien konnte. Er würde sich von niemandem daran hindern lassen, den Jungen in das Land zu bringen, das er eines Tages regieren würde.

„Mein Neffe gehört nach Qubbah“, erklärte er unwiderruflich, während er auf den Schreibtisch zuging und dabei in die Innentasche seines Jacketts griff. Er spürte Erins Blick, doch er schaute sie ganz bewusst nicht an. Er wollte sich einfach nicht vorstellen, wie sie mit Faisal zusammen gewesen war, denn dann hätte er die blinde Eifersucht zugeben müssen, die ihn bei dieser Vorstellung überfiel. Also gut, sie hatte überzeugend geklungen, als sie sagte, dass sie den Jungen liebe, aber alles hatte seinen Preis – selbst Liebe.

„Wir können die Sache auf zwei Arten regeln“, bemerkte er unbarmherzig. „Ich könnte die besten Anwälte engagieren und vor Gericht mit Ihnen um das Sorgerecht streiten. Der Nachteil dabei ist, dass so ein Prozess sehr lange dauern wird, und mein Vater ist bereits achtzig. Er will seinen Enkel so schnell wie möglich kennenlernen. Deshalb bin ich bereit, Ihnen im Austausch für meinen Neffen ein extrem großzügiges Angebot zu machen.“

Jetzt blickte er sie an. Er beobachtete, wie sich in ihren grauen Augen die Verwirrung spiegelte, während sie langsam auf ihn zuging und den Scheck entgegennahm, den er ihr hinhielt. Ihre Finger zitterten, und als sie auf den Scheck hinuntersah, wurde sie ganz bleich.

„Ich verstehe nicht“, entgegnete sie verstört. Ihr Gehirn weigerte sich, die enorme Summe zu erfassen, die dort stand. Als sie endlich zu begreifen begann, spürte sie einen solchen Zorn und Abscheu in sich, dass sie am ganzen Körper zitterte. „Versuchen Sie gerade, Kazim zu kaufen?“

„Ich biete Ihnen die Möglichkeit, Ihr Leben ohne die Verantwortung für ein Kind, das nicht das Ihre ist, weiterführen zu können“, erwiderte Zahir vollkommen ruhig. „Sie sind jung und außergewöhnlich schön“, bemerkte er nüchtern. „Und seit dem Tod meines Bruders auch wieder Single. Ich nehme an, dass Sie bald schon wieder an Sex denken werden. Ja, ich vermute, dass Sie über eine sehr sinnliche Natur verfügen“, fuhr er in demselben nüchternen Ton fort, der so im Gegensatz zu der Glut in seinen Augen stand. „Dann wird Kazim zur Belastung, und ich lasse nicht zu, dass er seine Kindheit damit verbringt, gegen ihren neuesten Liebhaber um ihre Aufmerksamkeit buhlen zu müssen.“

„Ich will keinen Liebhaber!“ Erin schüttelte heftig den Kopf, sie kochte innerlich.

Zahir beschrieb sie wie eine notorische Nymphomanin, die ihre sexuellen Gelüste nicht unter Kontrolle hatte. Wenn er wüsste! Noch nie hatte sie auch nur das geringste Bedürfnis verspürt, mit einem Mann Sex zu haben – bis heute, flüsterte eine kleine Stimme in ihrem Kopf, die sie rasch verdrängte, um sich stattdessen auf ihre Entrüstung zu konzentrieren. Sie starrte den Scheck in ihren Händen an, und ihr wurde regelrecht übel.

„Verschwinden Sie!“, schrie sie und riss den Scheck in Stücke. „Kazim steht nicht zum Verkauf.“

Zahir zeigte keinerlei Reaktion. Er stand einfach nur da, lächelte sie verächtlich an und brachte somit das Fass zum Überlaufen. Erin schleuderte ihm die Papierfetzen entgegen. „Wie können Sie es wagen, in mein Haus zu kommen und von mir zu verlangen, dass ich Ihnen mein Kind aushändige?“ Sie betonte jedes einzelne Wort, indem sie mit dem Finger gegen seine Brust stieß. „Faisal hat mich angefleht, seinen Sohn zu adoptieren, und jetzt weiß ich auch warum. Sie sind ein arroganter, widerwärtiger Mistkerl, und ich werde alles dafür tun, dass Sie nie auch nur die geringste Rolle in Kazims Leben spielen!“

„Genug!“ Der autoritäre Ton in Zahirs Stimme durchbrach ihre beleidigende Tirade. Erin keuchte auf, als er ihre Hand packte und sie an sich zog. „Sie werden nicht in diesem unverschämten Ton mit mir reden.“

„Ich rede in dem Ton mit Ihnen, der mir passt, und es gibt rein gar nichts, was Sie dagegen tun können.“

Zahir kämpfte gegen eine unbändige Rage in ihm an. Noch nie in seinem Leben war er so beleidigt worden. Mein Gott, diese Frau brauchte wirklich eine Lektion!

Mit blitzenden Augen starrte sie ihn an, die Wangen gerötet, wilde rote Locken umrahmten ihr Gesicht. Urplötzlich stellte er sich vor, wie sie erhitzt und wütend unter ihm lag und ihn herausforderte, sie zu küssen …

Mit einem heftigen Fluch senkte er den Kopf und eroberte ihren Mund in einem Kuss, der dazu gedacht war, sie seinem Willen zu unterwerfen.

„Nein!“ Erins Protest verlor sich in der Unnachgiebigkeit seiner Lippen.

Wie konnte er es wagen, sie zu küssen? Wie konnte er es wagen, den Arm um sie zu schlingen und sie gegen seinen stahlharten Körper zu pressen? Eine Hand legte er um ihren Hinterkopf, sodass es ihm ein Leichtes war, seinen Mund auf den ihren zu pressen.

Als er seine Zunge zwischen ihre Lippen zwang, stöhnte sie und versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, um seinem schonungslosen Angriff zu entgehen, doch ihr Widerstand war zwecklos. Sie trommelte mit den Fäusten gegen seine Schultern, was vollkommen wirkungslos an ihm abprallte. Schließlich legte sie ihre Hände flach auf seine Brust, da sie nicht mehr die Kraft besaß, ihn zu bekämpfen. Er musste ihre Kapitulation gespürt haben, denn plötzlich wurde sein Kuss weicher und seine Zunge zärtlicher.

Und mit einem Mal verpuffte ihr Zorn. Stattdessen erfasste sie ein völlig unbekanntes Gefühl – eine träge, wachsende Erregung, die von jeder einzelnen Faser ihres Körpers Besitz ergriff, sodass sie sich nicht länger gegen ihn wehrte, sondern in seinen Armen dahinschmolz.

Sie fühlte, wie seine Hand erst zu ihrem Po hinabglitt, dann über ihre Hüfte und wieder hinauf, bis sie unmittelbar unter ihrer Brust liegen blieb. Nur ein kleines Stückchen höher, und er könnte mit der Daumenspitze über ihre Knospe streichen …

Für Erin existierte nur noch das Gefühl seiner warmen Lippen, das sinnliche Eintauchen seiner Zunge in ihren Mund und das erotische Gewicht seiner Hand, die so nah an der Stelle ruhte, an der sie sich seine Berührung ersehnte. Sie war in einer vollkommen neuen Welt gefangen. Wie von selbst schmiegte sie sich noch enger an ihn und rieb ihre Hüften an seinen Lenden – da riss er seinen Mund plötzlich von ihr los und stieß sie von sich.

In der darauffolgenden Stille war die sexuelle Spannung förmlich greifbar, und im ersten wahnwitzigen Moment wünschte sich Erin, er würde sie wieder in seine Arme schließen und sie so lange küssen, bis sie beide nur noch von Verlangen erfüllt waren. Doch als er schließlich sprach, wünschte sie sich, im Erdboden versinken zu können.

„Wie ich sehe, lag ich mit meiner Einschätzung Ihres Charakters vollkommen richtig“, höhnte er. „Mein Bruder ist kaum drei Wochen unter der Erde, und schon sind Sie sexuell frustriert. Ich frage mich wirklich, wie lang es wohl dauern wird, bis ein steter Strom von Liebhabern durch dieses Haus zieht? Wer wird sich dann um Kazim kümmern, wenn Sie keine Zeit für ihn haben?“

„Ich möchte, dass Sie jetzt gehen“, erklärte Erin gepresst. Sie war krampfhaft bemüht, Sauerstoff in ihre Lungen zu pumpen.

Sorgsam wich sie seinem Blick aus. Es hatte keinen Zweck, sich zu verteidigen oder ihm klarzumachen, dass sie in ihrem ganzen zweiundzwanzigjährigen Leben noch nie einen Freund gehabt hatte. Zahir hielt sie ganz offensichtlich für die Mata Hari von Yorkshire, und nach der beschämenden Art und Weise, wie sie auf ihn reagiert hatte, konnte sie ihm das noch nicht mal verübeln.

Zitternd riss sie die Bibliothekstür auf und trat zur Seite, um Zahir den Weg freizugeben. Im nächsten Moment keuchte sie auf, denn er hatte sie am Arm gepackt, die Tür wieder zugeknallt, und nun fuhr er sie voller Empörung an.

„Ich bin hergekommen, um den Sohn meines Bruders abzuholen, und ohne den Jungen gehe ich nirgendwohin“, erklärte er entschlossen.

„Ach ja? Was wollen Sie denn tun? Ihn kidnappen? Ihn gewaltsam entführen?“, fragte Erin voller Panik. „Sie behaupten, dass Sie nur das Beste für Kazim wollen, dabei sind Sie bereit, ihn zu Tode zu ängstigen, nur um Ihren Willen durchzusetzen!“

„Natürlich habe ich nicht vor, ihn zu verängstigen“, fauchte Zahir ungeduldig. Dennoch hatten ihre Worte einen wunden Punkt getroffen. Während er sie anstarrte und die Furcht in ihren Augen las, meldete sich sein Gewissen.

Er hatte nicht vorgehabt, die Beherrschung zu verlieren. Mein Gott, nie im Leben hätte er sie so küssen dürfen – aber sie machte ihn rasend wie nie ein Mensch zuvor, und dann hatte sie auch noch auf ihn reagiert, verdammt noch mal. Er konnte sie jetzt noch schmecken, konnte sich an den Moment reiner Süße erinnern, als sie die Gegenwehr aufgegeben, die Lippen geteilt und sich an ihn geschmiegt hatte.

Mit einem unterdrückten Fluch wandte er sich ab und fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar. Sie war die Witwe seines Bruders, erinnerte er sich grimmig. Schon allein aus Respekt gegenüber Faisal war sie für ihn tabu.

„Ich habe nicht die Absicht, Ihnen meinen Neffen wegzunehmen“, knurrte er schließlich. Er hatte ja gesehen, wie sich der Kleine an Erin geklammert und nur von ihr hatte trösten lassen. Natürlich konnte er Kazim nicht von der einzigen Mutter trennen, die er je gekannt hatte.

„Nicht?“, murmelte Erin benommen. Noch vor einer Minute hatte er geschworen, nicht ohne Kazim zu gehen.

„Nein.“ Zahirs Kiefermuskeln spannten sich an. Natürlich hatte er keine Lust, die Frau, die seine Hormone in derartigen Aufruhr stürzte, mit in sein Heimatland zu nehmen, aber es blieb ihm keine andere Wahl. „Ich sehe ein, dass Kazim Sie braucht, und daher ist klar, dass Sie ihn nach Qubbah begleiten müssen.“

Dieses Angebot meinte er vollkommen ernst, erkannte Erin, als sie das entschlossene Funkeln in seinen Augen sah. „Ich glaube, Sie verstehen nicht ganz“, begann sie. „Ich werde Sie weder nach Qubbah begleiten noch sonst irgendwohin, und Kazim auch nicht …“

„Nein, Sie sind diejenige, die nicht versteht“, unterbrach Zahir sie barsch. „Mein Vater sehnt sich verzweifelt danach, seinen Enkel kennenzulernen.“

„Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass Ihr Vater Kazim gerne hier besuchen kann“, verteidigte sich Erin, die unter seinem erbosten Blick zusammenzuckte.

„Die Reise würde ihn umbringen.“ Er ignorierte ihr leichtes Keuchen. „Vor zwei Monaten hat er sich einen Virus zugezogen, der sein Herz angreift. Die Ärzte haben ihm verschiedene Medikamente verschrieben, und sie behandeln ihn mit Sauerstoff, aber ein langer Flug ist vollkommen ausgeschlossen. Die einzige Lösung besteht darin, dass Sie Kazim nach Qubbah begleiten, und ganz ehrlich – ich habe nicht die Zeit, mich mit Ihnen herumzustreiten“, fügte er in warnendem Ton hinzu, als sie bereits den Mund öffnete, um zu protestieren. „Mein Vater wollte sich mit Faisal aussöhnen. Als er von seinem Tod erfuhr, ist er zusammengebrochen. Er ist ein alter Mann, dessen Leben an einem seidenen Faden hängt. Alles, was er sich wünscht, ist, seinen Enkel zu sehen – Faisals Sohn. Und Sie wollen ihm diese einfache Freude versagen.“

Erin biss sich auf die Lippe. Sie war überrascht von den Emotionen, die sie in Zahirs Stimme hörte. Plötzlich fühlte sie sich sehr schlecht. Gerade sie verstand nur allzu gut, wie wichtig Familienbande waren. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich gewünscht, zu einer Familie zu gehören, und auch wenn ihre Mutter kaum ein vorbildliches Elternteil abgegeben hatte, so war Erin doch verzweifelt gewesen, als ihre einzige Blutsverwandte starb.

Was, wenn der alte Scheich starb, ohne Kazim je gesehen zu haben? Aus Zahirs Worten ging hervor, dass er sich gern mit Faisal versöhnt hätte, und da das nicht mehr möglich war, wünschte er sich nun nichts sehnlicher, als seinen kleinen Enkel zu sehen. Und was war überhaupt mit Kazim? Hatte sie das Recht, ihm seine Familie vorzuenthalten?

Nein! Widerwillig gestand sie sich ein, dass sie ihm die Gelegenheit geben musste, seine Verwandten in Qubbah kennenzulernen. Natürlich konnte sie nicht erlauben, dass Zahir ihn einfach so mitnahm – sie musste ihn begleiten. Allerdings erfüllte sie die Aussicht, mit Faisals verteufelt attraktivem Bruder um die halbe Welt zu reisen, mit einer gewissen Panik.

Rasch äußerte sie die Frage, die sie bereits beschäftigte, seit Gordon Straker zu ihrem Schrecken verkündet hatte, dass Zahir Faisals Bruder war. „Warum war Faisal überhaupt mit Ihnen und Ihrer Familie zerstritten?“

Zahir schwieg so lange, dass sie einen schnellen Blick in seine Richtung wagte. Die Bitterkeit, die sie in seinen Augen las, überraschte sie. „Er heiratete eine Frau, die nicht für ihn bestimmt war“, antwortete er schließlich. „Faisal war mit einer Frau aus einer einflussreichen Familie in Qubbah verlobt, doch kurz vor seiner Hochzeit brannte er mit einer anderen Frau durch und brachte große Schande über seine Familie.“

„Wollen Sie damit sagen, dass seine Hochzeit arrangiert war?“, fragte Erin entsetzt. „Ist das nicht eine ziemlich veraltete Tradition?“

„So ist es Tradition in Qubbah“, entgegnete Zahir kalt. „Mein Vater hat eine Auswahl an potenziellen Bräuten getroffen, und Faisal konnte sich eine von ihnen aussuchen.“

„Aber er hat sie nicht geliebt“, versetzte Erin voller Überzeugung. „Er hat Maryam geliebt. Die ganze Zeit hat er von ihr geredet, und ich weiß, dass er ihren Tod nie verwunden hat. Warum musste Faisal mit ihr durchbrennen? Warum konnte er sie nicht heiraten und mit ihr in Qubbah bleiben?“

„Weil Maryam einem anderen Mann versprochen war“, erwiderte Zahir in einem Tonfall, der Erin aufhorchen ließ.

„Noch eine arrangierte Ehe?“, riet sie. „Aber Maryam liebte den Mann nicht, den sie heiraten sollte – sie liebte Faisal. Mein Gott, das ist ja wie im Mittelalter. Wollte Ihr Vater denn nicht, dass sein Sohn glücklich ist?“

„In meinem Land laufen die Dinge anders. Ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen“, entgegnete er gepresst.

„Sie haben recht – ich verstehe es nicht!“, versetzte Erin heftig. „Ich finde, dass zwei Menschen nur aus einem Grund heiraten sollten – weil sie sich lieben, und das haben Faisal und Maryam getan. Dennoch klingt es so, als wären sie wie Verbrecher aus Qubbah herausgejagt worden …“

„Das wurden sie nicht“, verteidigte sich Zahir wütend. „Mein Vater ist doch kein Tyrann! Aber er hat eine Verpflichtung gegenüber seinem Land. Er war hin und her gerissen …“ Er schüttelte den Kopf, weil ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, dass Erin ja nicht wusste, dass sein Vater der König von Qubbah war.

Das angespannte Schweigen wurde vom Läuten seines Handys zerrissen. Es war eine willkommene Unterbrechung. Rasch nahm er den Anruf entgegen, hörte erst aufmerksam zu und bellte dann ein paar knappe Befehle auf Arabisch ins Telefon, ehe er sich wieder an Erin wandte. „Mein Fahrer hat den Wetterbericht verfolgt. Es ist noch mehr Schnee angesagt. Wir müssen sofort aufbrechen. Ich kann nicht riskieren, dass ich hier tagelang festsitze“, fügte er ungeduldig hinzu, als Erin ihn mit offenem Mund anstarrte.

„Sie können doch nicht erwarten, dass ich auf der Stelle mit Ihnen komme?“, fragte sie scharf, während ihr klar wurde, dass Zahir genau das erwartete. „Ich sehe ja ein, dass ich Kazim für einen kurzen Besuch nach Qubbah bringen muss, weil Ihr Vater zu krank ist, aber doch nicht heute! Die Idee ist völlig verrückt. Ich müsste packen. Und es ist schon spät. In ein paar Stunden geht Kazim ins Bett …“

„Er kann im Flugzeug schlafen“, entgegnete Zahir trocken. „Wir reisen mit meinem Privatjet, und eins der Schlafzimmer an Bord wurde bereits für ihn vorbereitet. Es ist nicht notwendig, dass Sie für ihn packen. Er hat Kleider und Spielzeug in Qubbah. Wenn Sie wünschen, können Sie rasch ein paar Dinge für sich selbst einpacken“, fügte er gnädig hinzu. „Dabei würde ich vorschlagen, dass Sie sich gleich etwas Angemesseneres anziehen.“ Sein Blick wanderte verächtlich an ihrer abgetragenen Jeans entlang. Erin hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst. „Etwas Leichtes – in Qubbah ist es wesentlich wärmer als hier.“

Er war doch wohl der arroganteste, überheblichste … Erin gingen die Adjektive aus, sodass sie ihn nur aufgebracht anstarrte. Wenn Blicke töten könnten, wäre er auf der Stelle tot umgefallen. „Jetzt passen Sie mal auf …“

Hinter ihr wurde die Bibliothekstür geöffnet. Sie wirbelte herum und zwang sich zu einem Lächeln, als sie Kazim in den Raum spähen sah.

„Hey, hattest du schon deinen Tee? Ich komme jetzt besser zu dir und lasse dein Badewasser ein.“

Das Thema Baden war in letzter Zeit zu einem Streitpunkt geworden, und so schüttelte Kazim auch prompt den Kopf. Er schien völlig fasziniert von Zahir, und obwohl er normalerweise in Gegenwart von Fremden ziemlich schüchtern war, trottete er jetzt auf seinen Onkel zu und lachte froh, als der ihn auf den Arm nahm.

„Was hältst du davon, wenn du, anstelle ein Bad zu nehmen, in meinem Flugzeug fliegst, Kazim?“

Die Augen des kleinen Jungen weiteten sich, und er nickte begeistert. „Ein echtes Flugzeug?“

„Klar ist es ein echtes Flugzeug. Es ist ein Jet, der uns den ganzen weiten Weg bis zur Wüste bringt …“

„Warten Sie mal eine Minute“, unterbrach ihn Erin mit einem gezischten Flüstern. „Ich glaube nicht, dass es für Kazim gut wäre, heute noch zu fliegen.“ Sie war nicht mal davon überzeugt, dass sie ihn überhaupt nach Qubbah bringen sollte, aber Zahir war wie ein Bulldozer, der alles platt machte, was ihm in den Weg kam.

Sein Blick verdüsterte sich kurz, ehe er das Kind auf seinem Arm anlächelte. „Kazim möchte mit mir kommen – nicht wahr?“, wandte er sich an den Kleinen. „Aber wenn Erin nicht mit will, dann fliegen nur du und ich – was meinst du?“

Erins Herz setzte einen Schlag aus, als Kazim den Kopf auf die Schulter seines Onkels legte. Er schien von Zahir wie geblendet – und er war nicht der Einzige, dachte sie grimmig. Sie musste ja nur an die Momente zurückdenken, da er sie an seine Brust gepresst und geküsst hatte.

„Erin kommt auch mit ins Flugzeug“, verkündete Kazim fest und grinste breit.

Zumindest ein Teil von Erins Anspannung ließ nach. Zahir mochte ja in Kazims Augen Mr. Superman persönlich sein, aber er brauchte sie immer noch. Zärtlich lächelte sie den Jungen an. Das Lächeln verblasste allerdings, als ihr Blick auf Zahir fiel. „Das war ein ganz gemeiner, billiger Trick, und das wissen Sie auch“, zischte sie.

Zahir zuckte nur gleichgültig die Achseln. „Wenn es sein muss, bediene ich mich aller Mittel, die zur Verfügung stehen, daran sollten Sie besser immer denken“, riet er ihr in herrischem Ton.

Die implizierte Drohung jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Mit Kazim auf dem Arm ging er in Richtung Tür. „Komm, Kazim, wir spielen ein bisschen, während Erin packt.“ Als der Junge begeistert nickte, lachte Zahir, doch als er wieder zu Erin sah, wirkte seine Miene todernst. „Sie haben eine halbe Stunde“, sagte er knapp und blickte auf die Uhr. „Ich schla...

Autor

Chantelle Shaw
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