Julia Weekend Band 119

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  • Erscheinungstag 25.05.2024
  • Bandnummer 119
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527705
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lee Wilkinson, Rebecca Winters, India Grey

JULIA WEEKEND BAND 119

1. KAPITEL

Für einen Spätnachmittag im Juni war es ungewöhnlich feucht und kühl. Dunkle Wolken zogen über den Himmel, und es sah aus, als finge es jeden Moment zu regnen an.

Fröstelnd zog Sophia Jordan den grauen Regenmantel fester um sich. Dann nahm sie die prall gefüllte Plastiktasche und machte sich so schnell es ging auf den Weg nach Hause in ihre Erdgeschosswohnung im Roleston Square, Belgravia. Hier hatte sie mit ihrem Vater gewohnt – bis zu dessen Tod vor drei Monaten.

Der Gedanke an die großen leeren Räume bedrückte sie. Drei Monate voller Trauer und Einsamkeit …

Verständnis und Trost fand Sophia bei Mrs. Caldwell, der das große Haus gehörte. Gemeinsam mit ihrer Nichte Eva bewohnte Mrs. Caldwell die andere Wohnung im Erdgeschoss.

„Kommen Sie doch nach der Arbeit zu mir, Liebes“, hatte die von Arthritis gebeugte alte Dame sie an diesem Morgen freundlich eingeladen, als Sophia bei ihr anklopfte, um zu fragen, ob sie etwas für sie einkaufen solle.

„Obwohl ich Sie bitten müsste, das Kochen zu übernehmen, da Eva heute Abend diesen speziellen Kursus besucht.“

„Natürlich gern. Gibt es etwas, worauf Sie besonders Appetit haben?“

Mrs. Caldwell strahlte. „Wäre es sehr unverschämt, wenn ich mir eine Paella wünsche?“

„Nein, gar nicht.“ Sophia beugte sich nun zu der getigerten Katze hinunter, die ihr um die Beine strich, und streichelte sie.

„Wundervoll!“, freute sich die alte Dame. „Ich habe keine Paella mehr gegessen, seit Arthur mich damals zu diesem Spanienurlaub überredet hat. Eva mag leider keine Reisgerichte.“

Sophia lächelte. „Ich liebe Paella! Dann werde ich heute Abend auf dem Rückweg einkaufen und mich zu Ihnen gesellen, sobald ich umgezogen bin.“

„Und ich sorge dafür, dass der Tisch bis dahin gedeckt ist“, versprach Mrs. Caldwell fröhlich und übergab ihrer Mieterin etwas Geld und eine Einkaufsliste. „Ich freue mich schon auf Ihre Gesellschaft und auf ein frisch zubereitetes Essen.“

Als ihr Chef David Ranton von Sophias Plänen für den Abend erfuhr, schlug er ihr vor, doch etwas früher zu gehen, um sich nicht so abhetzen zu müssen. David arbeitete als international tätiger Kunsthändler und besaß die renommierte Londoner Galerie A Volonté.

„Joanna kann für dich einspringen. Du hast mit der Vorbereitung für die Ausstellung deines Vaters ohnehin schon etliche Überstunden gemacht.“

Sein Leben lang war Peter Jordan ein sehr begabter Freizeitmaler gewesen, und immer wieder hatte sein ältester Freund David versucht, ihn zu überreden, seine Werke einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ohne Erfolg.

„Ich finde seine Arbeiten wirklich brillant. Schade, dass er sich so konstant geweigert hat, sie auszustellen, obwohl ich ihm immer wieder versucht habe zu erklären, was für eine Inspiration sie für junge Amateurmaler bedeuten würden“

„Ich denke, er war auf dem Weg, deine Meinung zu teilen – aber leider zu spät“, antwortete Sophia traurig. „Noch wenige Tage vor seinem Tod hat er mit mir darüber gesprochen.“

„Warum veranstalten wir dann nicht eine Art Gedächtnisausstellung mit seinen Bildern? Wenn wir die Miniaturen dazunehmen, reicht die Menge, um sie auf der oberen Galerie zu präsentieren.“

Da ihr die Idee gefiel, stimmte Sophia zu und stellte David alle Bilder ihres Vaters zur Verfügung, bis auf eines, das in ihrem Schlafzimmer hing. Das Porträt zeigte einen attraktiven jungen Mann mit hellem Haar und dunklen Augen und einem Mund, der sie mit seiner Mischung aus Askese und Sensibilität schon immer besonders berührt hatte.

Seit ihrer Kindheit hielt sie das Bildnis gefangen, und während ihrer Teenagerzeit wob Sophia romantische und verwegene Träume um den geheimnisvollen Fremden. Da ihrem Vater diese Faszination nicht verborgen blieb, schenkte er Sophia das Porträt zu ihrem sechzehnten Geburtstag.

Ihm war es immer nur ums Malen und die Freude an der augenblicklichen Arbeit gegangen. So passierte es häufig, dass er, ohne sein Talent allzu hoch zu bewerten, das fertige Porträt einfach seinem Modell überließ. Was bedeutete, dass er, eingedenk seiner langen Schaffensperiode, ziemlich wenige seiner eigenen Bilder besaß.

Aber das, was da war, packte David kurz entschlossen einfach ein und nahm es mit in die Galerie. Dort verbrachte Sophia etliche Stunden damit, alles ins rechte Licht zu rücken, einen Katalog anzufertigen und sich um die notwendige Öffentlichkeitsarbeit zu kümmern.

Doch jetzt lag die Arbeit hinter ihr, morgen früh sollte die Ausstellung eröffnet werden. Zufrieden mit ihrer eigenen Leistung, akzeptierte Sophia deshalb Davids Angebot, früher Feierabend zu machen. Gegen sechs verließ sie die Galerie und machte auf dem Heimweg bei einem Supermarkt halt. Wie jeden Freitag herrschte in dem Laden viel Betrieb.

Als es ihr endlich gelungen war, sich zwischen den anderen Käufern samt den sperrigen Einkaufswagen hindurchzuzwängen, hatte sie sich eine Laufmasche zugezogen, und das Haar fiel ihr in wirren Locken auf die Schultern.

Zu allem Überfluss regnete es inzwischen auch noch. Mit einem frustrierten Seufzer schlug Sophia den Mantelkragen hoch. Während sie sich auf den Weg machte, überlegte sie, dass es viel besser gewesen wäre, die Lebensmittel auf zwei Tragetaschen zu verteilen, da noch ein ziemliches Stück Weg vor ihr lag und der dünne Griff ihr jetzt schon in die zarte Haut schnitt.

Zum x-sten Mal wechselte sie die schwere Tüte von einer Hand in die andere. Doch diesmal entglitt das schlüpfrige Plastik ihren klammen Fingern, die Tüte fiel zu Boden, und ihr Inhalt rollte einem hochgewachsenen blonden Mann, der wenige Schritte hinter ihr ging, vor die Füße.

Während der Strom der anderen Passanten sich teilte und rechts und links an Sophia vorbeifloss, blieb der gut angezogene Fremde stehen und sammelte mit bemerkenswertem Geschick die verstreuten Lebensmittel wieder ein.

Wie betäubt starrte Sophia auf seinen gesenkten Kopf mit dem dichten blonden Haar, auf dem die Regentropfen wie Diamanten glitzerten, während er alles wieder in die Tüte zurückpackte und sich dann aufrichtete.

„Zum Glück waren keine Eier dabei“, stellte er lächelnd fest. Seine Stimme klang tief und warm und hatte einen Akzent, den sie nicht gleich einordnen konnte. Er hielt die Tüte mit einer Hand an den Henkeln, mit der anderen stützte er vorsichtshalber den Boden. Als Sophia in sein markantes Gesicht sah, erstarrte sie.

Und während ihr Gehirn signalisierte, dass es unmöglich er sein konnte, sagte ihr wild klopfendes Herz etwas ganz anderes. Konnte es möglich sein?

Obwohl es ihr in der Dämmerung schwerfiel, seine Augenfarbe zu erkennen, waren ihr die strengen klaren Züge, der asketisch geschnittene Mund und das feste Kinn mit der kleinen Kerbe so vertraut wie ihr eigenes Gesicht.

Völlig unverhofft überkam Sophia Freude und ein seltsames Gefühl der Genugtuung, als erfülle sich in diesem Moment etwas, auf das sie schon ihr Leben lang wartete. Das ihr vorbestimmt war.

„Himmel! Ich fürchte, die ganze Tüte löst sich langsam auf“, stellte der Fremde besorgt fest, während Sophia ihn immer noch wortlos und fasziniert anstarrte. „Müssen Sie noch weit gehen?“

Irritiert blinzelte sie und schüttelte automatisch den Kopf. „N…nein, nur ein Stückchen die Roleston Road entlang.“

„Dann gehen Sie am besten vor.“

„Danke für Ihre Hilfe“, murmelte Sophia verlegen. „Aber ich möchte Sie nicht länger aufhalten.“ Noch beim Sprechen spürte sie den Schmerz, der ihr bevorstand. Wenn er ihr jetzt die Tüte aushändigte und seiner Wege ginge, würde sie ihn nie wiedersehen.

Doch zu ihrer Erleichterung lag das gar nicht in seiner Absicht.

„Wie es der Zufall will, muss ich genau in die gleiche Richtung“, verkündete er lächelnd.

Die aufregende Aussicht, seine Gesellschaft noch ein wenig länger genießen zu können – obwohl er ja nicht wirklich er sein konnte, wie sie genau wusste – ließ Sophia für einen Moment die Traurigkeit vergessen, die sie seit Wochen stetig begleitete.

„Wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht …?“, brachte sie etwas atemlos hervor.

„Absolut nicht.“

Da erwiderte sie sein Lächeln und versuchte, ihre Aufregung zu verbergen, die so ganz untypisch für sie war.

„Sie wohnen also in der Roleston Road?“, fragte der Fremde, der er trotz ihrer Verzauberung und des seltsam vertrauten Gefühls nun einmal war. Während sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten, riskierte Sophia einen schnellen Seitenblick. Die Ähnlichkeit verblüffte sie zutiefst.

„Nein, gleich dahinter, auf dem Roleston Square. Ich habe eine Wohnung in einem der alten georgianischen Häuser mit Blick über die Square Gardens.“

„Leben Sie allein?“

„Erst seit Kurzem.“

„Sie erscheinen mir viel zu jung, um allein zu leben.“

Sophia lachte leise. „So jung bin ich gar nicht.“

Er schaute in ihr herzförmiges Gesicht mit der makellosen Haut, den großen wachen Augen, betrachtete sinnend die geschwungenen Brauen, die schmale, gerade Nase und den weichen Mund und verharrte auf den langen, vom Regen feuchten dunklen Locken, die ihrem hochgeschlagenen Kragen entschlüpft waren.

„Keinen Tag älter als sechzehn, würde ich sagen.“

„Ich bin fünfundzwanzig.“

„Fünfundzwanzig …“, wiederholte er in einem Ton, der irgendwie erleichtert klang. „Und seit wann leben Sie allein?“

Ihre Stimme schwankte leicht, als sie antwortete. „Seit mein Vater vor ein paar Monaten gestorben ist.“

„Kam sein Tod überraschend?“, fragte er sanft.

„Irgendwie schon. Dabei war er ziemlich lange krank, doch das Ende kam sehr plötzlich.“

„Und Ihre Mutter?“

Für den Bruchteil einer Sekunde irritierten Sophia die sehr direkten Fragen, doch dann siegte das Bedürfnis, ihr Herz gegenüber dem offenbar mitfühlenden Mann ein wenig auszuschütten. Vielleicht auch nur, weil er ihr so wenig fremd erschien und sie seine Gesellschaft so lange wie möglich genießen wollte.

„Sie starb, als ich sieben war.“

„Keine Geschwister?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin ein Einzelkind.“

„Ihr Vater kann noch nicht sehr alt gewesen sein …“, überlegte er laut.

„Zweiundsechzig. Er hat erst mit sechsunddreißig geheiratet.“

„Und nach dem Tod Ihrer Mutter gab es keine Frau mehr in seinem Leben?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich habe es auch nie verstanden. Abgesehen davon, dass er ausgesprochen attraktiv, begabt und ein umgänglicher Mensch war, besaß er einen ganz besonderen Humor …“ Ihre Stimme verebbte.

„Worin lag seine Begabung?“

„Er malte.“

„Also ein Künstler?“

„Nein, Diplomat. Das Malen bedeutete für ihn Hobby und Leidenschaft zugleich. Und seit er nach einem Unfall in den vorzeitigen Ruhestand trat, verschrieb er sich ganz der Malerei.“

„Landschaften?“

„Weniger, hauptsächlich Porträts. Eines davon ähnelt Ihnen sehr“, platzte Sophia ungewollt hervor. Daraufhin warf der Mann ihr einen verwirrten Seitenblick zu.

„Mir?“ In seiner Stimme schwang ein amüsierter Unterton mit.

„Ja.“

„Und? Ist es eine gute Arbeit?“

„Jemand hat sie als brillant bezeichnet. Die Galerie, in der ich arbeite, eröffnet morgen eine Ausstellung mit den Werken meines Vaters“, fügte sie wegen seiner skeptischen Miene fast trotzig hinzu.

„Um welche Galerie handelt es sich?“, hakte er höflich nach.

„A Volonté.“

„Dann sind Sie auch Künstlerin?“

Sophia lächelte. „Ich wünschte, es wäre so. Ich habe sogar kurz eine Kunstakademie besucht, aber mir fehlt sein Talent.“

„Und was tun Sie dann in dieser Galerie?“

„Ich helfe, Kunst zu verkaufen, könnte man sagen. Ich schätze den Wert von Kunstwerken, fotografiere und katalogisiere sie, stelle Expertisen aus und bin auch für ihre Reinigung und Restaurierung zuständig, falls erforderlich. Vor dem Job in der Galerie habe ich zwei Jahre in einem Museum als Restauratorin gearbeitet“, erklärte Sophia angesichts seiner zweifelnd erhobenen Brauen. „Dabei habe ich gleichzeitig meine Begabung und Freude für diese Tätigkeit entdeckt.“

„Ihr Vater war sicher sehr stolz auf Sie.“

Traurig und mit gesenktem Kopf nickte sie.

„Sie vermissen ihn sehr, nicht wahr?“

„Ja … Ich habe mich immer noch nicht wirklich daran gewöhnt, allein zu sein …“

Normalerweise gab sie nicht so viel von sich preis, nicht einmal ihren Freunden gegenüber. Warum, um alles in der Welt, vertraute sie sich plötzlich jemandem an, den sie überhaupt nicht kannte?

Doch das stimmte nicht – sie kannte ihn. Ihr ganzes Leben lang …

„Gibt es denn keinen Mann in Ihrem Leben außer Ihrem Vater?“

„Ich war sogar verlobt“, gestand sie ernst. „Aber als Dad so krank wurde, ließ ich ihn abends nicht gern allein, und das hat meine Beziehung sehr belastet. Phillip ärgerte sich darüber, dass ich nicht mehr so viel Zeit mit ihm verbrachte, deshalb gab ich ihm seinen Ring zurück.“

„Das war sicher sehr hart für Sie.“

„Nicht so schlimm, wie ich anfangs glaubte. Erst nach unserer Trennung ging mir auf, dass ich Phillip gar nicht wirklich geliebt habe.“ Dass sie sich eigentlich nur in ihn verliebt hatte, weil er vage dem Mann auf ihrem Porträt ähnelte, behielt sie lieber für sich.

„Danach gab es keinen anderen mehr?“

Sophia schüttelte den Kopf.

Ihr Begleiter lachte leise. „Nach dem Berg an Lebensmitteln, den Sie eingekauft haben, bin ich davon ausgegangen, dass Sie eine ganze Armee von Verehrern füttern müssen.“

Sein neckender Tonfall tat ihr gut, aber sie selbst war darin so ungeübt, dass sie nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. „Ich habe für die alte Dame eingekauft, der das Haus gehört, in dem ich wohne, und die in der Wohnung gegenüber von mir lebt. Sie ist heute allein und hat mich zum Abendessen zu sich eingeladen.“

„Schade, da ist sie mir also zuvorgekommen. Ob sie die Essenseinladung vielleicht verschieben könnte?“

Vor Überraschung machte Sophias Herz einen kleinen Sprung – bis ihr bewusst wurde, dass sie unmöglich auf sein verführerisches Angebot eingehen konnte. Es kostete sie allerdings ihre ganze Willenskraft, es abzulehnen.

„Tut mir leid, aber ich kann Mrs. Caldwell nicht allein lassen. Sie freut sich so sehr auf den Abend, außerdem habe ich versprochen zu kochen.“

„Wie schade … für mich.“

Weiter sagte er nichts, und Sophia überlegte insgeheim, ob er seine spontane Idee bereits wieder bedauerte und sogar erleichtert war, dass sie seine Einladung ablehnte. Aber eigentlich glaubte sie das nicht.

Sie bogen um die Ecke und überquerten einen ruhigen, von hohen Bäumen umstandenen Platz. Vor einem von Säulen flankierten Hauseingang mit der Nummer zwölf hielten sie an.

Den Gehsteig erhellte eine altertümliche Lampe über der schweren Holztür und das Licht, das hinter einem der Erdgeschossfenster schien. Die obere Etage lag im Dunkeln, wie Sophia es erwartet hatte. In der riesigen Wohnung lebte ein Anwaltsehepaar mit Segelboot, das sie so gut wie jedes Wochenende nutzten.

Als sie zu dem beleuchteten Fenster hinüberschaute, bewegten die Vorhänge sich ganz sacht. Sicher hatte Mrs. Caldwell bereits Ausschau gehalten und sie beide ankommen sehen.

Während Sophia in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel suchte, hoffte sie mit klopfendem Herzen, dass der Fremde sie um ein Wiedersehen bitten würde.

„Wohnen Sie auch in dieser Gegend?“, fragte sie etwas atemlos.

„Nein, ich lebe überhaupt nicht in London, sondern bin nur geschäftlich hier.“

„Oh …“ Ihr Herz sank.

Er hielt die Tüte mit den Einkäufen in der linken Hand, nahm Sophia das Schlüsselbund mit der rechten ab und erwischte auf Anhieb den richtigen Schlüssel. Dann hielt er die Haustür auf und trat auffordernd zur Seite. Als sie die Eingangshalle durchquerten, lugte Mrs. Caldwell aus ihrer Wohnungstür.

„Ah, da sind Sie ja, meine Liebe!“, rief sie fröhlich. „Ich hatte schon befürchtet, Sie müssten Überstunden machen.“

„Eigentlich bin ich sogar früher aufgebrochen, aber das Einkaufen hat schrecklich lange gedauert“, erklärte Sophia.

„Ein typischer Freitagabend“, bestätigte die alte Dame und musterte neugierig den attraktiven Mann an der Seite ihrer jungen Mieterin. „Wenn Sie inzwischen andere Pläne haben und unsere Verabredung absagen wollen, wäre das kein Problem für mich.“

Offenbar erwartete der blonde Fremde ihre Antwort ebenso gespannt wie ihre Vermieterin. „Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie nach kaum merklichem Zögern. „Ich ziehe mich nur noch rasch um und bin gleich bei Ihnen, Mrs. Caldwell.“ Die energisch hervorgebrachte Antwort galt beiden.

„Keine unnötige Hast, Liebes“, sagte die alte Dame freundlich. „Ich lasse die Tür auf und schenke uns beiden schon mal ein Gläschen Sherry ein.“ Damit verschwand sie in ihrer Wohnung.

Auch Sophias Wohnungstür hatte ihr Begleiter inzwischen aufgeschlossen und folgte ihr jetzt durch die schmale Diele in eine großzügige Küche mit anschließendem Wohnraum. Während sie ihren Laptop zuklappte und zur Seite schob, damit er die Lebensmittel auf dem Esstisch abstellen konnte, sah er sich neugierig um.

„Ein überraschend offener Grundriss, absolut ungewöhnlich für Häuser dieser Epoche.“

Als er Sophia fragend anschaute, sah sie zum ersten Mal richtig seine Augen. Wie bei dem Mann auf dem Porträt waren sie von einem klaren Grau und so dunkel, dass sie in der Dämmerung eher schwarz wirkten. Ein ungewöhnlicher Kontrast zu dem naturblonden Haar, wie bei ihrem Traummann …

Sie räusperte sich. „Als Mrs. Caldwell sich entschied, das Haus in drei Wohnungen umzubauen, hat sie es bewusst von Grund auf sanieren und einem modernen Wohnstil anpassen lassen.“

Er nickte. „Es muss schön sein, hier zu wohnen.“

„Ich habe es immer geliebt“, erklärte Sophia etwas abwesend und brannte darauf, endlich mehr über ihn zu erfahren. „Darf ich fragen, wo Sie leben?“

„Nach dem Studium die meiste Zeit in New York.“

„Oh.“ Bedeutete das etwa, er lebte immer noch in New York? Wenn ja, sank die Chance, ihn je wiederzusehen, gen null, so viel stand fest.

Doch sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Ihr Akzent … irgendwie kommt er mir nicht typisch amerikanisch vor“, hakte sie vorsichtig nach.

„Das ist er auch nicht, sondern eher eine Mixtur. Ich bin zwar bereits als Kind in die USA übergesiedelt, aber einer langen Familientradition zufolge habe ich in England studiert.“

„Dann haben Sie also englische Wurzeln?“

„Väterlicherseits ja, aber meine Mutter ist Italienerin.“

Das erklärte auch den südländischen, für naturblonde Menschen ziemlich untypischen Teint … und die winzige Färbung in seinem Akzent, die sie bisher nicht hatte einordnen können.

Dann haben wir ja doch etwas gemeinsam, ging es ihr durch den Kopf.

„Meine Mutter war auch Italienerin!“ Ihre Stimme bebte leicht vor Aufregung.

„Was für ein Zufall“, murmelte er. „Darf ich ihren Namen erfahren?“

„Maria.“

Sie erwartete weitere Fragen oder Bemerkungen, aber zu ihrem Erstaunen wechselte er abrupt das Thema.

„Werden Sie jetzt ganz allein hier wohnen bleiben?“

„Ich weiß noch nicht“, gab sie wahrheitsgemäß zurück. „Mit drei Schlafzimmern ist die Wohnung eigentlich viel zu groß für mich. Als mein Vater noch lebte, war sie perfekt für uns, das dritte Zimmer zur Nordseite benutzte er als Atelier.“

„Das erinnert mich daran … besitzen Sie noch dieses Porträt, das mir so ähnlich sehen soll?“

„Ja.“

„Darf ich es mir vielleicht kurz anschauen? Sie haben mich wirklich neugierig gemacht.“

„Es … es hängt in meinem Schlafzimmer“, bekannte sie etwas unbehaglich.

Er schaute in ihre schönen Augen, die er hier, im Schein der Wohnzimmerlampe, als dunkelsmaragdgrün mit goldenen Pünktchen identifizierte.

„Ich habe damit kein Problem, solange es Ihnen nichts ausmacht“, erklärte er mit einem kleinen Lächeln.

Nicht der Umstand, dass es in ihrem Schlafzimmer hing, beunruhigte Sophia. Aber das Porträt ähnelte ihm tatsächlich sehr, und sie bekam plötzlich Angst, er könne erraten, wie viel es oder er ihr bedeutete.

„Es macht Ihnen doch etwas aus“, stellte er fest. „Vielleicht wollen Sie mir lieber ein anderes Werk Ihres Vaters zeigen?“

„Nein, nein! Die anderen Bilder hängen alle in der Ausstellung“, erwiderte sie rasch.

„Und warum dieses eine nicht?“

„Weil es nie beendet wurde. Kommen Sie …“

Als sie ihre Schlafzimmertür öffnete, das Licht anknipste und zur Seite trat, schlug Sophias Herz bis zum Hals. Der weiß getünchte Raum war mit einem altrosa Teppichboden ausgelegt und sehr sparsam möbliert. Das Porträt – übrigens das einzige Bild im Zimmer – hing zwischen zwei hohen Fenstern.

Stumm trat der Fremde näher und betrachtete es.

Der Hals, die breiten Schultern und der Ansatz eines offen stehenden Hemdes waren nur skizzenhaft erfasst, aber die klassischen Gesichtszüge, das dichte blonde Haar, die breite Stirn, die ausdrucksstarken grauen Augen unter den dunklen Brauen, der großzügige Mund und die markante Kerbe im Kinn präzise ausgearbeitet.

Sophia schaute zwischen Original und Porträt hin und her und fand die Ähnlichkeit noch frappierender als zuvor. Der einzige Unterschied lag in dem etwas kürzer geschnittenen Haar des Mannes auf der Leinwand. Auch die Wimpern und Brauen wirkten beim genauen Hinsehen eine Spur dunkler, ansonsten hätten die beiden Zwillinge sein können.

Unmöglich!

Das Porträt musste noch vor oder kurz nach der Geburt des Mannes gemalt worden sein, der immer noch schweigend und fasziniert auf sein eigenes Konterfei starrte.

„Was ist der wahre Grund, warum Sie das Bild nicht mit ausstellen? Für mich wirkt es, so wie es ist, komplett.“

Sie blieb ihm eine Antwort schuldig.

„Ihr Vater war ein sehr bemerkenswerter Künstler“, fuhr der Fremde nach einer Pause fort. „Die Augen wirken so lebendig … Sie haben recht, es ähnelt mir tatsächlich sehr. Es ist, als schaute ich in einen Spiegel. Wann ist das Porträt entstanden?“

„Ich bin nicht ganz sicher, aber auf jeden Fall vor meiner Geburt.“

„Kennen Sie das Modell?“

„Leider nicht. Aber natürlich habe ich meinen Vater danach gefragt. Er sagte, es sei jemand, den er vor sehr langer Zeit flüchtig gekannt habe.“

„Schade … Vielen Dank, dass Sie es mir gezeigt haben.“

Damit wandte er sich einfach um, blieb jedoch beim Hinausgehen vor ihrer Frisierkommode stehen. „Eine sehr schöne Schmuckschatulle“, stellte er bewundernd fest.

„Ja, das letzte Geschenk meines Vaters. Ich fand es erst nach seinem Tod. Er hatte es für meinen Geburtstag in seinem Schreibtisch versteckt.“

„Gefüllt mit unschätzbaren Juwelen?“, neckte er freundlich, als wolle er den Hauch von Traurigkeit vertreiben, den er in ihrer Stimme hörte.

Sophia lächelte schmerzlich. „Nein, vollkommen leer.“

„Wann wird die Ausstellung mit den Bildern Ihres Vaters eröffnet?“, fragte er, als sie wieder im Wohnzimmer standen.

„Morgen früh – geplant ist ein Monat … Wie lange bleiben Sie noch in London?“, fragte Sophia beherzt auf dem Weg zur Tür.

„Ich fliege morgen ab“, entgegnete der Fremde und zerstörte damit ihren letzten Funken Hoffnung. „Jetzt habe ich aber genug von Ihrer kostbaren Zeit beansprucht“, fuhr er fort, bevor ihr eine rettende Idee einfiel, um ihn zurückzuhalten. „Vermutlich wird es Zeit, dass Sie sich umziehen und zu Ihrer Verabredung gehen.“

„Ich … ich kann Ihnen gar nicht genug für Ihre Hilfe danken“, stammelte Sophia, während er die Wohnungstür öffnete.

„Es war mir ein Vergnügen“, versicherte er charmant. „Genießen Sie den Abend. Arrivederci.

Wie festgefroren stand Sophia auf der Stelle, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, und auch, als sie das gleiche Geräusch von der Haustür hörte.

Er war fort. Und sie wusste nicht einmal seinen Namen.

Himmel! Warum ließ sie ihn einfach so ziehen? Warum hatte sie ihn nicht eingeladen, ihr und Mrs. Caldwell bei der Paella Gesellschaft zu leisten? Die alte Dame freute sich über jede Abwechslung und hätte sicher nichts dagegen gehabt.

Aber jetzt war es zu spät für Reue.

Sophia seufzte auf und haderte mit dem Schicksal. Wie konnte es nur so grausam sein, ihr den Mann ihres Lebens ins Haus zu bringen und gleich wieder zu entreißen? Plötzlich glaubte sie, etwas unendlich Kostbares verloren zu haben, das von Rechts wegen ihr gehörte.

Als sie bemerkte, dass sie immer noch wie eine Salzsäule dastand und die Tür anstarrte, riss sie sich zusammen und ging ins Schlafzimmer zurück, um sich umzuziehen. Die arme Mrs. Caldwell wartete wirklich lange genug.

Mit einiger Anstrengung widerstand Sophia der Versuchung, sich noch einmal das Porträt anzuschauen, trocknete ihr immer noch feuchtes Haar, ließ es locker über die Schulter herabfallen und tauschte ihr Businesskostüm rasch gegen Rock und Pulli.

Dann sortierte sie die Lebensmittel, packte die ihrer Vermieterin zurück in die Tüte und schaute sich nach ihrem Schlüsselbund um. Doch sie entdeckte es nirgendwo. Vielleicht steckte es ja noch im Schloss … nein.

Möglicherweise ist es mit den Einkäufen zurück in die Tüte gewandert, überlegte Sophia. Doch die noch einmal auszupacken, reizte sie überhaupt nicht. Rasch suchte sie die Ersatzschlüssel aus der Schublade ihres Sideboards, löschte das Licht, zog die Tür hinter sich zu und eilte durch den Flur zu Mrs. Caldwells Wohnung.

Als Sophia die anheimelnde Diele betrat, hörte sie Geräusche, die ihr verrieten, dass sich die alte Dame eine ihrer Lieblingsserien im Fernsehen anschaute.

„Ich bin’s!“, rief sie mit erhobener Stimme, um Mrs. Caldwell nicht unnötig zu erschrecken. Wie drüben bei Sophia, gab es auch hier einen großzügigen hellen Bereich, der Küche, Ess- und Wohnzimmer in sich vereinte. Im Kamin brannte ein gemütliches Feuer, und auf dem niedrigen Couchtisch standen zwei gefüllte Sherrygläser bereit.

Doch anstatt vor dem Fernseher zu sitzen, stand Mrs. Caldwell am Fenster, hielt die Vorhänge mit einer Hand leicht zur Seite und drehte sich bei Sophias Eintritt lächelnd zu ihr um. „Fühlen Sie sich ganz zu Hause, Liebes.“

Sophia legte das Wechselgeld auf den Couchtisch und brachte ihre Einkäufe hinüber in die Küchenecke. Während sie auspackte, strich Sam, der ältere von Mrs. Caldwells vierbeinigen Hausgenossen, um ihre Beine und schnurrte dabei wie eine Nähmaschine.

Sein Frauchen griff zur Fernbedienung, stellte den Fernseher aus und ließ sich bequem auf der Couch nieder. „Warum setzen Sie sich nicht erst einen Augenblick zu mir und trinken Ihren Sherry, bevor Sie mit dem Kochen anfangen?“

„Den genehmige ich mir lieber, während ich die Paella mache“, erwiderte Sophia, die wusste, dass ihre Vermieterin immer sehr früh zu Bett ging. „Sonst wird es viel zu spät mit dem Essen.“

„Vielleicht haben Sie recht.“

Als Sophia auch in der Tüte kein Schlüsselbund fand, runzelte sie kurz die Stirn. Dann ging sie zum Couchtisch hinüber, um ihren Sherry zu holen. Während sie Zwiebeln, Tomaten und Peperoni schnippelte, trank sie immer wieder ein Schlückchen. Schließlich zerdrückte sie mit dem Messerrücken noch zwei frische Knoblauchzehen und dünstete alles zusammen in Olivenöl an.

„Mmm, das riecht aber köstlich!“, freute sich Mrs. Caldwell. „Jetzt merke ich erst, wie hungrig ich bin.“

„Dann bin ich noch nachträglich froh, dass ich die meisten Zutaten in der vorgekochten Version gewählt habe, so können wir schon bald essen.“

„Wie schlau von Ihnen“, lobte die alte Dame und blinzelte Sophia listig zu. „Verraten Sie mir auch, wer dieser umwerfende junge Mann war, der Sie heute nach Hause begleitet hat?“

„Das weiß ich leider nicht“, gestand Sophia und versuchte, so gelassen wie möglich zu klingen.

„Aber Sie müssen sich doch kennen?“, wunderte sich Mrs. Caldwell.

„Nein, überhaupt nicht. Er hat mir nur angeboten, meine Einkäufe nach Hause zu tragen, nachdem die Tüten auf den Boden gefallen und alles auf die Straße gepurzelt ist.“

Das enttäuschte Mrs. Caldwell offensichtlich. „Haben Sie denn gar nichts über ihn herausfinden können, Liebes? Zum Beispiel, wo er lebt, und womit er seinen Lebensunterhalt verdient? Oder ob er eine feste Freundin hat? In Ihrem Alter hätte ich das sicher getan.“

„Ich weiß nur, dass er momentan geschäftlich in London ist … oh, und dass er englische Wurzeln hat. Seine Mutter kommt allerdings aus Italien.“

„Na, dann haben Sie beide ja schon etwas gemeinsam“, erklärte Mrs. Caldwell voller Genugtuung. „Was ich übrigens längst einmal fragen wollte – haben Sie eigentlich noch Verwandtschaft in Italien?“

„Wenn, dann nur sehr weitläufig. Meine Mutter war Einzelkind, genau wie ich, und ihre Eltern sind vor etlichen Jahren verstorben.“

„Ich frage nur, weil der Mann, der Ihren Vater besucht hat, offenbar Italiener war.“

Bei dieser Bemerkung sah Sophia überrascht von der Paellapfanne auf. „Welcher Mann? Wann soll das gewesen sein?“

„Oh, es ist schon eine Weile her“, erklärte die alte Dame vage. „Hat Ihr Vater Ihnen denn gar nichts davon erzählt?“

„Nein, ich höre es heute zum ersten Mal.“

„Seltsam …“ Mrs. Caldwell legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Nun, dieser Mann kam jedenfalls eines Tages in einem Taxi vorgefahren, während Sie in der Galerie gearbeitet haben.“

„Wie sah er denn aus?“

„Sehr gut“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück. „Etwas untersetzt und korpulent, wie mein seliger Arthur, mit dem gleichen dichten grauen Haar. Er muss irgendwas in den Sechzigern sein, wirkte aber jünger, was möglicherweise an den buschigen schwarzen Augenbrauen lag.“

Wäre Sophia nicht so angespannt gewesen, hätte sie über Mrs. Caldwells zweifelhaftes Schönheitsideal gelacht.

„Da auf sein Läuten niemand reagierte, hat er es bei mir versucht, und als ich ihm öffnete, fragte er in gebrochenem Englisch nach Signor Jordan. Er hatte ein Päckchen für Ihren Vater bei sich.“

„Was für ein Päckchen?“, fragte Sophia neugierig.

„Es war in Packpapier eingewickelt, ungefähr so groß …“ Sie zeigte es mit den Händen. „Ich sagte ihm, er solle quer durch die Halle gehen und dort noch einmal läuten. Dann habe ich gewartet, bis Ihr Vater geöffnet hat. Der Mann blieb allerdings nur wenige Minuten und fuhr mit demselben Taxi weg, mit dem er auch gekommen war.“

Auch Sophia runzelte die Stirn. Warum hatte ihr Vater nichts von dem unbekannten Besucher erzählt? Das sah ihm gar nicht ähnlich. Bei so wenig Abwechslung, wie es sie in ihrem Leben gab, konnte er es kaum vergessen haben …

„Um noch einmal auf den attraktiven jungen Mann zurückzukommen“, unterbrach Mrs. Caldwell ihre Grübeleien. „Es wundert mich, dass er Sie nicht gebeten hat, mit ihm auszugehen.“

„Die Begegnung kam rein zufällig zustande, da sollte man nicht zu viel hineininterpretieren.“

„Aber Sie haben sich doch zu ihm hingezogen gefühlt, stimmt’s?“, hakte die alte Dame mit einem schlauen Lächeln nach.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Liebes! Das war offensichtlich!“, behauptete Mrs. Caldwell, und Sophia hoffte noch nachträglich, dass sie sich irrte.

„Möglicherweise ist er ja verheiratet“, murmelte sie undeutlich. Sie schätzte ihn zwischen Ende zwanzig bis Mitte dreißig. Also ein Alter, in dem die meisten Männer entweder verheiratet waren oder in einer festen Beziehung lebten.

Oder auch nicht, schließlich hat er mich zum Essen eingeladen …

„Er trug keinen Ring“, stellte Mrs. Caldwell pragmatisch fest. „Ich habe mir extra seine Hand angeschaut. Und wenn Sie mich fragen, ist es höchste Zeit für Sie, sich nach einem Ehemann umzuschauen, Kind“, erklärte sie mit einem Anflug liebevoller Strenge.

Mit einem Topflappen zog Sophia die große gusseiserne Pfanne zur Seite. „Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte zu suchen“, sagte sie leichthin.

Mrs. Caldwell schnalzte mit der Zunge. „Also, wenn Sie mich fragen, lag da etwas in dem Blick des jungen Mannes … Ich bin mir sicher, er war von Ihnen genauso angetan wie Sie von ihm! Ich hätte schwören können, dass er Sie bittet, mit ihm auszugehen. Vielleicht ja morgen …“

„Morgen reist er bereits ab“, unterbrach Sophia sie.

„Wie schade! Eine Verabredung hätte unter Umständen gereicht, um ein Feuer zu entfachen, das alle Weltmeere nicht löschen könnten“, schwärmte die alte Dame. „Ist das nicht ein bezaubernder Gedanke? Warum haben Sie ihn nicht wenigstens eingeladen, die Paella mit uns zu teilen?“, fügte sie hinzu.

„Das ist mir leider erst eingefallen, als er bereits weg war“, gestand Sophia kleinlaut. „Wahrscheinlich hätte er ohnehin abgelehnt.“

„Das bezweifele ich“, sagte Mrs. Caldwell entschieden. „Als ich die Haustür klappen hörte, habe ich aus dem Fenster geschaut. Er ist nicht gleich weggegangen, sondern stand unter der großen Linde und hat noch minutenlang zu Ihrem Fenster emporgesehen. Genau gesagt, ist er erst verschwunden, als Sie zu mir gekommen sind.“

Wäre sie doch nur halb so couragiert wie ihre Vermieterin, dachte Sophia. Dann hätte sie ihm vielleicht noch nachgehen und ihn einladen können.

Aber es sollte wohl nicht sein …

2. KAPITEL

Offenbar bemerkte Mrs. Caldwell ihre Bedrückung, denn sie wechselte abrupt das Thema. „Werden auf der Ausstellung eigentlich auch die Miniaturen Ihres Vaters gezeigt?“

„Ja, davon gibt es wirklich eine Menge, und einige von ihnen gelten als Dads beste Arbeiten.“

„Mir gefällt besonders die mit dem dunkelhaarigen Mädchen in der bezaubernden blauen Ballrobe aus Seide. Sie trägt doch so eine exquisite Perlenkette und hält etwas in der Hand, was wie eine Karnevalsmaske aussieht. Ein wenig erinnert sie mich an Sie, Liebes.“

Sophia wusste sofort, von welchem Bild Mrs. Caldwell sprach. Die dunkelhaarige Schöne ähnelte ihr wirklich sehr, aber Kleidung und Haartracht verrieten, dass sie lange vor ihrer Zeit gelebt hatte. Es sei die Kopie eines alten Gemäldes, das ihn einst fasziniert hätte, lautete die vage Erklärung ihres Vaters. Wen es darstellte, daran konnte er sich angeblich nicht mehr erinnern.

„Als ich Peter gegenüber meine Vorliebe für dieses Bild einmal erwähnte, gestand er mir, dass es auch sein Favorit sei …“, erzählte Mrs. Caldwell weiter und verstummte dann. „Ich vermisse ihn sehr“, fügte sie nach einer Pause hinzu. „Vor allem unsere Cribbage-Partien an den langen dunklen Winternachmittagen.“

„Ich weiß, dass er sie auch sehr genossen hat“, sagte Sophia weich und lächelte.

Die Augen ihrer Vermieterin glänzten verdächtig, als sie sich energisch die Nase schnaubte. „Also, wie geht es mit der Ausstellung voran?“, fragte sie dann.

„Alles ist für die Eröffnung morgen früh bereit.“

Solange die Paella im Ofen garte, plauderten sie wie gute Freundinnen über Kunst, Gott und die Welt. Und als das Essen auf dem Tisch stand, machte Mrs. Caldwell den frivolen Vorschlag, eine Flasche Wein für sie beide zu öffnen. „Ich habe noch einen ganz hübschen Vorrat“, kicherte sie vergnügt. „Ich denke, wir trinken einen Rioja und tun so, als dinierten wir in Spanien!“

Wenig später saßen sie am Tisch und prosteten einander zu, dann widmeten sie sich mit Hingabe der köstlich duftenden Paella, die Mrs. Caldwell zur besten ihres ganzen Lebens erklärte. Angerührt von ihrer aufrichtigen Begeisterung, schob Sophia die trübsinnigen Gedanken zur Seite und beschloss für sich, den Abend einfach zu genießen. Nachdem sie den Geschirrspüler ein- und die Küchenecke aufgeräumt hatte, spielten sie noch eine Runde Cribbage und tranken die Flasche Rioja aus. Als Sophia zufällig auf die Uhr sah, war es bereits nach elf.

„Lieber Himmel! Sie sollten längst im Bett sein!“

Mrs. Caldwell protestierte nur halbherzig, und mit ihren überschwänglichen Dankestiraden im Ohr ging Sophia über den Flur zu ihrer Wohnung, schloss die Tür auf und knipste das Licht an.

Als Erstes bemerkte sie das Schlüsselbund, das halb unter dem Küchentisch lag. Sie musste es beim Abstellen der Einkäufe heruntergeworfen haben. Sophia bückte sich, um es aufzuheben. Plötzlich spürte sie ein unbehagliches Kribbeln. Langsam richtete sie sich wieder auf und schaute um sich.

Alles schien in Ordnung und an seinem Platz zu sein. Doch ein sechster Sinn sagte ihr, dass etwas nicht stimmte. Aber was?

Immer noch zutiefst beunruhigt, verstaute sie das Schlüsselbund in ihrer Handtasche, wo es hingehörte, und legte die Ersatzschlüssel zurück ins Sideboard. Dabei glitt ihr Blick unablässig durch den Raum.

Jetzt sah sie es! Vor den Fenstern, die zur Straße hinausgingen, waren die Vorhänge zugezogen. Dabei wusste Sophia genau, dass sie sie nicht angerührt hatte.

In ihrem Nacken stellten sich die feinen Härchen auf, während ihre Gedanken sich überschlugen. Jemand musste in ihrer Wohnung gewesen sein, während sie Mrs. Caldwell bekocht hatte.

Ein Einbrecher? Nur, wie war er hereingekommen?

Die Hintertür verriegelte ein festes Schloss und wurde seit Ewigkeiten nicht benutzt, und vorn kam man nur ins Haus, wenn man klingelte oder einen Schlüssel besaß. Dennoch bestand nicht der leiseste Zweifel daran, dass jemand hier eingedrungen war. Vielleicht hielt er sich sogar noch immer in der Wohnung auf?

Allein die Vorstellung ließ Sophia schaudern. Tapfer gab sie sich einen Ruck, stieß mit der einen Hand die Badezimmertür auf, während sie mit der anderen gleichzeitig auf den Lichtschalter drückte. Ein Blick reichte, um sicherzugehen, dass sich hier niemand verbarg.

Dann öffnete sie die Tür zum Atelier ihres Vaters, sog unwillkürlich den vertrauten Geruch von Ölfarben und Terpentin ein, der immer noch in der Luft hing, und schaute sich um. Doch abgesehen von der Staffelei und den unbenutzten Leinwänden, die an einer Wand lehnten, der Ansammlung von Pinseln, Spachteln, Farben und Malpaletten auf den alten Regalen war der Raum leer.

Auch im Schlafzimmer ihres Vaters entdeckte sie keinen Eindringling. Es sah noch genauso aus, wie er es verlassen hatte. Irgendwann in nächster Zukunft musste sie seine privaten Papiere ordnen und die Kleidung aussortieren und dem Roten Kreuz übergeben, aber bis jetzt hatte sich Sophia dazu noch nicht aufraffen können.

Einzig ihr Geburtstagsgeschenk hatte sie aus diesem Zimmer genommen. Ihr Vater bewahrte es zusammen mit einigen Briefen in seinem Schreibtisch auf. Obwohl nicht größer als ein Schuhkarton, wog das Päckchen, in schlichtes Goldpapier eingewickelt und mit einem kleinen gedruckten Glückwunschkärtchen versehen, überraschend viel.

Für Sophia, mit all meiner Liebe. Herzlichen Glückwunsch zu Deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag.

Als sie das las, strömten Tränen über ihre Wangen. Sobald sie sich wieder gefasst hatte, entfernte Sophia mit zitternden Fingern das Papier und hielt die wunderschöne Schmuckschatulle aus dunklem Ebenholz in den Händen, die ihrem geheimnisvollen Besucher auf den ersten Blick aufgefallen war.

Sie wirkte wie eine Miniaturschatztruhe. Den gewölbten Deckel zierte eine Schnitzerei, die an ein Tierkreiszeichen erinnerte, und als Sophia sie genauer untersuchte, stellte sie fest, dass es sich um Fische handelte, also ihr eigenes Sternzeichen. Und darunter tanzten zwei Seepferdchen auf einer bewegten Welle, eines mit einem fröhlichen Ausdruck, das andere voller Melancholie. Ein perfektes Abbild der zwiegespaltenen Persönlichkeit aus ansteckender Heiterkeit und emotionaler Tiefe, die man den Fischen zuschrieb.

Wenn die Schatulle nun gestohlen worden war? Sophia stockte der Atem.

Ohne einen weiteren Gedanken an einen möglichen Eindringling zu verschwenden, eilte sie in ihr eigenes Schlafzimmer, knipste das Licht an und atmete erleichtert auf, als sie ihren kostbarsten Schatz dort stehen sah, wo er hingehörte. Auf ihrer Frisierkommode.

Doch in der nächsten Sekunde versteifte sie sich. Obwohl niemand außer ihr im Raum war, verspürte sie das verstörende Gefühl, nicht allein zu sein.

Da ihr Bett höchstens fünf Zentimeter über dem Fußboden lag, gab es nur einen Platz, wo sich jemand verbergen konnte – im Kleiderschrank. Während Sophia energisch darauf zuging und die Türen aufriss, kam sie sich schrecklich albern vor. Trotzdem erleichterte es sie sehr, dort nichts anderes als ihre gewohnte Kleidung und die zugehörigen Accessoires zu finden.

Erneut schaute sie zu ihrer Schmuckschatulle. Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sie in Form und Größe durchaus dem Paket glich, das ihr Vater, laut Mrs. Caldwell, von dem geheimnisvollen Besucher erhalten hatte.

Vielleicht hatte er es telefonisch bei ihm bestellt? Aber ein Bote, der offenbar nicht nur Italiener war, sondern seine Ware auch noch per Taxi auslieferte?

Unfähig, das Rätsel auf die Schnelle zu lösen, wandte sie ihre Gedanken wieder dem möglichen Einbrecher zu. Gut, die Schatulle stand noch an ihrem Platz, aber der Inhalt? Bei dem meisten Stücken handelte es sich um einfachen Modeschmuck, nur etwas schlichter Goldschmuck und der Siegelring ihres Vaters besaßen einen gewissen Wert. Doch ein Blick verriet ihr, dass nichts fehlte, und langsam fragte Sophia sich, ob sie die Geschichte mit dem möglichen Dieb nicht ihrer lebhaften Fantasie zuschreiben musste.

Und die Vorhänge?

Vielleicht hatte sie sie selbst zugezogen, ohne es zu merken, in Gedanken bei dem blonden Fremden. Am besten, sie versuchte, das Ganze so schnell wie möglich zu vergessen. Immerhin fehlte nichts.

Als Sophia anfing, sich bettfertig zu machen, fiel ihr Blick zufällig auf die Kommodenschublade, in der sie ihre Unterwäsche aufbewahrte. Etwas, das wie ein Perlonstrumpf aussah, lugte aus einem Spalt hervor, und als sie die Lade aufzog, betrachtete sie mit gerunzelter Stirn eine ihrer Seidenstrumpfhosen, die unerklärlicherweise auf, anstatt in der dafür vorgesehenen Schutzhülle lag.

Diesmal standen ihr sogar die Härchen auf den Armen zu Berge, denn das konnte weder von allein passiert sein noch hatte sie es selbst getan. Eine rasche Kontrolle der anderen Schubladen überzeugte sie davon, dass ihre Sachen, wenn auch sehr behutsam, durchsucht worden waren.

Aber wie war der Eindringling hereingekommen? Und wonach hatte er gesucht?

Sophia duschte, putzte sich die Zähne und schlüpfte in ihr Nachthemd; dabei grübelte sie ununterbrochen über diesem unlösbaren Problem, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Und als sie endlich in ihrem Bett lag, schob sie es energisch zur Seite.

Stattdessen dachte sie an die überraschende Begegnung mit dem attraktiven Fremden, der ihrem Lieblingsporträt so unglaublich ähnlich sah. Der freudige Schock seines unerwarteten Anblicks war kurz darauf einem sehnsüchtigen schmerzlichen Gefühl gewichen.

Aber einseitige Anziehung führte zu keinem guten Ende, und mehr gab es da leider nicht. Andernfalls hätte er nicht so leichtherzig aus ihrem Leben gehen können. Also musste sie versuchen, ihn so schnell wie möglich zu vergessen.

Leichter gesagt als getan, mit seinem Porträt vor Augen.

Sophia streckte die Hand aus und löschte das Licht auf dem Nachttisch. Doch ihn einfach aus ihrem Sichtfeld zu verbannen, garantierte noch lange keine ruhige Nacht, wie sie bald feststellte.

Als sie morgens erwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Und ein träger Seitenblick zur Uhr verriet ihr, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben verschlafen hatte.

So schnell wie möglich machte sie sich fertig, schlüpfte in ihr dunkles Businesskostüm, steckte ihr Haar hoch und legte ein dezentes Make-up auf. Bereits mit einem Arm im Mantelärmel, trank sie noch rasch einen Schluck Instantkaffee und machte sich auf den Weg in die Galerie.

Obwohl sie den Weg fast im Dauerlauf zurücklegte, stieß sie die schwere Rauchglastür zur Galerie mit einer halben Stunde Verspätung auf. Das elegante Interieur, in schlichtem Weiß und Gold gehalten, mit wenigen dunkelgrünen Akzenten und der gewundenen Treppe, die in die zweite Etage führte, machte A Volonté auch neben den Bildern zu einer wahren Augenweide.

Auf dem Weg zum Mitarbeiterraum sah Sophia zur Balkonbrüstung und den ersten Besuchern hinauf, die sich bereits die Ausstellung ihres Vaters anschauten. Besonders ein Paar, das mit dem Rücken zu ihr stand, erweckte ihre Aufmerksamkeit. Neben einem hochgewachsenen, hellhaarigen Mann stand eine zierliche Frau, das lackschwarze Haar zu einem exakten Bob geschnitten. Beide betrachteten fasziniert die Miniaturen.

Nachdem sie ihren Mantel weggehängt und sich bei David für die Verspätung entschuldigt hatte, ging Sophia zu ihrem Schreibtisch, der diskret in einer ruhigen Ecke der Galerie stand. Von dort aus konnte sie die Lounge einsehen, wo sie Joanna auf einer der tannengrünen Samtchaiselongues mit einem gewichtig aussehenden Mann sprechen sah, den Sophia bei näherem Hinschauen als einen berühmten Kunstkritiker und Privatsammler aus Paris identifizierte.

Ein erneuter Blick zum Balkon verriet ihr, dass die dunkelhaarige Frau immer noch die Miniaturen bewunderte, während ihr Begleiter ein Stück entfernt vor einer Kollektion venezianischer Skizzen stand.

Immer mehr Besucher strömten herein, doch die Firmenphilosophie der Kunstgalerie gebot, ihnen absoluten Freiraum zu lassen und nur auf direkte Fragen oder Kaufwünsche zu reagieren. Deshalb widmete Sophia sich dem neuen Auktionskatalog, den sie wie gewohnt für ihren Chef durchsah.

In der nächsten Woche stand ein interessanter Joshua Roache zum Verkauf, ebenso ein früher Cass, an dem David seit Längerem für seine Privatsammlung interessiert war …

Scusi, Signorina …“, meldete sich nun eine dunkle Frauenstimme.

Sophia legte den Katalog zur Seite und schaute mit einem höflichen Lächeln auf. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Vor ihr stand die dunkelhaarige Schönheit vom Balkon. Sie war sehr elegant gekleidet und tatsächlich ausgesprochen attraktiv mit den großen schwarzen Augen, einer makellosen hellen Haut, der klassisch geraden Nase und den vollen roten Lippen. Ihre Körperformen wirkten ausgesprochen weiblich, nur die gepflegten Hände mit den sorgfältig manikürten Fingernägeln sahen etwas plump aus.

Aber vielleicht lag das auch an den vielen funkelnden Ringen, die sie neben einem breiten goldenen Ehering und dazu passendem Diamant-Solitär trug und die zweifellos ein Vermögen kosteten.

Bei genauerem Hinsehen stellte Sophia fest, dass die Frau älter war, als es zunächst den Anschein hatte. Sie schätzte sie auf etwa Mitte dreißig.

„Ich möchte gern Näheres über dieses Bild wissen“, erklärte sie in fließendem Englisch, aber mit leichtem Akzent.

Zu Sophias Bestürzung hielt sie die Miniatur in der Hand, von der Mrs. Caldwell ihr gestern noch erzählt hatte, sie gefiele ihr von allen Bildern ihres Vaters am besten. Fordernd streckte Sophia eine Hand aus und versuchte, ihre Stimme zu kontrollieren.

„Wenn Sie mir die Miniatur bitte geben …?“

Trotz ihrer Bemühungen musste sich die Bitte eher nach einem Befehl angehört haben, da die elegante Besucherin herausfordernd ihr Kinn hob.

„Sie sprechen mit der Marchesa d’Orsini“, informierte sie Sophia arrogant.

„Es tut mir leid, aber es ist nicht erlaubt, die Exponate von den Wänden zu nehmen.“

„Sie verstehen nicht, ich will diese Miniatur kaufen.“

„Ich befürchte, das geht nicht.“

„Wie können Sie so etwas sagen?“, keifte die Marchesa wenig vornehm. „Eine Kunstgalerie ist doch dafür da, Bilder zu verkaufen, oder nicht?“

„Natürlich“, bestätigte Sophia betont freundlich, da ihre kleine Auseinandersetzung mit der wütenden Marchesa schon neugierige Blicke auf sich zog. „Alle Bilder in den unteren Räumen sind auch zum Verkauf bestimmt, inklusive der dort ausgestellten Miniaturen.“

„Aber ich will diese hier!“

„Tut mir leid, aber sie gehört zu einem Teil der Peter-Jordan-Ausstellung, deren Werke absolut unverkäuflich sind.“

„Unsinn! Ich verlange, dass Sie augenblicklich …“

Mehr hörte Sophia nicht, da sie nur noch den großen schlanken Mann wahrnahm, der plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, hinter der aufgebrachten Marchesa auftauchte. Er war viel salopper gekleidet als gestern, hielt den markanten Kopf leicht geneigt und zwinkerte ihr lächelnd zu.

Wie hypnotisiert starrte Sophia in die schönen grauen Augen, die sie niemals wiederzusehen erwartet hatte. Ob er die Galerie zufällig besuchte?

Nein, sicher nicht, beantwortete sie sich gleich selbst die Frage.

Unverhofft stieg heiße Freude in ihr auf, und sie erwiderte strahlend sein anziehendes Lächeln.

Irritiert, dass sie Sophias Aufmerksamkeit verloren hatte, wandte sich die Marchesa um, erfasste den Arm des Neuankömmlings und bombardierte ihn mit einem leidenschaftlichen Wortschwall in Italienisch.

„Dieses dumme Ding hat tatsächlich die Nerven, mir vorzuhalten, ich hätte die Miniatur nicht von der Wand nehmen dürfen …!“

„Habe ich es dir nicht gleich gesagt?“, erwiderte er in derselben Sprache.

Jetzt ging ihr hitziges Temperament endgültig mit der Marchesa durch.

Santo cielo! Langsam habe ich es satt, immer erklärt zu bekommen, was ich tun und lassen soll! Du solltest lieber auf meiner Seite sein, als diesem unverschämten jungen Ding …“

Er unterbrach ihren Redefluss, indem er einen Finger auf ihre kirschroten Lippen legte. „Es ist durchaus möglich, dass die Signorina Italienisch spricht“, warnte er. „Sie ist …“

„Ich weiß genau, was sie ist! Ein kleines Nichts, das sich nur wichtig machen will! Aber sie macht einen großen Fehler, wenn sie denkt …“

Cara, ich glaube, den großen Fehler machst du gerade. Beruhige dich erst einmal und …“

„Ich pfeife auf deine Ratschläge!“, giftete die Marchesa.

Resigniert hob er die breiten Schultern. „Also gut.“

Obwohl er absolut ruhig und gelassen klang, schwenkte die schwarzhaarige Schönheit augenblicklich um. „Stefano, caro, es tut mir leid“, gurrte sie, plötzlich zahm wie ein Täubchen. „Ich hätte dich nicht so anfahren dürfen. Bitte vergib mir …“ Verblüfft registrierte Sophia, dass in ihren großen Augen Tränen schimmerten.

Und als sie sah, wie sich die harten Züge des Mannes entspannten, zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Ob die schöne Marchesa seine Ehefrau war?

Und selbst wenn nicht, war sie offensichtlich seine amante, anders ließ sich die sichtbare Intimität zwischen den beiden wohl kaum erklären … die besitzergreifende Geste, mit der sie ihre beringten, rot lackierten Krallen auf seinen Unterarm legte.

„Bitte, sag mir, was ich tun soll“, murmelte sie jetzt mit sanfter Stimme.

„Ich schlage vor, du entschuldigst dich zunächst bei der Signorina und gibst ihr die Miniatur zurück.“

Entschuldigen? Aber Stefano …“

„Ich halte es für mehr als angebracht“, erklärte er kühl.

Nach kurzem Zögern sah die Marchesa Sophia an, drückte ihr die Miniatur in die Hand und murmelte auf Englisch eine kaum verständliche Entschuldigung.

„Schon gut“, versicherte Sophia lächelnd.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, lebt der Künstler nicht mehr?“, fragte sie anschließend, offensichtlich noch lange nicht besänftigt.

„Nein, leider ist er im März verstorben.“

„Vielleicht können Sie mir verraten, wer ihm für dieses Miniatur Modell gesessen hat, und vor allen Dingen, wann das Bild entstanden ist?“

„Ich bedaure.“

„Dann geben Sie mir den Katalog, damit ich selbst nachschauen kann.“

Gelassen kam Sophia ihrer Forderung nach. „Die Miniatur finden Sie auf Seite zwölf“, erklärte sie zuvorkommend. „Aber dort steht nur der Titel Porträt einer Dame im venezianischen Karneval.“

Verärgert warf die Marchesa den Katalog zurück auf den Schreibtisch. „Ich habe genug Zeit verschwendet! Ich möchte diese Miniatur kaufen und …“

„Verzeihung, wie ich bereits erklärte, ist sie unverkäuflich.“

„Jetzt habe ich wirklich genug von Ihrer Impertinenz!“, fuhr die Marchesa auf. Der Mann, den sie Stefano nannte, berührte warnend ihren Arm, aber sie schüttelte ihn gereizt ab. „Ich bestehe darauf, den Eigentümer der Galerie zu sprechen oder sonst jemanden, der autorisiert ist …“

„Kein Problem“, unterbrach Sophia sie ruhig und griff zum Hörer. „Könntest du bitte kurz zu meinem Schreibtisch kommen?“, bat sie David, als er sich meldete.

„Probleme?“, fragte dieser, alarmiert von ihrem Ton.

„Ich befürchte … ja.“ Damit legte sie auf und wappnete sich gegen den Sturm, der offensichtlich kurz vor dem Ausbruch stand.

„Sie haben allen Grund, ängstlich auszusehen“, interpretierte die Marchesa Sophias stoische Miene völlig fehl. „Wenn Sie glauben, mit Ihrem ungeheuerlichen Verhalten mir gegenüber so einfach davonzukommen, täuschen Sie sich schwer! Ich werde dafür sorgen, dass Sie Ihren Job verlieren und …“

„Das reicht, Gina. Du machst dich langsam lächerlich.“ Anscheinend besaß der Mann an ihrer Seite das Talent, ihr gegenüber den richtigen Ton anzuschlagen, denn obwohl er seine Stimme nicht einmal erhob, senkte die Marchesa augenblicklich den Kopf und biss sich auf die Unterlippe.

Exakt in diesem Moment tauchte David auf, wie immer eine makellose Erscheinung, mit einer cremefarbenen Nelke im Knopfloch seines maßgeschneiderten Anzugs und einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen. Er war mittelgroß, sehr schlank, ein eleganter Junggeselle in den Fünfzigern und ein Kunstkenner und – liebhaber durch und durch.

„Ein Problem, bei dem ich helfen kann?“, fragte er milde und an Sophia gewandt, aber es war die Marchesa, die ihm antwortete.

„Und ob! Ich bin die Marchesa d’Orsini! Und dieses dumme Ding …“

Eine leichte Verbeugung in ihre Richtung stoppte den unbeherrschten Ausbruch.

„Und ich bin David Renton, der Besitzer von A Volonté. Wenn Sie und der Marchese mir bitte …“

„Ich befürchte, Sie erliegen einem Missverständnis“, erwiderte der andere Mann freundlich. „Ich bin nicht der Marchese. Mein Name ist Stephen Haviland.“

Also war er nicht der Ehemann der heißblütigen schwarzhaarigen Schönheit!

Sophia fühlte sich plötzlich so erleichtert, dass sie es schon fast lächerlich fand. Während die Männer sich die Hände schüttelten und David die Marchesa in seine höfliche Entschuldigung mit einbezog, unterdrückte seine Angestellte nur mit größter Mühe ein glückliches Lächeln.

„Sie müssen sich nicht entschuldigen, Mr. Renton“, gurrte die Marchesa. „Ein verzeihlicher Fehler …“

„Sehr freundlich von Ihnen, Marchesa d’Orsini. Wenn Sie und Mr. Haviland mir in meine Privatsuite folgen wollen? Ich bin sicher, dass sich jedes Problem zu Ihrer Zufriedenheit lösen lässt.“

Als die Marchesa Sophia einen triumphierenden Blick zuwarf, wandte David sich auch an sie. „Kommst du bitte auch mit, Sophia, mein Liebes?“

Damit sicherte er ihr elegant seine Unterstützung zu und ließ der arroganten Marchesa eine subtile Warnung zukommen, was seinen eigenen Standpunkt betraf.

Mit einer Handbewegung signalisierte er Joanna, dass er Sophia einen Moment entführte und führte die kleine Gruppe galant ins Allerheiligste. Sein Wohnzimmer war ein eleganter heller Raum, mit ausgesuchten Antiquitäten möbliert und einer kleinen Bar in einer Ecke. An den Wänden hingen Bilder, von denen jedes Einzelne ein kleines Vermögen wert war.

„Setzen Sie sich doch bitte“, bat David.

Die Marchesa nahm auf einem der beiden Chesterfieldsofas Platz, schaute zu Stephen Haviland hoch und klopfte einladend auf die Sitzfläche neben sich.

„Sophia, meine Liebe, setzt du dich bitte hierher?“

Während sie sich auf der anderen Ledercouch niederließ, blieb Stephan Haviland stehen. David ging zur Bar und kehrte mit einer Sherryflasche und vier Kristallgläsern auf einem silbernen Tablett zurück.

„Darf ich Ihnen ein Glas Sherry anbieten?“

„Das wäre sehr nett“, akzeptierte die Marchesa mit einem strahlenden Lächeln.

Nachdem jeder ein Glas in Händen hielt, setzte sich David neben Sophia. „Also, wie kann ich helfen?“

Trotz ihres unbeherrschten Temperaments war die Marchesa offensichtlich sensibel genug, um seine dezenten Andeutungen richtig zu interpretieren und wählte ihre Worte plötzlich sehr sorgfältig.

„Ich befürchte, Ihre Angestellte und ich haben uns, wie man so schön sagt, auf dem falschen Fuß erwischt. Offenbar unterlief mir ein Fauxpas, für den ich mich bereits entschuldigt habe …“

Da David nicht darauf einging, sondern ruhig abwartete, dass sie weitersprach, gab die Marchesa sich einen Ruck. „Ich habe eine der Miniaturen von der Wand genommen“, erklärte sie mit einem zerknirschten Lächeln. „In der Hoffnung, sie zu erwerben, wurde aber belehrt, dass sie unverkäuflich sei.“

„Darf ich fragen, um welches Bild es sich handelt?“

„Im Katalog wird es als Porträt einer Dame im venezianischen Karneval beschrieben.“

„Diese Miniatur ist tatsächlich unverkäuflich, da sie zu einer Kollektion von Bildern eines Künstlers gehört, dessen Werke wir nur als Leihgabe erhalten haben und gegenwärtig in der Galerie ausstellen“, erklärte David freundlich und mit dem nötigen Quäntchen Bedauern, um die Zurückweisung zu mildern.

„Können Sie mir denn sagen, wem die Bilder gehören?“

Nach einem schnellen Blickwechsel mit ihrem Chef nickte Sophia unmerklich. „Sie gehören mir“, erklärte sie dann ruhig.

„Ihnen?“ Die Marchesa schien ihren Ohren nicht zu trauen.

„Ja.“

„Und warum haben Sie sich dann geweigert, mir zu sagen, wer für das Porträt Modell gesessen hat und wann es entstanden ist?“

„Weil ich es wirklich nicht weiß. Mein Vater malte es vor vielen Jahren, noch vor meiner Geburt.“

„Ihr Vater? Dann sind Sie …“

„Sophia Jordan“, bestätigte Sophia gelassen.

Die Marchesa wandte sich auf Italienisch an ihren Begleiter. „Warum hast du mir nicht gesagt …“

Ein unmissverständliches Glitzern in seinen grauen Augen ließ sie abrupt abbrechen. Einen Moment herrschte eine seltsam angespannte Stille.

Dann wandte sich die Marchesa mit ernstem Gesicht an Sophia und sprach sie auf Englisch an. „Signorina Jordan, ich möchte diese Miniatur unbedingt erwerben. Und ich bin bereit, so ziemlich jeden Preis zu zahlen.“

„Es tut mir wirklich leid, aber wie ich schon sagte – sie ist nicht zu verkaufen.“

Die dunkelhaarige Frau biss sich auf die Lippe und rang sichtbar um Beherrschung. „Ich weiß, ich hätte Sie nicht derart angehen dürfen …“

„Das hat nichts damit zu tun“, versicherte Sophia ihr hastig. „Die Bilder meines Vaters sind für mich sehr kostbar, und ich habe nicht die Absicht, mich auch nur von einem einzigen zu trennen.“

„Vielleicht schauen Sie sich einmal die Miniaturen anderer Künstler an, die zum Verkauf stehen. Zwei von ihnen ähneln sogar äußerst verblüffend der venezianischen Dame“, schlug David vor.

„Danke, aber nein.“

„Gibt es dann noch etwas, das ich für sie tun kann?“

Die Marchesa schüttelte stumm den Kopf, und Stephen warf Sophia einen schnellen Blick zu, während er wie nebenbei erklärte, dass sie noch heute nach Venedig zurückfliegen würden.

Hieß das womöglich, dass er dort lebte?

„In spätestens einer Stunde müssen wir in Richtung Flughafen aufbrechen“, drang seine Stimme in ihre Gedanken ein. „Trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie noch etwas Zeit für mich erübrigen könnten.“

Autor

Lee Wilkinson
<p>Lee Wilkinson wuchs im englischen Nottingham als einziges Kind sehr liebevoller Eltern auf. Nach dem Abschluss auf einer reinen Mädchenschule versuchte sie sich in verschiedenen Berufen, u.a. war sie Model für Schwimmbekleidung. Mit 22 traf sie Denis. Sie heirateten ganz traditionell in Weiß, verbrachten ihre Flitterwochen in Italien und führen...
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