Julia Weekend Band 124

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DIE WEIHNACHTSBRAUT von PENNY JORDAN

Für eine Weihnachtparty auf einem Schloss in den Bergen braucht Matilda einen Mann! Also engagiert sie den attraktiven Silas Stanway: Er soll ihren Verlobten spielen. Doch in dem romantischen Turmzimmer mit einem Himmelbett für zwei erwacht plötzlich echte Leidenschaft … 

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  • Erscheinungstag 12.10.2024
  • Bandnummer 124
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527750
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Jordan

PROLOG

„Es ist der absolute Albtraum, schlimmer könnte es gar nicht kommen.“

„Weihnachten in einem Schloss in Spanien zu verbringen ist ein Albtraum?“

Matilda musste widerwillig lächeln, als sie den trockenen Ton in der Stimme ihrer Freundin und Mitbewohnerin hörte.

„Okay, oberflächlich betrachtet mag es toll klingen“, gab sie zu, „aber Sally, in Wirklichkeit wird es ein Albtraum werden. Oder vielmehr eine Serie von Albträumen“, prophezeite sie düster.

„Weil …?“

Matilda schüttelte kläglich den Kopf. „Du willst eine Auflistung? Schön! Erstens, meine Mutter will einen Mann heiraten, in den sie so unsterblich verliebt ist, dass sie mir ständig E-Mails schickt, die so klingen, als lebe sie nur noch von Sex und Adrenalin. Zweitens, der Mann, den sie heiraten will, ist ein Multimillionär – nein, warte, ein Milliardär …“

„Du hast eine merkwürdige Vorstellung davon, was ein Albtraum ist“, unterbrach Sally sie.

„Ich bin noch nicht fertig“, entgegnete Matilda. „Hugh – Mums Milliardär – ist Amerikaner, und er hat äußerst strenge Ansichten, was Familienleben anbelangt.“

„Und das heißt genau?“

„Geduld, Geduld. Ich erkläre es dir. Mum trägt diesen Schuldkomplex mit sich herum. Sie glaubt, dass es ihr Fehler ist, dass ich so gegen die Ehe bin, weil sie sich von meinem Vater getrennt hat.“

„Und, ist es ihr Fehler?“

„Nun ja, sagen wir mal so – die Tatsache, dass sie bereits viermal verheiratet war, veranlasst mich nicht gerade dazu, der Ehe besonders optimistisch gegenüberzustehen.“

„Viermal?“

„Mum verliebt sich nun mal unheimlich gerne. Und noch lieber heiratet sie. Diesmal möchte sie Punkt Mitternacht an Silvester in einem Schloss in Spanien getraut werden. Also hat Hugh die ganze Familie über Weihnachten nach Kastilien eingeladen – auf seine Kosten. Wir werden alle in einem Schloss wohnen, damit wir uns richtig kennenlernen können – ‚als Familie‘. Laut Mum kann sich Hugh nämlich keine andere Zeit vorstellen, die für die Familie wichtiger ist als Weihnachten.“

„Klingt doch gut so weit.“

„Okay, jetzt kommen wir zu dem, was nicht so gut klingt. Hughs Familie besteht aus seinen beiden absolut perfekten Töchtern aus erster Ehe, zusammen mit deren Ehemännern und den Kindern.“

„Und?“

„Und Mum hat aus irgendeinem Grund, den nur sie selber kennt, Hugh erzählt, dass ich verlobt bin und bald heiraten werde. Woraufhin Hugh natürlich darauf bestanden hat, dass ich auch nach Spanien komme – zusammen mit meinem Verlobten.“

„Aber du hast keinen Verlobten. Du hast nicht einmal einen Freund.“

„Exakt. Das habe ich meiner Mutter auch gesagt, aber sie ist daraufhin in ihre übliche Melodramatik verfallen. Sie hat Angst, dass Hughs Töchter ihm die Heirat ausreden könnten, und wenn ich ohne Verlobten auftauche, dann würde es ihnen weitere Munition in die Hand geben, weil es ihre Behauptung unterstützen würde, dass wir in unserer Familie einfach nicht zu langfristigen Beziehungen fähig sind. Mum hätte wirklich Schauspielerin werden sollen“, seufzte Matilda und blickte hilflos zu ihrer Freundin hinüber. „Ich weiß, dass das alles verrückt klingt, aber wenn ich ehrlich bin, dann mache ich mir Sorgen um meine Mutter. Falls Hughs Töchter gegen die Heirat sind, hat sie keinerlei Chance. Mum ist nicht berechnend. Sie verliebt sich einfach nur unheimlich leicht.“

„Man hat fast den Eindruck, du bist die Mutter und sie ist das Kind.“

„Na ja, ich habe das Gefühl, dass ich für sie da sein muss, und ich will nicht, dass sie mir die Schuld gibt, wenn die Sache schiefgeht, nur weil ich nicht mit einem Verlobten aufgetaucht bin.“

„Tja, dann weißt du doch, was du zu tun hast, oder?“

„Was?“

„Engagier dir einen Begleiter.“

„Was?“

„Du brauchst gar nicht so entsetzt zu gucken. Ich meine nicht diese Art Begleiter, die dich irgendwann fragt, wann sie mit der ‚Massage‘ beginnen soll. Ich spreche hier von einem absolut seriösen, unverbindlichen und gesellschaftlich vollkommen akzeptierten Begleitservice.“

Sally bemerkte, dass Matilda gleichermaßen neugierig wie misstrauisch wirkte. „Komm schon, gib mir das Branchenbuch, und wir erledigen es sofort.“

„Du könntest mir auch Charlie ausleihen“, versuchte es ihre Freundin stattdessen.

„Ich soll dir zum romantischsten Fest des Jahres meinen Verlobten ausleihen, damit er mit dir in ein Schloss in Spanien fährt?“ Sally schüttelte heftig den Kopf. „Vergiss es!“ Sie schlug das Telefonbuch auf. „Also, lass uns mit dieser ersten Agentur anfangen. Reich mir mal das Telefon.“

„Sally, ich finde nicht, dass …“

„Vertrau mir. Das ist die perfekte Lösung. Außerdem tust du es für deine Mutter, denk daran!“

„Ob ich was für dich tun würde?“ Silas Stanway starrte seinen jüngeren Halbbruder vollkommen ungläubig an.

„Na ja, ich kann es nicht tun. Nicht in einem Rollstuhl und mit meinem Arm und Bein in Gips“, erklärte Joe. „Außerdem wäre es nicht fair, das arme Mädchen hängen zu lassen“, fügte er tugendhaft hinzu, ehe er aufrichtigerweise gestand: „Ich brauche das Geld, Silas. Und es würde mir einige hervorragende Kontakte verschaffen.“

„Als männlicher Begleiter zu arbeiten?“ Silas klang spöttisch, doch in Wahrheit empfand er sowohl Schock als auch Widerwille. Ein weiterer Beweis dafür, was für eine Kluft manchmal zwischen ihm, einem Mann in den Dreißigern, und seinem kaum einundzwanzigjährigen Bruder herrschte. Joe war der Sohn seines Vaters aus zweiter Ehe, den Silas liebte und seit dem Tod des Vaters mit beinahe elterlicher Sorge behandelte.

„Eine Menge Schauspieler tun das“, verteidigte sich Joe. „Und diese Agentur ist äußerst seriös. Den Frauen, die sich einen Begleiter mieten, geht es nicht um Sex. Außerdem ist es nur für ein paar Tage“, bettelte er. „Schau, hier ist die Einladung. Privatjet nach Spanien, Luxusaufenthalt in einem Schloss, und das alles auf Kosten des Bräutigams. Ich hatte mich wirklich darauf gefreut. Nun komm schon, sei kein Spielverderber.“

Silas blickte uninteressiert auf die Einladung, die Joe ihm hinhielt, doch dann runzelte er die Stirn, als er den Namen des Bräutigams las. „Das ist eine Einladung zur Hochzeit von Hugh Johnson, dem Ölbaron?“, fragte er erstaunt.

„Ja, das ist richtig“, versetzte Joe übertrieben geduldig. „Hugh Johnson der Dritte. Die Frau, die ich begleiten soll, ist die Tochter der Braut.“

Silas’ Augen verengten sich. „Warum braucht sie einen Begleiter?“

„Keine Ahnung.“ Joe zuckte gleichgültig die Schultern. „Wahrscheinlich hat sie keinen Freund und will bei der Hochzeit nicht wie eine Verliererin dastehen. Das ist so eine Frauensache – kommt die ganze Zeit vor“, erklärte er unbekümmert. „Offensichtlich hat sie die Agentur angerufen und ihnen gesagt, dass sie jemanden will, der jung, gut aussehend und sexy ist, oh, und nicht schwul.“

„Und das sagt dir gar nichts?“, fragte Silas vorwurfsvoll.

„Doch, es sagt mir, dass sie einen Begleiter haben will, den sie vorzeigen kann.“

„Hast du sie getroffen?“

„Nein. Ich habe ihr per E-Mail vorgeschlagen, dass wir uns treffen, um eine gemeinsame Geschichte zu entwickeln, aber sie hat geantwortet, dass sie zu beschäftigt sei. Sie meinte, wir könnten alles Notwendige während des Flugs besprechen. Der Bräutigam organisiert den Privatjet. Ich muss mich einfach nur mit Koffer und Pass ins Taxi setzen und sie auf dem Weg zum Flughafen in ihrer Wohnung abholen. Ganz einfach. Oder zumindest wäre es das gewesen, wenn nicht dieser dumme Unfall beim Rugbyspiel passiert wäre.“ Joe schaute missmutig auf seinen Gips.

Silas hörte den Erklärungen zu und entwickelte dabei eine immer größere Abneigung gegen die Frau, die seinen Halbbruder „gemietet“ hatte. Je mehr er erfuhr, desto weniger glaubte er Joes Beteuerung, dass es hierbei nicht um Sex ging. Normalerweise hätte er seinem Bruder mehr als deutlich gesagt, was er von dieser Frau hielt, und natürlich hätte er sich schlichtweg geweigert, diesen Job für ihn zu übernehmen.

Normalerweise. Wenn der fragliche Bräutigam nicht Hugh Johnson gewesen wäre. Seit sechs Monaten versuchte er bereits, einen Kontakt zu Hugh Johnson herzustellen, um an Informationen über Jay Byerly, den legendären Ölbaron, heranzukommen.

Als investigativer Journalist für eine der angesehensten Zeitungen des Landes war Silas es gewohnt, dass man ihm nur ungern ein Interview gab. Doch diesmal recherchierte er für ein Buch, das er schrieb und das sich mit den oftmals korrupten Seilschaften in der Ölindustrie beschäftigte. Jay Byerly wurde nachgesagt, dass er vor ungefähr dreißig Jahren seine Kontakte genutzt hatte, um eine Beinahe-ökologische-Katastrophe herbeizuführen. Auch Hugh Johnson war bis vor Kurzem noch einer der ganz großen Drahtzieher im Ölgeschäft gewesen, und in seinen frühen Jahren hatte Jay Byerly ihn gefördert.

Bislang waren alle Versuche, einen Kontakt zu Hugh herzustellen, kläglich gescheitert. Doch Silas war nicht die Art Mann, die aufgab, auch wenn er in letzter Zeit bereits gedacht hatte, dass ihm nichts anderes übrig blieb.

Jetzt schien ihm das Schicksal eine neue Chance zu bieten.

„Also gut“, sagte er zu seinem Halbbruder. „Ich mach es.“

„Wow, Silas …“

„Unter einer Bedingung.“

„Okay, ich teile das Honorar mit dir. Und wenn sie völlig unmöglich sein sollte …“

„Die Bedingung lautet, dass du nicht länger als Begleiter arbeitest.“

„Hey, Silas, komm schon. Es ist gutes Geld“, protestierte Joe, doch dann sah er den Gesichtsausdruck seines Bruders und schüttelte den Kopf. „Also schön, ich schätze, dass ich jederzeit wieder kellnern kann.“

„Gut. Dann erklär mit jetzt noch mal die Details.“

1. KAPITEL

Wie, in aller Welt, sollte diese Geschichte funktionieren? Es würde ihr niemals gelingen, irgendjemanden davon zu überzeugen, dass ein bezahlter Begleiter ihr echter Partner war, entschied Matilda illusionslos. Wenn sie die freie Wahl gehabt hätte, wäre sie nicht einmal zu der Hochzeit gegangen. Ihre Mutter hatte seit ihrem Vater noch nie einen anständigen Mann ausgesucht, und so hegte Matilda ärgste Zweifel, dass es diesmal anders war.

Sie war vollkommen verrückt, dass sie dieses alberne Spielchen mitspielte. Doch bei allem, was ihre Mum anging, war es einfacher nachzugeben, als zu protestieren.

In einer Sache war Matilda allerdings immer standhaft geblieben – nämlich in ihrer Entschlossenheit, sich niemals zu verlieben oder zu heiraten.

„Aber Darling, wie kannst du das sagen?“, hatte ihre Mutter entsetzt eingewandt. „Jeder möchte den Richtigen treffen und sich verlieben. Das ist ein menschliches Grundbedürfnis.“

„Und was, wenn ich dann irgendwann feststelle, dass ich ihn nicht mehr liebe oder er mich nicht mehr?“

„Dann suchst du dir einen Neuen.“

„Um dann wieder zu heiraten und wieder und wieder, wenn es ein weiteres Mal nicht geklappt hat? Nein, danke, Mum.“

Sie mochten ja Mutter und Tochter sein, sich äußerlich unheimlich ähnlich sehen, aber innerlich waren sie grundverschieden.

Tatsächlich? Wen versuchte sie hier hinters Licht zu führen? War es nicht viel eher so, dass sie sich danach sehnte, ihren Seelenverwandten zu finden, diesen ganz besonderen Mann, der es schaffte, die Schutzmauern einzureißen, die sie um ihr Herz errichtet hatte? Einen Mann, den sie respektierte, der genug Stärke besaß, ihr auch seine Verletzlichkeit zu offenbaren – oh, und der natürlich sexy, atemberaubend und ungeheuer humorvoll war. Die Art Mann also, die man an jeder Straßenecke fand, wie ihre innere Stimme höhnte.

Reiß dich zusammen, ermahnte Matilda sich streng. Er – ihr „Verlobter“ und ganz sicher nicht ihr Seelenverwandter – würde jede Minute hier sein. Sie runzelte die Stirn. Am Vorabend hatte sie ihm eine E-Mail geschrieben, in der sie seine genaue Rolle erklärte, einschließlich der Tatsache, dass er in der Öffentlichkeit überzeugend als ihr Verlobter auftreten musste. Und nur in der Öffentlichkeit. Ganz egal, wie oft Sally ihr versichert hatte, dass sie sich keine Sorgen machen müsse und dass es völlig normal sei, einen Begleiter zu engagieren, hegte Matilda immer noch Zweifel.

Weil sie den ganzen Sommer über keinen Urlaub genommen hatte, war es jetzt glücklicherweise kein Problem gewesen, einige Zeit freizubekommen. Dennoch konnte sie sich nur zu gut vorstellen, wie die Reaktion der jungen männlichen Trainees ausfallen würde, die in der Bank unter ihr arbeiteten, wüssten sie von dieser Geschichte.

Als die Türklingel ertönte, zuckte Matilda zusammen, obwohl sie genau darauf gewartet hatte. Sally hatte ihr ursprünglich angeboten, an diesem Tag erst später zur Arbeit zu gehen und gemeinsam mit ihr die Wahl der Agentur zu begutachten. Jetzt war es zu spät, um sich zu wünschen, doch auf das Angebot eingegangen zu sein.

Mit einem leicht flauen Gefühl im Magen stieg sie über ihren Koffer hinweg und öffnete die Tür, in der Absicht, ihr überzeugendstes Ich-habe-alles-unter-Kontrolle-Lächeln zu zeigen. Stattdessen erstarrte sie.

Der Mann vor ihr war nicht nur gut aussehend, registrierte sie schockiert. Er war … Er war … Sie musste die Augen schließen und bis zehn zählen, ehe sie sie wieder öffnen konnte.

Dieser Mann sah atemberaubend aus und besaß außerdem diesen gefährlichen Sex-Appeal, den jede Frau sofort erkannte, wenn sie damit in Berührung kam. Er war dunkelhaarig und groß – mindestens eins neunzig – mit breiten Schultern, eisblauen Augen und tiefschwarzen Wimpern. Und in diesem Moment musterte er sie mit einer Mischung aus Ungeduld und kühlem männlichen Selbstbewusstsein, die ihr mehr als deutlich machte, dass er von ihrer Erscheinung längst nicht so beeindruckt war wie sie von seiner.

„Matilda Aspinall?“, fragte er kurz angebunden.

„Ja, die bin ich.“ Um Himmels willen, sie klang wie ein schüchterner Teenager, nicht wie eine beinahe dreißigjährige Frau, die ihre eigene Abteilung leitete, und das in einer Branche, die fast ausschließlich von Männern dominiert wurde.

„Silas Stanway“, stellte er sich vor.

„Silas?“, wiederholte Matilda unsicher. „Aber in Ihren E-Mails …“

„Für meine E-Mail-Korrespondenz benutze ich meinen zweiten Vornamen“, erklärte er kühl. Es war ja nicht wirklich gelogen. Er benutzte tatsächlich seinen zweiten Vornamen, zusammen mit dem Mädchennamen seiner Mutter – als Pseudonym. „Wir machen uns besser auf den Weg. Der Taxifahrer hat nur sehr ungern im absoluten Halteverbot geparkt. Ist das Ihr Koffer?“

„Ja, aber darum kann ich mich selbst kümmern“, entgegnete sie.

Er ignorierte ihren Einwand, griff an ihr vorbei und hob den Koffer hoch, als wiege er gar nichts.

„Haben Sie alles?“, wollte er wissen. „Pass, Tickets, Schlüssel, Geld …“

Matilda spürte, wie ihr eine unbekannte Röte ins Gesicht stieg. Genauso ungewohnt war das Gefühl, das ihren Körper beherrschte. Eine Mischung aus Verwirrung und erstaunlich heftigem Verlangen, kombiniert mit ungläubigem Schock.

Lag ihre Reaktion vielleicht an Weihnachten, dieser emotionalen Falle, die auf jede Frau lauerte, die unglücklich genug war, keinen liebenden Partner zu haben, mit dem sie feiern konnte? Auch wenn das Weihnachtsfest in den letzten Jahren immer kommerzieller geworden war, so hegte doch jeder im tiefsten Innern wie ein Kind den Wunsch, an Weihnachten das perfekte Geschenk zu bekommen – was in der Welt der Erwachsenen nichts anderes war als das Geschenk der Liebe, vollkommen, bedingungslos, frei gegeben und frei empfangen, auch wenn dies natürlich nur eine Illusion war.

Matilda wusste all das selbstverständlich. Also warum, warum war sie immer noch närrisch genug, sich insgeheim genau das zu wünschen? Sie war diejenige, die die Dinge in der Hand hatte, erinnerte sie sich streng. Nicht er. Und wenn er wirklich ihr Verlobter gewesen wäre, hätte sie ihm niemals dieses anmaßende Verhalten durchgehen lassen. Er machte sich ja nicht mal die Mühe, sie zu küssen …

Sie zu küssen?

Matilda stand in der Eingangshalle und starrte ihn entsetzt an, während ihr Herz einen Satz machte.

„Stimmt etwas nicht?“

Diesen eisblauen Augen entging nicht viel, erkannte sie. „Nein, alles in Ordnung.“ Sie schenkte ihm ihr bestes Ich-bin-der-Boss-Lächeln und trat durch die Tür.

„Schlüssel?“ Diese Frau brauchte keinen Begleiter, sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte, entschied Silas grimmig, während er beobachtete, wie Matilda hektisch in ihrer Tasche nach dem Schlüssel fischte, den sie schließlich ins Schloss steckte. Es war nur gut, dass Joe sie nicht begleitete. Die zwei wären nicht mal bis Heathrow gekommen, ohne festzustellen, dass einer von beiden etwas Wichtiges vergessen hatte.

Ihm war es allerdings ein völliges Rätsel, warum sie es nötig hatte, einen Mann zu mieten. Bei diesem Aussehen und der Figur hätte er eher erwartet, dass sie sich die Männer vom Leib halten musste, anstatt sie dafür zu bezahlen, dass sie sie begleiteten. Seine Hormone reagierten jedenfalls ganz eindeutig auf ihr honigblondes Haar, die grüngoldenen Augen, diese sinnlichen Lippen und den umwerfenden Körper.

Ich tue Joe wirklich einen Gefallen, indem ich für ihn einspringe, entschied Silas. Sein leicht zu beeindruckender Bruder hätte diesen Job niemals mit der nötigen Professionalität erledigen können. Nicht, dass Silas je in Versuchung geraten wäre. Und selbst wenn, hätte für ihn viel zu viel auf dem Spiel gestanden, als dass er es hätte riskieren können, sich sexuell mit einer Frau wie ihr einzulassen.

Was war nur los mit ihr, fragte sich Matilda fieberhaft. Sie war achtundzwanzig Jahre alt, erwachsen, verantwortungsbewusst und vernünftig. Sie reagierte einfach nicht in dieser Art auf einen Mann. Rasch versicherte sie sich daher, dass es auch gar nicht an Silas lag, sondern nur an der absurden Situation.

Mit grimmigem Blick schaute sie zum grauen Dezemberhimmel auf. Es hatte angefangen zu regnen, sodass der Bürgersteig bereits nass war. Nass und gefährlich rutschig, wenn man neue Schuhe mit glatter Ledersohle trug, wie Matilda feststellte, als sie die Balance verlor.

Silas fing sie auf, ehe sie in die offene Taxitür fallen konnte. Sie fühlte die Kraft seiner Hände durch den weichen Stoff ihres Mantels. Außerdem spürte sie die Wärme, seine Wärme, und urplötzlich stockte ihr der Atem. Rasch schaute sie zu ihm auf, um ihm für seine schnelle Reaktion zu danken. Er erwiderte ihren Blick, und Matilda musste unwillkürlich blinzeln, während sie wie gebannt auf seinen Mund starrte. Ihr eigener war merkwürdig trocken geworden, sodass sie am liebsten mit der Zungenspitze ihre Lippen befeuchtet hätte.

„Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, mein Freund …“

Die ungeduldige Stimme des Taxifahrers brachte Matilda in die Realität zurück. Hastig stieg sie in den Wagen.

Joe wäre wirklich nie in der Lage gewesen, mit einer solchen Frau fertig zu werden, entschied Silas grimmig, als er neben sie glitt. Himmel, nach der Art und Weise, wie sie auf seinen Mund gestarrt hatte, kämpfte er selbst gegen eine so heftige körperliche Reaktion, wie er sie seit seinen Teenagertagen nicht mehr verspürt hatte.

„Warum geben Sie mir nicht Ihren Pass und die Reiseunterlagen?“, schlug er Matilda vor. „Immerhin bin ich ja angeblich Ihr Begleiter …“

„Mein Verlobter“, korrigierte Matilda.

„Ihr was?“

„Haben Sie meine E-Mail nicht bekommen?“, fragte sie unsicher. „Die, in der ich die Situation und die Rolle erklärt habe, die Sie spielen müssen?“

Zum ersten Mal bemerkte Silas, dass sie an ihrer linken Hand einen Diamantring trug.

„Nach meinen Informationen sollte ich einfach nur als Ihr Begleiter fungieren“, entgegnete er frostig. „Wenn sich das geändert hat …“

In seinen Augen lag ein Ausdruck, den Matilda nicht besonders mochte. Ein zynischer Blick, der weder Respekt noch Sympathie für sie bezeugte. „Sie werden mein Begleiter sein, aber auch mein Verlobter. Das ist ja der ganze Sinn, weshalb wir überhaupt nach Spanien reisen.“

„Wirklich? Ich dachte, der Sinn läge darin, eine Hochzeit zu besuchen.“

Was seinen Zynismus anging, hatte sie sich nicht getäuscht. „Wir werden eine Hochzeit besuchen. Die meiner Mutter. Unglücklicherweise hat sie ihrem zukünftigen Mann erzählt, dass ich verlobt bin – fragen Sie mich nicht, warum; ich bin selbst nicht sicher, was die Antwort ist. Ich weiß nur, dass es laut ihr absolut unerlässlich ist, dass ich mit einem Verlobten auftauche.“

„Ich verstehe.“ Und das tat er tatsächlich. Viel zu gut. Von Anfang an hatte er recht gehabt, dass dieses ganze Begleitservicegeschäft etwas Schlüpfriges an sich hatte. Sein Mund wurde zu einer dünnen Linie, und als Matilda das sah, wünschte sie, die Agentur hätte ihr jemand anders geschickt. Sie glaubte nicht, dass sie mit einem solchen Mann fertig wurde.

„Was stand sonst noch in dieser E-Mail, das ich wissen sollte?“

Trotzig hob sie das Kinn. „Nichts. Meine Mutter kennt selbstverständlich die Wahrheit, und natürlich habe ich ihr mitgeteilt, dass wir getrennte Zimmer benötigen.“

„Natürlich?“ Silas hob eine Augenbraue. „Es ist doch wohl nichts Natürliches daran, wenn ein verlobtes Paar in getrennten Zimmern schläft?“

Bei diesen Worten entstand vor Matildas geistigem Auge sofort eine Flut intimer, erotischer Bilder, die sie veranlassten, rasch aus dem Fenster des Taxis zu schauen, damit Silas nicht erkennen konnte, was in ihr vorging.

„Was wir in unserem Privatleben tun, ist unsere Sache“, erklärte sie schnell.

„Das kann ich nur hoffen“, versetzte er leise. „Ich persönlich habe noch nie Geschmack an Voyeurismus gefunden.“

Matilda drehte bei diesen Worten ruckartig den Kopf herum. Ihre Wangen waren rot.

„Zu welchem Terminal wollen Sie?“, schaltete sich der Taxifahrer ein.

„Wir fliegen mit einem Privatflugzeug. Das ist der Ort, an den wir müssen.“ Sie suchte nach den Unterlagen und hätte sie beinahe fallen lassen, als Silas sie ihr abnahm und sich dabei ihre Hände berührten. Ich benehme mich wie ein vollkommener Idiot, dachte sie erbost, während ihr „Verlobter“ sich nach vorne beugte und dem Taxifahrer Anweisungen gab.

Silas war einfach nicht das, was sie erwartet hatte. Zum einen hatte sie angenommen, dass er jünger sein würde, mehr im Alter der Jungs in der Bank, und niemals hätte sie mit dieser unverhüllten Sexualität gerechnet. Daran war sie schlicht und ergreifend nicht gewöhnt.

Wie, in aller Welt, sollte sie vier Wochen lang so tun, als wäre er ihr Verlobter? Und wie sollte sie irgendjemanden davon überzeugen, ganz zu schweigen von Hughs Töchtern, wenn sie in getrennten Zimmern schliefen? Er war einfach kein Mann, der so etwas akzeptieren würde, und keine Frau, die halbwegs normal war, würde es auch nur wollen, wenn sie tatsächlich ein Liebespaar waren.

„Wir sind da“, verkündete Silas, als das Taxi zum Halten kam. „Sie können mir ganz genau erklären, was hier vor sich geht, wenn wir an Bord sind.“

Sie konnte es ihm erklären?

Doch es machte keinen Sinn zu protestieren, da er sich bereits abgewandt hatte, um den Taxifahrer zu bezahlen.

2. KAPITEL

Matilda war zuvor erst ein einziges Mal mit einem Privatjet geflogen. Damals hatte sie sich in Begleitung eines halben Dutzends ihrer männlichen Kollegen befunden – in einem Flugzeug, das einem der reichsten Kunden der Bank gehörte. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass es beim nächsten Mal, wenn sie zur privaten Gangway gefahren wurde, wo ein Steward bereits auf sie wartete, der Jet ihres zukünftigen Stiefvaters sein würde.

„Miss Aspinall.“ Der Steward warf ihr einen bewundernden Blick zu. „Ich muss gar nicht fragen, ob Sie häufig fliegen.“ Er bedeutete einem Mitarbeiter, dass er die Koffer an Bord bringen sollte. „Die wahren Profis reisen nie mit viel Gepäck, sondern kaufen alles Notwendige nach ihrer Ankunft – ganz besonders, wenn man in eine so wunderbare Stadt wie Madrid reist.“

Matilda hoffte, dass ihr Lächeln nicht so künstlich wirkte, wie es sich anfühlte. Der Grund, weshalb sie nicht mit viel Gepäck reiste, war der, dass sie davon ausging, dass sich in diesem spanischen Schloss eine Waschmaschine befand. Die Jeans, die sie an diesem Tag trug, war ihr normales Wochenendoutfit, auch wenn sie im Moment nicht ganz so perfekt saß wie sonst – das lag daran, dass sie sich in den vergangenen Wochen zu viele Gedanken um ihre Mutter gemacht und dabei etwas Gewicht verloren hatte.

Sobald sie im Innern des Jets waren, ließ sich Matilda auf einem der bequemen Sessel nieder und tat ihr Möglichstes, nicht zu ihrem neuen „Verlobten“ herüberzuschauen, der sich in der Welt der Superreichen erstaunlich zu Hause zu fühlen schien für jemanden, der sein Einkommen damit aufbessern musste, dass er für einen Begleitservice arbeitete.

Jason, der Steward, bot ihnen Champagner an. Matilda trank nie besonders viel, doch in diesem Moment nahm sie das Glas, das er ihr auf einem Tablett servierte, entgegen, weil sie hoffte, dadurch ihre Nerven ein wenig beruhigen zu können, die seit Silas’ Anwesenheit in ständigem Aufruhr waren. Er dagegen schüttelte den Kopf.

„Ich trinke lieber keinen Alkohol, wenn ich fliege“, erklärte er Jason. „Ich hätte lieber etwas Wasser.“

Warum kam sie sich ganz plötzlich wie eine Alkoholikerin vor, die das Angebot eines Glases Champagner einfach nicht ausschlagen konnte? Wütend nahm Matilda einen extra großen Schluck und musste sich dann eine Grimasse verkneifen, weil der Champagner so trocken war.

Sie rollten bereits die Startbahn hinunter, und nach wenigen Augenblicken hob der Jet sanft in den grau umwölkten Himmel ab. Silas griff nach einer Ausgabe des Economist.

„So, jetzt klären Sie mich bitte mal auf“, sagte er, während er das Magazin durchblätterte. „Nach meinen Informationen wollten Sie einen Begleiter für die Hochzeit Ihrer Mutter.“

„Ja, das ist richtig“, stimmte Matilda zu. „Einen Begleiter, der gleichzeitig mein Verlobter ist – ich habe das alles in der E-Mail erklärt, die ich Ihnen geschickt habe“, verteidigte sie sich, als sie seinen Blick wahrnahm.

„E-Mails sind leider etwas unzuverlässig.“ Aber vermutlich nicht so unzuverlässig wie mein lieber Bruder, der gewisse Informationen einfach nicht weitergibt, dachte Silas grimmig. „Am besten erklären Sie es mir noch mal.“

Matilda schaute über die Schulter, um sicherzugehen, dass sie allein waren. „Der zukünftige Mann meiner Mutter ist Amerikaner“, begann sie. „Seine Ansichten zur Familie und … und zu familiären Beziehungen sind sehr strikt. Er hat zwei Töchter aus erster Ehe, beide verheiratet und mit Kindern, und meine Mutter …“ Sie stockte und holte tief Luft. Warum, in aller Welt, war ihr das alles so furchtbar unangenehm? So als stünde sie hier unter Anklage? Schließlich war sie diejenige, die Silas engagiert und damit das Heft in der Hand hatte, nicht umgekehrt.

„Meine Mutter hat das Gefühl, dass Hughs Töchter nicht wirklich glücklich sind über die bevorstehende Hochzeit.“

Silas hob eine Augenbraue. „Warum nicht? Sie sagten gerade, dass sie beide verheiratet sind mit Kindern. Dann wären sie doch sicher sehr froh, wenn auch ihr Vater sein Glück findet.“

Matilda kaute unbehaglich auf ihrer Unterlippe herum – eine kleine Geste, die Silas’ Aufmerksamkeit auf ihren Mund lenkte. Wie geschickt Frauen doch darin waren, dachte er zynisch. Bei derart sinnlichen Lippen musste sie wirklich nicht diesen alten Trick anwenden, damit er dort hinschaute und sich unweigerlich fragte, wie sich ihr Mund unter seinem anfühlen würde. Seine Fantasie hatte das bereits von selbst getan – und war dabei noch wesentlich weiter gegangen.

Wie sollte sie das am besten formulieren, ohne ihrer Mutter gegenüber illoyal zu wirken? Matilda seufzte leise auf. „Meine Mutter hat den Eindruck, dass Hughs Töchter nicht glauben, dass sie ihn glücklich machen kann.“

„Warum nicht?“

„Nun ja, er ist Witwer und meine Mutter geschieden.“

Silas zuckte ungeduldig die Schultern. „Also schön, Ihre Mutter hat einen Fehler gemacht, das ist doch heutzutage nichts Besonderes.“

„Nein … aber …“

„Aber?“

„Meine Mutter hat mehr als einen Fehler gemacht – eher vier. Sie kann einfach nicht anders“, beeilte sie sich schnell zu sagen, als sie Silas’ Blick sah. „Sie verliebt sich einfach unheimlich leicht, wissen Sie, und die Männer sind verrückt nach ihr, und dann …“

„Und dann lässt sie sich von ihnen scheiden und sieht sich nach einem neuen und noch reicheren Mann um, richtig?“

Matilda war schockiert. „Nein! So ist sie nicht. Mum würde niemals nur des Geldes wegen heiraten.“

Silas registrierte das „nur“ und entgegnete zynisch: „Aber sie findet es wesentlich einfacher, einen reichen Mann zu lieben als einen armen?“

„Sie sind genauso wie Hughs Töchter und deren Ehemänner. Sie kritisieren meine Mutter, ohne sie überhaupt zu kennen. Mum liebt Hugh. Oder zumindest glaubt sie das. Ich weiß, dass es unlogisch klingt, aber so ist sie nun mal. Sie hat Angst, dass seine Töchter noch vehementer gegen diese Heirat sind, wenn sie erfahren, dass ich Single bin. Hugh hat offensichtlich ihr gegenüber mit seinen Töchtern und deren perfekten Ehen angegeben, und meine Mutter hat daraufhin behauptet, dass ich verlobt sei.“

Die Geschichte klingt so lächerlich, dass sie wahr sein muss, entschied Silas. „Und Sie kennen nicht einen einzigen Single-Mann, der Ihnen hätte helfen können?“

Natürlich tat sie das. Unzählige. Aber keinen, dem sie so weit vertraut hätte, dass sie ihn diese Rolle spielen ließ.

„Nein, nicht wirklich“, schwindelte sie. Für sie war es eine ganz kleine und dazu harmlose Lüge – sie konnte ja nicht wissen, dass Silas nach seinem Gespräch mit Joe einige Nachforschungen zu ihrer Person angestellt hatte und sehr genau wusste, in was für einem beruflichen Umfeld sie arbeitete.

Sie kannte also keine Single-Männer? Silas konnte sich nur mit Mühe eine weitere zynische Bemerkung verkneifen, indem er sie fragte, warum sie nicht ihre Position als Leiterin ihrer eigenen Bankabteilung nutzte und einen der ungefähr zehn jungen Männer, die unter ihr arbeiteten, bat, ihren Verlobten zu spielen.

Andererseits war er aus unerfindlichen Gründen froh, dass sie ihn angelogen hatte und er ihr somit nicht vertrauen musste. Ganz sicher würde er sich nicht von der angeblichen Sorge um ihre Mutter blenden lassen. Die Frau klang ohnehin so, als wäre sie der Situation mehr als gewachsen.

„Okay, Ihre Mutter befürchtet also, ihre potenziellen Stieftöchter könnten dafür sorgen, dass Hugh sie doch nicht heiratet. Nur verstehe ich immer noch nicht, wie Sie daran etwas ändern können, nur weil Sie mit einem Verlobten auftauchen?“

„Ich verstehe es ja auch nicht, aber meine Mutter hat sich derart aufgeregt, dass es einfacher war, nachzugeben und ihren Wunsch zu erfüllen.“

„Einfacher, aber doch sicher nicht besonders ratsam? Ich denke, ein ruhiges, vernünftiges Gespräch …“

„Sie kennen meine Mutter nicht. Ruhig und vernünftig funktioniert bei ihr einfach nicht“, unterbrach ihn Matilda, ehe sie hinzufügte: „Jetzt klingt sie wie die Königin der Melodramatik, aber das ist sie nicht. Wahrscheinlich hat sie nur versucht, mit Hugh in Sachen perfekte Tochter zu konkurrieren, und dabei sind ihr die Dinge über den Kopf gewachsen. Ich habe ihr versichert, dass ich jemanden finden würde, der meinen Verlobten spielt, aber ich habe ihr nicht gesagt, dass ich dafür eine Agentur benutze“, warnte sie. „Vermutlich geht sie davon aus, dass ich Sie bereits kannte.“

„Oder dass wir mal zusammen waren?“

Matilda blickte ihn konsterniert an. Dann schüttelte sie heftig den Kopf. „Nein, das wird sie nicht denken. Sie weiß, dass ich …“

„Dass Sie was? Ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben?“

Aus irgendeinem Grund tat der Spott in seiner Stimme weh. „Sie weiß, dass ich nicht die Absicht habe, jemals zu heiraten.“

„Weil Sie nicht an die Ehe glauben?“

Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu und erwiderte kühl: „Nein, weil ich nicht an die Scheidung glaube.“

„Interessant.“

„Nicht wirklich. Ich vermute, dass so ziemlich jedes Scheidungskind so denkt. Warum stellen Sie mir so viele Fragen? Sie klingen mehr wie ein … ein Anwalt als ein Schauspieler. Ich dachte, dass Schauspieler gerne über sich selbst reden, anstatt Fragen zu stellen.“

„Ich kann Ihnen versichern, dass ich ganz bestimmt kein Anwalt bin. Und Schauspieler müssen andere Menschen studieren, um ihre Rollen überzeugend spielen zu können.“ Sie war scharfsinniger, als er zuerst geglaubt hatte.

Um das sich plötzlich ausbreitende Schweigen zu brechen, suchte Matilda nach einem unverfänglicheren Gesprächsthema. „Ich war ein wenig besorgt, dass die Agentur niemand Geeignetes finden würde, der bereit war, über Weihnachten zu arbeiten“, murmelte sie schließlich.

„Wenn das ein subtiler Versuch sein sollte, herauszufinden, ob ich eine Freundin habe, dann lautet die Antwort Nein. Und was das Arbeiten an Weihnachten anbelangt – viele Menschen tun das.“

Matilda musste ihren brennend heißen Zorn hinunterschlucken. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? „Ich habe nicht gefragt, ob Sie eine Freundin haben. Ich habe einfach nur versucht, Konversation zu betreiben“, fauchte sie.

„Wir landen in etwa zehn Minuten“, informierte der Steward sie in diesem Moment.

Matilda lächelte Jason voller Erleichterung an. Sie begrüßte diese Unterbrechung eines Gesprächs, das für ihren Geschmack bereits viel zu persönlich war.

„Natürlich wird am Flughafen ein Fahrer mit einem Wagen auf Sie warten.“

Matilda lächelte erneut, doch diesmal nicht ganz so herzlich.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Silas.

„Nein, nein. Nicht wirklich.“ Sie zuckte leicht die Schultern, während Jason die Kabine verließ. „Ich weiß, dass ich diesen Luxus genießen sollte, und in gewisser Weise tue ich das ja auch, aber ich fühle mich immer schuldig, wenn ich daran denke, wie viele Menschen sich nicht mal anständig ernähren können.“

„Eine Bankerin, die die Welt retten will?“, höhnte Silas.

Sofort verspannte sie sich. „Woher wussten Sie das? Dass ich Bankerin bin?“

Innerlich verfluchte er sich für diesen Lapsus. „Ich weiß nicht. Ich nehme an, die Agentur hat es erwähnt“, meinte er gleichgültig.

„Manchmal ist es einfacher, Dinge von innen heraus zu verändern“, erklärte Matilda nach einer kleinen Pause.

„Ja, in der Tat. Aber irgendetwas sagt mir, dass sich schon verdammt viel verändern müsste, damit diese Bank-Typen die Welt retten. Oder dachten Sie an einen kleinen Anreiz? Vielleicht ein neuer Porsche?“

„Man gibt jedem Jungen das passende Spielzeug, aber das wächst sich aus – normalerweise wenn das erste Kind geboren wird“, entgegnete sie leicht.

Der Jet begann den Landeanflug, und Jasons Rückkehr in die Kabine beendete ihre Unterhaltung.

3. KAPITEL

Schnee in Spanien. Wer hätte das gedacht? Matilda jedenfalls hatte nicht damit gerechnet, und so kuschelte sie sich tiefer in ihren Mantel, während sie insgeheim dankbar war für die Wärme in dem großen Jeep, der am Flughafen auf sie gewartet hatte.

Zu Beginn der Fahrt tauschte Silas ein paar Sätze in rasantem Spanisch mit dem Fahrer, doch danach unternahm er keinen Versuch, mit ihr eine Unterhaltung anzufangen.

Das Schloss lag in den Bergen, noch hinter der historischen Altstadt von Segovia. Matilda hatte zwar ein Foto von dem Schloss gesehen, doch den Schnee, der darauf auch abgebildet war, hatte sie aus unerfindlichen Gründen nicht für bare Münze genommen. Die untergehende Nachmittagssonne ließ die Landschaft um sie herum allerdings eher feindlich als malerisch wirken.

Es half nicht gerade, dass Silas in diesem Moment murmelte: „Ich hoffe, Sie haben lange Unterwäsche eingepackt.“

„Nein, das habe ich nicht“, musste sie zugeben, „aber das Schloss hat sicher eine Zentralheizung.“

„Glauben Sie das wirklich?“, bemerkte er und schaute dabei äußerst skeptisch drein.

„Ich bin absolut sicher. Meine Mutter hasst Kälte – sie würde sich niemals irgendwo aufhalten, wo es nicht ordentlich geheizt ist.“

„Nun ja, sie ist Ihre Mutter, aber nach meiner Erfahrung geben Schlossherren nur äußerst ungern Geld für die Heizung aus – besonders wenn sie ihr Gemäuer vermieten. In diesem Fall wird Ihre Mutter es jedoch vielleicht nicht merken, weil sie ja wie wir die Liebe hat, die sie warm halten kann.“

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Das war nicht besonders witzig.“

„Das sollte es auch nicht sein. Haben Sie sich eigentlich mal überlegt, wie intim wir miteinander umgehen müssen in dieser offensichtlich äußerst explosiven Mischung von Schlossgästen?“

„Wir müssen überhaupt nicht intim miteinander umgehen“, protestierte sie mit schamroten Wangen. „Man wird uns die Verlobung glauben, einfach weil wir behaupten, dass es so ist. Außerdem trage ich einen Ring.“

Als er urplötzlich nach ihrer Hand griff, traf sie seine Berührung völlig unvorbereitet. Er umklammerte ihr Handgelenk, wobei es ihm nicht entgehen konnte, wie heftig ihr Puls klopfte.

„Was machen Sie da?“, fragte sie wütend, während er ihr den falschen Ring mühelos vom Finger zog.

„Sie glauben doch wohl nicht wirklich, dass das da die Töchter eines Milliardärs hinters Licht führt?“, entgegnete er provozierend und ließ den Ring in seiner Tasche verschwinden.

Matilda konnte ihre Verzweiflung nicht verbergen. „Aber ich muss einen Ring tragen“, versetzte sie. „Wir sind angeblich verlobt, und meine Mutter möchte vor Hugh und seinen Töchtern mit mir angeben.“

„Versuchen Sie es hiermit.“

Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als Silas eine abgenutzte Schmuckschatulle aus der Jacketttasche zog und sie ihr geöffnet in die Hand drückte. Vorsichtig blickte sie hinein. Beim Anblick des Rings stockte ihr der Atem. Das Gold mochte zwar ein bisschen abgetragen wirken, doch der rechteckige Smaragd mit den strahlend glitzernden Diamanten daneben war echt und äußerst teuer.

„Woher …? Wie …?“, stammelte sie.

„Er gehörte meiner Mutter“, erklärte Silas beiläufig.

Sofort schloss Matilda das Kästchen und versuchte, es Silas zurückzugeben.

„Was ist los?“

„Ich kann nicht den Ring Ihrer Mutter tragen.“

„Warum nicht? Er ist mit Sicherheit wesentlich überzeugender als das unechte Ding, das Sie getragen haben.“

„Aber er gehört Ihrer Mutter!“

„Es ist ein Familienstück, nicht ihr Verlobungsring. Sie hat mir nicht das Versprechen abgenommen, dass ich ihn nur an den Finger der Einen stecken darf, falls Sie das meinen. Meine Mutter war nicht sehr romantisch veranlagt, und sie glaubte schon nicht mehr an Märchen, lange bevor sie starb.“

„Tragen Sie ihn immer mit sich herum?“, fragte Matilda unsicher. In ihrer Stimme lagen deutlich hörbare Emotionen.

Silas schaute sie an. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einer Frau begegnet war, die so lächerlich sentimental war, wie es diese zu sein schien. „Wohl kaum“, entgegnete er grimmig. „Zufälligerweise habe ich ihn aus Versicherungsgründen vor Kurzem schätzen lassen. Auf dem Weg zu Ihnen holte ich ihn vom Juwelier ab und wollte ihn in meinem Bankschließfach deponieren, aber der Verkehr war schrecklich, und wir durften den Flug nicht verpassen. Wenn ich es recht bedenke, ist er an Ihrem Finger wahrscheinlich sicherer als in meiner Tasche. Geben Sie mir Ihre Hand.“ Während er sprach, packte er ihre Hand, griff nach dem Ring und streifte ihn ihr über den Finger, ehe Matilda noch weiter protestieren konnte.

Sie hatte sich gesagt, dass er unmöglich passen konnte, aber zu ihrem großen Erstaunen tat er das – perfekt sogar. So perfekt, als sei er nur für sie gemacht – oder für sie bestimmt? Woher kam jetzt wieder dieser alberne Gedanke?

Das Gold fühlte sich kostbar und schwer an. Sie spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. Das war nicht die Art, wie ein solcher Ring übergeben werden sollte, und doch hatte sie den Eindruck, sich allein durch das Tragen irgendwie verpflichtet zu haben. Ein Gefühl der Vorahnung erfüllte sie, aber jetzt war es zu spät. Silas’ Ring steckte an ihrem Finger, und sie erreichten Segovia, dessen Lichter das Innere des Wagens erhellten.

„Wie war sie?“, fragte Matilda sanft. Die Frage war ihr einfach herausgerutscht, doch sie hätte sie um keinen Preis aufhalten können.

„Wer?“

„Ihre Mutter.“

Silas hatte nicht vor zu antworten, aber aus irgendeinem Grund hörte er sich sagen: „Sie war Umweltschützerin – klug und liebevoll und voller Leben. Sie starb, als ich acht war. Sie hatte an einer Demonstration teilgenommen. Plötzlich brach Gewalt aus, meine Mutter stürzte und schlug mit dem Kopf auf. Sie war sofort tot.“

Matilda spürte das Gewicht des Schweigens, das auf seine beinahe emotionslosen Worte folgte. Beinahe emotionslos, aber nicht ganz. Sanft sah sie auf den Ring an ihrem Finger und berührte ihn in Anerkennung der Frau, der er gehört hatte.

Silas hatte keine Ahnung, warum er Matilda von seiner Mutter erzählte. In letzter Zeit dachte er selten an ihren Tod. Er mochte seine Stiefmutter, die ihm immer mit Zuneigung und Verständnis begegnet war, sehr gern, und ganz sicher liebte er Joe. Verdammt seien alle überemotionalen, sentimentalen Frauen. Ein kluger Mann machte einen großen Bogen um sie und beging nicht den Fehler, sich in irgendeiner Weise auf sie einzulassen. Es gab nur einen Grund, warum er mit Matilda hier war – sie verschaffte ihm die Gelegenheit, nahe an Hugh Johnson heranzukommen. Und wenn das bedeutete, dass er sie benutzen musste, dann würde er sich deshalb nicht schuldig fühlen. Sie benutzte ihn ja schließlich auch.

„Ich hatte nicht erwartet, dass das Schloss so abgelegen ist“, gab Matilda, eine halbe Stunde nachdem sie Segovia hinter sich gelassen hatten, zu. „Oder dass es so hoch in den Bergen liegt.“

Sie verließen die Hauptstraße und bogen in einen schmalen Weg ein, der sich an dunklen Tannen vorbei in Serpentinenkurven das Gebirge hinauf wand. Aus der Entfernung sahen sie bereits das Schloss, das wie ein Märchengebilde wirkte und durch dessen Fenster einladende Lichter hinaus in die Dunkelheit strahlten. Der Schnee drumherum schimmerte beinahe rosa.

„Es ist wunderschön“, murmelte Matilda begeistert. Silas schaute zu ihr herüber und wollte schon einen zynischen Kommentar abgeben, dass es wie etwas aussah, das Hollywood sich ausgedacht hatte. Doch das einfallende Mondlicht erhellte ihr Gesicht, verlieh ihrer Haut einen silbrigen Glanz und enthüllte, wie schnell ihr Atem ging.

Ganz unwillkürlich schweiften seine Gedanken ab, sodass er sich urplötzlich fragte, wie es wäre, sie in seine Arme zu ziehen und zu küssen – leidenschaftlich und heiß. Würde der Puls an ihrem Hals dann genauso rasen wie an ihrem Handgelenk, als er ihr den Ring angesteckt hatte?

Rasch schob er diese Gedanken beiseite. Es schockierte ihn, wie schnell seine Fantasie diese erotische Richtung eingeschlagen hatte – und das ganz ohne seine Erlaubnis. Er hatte es nicht nötig, von Sex zu träumen. Normalerweise gönnte er sich ein kleines Abenteuer, wenn ihm danach war. Aber in den vergangenen Monaten hatte er so hart gearbeitet, dass ihm keine Zeit geblieben war, sich darum zu bemühen. Eine seiner Exfreundinnen, mit der er gelegentlichen, unverbindlichen Sex genossen hatte, hatte sich entschieden zu heiraten, sodass er sich nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal so viel Zeit mit einer Frau verbracht hatte, mit der er nicht intim war. Mit Sicherheit war allein das der Grund, weshalb seine Hormone so verrückt spielten.

Der Fahrer lenkte den Jeep in den Innenhof des Schlosses und hielt schließlich vor einem beeindruckenden schmiedeeisernen Portal. Lächelnd ließ sie sich von ihm aus dem Wagen helfen.

In diesem Moment öffnete sich das Portal. Matilda stockte der Atem, als sie die zwei livrierten Diener sah, die ihnen entgegenkamen. Livrierte Diener! Sie war so erstaunt, dass sie nicht auf den Weg achtete und einen Schreckenslaut ausstieß, als sie auf der dünnen Eisfläche die Balance zu verlieren begann.

Starke Hände packten ihre Arme und pressten sie gegen einen harten männlichen Körper.

Und so stand sie da, mit dem Rücken gegen Silas, seine Arme fest um sie geschlungen, als ihre Mutter und der Mann, von dem sie annahm, dass er ihr zukünftiger Stiefvater werden sollte, auf die Türschwelle traten. Matildas erste Reaktion war instinktiv und zugleich verheerend. Sie drehte den Kopf zu Silas, um von ihm zu verlangen, dass er sie losließ, doch in diesem Moment erkannte sie, wie nah sie seinem Mund war. Glühend heiße Lust erfasste sie und erschütterte sie in ihren Grundfesten. Rasch hob sie die Hand, um sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, doch Silas fing ihre Hand ab.

Die Hand, an der sie den Ring seiner Mutter trug. Gefühle wallten in ihr auf und schnürten ihr die Brust zu. Traurigkeit und Liebe und Hoffnung.

„Silas …“ Sie wisperte seinen Namen, während in ihren Augen sanfte Tränen schimmerten.

Was, in aller Welt, ist hier los, fragte Silas sich verwirrt. In der einen Minute rettete er eine ungeschickte Frau vor einem Sturz, in der nächsten hielt er sie in seinen Armen, und es schien sich etwas so Entscheidendes zu ereignen, dass es seine ganze Zukunft verändern konnte.

Vollkommen gebannt beobachtete er, wie Matildas Lippen seinen Namen formten. Und in ihm erwachte das unbändige Verlangen, diese Lippen zu erforschen. Nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder, bis ihr Geschmack sich ihm unauslöschlich eingeprägt hätte, sodass er sich innerhalb eines Herzschlags daran erinnern und für ewig daran festhalten könnte.

Silas verspannte sich, als er hörte, wie seine inneren Alarmglocken anschlugen.

Diese Art emotionaler Abhängigkeit war nichts für ihn. Und schon gar nicht mit einer Frau wie Matilda. Sie hatte ihn bereits einmal angelogen. Nicht für eine Sekunde glaubte er die herzergreifende Geschichte von der besorgten Tochter, die sie ihm zusammen mit der Vergangenheit ihrer Mutter geschildert hatte. Die Logik sagte ihm, dass es einen viel egoistischeren Grund für ihr Tun geben musste. Auch wenn er den noch nicht entdeckt hatte – er hatte sich ja auch nicht sonderlich darum bemüht, oder?

In den paar Sekunden, die er gebraucht hatte, um seine uncharakteristische Reaktion zu analysieren, war Matilda flammend rot geworden.

„Darling …“

Sie riss ihren Blick abrupt von Silas’ Mund los und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihre Mutter. Hastig versuchte sie, sich aus seinem Griff zu lösen, doch er ließ sie nicht los, sondern beugte sich stattdessen zu ihr hinunter und flüsterte ihr warnend ins Ohr: „Wir sind angeblich schrecklich ineinander verliebt – frisch verlobt, erinnern Sie sich?“

Matilda bemühte sich krampfhaft, die Wirkung, die seine Nähe auf sie hatte, zu ignorieren. „Vor meiner Mutter müssen wir keine Show hinlegen“, protestierte sie. Doch sie wusste, dass ihr Argument genauso schwach war wie ihre butterweichen Knie.

Der wissende Blick, den ihre Mutter ihr zuwarf, als sie nun in einer Wolke ihres Lieblingsparfums auf sie zurauschte, verärgerte Matilda, doch sie konnte nichts sagen, solange der zukünftige Ehemann ihrer Mutter in Hörweite war.

„Hugh, komm her, und begrüße meine wundervolle Tochter Matilda und ihren attraktiven Verlobten“, säuselte Annabelle Lucas und küsste Silas zur Begrüßung, wie Matilda fand, mit wesentlich mehr Enthusiasmus, als nötig gewesen wäre.

„Wie süß, Matilda, dass du es gar nicht ertragen kannst, ihn loszulassen.“

Sie hörte ihre Mutter lachen. Mit heißen Wangen versuchte sie, ihre Hand aus Silas’ Griff zu befreien, doch aus irgendeinem Grund widersetzte er sich ihr.

„Silas Stanway“, stellte er sich selbst vor und streckte Hugh seine Hand entgegen.

Mum muss wirklich eine rosarote Brille tragen, um sich in jemanden wie Hugh Johnson zu verlieben, dachte Matilda, deren Erleichterung riesig war, als der Mann ihr zur Begrüßung die Hand reichte und sie keinen Kuss ertragen musste. Vollkommen unpassend zu dem märchenhaften Schloss glich er mit seiner gebeugten Haltung und den groben Gesichtszügen in erstaunlichem Maße einem Frosch.

Offensichtlich war er ein Mann von wenigen Worten, aber vielleicht lag es auch daran, dass ihre Mutter unablässig redete und sich wie eine exaltierte Schauspielerin verhielt, die ständig in die Hände klatschte, die Augen weit aufriss und theatralisch ausrief: „Das ist alles so wundervoll! Mein liebster Hugh zaubert wie ein Magier, damit alles perfekt wird – und jetzt ist alles noch schöner, wo du da bist, Matilda.“ Tränen schimmerten in ihren Augen, doch irgendwie gelang es ihr, sie zurückzuhalten, sodass ihr Make-up nicht ruiniert wurde. „Ich bin so glücklich. Schon immer wollte ich Teil einer großen Familie sein. Erinnerst du dich, Darling, wie du mir gesagt hast, dass du dir zu Weihnachten nur eine große Schwester wünschst? So süß. Und jetzt bekomme ich nicht nur den tollsten Ehemann, den man sich vorstellen kann, sondern auch zwei wunderbare neue Töchter und deren Kinder.“

Wenn bloß Dad hier wäre und diese Situation miterleben könnte, dachte Matilda trocken und verzog leicht das Gesicht, während sie sich fragte, wie ihre Mutter es schaffte, all die angeheirateten Familien zu vergessen, die sie durch ihre vorherigen Ehen angesammelt hatte.

Annabelle strahlte und wandte sich ab, um sie ins Haus zu führen. Silas nutzte die Gelegenheit und beugte sich zu seiner angeblichen Verlobten hinunter. „Was hatte dieser Blick zu bedeuten?“

„Mit all ihren Exmännern und deren Kindern könnte Mum eine halbe Kirche füllen“, wisperte Matilda zurück.

„Irgendwie glaube ich, dass Hugh das gar nicht gefallen würde.“

„Sie mögen ihn nicht, oder?“

„Mögen Sie ihn?“

„Beeilt euch, ihr zwei. Später habt ihr noch genug Zeit, euch Dinge ins Ohr zu flüstern. Es wird kalt, wenn die Tür so lange offen steht.“

Das Erste, was Matilda sah, als sie in die riesige Eingangshalle trat, war der immense Tannenbaum, der in geschmackvollem Rot und Blau geschmückt war. Mit einem Mal fühlte sie sich wieder wie ein kleines Mädchen, das auf den Weihnachtsmann wartete. Da ihr dieses sentimentale Gefühl überhaupt nicht behagte, fragte sie eher prosaisch: „Wann gibt es das Dinner, Mum? Ich würde gerne zuerst auf mein Zimmer gehen und mich umziehen.“

Hinter Hughs Rücken zog Annabelle einen kleinen Schmollmund, antwortete dann aber übertrieben fröhlich: „Oh, es tut mir leid, Darling, aber wir nehmen kein formelles Dinner zu uns. Hugh mag es nicht, so spät zu essen, und dann müssen wir natürlich auch an die Kleinen denken. Es käme ihren Müttern nicht im Traum in den Sinn, ihren Rhythmus zu stören. Hugh hat schon recht. Es ist vernünftiger, wenn wir alle auf unseren Zimmern essen. Viel bequemer, als sich extra umzuziehen und ein steifes Fünf-Gänge-Menü einzunehmen.“

Matilda, die ganz genau wusste, wie gern sich ihre Mutter fürs Dinner zurechtmachte, selbst wenn sie ganz allein zu Hause aß, sank das Herz. Sie war sich ganz sicher, dass sie sich die Verzweiflung in der Stimme ihrer Mutter nicht eingebildet hatte. Dennoch schwieg sie.

„Ist das nicht der zauberhafteste Ort, den ihr je gesehen habt?“, fuhr Annabelle mit künstlichem Enthusiasmus fort, während sie mit ausladender Geste um sich deutete.

Die Eingangshalle war in sanften Beigetönen dekoriert. In der Mitte führte eine imposante Marmortreppe in die oberen Stockwerke.

„Es ist sehr schön, Mum“, stimmte Matilda zu. „Aber ziemlich kalt.“

Sofort zeigte ihre Mutter wieder ihren Schmollmund. „Darling, sei nicht so ein Spielverderber. Natürlich gibt es eine Heizung, aber … wir müssen an die Kinder denken. Die Wärme muss in erster Linie in ihre Zimmer gehen, auch wenn das heißt, dass einige Räume unbeheizt bleiben.“ Annabelle ging auf die Marmortreppe zu. „Ich habe dich und Silas im selben Zimmer untergebracht, ganz wie du mich gebeten hast.“

Also habe ich doch recht gehabt, dachte Silas grimmig. So viel zur seriösen, gänzlich harmlosen Arbeit als Begleiter. Doch bevor er etwas sagen konnte, bedachte Hugh ihn mit einem nachdenklichen Blick.

„Sie kommen mir irgendwie bekannt vor … Sind wir uns schon einmal begegnet?“

Silas spürte, wie sich ihm der Magen zusammenzog. „Nicht dass ich wüsste“, entgegnete er.

„Was machen Sie denn beruflich?“, insistierte Hugh.

„Silas ist Schauspieler“, kam ihm Matilda mit der Antwort zuvor. Sie wollte jegliche Kritik, die sie im Anflug wähnte, unterdrücken, indem sie hinzufügte: „Und zwar ein sehr guter.“ Hastig warf sie ihrer Mutter einen Blick zu, von dem sie hoffte, dass sie ihn korrekt interpretieren würde als: Ich muss dringend mit dir über die Zimmerverteilung reden. Doch zu ihrem Bedauern wich ihre Mutter dem direkten Blickkontakt aus. Und jetzt bemerkte Matilda auch, wie angespannt sie wirkte.

Sofort setzte ein Beschützerinstinkt bei ihr ein, und sie ging zu ihrer Mutter hinüber, um sich solidarisch bei ihr unterzuhaken.

„Ein Schauspieler! Wie aufregend!“, schwärmte Annabelle. „Wahrscheinlich glaubst du deshalb, dass du Silas’ Gesicht kennst, Hugh, Darling, du musst ihn in irgendeinem Film gesehen haben.“

„Das bezweifle ich. Ich vergeude meine Zeit nicht damit, anderen Leuten dabei zuzusehen, wie sie irgendetwas vorspielen“, schnaubte Hugh verächtlich.

Wie konnte ihre Mutter sich nur in einen solchen Mann verliebt haben, fragte sich Matilda verzweifelt. Ihr anfängliches Unbehagen bezüglich dieser Ehe wuchs ins Unermessliche.

Rasch drückte sie den Arm ihrer Mutter. „Warum führst du mich nicht nach oben und zeigst mir das Zimmer?“, schlug sie betont unbekümmert vor. „Ich bin sicher, Silas und Hugh können sich gegenseitig unterhalten, während wir ein paar Mutter-Tochter-Neuigkeiten austauschen.“ Sie wusste, dass sie ein Risiko einging, indem sie Silas einfach so mit Hugh allein ließ, aber im Moment war das Wichtigste, dafür zu sorgen, dass sie separate Zimmer hatten. „Ich habe noch nicht mal dein Kleid gesehen“, erinnerte sie ihre Mutter.

„Oh, Darling, es ist traumhaft“, schwärmte Annabelle. Sofort fiel die Anspannung von ihr ab. „Es ist von Vera Wang. Du weißt schon, sie entwirft all die Brautkleider der Filmschauspielerinnen. Hughs Enkel werden unsere Blumenkinder sein, und es wäre so schön, wenn Silas mich zum Altar führen könnte …“

Ganz plötzlich hätte Matilda am liebsten geweint. Ihre Mutter setzte so ein tapferes Gesicht auf – während Hugh seine Töchter und Enkel hatte, um ihm familiäre Unterstützung zu geben, musste Annabelle sich auf ihre Tochter verlassen und auf einen Mann, der dafür bezahlt wurde, dass er sie begleitete.

Sie schluckte schwer und bekämpfte so die Tränen, die ihr in die Augen gestiegen waren. „Dad hätte dich vermutlich zum Altar geführt, wenn du ihn darum gebeten hättest.“

Sofort warf ihre Mutter einen ängstlichen Blick zu Hugh hinüber. „Ich hatte an deinen Vater gedacht“, gab sie zu. „Aber Hughs Töchter verstehen nicht, wie es möglich sein kann, eine platonische Beziehung zu seinem Exmann zu unterhalten, und Hugh fühlt … er denkt … nun ja, er stimmt ihnen zu.“

Die Bemerkung, die Matilda gern gemacht hätte, verkniff sie sich, als sie den Blick ihrer Mutter sah, der eindeutig besagte: bitte nicht.

In was für eine Geschichte war er da nur hineingeraten, fragte sich Silas, als er die beiden Frauen Arm in Arm die Treppe hinaufgehen sah. Annabelle hatte die Katze aus dem Sack gelassen, was Matildas sexuelle Erwartungen anging. Keine Frau teilte sich ein Zimmer mit einem Mann, wenn sie nicht gleichzeitig davon ausging, dass Sex auf dem Programm stand. Wenn er nicht dringend Informationen von Hugh gebraucht hätte, dann hätte er sich sofort ein Taxi gerufen und wäre zurück zum Flughafen nach Madrid gefahren. Er wollte schließlich keinen Sex mit einer Frau, die eine wahnsinnig verstörende und unglaublich erotische Wirkung auf ihn hatte!

Ungläubig schüttelte Silas den Kopf. Wen versuchte er hier zum Narren zu halten? Okay, er wollte Sex mit ihr – aber zu seinen Bedingungen, nicht ihren. Außerdem würde er es nicht zulassen, dass sie mit ihren Lügen ihm gegenüber davonkam – auch wenn sie ihn damit überrascht hatte, dass sie seinen angeblichen Beruf vor Hugh verteidigte. Die letzte Frau, die ihn vor der Verachtung eines anderen Menschen beschützt hatte, war seine Mutter, und er war gerade mal fünf gewesen.

Matilda hatte Mumm, das musste er ihr lassen. Doch das hieß nicht, dass sie ihn nach Lust und Laune manipulieren konnte. Wenn er mit ihr schlief, dann war er derjenige, der über das Wie und Wann entschied. Allerdings war es ohnehin nicht seine Angewohnheit, mit einem Paket Kondome zu verreisen. Ob Matilda an diese Notwendigkeit gedacht hatte? Sie war mit Sicherheit alt und erfahren genug, um sich der Risiken bewusst zu sein, dachte er zynisch, während er seinem unkommunikativen Gastgeber in den Salon folgte.

4. KAPITEL

„Das ist euer Zimmer, Darling, ist es nicht wunderschön …?“

Annabelle öffnete die Tür zu einem Raum im zweiten Stockwerk des Schlosses. Zögernd trat Matilda ein.

Das Zimmer war zugegebener...

Autor

Day Leclaire
<p>Day Leclaire lebt auf der Insel Hatteras Island vor der Küste North Carolinas. Zwar toben alljährlich heftige Stürme über die Insel, sodass für Stunden die Stromzufuhr unterbrochen ist, aber das ansonsten sehr milde Klima, der Fischreichtum und der wundervolle Seeblick entschädigen sie dafür mehr als genug. Day interessiert sich seit...
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Emma Darcy
Emma Darcy ist das Pseudonym des Autoren-Ehepaars Frank und Wendy Brennan. Gemeinsam haben die beiden über 100 Romane geschrieben, die insgesamt mehr als 60 Millionen Mal verkauft wurden. Frank und Wendy lernten sich in ihrer Heimat Australien kennen. Wendy studierte dort Englisch und Französisch, kurzzeitig interessierte sie sich sogar für...
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