Besessen

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Stunden schrecklicher Angst. TV-Moderatorin Kaylie wird das Opfer eines irren Stalkers! In letzter Sekunde rettet sie der attraktive Zane, der sie nicht mehr aus den Augen lässt. Sie werden ein Paar, bis ihre Liebe an Zanes obsessiven Fürsorge zerbricht. Sieben Jahre später beginnt die Bedrohung von Neuem. Kaylie weiß nicht, was gefährlicher ist: Der Stalker - oder ihr besitzergreifender Exmann, der nur einen Herzschlag entfernt ist.


  • Erscheinungstag 01.09.2010
  • ISBN / Artikelnummer 9783862786572
  • Seitenanzahl 191
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Deutsche Taschenbucherstausgabe

Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:
Obsession
Copyright © 1991 by Lisa Jackson
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Stefanie Kruschandl

Titelabbildung: Getty Images, München / pecher und soiron,Köln
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Ebook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-657-2
ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-658-9

www.mira-taschenbuch.de

 

Lisa Jackson

Besessen

Roman

 

Aus dem Amerikanischen von
Johannes Heitmann

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PROLOG

In der Krankenanstalt Whispering Hills schaukelte der Patient auf seinem Stuhl langsam vor und zurück. Seine tief liegenden, fahlblauen Augen starrten blicklos auf den Fernseher, und obwohl er nicht sprach, bewegten sich seine Lippen unentwegt, als wolle er der Frau auf dem Bildschirm etwas sagen. Die Frau war eine der beiden Talkmaster der Vormittagsshow „West Coast Morning“.

Sie hieß Kaylie, und der Patient hatte sogar ein Bild von ihr. Nur noch das eine, das sie nicht entdeckt hatten, war ihm geblieben. Mittlerweile war es alt und ziemlich zerknickt, dennoch betrachtete er es jeden Abend und stellte sich vor, die Frau sei bei ihm in seinem Bett, hier in der Anstalt.

Sie war wunderschön. Ihr langes blondes Haar umrahmte in schimmernden Locken ihr Gesicht, und ihre Augen waren blaugrün wie das Meer. Ein einziges Mal hatte er die Frau gesehen, sie berührt und ihren zitternden Körper gespürt.

Bei dieser Erinnerung sog er tief die Luft ein und konnte fast ihr Par füm riechen.

„Hallo! Lee, alter Knabe. Warum stellst du denn den Ton nicht an?“ Rick, ein großer schlanker Wärter, ging zum Fernseher und drehte am Lautstärkeregler. Dröhnend schallte die Musik zu einem Werbespot für Cornflakes durch das Zimmer.

„Nein! Nein, nein!“, schrie der Patient auf und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. „Nein!“

„Ganz ruhig, schon verstanden. Reg dich doch nicht so auf.“ Rick drehte den Ton rasch wieder aus. „Lee, du solltest dich ein bisschen beherrschen. Entspann dich!“

„Kein Lärm!“, brachte der Mann mühsam hervor, und Rick seufzte auf, während er die schmutzige Bettwäsche abzog.

„Ja, ja, ich weiß, kein Lärm. Wie jeden Tag zu dieser Zeit. Das verstehe ich einfach nicht. Den ganzen Tag über geht es dir bestens, nur vormittags während dieser Show regst du dich so schnell auf. Vielleicht solltest du dir mal ein anderes Programm ansehen.“

Doch der Mann hörte ihm nicht zu. Er sah wieder auf den Bildschirm, auf dem Kaylie gerade in die Kamera lächelte. Seine Kaylie.

Sie tat es nur für ihn.

Plötzlich standen ihm Tränen in den Augen, als er sie betrachtete. Für ihn waren ihre stummen Lippenbewegungen eine Liebeserklärung. Es dauert nicht mehr lange, sagte er sich und rieb wieder mit dem Daumen über das Foto in seiner Tasche.

Warte auf mich. Bald werde ich zu dir kommen. Bald.

1. KAPITEL

Wer ist dort?“, fragte Don Flannery barsch und umklammerte den Telefonhörer.

„Ted.“ Die Stimme war kaum zu hören und heiser. Don konnte nicht einmal erkennen, ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte.

„Okay, Ted. Was gibt’s?“ Dons Lippen waren mit einem Mal wie taub. Seit Teds erstem Anruf gestern kämpfte er ständig gegen eine beinahe übermächtige Angst an.

„Es geht um Kaylie. Sie ist in Gefahr“, sagte die Stimme.

O nein, bloß nicht Kaylie! Schreckliche Erinnerungen überfluteten Don. „Wieso?“

„Das sagte ich bereits. Lee Johnston wird bald entlassen werden.“ Don konnte nur mit Mühe ruhig weitersprechen. „Ich war in der Anstalt. Dort spricht niemand davon, dass er entlassen werden soll.“ Dr. Anthony Henshaw, der behandelnde Arzt von Johnston, hatte sich nur wenig über seinen Patienten geäußert. Er hatte lediglich auf seine Schweigepflicht hingewiesen und dass er die Ausgeglichenheit seines Patienten nicht gefährden wolle. Obendrein hatte er Don noch darauf hingewiesen, dass er nicht mehr Kaylies Ehemann sei und deshalb kein Recht habe, sich einzumischen. Nur weil Don die größte Sicherheitsfirma der gesamten Westküste gehöre, hätte er nicht das Recht, Unruhe in die Anstalt zu bringen oder hinter einem der Patienten herzuschnüffeln. Anscheinend hatte dieser Arzt vergessen, was Johnston Kaylie hatte antun wollen.

Der Mann hatte Kaylie fast umgebracht, und nun musste Don sich anhören, er schnüffele hinter diesem Wahnsinnigen her. Es war eine Frechheit.

Mit ruhiger kühler Stimme hatte Dr. Henshaw ihm mitgeteilt, dass Johnston ständig bewacht werde und Don sich keine Sorgen zu machen brauche. Obwohl Lee ein Musterpatient sei, rechne Henshaw nicht damit, dass er in nächster Zeit entlassen werde. Dann sagte er noch, er schätze, Johnston würde für absehbare Zeit dort bleiben.

In Dons Ohren klang das alles etwas zu vage und keineswegs beruhigend.

Jetzt ging Don zwischen dem Fenster und dem Schreibtisch auf und ab, wobei er das Telefonkabel bis zum Äußersten dehnte. Er fühlte sich genauso hilflos wie damals vor sieben Jahren, als Johnston versucht hatte, Kaylie zu ermorden.

„Weshalb sollte ich Ihnen glauben?“, fragte er den Anrufer, und Ted ließ sich Zeit mit einer Antwort.

Schweigend wartete Don. „Weil ich mir Sorgen mache“, sagte die heisere Stimme schließlich. Dann war die Leitung tot.

„Mistkerl!“ Don knallte den Hörer auf die Gabel und spulte das Tonband, auf dem er den Anruf aufgezeichnet hatte, zurück.

Verblüfft fing der Schäferhund, der unter Dons Tisch lag, an zu bellen. Er fletschte leicht die Zähne und stellte die Nackenhaare auf.

„Reg dich ab, Franklin“, befahl Don ihm, obwohl ihm selbst auf der Stirn der kalte Schweiß ausbrach.

Plötzlich wurde die Bürotür aufgerissen, und Brad Hastings, Dons Stellvertreter, kam herein. Unter dem Arm hielt er eine Zeitung. „Ich habe die Polizei angerufen“, sagte er gereizt. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, und seine Nasenflügel bebten. Brad war nur wenig größer als eins siebzig, doch sehr muskulös. Früher war er Boxer gewesen, und vom ersten Tag der Firma an war er bei Dons Sicherheitsdienst. Auf Hastings war stets Verlass. „Über Johnston gibt es nichts Neues. Er ist in der Anstalt in Verwahrung, genau wie Henshaw dir gesagt hat. Und der Doktor scheint sich auszukennen, Johnston ist seit fünf Jahren sein Patient“, berichtete er.

Und in diesen fünf Jahren hatte Henshaw Don kein einziges Wort über seinen Patienten gesagt. Ungefähr jedes halbe Jahr hatte Don sich erkundigt, und jedes Mal war ihm nur mitgeteilt worden, Johnston sei immer noch Patient von Henshaw.

Als Dr. Loyola noch in Whispering Hills arbeitete, waren die Dinge anders gewesen. Loyola hatte Verständnis für das Grauen, das sein Patient verbreitet hatte, und er hatte Don darüber informiert, ob Johnston Anzeichen der Besserung zeigte oder nicht. Doch Dr. Loyola arbeitete schon lange nicht mehr in Whispering Hills, und von den Leuten, die jetzt dort tätig waren, sah niemand Lee Johnston als eine Gefahr an.

Das Tonband war zu Ende. Don spulte es erneut zurück und machte eine Kopie von der Aufnahme.

Hastings kratzte sich den Hinterkopf. „In Whispering Hills gibt es keinen Ted. Auch nicht als Freund oder als Familienangehöriger eines Patienten.“

„Hast du alle Angestellten der Anstalt überprüft? Die Köche, die Kellner in der Cafeteria, die Krankenschwestern, Gärtner?“

„Keiner von ihnen heißt Theodore oder Ted. Der letzte Ted, der dort angestellt war, ist vor zweieinhalb Jahren von dort weggegangen. Jetzt lebt er in Mississippi und hat keine Ahnung mehr, was in Whispering Hills vor sich geht. Ich habe selbst mit ihm gesprochen.“

Don fühlte sich hilflos wie ein Mann, der sich verzweifelt an ein Seil klammert, das langsam reißt.

„Und was ist mit einer Frau? Vielleicht heißt eine der Frauen Teddie?“, sagte Don nachdenklich, „oder Theresa, Thea oder sonst wie?“

„Du denkst, dass …“, Hastings deutete ungläubig auf das Tonband, „… das eine Frau ist?“

„Ich kann es nicht genau sagen, aber der Anrufer wollte auf jeden Fall die Stimme verstellen.“ Wieder fühlte er diese kalte Angst. Und wenn der Anrufer Johnston selbst war? Hatte er womöglich Zugang zu einem Telefon und einem Telefonbuch? Vielleicht kam er sogar auf die Idee, Kaylie direkt beim Sender anzurufen.

Don nahm den Hörer wieder ab und wählte die Nummer des Fernsehsenders, bei dem Kaylie arbeitete. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf dem Tisch, bis die Empfangsdame abhob und ihm mitteilte, dass Kaylie schon gegangen sei. Er unterdrückte einen Fluch, legte auf und rief in Kaylies Apartment an. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Don wartete nicht, um Kaylie eine Nachricht aufs Band zu sprechen, sondern knallte ratlos den Hörer auf. Reiß dich zusammen, sagte er sich innerlich, doch die Furcht konnte er nicht unterdrücken.

Wieso hat sie sich auf meine Nachrichten hin nicht gemeldet?, fragte er sich verzweifelt. Vielleicht war alles schon zu spät.

„Sieh mal, sicher ist alles vollkommen in Ordnung“, beruhigte Hastings ihn, als könne er die Gedanken seines Chefs lesen. „Wenn nicht, dann hättest du es bereits erfahren. Außerdem war sie heute Vormittag in der Sendung, und du weißt selbst, dass Johnston noch in der Anstalt ist.“

„Bis her noch.“

Unauffällig beobachtete Hastings Don und atmete tief durch. „Es tut mir leid, schlechte Nachrichten überbringen zu müssen, aber hast du das hier schon gesehen?“ Er legte die Zeitung vor Don auf den Schreibtisch. Es war die neuste Ausgabe des „Insider“, ein Magazin, das für seine Klatschgeschichten bekannt war. Ein unscharfes Bild von Kaylie und Alan Bently, dem anderen Gastgeber der Show „West Coast Morning“, prangte auf der Titelseite. Alan hatte Kaylie einen Arm um die Schultern gelegt. Die fettgedruckte Schlagzeile darüber lautete: „Hochzeitsglocken für San Franciscos Starpärchen?“ Etwas kleiner stand darunter: „Ist Alan immer noch von Kaylie ‚besessen‘?“

„Wie können sie so ein Zeug bloß drucken?“, regte Don sich auf. Der Artikel ärgerte ihn maßlos, obwohl er dafür eigentlich keinen Anlass hatte. Die Hälfte von allem, was im „Insider“ stand, war schlichtweg erlogen oder beruhte auf Gerüchten. Trotzdem war Don wütend über das Foto von Alan und Kaylie, und der Hinweis auf ihre Hochzeit ärgerte ihn noch mehr. Sicher wollte man mit solchen Geschichten lediglich die Auflage der Zeitung steigern. Niemals würde Kaylie sich mit jemandem wie Alan Bently einlassen.

Am schlimmsten jedoch war die Anspielung auf Kaylies letzten Film „Besessen“. Dieser Film hatte nach Dons Ansicht das Ende seiner kurzen, aber leidenschaftlichen Ehe mit Kaylie nach sich gezogen.

Er warf die Zeitung ohne jeden weiteren Kommentar in den Papierkorb, ging durch das Zimmer und öffnete die Schranktür. Er nahm ein Lederjackett vom Bügel, und während er sich eine Kopie des Bands mit dem anonymen Telefonanruf in die Tasche steckte, versuchte er, seine Eifersucht auf Alan Bently zu vergessen. Don hatte jetzt keine Zeit für Gefühle, das Wichtigste war jetzt, Kaylie in Sicherheit zu bringen. Seit dem ersten Anruf von Ted hatte er sich einen Plan überlegt, und nun war der Zeitpunkt gekommen, diesen Plan auszuführen.

Kaylie würde das Ganze überhaupt nicht gefallen. Im Gegenteil, sie würde sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Doch darauf konnte er keine Rücksicht nehmen, diesmal würde er nur auf sich selbst hören. Er erklärte Hastings sein Vorhaben und wies ihn an, die Geschäfte weiterzuführen. Im Moment zählte für Don nur noch Kaylies Sicherheit. „Und gib eine Kopie des Tonbands an die Polizei weiter.“

Es beruhigte ihn, dass er sich auf Hastings verlassen konnte. „Ich will jeden verfügbaren Mann für diese Sache. Die Kosten sind mir egal. Du musst herausfinden, wer dieser Ted ist und in welcher Beziehung er zu Kaylie steht. Und fang an, Anrufe zurückzuverfolgen. Anrufe, die hier eingehen oder bei Kaylie zu Hause oder bei dem Fernsehsender. Ich muss wissen, wo dieser Verrückte sitzt!“

„Ist das alles?“, fragte Hastings spöttisch. „Jedenfalls das Wichtigste“, entgegnete Don und steckte die Hände in die Taschen. Er pfiff nach seinem Hund, und der schlanke Schäferhund hob zuerst ein Ohr, dann stand er auf und trottete hinter Don her.

Die Morgenluft draußen war warm, und nur ein paar Wolken standen am klarblauen Himmel über San Francisco. Don schloss seinen Jeep auf, und der Hund sprang sofort auf den Rücksitz. Einen Anruf muss ich noch machen, überlegte Don, während er sich in den Verkehr einfädelte.

Er benutzte das drahtlose Telefon im Wagen, und danach konzentrierte er sich auf das bevorstehende Treffen mit seiner dickköpfigen Exfrau.

Stunden später hatte Don sie endlich ausfindig gemacht. Sie war weder in ihrem Apartment gewesen, noch war sie zurück zum Sender gefahren. Deshalb hatte Don vermutet, dass sie einen ruhigen Abend in ihrem Haus in Carmel verbringen wollte. Dort hatten sie auch während ihrer Ehe gewohnt.

Er stellte den Wagen in der Einfahrt ab und überdachte seinen Plan noch einmal. Es konnte nichts schiefgehen, doch Kaylie würde sich fürchterlich aufregen. Möglicherweise würde sie ihn dafür den Rest ihres Lebens hassen.

Andererseits mochte sie ihn auch jetzt schon nicht besonders. Als sie die Scheidungsurkunde unterschrieb, hatte sie klargemacht, dass sie Don nicht mehr sehen wollte.

Weshalb konnte er sie dann nicht einfach vergessen und sie in Ruhe lassen? Das wollte sie doch.

Aber Kaylie war ein Teil von ihm geworden. Daran hatte sich nie etwas geändert. Die Erinnerung an sie verfolgte ihn ständig, und er machte sich Sorgen um sie.

Don ließ den Hund aus dem Wagen, und Franklin fing an, das Gelände zu erforschen.

„Bleib hier, Franklin“, befahl Don ihm, als der Hund immer weiter weg lief.

Er drückte auf die Klingel und wartete ungeduldig. Aus dem Haus war kein Laut zu hören. Noch einmal klingelte er, doch es rührte sich nichts.

Bloß keine Panik, rief er sich zur Ordnung, obwohl es ihn beunruhigte, dass er sie nicht finden konnte. Er griff in die Jackentasche, zog einen Schlüsselbund hervor, den er seit Jahren nicht mehr benutzt hatte, und schloss die Haustür auf.

Also hatte sie nicht einmal die Schlösser austauschen lassen. Nicht sehr klug, Kaylie, dachte er.

Kopfschüttelnd steckte Don den Schlüssel wieder ein und öffnete die Tür. Einen Augenblick blieb er reglos stehen und betrachtete das Innere des Hauses, in dem er einmal gelebt hatte.

Mit aller Kraft versuchte er, die unzähligen Erinnerungen zu verdrängen. Immer wieder Kaylie. Wie konnte eine Frau bloß so eine Bedeutung für ihn gewinnen, dass sie unauslöschbar mit seinem Leben verknüpft war?

Er befahl Franklin, vor dem Haus auf ihn zu warten, und schloss die Tür hinter sich. Die alte Lederjacke warf er über eine Sofalehne und sah sich im Wohnzimmer um. Viel hatte sich nicht geändert. Außer der Tatsache natürlich, dass er hier nicht mehr lebte, und das schon seit langer Zeit nicht mehr.

Derselbe malvenfarbene Teppich bedeckte die Böden im ganzen Haus. Die Fenster waren makellos sauber und boten einen fantastischen Blick über die Bucht von Carmel, den Don immer als beruhigend empfunden hatte. Die Möbel standen beinahe unverändert wie vor sieben Jahren. Die Bezugstoffe in Weiß und Grau, die Glastische, die Aquarelle von Delfinen und Segelschiffen, das alles kannte er noch aus der Zeit, als er mit Kaylie glücklich gewesen war.

Doch alle direkten Erinnerungen an ihre Ehe, die Fotos, kleine Steine und Souvenirs, waren verschwunden. Wenigstens fast alle, stellte Don richtig, als er den Schnappschuss auf dem Fenstersims von Kaylie und sich entdeckte.

Auf dem Foto standen sie knöcheltief in weißem, feinem Sand. Es war ein Bild aus Mexiko von ihrer Hochzeitsreise. Nur zu gut konnte Don sich noch an diesen Tag erinnern. Die heiße Luft, kühler Wein, Kaylie neben sich. Der Duft der tropischen Blumen und des Ozeans, Kaylies Parfüm und der endlose blaue Himmel.

Hastig stellte er das Foto wieder weg, als habe er sich die Finger daran verbrannt. Verächtlich stieß er die Luft aus. Er hatte keine Zeit, über die Vergangenheit nachzudenken. Das alles war lange her. Jetzt machte ihn bereits die Vorstellung, in Kaylies Nähe zu sein, nervös. Daran sollte er sich lieber gewöhnen.

Er ging durch den Raum. Der Duft eines frischen Blumenstraußes füllte die Luft, und auch er erinnerte Don an Kaylie. Trotz der Scheidung und den vergangenen einsamen sieben Jahren hatte er sie niemals wirklich vergessen. Keinen Abend war er zu Bett gegangen, ohne schmerzhaft zu spüren, wie sehr er sie neben sich vermisste. Wie sehr sie in seinem Leben fehlte.

Don schob die Ärmel seines Pullovers hoch und ging zu der Bar, die etwas weiter hinten im Zimmer vor einer breiten Fensterfront lag. Er kniete sich hin, öffnete das Barschränkchen und schmunzelte unwillkürlich, als er eine Flasche seines Lieblingswhiskys entdeckte. Die Flasche war verstaubt und noch verschlossen. Als Don die Flasche öffnete, drängten alle Erinnerungen an die Streitereien und die traurigen Zeiten ihrer Ehe auf ihn ein. Genauso jedoch erinnerte er sich auch an die leidenschaftlichen Stunden mit Kaylie. Mitgeschlossenen Augen versank er in Erinnerungen, die er sonst stets verdrängt hatte.

„Sei kein Narr.“ Don richtete sich auf und goss sich einen Drink ein. „Auf die guten Zeiten“, prostete er sich selbst zu und trank das Glas fast in einem Zug leer. Sofort breitete sich ein angenehmes warmes Gefühl in seinem Magen aus.

Endlich zu Hause, dachte er spöttisch und schenkte sich noch mal nach, während er zur Verandatür ging.

Durch die Scheibe blickte er die Klippen hinunter auf den Strand, und eine Woge der Erleichterung durchströmte ihn. Dort war sie. In Sicherheit. Kein Verrückter, der mit dem Messer auf sie zurannte. Sie kam aus dem Wasser und wrang sich das Salzwasser aus dem langen sonnengebleichten Haar, als könne nichts sie aus der Ruhe bringen. Wenn sie nur wüsste!

Sie trug einen weißen Badeanzug, der ihre straffen Brüste zur Geltung brachte und die gebräunten langen Beine betonte. Jetzt warf sie ihr langes lockiges Haar über die Schulter zurück.

Dons Magen verkrampfte sich, als er sie beobachtete, wie sie sich bückte und ein Handtuch von dem weißen Sand hochhob. Die nächsten Wochen würden für ihn die Hölle sein.

Kaylie schüttelte den Sand von dem Handtuch und legte es sich um den Hals. Die letzten Sonnenstrahlen trockneten die Wassertropfen auf ihrem Rücken und wärmten ihre Haut, als sie ihre Sandaletten zuschnallte und einen letzten Blick übers Meer warf. Am Horizont konnte sie Segelschiffe erkennen, gegen das gleißende Licht der Abendsonne. Über ihr flogen Möwen, die unablässig kreischten.

Der Strand war menschenleer, als sie die verwitterte Holztreppe zu ihrem Haus hochstieg. Auf der Veranda zog sie die Sandaletten aus und schob die Hintertür auf. Das Handtuch warf sie in einen Wäschekorb. Sie überlegte, ob sie ein Glas Wein trinken solle. Während sie zum Schlafzimmer ging, zog sie sich bereits einen Träger des Badeanzugs von der Schulter. Zuerst einmal ein ausgiebiges heißes Bad und dann …

„Wie geht’s dir, Kaylie?“, hörte sie eine vertraute Stimme aus dem Wohnraum.

Kaylie hielt die Luft an und verharrte reglos. Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken, und sie fuhr herum. Das nasse Haar flog ihr um die Schultern. Don war hier? Das konnte nicht sein.

Er lag auf dem Sofa, die Beine lang von sich gestreckt. Don sah so unglaublich männlich aus wie immer. Die Füße hatte er übereinandergeschlagen, und sein Gesicht war ausdruckslos, abgesehen von einer Augenbraue, die er fragend hob. Kaylie kannte ihn nur zu gut, die ganze Pose war gründlich durchdacht. Er wollte vollkommen entspannt wirken.

Durchdringend blickte er sie aus grauen Augen an, und seine Mundwinkel zuckten leicht. Einen Moment musste Kaylie daran denken, wie sehr sie ihn geliebt hatte. Mühsam verdrängte sie diese unpassenden Gedanken. Sie schluckte, und allmählich wurde ihr bewusst, dass einer der Träger heruntergezogen und ihre Brust entblößt war.

„Was … was tust du hier? Willst du mich zu Tode erschrecken?“, stieß sie schließlich hervor und zog den Träger wieder über die Schulter hoch. Noch bevor Don etwas erwidern konnte, überlegte Kaylie es sich anders und schüttelte den Kopf. Sie wollte gar nicht mit ihm reden. Jetzt nicht und vielleicht niemals. „Nein, warte. Sag nichts, es interessiert mich überhaupt nicht.“

Er rührte sich nicht. Da lag er auf ihrem Sofa, trank ihren Whisky und machte es sich gemütlich. Einfach unverschämt, und dennoch spürte Kaylie diese Unruhe und Entschlossenheit an ihm, die sie schon immer fasziniert hatten. Er hatte bestimmt einen Grund dafür, dass er jetzt hier war.

Gelassen streifte er sich die Sportschuhe ab und ließ sie zu Boden fallen. „Du hast meine Anrufe nicht beantwortet.“

Unwillkürlich bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie hatte einfach nicht den Mut aufgebracht, sich bei ihm zu melden. „Und deshalb bist du hier?“

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“

„O bitte, fang nicht wieder damit an.“ Abwehrend hob sie die Hände. Wie oft hatte sie diesen Spruch schon gehört. Letztlich war ihre Ehe daran gescheitert, dass er sie ständig und überall beschützen wollte. „Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Es geht dich nicht einmal etwas an, wenn …“

„Lee Johnston soll entlassen werden.“

Die Worte waren wie ein eiskalter Guss und ließen sie erstarren.

Don gab jetzt seine gespielte Ruhe auf.

„Was sagst du da?“, fragte sie flüsternd. In Gedanken sah sie Lee Johnston, diesen gedrungenen, kräftigen Mann mit den flammend roten Haaren und den ausdruckslosen blauen Augen. Und sie erinnerte sich an das Messer. Dieses lange Messer, das er ihr an die Kehle gehalten hatte.

„Bist … bist du sicher?“ Warum konnte sie kaum ein Wort herausbringen? Dons Blick verriet ihr, wie überzeugt er war, dass sie sich in ernster Gefahr befand. Trotzdem wollte sie ihm nicht glauben. Jedenfalls nicht ohne Vorbehalte. Dafür kannte sie Don zu gut. Andererseits hatte er sie noch nie direkt angelogen.

Er zögerte und rieb sich nachdenklich den Nacken. „Jemand hat mich angerufen.“

„Wer?“

„Das weiß ich nicht. Jemand, der sich Ted nannte.“

„Ted? Welcher Ted?“, fragte sie ungeduldig nach. „Ich wünschte, ich wüsste es. Eigentlich habe ich gehofft, du könntest mir da weiterhelfen“, gab er zu und berichtete ihr von den zwei Anrufen von Ted und seinem Gefühl, dass Dr. Henshaw ihm etwas verheimliche. „Hast du einen Kassettenrecorder?“

Kaylie nickte und holte den Recorder aus ihrem Schlafzimmer. Don nahm die Kassette aus seinem Jackett und legte sie in den Recorder ein. Kurz darauf hörten sie beide Teds Warnungen zu.

„O nein.“ Kaylie konnte nur flüstern und hielt sich die Hand vor den Mund. Sie hörte das Band noch einmal ab, und ihr ganzer Körper verkrampfte sich. Auch Don war innerlich völlig verspannt, obwohl er versuchte, nach außen hin kühl zu wirken. Sein Gesicht war starr, allerdings suchte er unablässig den Raum ab, als fürchte er, jemand könne hervorstürmen und Kaylie angreifen.

Warum ausgerechnet jetzt?, fragte sie sich panisch. Wieso? Kaylie biss sich auf die Unterlippe, dann überlegte sie, dass das ein Zeichen ihrer Unsicherheit war, und riss sich zusammen, gerade als die Aufnahme verstummte. „Wieso hat dieser Ted dich angerufen? Warum nicht mich?“

„Keine Ahnung“, gab Don zu und trank einen Schluck von seinem Whisky. „Die Anstaltsleitung sagt, Johnston soll nicht entlassen werden. Jedenfalls nicht jetzt.“ Aus seinem Blick sprach die unterdrückte Wut. „Bislang haben wir nur diese Anrufe hier. Ich habe mit Johnstons Arzt gesprochen, und es hat mir nicht gefallen, was er gesagt hat.“

„Aber er sagte nicht, dass Johnston entlassen werden soll.“ Fast flehend blickte Kaylie ihn an.

„Nein, trotzdem habe ich ein merkwürdiges Gefühl. Henshaw war zu vorsichtig in seiner Ausdrucksweise. Ich wette, dass der Kerl bald rauskommt, Kaylie. Wer auch immer dieser Anrufer ist, er hat seine Gründe.“

„Das ist entsetzlich!“ Kaylie zitterte am ganzen Körper. Die schrecklichsten Momente ihres Lebens fielen ihr wieder ein. Die Erinnerungen an einen geistig verwirrten Mann, der geschworen hatte, für sie zu töten. „Sie können ihn nicht gehen lassen. Er ist krank! Verrückt!“

Don zuckte mit den Schultern. „Er ist schon eine lange Zeit eingesperrt. Ein Musterpatient. Mich würde es nicht überraschen, wenn die Gerichte entscheiden, dass er sich gebessert hat.“

An jenem schrecklichen Abend hatte Johnston sie bedroht. Ein Messer hatte er ihr vor die Augen gehalten und ihr eine Hand auf den Magen gepresst, als er sie aus dem Theater drängte. Er hatte ihr geschworen, dass er für sie töten würde, und sie sollte dabei Zeugin sein, wenn er ihr ein Opfer brachte.

In Gedanken konnte Kaylie immer noch dieses vom Wahnsinn verzerrte Grinsen sehen. Sie spürte wieder seinen vor Erregung bebenden Körper an sich gepresst und roch den widerlichen Geruch seines Atems.

Kraftlos ließ sie sich gegen die Wand sinken und fühlte die raue Tapete an ihrem nackten Rücken. Denk nach, Kaylie, befahl sie sich. Sie wollte nicht schwach wirken. Mit Mühe drängte sie die panische Angst zurück und richtete sich auf. Jetzt durfte sie sich einfach nicht gehen lassen. Sie blickte Don an und hoffte, dass er nichts von dem Entsetzen merkte, das sie immer noch erfüllte. „Ich denke, ich sollte lieber selbst mit Henshaw sprechen.“

„Ich habe nichts dagegen.“

Mit unsicheren Schritten ging sie in die Küche, suchte die Nummer der Heilanstalt heraus und wählte mit zitternden Fingern. Beim vierten Klingeln meldete sich eine Empfangsdame. „Whispering Hills.“

„Ich möchte gern mit Dr. Henshaw sprechen, bitte. Hier ist Kaylie Melville … Ich … ich kenne einen seiner Patienten.“

„Oh, Miss Melville! Natürlich, ich sehe Sie jeden Morgen im Fernsehen.“ Die Frau klang aufgeregt. „Aber es tut mir leid, Dr. Henshaw ist im Moment nicht da.“

„Vielleicht kann ich dann mit jemand anderem sprechen.“ Doch außer der Empfangsdame bekam sie niemanden ans Telefon. Kein anderer Arzt und nicht mal eine Schwester wollte mit ihr sprechen. Aus einem plötzlichen Einfall heraus erkundigte sie sich, ob sie mit Ted reden könne, doch die Frau sagte ihr, es gebe niemanden mit dem Namen Ted in Whispering Hills. Bevor die Empfangsdame auflegen konnte, sagte Kaylie: „Sagen Sie mir doch bitte, ob Mr. Lee Johnston noch bei Ihnen als Patient ist.“

„Ja, das ist er“, sagte die Frau flüsternd. „Aber mehr darf ich Ihnen nicht sagen. Tut mir leid, wir haben strenge Regeln, was die Auskunft über Patienten angeht. Wenn Sie mir Ihre Nummer geben, wird Dr. Henshaw Sie zurückrufen.“

„Danke.“ Kaylie nannte ihre Telefonnummer und legte auf. Sie goss sich ein Glas Wasser ein und versuchte, ihre Angst zu bewältigen. Sie trank das kalte Wasser und ballte die Hände zu Fäusten, um ruhiger zu werden.

Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, saß Don immer noch auf dem Sofa. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, blickte er Kaylie besorgt an. Einerseits liebte sie ihn dafür, dass er sich um sie Gedanken machte, andererseits verabscheute sie ihn, weil er sich wieder in ihr Leben drängte. Erst vor Kurzem hatte sie sich überzeugt, endlich über ihre Ehe mit ihm hinweg zu sein.

„Und?“

„Ich habe nicht viel erreicht. Henshaw ist nicht da. Er wird zurück rufen.“

Don sah sie nur wortlos an, und um ihm zu zeigen, dass sie alles unter Kontrolle hatte, sagte Kaylie: „Ich werde meinen Anwalt anrufen.“

„Das habe ich schon getan.“

„Was hast du?“, fuhr sie ihn an. Wie kam Don dazu, ihren Anwalt anzurufen, den Mann, der die Scheidungspapiere erstellt hatte?

„Ich habe Blake angerufen. Er kann nichts machen.“

„Dann werde ich mit Detective Montello sprechen. Er hat Johnston damals festgenommen. Sicherlich wird er …“ Sie verstummte, als sie Don den Kopf schütteln sah. „Es sei denn, du hast auch ihn schon angerufen.“

„Montello arbeitet nicht mehr bei der Polizei. Der Mann, der jetzt seinen Posten hat, sagt, er werde sich um die Sache kümmern.“

„Aber du glaubst ihm nicht“, sagte sie matt. Ihr Herz fing an, rasend schnell zu schlagen. Sie sah Johnston bereits auf freiem Fuß und spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach.

„Ich möchte lediglich kein Risiko eingehen.“

Zum ersten Mal dachte Kaylie darüber nach, dass Don bei ihr im Haus war. Er hatte sie erwartet, als sie vom Schwimmen kam. „Moment mal, wie bist du hier überhaupt reingekommen?“

Don wich ihrem Blick aus. „Ich habe noch die Schlüssel.“

„Was hast du?“ Kaylie war verblüfft über seine Dreistigkeit. Er schien in den letzten sieben Jahren nicht gealtert zu sein. Sein Haar war dunkelbraun, seine Gesichtszüge ausgeprägt. Er sah fantastisch aus. Die erotischen grauen Augen wurden von dunklen Augenbrauen und dichten langen Wimpern betont. „Aber du hast sie mir doch damals gegeben.“

Dieses umwerfende Lächeln, das sie jetzt an ihm sah, hatte sie früher immer zu ihm hingezogen. „Ich hatte noch ein Paar.“

„Die hast du einfach behalten. In den vergangenen sieben Jahren hättest du jederzeit hier hereinspazieren können? Von allen verachtenswerten, skrupellosen Menschen … Du hast kein Recht dazu! Du kommst hier herein, machst es dir gemütlich …“

„Ich mache mir immer noch Gedanken um dich, Kaylie.“

Jeder weitere Protest in ihr erlosch. Lang verdrängte Gefühle überwältigten sie und machten sie blind für alles andere. Liebe, Hass, Freude und Kummer. Wie viel hatte Don ihr einmal bedeutet! Sie konnte mit einem Mal kaum noch atmen und musste schlucken, bevor sie weitersprach. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Lass es, okay? Lass mich einfach in Ruhe.“ Kaylie wollte nicht dem Drang nachgeben, der ihr riet, Don zu vertrauen. Sie wollte ihm nicht glauben und ihn wieder lieben. Was sie verbunden hatte, war schon lange vorbei. Sie durfte nichts für ihn empfinden. Ihre Ehe war keine Partnerschaft gewesen, sondern vielmehr ein Gefängnis. Ein schönes, aber unerträgliches Gefängnis, in dem ihre Liebe zum Scheitern verurteilt gewesen war.

„Sieh mal, Kaylie. Ich dachte nur, du solltest wissen, dass Johnston schon bald wieder ein freier Mann sein kann.“

„Bitte, hör auf.“ Ihre Knie drohten unter ihr nachzugeben, und ihr wurde eiskalt.

Don seufzte auf und blickte sie zärtlich an. Doch er kam nicht zu ihr, wie er es früher getan hätte. Stattdessen rieb er sich nachdenklich den Nacken und betrachtete den Schnappschuss von ihrer Hochzeitsreise. „Johnston war schon immer von dir besessen, und ich glaube nicht, dass sich daran etwas geändert hat.“

„Ich habe seit Langem nichts von ihm gehört.“

„Keine Briefe?“

Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich einzureden, dass Lee Johnston sie vergessen hatte. Immerhin waren Jahre seit diesem schrecklichen Abend vergangen, und der Mann stand seitdem unter ärztlicher Behandlung. Vielleicht hatte er sich geändert.

„Daran darfst du nicht einmal denken.“ Anscheinend hatte Don ihre Gedanken durchschaut. „Er ist ein Verrückter. Daran wird sich nichts ändern.“

Kaylie wusste, dass Don recht hatte. Doch was konnte sie tun? Sollte sie Tag und Nacht Angst haben, dass Lee Johnston bei ihr auftauchte? Auf keinen Fall. Sie bemerkte, dass sie immer noch ihren Badeanzug trug. „Möglich, dass deine Befürchtungen grundlos sind“, sagte sie und holte sich ein übergroßes T-Shirt aus dem Nebenraum. Halbnackt vor Don zu stehen, machte es ihr nicht leichter. Sie zog ihr Haar aus dem Halsausschnitt des pfirsichfarbenen T-Shirts und merkte, dass Don ihr gefolgt war. Er stand in der Tür zur Küche und lehnte mit einer Schulter am Türrahmen. Sein Blick streifte zu ihren Schenkeln, die von dem T-Shirt nicht bedeckt wurden.

„Und was ist mit dem Anruf?“

„Ein Spinner.“

„Glaubst du wirklich?“

„Ich … ich weiß es nicht.“ Kaylie räusperte sich und versuchte, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren. „Aber dass du hier rausgefahren kommst, ist übertrieben.“

„Ich habe dich angerufen. Vergiss das nicht!“, erwiderte er ärgerlich. „Doch du hieltest es ja nicht für nötig, zurückzurufen.“

Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie hatte daran gedacht, ihn anzurufen, und sogar schon den Hörer in der Hand gehabt, aber dann hatte sie jedes Mal entschieden, dass sie sich dadurch ihr Leben nur erschweren würde.

„Du hast über Johnston nichts gesagt.“

„Natürlich nicht! Ich wollte dir keine Angst machen.“

„Im Moment bist du aber nicht schlecht im Angstmachen“, erwiderte sie. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Allein Dons Anblick versetzte ihre Gefühle in Aufruhr, und dann noch sein Gerede über Johnston. Das alles zusammen war zu viel.

Dons Stimme wurde etwas weicher. „Kaylie, ich finde, du solltest ein paar Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Halte dich etwas im Hintergrund.“

„Im Hintergrund?“, wiederholte sie fragend und ging an ihm vorbei in die Küche. Er sollte nicht sehen, wie unsicher sie sich fühlte. Sie hatte lange für ihre Unabhängigkeit kämpfen müssen. Jetzt sollte er nicht sehen, wie schwer es ihr fiel, die Fassung zu bewahren. Sie nahm eine Wasserkanne und goss die Usambaraveilchen, die auf der Anrichte standen. Ihre Hände zitterten, sodass sie etwas Wasser verschüttete. Während sie es wegwischte, spürte sie, dass Don sie unablässig beobachtete. „Und was meinst du, soll ich tun?“, fragte sie ihn und blickte sich kurz um.

Seine äußere Gelassenheit regte sie noch mehr auf. „Zunächst solltest du die Schlösser auswechseln. Dazu noch Riegel und eine moderne Alarmanlage.“

„Mit Lichtschranken, Alarmsirenen und Codenummern?“, spottete sie, um ihre Anspannung zu überwinden.

„Genau, aber wenn Johnston entlassen wird, reicht das nicht mehr aus. Dann brauchst du mich, Kaylie. Ganz einfach.“

„Dich? Als was denn? Soll ich dich wieder als Leibwächter einstellen?“ Sie sah, wie er zusammenzuckte, und wandte sich wieder ab. „Das halte ich für keine gute Idee.“

Er griff ihren Arm und drehte sie zu sich herum. Kaylie ließ das Wischtuch fallen. „Ich meine es ernst“, betonte er mit leiser, fast drohender Stimme. „Die Situation ist nicht zum Scherzen.“

Was fiel ihm bloß ein? Unter seiner Berührung brannte ihre Haut wie Feuer.

„Ich denke, du solltest dir ein paar Tage freinehmen.“

„Jetzt warte mal einen Augenblick. Ich kann mir nicht von heute auf morgen freinehmen!“

„Deine Karriere war schon schuld an dem, was beim letzten Mal passiert ist“, erinnerte er sie und sah auf seine Hand an ihrem Arm. Langsam zog er die Hand zurück. „Du brauchst einen unauffälligeren Job.“ Dann fiel ihm auf, dass er Unmögliches von ihr verlangte. „Wieso fragst du nicht, ob du ein paar Tage freinehmen kannst, bis wir mehr darüber wissen, ob Johnston entlassen wird?“

„Auf keinen Fall, ich werde mich nicht den Rest meines Lebens verstecken. Schon gar nicht wegen eines dummen Anrufs.“ Sie durfte nicht wieder in dieselbe lähmende Angst wie nach Johnstons letztem Angriff verfallen. Und immerhin war der Mann noch in der Anstalt.

Sie warf das feuchte Haar über die Schulter, bückte sich und hob das Tuch auf. Ihr Handgelenk brannte immer noch von Dons Griff, doch sie unterdrückte den Drang, sich das Gelenk zu reiben.

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