Baccara Collection Band 480

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VIEL ZU VIEL SEX-APPEAL von REESE RYAN
Vorübergehend muss Evvy sich um die Pension ihrer Schwester kümmern. Dort lernt sie den viel zu attraktiven Gast Sebastian Valentine kennen – eine echte Versuchung! Ausgerechnet mit ihm wird sie eingeschneit, und ausgerechnet er weckt ein loderndes Feuer in ihr …

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Als die verwitwete Esme herausfindet, dass ihr Kind nach der Geburt vertauscht wurde, ist sie am Boden zerstört. Doch dann lernt sie Ryder Hayes kennen, der ebenfalls Opfer der Verwechslung wurde. Er macht ihr einen verführerischen Vorschlag …

BESCHÜTZERHERZ IN GEFAHR von JANA DELEON
Plötzlich Bodyguard! Tyler Duhon hat den Auftrag bekommen, die schöne Joelle LeBeau zu beschützen. Tyler weiß nicht, was gefährlicher für ihn ist: die mysteriösen Ereignisse auf dem Anwesen der LeBeaus – oder die sinnliche Ausstrahlung der kapriziösen Joelle …


  • Erscheinungstag 25.01.2025
  • Bandnummer 480
  • ISBN / Artikelnummer 9783751530644
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Reese Ryan

1. KAPITEL

Sebastian Valentine fühlte sich gar nicht gut. Er hatte brutale Kopfschmerzen, seine Brust tat weh, und sein Mund war komplett ausgetrocknet. Als er eine Hand hob, um sich an der Nase zu kratzen, stellte er schockiert fest, dass er einen Zugang zu einem Tropf am Handgelenk hatte.

Er setzte sich abrupt auf.

„Ganz ruhig. Ist alles in Ordnung mit dir.“ Die Stimme seines älteren Bruders Nolan klang anteilnehmend, aber gelassen. Nolan legte Sebastian beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Du bist in der Notaufnahme, aber du wirst bald wieder auf dem Damm sein.“

Sebastian rieb sich mit der freien Hand über die Stirn, blinzelte und versuchte, sich zu erinnern, wie er hierhergekommen war. Dann fiel es ihm ein.

Er hatte an einem Samstagnachmittag allein im Büro gearbeitet – was nichts Ungewöhnliches für ihn war. Doch plötzlich hatte sein Herz zu rasen begonnen. Er hatte starke Schmerzen in der Brust verspürt. Dazu waren Kurzatmigkeit und Schwindelgefühle gekommen. Seine Hände hatten so sehr gezittert, dass er nicht mehr tippen konnte. Als er aufstand, war er so schwach auf den Beinen gewesen, dass er zu Boden gestürzt war. In diesem Moment war zum Glück der Wachmann auf seiner Runde vorbeigekommen, und Sebastian hatte ihn gebeten, einen Krankenwagen zu rufen.

In plötzlicher Panik fasste er sich an die Brust. „Hatte ich einen …?“

„Nein, es war kein Herzinfarkt“, beruhigte Nolan ihn und ließ sich auf einem Stuhl neben Sebastians Bett nieder. „Die Ärztin glaubt, dass du eine schwere Panikattacke hattest. Hast du so etwas schon mal erlebt?“

„Nein … ich glaube nicht.“ Sebastian lehnte sich gegen sein Kissen und dachte angestrengt nach – was seinen Kopf nur noch mehr schmerzen ließ.

„Du hast sicher wahnsinnig viel Stress als neuer CEO von Valentine Textiles.“ Nolan musterte ihn besorgt.

„Das gehört dazu.“ Sebastian zuckte mit den Schultern, als ob es zum normalen Alltag gehörte, auf dem luxuriösen Teppichboden der Chefetage zu liegen und sich zu fühlen, als würde man gleich sterben. „Seit wir die Firma verkauft haben, hat sich einiges geändert.“

Valentine Textiles war seit Generationen in Familienhand gewesen, bis ihr Vater – der vorherige CEO – das Unternehmen vor einem Jahr an einen kalifornischen Mischkonzern verkauft hatte. Sebastian war zum neuen CEO ernannt worden – eine Position, auf die er seit dem College hingearbeitet hatte. Aber das Unternehmen nach den strengen Regeln und unrealistischen Erwartungen des neuen Mutterkonzerns zu leiten, war weitaus stressiger, als er erwartet hatte.

„Ich habe das Gefühl, dieser Job bringt dich um“, sagte Nolan. „Du bist in den letzten zwölf Monaten um fünf Jahre gealtert.“

Sebastian grinste gequält. „Nicht der beste Zeitpunkt, um mir Beleidigungen an den Kopf zu werfen.“

„Ich will dich nicht beleidigen, Bas, ich mache nur eine Feststellung. Du hast dunkle Ringe unter den Augen, dazu ein paar neue und ziemlich tiefe Sorgenfalten. Und deine Haare werden grau – was in unserer Familie etwas zu früh ist mit sechsunddreißig.“

Sebastian fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Glaubst du, ich habe keinen Spiegel?“

„Ich glaube, du ignorierst das alles, weil du zu stolz bist, zuzugeben, dass dieser Job nicht so ist, wie du es dir erhofft hast.“ Nolans dunkle Augen wirkten traurig. „Aber es ist keine Schande, das zuzugeben, Bas. Selbst wenn du nicht auf unserem Weingut mitarbeiten willst – es gibt noch eine Menge anderer Jobs, die dich nicht mit vierzig ins Grab bringen werden.“

Ihr Vater hatte vor einem Jahr ein Weingut gekauft – und es Valentine Vineyards genannt. Abbott Raymond Valentine hatte kurz davor erfahren, dass er als Kind von den Valentines adoptiert worden war, und dass dieses Weingut früher seiner leiblichen Mutter gehört hatte. Entschlossen, seine leiblichen Eltern auf diese Weise zu ehren, hatte Sebastians Vater begonnen, gemeinsam mit seinen Kindern ein Weinimperium aufzubauen. Nolan und ihre beiden Schwestern, Chandra und Naya, waren mit an Bord. Aber Sebastian hatte sich dem Unternehmen nicht angeschlossen.

„Nolan, du weißt, dass das der einzige Job ist, den ich je wollte. Es wäre eine Schande, wenn nicht jemand aus unserer Familie das Unternehmen leiten würde.“

„Na ja, Dad fühlt sich diesbezüglich zu nichts verpflichtet.“

„Ja, und in genau diesem Punkt sind wir uns uneinig.“ Sebastian zuckte mit den Schultern. Dann musste er husten, seine Kehle war schrecklich trocken.

Nolan reichte ihm einen Becher Wasser, und Sebastian trank gierig. Er fühlte sich ausgelaugt und ein bisschen benebelt.

„Wenn es nur eine Panikattacke war, warum dann der Tropf?“ Er hielt fragend seinen Arm hoch.

„Weil Sie stark dehydriert waren, Mr. Valentine.“ Eine zierliche schwarze Frau in einem weißen Laborkittel betrat den Raum. „Es scheint, als hätten Sie sich nicht besonders gut um sich selbst gekümmert.“ Sie reichte ihm die Hand. „Ich bin Dr. Violet Benson, die diensthabende Notärztin.“

„Und Sie sind sicher, dass es kein Herzinfarkt war?“ Sebastian musterte sie skeptisch.

„Ja. Wir haben eine ganze Reihe von Tests durchgeführt.“ Dr. Benson legte ihr Tablet ab und prüfte mit ihren eisigen Fingern seinen Puls. „Ich hoffe, Sie fühlen sich ruhiger?“

„Ja, das tue ich.“ So ruhig hatte er sich seit Wochen nicht mehr gefühlt.

„Gut. Das liegt an dem Benzodiazepin, das wir Ihnen verabreicht haben.“ Sie tippte etwas in ihr Tablet. „Wie lange haben Sie diese Symptome schon? Atemnot, Zittern, Schwindelgefühl, Unruhe, unregelmäßigen Herzschlag?“

Sie las alle Symptome vor, die er zweifellos bei seiner Ankunft heruntergerasselt hatte.

Sebastian runzelte die Stirn und warf Nolan einen kurzen Blick zu. Dessen Gesichtsausdruck war noch besorgter geworden.

Er stieß einen leisen Seufzer aus. „Ich habe die Symptome schon seit einer Weile. Sicherlich seit ein paar Monaten oder so. Aber sie waren noch nie so … intensiv.“

„Die Dehydrierung kann als Auslöser wirken und die Symptome verstärken, bis zu dem Punkt, an dem es sich anfühlt, als würde man sterben“, erklärte Dr. Benson ruhig. „Lassen Sie mich raten … Sie trinken den ganzen Tag über Kaffee, aber nur sehr wenig Wasser?“

„So ähnlich.“ Hätte er diese peinliche Szene wirklich vermeiden können, indem er einfach mehr Wasser getrunken hätte? „Wenn ich verspreche, mehr zu trinken und weniger Koffein zu konsumieren, darf ich dann hier raus?“

„Das sind nicht die einzigen Faktoren, die bei einer Panikattacke eine Rolle spielen“, sagte Dr. Benson. „Stress und Sorgen haben fast immer auch ihren Anteil. Ist Ihr Arbeits- oder Familienleben sehr stressig?“

„Ich bin der CEO eines Unternehmens, das sich in einer Übergangsphase befindet. In den letzten Wochen stand ich zugegebenermaßen unter ziemlichem Druck.“ Sebastian spürte förmlich, wie sein Blutdruck bei diesen Worten anstieg.

„Sind Sie glücklich in Ihrem Job, Mr. Valentine?“ Dr. Benson machte sich weiter Notizen auf ihrem Tablet.

„Ich kann nicht klagen.“ Sebastians Kiefer presste sich automatisch zusammen, aber er versuchte, es zu ignorieren.

„Ich habe hier schon Patienten gehabt, die jünger und gesünder waren als Sie und die trotzdem Schlaganfälle und Herzinfarkte erlitten haben – aufgrund von berufsbedingtem Stress. Ich würde es vorziehen, wenn Ihnen das nicht passieren würde.“ Dr. Benson rollte sich einen Hocker heran und setzte sich neben ihn. Ihre Stimme war warm, aber fest. „Unsere Arbeit macht oft einen großen Teil unserer Identität aus. Aber kein Job ist Ihre Gesundheit und möglicherweise Ihr Leben wert, Mr. Valentine. Wenn Sie nicht ernsthaft etwas ändern, werden Sie sich bald wieder in diesem Bett befinden. Allerdings werden wir dann über ganz andere Probleme sprechen. Ich denke, Sie wissen, was ich meine.“

Sebastian nickte still, und die Ärztin zählte eine Reihe von empfohlenen Änderungen in seiner Lebensweise auf – angefangen mit einer Auszeit von seinem stressigen Job.

„Dr. Benson hat ganz klar gesagt, dass du deinen Lebensstil ändern musst“, sagte Nolan, als er Sebastian nach Hause fuhr. „Also, was wirst du tun?“

„Schluss mit den Energydrinks, weniger Kaffee und mehr Wasser trinken, nehme ich an.“

„Und was ist mit der Arbeit?“, fragte Nolan.

„Was soll damit sein? Ich finde schon einen Weg.“

„Aber du hast gehört, was die Ärztin gesagt hat, Bas! Kannst du dir vorstellen, wie schrecklich es war, als ich vorhin diesen Anruf bekommen habe? Ich dachte, du hättest einen Herzinfarkt gehabt!“ Der sonst so ausgeglichene Nolan klang verletzt und wütend.

„Du hast es hoffentlich weder Papa noch den Mädchen erzählt?“ Sebastian hatte seinem Bruder das Versprechen abgenommen, seinen Zusammenbruch geheim zu halten, bis sie mehr wussten. Nolan nickte.

„Perfekt“, sagte Sebastian. „Kein Grund, sie zu beunruhigen. Mir geht es gut.“

„Dir geht es nicht gut, Bas. Und wenn du dich von diesem Job umbringen lässt, dann schwöre ich dir eins: Ich werde dich ins Leben zurückrütteln, und wenn es nur ist, um dir einen kräftigen Arschtritt zu verpassen.“

Sebastian lachte, und Nolan fiel mit ein. Die Spannung zwischen ihnen lockerte sich etwas.

„Okay, okay, ich hab’s verstanden. Und was genau soll ich deiner Meinung nach tun?“

„Mach mal Urlaub. Dein letzter war in Magnolia Lake, als Dad uns vom Kauf des Weinguts erzählt hat“, sagte Nolan.

„Das nennst du Urlaub? Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Sorgen da begonnen haben.“

„Es war vielleicht keine Woche in der Karibik, aber es war doch toll, zum ersten Mal seit Jahren wieder als Familie zusammen zu sein.“ Nolan bog in eine weniger befahrene Straße ein.

„Ja, das war toll.“ Sebastian lächelte und dachte an die langen Nächte, in denen er mit seinen Geschwistern Karten gespielt und Filme geschaut hatte. Etwas, das sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatten. Doch er schüttelte den Kopf. „Es würde nicht gut aussehen, wenn ich jetzt plötzlich Urlaub mache. Während das Unternehmen Veränderungen umsetzt, von denen jeder weiß, dass ich dagegen bin.“ Er war nicht der Typ, der sich vor Herausforderungen drückte.

Nolan fuhr in Sebastians Einfahrt und parkte.

Sebastian stieg langsam aus dem Auto. Er hoffte, dass Nolan nicht bemerkte, wie unsicher er auf den Beinen war.

„Diese Medikamente gegen deine Angstzustände … Du weißt, dass das Beruhigungsmittel sind, oder?“

„Das ist mir bewusst, Nolan.“ Sebastian griff nach dem Geländer und ging langsam die Treppe zu seiner Haustür hoch.

Er hatte dieses Haus nie besonders gemocht. Vor fünf Jahren hatte er es in einem letzten verzweifelten Versuch, seine Ehe zu retten, gekauft. Es hatte nicht funktioniert. Was seine damalige Frau wirklich wollte, war ein Ehemann, der nicht mit seiner Arbeit verheiratet war.

Das Haus war so dunkel, kalt und leer wie vor vier Jahren, als Tiffany ihre Sachen gepackt und für immer gegangen war.

Sebastian schaltete das Licht im Wohnzimmer und dann in der Küche ein. „Es ist zu spät, um den ganzen Weg zurück nach Magnolia Lake zu fahren. Warum übernachtest du nicht im Gästezimmer? Und bestell dir, was du willst. Das Abendessen geht auf mich.“

„Über das Abendessen können wir später reden, Bas.“ Nolan schob seine Brille auf den Nasenrücken und runzelte die Stirn. „Im Moment würde ich gern mit dir über die Tatsache sprechen, dass du dich gezwungen fühlst, einen Job zu machen, der dir offensichtlich keinen Spaß macht. Willst du diesen Job wirklich, oder versuchst du verzweifelt, etwas zu beweisen?“

„Du meinst, wie Dad mit dem Weingut seiner Mutter? Ein Weingut, das nur wenige Kilometer von der Destillerie seines milliardenschweren Halbbruders entfernt ist?“ Sebastian verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wir reden hier nicht über Dads Probleme“, sagte Nolan. „Wir reden über deine. Außerdem liebt Dad die Arbeit, die er tut, und wir haben erstaunliche Fortschritte gemacht. Er war nie gesünder und glücklicher als jetzt.“

„Du meinst, im Gegensatz zu mir ist er kein Versager, der auf Medikamente angewiesen ist, um überhaupt arbeiten zu können?“, gab Sebastian zurück.

Nolan nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen, bevor er sie wieder aufsetzte. „Niemand nennt dich einen Versager, Bas.“

„Ach, jetzt bin ich also ein Versager?!“

„Ich habe gerade wörtlich gesagt, dass du das nicht bist.“

„Warum erwähnst du das Wort dann überhaupt?“ Sebastian ging nach nebenan ins Wohnzimmer und holte eine Kristallkaraffe mit Brandy von dem gläsernen Barwagen.

„Du solltest wahrscheinlich besser nichts trinken mit deinen Medikamenten“, warnte Nolan ihn.

„Mist“, murmelte Sebastian frustriert und stellte die Karaffe grob auf der Küchentheke ab. Am liebsten hätte er sie an die Wand geworfen.

Er zog das Rezept, das die Ärztin ihm ausgestellt hatte, aus seiner Tasche und legte es auf den Küchentresen. Dann setzte er sich seufzend.

„Du hast nicht die Absicht, dieses Rezept einzulösen, oder?“ Nolan setzte sich neben ihn.

„Ich kann meine Arbeit nicht machen, wenn ich unter Beruhigungsmitteln stehe“, brummte Sebastian.

„Das ist eine bescheuerte Ausrede. Eine Menge Leute in hochrangigen Jobs nehmen Medikamente gegen Angstzustände“, konterte Nolan. „Man nennt das: sich um seine mentale Gesundheit kümmern.“

Sebastian antwortete nicht.

„Und was ist mit den anderen Empfehlungen der Ärztin?“, drängte Nolan.

Sebastian holte zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank und reichte Nolan eine davon. „Siehst du? Ich trinke bereits mehr Wasser.“

Nolan musterte ihn finster. „Na, großartig. Und wie wäre es mit einer Auszeit von der Arbeit?“

Sebastian wollte seinem Bruder gerade sagen, dass er sich seine Idee von einer Auszeit sonst wohin stecken konnte, als eine Textnachricht auf seinem Handy aufleuchtete.

Obligatorische Sitzung zur Erörterung der schnellstmöglichen Einführung neuer Unternehmensleitlinien. Montag, zehn Uhr.

Sebastian umklammerte instinktiv die geöffnete Plastikflasche, und das Wasser sprudelte heraus und landete auf seiner Hose und dem Küchenboden.

Nolan stand auf, schnappte sich eine Handvoll Papiertücher und wischte die Sauerei auf. „Keine guten Nachrichten, nehme ich an.“

Sebastian biss die Zähne zusammen. Sein Herz klopfte hart in seiner Brust, und er spürte, wie sein Blutdruck stieg. Anspannung zog sich wie ein Band aus Eisen um seine Stirn.

Er atmete ein paar Mal tief durch, aber es half nicht wirklich. Dr. Benson hatte recht – er brauchte eine Pause.

Kurzerhand griff er sich sein Handy und schrieb eine E-Mail an die Personalabteilung und die drei Vorstandsvorsitzenden des Multikonzerns, dem Valentine Textiles jetzt gehörte. Er teilte ihnen kurz und sachlich mit, dass er aus gesundheitlichen Gründen ein dreimonatiges Sabbatical nehmen würde.

Dann zeigte er Nolan die E-Mail. „Jetzt zufrieden?“

Nolan nickte. „Noch zufriedener wäre ich, wenn du diese drei Monate in Magnolia Lake verbringen würdest.“

„Ich brauche keinen Babysitter, Nole.“

„Und ich kann mich nicht darauf verlassen, dass du nicht doch wieder bei der Arbeit landest, wenn du hierbleibst. Auf jeden Fall würdest du die ganzen drei Monate damit verbringen, über die Situation zu grübeln. Was nicht gerade …“

„Okay, okay. Ich komme nach Magnolia Lake.“

„Gut. Du kannst bei einem von uns wohnen.“

„Nein, danke.“

„Warum nicht?“

„Weil Dad und Naya mich in den Wahnsinn treiben würden – sie wollen unbedingt, dass ich für das Weingut arbeite. Chandra und Julian haben ein kleines Kind. Und du hast ständig deine Freundin und ihre kichernde achtjährige Tochter zu Besuch.“

Nolan winkte ab. „Schon gut, Miesepeter-Sebastian.“ Den Spitznamen hatte Naya Sebastian vor Jahren verpasst. „Und wo willst du dann bitte wohnen?“

„Hat Parkers Frau Kayleigh nicht erzählt, dass sie ein kleines Hotel in der Stadt eröffnen will?“

Parker war einer der Überraschungscousins, die sie vor einem Jahr kennengelernt hatten.

„Stimmt“, sagte Nolan. „Es müsste schon offen sein.“

„Glaubst du, sie wären bereit für einen Gast, der drei Monate bleibt?“

„Warum nicht?“ Nolan schenkte ihm ein warmes Lächeln.

Sebastian seufzte. Drei Monate … In dieser Zeit konnte eine Menge passieren.

Evelisse Jemison tippte den Sicherheitscode der Eingangstür ein und betrat die Villa ihres Chefs in den Hollywood Hills. Sie legte die Anzüge, die sie aus der Reinigung abgeholt hatte, vorsichtig auf einer Kommode im Flur ab und begutachtete dann stirnrunzelnd das Chaos in der Küche und im großen Salon.

Ihr Chef, Fabian Gathers, war ein brillanter Regisseur. Er war aber auch ein ziemlicher Idiot, der mit seinen fünfundfünfzig Jahren noch immer so lebte wie ein unreifer und verantwortungsloser Student.

Es gab eine Reihe von Ex-Frauen und ehemaligen persönlichen Assistenten, die das bestätigen konnten. Evvy war sich nicht sicher, ob die Tatsache, dass sie seit fast drei Jahren Fabians persönliche Assistentin war, sie furchtlos, verzweifelt oder wahnsinnig gemacht hatte. Wahrscheinlich eine ungute Kombination aus allen drei Dingen.

Ihr Aufstieg zur persönlichen Assistentin im Alter von einundvierzig Jahren bedeutete gleichzeitig, dass Evvys Karriere als Schauspielerin – die nie wirklich in Gang gekommen war – ihren offiziellen Tod gestorben war. Und zwar ohne Hoffnung auf Wiederauferstehung.

Evvy hatte diesen Job angenommen, weil Fabian in der Klemme steckte – er hatte gerade eine andere Assistentin verloren. Und weil er ihr versprochen hatte, dass diese Position zu einem Job hinter den Kameras führen würde – Regieassistentin oder vielleicht sogar als Produzentin.

Das war nie passiert.

Wann immer Evvy ihren Chef jetzt sanft an sein Versprechen erinnerte, verhielt er sich, als ob sie ihn verraten und im Stich lassen wolle. Er wirkte sogar entrüstet, wenn sie sich hin und wieder mal ein paar Urlaubstage nahm. Zum Beispiel, als sie zu der Hochzeit ihrer jüngeren Schwester in ihren Heimatort Magnolia Lake gefahren war. Oder als sie dem ersten Spatenstich beiwohnte, der den Auftakt zum Bau eines kleinen Hotels gab – ein Hotel, das ihre Schwester zum Gedenken an ihre Mutter eröffnen wollte.

Evvys Handy vibrierte. Sie zog es aus ihrer Gesäßtasche. Es war eine Nachricht von Fabian.

Da du schon mal da bist, könntest du ein bisschen aufräumen? Marla kann nicht kommen, und du weißt, wie sehr ich es hasse, wenn Fremde in meiner Wohnung herumwühlen.

Evvy holte tief Luft und biss die Zähne zusammen. Jetzt durfte sie auch noch die Haushälterin für ihn spielen?!

Sie stieß eine Reihe von Schimpfwörtern aus, die ihre Großmutter dazu gebracht hätten, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen.

Doch dann hängte sie zähneknirschend die gereinigten Anzüge in den Schrank, zog sich Putzhandschuhe an und erinnerte sich selbst daran, dass Fabian zwar ein Idiot war, sie aber sehr gut bezahlte. Sie schnappte sich einen Müllbeutel und machte eine kurze Bestandsaufnahme. Es war ein entsetzliches Durcheinander, ein wahrer Schweinestall – mit einer erstklassigen Aussicht vor den Fenstern. Und was zum Henker war dieser Geruch?

Evvy hatte fast einen ganzen Müllbeutel gefüllt, als ihr Telefon klingelte. Sie zog ihre Handschuhe aus und nahm den Videoanruf ihrer kleinen Schwester entgegen.

„Hey du.“ Trotz des unangenehmen Geruchs, dessen Ursache Evvy noch immer nicht auf die Spur gekommen war, musste sie lächeln, als Kayleighs Gesicht auf dem Bildschirm erschien. „Was gibt’s?“

Sie und Kayleigh hatten sich über die Jahre etwas entfremdet. Nicht, weil Evvy ihre Schwester nicht geliebt hätte. Doch das College war ihr Weg gewesen, dem Trauma ihrer Kindheit zu entkommen. Dem Alkoholismus ihres Vaters. Der Passivität ihrer Mutter, die alles mitgemacht und gestützt hatte. Dem Mitleid, das einem als Tochter eines stadtbekannten Säufers von den Leuten entgegengebracht wurde. Der Scham …

Sie hatte damals gar nicht schnell genug aus der Stadt verschwinden können. Und sie distanzierte sich von allem, was sie an diesen schrecklichen Schmerz erinnerte – auch von ihrer Familie. Jetzt, da ihre Eltern verstorben waren, gab es nur noch sie und Kayleigh, und sie waren sich in den letzten Jahren wieder etwas nähergekommen. Evvy gab sich viel Mühe, eine gute Schwester zu sein und wiedergutzumachen, dass sie Kayleigh vor all den Jahren im Stich gelassen hatte.

„Erstens … bitte bleib ganz ruhig“, sagte Kayleigh.

„Das ist keine gute Einleitung.“ Evvy fuhr sich nervös mit der Hand durch ihre wilden, kupferroten Locken – sie und ihre Schwester hatten beide die Haarfarbe ihrer Mutter geerbt. Plötzlich kamen Erinnerungen in Evvy hoch – wie ihre Mutter sie angerufen hatte, um ihr mitzuteilen, dass ihr Vater im Sterben lag. Wie Kayleigh ein paar Jahre später angerufen hatte, um ihr dasselbe von ihrer Mutter zu sagen. Evvys Magen verkrampfte sich. „Bitte sag mir, dass es dir gut geht!“

Kayleigh zögerte. „Ziemlich.“

„Was um Himmels willen bedeutet das?“

„Das bedeutet, dass ich gestürzt bin, als Parker und ich mit Cricket Mountainbike gefahren sind“, sagte Kayleigh verlegen.

„Hast du dich verletzt?“

„Ich hab mir den linken Arm gebrochen. An zwei Stellen.“ Kayleigh hielt ihren Arm, den sie in einer Schlinge trug, in die Kamera. Dann schwenkte sie das Telefon hinunter zu ihrem eingegipsten Bein. Ihre Golden-Retriever-Hündin Cricket lag neben ihr. „Und mein rechtes Bein.“

Evvy presste schockiert eine Hand auf den Mund.

„Du fährst doch ständig Mountainbike. Wie ist das passiert?“

„Cricket war an meinem Fahrrad angebunden. Sie wurde von einem Eichhörnchen erschreckt und wollte ihm hinterherjagen“, erzählte Kayleigh. „Parker arbeitet jetzt von zu Hause aus und kümmert sich ganz toll um mich.“ Sie senkte ihre Stimme und flüsterte: „Er ist so lieb … aber er treibt mich auch in den Wahnsinn.“

Auf Kayleighs schönem Gesicht lag ein Lächeln voller Liebe.

Es war süß – aber irgendwie auch ein bisschen frustrierend, wenn man Evvys eigenen Beziehungsstatus bedachte.

„Lass mich wissen, wenn ich etwas für dich tun kann.“ Evvy klemmte ihr Handy ans Ohr und trug einen Stapel schmutziger Teller in die Küche.

„Es gibt tatsächlich etwas, bei dem ich deine Hilfe gebrauchen könnte.“

„Du musst es nur sagen.“ Evvy legte das Telefon auf dem Küchentresen ab und begann, die Teller in die Spülmaschine zu räumen.

„Du müsstest das Hotel führen, bis ich wieder auf den Beinen bin.“

„Moment mal …“ Evvy richtete sich auf und stützte sich auf der Arbeitsfläche ab. „Du willst, dass ich hier alles stehen und liegen lasse und zurück nach Magnolia Lake ziehe?“

„Ja.“ Kayleigh lachte nervös. „Für drei Monate.“

„Parker hat doch so eine große Familie. Kann niemand von denen einspringen? Oder könntest du vielleicht jemanden einstellen?“

Evvys Schwager und seine Familie waren sehr wohlhabend. Ihnen gehörte die King’s Finest Distillery, eine weltbekannte Destillerie, die Bourbon und andere hochwertige Spirituosen herstellte. Und auch Kayleighs eigenes Business – Schmuckdesign – hatte sich gut entwickelt. Sie könnten es sich doch sicher leisten, jemanden einzustellen, der das Hotel leitete, bis Kayleigh wieder voll einsatzfähig war.

„Parkers Familie ist damit beschäftigt, King’s Finest und all die anderen Unternehmen zu leiten. Und meine Teilzeitkraft Mariana ist großartig, aber sie ist neu in der Hotelbranche. Sie kann ein so großes Projekt nicht allein stemmen. Außerdem soll dieses Hotel das Andenken von Mama in Ehren halten“, fuhr Kayleigh fort. „Einer von uns beiden sollte da sein und das Hotel repräsentieren. Ich bitte dich nicht um einen kostenlosen Gefallen, Evvy. Ich würde dich bezahlen. Vielleicht verdienst du nicht so viel wie bei Fabian, aber ich stelle deine Verpflegung, das Apartment über meinem Atelier, den Jeep …“

„Fährt das alte Ding überhaupt noch?“

„Besser denn je. Deine Reisekosten übernehme ich natürlich auch.“

„Fabian wird mir niemals drei Monate freigeben, Kayleigh. Wenn ich das übernehme, habe ich wahrscheinlich keinen Job mehr, zu dem ich zurückkehren kann.“ Evvy machte sich wieder an das Einräumen der Teller.

„Gut! Fabian hat dich sowieso nicht verdient.“

„Ich weiß“, gab Evvy zu. „Aber in L.A. sind Jobs in der Filmbranche nicht so leicht zu bekommen für vierundvierzigjährige Frauen.“

„Diese ganze Stadt hat dich nicht verdient!“ Kayleigh beugte sich hinunter, um beruhigend Crickets Schnauze zu küssen. Der Hund lag mit dem Kopf auf ihrem Schoß und war wahrscheinlich bei ihrem überschwänglichen Ausruf aufgeschreckt. „Gibt es für dich überhaupt noch einen Grund, in L.A. zu bleiben? Komm nach Hause, Evs. Wir vermissen dich.“

Schuldgefühle überschwemmten Evvy, und ihr Bauch zog sich zusammen. Es war schön gewesen, Parker und seine Familie in der Woche der Hochzeit kennen zu lernen. Die Abbotts hatten ihr das Gefühl gegeben, Teil ihrer Familie zu sein. Und sie mochte auch deren erweiterte Familie – die Valentines.

Es war eine lustige Woche gewesen. Aber sie konnte noch immer nicht verhindern, dass ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg, sobald sie in der Stadt auf Menschen traf, die die Geschichte ihrer Familie kannten.

„Ich vermisse dich auch, Schwesterherz.“ Evvy schloss den Geschirrspüler und schaltete ihn ein. „Und ich möchte dir wirklich helfen. Aber kannst du mir ein paar Tage Bedenkzeit geben?“

„Natürlich“, sagte Kayleigh.

„So oder so, wir sehen uns in einer Woche bei der großen Eröffnung.“

„Gut.“ Kayleigh schenkte ihr ein trauriges Lächeln. „Hab dich lieb, Schwesterherz.“

„Ich liebe dich auch.“ Evvy beendete das Gespräch, ging in den Salon und ließ sich schwer seufzend auf das teure Sofa sinken.

Gibt es für dich überhaupt noch einen Grund, in L.A. zu bleiben?

Brutale Ehrlichkeit war das Markenzeichen ihrer Schwester. Und obwohl Evvy wusste, dass Kayleigh nur helfen wollte, taten deren Worte so weh, als hätte ihr jemand ins Gesicht geboxt.

„Sei nicht so dramatisch, Evelisse Jemison“, flüsterte sie sich selbst zu. „Es könnte schlimmer sein.“

Aber als sie sich jetzt in dem noch immer wüst aussehenden Wohnzimmer ihres Chefs umschaute, hatte sie das Gefühl, dass ihre Karriere wirklich den absoluten Tiefpunkt erreicht hatte.

Wie war das hier nur ihr Leben geworden?

Evvy schüttelte den Kopf. Kayleigh hatte vollkommen recht – Fabian hatte sie nicht verdient. Und diese Stadt, die voller Erinnerungen an ihren Ex-Freund Calvin war, auch nicht.

Sie brauchte einen Neuanfang. Vielleicht konnte sie die Zeit in Magnolia Lake nutzen, um herauszufinden, wo ihre Reise als Nächstes hingehen sollte.

2. KAPITEL

Sebastian fuhr mit seinem schwarzen BMW auf den Parkplatz des Sweet Magnolia Inn. Es war jetzt zwei Wochen her, dass er in der Notaufnahme gelandet war. Und natürlich machte er sich Sorgen um seine Gesundheit. Doch wenn er ehrlich war, hatte etwas anderes den Ausschlag für seine Entscheidung gegeben: Er hoffte, durch seine Auszeit die Umsetzung der aus seiner Sicht unsinnigen Veränderungen innerhalb von Valentine Textiles zu verzögern.

Sich nach Magnolia Lake zurückzuziehen, würde ihm die nötige Ruhe verschaffen, auf die die Ärztin bestanden hatte – und den Raum, um ohne Zeitdruck seine nächsten strategischen Schritte zu planen.

Er stieg aus dem Auto und atmete die erfrischende Bergluft ein. Die Gartenanlage bestand aus einer Mischung aus jungen und älteren Magnolienbäumen und einer Vielzahl von Sträuchern, von denen einige auch jetzt im Oktober noch blühten. In den Kiefern am Rand des Grundstücks zwitscherten fröhlich die Spatzen.

Sebastian holte sein Gepäck aus dem Kofferraum und machte sich auf den Weg zu der hellgelben Eingangstür des kleinen Hotels. Überall standen Keramiktöpfe mit Stiefmütterchen, Veilchen und ihm unbekannten Blumen in leuchtenden Orange- und Gelbtönen.

Als er die Lobby betrat, wurde er von dem Duft von frischem Brot, Zimt und Apfelwein begrüßt. Er schloss für einen Moment die Augen, und die Anspannung in seinem Rücken und seinen Schultern schien sich ein wenig zu lösen. Vielleicht hatte Nolan ja doch recht, und Magnolia Lake war genau der richtige Ort für ihn, um die so dringend benötigte Ruhe zu finden.

„Sebastian?“

Er öffnete die Augen und blinzelte. War die Frau, die vor ihm stand, echt? Oder war sie nur eine Fantasie, eine süße Erinnerung an eine mehr als ein Jahr zurückliegende Begegnung?

„Evelisse?“

„Du erinnerst dich.“ Sie lächelte ihn verschmitzt an, und ihre braunen Augen funkelten.

Er betrachtete ihre vollen Lippen, die in einem tiefen Rosaton geschminkt waren. Den schwarzen Rollkragenpullover und die hellbraunen Leggings, die ihre Kurven perfekt umschmeichelten. Vor seinem inneren Auge tauchte kurz das Bild auf, wie sie ihm vor über einem Jahr ihre Telefonnummer gegeben hatte.

„Natürlich erinnere ich mich“, sagte er fast schon aufgebracht.

Wie hätte er Evelisse Jemison jemals vergessen können?

Er hatte sie auf einem festlichen Abendessen kennengelernt, zu dem sein Cousin und dessen Ehefrau Duke und Iris Abbott geladen hatten. Und er hatte oft an sie und diesen unglaublichen Abend denken müssen.

Aber Evelisse hatte seinen Tonfall offensichtlich missverstanden, denn ihr Lächeln erstarb, und sie ließ die schmalen Schultern hängen.

Mist.

Er hatte nur vier Worte gesagt, und schon hatte er sie vor den Kopf gestoßen.

Der ewige Refrain seiner Ex-Frau hallte in seinem Kopf wider: Warum fühlen die Menschen sich eigentlich bei jedem Wort, das du von dir gibst, wie inkompetente Idioten?

Sollte er sich entschuldigen? Oder ihr erklären, dass er gemeint hatte, dass er jemanden, der so faszinierend und schön war wie sie, unmöglich vergessen könnte?

„Du bist also der mysteriöse S. V., der hier ein Zimmer gebucht hat.“ In ihrem höflichen Tonfall war nichts mehr von der aufrichtigen Freude, die er zu Beginn wahrgenommen hatte. Sie musterte ihn fragend.

„Ich wollte nicht, dass meine Schwestern Wind davon bekommen, dass ich in die Stadt komme.“

„Normalerweise geben wir die Namen unserer Gäste nicht in der Lokalzeitung bekannt.“ Sie hob das Kinn und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Aber deine Schwester ist mit meinen Schwestern befreundet.“

„Du dachtest also, meine Schwester würde deine Privatsphäre verletzen und deinen Schwestern erzählen, dass du ein Zimmer bei uns gebucht hast?“

Ihre Nasenlöcher weiteten sich, und die Wärme war aus ihren schönen braunen Augen verschwunden.

„Nein, natürlich nicht. Ich habe nur …“

Sebastian stöhnte leise auf. Natürlich hatte er befürchtet, Kayleigh würde Chandra und Naya verraten, dass er in die Stadt kam. Er wusste, dass er nicht besonders redegewandt war, aber in diesem Moment schienen ihm seine sozialen Kompetenzen besonders schlecht ausgeprägt zu sein.

„Bitte entschuldige, falls ich dich gekränkt habe. Das war nicht meine Absicht.“ Sebastian zwang sich zu einem Lächeln, das sich irgendwie unnatürlich anfühlte, obwohl es aufrichtig gemeint war. Er steckte verlegen die Hände in die Taschen. „Es ist nur … ich liebe meine Schwestern, aber sie können ein bisschen anstrengend sein. Deshalb wollte ich nicht, dass sie wissen, dass ich komme.“

„Entschuldigung angenommen.“ Ihr harter Blick ließ ihn daran zweifeln, dass sie seine stümperhafte Erklärung wirklich akzeptierte. „Also, willkommen im Sweet Magnolia Inn. Ich werde dein Gepäck auf dein Zimmer bringen lassen, sobald du eingecheckt hast.“

„Warum denn das?“ Sebastian hatte Nolan das Versprechen abgenommen, seine gesundheitlichen Probleme nicht an die Familie weiterzugeben, es sei denn, es wäre absolut notwendig. Und schon gar nicht an mehr oder weniger fremde Menschen. „Hat mein Bruder irgendetwas gesagt? Dass ich eine Sonderbehandlung brauche oder so?“

Evelisse starrte ihn stirnrunzelnd an. „Nein. Hätte er das tun sollen?“

„Absolut nicht! Ich kann mich sehr gut selbst um mein Gepäck kümmern.“

Sie starrte ihn an. „Wie du möchtest.“

Sebastian verfluchte sich im Stillen – es war offensichtlich, dass er sie schon wieder verärgert hatte.

Als sie mit dem Einchecken fertig waren, führte Evvy ihn die elegante Treppe hinauf und zu einer Tür am Ende des Flurs.

„Das hier ist eins unserer größeren Luxuszimmer.“ Sie öffnete die Tür und trat ein. „Da du ja eine Weile bei uns bleiben wirst.“

Sebastian folgte ihr und schaute sich in dem großen, offensichtlich nagelneuen Zimmer um. Die Einrichtung war erstklassig, und das großzügige Badezimmer wirkte fast wie ein Luxus-Spa. Es duftete fast unmerklich nach Äpfeln und Zimt.

„Das hier …“, sie deutete auf eine Liege und einen kleinen Couchtisch, „… ist einer meiner Lieblingsplätze im ganzen Hotel. Es ist der perfekte Ort, um deinen Morgenkaffee zu trinken und die neueste Biografie zu lesen.“

Sebastian stellte sein Gepäck neben dem großen Bett ab. „Du hast also nicht vergessen, dass ich gern lese.“

Evelisse errötete leicht. Sie war noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. „Wahrscheinlich, weil ich selbst Bücher liebe. Allerdings mag ich weniger Sachbücher und Biografien …“

„… als Spannung, Thriller und Mystery-Geschichten. Mit einer ordentlichen Portion Romantik.“ Sebastian legte den Kopf schief und schaute ihr in die Augen.

„Stimmt.“ Ein echtes Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Ich fahre einmal die Woche nach Gatlinburg. Wenn du etwas aus dem Buchladen dort brauchst … ich meinte, wenn wir … Also, ich kann gern etwas für dich abholen dort.“ Ihr Blick wanderte durch den Raum, als suche sie krampfhaft etwas, das sie anschauen konnte – um nicht ihn anschauen zu müssen.

Sebastian klopfte auf die Ledertasche, die auf seinem Rollkoffer lag. „Ich denke, ich bin gut versorgt. Ich plane, viel zu lesen, und habe einen ganzen Stapel Bücher dabei.“

„Dann werde ich dafür sorgen, dass du nicht gestört wirst.“

„Okay, stopp mal kurz bitte.“ Er formte ein T mit seinen Händen. „Ich weiß deine Professionalität zu schätzen, aber …“

Er bemühte sich zu lächeln, wohl wissend, dass seine Schwestern ihm immer vorwarfen, dass sein neutraler Gesichtsausdruck wirkte, als hätte er schlechte Laune. „Wir müssen ja nicht so tun, als würden wir uns überhaupt nicht kennen, oder? Wenn ich mich richtig erinnere, nennst du dich Evvy, oder?“

„Evvy, Evelisse … geht beides. Und nein, wie müssen nicht so tun, als würden wir uns nicht kennen.“ Ihre Augen folgten ihm, als er sich auf das Bett setzte, und er hatte den Eindruck, dass sich die Röte ihrer Wangen vertiefte. „Äh, also … ja, dann … Nochmals, willkommen im Sweet Magnolia Inn, Sebastian. Ich bin unten, falls du irgendetwas brauchst.“

Sebastian seufzte leise, als Evvy sich zum Gehen wandte. Er hatte sie vom ersten Moment an gemocht. Es war nur ein harmloser Flirt gewesen, und mehr war nicht daraus geworden. Sie waren beide nur für eine Woche in der Stadt gewesen, und er hatte Wichtiges zu tun gehabt. Wie zum Beispiel seinen Vater davon zu überzeugen, dass er die Textilfirma der Familie nicht verkaufen solle. Oder dass er den Plan aufgab, ein heruntergekommenes Weingut zu einem neuen Familienimperium zu machen.

Seit dieser Zeit vor einem Jahr hatte er Evvy nicht mehr gesehen oder mit ihr gesprochen. Aber er hatte oft an sie gedacht. Doch jetzt, wo sie vor ihm stand, war er offenbar nicht in der Lage, einen einzigen zusammenhängenden Satz zu formulieren, der nicht komplett falsch rüberkam.

„Ich dachte, du wärst zurück nach Kalifornien gegangen“, sagte er schnell.

Evvy drehte sich wieder zu ihm um. „Das bin ich auch.“

„Und wie lange wirst du jetzt in Magnolia Lakes sein?“

„Bis zum Ende des Jahres.“ Evvy zuckte mit den Schultern. „Genauso lange wie du. Meine Schwester hat sich beim Mountainbiken verletzt und mich gebeten, sie hier zu vertreten.“

„Oh, das tut mir leid. Also, das mit Kayleigh“, sagte Sebastian. „Aber es ist wirklich schön, dich wiederzusehen, Evvy.“

Evvys Gesicht verzog sich zu einem halben Lächeln. „Und was führt dich für so eine lange Zeit hierher?“

Bei dem Gedanken an all das, was ihn hierhergebracht hatte, machte sich sofort wieder ein unangenehmer Druck in Sebastians Brust breit.

Er rieb sich das Kinn. „Ist eine lange Geschichte.“

„Nun, was auch immer der Grund ist, ich hoffe, du genießt deinen Aufenthalt hier.“ Ihr Tonfall war wieder neutral geworden. Sie griff nach dem Türknauf.

„Gehst du mit mir essen?“ Sebastians Herz klopfte wie wild, als sie sich mit erstaunt aufgerissenen Augen zu ihm umdrehte.

„Heute Abend?“

„Ich dachte eher an dieses Wochenende.“ Er lachte nervös. „Ich werde schließlich eine Weile hier sein.“

„Ich fühle mich geschmeichelt, dass du mich gefragt hast … nach einem Jahr.“ Die letzten Worte flüsterte sie fast. „Weißt du, damals hätte ich gern Ja gesagt. Aber jetzt leite ich dieses Hotel. Und ich habe schon ein paar andere Einladungen abgelehnt. Sich mit Gästen zu verabreden, wäre unprofessionell und ein schlechtes Vorbild für das Personal. Ich hoffe, du verstehst, dass das leider nicht geht.“

„Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen. Ich hätte dich um ein Date bitten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Ich wünsche dir einen schönen Abend, Evvy.“

„Wünsche ich dir auch, Sebastian.“ Er hatte den Eindruck, dass sich hinter ihrem Lächeln ein Hauch von Bedauern versteckte. „Ich hoffe, wir sehen uns morgen beim Frühstück. Unser Frühstücksbuffet ist von sieben bis elf geöffnet.“

Er sah zu, wie sie mit einem sanften Schwung ihrer Hüften aus dem Zimmer ging. Dann ließ er sich wieder auf das Bett sinken und atmete den leichten Blumenduft ein, den sie zurückgelassen hatte.

Er hatte seine Chance bei Evvy vertan – aber wahrscheinlich war es besser so. Er hatte mehr als genug um die Ohren. Sich mit Evvy einzulassen, würde die Sache nur noch komplizierter machen. Er sollte dankbar sein, dass sie ihm eine Abfuhr erteilt hatte.

Aber warum freute er sich dann so sehr darauf, sie morgen beim Frühstück wiederzusehen?

3. KAPITEL

„Kayleigh, als du mich gebeten hast, für dich einzuspringen … Hast du da gewusst, dass Sebastian die nächsten drei Monate hier sein würde?“ Evvy hatte ihr Handy auf Lautsprecher gestellt und marschierte aufgebracht in dem kleinen Büro hinter der Rezeption hin und her.

„Sebastian Valentine?“ Kayleigh klang, als würde sie sich an ihrem Kaffee verschlucken. „Der wohnt bei uns im Hotel?“

„Ja. Er ist dieser mysteriöse S. V. Willst du behaupten, dass du keine Ahnung davon hattest?“, fragte Evvy ungläubig.

„Nein, Evs, ich schwöre, ich höre zum ersten Mal davon. Und ich hätte ganz sicher keine dreimonatige Reservierung für jemanden angenommen, der nur seine Initialen preisgibt“, sagte Kayleigh. „Das muss Mariana gewesen sein.“

„Hm.“ Evvy ließ sich auf den Bürostuhl hinter dem Schreibtisch aus Echtholz sinken.

„Was glaubst du denn, Evs? Dass ich mir das Bein gebrochen und den Arm zertrümmert habe, um euch zu verkuppeln?“ Kayleigh lachte. „Ich liebe dich, Schwesterherz. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es weniger schmerzhafte Wege gibt, meine Schwester an den Mann zu bringen. Außerdem muss man beim Verkuppeln subtil vorgehen. Und wir wissen beide, dass das nicht gerade meine Stärke ist.“

Das war allerdings wahr.

„Trotzdem. Du hast mich gebeten, für drei Monate zu kommen. Er bleibt für drei Monate. Du bist mit seinen Schwestern befreundet. Und deine beste Freundin Savannah hat gerade einen Sommerjob für ihre Schwester bei Valentine Vineyards arrangiert. Dann wohnt Laney plötzlich dauerhaft in Magnolia Lake und ist mit Nolan Valentine zusammen.“ Evvy zählte die einzelnen Punkte an ihren Fingern ab, als ob Kayleigh sie sehen könnte. „Kannst du mir verübeln, dass ich ein bisschen misstrauisch bin?“

„Wenn du es so ausdrückst, dann wohl nicht“, gab Kayleigh zu. „Ich kann nicht glauben, dass Chandra und Naya nicht erwähnt haben, dass Sebastian in die Stadt kommen wollte. Chandra und das Baby waren doch gestern erst hier. Ich spreche nachher gleich mit ihr. Sie hätten mich wirklich vorwarnen können.“

„Nein! Nicht!“ Evvy umklammerte die Armlehnen des Bürostuhls „Er will sie überraschen. Deshalb hat er nur seine Initialen angegeben.“

Wahrscheinlich hatte Sebastian doch recht gehabt, als er anonym gebucht hatte. Ein Punkt für ihn.

„Na gut“, sagte Kayleigh mit einem schmollenden Unterton. Sie klang wie damals, als sie Kinder waren und Evvy ihr nichts mehr von ihren Halloween-Süßigkeiten abgeben wollte. „Ist Sebastian immer noch so ein Miesepeter?“

„Ja.“ Evvy dachte daran, wie er sie angeschnauzt hatte, als sie überrascht reagiert hatte, weil er sich an ihren Namen erinnerte. Als ob die Vorstellung, dass er irgendetwas vergessen könnte, absurd wäre. „Und nein.“

„Okay, ich versteh nur Bahnhof.“

„Er war erst spröde und abweisend. Dann hat er sich entschuldigt, weil er angenommen hatte, dass du seinen Besuch sofort an seine Schwestern weitertratschen würdest …“

„Was ich auch getan hätte …“, warf Kayleigh ein.

„Okay, gut zu wissen. Dann, als ich sein Zimmer verlassen wollte …“

Kayleigh räusperte sich demonstrativ. „Du warst in seinem Zimmer?“

„Er wollte nicht, dass jemand sein Gepäck hochbringt. Also habe ich ihn begleitet und ihm alles gezeigt.“ Hitze breitete sich auf Evvys Wangen aus. Sie war froh, dass sie beschlossen hatte, ihre Schwester nicht per Videocall anzurufen.

„Du hast ihm alles gezeigt, hm? Begleitest du die anderen Gäste auch auf ihre Zimmer, um ihnen alles zu zeigen?“ Kayleigh brach in Kichern aus.

„Ganz sicher nicht.“ Evvy erhob sich nervös und begann wieder hin und her zu gehen. „Aber er wird eine Weile bei uns bleiben. Ich wollte, dass sein Aufenthalt einen guten Anfang hat. Wir sind neu in der Hotelbranche. Jeder Gast ist wichtig, aber Langzeitgäste können schließlich besonders lukrativ für das Hotel sein“, ratterte Evvy herunter.

„Es tut mir leid. Ich wollte dich nur aufziehen“, sagte Kayleigh entschuldigend, aber Evvy konnte hören, dass sie noch immer grinste. „Erzähl weiter.“

„Dann hat er plötzlich angefangen, Smalltalk zu machen. Hat gefragt, wie lange ich bleibe und so.“

„Mir gefällt, wohin das führt.“ Kayleigh kicherte wieder.

„Sollte man meinen, oder? Aber dann frage ich ihn, was ihn in die Stadt gebracht hat, und er wird wieder ganz verschlossen. Also denke ich, er will seine Ruhe haben … und will das respektieren und gehen. Und dann lädt er mich zum Essen ein.“

„Machst du Witze?“

„Nein. Ich war genauso baff wie du. Das war das Letzte, was ich erwartet hatte.“

„Schätze, ich bin besser in dieser Verkupplungsbranche, als ich dachte.“

„Nicht lustig, Kayleigh Jemison Abbott.“ Evvy stand am Fenster und schaute auf das bewaldete Grundstück, welches das Gasthaus umgab. „Und genau deshalb habe ich Nein gesagt.“

„Du hast Nein gesagt?! Warum? Ich zitiere: Er mag etwas miesepetrig sein, aber ich finde ihn faszinierend. Und er hat einen wahnsinnig süßen Po.“ Kayleigh ahmte den Klang von Evvys Stimme erstaunlich gut nach.

„Okay, okay. Ich weiß, was ich damals gesagt habe“, lachte Evvy. „Aber zu meiner Verteidigung muss ich erwähnen, dass ich an dem Abend eine ganze Menge von diesen tollen Weinen von Valentine Vineyard probiert habe.“

„Schieb das nicht auf den Alkohol, Evs. Ich war dabei, als ihr euch zum ersten Mal gesehen habt. Da hat es ganz schön geknistert. Ihr wart beide wie hypnotisiert. Und praktisch unzertrennlich an diesem Abend.“

Es war wirklich ein toller Abend gewesen. Als Evvy Sebastian das erste Mal gesehen hatte, hatte er allein und finster vor sich hinstarrend an einer Wand gelehnt. Aber als sie einander kurz darauf vorgestellt wurden und er ihr die Hand geschüttelt hatte …

Evvy starrte auf ihre offene Handfläche, die plötzlich genauso warm kribbelte wie in diesem Abend vor über einem Jahr. Sie würde es Kayleigh gegenüber niemals zugeben, aber diese Nacht hatte etwas fast Magisches für sie gehabt. Und obwohl Sebastian anfangs etwas unbeholfen und zurückhaltend gewesen war, war er schnell aufgetaut, und Evvy hatte ihn als warm und liebenswürdig erlebt. Sein trockener Sinn für Humor brachte sie immer wieder zum Lachen, und sie erzählten sich lustige Geschichten über ihre Geschwister und bemitleideten sich für ihre nicht gerade ideale Kindheit.

Sie waren beide etwa eine Woche in der Stadt gewesen, um ihre jeweiligen Familien zu besuchen, und Evvy war sich sicher gewesen, dass es zwischen ihnen gefunkt hatte. Sebastian hatte sie dann auch nach ihrer Nummer gefragt – aber er hatte nie angerufen. Zu sagen, sie sei enttäuscht gewesen, wäre eine grobe Untertreibung.

„Je mehr ich über ihn nachdenke, desto weniger überrascht es mich, dass er dich nach einem Date gefragt hat“, sagte Kayleigh. „Und damals wäre das Timing nicht gut gewesen. Du hattest Calvin noch nicht aus deinem System bekommen.“

„Das mit Calvin ist jetzt definitiv Geschichte. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich gleich in eine neue Beziehung stürzen muss. Ich bin sehr zufrieden damit, Single zu sein, vielen Dank. Außerdem wird Sebastian nicht in Magnolia Lake bleiben, Kayleigh. Und ich auch nicht. Was hätte das Ganze für einen Sinn?“

„Muss es denn unbedingt Sinn ergeben?“, fragte Kayleigh. „Warum kann es nicht einfach nur Spaß machen?“

„Ich bin nicht in die Stadt gekommen, um etwas mit Sebastian Valentine anzufangen“, sagte Evvy fest. „Ich bin hier, um dich zu entlasten, bis es dir besser geht. Und um diesem Hotel einen richtig guten Start zu ermöglichen. Sind wir uns einig?“

„Vollkommen.“

„Großartig. Ich hatte die Idee, Willkommenskörbe für Langzeitgäste einzuführen. Voll mit Dingen, die den Gästen einige der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt näherbringen. Bourbon der King’s Finest Distillery. Wein von Valentine Vineyards. Schöne Zuckerplätzchen von der Magnolia Lake Bakery – mit dem Logo des Hotels. Ein Geschenkgutschein für das King’s Finest Family Restaurant. Frisches Obst und Blumen von den Lockwood Farms.“

„Klingt fantastisch, Evs.“ Doch Evvy hörte das Zögern in Kayleighs Stimme. „Und sehr teuer.“

„Ich spreche nur von Gästen, die mindestens vier Wochen bleiben. Und wer weiß, vielleicht sind einige der Unternehmen bereit, die Willkommenskörbe zu sponsern.“ Als ihre Schwester nicht antwortete, fuhr sie fort: „Ich dachte, ich könnte vielleicht ein Muster für Sebastian machen. Schließlich ist er unser erster Langzeitgast.“

„Natürlich hast du das gedacht.“ Das Schmunzeln in Kayleighs Stimme war nicht zu überhören.

In ihrem Kopf hörte Evvy die zehnjährige Kayleigh zur Melodie von I Like It von DeBarge singen: You like him, you like him, you really, really like him.

„Okay“, sagte Kayleigh schließlich, jetzt wieder ganz Businessfrau. „Aber denk dran, Miss Hollywood, es geht darum, Geld zu verdienen, nicht darum, es auszugeben. Aber ich muss Schluss machen, unser Abendessen wurde gerade geliefert. Ich liebe dich, Evs.“

„Ich liebe dich auch, Schwesterherz. Gute Besserung.“

Evelisse holte einen Block und einen Stift hervor und notierte sich Ideen für den ersten Geschenkkorb. Sie wusste schon ganz genau, was auf der herzförmigen Karte stehen sollte: Herzlich willkommen im Sweet Magnolia Inn!

Während sie schrieb, versuchte sie, sich selbst daran zu erinnern, dass das hier schlicht und einfach Marketing war und nichts Persönliches. Schließlich kaufte sie nicht für Sebastian ein, sondern für ihren ersten Langzeitgast.

Doch sie konnte nicht aufhören zu lächeln.

Sebastian näherte sich dem hübschen kleinen Bungalow am See, den seine älteste Schwester Chandra mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter bewohnte. Er musste grinsen, als er sich daran erinnerte, wie es war, als er das erste Mal hier gewesen war. Er war Schulter an Schulter mit seinen drei Brüdern auf der Veranda gestanden, um sich zu vergewissern, dass Julian in Bezug auf Chandra keine Hintergedanken hatte.

Doch Julian hatte sich von ihrer Pose nicht einschüchtern lassen. Er war geduldig und respektvoll, aber er machte deutlich, dass er sich Hals über Kopf in ihre Schwester verliebt hatte und sich darauf freute, mit ihr sein Leben zu teilen und eine Familie zu gründen. Die Ehe war noch nicht einmal ein Jahr alt, und bisher hatte Julian zu seinem Wort gestanden. Er hatte Chandra sehr glücklich gemacht.

Sebastian läutete an der Tür.

„Hey, Bas. Schön, dich zu sehen.“ Sein Schwager begrüßte ihn mit einem warmen Händedruck. „Chandra hat gar nicht erzählt, dass du in der Stadt bist.“

„Weil ich nicht wusste, dass er kommen würde!“ Chandra tauchte in der Tür auf, umarmte Sebastian fest und nahm dann den Blumenstrauß und die Flasche Wein entgegen, die er mitgebracht hatte.

Seine jüngere Schwester Naya machte einen entzückten Hopser, als sie das Wohnzimmer betraten.

„Seb! Du hast mir nicht gesagt, dass du kommst!“, rief sie vorwurfsvoll.

„Mir war nicht klar, dass ich dir meinen Aufenthaltsort melden muss, Blondie.“ Er zerzauste ihren kurzen blonden Haarschopf.

„Hey! Nicht die Perücke anfassen, Kumpel.“ Naya trat einen Schritt zurück und zog ihre Perücke wieder zurecht. „Sie mag das gar nicht!“

Alle lachten. Naya liebte ihre Perücken, und sie sprach gern über sie, als wären es Menschen.

Sebastian hatte seine jüngste Schwester immer beschützt. Sie war eine freimütige, bisexuelle Schwarze, die in einer sehr konservativen Gegend aufgewachsen war. Aber Naya konnte sich eindeutig behaupten – auch gegen ihre älteren Brüder. Naya war eine Beauty- und Lifestyle-Influencerin auf Instagram gewesen, bevor sie sich bereit erklärt hatte, für Valentine Vineyards die Rolle der Markenbotschafterin und PR-Managerin zu übernehmen.

„Sebastian, hey. Schön, dich zu sehen.“ Nolan kam auf ihn zu. Er hielt die Hand seiner Freundin Delaney, die als Weinexpertin für Valentine Vineyards arbeitete.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen.“ Sebastian klopfte seinem Bruder auf die Schulter und streckte Delaney die Hand entgegen. Doch die umarmte ihn kurzerhand.

„Komm und sag hallo, Süße.“ Delaney streckte die Hand nach ihrer Tochter Harper aus. Das Mädchen sprang vom Teppich auf und schlang ihre drahtigen Arme um seine Taille, dann stürzte sie zurück zu der Krabbeldecke, auf der Autumn, Chandras und Julians Baby lag.

„Sie ist besessen von Autumn. Und von der Idee, selbst eine kleine Schwester zu haben.“ Laney tauschte ein schüchternes Lächeln mit Nolan aus.

Die beiden waren ein tolles Paar, und Sebastian freute sich ehrlich für seinen Bruder. Gleichzeitig verspürte er eindeutig so etwas wie Neid. Doch er riss sich zusammen und boxte seinen Bruder spielerisch in die Seite.

„Das Verliebtsein steht dir gut, Nole.“

„Danke“, sagte Nolan. „Apropos, ich habe gehört, dass Kayleighs Schwester Evelisse vorübergehend das Magnolia Inn leitet.“

„Ja, sie war da, als ich eingecheckt habe.“ Sebastians Ego war noch immer etwas angekratzt von Evvys höflicher Abfuhr. „Und nur, dass das klar ist: Ich suche nichts Ernstes und sie auch nicht.“

„Das heißt, du hast sie um ein Date gebeten. Und sie hat nein gesagt.“

Es war keine Frage, also antwortete Sebastian nicht.

„Tut mir leid, das zu hören, Mann.“ Nolan rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich war mir sicher …“

„Wir sind beide nur für paar Monaten in der Stadt.“ Sebastian senkte seine Stimme. „Das Ganze hätte sowieso keinen Sinn gehabt.“

„Wenn du das wirklich glaubst, warum hast du sie dann gefragt, ob sie mit dir ausgeht?“

Manchmal hasste Sebastian es, dass sein Bruder so oft recht hatte.

„Hast du vor, mich zu begrüßen, bevor sie mich unter die Erde bringen, Sohn?“, ertönte die Stimme ihres Vaters, Abbott Raymond Valentine.

Sebastian war dankbar, dass er Nolans scharfer Beobachtungsgabe entkommen konnte.

„Wir wissen beide, dass du uns alle überleben wirst, alter Mann.“ Er ließ sich neben seinem Vater auf das Sofa sinken und umarmte ihn fest. „Wie ist es dir ergangen?“

„Sehr gut, mein Sohn.“ Sein Vater blickte sich stolz im Zimmer um und betrachtete seine Familie. „Jetzt, wo du auch hier bist, sogar noch besser. Was haben wir diesen unerwarteten Besuch zu verdanken?“

„Es ist eine Weile her, dass ich mir das letzte Mal eine Auszeit von der Arbeit genommen habe.“ Sebastian zuckte locker mit den Schultern, doch sein Bauch zog sich instinktiv zusammen.

Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er seinem Vater und seinen Schwestern nicht die Wahrheit über seine gesundheitlichen Probleme gesagt hatte. Aber sie waren alle mit ihrem eigenen Leben und dem neuen Weingut beschäftigt. Warum sie unnötig belasten?

„Du hast also beschlossen, hier in Magnolia Lake Urlaub zu machen?“ Sein Vater hob eine Augenbraue.

„Du sagst doch immer, wie schön es hier ist. Außerdem wollte ich Zeit mit meiner Familie verbringen.“

„Du verbringst freiwillig deinen Urlaub hier bei uns?“ Naya tauchte aus dem Nichts auf und baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor dem Sofa auf. „Okay, was ist hier bitte los? Hast du nicht mehr lange zu leben oder was?“

„Naya!“, riefen sein Vater, Nolan und Chandra gleichzeitig.

Sebastian schüttelte den Kopf. „Was für ein Quatsch. Ich brauchte nur eine kleine Pause, das ist alles. Für meine mentale Gesundheit. Also entspann dich, okay?“

Chandra reichte ihrem Vater einen Drink, vermutlich Bourbon und Soda mit Limette, sein Lieblingsgetränk. Dann hob sie die kleine Autumn von ihrer Krabbeldecke hoch und streichelte ihre Wange. „Wie lange wirst du in der Stadt bleiben, Sebastian?“

„Ich dachte bis Ende des Jahres“.

„Toll. Du wirst Weihnachten hier sein!“, rief Naya aufgeregt. „Aber du hättest uns vorwarnen sollen. Dann hätte ich eines der Schlafzimmer in der Villa für dich hergerichtet.“

„Ich wohne im Sweet Magnolia Inn.“

Naya schenkte ihm ein wissendes Lächeln. „Aha, das neue Hotel also. Das zufällig gerade von Kayleighs Schwester Evvy geführt wird …“

„Ich hatte keine Ahnung, dass Evvy in der Stadt ist, bis ich heute angekommen bin.“

Sie grinste breit. „Klar, Kumpel. Was auch immer du sagst.“

4. KAPITEL

„Was ist denn los?“ Evvy betrat besorgt die Küche, wo die Köchin Sofie Braaten gerade ein Donnerwetter auf Norwegisch losließ. Evvy verstand zwar die Worte nicht, aber es war eindeutig, dass Sofie nicht gerade erfreut war.

„Es ist dieser … dieser Mann da draußen. Jeden Tag isst er das gleiche langweilige Frühstück: Haferflocken mit Obst. Jeden einzelnen Tag. Also überrasche ich ihn heute. Ich bereite ihm die absolut perfekten norwegischen Eier zu. Ein wahres Meisterwerk. Und er? Er schickt sie zurück! Weil sie ihm zu ‚fischig‘ sind.“ Sofie war völlig außer sich, und ihre blauen Augen blitzten vor Empörung.

„Na ja, du musst zugeben, dass da Räucherlachs dabei ist, Sofie.“ Evvy versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. Sofie war ein sehr leidenschaftlicher Mensch. „Vielleicht waren die norwegischen Eier ein bisschen zu abenteuerlich für Mr. Valentine.“

Sofie warf die Hände in die Luft und stieß ein paar norwegische Flüche aus.

„Komm, Sofie, warum machst du nicht eine Pause? Und ich bringe ihm sein Müsli. In Ordnung?“

Sofie nickte stumm und legte ihre Schürze ab. „Ja, danke, ich brauche dringend Luft. Ich gehe ein bisschen spazieren.“ Sie zog sich kopfschüttelnd ihren Mantel an und verschwand.

Evvy sah auf die Uhr. Es war kaum sieben Uhr morgens, und Sebastian hatte es bereits geschafft, all ihre Mitarbeiter zu verärgern. Sofie kochte vor Wut, weil er ihr Essen beleidigt hatte. Mariana, die als Kellnerin und Rezeptionistin arbeitete, war außer si...

Autor

Michelle Major
<p>Die USA-Today-Bestsellerautorin Michelle Major liebt Geschichten über Neuanfänge, zweite Chancen - und natürlich mit Happy End. Als passionierte Bergsteigerin lebt sie im Schatten der Rocky Mountains, zusammen mit ihrem Mann, zwei Teenagern und einer bunten Mischung an verwöhnten Haustieren. Mehr über Michelle Major auf www.michellemajor.com.</p>
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Jana De Leon
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