Brenda Jackson Edition Band 15

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EINE SCHARFE SOMMERFANTASIE von BRENDA JACKSON

Als Ellie Weston in das Nachbarhaus am See einzieht, fühlt Uriel Lassiter sofort pures Verlangen. Sie nach all der Zeit wieder zu küssen, ist für den athletischen CEO mehr als nur ein Abenteuer. Aber was, wenn Ellie bloß eine flüchtige Sommeraffäre will?

ZURÜCK IM BETT DES PLAYBOYS von BRENDA JACKSON

Sie kann die lustvolle Affäre mit Xavier einfach nicht vergessen. Kein Wunder, dass Farrah erneut schwach wird, als sie den Playboy zufällig in Chicago wiedersieht. Dabei denkt sie keine Sekunde lang an etwas Dauerhaftes. Xavier allerdings schon …

LIEBESZAUBER IM PARADIES von BRENDA JACKSON

Ein paar Tage nichts als Spaß und Entspannung! Darcy genießt ihren Urlaub auf Jamaika in vollen Zügen – bis York Ellis auftaucht und sich in ihr Leben einmischt. Sie kennt den sexy Sicherheitsexperten von früher, aber plötzlich entdeckt sie ganz neue Seiten an ihm …


  • Erscheinungstag 26.04.2025
  • Bandnummer 15
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531498
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Brenda Jackson

PROLOG

„Mach schon, El! Du willst ihn doch schon küssen, seit du ihn kennst! Tu’s doch! Ich wette, du traust dich nicht!“

Ellie Weston rollte mit den Augen. Sie war die haarsträubenden Wetten ihrer besten Freundin Darcelle Owens gewohnt, aber diese Herausforderung war schon etwas Besonderes …

Sie hatten sich hinter einigen Büschen versteckt, während sie den jungen Mann beobachteten, für den Ellie schon seit Ewigkeiten schwärmte. Es spielte keine Rolle, dass Uriel Lassiter mit seinen einundzwanzig Jahren fünf Jahre älter war als sie und schon das College besuchte. Es zählte nur, dass ihr Herz jedes Mal hüpfte, wenn sie ihn sah.

„Komm schon, El! Morgen fährt er nach Hause. Du wirst dich schwarzärgern, wenn du diese Gelegenheit verpasst. Wer weiß, wann du ihn wiedersiehst? Im nächsten Frühjahr macht er seinen Abschluss, und dann kommt er bestimmt nicht mehr jeden Sommer hierher.“

Ellie schluckte. Es stimmte – wenn Uriel mit dem College fertig war, kam er wahrscheinlich nicht mehr an den See. Zumindest nicht so oft. Das Sommerhaus von Uriels Eltern lag direkt neben dem Haus ihrer Tante am Cavanaugh Lake, ein paar Meilen außerhalb von Gatlinburg. Jeden Sommer besuchte sie ihre Tante für einen ganzen Monat. Das war die einzige Zeit, in der sie Uriel sehen konnte. Die Vorstellung, dass dies das letzte Mal sein sollte, war einfach unerträglich.

Sie erinnerte sich nur an einen einzigen Sommer, in dem er nicht hierhergekommen war, und das war im vergangenen Jahr gewesen. Er war mit seinen Cousins ins Ausland gereist. Es war der langweiligste Sommer ihres Lebens gewesen.

Ellie sah Darcy an und flüsterte: „Was bekomme ich, wenn ich es mache?“

Jetzt war es an Darcy, die Augen zu verdrehen. „Ich würde sagen, ein Kuss mit dem Mann deiner Träume wäre mehr als genug. Aber gut, wenn du unbedingt gierig sein willst – wenn du es wirklich machst, gebe ich dir mein Autogramm von Maxwell.“

Ellie bekam große Augen. Sie hatte zusammen mit Darcy zu dem Maxwell-Konzert gehen wollen, hatte dann aber Mumps bekommen und musste zu Hause bleiben. „Das Risiko gehst du ein?“ Sie wusste, wie sehr Darcy für Maxwell schwärmte.

„Ja, aber nur, wenn der Kuss wenigstens eine Minute dauert. Ich will nicht nur einen einfach so hingehauchten Kuss sehen, El. Du musst ihn schon dazu bringen, dich richtig zu küssen. Richtig lange!“

Ellie war entsetzt. Wie sollte sie denn das zuwege bringen? Sie hatte doch noch nie einen Jungen geküsst! „Und? Hast du irgendeine tolle Idee, wie ich das anstellen soll?“

Natürlich hatte die alte Besserwisserin Darcy auch darauf eine Antwort. „Du musst deine Zunge einsetzen. Ich habe gehört, wie Jonas zu seinem Freund gesagt hat, dass er Zungenküsse gut findet.“

Ellie zog eine Braue in die Höhe. Jonas war Darcys ältester Bruder. Er war in der letzten Klasse der Highschool, er musste es wissen. Alle Mädchen in Minneapolis liebten Jonas, und Jonas liebte alle Mädchen. „Das hat er wirklich gesagt?“, hakte sie noch einmal nach, um sich zu vergewissern.

Darcy nickte. „Ich habe es selbst gehört. Er und Leroy Green wussten nicht, dass ich mich unter dem Bett versteckt hatte.“

Ellie fragte lieber nicht, was Darcy unter dem Bett ihres Bruders gemacht hatte. „Also gut. Aber wenn er seine Lippen nicht auf meinen lassen will, kann ich ihn nicht dazu zwingen.“

Darcys Augen leuchteten auf. „Du machst es?“

Ellie nickte. „Du darfst keinen Mucks von dir geben!“

„Okay, aber denk dran, mindestens eine Minute!“

Uriel sah auf, als er Schritte hörte.

Ellie Weston.

Großer Gott! Als er in der vergangenen Woche hier bei seinen Eltern eingetroffen war, hatte er nicht glauben können, wie sehr sie sich seit dem Sommer vor zwei Jahren verändert hatte. Sie war jetzt sechzehn und nicht mehr länger das hochaufgeschossene, staksige Mädchen von früher. Unter der Bluse, die sie zu einer knappen Shorts trug, zeichneten sich perfekt geformte Brüste ab. Sie hatte die schmalste Taille, die er je gesehen hatte, und ihre Hüften hatten genau die richtigen Rundungen. Ganz zu schweigen von den schönen langen Beinen.

Er schluckte, während er sich jetzt bemühte, sie nicht genauer anzusehen. Sie trug wieder Shorts, aber diesmal waren sie für sein Empfinden etwas zu knapp. Das Top saß so, dass ein Streifen ihrer Haut zu sehen war.

Er runzelte die Stirn und versuchte, seine Reaktion auf sie zu ignorieren. Er war fünf Jahre älter als sie und sollte nicht so über sie denken! Verdammt, er konnte sich doch noch daran erinnern, wie sie als Kind eine Zahnspange getragen hatte und in die Bäume geklettert war. Jetzt hatte er ganz andere Vorstellungen von ihr … Er schüttelte leicht den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben.

„Hey, Uri. Was machst du da?“ Sie trat näher.

Er riss seinen Blick von ihren Beinen los und sah auf den See hinaus. „Ich angle. Wo ist deine Freundin?“ Fast hätte er die Angel ins Wasser fallen lassen, als sie sich zu ihm auf den Anleger setzte.

„Darcy hat sich hingelegt. Wir waren gestern lange auf.“

Er zwang sich, weiter aufs Wasser zu sehen. „Und wieso legst du dich dann nicht auch hin?“

„Ich bin nicht müde. Ich habe einen Spaziergang gemacht, und dann habe ich dich gesehen und dachte, ich leiste dir Gesellschaft.“

Es lag ihm auf der Zunge, ihr zu sagen, sie brauche sich nicht um ihn zu kümmern, aber er schluckte die Worte hinunter. Sie konnte ja nicht ahnen, dass er sie plötzlich mit ganz anderen Augen sah. Ihre Tante, Ms. Mable, würde ihn wahrscheinlich umbringen, wenn sie wüsste, was er plötzlich für Ideen hatte …

„Was macht das College?“, erkundigte sie sich.

Er zuckte mit den Schultern. „Ist schon in Ordnung. Und bei dir? Freust du dich wieder auf die Schule?“

Sie lachte leise. Es war nicht das Lachen eines Kindes. Eher sinnlich. Zumindest erschien es ihm so. „Himmel, nein! Ich hasse die Schule. Ich kann es gar nicht erwarten, dass sie endlich vorbei ist.“

Er erinnerte sich daran, dass es ihm in ihrem Alter ähnlich gegangen war. „Hast du nicht vor, auf’s College zu gehen?“

„Nein, ich möchte heiraten.“

Jetzt konnte er nicht anders – er musste zu ihr hinübersehen. Und sofort wünschte er, er hätte es nicht getan. Ihr Gesicht war dicht an seinem. Viel zu dicht! Er konnte ihr direkt in die Augen sehen. Das süße kleine Grübchen neben ihrer Nase fiel ihm noch mehr auf als sonst. Und ihre Lippen … Seit wann waren sie so voll? So sinnlich geformt?

Er versuchte, den Blick wieder zum See zu wenden, aber es wollte ihm nicht gelingen. „Wieso willst du heiraten?“

Sie lächelte – und er hatte plötzlich Mühe, tief durchzuatmen. „Ich möchte heiraten, weil …“

Sie hatte die Stimme so weit gesenkt, dass er Mühe hatte, sie zu verstehen. Bildete er es sich nur ein, oder war sie ihm noch näher gekommen? Oder hatte er sich etwa zu ihr herabgebeugt?

„Weil …?“, hakte er nach und konnte nicht verhindern, dass sein Blick von ihren Augen zu ihren Lippen glitt.

„Weil ich wissen möchte, wie es ist, mit einem Mann zu schlafen, den ich liebe. Wie es ist, seinen Körper neben mir im Bett zu haben. Und wie es ist, seine Lippen auf meinen zu spüren.“

Er beugte sich unwillkürlich noch näher zu ihr. „Bist du nicht zu jung für solche Gedanken?“ Er erkannte seine raue Stimme kaum wieder.

„Nein.“ Und dann … Mit einer völlig unerwarteten Bewegung drückte sie ihre Lippen auf seine.

Sein erster Impuls war, sie von sich zu schieben, aber ihre Lippen waren so weich und süß, dass er es nicht über sich brachte. Wie ferngesteuert schob er seine Hand in ihr Haar und vertiefte den Kuss. Vergaß alles andere …

„Das war’s, El! Du hast die Minute geschafft!“

Uriel fuhr hoch. Durch die abrupte Bewegung wären sie beide fast im Wasser gelandet. Er musste zuerst einmal durchatmen, bevor er etwas sagen konnte. Dann glitt sein Blick von Ellie Weston und ihren ausgiebig geküssten Lippen zu ihrer Freundin, die sich angeblich hingelegt hatte.

Er kniff die Augen zusammen und sah zuerst das eine Mädchen, dann das andere an. „Was geht hier vor, El?“

Ehe Ellie etwas sagen konnte, platzte Darcy heraus: „Du hast sie eine Minute und zwölf Sekunden lang geküsst – also hat sie die Wette gewonnen.“ Sie grinste.

Ihre Worte trafen ihn wie eine Ohrfeige. Der Kuss war Teil einer Wette gewesen? Hatten sich die Mädchen einen Spaß mit ihm erlaubt? Er spürte, wie er wütend wurde. „Ist das wahr, El?“

Vor Verlegenheit war Ellie knallrot geworden und konnte ihm nicht in die Augen sehen. Stattdessen maß sie ihre Freundin mit bösen Blicken. „Ich habe dich etwas gefragt, El“, herrschte er sie an.

Sie atmete tief durch. „Ich kann das erklären, Uriel …“

Er schüttelte den Kopf. „Ich will keine Erklärungen, nur ein Ja oder Nein. Ging es bei dem Kuss um eine Wette zwischen deiner Freundin und dir?“

„Ja, aber …“

Mehr brauchte er nicht. Er schnappte sich seine Angel und schickte sich an, den Anleger zu verlassen. Auf halber Höhe drehte er sich noch einmal um. „Wenn ich das nächste Mal zum See komme, vergewissere ich mich vorher, dass du nicht hier bist.“

Er ging – und wünschte sich dabei, den süßen Geschmack ihrer Lippen vergessen zu können.

1. KAPITEL

Zehn Jahre später

Für Flame, in Liebe, D.

Ellie Weston betrachtete den eleganten Schriftzug unten auf dem gerahmten Bild im Schlafzimmer ihrer Tante.

Sie zog eine Augenbraue hoch. Wahrscheinlich hatte Tante Mable das Bild auf einem der Flohmärkte erstanden, die sie gern samstagmorgens im vierzig Meilen entfernten Knoxville besuchte. Überhaupt waren ihr mehrere neue Bilder aufgefallen – in den Gästezimmern und auch im Wohnzimmer. Dieses fiel Ellie allerdings besonders ins Auge, weil sie nicht erwartet hatte, dass ihrer unverheirateten siebzigjährigen Tante so etwas gefallen würde.

Ellie betrachtete das Bild genauer. Es zeigte ein zwar gesichtsloses, ansonsten aber sehr eindeutig nacktes Paar in einer engen Umarmung. Bei genauerer Betrachtung schien es fast so, als hätten sie Sex.

Sie spürte, wie sie rot wurde, als sie hastig einen Schritt zurückwich und sich umsah. Ihre Tante hatte sich offensichtlich erst unlängst neu eingerichtet. Das Schlafzimmer wurde dominiert von einem breiten Himmelbett aus wunderschönem Mahagoni. Es wirkte sehr romantisch und gefiel Ellie ausgesprochen gut. In einer Ecke stand ein passender Tisch, auf dem sie einen Laptop entdeckte. Ausgerechnet! Wann war ihre Tante im Computerzeitalter angekommen? Hätte sie davon gewusst, hätten sie per Mail in Kontakt bleiben können.

In Ellies Augen war das zweigeschossige Haus immer zu groß gewesen für nur eine Person. Im Erdgeschoss gab es ein riesiges Wohnzimmer, ein Bad, ein Esszimmer und eine Küche, die so groß war, dass man auch dort essen konnte. Der erste Stock hatte vier Schlafzimmer und drei Bäder. Die Holzvertäfelung war herausgerissen worden, und die Wände hatten einen weißen Anstrich bekommen. Dadurch wirkte alles wesentlich heller und geräumiger als früher.

War es wirklich fünf Jahre her, seit sie ihre Tante das letzte Mal besucht hatte? Statt hierherzukommen, hatte sie ihre Tante Mable dazu ermuntert, sie in Boston zu besuchen. Hierher war sie nach dem College gezogen. Das hatte ihnen beiden gefallen. Ihre Tante genoss den Tapetenwechsel, und Ellie wurde auf diese Weise nicht an die peinlichste Situation ihres Lebens erinnert.

Nach dem Kuss mit Uriel Lassiter hatte sie einen ganzen Monat nicht mit ihrer Freundin gesprochen, obwohl Darcy ihr immer wieder versicherte, wie leid es ihr tat, dass sie sich von ihrer Aufregung hatte hinreißen lassen. Letzten Endes hatte Ellie sich dann eingestanden, dass sie allein die Verantwortung dafür trug, überhaupt auf Darcys dumme Wette eingegangen zu sein.

Sie konnte also niemandem außer sich selbst Vorwürfe dafür machen, dass Uriel Wort hielt und dafür sorgte, dass sich ihre Wege am See nie wieder kreuzten.

Sie hatte ihn seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Er war im Ausland gewesen, als ihre Tante im vergangenen Monat beerdigt wurde, und hatte daher an der Trauerfeier nicht teilnehmen können. Ihre Eltern erwähnten, dass er ein sehr hübsches Gesteck geschickt hatte.

Mit einem stummen Seufzer musste Ellie daran denken, dass Uriels Eltern sich vor zwei Jahren hatten scheiden lassen. Wer hätte das bei den Lassiters für möglich gehalten? Von ihrer Mutter wusste Ellie, dass Carolyn Lassiter sich jetzt mit einem wesentlich jüngeren Mann eingelassen hatte, der nur wenige Jahre älter war als ihr Sohn.

Das Letzte, was Ellie von ihrer Tante Mable gehört hatte, war, dass die Lassiters sich vor Gericht um das Haus am See stritten. Der Richter hatte letztlich entschieden, dass das Haus verkauft und der Erlös unter den beiden Streithähnen aufgeteilt werden sollte. Tante Mable wusste nicht, wer der neue Eigentümer war, und hatte ihn nicht mehr kennengelernt.

Ellie beschloss, etwas zu essen, bevor sie ihre Sachen auspackte. Sie ging die Treppe hinunter und dachte dabei daran, wie beneidenswert das Ende ihre Tante gewesen war. Sie war friedlich im Schlaf gegangen. Ellie wusste, sie würde sie vermissen, aber sie gönnte ihr dieses Ende ohne Krankheit und Schmerzen. Nach allem, was sie wusste, mochte ihrer Tante hier draußen gelegentlich einsam gewesen sein, aber sie war glücklich. Zumindest war es Ellie so erschienen, als sie sich das letzte Mal trafen. Sie hatte ihren ganzen Besitz ihrer einzigen Großnichte hinterlassen. Ellie war überwältigt von dieser großherzigen Geste der Liebe.

Sie betrat die Küche und bemerkte auch hier neue Schränke. Es schien, als habe ihre Tante das gesamte Haus erst unlängst modernisiert. Alles war ausgesprochen geschmackvoll und professionell gefertigt. Die Arbeitsplatten in der Küche waren aus Marmor, der Boden gefliest.

Die Fahrt von Boston war lang gewesen. Ellie hatte an einer Raststätte Halt gemacht und sich einen Hamburger, Pommes und einen Shake gegönnt, bevor sie von der Interstate 95 nach Gatlinburg abgebogen war. Dort hielt sie bei einem Markt und kaufte ein paar Sachen zum Abendessen ein. Später wollte sie sich überlegen, was sie alles für den Monat am See brauchte. Es war ein schöner Tag in der ersten Augustwoche. Sie nahm sich vor, am nächsten Tag zuerst einmal das ganze Haus durchzulüften. Das Fenster im Wohnzimmer war riesig – es reichte von der einen Wand bis zur anderen, vom Boden bis zur Decke. Dadurch fiel viel Licht herein, und man hatte überall einen tollen Ausblick auf den See.

Ellie warf einen Blick in die Vorratskammer und war nicht überrascht, sie gut bestückt vorzufinden. Ihre Tante hatte sich immer schon sehr zeitig auf die Wintermonate vorbereitet. Ellie entschied sich, zum Abendessen eine Suppe aus der Dose heiß zu machen.

Sie warf einen Blick aus dem Küchenfenster zum Nachbarhaus hinüber, das einmal den Lassiters gehört hatte. Sie erinnerte sich noch zu gut, wie oft sie hier gestanden hatte in der Hoffnung, einen Blick auf Uriel zu erhaschen. Den besten Blick auf den Anleger hatte man allerdings vom Schlafzimmerfenster ihrer Tante aus.

Eine halbe Stunde später hatte Ellie ihre Suppe gegessen und stellte gerade den Teller in die Spüle, als sie sah, dass vor dem Nachbarhaus ein Wagen parkte. Waren die neuen Besitzer gekommen, um Zeit am See zu verbringen?

Ellie hatte ihren Wagen in die Garage gefahren, sodass man von außen nicht erkannte, dass jemand im Haus war. In ihrem Haus. Diese Tatsache war immer noch sehr gewöhnungsbedürftig.

Sie wollte sich gerade abwenden, um nach oben zu gehen und ihre Sachen auszupacken, als eine Bewegung sie einhalten ließ. Ihr stockte der Atem. Sie beugte sich näher zum Fenster, um sich davon zu überzeugen, dass es keine Halluzination war.

Der Mann, der auf die vordere Veranda getreten war und sich mit jemandem per Handy unterhielt, sah jetzt älter aus, als sie ihn in Erinnerung hatte, aber er war so attraktiv wie damals. Da sie jetzt sechsundzwanzig war, musste er einunddreißig sein.

Vielleicht irrte sie sich, aber es schien ihr, als sei er noch größer geworden. Er maß mit Sicherheit gut einen Meter achtzig. Unter dem T-Shirt zeichneten sich breite Schultern ab. Die enge Jeans saß wie angegossen. Ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht. Mit seiner dunklen Haut war er so attraktiv wie eh und je: dichte Brauen, dunkle Augen, eine gerade Nase und sinnliche Lippen über einem markanten Kinn.

Dieser Gedanke löste ein sinnliches Prickeln in ihr aus. Ihre Brustwarzen verhärteten sich. Hastig trat sie vom Fenster zurück und setzte sich an den Tisch.

Uriel Lassiter war in das Haus am See zurückgekehrt. Ganz eindeutig hatte er sich nicht vergewissert, dass sie nicht da war.

Uriel warf den Kopf zurück und lachte. Er stand immer noch unter Schock. Einer seiner engsten Freunde aus dem College, der gleichzeitig auch sein Geschäftspartner war, hatte ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass er heiraten wollte. Es war unfassbar! Wer hätte es für möglich gehalten, dass irgendeine Frau das Herz von Donovan Steele erobern konnte? Von dem Donovan Steele. Dem Mann, der immer gesagt hatte, er wolle eingedenk schöner Zeiten mit einem Kondom begraben werden.

Uriel hatte Donovans Zukünftige vor einigen Wochen kennengelernt. Natalie Ford war Professorin in Princeton. Sie war ebenso intelligent wie attraktiv. Um nicht zu sagen … sie war eine Schönheit. Das war das Erste, was ihm an ihr aufgefallen war, als sie ins Racetrack Café stürmte, um Donovan wegen irgendetwas die Leviten zu lesen. Offenbar hatten sie ihren Streit beigelegt, wenn Donovan jetzt von Hochzeit sprach.

„Hey, Don, wir müssen uns treffen, wenn ich wieder in Charlotte bin“, sagte er. „Wir machen eine Riesenfeier daraus. Habt ihr den Termin schon festgelegt?“

„Nächstes Jahr im Juni. Nach der Hochzeit will Natalie sich ein Jahr beurlauben lassen, um ein weiteres Buch zu schreiben und an mehreren Projekten der NASA mitzuarbeiten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich meine Familie ist.“

Doch, das konnte Uriel sich vorstellen. Donovan war der jüngste der Steele-Brüder. Er leitete das Produktmanagement der Steele Corporation, während Uriel Vizepräsident von Lassiter Industries war, dem Telekommunikationsunternehmen, das sein Vater Anthony vor nunmehr achtunddreißig Jahren gegründet hatte.

Obwohl sie beide leitende Funktionen in ihrem jeweiligen Familienunternehmen hatten, waren sie gleich nach dem College übereingekommen, zusammen eine weitere Firma an den Start zu bringen. Anfangs kauften sie Immobilien, sanierten sie und verkauften sie wieder. Später machten sie dasselbe mit kleinen Firmen. Dabei waren sie so erfolgreich, dass sie bald auch zu größeren Investments übergingen. So hatten sie vor Kurzem sogar einen Verlag gekauft.

Vor zwei Jahren hatte Uriels Vater sich aus dem Geschäft zurückgezogen, weil die Scheidungsklage seiner Frau, mit der er über fünfunddreißig Jahre – wie er meinte, glücklich – verheiratet gewesen war, ihn in tiefe Depressionen gestürzt hatte. Dadurch war Uriel gezwungen, vorübergehend auch die Position des Geschäftsführers zu übernehmen.

Er war jetzt froh darüber, dass sein Vater endlich wieder Fuß gefasst hatte. Anthony war zu der Einsicht gekommen, das Leben sei zu kurz, um sich in Selbstmitleid zu ergehen wegen einer Frau, die er noch liebte, die seine Liebe aber nicht erwiderte. Also kehrte er an die Spitze des Unternehmens zurück. Uriel überließ ihm die Position nur zu gern und beschloss, sich endlich einmal einen Monat Urlaub zu gönnen. Dafür war das Haus am See seine erste Wahl. Als seine Eltern gezwungen waren, es zu verkaufen, hatte er es erworben.

„Während du gestern in Princeton warst, habe ich meinen Teil der Verträge unterschrieben“, sagte er und bezog sich damit auf den Verlag, den sie gerade gekauft hatten. „Du solltest sehen, dass du am Freitag zu Manning’s ins Büro fährst, um deinen Friedrich Wilhelm neben meinen zu setzen. Dann kann die Beraterfirma anfangen zu analysieren, wie es mit dem Verlag weitergehen soll. Ich weiß, dass Bronson am nächsten Wochenende ein Rennen in Michigan hat. Ich verspreche dir, die Unterschriftsaktion dauert nicht lange – ich meine, falls du fahren willst.“ Bronson Scott war ihr gemeinsamer Freund, der für NASCAR Tourenwagenrennen fuhr.

„Ich fahre auf jeden Fall und nehme auch Natalie mit. Ich kann es gar nicht erwarten, sie in die Welt der Tourenwagen einzuführen. Was ist mit dir? Kommst du auch?“

„Nein, diesmal nicht. Da Dad jetzt wieder die Leitung des Unternehmens übernommen hat, gönne ich mir einen Monat Urlaub am See. Ich möchte einmal so richtig in Ruhe angeln. Außerdem habe ich mir ein paar Unterlagen über den Verlag mitgebracht, um mir selbst ein Bild zu machen. Ich lasse dich wissen, wie ich das Ganze sehe, und dann vergleiche ich meine Einschätzung mit der der Berater.“

Fünf Minuten später beendete Uriel das Gespräch mit Donovan. Er steckte das Handy ein und beschloss, sich auf die Schaukel zu setzen, die sein Vater vor Jahren für seine Mom gebaut hatte.

Seine Mom.

Uriel konnte nur den Kopf schütteln, wenn er an sie dachte und den Schmerz, den sie seinem Vater zugefügt hatte. Und auch ihm. Als seine Eltern ihm mitteilten, dass sie sich scheiden lassen wollten, war es ein Riesenschock für ihn gewesen. Er musste nur den Schmerz und die Trauer im Blick von Anthony Lassiter sehen, um zu wissen, dass der Gang zum Scheidungsrichter nicht seine Idee gewesen war.

Beide wollten nicht über die Gründe für ihren Entschluss sprechen und baten ihn, die Situation einfach so zu akzeptieren. Es dauerte nicht lange, bis er die Ursache erkannte. Seine Mutter machte eine Midlife-Crisis durch. Nur wenige Monate nachdem sie sich von seinem Vater getrennt hatte, lege sie sich einen jugendlichen Liebhaber zu. Es war unglaublich. Seine Mutter lebte mit einem Mann zusammen, der gerade einmal sechs Jahre älter war als er selbst.

Carolyn Lassiter war auch mit fünfzig noch eine attraktive Frau. Als Uriel sie das erste Mal mit ihrem Liebhaber in einem Restaurant sah, musste er an sich halten, um den Kerl nicht zusammenzuschlagen. Wer wollte schon seine Mutter in den Armen eines anderen Mannes als denen seines Vaters sehen?

Ihr Verhalten hätte seinen Vater fast zerstört, und bei Uriel hinterließ es einen bitteren Beigeschmack, was das Thema Ehe betraf. Das war der Grund, wieso er dem Club der ewigen Junggesellen beigetreten war, gegründet von ihm und seinen fünf Patenbrüdern. Jeder von ihnen hatte sein eigenes Motiv für den Wunsch, lebenslang Junggeselle bleiben zu wollen.

Er wollte gerade wieder ins Haus gehen, als sein Blick durch die Bäume auf das Nachbarhaus fiel. Er bedauerte den Tod von Ms. Mable und vermisste sie jetzt schon. Immer wenn seine Eltern zu ihrem Sommerurlaub hierhergekommen waren, hatte die ältere Dame sie mit einer köstlichen Limonade und einem Teller selbstgebackener Erdnussbutterkekse begrüßt.

Er atmete tief durch. Hier fühlte er sich zu Hause. Gatlinburg war weniger als zehn Meilen entfernt, und es gab nur diese zwei Häuser am See. Die nächsten Nachbarn waren fünf Meilen entfernt, schon an der Straße zum Lake Union. Beide Seen befanden sich in einem Waldgebiet einen Steinwurf von den Smoky Mountains entfernt.

Die frische Augustluft tat gut. Nichts entspannte ihn mehr, als mit der Angel auf dem Anleger zu sitzen, neben sich ein gekühltes Bier. Um die Unterlagen wollte er sich später kümmern, im Moment war die Entspannung wichtiger.

Er reckte sich. Er wollte sich ein paar Minuten hinlegen und anschließend im See baden. Nackt. Das hatte er schon immer einmal tun wollen. Jetzt war die Gelegenheit günstig. Da das Haus nebenan leer stand, musste er nicht befürchten, irgendjemanden zu schockieren.

Er lehnte sich zurück und freute sich auf das Schwimmen. Nackt und ganz allein im See.

2. KAPITEL

Ellie packte ihre Sachen aus. Sie hatte sich das Schlafzimmer ihrer Tante genommen, statt wie früher eines der Gästezimmer. Am nächsten Tag wollte sie beginnen, die Sachen ihrer Tante durchzusehen. Die Kleidung konnte sie der Heilsarmee stiften. Was ihr gefiel, wollte sie auf dem Dachboden lagern, um es eines Tages an ihre Kinder weiterzugeben.

Als sie sich bei diesem Gedanken ertappte, schüttelte sie den Kopf. Wie konnte sie an eine Familie denken, wenn es weit und breit keinen hierfür passenden Mann gab? Ihre letzte ernsthafte Beziehung war Jahre her.

Es war direkt nach dem College gewesen. Er hieß Charles Wilcox, und die Affäre hielt weitaus länger, als sinnvoll gewesen wäre. Er war mit Abstand der langweiligste Mensch, den sie je kennengelernt hatte. Ihn interessierten nur zwei Dinge: sein Job als Programmierer und Profi-Wrestling. Er lebte förmlich für WWE Smackdown, die Wrestling-Show, die jeden Donnerstag im Fernsehen lief.

Sie hatte gleich nach dem College einen Job als Finanzberaterin bei einer großen Bank gefunden und ging davon aus, dass sie damit beruflich erst einmal ausgesorgt hatte, doch dann wurde sie noch im ersten Jahr entlassen. Statt sich nach einer neuen Chance auf dem Arbeitsmarkt umzusehen, beschloss sie, auf das College zurückzukehren und den Master zu machen. In der vergangenen Woche hatte sie die letzte Prüfung abgelegt. Nun wollte sie sich zuerst einmal ein paar Monate Pause gönnen, bevor sie sich erneut nach einem Job umsah.

Sie warf einen Blick aus dem Schlafzimmerfenster. Die Sonne war bereits untergegangen. Zeit, das Licht anzumachen. Sie zögerte, denn dann wusste Uriel sofort, dass jemand im Haus ihrer Tante war. Würde er gleich vermuten, dass sie es war? Und falls ja – würde er dann sofort nach Charlotte zurückkehren?

Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, dass er sich überhaupt nicht mehr an den Vorfall von damals erinnerte. Schließlich war das Ganze zehn Jahre her. Sie allerdings würde niemals den eiskalten Blick vergessen, mit dem er sie bedacht hatte, als er ihr mehr oder weniger deutlich sagte, er wolle sie nie wieder sehen.

Sie wollte gerade nach unten gehen, als das Klingeln ihres Smartphones sie zurückhielt. Ihre Eltern machten im Moment Urlaub auf den Bahamas. Wahrscheinlich wollten sie sich erkundigen, wie sie zurechtkam. Da sie ein Einzelkind war, hatte sie seit jeher eine besonders enge Beziehung zu ihnen gehabt.

Ein rascher Blick auf das Display verriet, dass nicht ihre Eltern anriefen, sondern ihre Freundin Darcy. „Hallo.“

„Was ist los, El? Du wolltest doch anrufen und sagen, ob du gut angekommen bist.“

Ellie lächelte. Darcy war die reinste Glucke. „Tut mir leid, ich habe mich gleich ans Auspacken gemacht.“ Sie ließ sich in den Sessel am Fenster sinken.

„Bist du schon dabei, die Sachen deiner Tante durchzusehen?“

„Nein, noch nicht. Damit fange ich morgen an. Im Moment möchte ich gar nichts tun. Mir ist nicht einmal nach Lesen.“

Darcy lachte. „Du hast nur noch nicht das richtige Buch erwischt. Jetzt, wo du Zeit hast, solltest du dir etwas von Desiree Matthews gönnen.“

Darcy arbeitete bei der Stadtverwaltung von Minneapolis. Sie hatte gleich nach dem College geheiratet und sich schon nach knapp einem Jahr wieder scheiden lassen, als ihr Mann Harold gewalttätige Tendenzen zeigte. Als er das erste Mal ausrastete, riefen Nachbarn die Polizei. Bis sie eintraf, musste Harold allerdings feststellen, dass seine Frau sehr wohl in der Lage war, sich zu verteidigen. Offenbar hatte Darcy ihm nie erzählt, dass sie schon seit Jahren Karate machte.

„Nein danke. Ich brauche kein Buch, das mich heiß macht.“ Ellie schob die Gardine beiseite, als sie meinte, durch die Bäume hindurch eine Bewegung zu sehen.

„Glaub mir, über Sex zu lesen ist besser als jede Wirklichkeit. Außerdem – es geht in den Büchern von Desiree Matthews ja nicht nur um Sex. Es sind Liebesgeschichten mit viel Romantik. Man hofft die ganze Zeit, dass Held und Heldin ihre Probleme lösen und dass sie zusammenkommen.“

„Halleluja!“ Ellie seufzte. „Romantik oder Sex ist das Letzte, was ich im Moment brauche. Wenn man etwas nie gehabt hat, vermisst man es auch nicht.“

„Hm, ja, wahrscheinlich. Aber wo wir gerade bei Romantik und Sex sind – hat der Mann, mit dem du vor zwei Wochen ausgegangen bist, sich wieder gemeldet?“

Ellie schüttelte den Kopf, was Darcy natürlich nicht sehen konnte. „Nein, hat er nicht. Und das ist auch gut so. Er wollte gleich am ersten Abend mit mir ins Bett, und das kommt gar nicht infrage.“

Sie wollte die Gardine gerade wieder schließen, als etwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie sah genauer hin. Schloss die Augen wieder und sah noch einmal hin. Sie konnte es nicht glauben. Uriel Lassiter – so nackt, wie die Natur ihn geschaffen hatte. „Verdammt.“

„El? Was ist los? Wieso hast du gerade geflucht?“

„Glaub mir, das willst du nicht wissen.“ Sie wich vom Fenster zurück, um nicht gesehen zu werden, hielt den Blick aber unverwandt auf den Mann gerichtet, der zum Anleger ging.

„Doch, das will ich. Sag mir sofort, was los ist!“

Ellie hätte gern genervt mit den Augen gerollt über Darcys Hartnäckigkeit, aber dann hätte sie vielleicht etwas verpasst. Sie verfolgte Uriel mit ihrem Blick.

„Ellie Mable Weston! Rede!“

„Uriel ist hier.“

„Uriel Lassiter?“

„Genau.“

„Er ist im Haus am See? Oh, El, das ist ja wunderbar!“

„Was soll daran wunderbar sein?“ Noch während sie es halbherzig sagte, wusste sie es: Wunderbar war dieser Mann. Er war perfekt gebaut. Sie konnte ihn nicht von vorn sehen, aber sein Profil und die Rückansicht waren ausgesprochen vielversprechend. Sie konnte nicht glauben, dass er hier splitterfasernackt herumlief, auch wenn er vielleicht davon ausging, dass im Haus ihrer Tante im Moment niemand wohnte.

„Ich finde es wunderbar, dass ihr beide jetzt zehn Jahre älter seid. Es kann doch sein, dass er die Sache von damals längst vergessen hat.“

„Darauf würde ich mich nicht verlassen. Manche Männer haben ein langes Gedächtnis.“

„Was hat er denn gesagt, als er dich gesehen hat? Hattest du das Gefühl, dass er dir noch böse ist?“

„Er weiß noch nicht, dass ich hier bin. Ich bin oben im Schlafzimmer meiner Tante und beobachte ihn durch das Fenster.“

„Und? Was macht er? Was hat er an?“ Wie üblich wollte Darcy alles ganz genau wissen. „Hat er sich über die Jahre sehr verändert? Sieht er immer noch gut aus?“

„Nichts.“

„Nichts? Was meinst du damit?“

„Meine Güte, Darcy! Du hast gefragt, was er macht und was er anhat. Die Antwort auf beides ist: nichts.“

Es entstand eine längere Pause. „Heißt das, der Mann ist nackt?“

„Genau.“

„Was kannst du sehen?“ Darcy kannte in ihrer Neugier keine Grenzen.

„In erster Linie seinen Rücken. Und bevor du fragst, die Antwort ist Ja. Er ist perfekt gebaut. Ganz eindeutig treibt er viel Sport.“ Ellie biss sich nervös auf die Lippen, als Uriel ins Wasser lief. Erst jetzt konnte sie den Blick abwenden. „Ich sollte ihm nicht so nachspionieren. Das ist nicht richtig.“

„Natürlich ist es das!“ Vor Aufregung hob Darcy die Stimme. „Ich an deiner Stelle würde mir ein Fernglas schnappen und mich sattsehen. Männer sehen den Frauen doch auch nach – wieso sollen wir umgekehrt nicht dasselbe bei Männern tun?“

Dieser Logik war nichts entgegenzusetzen. „Natürlich können wir das, aber wir sollten vielleicht nicht darüber reden.“

„Wieso nicht? Wir sagen uns doch sonst auch alles. Versuch jetzt nicht, mir etwas vorzuenthalten!“

Ellie musste lachen. Ihr Blick wanderte zurück zu Uriel. Er kam gerade aus dem Wasser. Als er auf dem Anleger war, sah sie ihn von vorn. Ihr stockte der Atem. Der Mann war ein Adonis. Perfekt in jeder Hinsicht.

Wie benommen erhob sie sich und trat näher an das Fenster. Sie drückte das Gesicht gegen die Scheibe, um sich nichts entgehen zu lassen. Noch nie hatte sie einen derart gut gebauten Mann nackt gesehen. Sie war wie hypnotisiert.

Alles an ihm schien muskulös. Fest. Ungezähmt.

Ein Schauer überlief sie, als sie sich vorstellte, wie es sein mochte, einen solchen Mann zu zähmen. Sie bezweifelte, dass das überhaupt möglich war. Zumindest nicht durch sie. Und wäre das überhaupt wünschenswert?

„Ellie? Bist du noch da? Was passiert gerade? Wieso sagst du nichts? Was siehst du?“

Ellie schluckte. Unter gar keinen Umständen konnte sie ihrer Freundin erzählen, was sie vor sich sah. „Ich rufe dich später an.“ Sie drückte Darcy aus der Leitung.

Es war, als hätte sich das leise Klicken durch die Scheibe und durch die Bäume bis zu Uriel fortgepflanzt, denn er sah genau in diesem Moment zu ihrem Haus herüber. Ehe sie zurückweichen konnte, hatte er sie entdeckt. Sie kam sich vor wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht gefangen ist und sich vor Schreck nicht regen kann. Ihre Blicke trafen sich.

Sie spürte, wie sie vor Verlegenheit rot anlief. Uriel Lassiter hatte sie dabei ertappt, wie sie ihn in seinem sehr beeindruckenden Adamskostüm bewunderte.

3. KAPITEL

Uriel presste die Lippen zusammen, als er die Frau erkannte, die hinter dem Fenster stand und ihn beobachtete.

Ellie Weston.

Erstaunlicherweise war es ihm nicht peinlich, nackt erwischt worden zu sein. Woher hätte er wissen sollen, dass sie im Haus von Ms. Mable war?

Er griff nach seinem Handtuch und schlang es sich um die Hüften. Die Peepshow war vorbei! Er löste den Blickkontakt zu Ellie und schlenderte lässig zurück zum Haus. Dabei widerstand er der Versuchung, noch einmal zu ihr hinüberzusehen. Sie war der letzte Mensch, den er jetzt sehen wollte. In der Vergangenheit hatte er sich immer zuerst bei seinen Eltern nach ihrem Kommen und Gehen erkundigt, um zu verhindern, dass ihre Wege sich kreuzten. Diesmal hatte er sich nicht vorab informiert. Ein großer Fehler!

Uriel ging weiter, als habe er alle Zeit der Welt. Als er nach einer gefühlten Ewigkeit die Küche erreichte und die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte er sich gegen die Anrichte und atmete tief durch. Nach allem, was er aus der Entfernung erkannt hatte, war aus dem Teenager Ellie Weston eine attraktive Frau geworden.

Ja, und? Das war doch zu erwarten gewesen. Ihre Mutter war eine sehr schöne Frau, Ellie hatte also aller Wahrscheinlichkeit nach ein paar gute Gene geerbt.

Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und trank direkt aus der Flasche einen großen Schluck. Er konnte jetzt keinen Gedanken daran verschwenden, dass er nackt und nass in seiner Küche stand. Seine Gedanken waren ganz bei der Frau, die er zehn Jahre nicht gesehen hatte.

Frau.

Ja, sie war ganz eindeutig kein Kind mehr. Allerdings hatte sie schon mit sechzehn nichts Kindliches mehr an sich gehabt. Er erinnerte sich noch gut an den Tag, als sie und ihre Freundin sich über ihn lustig gemacht hatten.

Wie lange mochte sie schon am Fenster gestanden und ihn beobachtet haben? Wie viel hatte sie gesehen? Er war schließlich kein Exhibitionist. Niemals wäre er nackt baden gegangen, hätte er geahnt, dass er nicht allein war. Schon gar nicht, wenn er geahnt hätte, dass sie da war.

Er stellte die leere Flasche beiseite und fragte sich, ob es albern war, ihr nach all dieser Zeit noch böse zu sein. Sie war damals sechzehn gewesen, und Teenager benehmen sich nun einmal albern und machen allen möglichen Blödsinn. Er erinnerte sich noch gut daran, was seine Patenbrüder und er in dem Alter alles angestellt hatten. Sie verbrachten jedes Jahr wenigstens eine Woche zusammen, und nichts war vor ihnen sicher.

Er musste an Ms. Mable denken und daran, wie nett sie im Laufe der Jahre zu ihm gewesen war. Er hatte bei der Beisetzung nicht dabei sein können, hatte aber Blumen geschickt.

Es wäre doch nur anständig, nach nebenan zu gehen und sein Beileid noch einmal persönlich auszudrücken. Das war das Mindeste, was er tun konnte. Nicht mehr und nicht weniger. Dann konnte er sich dabei auch gleichzeitig für sein Nacktbaden entschuldigen.

Nachdem er diesen Entschluss gefasst hatte, begab er sich nach oben, um sich anzuziehen.

Ellie ging in ihrem Schlafzimmer auf und ab. Sie durchlitt Höllenqualen und schämte sich. Wieso erlebte sie ihre peinlichsten Momente immer mit Uriel Lassiter? Zuerst der Kuss, und nun dies! Er hatte sie dabei ertappt, wie sie ihn heimlich beim Nacktbaden beobachtete. Sie wagte gar nicht sich auszumalen, was er von ihr denken musste! Was für eine Art, ihre Bekanntschaft nach zehn Jahren zu erneuern!

Sie begriff, dass das Hin- und Herlaufen ihr nicht weiterhalf. Also nahm sie wieder in dem Sessel Platz, vergewisserte sich aber, dass die Vorhänge geschlossen waren, sodass er sicher sein konnte, keine Zuschauer mehr zu haben.

Sie wollte, sie könnte alle Schuld an der Situation auf ihn abwälzen. Schließlich hatte ihn niemand darum gebeten, nackt herumzustolzieren! Sie war eine Frau. Natürlich sah sie hin! Was sonst?

Ihr Handy klingelte. Zweifellos Darcy, die wissen wollte, was passiert war, nachdem sie sie aus der Leitung geworfen hatte. Aber wenn sie die Wahl hatte, mit ihrer Freundin zu telefonieren oder einen nackten Adonis zu bewundern, dann gewann allemal der Adonis.

Sie meldete sich. „Ja?“

„Also wirklich, El! Das hättest du nicht tun dürfen! Ich könnte dir nur aus einem einzigen Grund verzeihen: Wenn du mir jetzt sagst, du hättest Uriel beim Nacktbaden Gesellschaft geleistet.“

„Du liest zu viele Liebesromane, Darcy.“

„Im Gegenteil – viel zu wenig! So ist das, wenn man kein eigenes Liebesleben hat. Nur ich, ein gutes Buch und Bruce, wenn ich ihn brauche. Das ist am sichersten.“

Ellie musste unwillkürlich lächeln. Bruce war der Name, den Darcy ihrem kleinen erotischen Spielzeug gegeben hatte. Sie war wirklich unmöglich! „Du könntest jederzeit wieder anfangen, Dates zu haben.“

„Könnte ich, aber ich bin noch nicht bereit dazu. Bis dahin muss Bruce genügen. Und nun genug von mir – wie steht es bei dir und Uriel?“

Ellie runzelte die Stirn. „Du sagst das so, als wären wir ein Paar.“

„Das könntet ihr doch sein. Du hast immer für ihn geschwärmt. Über manches kommt man sicher mit der Zeit hinweg, aber in deinem Fall glaube ich nicht, dass Uriel Lassiter dazugehört.“

„Natürlich ist das Thema für mich erledigt!“

„Das glaube ich nicht, aber ich will nicht mit dir darüber streiten. Erzähl mir einfach, wie er jetzt aussieht. Ich begnüge mich auch mit allem oberhalb der Gürtellinie, weil ich das Gefühl habe, dass du mir nichts anderes verrätst.“

Ellie machte es sich im Sessel bequem und schloss die Augen. „Oh, Darcy …“ Sie seufzte hingerissen. „Er hat ja schon immer gut ausgesehen. Aber jetzt, wo ich älter bin, sehe ich mehr als nur seine Augen, die ich damals so faszinierend fand. Er hat eine süße Nase und wunderschöne Lippen.“ Lippen, die sie ein Mal geküsst hatte. „Mir ist erst heute bewusst geworden, wie perfekt sie geformt sind.“

„Und das alles hast du vom Schlafzimmerfenster deiner Tante aus gesehen?“

„Ja, schon – besonders, als er zu mir hochgesehen hat.“

„Was? Willst du damit sagen, er hat dich dabei ertappt, wie du ihn beobachtet hast?“

Ellie spürte, wie ihr wieder die Schamesröte ins Gesicht stieg. „Ja, das hat er. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was er jetzt von mir denkt. Ich habe mich wieder genauso blöd benommen wie damals vor zehn Jahren.“

„Wahrscheinlich hat er sich geschmeichelt gefühlt. Männer mögen es, wenn Frauen sich für ihren Körper interessieren. Außerdem – das habe ich ja schon vorhin gesagt – ich glaube nicht, dass er sich an die Sache von damals erinnert. Männer sind eigentlich nicht nachtragend.“

Da war Ellie sich nicht so sicher. „Ich habe seinen Stolz verletzt. Das habe ich in seinem Blick gesehen. So etwas vergisst kein Mann. Ich hätte mich entschuldigen sollen, aber das habe ich nie getan.“

„Du solltest es dabei bewenden lassen und hoffen, dass er es ebenso hält.“

Darcys letzte Worte klangen Ellie eine Stunde später noch in den Ohren, als sie unten in der Küche war. Sie wollte früh zu Bett gehen, um sich am nächsten Tag frisch an die Arbeit zu machen.

Ihre Mom hatte sich erboten, ihren Urlaub zu verschieben und ihr zu helfen, die Sachen von Tante Mable durchzusehen, aber das wollte sie allein machen, ganz gleich, wie lange es dauerte. Es gab in diesem Haus viele schöne Erinnerungsstücke für sie, und sie hatte keine Eile. Sie hatte einen ganzen Monat Zeit, und falls sie mehr Zeit brauchte, würde sie sie sich nehmen. Daniel Altman, der Anwalt ihrer Tante, wollte am Donnerstagabend vorbeikommen, um ihr eine Liste der Bankkonten zu geben, die ihre Tante auf sie übertragen hatte. Der Begriff Liste erschien ihr in diesem Zusammenhang merkwürdig, denn soweit sie wusste, hatte ihre Tante keine anderen Einkünfte gehabt als die Pension aus ihrer Zeit als Professorin für Englisch am Smoky Mountains Community College.

Es war dunkel geworden, und sie machte das Licht an. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch nie allein in diesem Haus gewesen war. Es war fast unheimlich still.

Ellie hatte alle Türen kontrolliert und wollte gerade nach oben gehen, als sie ein Klopfen an der Haustür hörte. Sie erschrak und musste einmal tief durchatmen, um sich wieder zu fangen. Der einzige Mensch, der hier auftauchen konnte, war Uriel.

Wollte er ihr Vorwürfe dafür machen, dass sie ihn heimlich beobachtet hatte? Sie bezweifelte es. Wäre das seine Absicht gewesen, wäre er sicher früher gekommen.

Sie ging zur Tür. Sie hatte keine Gesellschaft erwartet, aber zumindest trug sie Shorts, Top und Sandalen. Vorsichtshalber warf sie einen Blick durch den Spion, um sich zu überzeugen, dass es wirklich Uriel war, fragte aber dennoch: „Wer ist da?“

„Uriel Lassiter.“

Sie schob die Sicherheitskette beiseite, bevor sie öffnete. Und dann stand er vor ihr. Uriel.

Er hatte sich lässig gegen einen Stützpfeiler der Veranda gelehnt, die Fußgelenke überkreuzt, die Hände in den Hosentaschen. Er wirkte so, als sei er direkt dem Titelbild eines von Darcys Liebesromanen entsprungen. Sie vermied es, den Blick über seinen Körper gleiten zu lassen – das hatte sie heute schon zur Genüge getan und wusste, wie dieser Körper unter den Jeans und dem weißen Hemd aussah. Bei besagtem Hemd standen die oberen zwei Knöpfe offen und ließen etwas Brusthaar sehen. Ein Anblick, der sie faszinierte.

Sie musste sich zwingen, ihm in die Augen zu sehen. „Uri! Das ist ja eine Überraschung.“

Überraschung in welcher Hinsicht? Dass sie ihn jetzt bekleidet sah statt nackt?

Ihr wurde plötzlich bewusst, wie lahm ihre Worte klangen, aber sie ließen sich nicht zurücknehmen.

„Ich hoffe, ich störe nicht so spät“, sagte er. „Nachdem ich gemerkt habe, dass du hier bist, dachte ich, ich sollte mich entschuldigen. Hätte ich es gewusst, wäre ich vorhin nicht so herumgelaufen.“

Sie wollte nicht unhöflich sein und trat beiseite, um ihn hereinzulassen. „Eine Entschuldigung ist nicht nötig.“ Um von dem Thema fortzukommen, setzte sie hinzu: „Wie geht es dir? Wir haben uns lange nicht gesehen.“

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Sie unterdrückte einen tiefen Seufzer. Sein Lächeln war schon immer so gewesen, dass es ihr förmlich die Schuhe auszog. Ein sexy Lächeln, wie es im Buche stand.

„Ja, das stimmt. Mir geht es gut. Und dir? Es tut mir leid, dass Ms. Mable nicht mehr bei uns ist. Ich bin sicher, das war ein schwerer Schlag für alle, besonders für dich. Ich weiß, wie nah ihr euch gestanden habt.“

„Danke, das stimmt. Aber zumindest ist sie nicht krank gewesen und hat nicht leiden müssen. Sie ist einfach morgens nicht mehr aufgewacht.“

Er nickte. „Ja, das habe ich gehört.“

„Möchtest du dich einen Moment setzen?“

Zu spät begriff sie, dass „einen Moment“ nicht sonderlich einladend klang. Ganz so, als wolle sie die Dauer seines Besuchs von vornherein begrenzen. Falls es ihm aufgefallen war, ließ er es sich nicht anmerken. Er nahm auf dem Sofa Platz.

„Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?“ Unwillkürlich registrierte sie, wie sich seine Jeans spannte, als er sich setzte.

„Ja, danke. Wasser bitte – es sei denn, du hast etwas Stärkeres da.“

Sie war froh, auf dem Markt in Gatlinburg eine Flasche Wein erstanden zu haben. „Wie wäre es mit einem Glas Wein?“

„Eine gute Idee.“

„Ich bin gleich zurück.“ Sie verschwand in der Küche.

„Lass dir Zeit.“

Ihre Blicke trafen sich für einen Moment, als sie zurücksah. Es war wieder wie in dem Moment, als sie am Fenster gestanden hatte. Hastig wandte sie sich ab und ging Richtung Küche.

Ihr Puls raste, und sie spürte, wie es sie heiß überlief. Zehn Jahre waren vergangen, und sie waren damals nicht eben als Freunde auseinandergegangen. Nun waren sie allein. Und sie hatte keine Ahnung, was sie mit ihm anfangen sollte, außer ihm ein Glas Wein einzuschenken.

Uriel atmete tief durch, als Ellie in die Küche gegangen war. Verdammt! Als er sie am Fenster gesehen hatte, wusste er, dass sie eine Schönheit geworden war. Ihm war allerdings nicht klar gewesen, dass diese Schönheit so atemberaubend war, dass sie einen Mann um den Verstand bringen konnte.

Als Allererstes war ihm aufgefallen, dass sie immer noch die ideale Figur für Shorts hatte. Ein flacher Bauch, geschwungene Hüften und lange, wunderschöne Beine. Das T-Shirt, das sie im Moment trug, war etwas zu groß für sie, aber es wirkte nicht unförmig, sondern einfach nur sexy.

Er versuchte, wieder zu sich zu kommen, indem er sich umsah. Das letzte Mal war er vor zwei Jahren hier gewesen, direkt nachdem er erfahren hatte, dass seine Eltern sich scheiden lassen wollten. Er hatte einen Tapetenwechsel gebraucht, und sein Vater hatte ein Wochenende im Haus am See vorgeschlagen. Ms. Mable hatte ihn zum Abendessen eingeladen. Offenbar hatte sie seither hier einiges verändert. Neue Möbel, neue Bilder an den Wänden und ein neuer Teppich auf dem Boden.

„Bitte …“

Er sah, dass Ellie wieder hereingekommen war. Sie trug das braune Haar jetzt kürzer. Der modische Schnitt gefiel ihm, er war ideal für ihr ovales Gesicht. Ihre dunkle Haut strahle. Über ihren mandelförmigen Augen wölbten sich perfekt geformte Brauen. Dazu kamen die hohen Wangenknochen und ein Paar Lippen, wie er es so sexy noch nie gesehen hatte.

Er ging zu ihr, um ihr das Glas abzunehmen und wünschte gleich darauf, er hätte es nicht getan. Als ihre Finger sich berührten, meinte er, ein Prickeln zu spüren, das durch seinen ganzen Körper lief. Ein rascher Blick in ihre Augen verriet ihm, dass sie es ebenfalls spürte. „Danke.“ Er bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen.

„Keine Ursache“, sagte sie rasch.

Er nippte an seinem Glas und versuchte, seinen Puls wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Deine Tante Mable war eine ganz besondere Frau. Alle mochten sie.“ Ihre Tante war zweifellos ein sicheres Thema.

„Das stimmt. Ich vermisse sie sehr.“

Er sah die Trauer in ihrem Blick und befand, dass das Thema doch nicht so günstig war. Er nippte noch einmal an seinem Wein.

„Ich habe gehört, du bist wieder nach Charlotte gezogen“, sagte Ellie.

Er fragte sich, woher sie das wissen mochte. Vielleicht hatte ihre Tante es einmal erwähnt. „Nach dem College war ich ein paar Jahre in Detroit, um eine neue Filiale von Lassiter Industries aufzubauen, aber vor zwei Jahren bin ich wieder nach Hause gekommen.“

Überflüssig ihr zu erklären, dass sein Vater ihn in Charlotte gebraucht hatte. Die Scheidung war ein Schlag gewesen, mit dem Anthony Lassiter nur schwer fertig geworden war.

Offenbar hatte es in der Ehe seiner Eltern Probleme gegeben, von denen er nichts geahnt hatte. Obwohl er zum Zeitpunkt der Scheidung kein Kind mehr gewesen war, war es schwer für ihn gewesen. Noch schwerer war es ihm gefallen, neutral zu bleiben. Er liebte sie ja beide.

Uriel spürte plötzlich, dass Ellie sehr nervös war. Offenbar wollte sie ihn etwas fragen, wenn auch vielleicht nur aus Höflichkeit. Um es ihr leichter zu machen, kam er ihr zuvor. „Falls du dich fragst, wie es meinen Eltern nach der Scheidung geht – gut. Dad hat immer noch einige Probleme, mit der Situation umzugehen, und Mom genießt das Leben. Sie ist zu einem richtigen Partygirl geworden.“

Er starrte in sein Weinglas und bedauerte die Bitterkeit, die in seinem Ton mitgeschwungen war, aber genau das war er, verbittert. Daran musste er noch arbeiten.

„Und wie geht es deinen Patenbrüdern?“

Ihre Frage brachte ihn zum Lächeln. Sie hatte bewusst das Thema gewechselt, und er war ihr dankbar dafür. Sie kannte alle fünf, weil sie sie im Laufe der Jahre am See getroffen hatte.

„Ihnen geht es gut. Jeder hat in seinem Bereich Erfolg.“

„Schön zu hören. Ich mochte sie. Sie waren nett.“

Uriel lachte leise. Sie hatte recht, die fünf waren wirklich sympathisch. Die meisten Menschen hatten nur einen guten Freund, aber er hatte gleich fünf, und das war kein Zufall.

Vor ungefähr vierzig Jahren hatten sein Vater und fünf enge Freunde sich in ihrem letzten Jahr in Morehouse geschworen, auch nach dem College miteinander in Verbindung zu bleiben. Sie wollten Patenschaften für ihre Söhne übernehmen. Der Name des jeweils ersten Sohnes sollte mit einem der Buchstaben U bis Z beginnen. Die Männer hatten Wort gehalten, und alle sechs Söhne – Uriel, Virgil, Winston, Xavier, York und Zion – wurden dadurch zu sogenannten Patenbrüdern.

„Siehst du sie oft?“, erkundigte Ellie sich.

Vielleicht wäre es jetzt klug, ihr vom Club der ewigen Junggesellen zu erzählen und dass sie sich wenigstens ein- oder zweimal im Jahr trafen, entweder zum Skilaufen oder in Rom, wo Zion als inzwischen weltweit renommierter Schmuckdesigner lebte.

„Ja, wir treffen uns mehrmals im Jahr. Alle sind noch ledig und möchten es auch bleiben. Sei nicht überrascht, wenn sie hier auftauchen, während ich hier bin.“

Er sah ihr in die Augen und befand, es sei an der Zeit, ein bestimmtes Thema anzusprechen, um es dann ein für alle Mal abzuhaken. „Was ist mit der Freundin, mit der du immer zusammen warst? Hieß sie nicht Darcy? Habt ihr noch Kontakt?“

Er sah, dass sie nervös hin und her rutschte, während sie an ihrem Wein nippte. Der Name Darcy hatte die Vergangenheit wieder auferstehen lassen, besonders jenen Tag vor zehn Jahren, an den sie jetzt beide dachten. Sie gab sich einen Ruck und wich seinem Blick nicht aus. „Ja, Darcy und ich sind immer noch eng befreundet. Ich habe vorhin mit ihr telefoniert. Sie ist geschieden und lebt in Minneapolis. Sie arbeitet für die Stadtverwaltung.“ Sie holte tief Luft. „Uriel, der Tag damals, als wir …“

„… als wir uns geküsst haben?“, ergänzte er, als sie nicht weitersprach.

„Ja. Offen gestanden war es mein erster Kuss. Ich wollte sehen, wie es geht, und fand, du solltest der Mann sein, der es mir zeigt. Darcy wusste das und hat mich mit einer Wette dazu gebracht, die Initiative zu ergreifen.“

Nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: „Ich muss mich bei dir entschuldigen. Was ich getan habe, war dumm. Aber damals habe ich viele Dummheiten gemacht.“

„Ich verstehe.“

„Wirklich, Uri?“

Er sah ihren durchdringenden Blick. Es war ihr wirklich wichtig, dass er ihre Entschuldigung akzeptierte. Offensichtlich hatte sie sich all die Jahre mit der Erinnerung an diese Sache gequält. Anderen jungen Frauen wäre es einerlei gewesen, ihr nicht.

„Ja, wirklich“, sagte er schließlich. „Ich gebe zu, zuerst war ich ziemlich sauer deswegen, aber ich bin bald darüber hinweggekommen.“

Wenn das keine Lüge war! Er hatte durchaus einige Zeit gebraucht, um die Angelegenheit entspannt zu sehen. Vor allem, weil er immer noch meinte, ihren Geschmack in seinem Mund zu haben, ganz gleich, wie viele Frauen er danach geküsst hatte.

„Das freut mich. Ich hatte es gehofft, war mir aber nicht sicher, weil ich dich nie wieder am See gesehen habe. Ich wusste, dass du da warst, wenn ich nicht hier war, weil meine Tante es erwähnt hat. Ich dachte immer, dahinter steckt Absicht.“

„Reiner Zufall“, log er, weil er ihr weitere Gewissensbisse ersparen wollte. Zehn Jahre waren zehn Jahre. Jetzt waren sie älter und klüger – und sie fühlten sich ebenso sehr zueinander hingezogen wie damals, das spürte er. Genau das war sein Problem. Er war sich nie sicher gewesen, ob ihr Interesse an ihm ebenso stark war wie seines an ihr, oder ob sie ihm nur etwas vorgespielt hatte – als Teil ihrer Wette mit Darcy.

Das war ein Geheimnis, das er noch lüften musste. „Wie lange bleibst du diesmal am See?“, erkundigte er sich.

„Einen Monat.“

Er nickte. Genauso lange wie er. Das hieß, er hatte einen Monat, um seine Neugier in ein paar Punkten zu befriedigen.

Er ließ den Blick noch einmal durch den Raum gleiten. Durch die vielen Veränderungen schien er jetzt besser zu Ellie als zu Ms. Mable zu passen. Alles schien viel zu modern für den Geschmack einer älteren Frau. Es war fast so, als habe Ms. Mable gewusst, dass ihre Nichte hier eines Tages wohnen würde.

Uriel stellte sein Weinglas ab und erhob sich. „Ich bin nur gekommen, um mich für meinen unbekleideten Zustand von vorhin zu entschuldigen – und auch, um dir mein Beileid zum Tod von Ms. Mable auszudrücken.“

„Danke.“

„Es ist schön, dich wiederzusehen, Ellie. Ich bin auch für einen Monat hier. Falls du etwas brauchst, findest du mich nebenan.“

Sie lächelte. „Danke, Uri. Ich werde daran denken.“ Sie begleitete ihn zur Tür.

„Hast du schon viele Pläne für diese Woche?“, fragte er.

Sie zuckte mit den Schultern. „Nein. Ich will die Sachen von Tante Mable durchsehen. Damit fange ich morgen an.“

„Okay. Ich fahre Dienstag nach Gatlinburg, um ein paar Vorräte einzukaufen. Wenn du mir eine Liste von den Sachen machst, die du brauchst, kann ich sie mitbringen.“

„Danke.“

„Keine Ursache. Gute Nacht.“ Er war länger geblieben, als er hätte bleiben sollen und wesentlich länger als geplant. Rasch öffnete Uriel die Tür und ging.

4. KAPITEL

Am nächsten Morgen musste Ellie ein paarmal die Augen auf- und wieder zumachen, bevor sie sich daran erinnerte, wo sie war. Sie beschloss, noch einen Moment liegen zu bleiben, um langsam zu sich zu kommen. Offenbar hatte sie am Vorabend doch etwas zu viel Wein getrunken. Einen schweren Kopf konnte sie sich wirklich nicht leisten bei allem, was sie sich für heute vorgenommen hatte. Aber sie wollte noch ein wenig im Bett liegen bleiben und an den unerwarteten Besuch denken, den Uriel Lassiter ihr abgestattet hatte.

Sie drückte das Kissen an sich, als sie daran dachte, wie sexy er war. Es war nett von ihm gewesen, sie zu besuchen, um reinen Tisch zu machen. Da sie den Vorfall von vor zehn Jahren nun abgehakt hatten, konnten sie endlich frei miteinander umgehen und Freunde sein. Offenbar plante er, ebenso lange hierzubleiben wie sie. Wahrscheinlich würden sie sich also gelegentlich über den Weg laufen. Damit konnte sie leben. Er hatte erwähnt, dass seine Patenbrüder ihn in dieser Zeit vielleicht besuchen würden. Was war mit einer Freundin?

Hätte sie einen Mann, der auch nur annähernd so sexy war wie Uriel, würde sie ihn nicht einen ganzen Monat lang allein lassen. Auch wenn sie nie gehört hatte, dass er eine Frau mit zum Haus am See gebracht hatte – Tante Mable hatte nie etwas davon erwähnt –, weigerte sie sich doch zu glauben, dass es keine besondere Frau in seinem Leben gab. Irgendwie konnte sie ihn sich nicht solo vorstellen.

Eines war jedoch sicher – auch wenn sie beide versucht hatten, es zu ignorieren. Es hatte am vergangenen Abend zwischen ihnen geknistert, besonders nachdem ihre Hände sich berührt hatten. Sie war wirklich erleichtert gewesen, dass er nicht darauf einging. Andere Männer hätten versucht, daraus etwas zu machen, und sie bezweifelte, dass sie einem Mann wie Uriel Lassiter etwas entgegenzusetzen hatte.

Nachdem er gegangen war, hatte sie noch versucht, sich irgendwie zu beschäftigen. Der Versuch, den Vorratsraum ihrer Tante aufzuräumen, war jämmerlich fehlgeschlagen, weil Mable eine perfekte Ordnung hatte. Aus irgendeinem Grund hatte sie keinen Schlaf gefunden. Nachdem sie sich ewig von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, war sie schließlich gegen drei Uhr morgens aufgestanden und hatte noch ein Glas Wein getrunken. Danach erinnerte sie sich an nichts mehr.

Langsam öffnete Ellie die Augen und warf einen Blick auf die Uhr. Der Tag hatte bereits ohne sie begonnen, und sie musste endlich aufstehen, wenn sie etwas schaffen wollte.

Sie hatte gerade die Decke beiseite geworfen und wollte sich aus dem Bett gleiten lassen, als ein Geräusch von draußen sie innehalten ließ. Noch einmal wollte sie sich nicht dabei erwischen lassen, dass sie aus dem Fenster starrte, also zog sie den Vorhang vorsichtig ein Stück beiseite und sah nach unten.

Sie hatte einen ungehinderten Blick auf Uriels Garten … und traute kaum ihren Augen. Uriel sprang Seil. Es sah ganz so aus, als machte er hundert Umdrehungen pro Minute. Er trug nur dunkle Shorts. Kein Wunder, dass der Mann einen solch durchtrainierten Körper hatte! Er glänzte vor Schweiß. Plötzlich sah sie im Geiste vor sich, wie sich dieser erhitzte, schweißnasse Körper an ihrem rieb.

Ein Schauer der Erregung durchlief sie. Musste sie sich deswegen schämen? Nein, sicher nicht. Schließlich war sie eine Frau, die schon lange keinen Mann mehr gehabt hatte. Fast vier Jahre, um genau zu sein. ...

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