Bianca Exklusiv Band 387

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KÜCHE, COWBOY, HOCHZEITSTRÄUME von MEG MAXWELL

West Montgomery will bei ihr kochen lernen? Davon hält Chefköchin Annabel rein gar nichts. Denn der verboten gutaussehende Cowboy hat ihr schon einmal das Herz gebrochen. Nur für seine kleine Tochter stimmt sie zu – und entdeckt an West völlig neue Seiten …

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  • Erscheinungstag 26.04.2025
  • Bandnummer 387
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531214
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Meg Maxwell

1. KAPITEL

Po’boys mit gegrilltem Wels und dem würzigen Krautsalat, für den Hurley’s Homestyle Kitchen berühmt war – das würde sie heute als Tagesgericht auf die Karte setzen, entschied Annabel Hurley. Die U-Boot-förmigen Sandwiches mit Sauerteigbrot und einer reichhaltigen Füllung waren eins der beliebtesten Gerichte in dem alteingesessenen Familienrestaurant. Doch als Annabel zufällig aus dem Küchenfenster blickte, wurde das Tagesgericht sofort zu ihrer kleinsten Sorge. Sie duckte sich hastig hinter die riesige Edelstahlschüssel, in der sie gerade den Teig anrührte, und seufzte, als vom hölzernen Rührlöffel Teig auf ihre Turnschuhe tropfte. Wie lächerlich. Versteckte sie sich gerade tatsächlich, weil West Montgomery sich dem Haus näherte?

Ja, das tat sie wohl. Sie war jetzt gerade mal seit vierundzwanzig Stunden zurück in Blue Gulch, und schon stand der Mensch, dem sie am meisten in der Stadt aus dem Weg gehen wollte, direkt vor der Tür.

Er hielt etwas in der Hand, so viel konnte sie erkennen, als sie sich langsam wieder aufrichtete. War das ein Scheckbuch? Wollte er sich dank seiner Mittel für heute Abend den besten Tisch des Restaurants sichern, von dem aus man einen zauberhaften Ausblick auf die Sweet Briar Berge hatte?

Gestern Abend, ihrem ersten seit langer Zeit in der Küche des Hurley’s, hatte sich Jillian Quisper, die Homecoming-Queen der Highschool, genau an diesem romantischen Zweiertisch mit PJ Renner verlobt. Nach PJs Antrag hatte Jillian so laute Freudenschreie ausgestoßen, dass sie das gesamte Küchenpersonal damit aufgescheucht hatte – dem Klang nach zu urteilen wäre es nämlich auch durchaus möglich gewesen, dass sie gerade an ihrem Salat erstickte.

Dass PJ, einer der reichsten Männer der Gegend, ausgerechnet das Hurley’s, ein kleines rustikales Restaurant, für seinen Antrag gewählt hatte, lag daran, dass fast alle Einwohner der Stadt als Teenager ihr erstes Date hier gehabt hatten. Im Hurley’s gab es nun mal das beste Steak, die besten Spareribs und die besten Po’boys.

Mit Hurley’s Homestyle Kitchen verband jeder in dieser Stadt positive Erinnerungen, offenbar sogar die Homecoming-Queen. Wenn sie ihren Freundinnen später erzählte, dass ihr Angebeteter im Hurley’s vor ihr gekniet hatte und ihr bei einer Portion zarter Rippchen unter dem kleinen Kronleuchter einen Antrag gemacht hatte, würden sie bestimmt alle vor Neid platzen.

Annabels eigene Erfahrungen mit Heiratsanträgen beschränkten sich auf Tagträume und nächtliche Fantasien davon, wie West Montgomery vor ihr kniete. Ha. Als ob West sich jemals zu so einem traditionellen Antrag hinreißen lassen würde. Nein, er würde eher ein Flugzeug kaufen und den Antrag dann in den Himmel schreiben. Oder die Worte aus Steinen zusammengesetzt auf eine romantische Lichtung legen. Er würde ihre Hand nehmen, ihr tief in die Augen blicken, sofort all ihre Gefühle erkennen und dann mit ihr nach Las Vegas durchbrennen, um sie dort in einer Elvis Presley Hochzeitskapelle zu ehelichen. Nicht, dass sie irgendjemanden heiraten würde, ohne dass ihre Gram und ihre Schwester dabei sein würden. Mal ganz abgesehen davon, dass West Montgomery ihr niemals einen Antrag machen würde.

Oder irgendjemand anderes.

Manchmal dachte sie, dass ihre Kochkünste offenbar das Einzige waren, was einen Mann an ihr interessierte. Schließlich ging Liebe ja bekanntlich durch den Magen. Aber ihre Fähigkeit, ein Grillsandwich zu machen, das möglicherweise sogar das ihrer Großmutter übertraf, hatte sie bisher auch nicht weitergebracht als hierher – zurück in die Küche des Hurley’s.

West schirmte nun mit der Hand seine Augen vor der hellen Aprilsonne ab und versuchte, durch das Küchenfenster zu spähen. Als er Annabel sah, wirkte er kurz überrascht, grüßte sie dann aber nickend.

Annabel atmete mehrmals tief durch, umfasste dann den Rührlöffel fester und strich sich mit der anderen Hand die Schürze glatt – was ein Fehler war, denn nun war sie auch noch voller Mehl – und ging zur Hintertür.

Die Hurleys betrieben ihr Restaurant im Erdgeschoss ihres Hauses, einem alten aprikosenfarbenen viktorianischen Schätzchen, das schon bessere Zeiten gesehen hatte.

West klopfte ein zweites Mal. Was wollte er denn nur?

Annabel Hurley, du bist fünfundzwanzig Jahre alt. Mach einfach die Tür auf und finde es heraus!

Und genau das tat sie. Nun stand er vor ihr in seiner ganzen Pracht. West Montgomery, eins neunzig groß, perfekt gebaut, dunkelbraune Augen und fast schwarzes, welliges Haar. Er trug heute verwaschene Jeans und ein grünes Chambray-Hemd, dazu einen schwarzen Stetson, den er kurz antippte, als er sie anblickte. Sie schluckte sofort schwer. Verflixt noch mal.

Auch er schien mit der Situation etwas überfordert zu sein. „Annabel“, sagte er unbehaglich. „Ich wusste gar nicht, dass du wieder in der Stadt bist.“

Er betrachtete sie von unten nach oben, angefangen bei dem Teigklecks auf ihrem Turnschuh bis hin zu dem Rührlöffel, den sie immer noch so festhielt, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

Als sie es bemerkte, lockerte sie sofort ihren Griff. Ob er sich gerade auch so intensiv an ihre Nacht erinnerte – na ja, an ihre Stunde, besser gesagt – die sie auf dem Heuboden in der Scheune auf der Ranch seiner Familie verbracht hatten? Das war eher unwahrscheinlich. Denn so, wie er sich am nächsten Tag verhalten hatte, hatte er sie bestimmt schon zwei Minuten später wieder vergessen.

„Ich bin erst gestern angekommen“, erwiderte sie daraufhin.

Er wirkte zerstreut, so als ginge ihm gerade etwas im Kopf herum. Diesen Ausdruck kannte sie nur zu gut an ihm. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und die Sorgenfalten auf seiner Stirn weggestreichelt … so wie damals. Aber das ging natürlich nicht. Mit einem tiefen Atemzug schien er sich für das bevorstehende Gespräch zu wappnen. Wie lange bleibst du denn? Wie geht es dir?

Small Talk war nicht gerade seine Stärke, das wusste sie.

Doch er blickte nur auf seine Armbanduhr und sagte: „Ist deine Großmutter zufällig hier? Ich will mich noch für ihren Kochkurs anmelden. Der fängt doch morgen an, oder?“

So viel zum Thema Small Talk. Oder vielleicht sogar zu einer Entschuldigung für sein unmögliches Verhalten damals.

Annabel wurde nun plötzlich bewusst, dass sie ihn immer noch wie eine Erscheinung anstarrte. Der Mann sah aber auch einfach zu gut aus. So gut, dass sie beinahe nicht mitgekommen hätte, was er gesagt hatte.

„Du willst dich für den Kochkurs anmelden?“, wiederholte sie ungläubig. West in einer Küche – das war wirklich nur schwer vorstellbar.

Ihre Großmutter hatte schon Kochkurse in ihrer großen Landhausküche angeboten, solange Annabel denken konnte. Die zusätzlichen Einnahmen hatte sie immer gut gebrauchen können, nachdem sie ihre drei verwaisten Enkelkinder aufgenommen hatte. Sobald Annabel alt genug gewesen war, hatte sie angefangen, Gram in der Küche zu helfen.

West schaute nun an ihr vorbei zur Arbeitsplatte, wo die Zutaten für Grams berühmte, in der Pfanne gebackenen Brötchen, und die hausgemachte Apfelbutter auf ihre Verarbeitung warteten.

„Ist denn noch ein Platz frei in dem Kurs?“, fragte er und wedelte mit dem Scheckbuch. „Ich zahle auch das Doppelte.“

Das Doppelte? Wie dringend war ihm denn sein Anliegen?

„Der Kurs fällt leider aus“, antwortete Annabel daraufhin. „Gram geht es nicht gut, und der Arzt hat ihr deshalb strengste Schonung verordnet.“

Bei dem Gedanken daran, wie Essie, ihre geliebte und mit fünfundsiebzig Jahren noch topfitte Großmutter, plötzlich in der Küche zusammengebrochen war, schloss Annabel kurz die Augen. Sie hätte für sie da sein müssen. Sie hätte niemals weggehen dürfen.

Stattdessen hatte sie in Dallas gesessen und versucht, so etwas wie ein eigenes Leben hinzukriegen – und das ganze sieben Jahre lang. Sie spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht schoss, und wandte sich hastig ab.

West nahm nun den Hut ab und drückte ihn an seine Brust. „Deshalb bist du also zurückgekommen“, sagte er leise. „Das mit deiner Großmutter tut mir wirklich sehr leid. Vor ein paar Monaten bin ich ihr noch im Supermarkt begegnet, als ich eine Geburtstagstorte für meine Tochter kaufen wollte. Ich habe ihr von meinem eigenen misslungenen Versuch erzählt, und sie hat mich daraufhin überredet, die Torte wieder ins Regal zurückzustellen und bot mir dann an, einen Kuchen für meine Tochter zu backen. Dann wollte sie noch wissen, was meine Tochter besonders gern mag, und am nächsten Morgen kam sie mit einer Torte an, die aussah wie ein Baum – komplett mit grünen Blättern, Zweigen, Äpfeln und einem Mädchen, das gerade hinaufklettert. Lucy ist daraufhin fast ausgeflippt vor Freude. Sie spricht noch heute von ihrer Geburtstagstorte.“

Ja, das klang ganz nach Gram. Immer hilfsbereit und immer willens, noch mehr zu tun, als nötig war. Annabel ging nun zurück zu der Arbeitsplatte, um ihren Teig weiterzurühren.

„Warum willst du denn überhaupt einen Kochkurs machen?“, fragte sie neugierig.

West folgte ihr in die Küche und schloss die Tür hinter sich, wobei er aber ihrem Blick auswich.

„Ich muss endlich mal ein paar Grundlagen lernen. Omeletts, Brathähnchen, vielleicht Hühnersalat aus Resten für Sandwiches. So was in der Art. Und Kekse wie deine Großmutter sie macht.“

Damit war er ihrer Frage geschickt ausgewichen. „So was kann dir doch auch deine Frau beibringen“, erwiderte sie nicht sehr subtil.

Sofort sah sie Lorna Dunkin Montgomerys Gesicht vor sich. Von all den hübschen Mädchen in der Stadt hatte sich Annabels Traummann zielsicher das gemeinste ausgesucht. Die Anführerin der Gruppe, die Annabel immer „Freakabel“ genannt und sie wegen ihrer schlaksigen Figur, den krausen rotbraunen Haaren und den handgenähten Klamotten immer ausgelacht und gehänselt hatte.

Wie idiotisch von Annabel, sich heimlich in einen Jungen wie West zu verlieben, den Außenseiter in seiner schwarzen Lederjacke, der das Haar immer etwas zu lang trug. Genau zwei Mal hatte sie damals mit ihm gesprochen, und ihr war sofort klar gewesen, dass er genauso kompliziert und freundlich war, wie gut aussehend. Aber dass er auf Lorna hereinfiel und sie dann auch noch heiratete? Das hatte sie nie kapiert, und sie war ehrlich gesagt auch nie darüber hinweggekommen.

Ein paar Monate nach ihrer Sternstunde mit West in der Scheune hatte sie die beiden schließlich als Braut und Bräutigam aus der Kirche kommen sehen. Er musste Lorna wohl geschwängert haben, hatte sie damals gehässig gedacht, wenn er sie nach ein paar Monaten bereits heiratete.

Gram hatte ihr Taschentücher und selbst gemachtes Karamell-Schoko-Eis gebracht, und am Ende ihres Gesprächs hatte Essie Hurley ihre Enkelin davon überzeugt, das Stipendium anzunehmen, das ihr das Kulinarische Institut in Dallas angeboten hatte, anstatt in Blue Gulch zu bleiben und Gram mit dem Restaurant zu helfen.

„Vielleicht kommst du danach ja wieder nach Blue Gulch zurück, vielleicht aber auch nicht“, hatte Gram gesagt. „Aber du musst zuerst deinem Herzen folgen.“

Es stimmte, das Kulinarische Institut war schon immer Annabels Traum gewesen. Sie hatte tatsächlich vorgehabt, nach dem Abschluss nach Blue Gulch zurückzukommen, im Hurley’s zu kochen, und vielleicht der Speisekarte hier und da ein paar raffinierte Ergänzungen hinzuzufügen, um das Restaurant für die Gäste des schicken Steakhauses interessant zu machen, das ein paar Häuser weiter eröffnet hatte.

Aber dann hatte sie bei einem ihrer wenigen Besuche zu Hause die schwangere Lorna gesehen. Und später West mit seinem kleinen Mädchen im Kinderwagen. Und sie hatte es einfach nicht fertiggebracht, dem Mann, den sie liebte, ständig über den Weg zu laufen und dabei Zeugin seines Glücks zu werden. Also war sie lieber in Dallas geblieben, wo sie aber ganz offensichtlich einfach nicht hingehörte.

„Lorna ist vor über einem Jahr bei einem Autounfall gestorben“, sagte West.

Jetzt schämte sie sich für ihre gehässigen Gedanken. „Das tut mir sehr leid“, erwiderte sie. „Für dich und für deine Tochter.“

Erneut hob West sein Scheckbuch. „Ich habe den Scheck sogar schon ausgestellt. Wahrscheinlich hast du nicht viel Zeit, wenn du dich um das Restaurant und deine Großmutter kümmern musst, aber meinst du, du könntest mir vielleicht trotzdem ein oder zwei Privatstunden geben?“

Warum um alles in der Welt war es so wichtig für ihn, Omeletts machen zu können?

Nun ja, helfen könnte sie ihm schon, und das Geld konnte sie in der Tat auch gut gebrauchen. Ein kurzer Blick auf die Bücher gestern hatte ihr nämlich gezeigt, dass Hurley’s Homestyle Kitchen im letzten halben Jahr nur noch rote Zahlen geschrieben hatte – wahrscheinlich, weil sich Gram schon länger nicht mehr gut gefühlt hatte. Essie hatte niemandem etwas gesagt, nicht einmal Clementine, Annabels jüngerer Schwester, die als Kellnerin im Restaurant arbeitete.

Mit den dreihundert Dollar für den sechswöchigen Kurs konnten sie die Vorratskammer neu bestücken – zumindest ein paar Tage lang.

„Hattie, unsere zweite Köchin, könnte dir ein paar Dinge zeigen“, schlug Annabel vor.

So dringend sie das Geld auch brauchte, der Gedanke daran, wochenlang mit ihm in der Küche allein zu sein und dabei ständig an ihre gemeinsame Nacht denken zu müssen, in der sie fast mit ihm geschlafen hätte … nur, um am nächsten Tag festzustellen, dass er mit Lorna Dunkin rummachte … nein, das ging überhaupt nicht.

Sie hatte die beiden auf dem flachen Felsen am Stadtrand erwischt, wo sie jeden Nachmittag Kräuter sammelte und auch West zum ersten Mal begegnet war.

Verdammt, warum tat das Ganze immer noch so weh?

„Bitte, Annabel. Es ist wirklich unglaublich wichtig für mich.“

„Was kann denn so wichtig daran sein, Kekse backen zu können?“, gab sie schnippisch zurück, aber dann biss sie sich sofort auf die Lippe.

Das alles war jetzt sieben Jahre her, und sie war keine achtzehn mehr. Er ist mittlerweile Witwer, Herrgott noch mal. Alleinerziehender Vater. Aus welchem Grund auch immer hat er sich nun einmal in den Kopf gesetzt, backen zu lernen.

Stirnrunzelnd blickte er sie an. „Bringst du es mir jetzt bei oder nicht?“ Er setzte den Hut wieder auf. „Du kannst die Stunden ja auch zusammenfassen, wenn du willst, alle paar Tage eine Stunde für ein oder zwei Wochen – entweder frühmorgens oder nach Restaurantschluss – ganz wie es dir besser passt.“

Er zog einen Stift aus seiner Hemdtasche, füllte einen zweiten Scheck aus und legte ihn auf die Arbeitsplatte. „Das sind tausend Dollar. Bitte, Annabel.“

Tausend Dollar? Du lieber Himmel. So ein Angebot konnte sie doch unmöglich ausschlagen. Du wirst es schon überstehen, sagte sie sich. Du wirst ihm einfach zeigen, wie man Hähnchen grillt und Kartoffeln schält, und fertig. Das ist doch keine große Sache.

Sie warf ihm einen Blick zu und rührte dann den Teig weiter, der mittlerweile schon viel zu zäh geworden war. Den konnte sie jetzt wohl wegwerfen.

„Montags haben wir immer geschlossen, also können wir meinetwegen gleich morgen anfangen. Um sechs Uhr. Bring eine Schürze mit, wenn du eine hast.“

Er schien erleichtert aufzuatmen und schob den Scheck näher zu ihr. „Du wirst es nicht glauben, aber ich habe tatsächlich eine. Meine Tochter hat sie für mich gemacht, letztes Jahr im Feriencamp. Mit bunten Handabdrücken darauf.“

Das kleine Mädchen, das seine Mutter verloren hatte, tat ihr auf einmal unglaublich leid, denn sie wusste nur zu gut, wie das war.

„Normalweise würde ich das Geld nicht annehmen“, erklärte sie und steckte den Scheck in ihre Jeanstasche, „aber Gram hat niemandem gesagt, dass es ihr schlecht geht, und in der Zwischenzeit ist es hier offenbar nicht so gut gelaufen. Wir können das Geld deshalb gerade sehr gut gebrauchen.“

Er nickte und wandte sich zum Gehen.

„Es macht dir doch nichts aus, dass Gram dir nicht den Unterricht gibt?“, fragte sie, als er schon die Hand auf die Klinke gelegt hatte. Idiotisch. Warum sagte sie nicht einfach, was sie wirklich dachte: Hast du in all den Jahren auch nur einmal an mich gedacht? Warum hast du damals, in dieser Nacht, die Sache einfach abgebrochen?

Aber sie wusste ja warum – das dachte sie zumindest. Weil ihm klar geworden war, dass er im Begriff gewesen war, mit der Außenseiterin der Schule etwas anzufangen … mit der von allen verspotteten Freakabel. Sie war damals einfach nur zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen. Er war vor Kummer über den Tod seines Bruders außer sich gewesen, und sie hatte ihn getröstet.

Aber dann hatte er die Augen aufgemacht und gemerkt, dass er gerade mit einer mageren Vogelscheuche mit krausen Haaren knutschte, die er vorher keines Blickes gewürdigt hatte. Also hatte er sie heimgeschickt und am nächsten Tag Lorna Dunkin auserwählt, die mit ihren blond gefärbten Haaren, Körbchengröße D und den hochhackigen Schuhen einfach mehr hermachte als sie. Wahrscheinlich erinnerte sich West nicht einmal mehr an den Zwischenfall in der Scheune.

Er drehte sich noch einmal zu ihr um und blickte sie dabei so eindringlich an, dass sie hastig den Kopf senkte. „Ich denke immer noch an das Chili con Carne, das du mir gemacht hast, als ich erfahren habe, dass mein Bruder gestorben ist. Ich habe nie vergessen, wie gut es war – so gut, dass ich sogar für einen Moment meinen Kummer vergessen habe. Da warst du gerade mal achtzehn Jahre alt, oder?“

Also erinnerte er sich doch daran. Sofort hatte sie wieder das Bild vor Augen, wie er auf diesem Felsen saß, die Arme um die Knie geschlungen, und wie seine Schultern gezittert hatten. West Montgomery, der um seinen älteren Bruder weinte, der in Afghanistan gefallen war.

Er steckte die Hände in die Hosentaschen. „Na, dann.“

„Na, dann“, gab sie zurück, doch der Erinnerungsfilm lief trotzdem unaufhaltsam weiter vor ihrem inneren Auge ab.

Sie hatte ihm das Chili in die Scheune gebracht, in der er sich versteckt hatte, als ihm die Kondolenzbesucher im Haupthaus zu viel geworden waren. Sie hatten sich eine Weile unterhalten, und als sie aufstand und gehen wollte, hatte er sie aufgehalten. Er hatte sich bei ihr bedanken wollen, aber offenbar nicht die richtigen Worte gefunden. Er wollte Trost, konnte aber nicht darum bitten, also hatte er sie einfach in die Arme genommen und eine kleine Ewigkeit lang festgehalten. Anschließend hatte er sie geküsst, und ihr waren vor Überraschung und wegen der unglaublichen Gefühle, die sie plötzlich durchströmt hatten, tatsächlich die Beine weggeknickt. West hatte sie daraufhin aufgefangen und auf die Decke im Stroh gelegt.

Sie schüttelte leicht den Kopf, um die Bilder zu verdrängen, und dachte dabei an seine Worte von gerade eben – dass ihr Chili ihn von seinem Kummer abgelenkt hatte. Wollte er deshalb kochen lernen? Um über den Verlust seiner Frau hinwegzukommen? Aber traurig wirkte er eigentlich gar nicht, eher besorgt.

Unvermittelt zog er eine Hand aus der Tasche, riss ein Blatt von der Küchenrolle auf der Arbeitsplatte und wischte ihr damit vorsichtig die Wange ab.

„Teig“, erklärte er, zerknüllte das Tuch und ließ es in den Abfalleimer fallen. „Dann bis morgen um sechs.“

Sprachlos beobachtete Annabel durch das Küchenfenster, wie er zu seinem am Straßenrand geparkten silbernen Pick-up ging und einstieg.

Auf was in alles in der Welt hatte sie sich da gerade eingelassen?

Es war Montag, halb sechs, und West konnte es sich einfach nicht erklären, wieso zum Teufel die frittierten Hähnchenteile, die er für seine Tochter gemacht hatte, so komisch schmeckten. Was hatte er denn nur falsch gemacht? Erst die Teile in geschlagenem Ei wälzen, dann in Mehl, und danach in einer Pfanne mit Öl frittieren. Was war denn daran schon so kompliziert? Und warum schmeckte es nicht so wie das Hühnchen, das er letzte Woche im Hurley’s gegessen hatte?

Das hier hatte nicht einmal geschmackliche Ähnlichkeit mit den Chicken Nuggets, die Lorna immer gemacht hatte, und die waren sogar tiefgefroren aus der Tüte gewesen. Aber Tiefkühlkost, Fast Food und Hotdogs hatte es bei ihm schon viel zu oft gegeben. Bis jetzt zumindest.

Der Beweis dafür, dass er vorher wohl besser erst kochen lernen sollte, lag allerdings gerade vor ihm auf dem Teller, und saß ihm außerdem gegenüber. Seine sechsjährige Tochter Lucy hatte bisher nur ein paar Bissen gegessen. Wie immer zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen, wenn er sie so sah – wie süß sie war und wie sehr er sie liebte! Ihre dunklen Locken wippten jedes Mal auf und ab, wenn sie mit der Gabel nach einer der grünen Bohnen stocherte, die sie dann aber doch nicht aß.

Der Kinderarzt sagte, das wäre ganz normal für ihr Alter. Aber von der gebackenen Kartoffel hatte sie auch nur einmal gekostet. Nun ja, sie war viel zu hart, obwohl er das Online-Rezept sorgfältig befolgt und danach sogar extra viel Butter darauf gegeben hatte.

Vom Hähnchen hatte Lucy bisher zwei Bissen gegessen und dann ein Stück unter den Tisch geschmuggelt, wo Daisy, ihr immer hungriger Beagle, schon darauf wartete.

Aber wer wollte es ihr verdenken? Ihm schmeckte dieses zähe, fade Essen schließlich auch nicht.

„Erdnussbuttersandwich?“, fragte er grinsend.

Lucy nickte enthusiastisch.

Er stand auf, hob Lucy vom Stuhl und drückte sie fest an sich. Wenn sie ihre Ärmchen um seinen Hals schlang, war das für ihn das beste Gefühl auf der Welt.

„Sei schön brav, wenn gleich Miss Letty kommt“, sagte er, während er kurz darauf halbwegs beruhigt dabei zusah, wie sie zumindest ihr – sicherlich furchtbar ungesundes – Sandwich verschlang. „Sie passt auf dich auf, während ich beim Kochkurs bin.“

Sofort musste er an die Frau denken, die seine Lehrerin sein würde: Annabel Hurley. Sie hatte noch immer diese helle Haut und die langen, seidigen rotbraunen Haare. Groß war sie immer schon gewesen, aber jetzt hatte sie außerdem an genau den richtigen Stellen sehr wohlproportionierte Kurven.

Er erinnerte sich noch daran, wie er sich eine Strähne dieses Haares um die Hand gewickelt hatte, an den Duft von Kakaobutter und wie sich ihre zarte Haut angefühlt hatte. Wie sie auf dem Heuboden scheu den Pullover ausgezogen hatte, unter dem sie einen weißen Spitzen-BH getragen hatte. Sein Verlangen hatte ihn damals fast umgebracht.

Wenn er doch nur die Zeit um sieben Jahre zurückdrehen könnte … dann würde er in dieser Nacht alles anders machen und es gar nicht erst so weit kommen lassen, sosehr er sich auch damals gewünscht hatte, es wäre noch viel, viel mehr passiert.

Aber wenn er alles anders gemacht hätte, würde es jetzt auch Lucy nicht geben, und das wollte er sich wiederum nicht einmal vorstellen.

„Lernst du dort auch, wie man Eis macht?“, fragte Lucy neugierig.

Ihre andere Lieblingsbeschäftigung neben dem Klettern auf Bäume war es nämlich, Eis mit warmer Karamellsauce zu essen.

„Na klar doch!“, sagte er, obwohl ihm schon bei dem Gedanken an Eis fröstelte.

Am Samstag war Raina Dunkin, Lucys Großmutter mütterlicherseits, unangemeldet bei ihnen hereingeplatzt und hatte anstatt einer Begrüßung Lucy die Eisschüssel aus der Hand gerissen.

„Kein Kind sollte morgens um elf Uhr Eis essen!“, hatte sie mit ihrer schrillen Stimme geschimpft und war sofort zur Spüle gestöckelt, um das Corpus Delicti zu vernichten.

Obwohl heiße Wut in ihm aufgestiegen war, hatte West Lucy ruhig gebeten, in ihrem Zimmer zu spielen, während er mit ihrer Nana redete. Sobald Lucy draußen war, hatte sich Raina vor ihm aufgebaut und mit ihrem rot lackierten Fingernagel wild in der Luft herumgefuchtelt.

„Entweder, du fängst jetzt bald mal an, dich ordentlich um Lucy zu kümmern, oder mir bleibt keine andere Wahl, als das Sorgerecht zu beantragen! Du hattest ja jetzt wohl genug Zeit, dich an die Situation zu gewöhnen. Aber nein, Hotdogs und Süßigkeiten, das ist alles, was das Kind bei dir zu essen bekommt! Und jetzt auch noch Eis vor dem Mittagessen, das wahrscheinlich wieder einmal in einem Fast-Food-Restaurant stattfindet, oder? Und schau dir mal ihre Haare an! Lieber Himmel, West, kämm dem Mädchen endlich mal die Haare und mach ihr einen Pferdeschwanz! Und warum ist diese zerrissene grüne Hose immer noch nicht in der Kleidersammlung?“

West wusste nicht mehr, wie er es geschafft hatte, ruhig zu bleiben. „Erstens ist Samstag“, hatte er protestiert, „da kann sie anziehen, was sie will, und zweitens tue ich ja schon mein Bestes …“

Doch er hörte selbst, wie lahm das alles klang. Neben dem Ärger stieg nun auch noch Scham in ihm auf.

„Aber dein Bestes reicht leider nicht aus, ist es nicht so?“, erwiderte Raina bissig. „Wenn du besser auf sie aufpassen würdest, dann hätte sie auch nicht so viele Kratzer und blaue Flecken wie ein Straßenjunge.“

West liebte es, seinem kleinen Wildfang beim Spielen zuzusehen … wie sie mit Daisy über den Hof rannte … die Rutsche hinunterflitzte, oder auf den Apfelbaum kletterte. Manchmal bekam er es sogar selbst mit der Angst zu tun, weil sie es bis zur Krone hinaufschaffte. Ja, manchmal holte sie sich dabei auch einen Kratzer oder einen blauen Fleck, aber sie war rundherum glücklich und fühlte sich geliebt.

Mit der Liebe hatte West nämlich keine Schwierigkeiten – es waren eher die praktischen Dinge, die ihn im Alltag vor Probleme stellten. Kochen zum Beispiel oder Haare kämmen. Meist überließ er ihre schulterlangen Ringellocken sich selbst, und Miss Letty brachte es später in Ordnung, wenn sie auf Lucy aufpasste. Sie war einfach wunderbar, und Lucy liebte sie heiß und innig, aber kochen konnte sie leider auch nicht.

„Mein Fehlschlag von Tochter hat sogar Wasser anbrennen lassen“, fügte Raina nun hinzu, „aber wenigstens hat sie dafür gesorgt, dass man sich mit Lucy in der Öffentlichkeit blicken lassen konnte. Krieg das in den Griff oder wir sehen uns vor Gericht.“

Mit diesen Worten wandte sie sich wieder zur Tür.

„Wag es ja nie wieder, Lorna als Fehlschlag zu bezeichnen“, presste West hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.

Ihre Ehe war zwar nicht allzu gut verlaufen, und Lorna hatte ihm einen Tag vor dem Unfall sogar gesagt, dass sie ihn verlassen würde, aber es war ihm trotzdem wichtig, dass ihre Tochter Lorna in guter Erinnerung behielt, und er würde es nicht zulassen, dass die berüchtigte Giftspritze Raina sie herabsetzte.

Raina hatte nur missbilligend geschnaubt und dann die Tür hinter sich zugeworfen. Um seine Wut zu verarbeiten, hatte West Lucy schließlich bei Miss Letty abgegeben und war die Zäune seiner riesigen Ranch abgeritten, um sich beim Hämmern abreagieren zu können.

Lornas reiche, einflussreiche Eltern hatten ihn nie gemocht. Nicht nur, dass seine Familie in Blue Gulch nicht zu den besseren Kreisen zählte, er war auch noch das schwarze Schaf. Mit dem Tod seines Bruders hatten seine Eltern ihren Lieblingssohn verloren und waren stattdessen auf ihm, dem Rebellen, sitzen geblieben. West konnte sich nur allzu lebhaft vorstellen, wie sein Vater sich gewünscht hatte, West wäre statt seines Bruders gestorben, und seine Mutter hätte daraufhin geantwortet: „Als ob West für sein Land kämpfen würde …“

Sie hatten das zwar nie laut gesagt, aber West hatte es trotzdem überdeutlich gespürt. Aber bevor er ihnen zeigen konnte, was wirklich in ihm steckte, hatten sie Blue Gulch verlassen, um in Austin ganz neu anzufangen. Zweifellos auch, um dem Klatsch über West und seine schwangere Freundin zu entkommen. Ein paar Monate später waren sie dann bei einem Hausbrand ums Leben gekommen.

Lorna und die Dunkins hatten mit seiner Trauer nicht viel anfangen können. An der Antipathie von Lornas Eltern ihm gegenüber hatte sich bis heute nichts geändert. Auf keinen Fall durfte er zulassen, dass diese grässlichen Menschen Lucy jemals in die Finger bekamen. Natürlich hatte er versucht, nach Lornas Tod eine Haushälterin einzustellen, aber die erste hatte Lucy ständig ausgeschimpft und Mahlzeiten gekocht, die eher in ein Fünfsternerestaurant gepasst hätte und die weder Lucy noch ihm geschmeckt hatten. Die nächste hatte irgendwann vergessen, dass Lucy kein Soja vertrug, und sie damit in die Notaufnahme gebracht.

Danach hatte er es aufgegeben und lieber selbst gekocht.

Aber nun würde er endlich lernen, wie es richtig ging.

Dass Annabel Hurley seine Lehrerin sein würde, machte die Sache eigentlich sogar noch besser. Denn jeder in der Stadt – die Dunkins eingeschlossen – mochte Gram Hurley. Wenn er also bei Annabel kochen lernte, würde Raina bestimmt endlich Ruhe geben. Und wenn nicht – nun, er hatte die kleine Ranch seiner Eltern mittlerweile in ein florierendes Unternehmen verwandelt und konnte sich daher einen guten Anwalt leisten.

Er musste nur aufpassen, dass er sich nicht in Annabel verguckte – nicht noch einmal. Mit Beziehungen war er nämlich durch, und zwar ein für alle Mal. Außerdem stand zu viel zwischen ihnen, was er lieber ganz schnell vergessen wollte. So, wie er sie damals behandelt hatte, hätte es ihn nicht überrascht, wenn sie ihm eine Bratpfanne über den Schädel gezogen hätte, anstatt einzuwilligen, ihm Kochunterricht zu geben.

Draußen hörte er nun Miss Lettys Wagen, deshalb ging er mit Lucy zur Tür. Freudig stürzte sich seine Tochter auf die ältere Nachbarin. „Ich habe ein neues Spiel, willst du es sehen?“

Miss Letty lächelte und ließ sich von Lucy ins Haus ziehen. West umarmte und küsste Lucy zum Abschied und ging dann zu seinem Wagen. Es wurde Zeit zu lernen, welche Fehler man beim Kochen besser vermied.

2. KAPITEL

Annabel band sich gerade ihre gelbe Lieblingsschürze um und blickte zur Uhr. In zehn Minuten würde West kommen. Noch einmal ging sie die Liste durch, die sie gemacht hatte. Heute würde sie sich ganz auf das Frühstück konzentrieren, auch wenn eigentlich schon Abendessenzeit war.

Sie wollte gerade die nötigen Zutaten aus dem Kühlraum holen, als ihr einfiel, dass sie bei West vielleicht besser ganz von vorn anfing. Welche Zutaten musste er einkaufen und wie lagerte er diese sachgerecht? Für tausend Dollar konnte er das schon erwarten.

Pünktlich um sechs Uhr klopfte es an der Hintertür. Annabel atmete tief durch und ließ ihn herein.

„Ich habe sogar meine Schürze dabei“, sagte er anstatt einer Begrüßung und streckte sie ihr hin.

Lächelnd hielt sie ihm die Tür auf und versuchte, ihn dabei nicht zu sehr anzustarren. Er trug ein dunkelblaues T-Shirt, in dem seine breiten Schultern äußerst vorteilhaft zur Geltung kamen, und eine Jeans, die von einem braunen Gürtel mit einer Mustang-Schnalle gehalten wurde. Er hatte wirklich ordentlich Muskeln bekommen von der ganzen Rancharbeit. Damals, mit neunzehn Jahren, war er noch nicht so durchtrainiert gewesen.

„Komm doch rein“, sagte sie überflüssigerweise.

Er hängte seinen Hut an den Haken neben der Tür, und ging dann zu der großen Kücheninsel in der Mitte des Raumes.

Du musst jetzt was sagen, Annabel!

Sie räusperte sich. „Du hast gesagt, du willst die Grundlagen lernen, deshalb dachte ich, fangen wir heute mit dem Frühstück an – Rühreier, Omeletts, Arme Ritter, gebratenen Speck.“

„Lucy liebt Rührei und Arme Ritter, und ich liebe Speck. Klingt also sehr gut.“

„Lucy ist sechs Jahre alt?“, fragte Annabel.

Sechs Jahre. In all der Zeit, in all den Jahren, hatte West bestimmt keinen einzigen Gedanken an Annabel verschwendet. Sie hatte sich immer darüber aufgeregt, dass er sie für die Sexbombe Lorna wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen, dabei war wohl eher die Vaterschaft der Grund dafür gewesen, dass er alles zwischen ihnen vergessen hatte.

Was war schon eine Stunde heißes Knutschen auf einem Heuboden gegen die Geburt eines Babys, das erste Lächeln, die ersten Schritte und dann den ersten Schultag?

Wie hatte sie nur so dumm sein können, sich sieben Jahre lang zu fragen, ob er noch an sie dachte! Natürlich hatte er das nicht getan.

Trotzdem hatte sie letzte Nacht stundenlang wach gelegen. Wie gut es sich angefühlt hatte, in seinen Armen zu liegen! Wie leidenschaftlich sein Kuss gewesen war! Sie konnte es einfach nicht vergessen. Gegen drei Uhr in der Früh hatte sie sich schließlich selbst das Versprechen gegeben, sich nicht von seinem hübschen Gesicht und seinem unglaublich verführerischen Körper dazu verleiten zu lassen, sich noch einmal in ihn zu verlieben, und sich schon gar nicht von seinen Problemen vereinnahmen zu lassen. Er hatte schon vor sieben Jahren Probleme gehabt. Sie war ihm damals zu Hilfe geeilt, hatte sich das Herz brechen lassen und sich dann plötzlich auf einem Lebensweg wiedergefunden, den sie eigentlich gar nicht bewusst eingeschlagen hatte. Sie hatte ihr Zuhause, ihre Großmutter und ihre jüngere Schwester Clementine verlassen, nur um in Dallas stumpfsinnig vor sich hin zu leben und so zu tun als ob.

Heute hatte er wieder Probleme, und erneut würde sie es sein, die ihm half. Aber dieses Mal würde sie ihm nur so weit entgegenkommen, wie es unbedingt nötig war. Sie würde nicht zulassen, dass er ihr wieder unter die Haut ging.

West nickte und streifte sich die Schürze über. „Ja, kaum zu glauben, aber sie ist jetzt schon sechs. Sie geht schon in die erste Klasse und ist ein richtiges kleines Mathe-Genie.“

„Oh, da hat sie mir was voraus“, erwiderte Annabel lächelnd. „Aber immerhin komme ich mit der Umrechnung von Gramm in Milliliter und solchen Sachen klar.“

Nervös blickte sie zur Uhr. Eine Minute nach sechs. Für tausend Dollar erwartete er bestimmt Ergebnisse und keinen Small Talk. „Ich dachte, dass wir am besten bei den richtigen Zutaten anfangen. Rührei zuerst.“

Sie ging zur Arbeitsplatte und reichte ihm einen Ordner. „Ich habe dir schon einmal ein Rezeptbuch zusammengestellt. Finde das Rezept für die Rühreier mit Speck und sag mir dann, was wir dafür brauchen.“

Er schlug den Ordner auf, ging die Blätter durch und nahm dann eines heraus. „Hier. Eier, Milch, Butter und Speck.“

Annabel erklärte ihm jetzt zuerst einmal die Grundlagen. Nachdem sie ihm noch die verschiedenen Formen von Pfannen gezeigt hatte, ließ sie ihn einen einzelnen Streifen Speck braten.

„Während dieser knusprig wird, kümmern wir uns um die Eier.“

Sie zeigte ihm, wie man die Eier aufschlug, sie verquirlte und würzte, etwas Milch hinzufügte und schließlich den ganzen Mix in die Pfanne gab.

Der Duft von gebratenem Speck ließ ihr sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie hatte heute noch nicht viel gegessen. Als das Rührei fertig war, hätte sie ein kleines Pferd verschlingen können. Sie ließ ihn die Eier nun vom Herd nehmen, den Speck auf Papiertüchern abtropfen, und dann das Essen auf zwei Tellern verteilen.

„Je nachdem, wie hungrig man ist, kann man auch noch Toast oder Brötchen dazu servieren“, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber an den Frühstückstresen. „Guten Appetit.“

Er blickte zweifelnd auf seinen Teller, dann führte er vorsichtig die Gabel zum Mund.

„Das habe ich gemacht? Das ist echt ziemlich gut.“ Es klang geradezu erleichtert.

Gern hätte sie ihn gefragt, warum er tausend Dollar dafür zahlte, um ein paar Küchengrundlagen zu lernen, aber als sie ihn verstohlen betrachtete, bemerkte sie den harten Zug um seinen Mund und seinen verschlossenen Blick. Er wollte offensichtlich keine Fragen gestellt bekommen und er wollte auch nicht reden. Er wollte nur kochen lernen, und dafür zahlte er gutes Geld.

Na schön.

Sie probierte die Eier auf ihrem Teller und nahm dann ein Stück Speck. „Das ist besser als gut, das ist wirklich köstlich.“

Unter dem Frühstückstresen waren sich ihre Knie verflixt nah und hatten sich schon ein paar Mal aus Versehen berührt. Annabel hielt das Ganze nicht mehr länger aus.

„Wie wäre es denn mit Kaffee?“

„Gute Idee. Wir hatten wohl beide ziemlich Hunger, was?“ Er betrachtete die zwei leeren Teller. „Du hast bestimmt ziemlich viel um die Ohren mit dem Restaurant und der Sorge um deine Großmutter. Danke, dass du das hier trotzdem machst.“

„Na ja, wir brauchen das Geld wirklich dringend“, erklärte sie, ohne weiter auf seinen fragenden Blick einzugehen.

Er braucht nicht genau zu wissen, wie schlecht es um das Hurley’s wirklich steht. Mach einfach mit den Armen Rittern weiter.

Eine halbe Stunde später saßen sie erneut am Frühstückstresen, tranken den zweiten Kaffee und probierten die Armen Ritter, die sie gemeinsam gemacht hatten.

„Köstlich“, sagte er. „Ich wünschte, ich wäre nicht schon von den Rühreiern so satt.“

Sie lachte. „Das geht mir genauso. Aber du musst auf jeden Fall noch ein Stück mit Zimt und Puderzucker probieren.“

„Lucy wird begeistert sein“, sagte er und tauchte einen Bissen in den Ahornsirup, den sie ihm ans Herz gelegt hatte.

Als Nächstes kam ein Gemüse- Omelett an die Reihe. West schnitt und würfelte die Zutaten ganz alleine – Pilze, rote und grüne Paprika und Zwiebeln.

„Die Pilze müssen dünner sein“, sagte sie mit einem Seitenblick und schob seine Hand mit dem Messer ein wenig nach links. „Denn dann werden sie schneller gar.“

Beiläufig zog er seine Hand unter ihrer weg. „Verstanden.“

Annabel, du Idiotin, schalt sie sich selbst. Jetzt dachte er womöglich, sie wolle mit ihm flirten. Wie peinlich! In den sieben Jahren in Dallas hatte sie vielleicht ein paar Kurven bekommen und gelernt, mit leichtem Make-up und einem Föhn umzugehen, aber sie trug immer noch am liebsten Jeans und T-Shirts und das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.

Sie hatte West schon damals nicht den Kopf verdreht, und nach einer Ehe mit einem halben Model, das morgens um zehn für den Gang zum Supermarkt Push-up-BHs und Stilettos trug, war er heute bestimmt erst recht nicht an ihr interessiert. Besonders jetzt, wo sie nach Bratfett und Zimt roch. Wirklich sexy.

Hastig wechselte sie auf die andere Seite der Kücheninsel. „Du kannst jetzt die Pilze mit den Zwiebeln in der Pfanne anbraten“, sagte sie und zeigte ihm, wie das ging. „Danach gibst du die Paprika hinzu.“

Er nickte und blickte sehnsüchtig aus dem Fenster, als wäre er überall lieber als hier. Verunsichert dachte Annabel darüber nach, ob sie ihm einen kleinen Vortrag darüber halten sollte, wie man die verschiedenen Gemüsearten fachgerecht lagerte, aber man sah West deutlich an, dass irgendetwas nicht stimmte.

War sie ihm etwa zu nahegetreten, weil sie flüchtig seine Hand berührt hatte? Vielleicht sollte sie ihn mal daran erinnern, wo er seine Hände überall gehabt hatte, bevor er sie am nächsten Tag vollkommen links liegen gelassen hatte, ohne ihr jemals zu erklären, warum.

„Gestern waren die Dunkins zum Essen hier“, sagte sie, um das Thema zu wechseln – zumindest das Thema, das sie innerlich so beschäftigte.

Er rührte schweigend in der Pfanne herum und sagte dazu nichts. Interessant.

Raina und Landon Dunkin hatten Clementine sogar ein ziemlich großzügiges Trinkgeld gegeben. Als Annabel neugierig durch das kleine runde Fenster in der Küchentür gespäht hatte, waren die beiden gerade bei ihren Cappuccinos in ein offenbar intensives Gespräch vertieft gewesen.

„Das Schild draußen könnte mal wieder frische Farbe vertragen“, sagte West unvermittelt und machte eine Kopfbewegung zum Aushängeschild des Restaurants, das zwischen zwei höheren Pfosten des weißen Lattenzauns hing. Das war wohl seine Art, das Thema zu wechseln. „Am Weg müsste auch etwas gemacht werden“, fuhr er fort. „Ein paar Steine sind locker. Wenn da jemand drüber stolpert, kann derjenige euch sofort verklagen.“

Panik stieg in ihr auf, und sie schloss die Augen. Für so etwas hatte sie nun wirklich kein Geld. Das Geschäftskonto war so gut wie leer. Alle in der Stadt wussten, dass Gram kürzertrat, und ohne sie war das Hurley’s einfach nicht dasselbe. Clementine hatte vorgeschlagen, eine Spendenaktion ins Leben zu rufen, schließlich war das Restaurant eine richtige Institution in der Stadt, doch Gram hatte es sofort rundheraus abgelehnt, um irgendetwas zu „betteln“.

„Du kochst doch genauso gut wie ich, wahrscheinlich sogar besser“, hatte sie zu Annabel gesagt. „Du machst aus jedem Gericht etwas Besonderes. Gib den Leuten einfach nur etwas Zeit, das zu merken, dann kommen sie auch wieder hierher.“

Besser, sie beeilten sich, bevor das Hurley’s ganz schließen musste.

„Ich kümmere mich darum“, sagte sie zu West. „Du musst die Pfanne mit dem Gemüse jetzt vom Herd nehmen“, schob sie hinterher. „Im Keller ist noch Farbe, dann kann ich das Schild auffrischen. Und auf Youtube gibt es bestimmt ein Video darüber, was man mit den Steinen anstellen muss.“

West trank einen Schluck Kaffee und schüttelte leicht den Kopf. „Ich brauche dafür nur zehn Minuten. Ich mache das für dich!“

Sie erklärte ihm jetzt die nächsten Omelett-Schritte und dachte über sein Angebot nach. Normalerweise hätte sie seine Hilfe sofort abgewiesen, aber das konnte sie sich im Moment einfach nicht leisten.

„Das ist sehr nett von dir. Danke.“

„Ist ja wohl das Mindeste“, murmelte er und ließ das fertige Omelett überraschend fachmännisch aus der Pfanne auf einen Teller gleiten. Dann schnitt er es durch und legte die zweite Hälfte auf ihren Teller. „Du weißt ja gar nicht, wie sehr du mir mit alledem hilfst.“

Stimmt. Vielleicht verrätst du es mir ja irgendwann mal? wollte sie am liebsten erwidern, aber sie hielt lieber den Mund.

Wieder setzten sie sich an den Frühstückstresen, und er kostete von seinem Werk. „Das ist tatsächlich lecker!“, sagte er erfreut. „Ich hoffe, ich kriege das auch hin, wenn du nicht neben mir stehst. Du bist eine wirklich gute Lehrerin, Annabel.“

Er trank seinen Kaffee aus und stand dann auf. „Können wir morgen Abend nach Restaurantschluss mit dem Unterricht für das Mittagessen weitermachen? Könntest du dann aber vielleicht zur Ranch kommen? Es wäre toll für mich, dass alles in meiner eigenen Küche lernen zu können. Lucy übernachtet morgen bei ihren Großeltern. Aber wenn dir das zu spät ist, kann ich auch gerne morgens kommen.“

Allein mit ihm in seinem Haus. Nachts.

Sie räusperte sich. „Nein, das geht schon. Ich bin dann so gegen halb zehn da. Wir schließen um neun, aber ich muss danach noch aufräumen.“

Er nickte, nahm seinen Hut vom Haken und verabschiedete sich.

Annabel konnte an nichts anderes mehr denken, als daran, wie es sich wohl anfühlen würde, auf der Montgomery- Ranch zu sein … zum zweiten Mal in ihrem Leben.

Den Dienstagnachmittag hätte West am liebsten aus dem Kalender gestrichen. Eben noch hatte Lucy auf dem unteren, stabilen Ast des Apfelbaums gesessen und ihm dabei zugesehen, wie er das Dach für das Puppenhaus baute, das er ihr versprochen hatte, und im nächsten Moment hatte er sie plötzlich rufen hören „Guck mal, wie weit oben ich bin!“, bevor sie mit einem spitzen Schrei aus dem Baum gefallen war.

Sofort war er mit ihr zu Doc McTuft gerast, der ihm versichert hatte, dass ihr bis auf einen tiefen Kratzer nichts fehlte. Doch als sie aus dem Untersuchungsraum gekommen waren, Lucy mit einem Verband, saß im Wartezimmer die verknöcherte Nachbarin der Dunkins. Bestimmt hatte diese sofort Raina angerufen, um sie wissen zu lassen, dass West seine Sorgfaltspflicht mal wieder verletzt hatte.

Aber Lucy fehlte nichts, und das war das Einzige, was für ihn zählte. Das nächste Mal würde er sie allerdings nicht eine Sekunde lang aus den Augen lassen, wenn sie im Baum herumkletterte.

„Daddy, gibt’s zum Abendessen Eis?“

„Wie wär’s mit deinem zweiten Lieblingsgericht und Eis zum Nachtisch?“

„Arme Ritter!“, jubelte Lucy.

Nach der gestrigen Kochstunde bei Annabel fühlte er sich gut gerüstet, sich an Lucys Lieblingsgericht zu versuchen, das sie sonst immer nur bekam, wenn sie auswärts frühstückten, und was sprach dagegen, es auch zum Abendbrot auf den Tisch zu bringen? Essen war schließlich Essen. Außerdem hatte Lucy sich nach dem Schrecken ja wohl eine kleine Belohnung verdient. Genau wie er.

Er hatte letzte Nacht stundenlang wach gelegen und über seinen Kochkurs nachgedacht. Annabel hatte zum Anbeißen ausgesehen mit ihren langen rotbraunen Haaren, die sie im Nacken gebunden als Pferdeschwanz getragen hatte. Ihr hochgewachsener, wohlproportionierter Körper hatte in den hochgekrempelten Hüftjeans und dem weißen Baumwollhemd verführerischer als manch andere Frau im aufwendigen Abendkleid gewirkt. Annabel war wie der Sommer … wie Sonne auf der Haut. Ihre Nähe, ihr Duft, die sanfte Wölbung ihrer Brüste, die sich unter dem Hemd abzeichnete – all das hatte ihn halb wahnsinnig gemacht. Er hatte sich sehr beherrschen müssen, sie nicht einfach an die nächste Wand zu drücken und zu küssen. Die ganze Zeit, während er Eier gequirlt und diese in der Pfanne verrührt hatte, hatte er an ihre Nacht auf dem Heuboden gedacht. Und dann hatte sie plötzlich ihre Hand auf seine gelegt.

Ihre beiläufige Berührung war wie ein elektrischer Schlag gewesen, der die Erinnerung mit voller Wucht zurückgebracht hatte. Daran, wie er eine süße Stunde lang in ihren Armen gedacht hatte, sein Leben könne doch noch gut werden. Aber dann war ihm wieder eingefallen, in welch einer Abwärtsspirale er sich befand. Er, der die Highschool nur mit Ach und Krach abgeschlossen hatte und danach sein Geld mit Gelegenheitsjobs verdient hatte. Auf keinen Fall durfte er Annabel mit in dieses Leben hineinziehen, hatte er damals gedacht.

Während Lucy im Wohnzimmer mit ihrem Malbuch beschäftigt war, blätterte West in dem Ordner, den Annabel ihm mitgegeben hatte, und suchte das Rezept für die Armen Ritter heraus.

So wie er es gelernt hatte, schlug er die Eier auf, zerließ die Butter, bereitete das Brot vor, indem er es in die verquirlten Eier tauchte und legte es anschließend in die Pfanne. Das war eigentlich gar nicht so schwer. Es duftete auch schon ziemlich lecker.

Er dachte plötzlich an all die Frauen, die nach Lornas Tod in den ersten paar Monaten mit Aufläufen vorbeigekommen waren und ihm angeboten hatten, für ihn zu kochen. Die meisten von ihnen hatten geflirtet oder sogar eine deutliche Einladung ausgesprochen. Ein paar davon hatte er tatsächlich angenommen – es war ein leichter Weg gewesen, um die Welt und seine Probleme für eine kurze Zeit vergessen zu können.

Ein paar Mal hatte er dabei allerdings auch Lucy vergessen – einmal hätte er seine Tochter früher von der Schule abholen sollen, um mit ihr zum Zahnarzt zu gehen, was ihm aber angesichts der vollbusigen Frau in seinem Bett komplett entfallen war. Ein anderes Mal hatte er sein Handy auf lautlos gestellt, um durch nichts von dem heißen Abend abgelenkt zu werden, der ihn erwartete, und hatte deshalb nicht mitbekommen, dass Lucy, die bei ihren Großeltern schlief, mehrfach versucht hatte, ihn anzurufen.

Die kalte Verachtung, die Raina ihm am nächsten Morgen entgegengebracht hatte, war schwer zu ertragen gewesen, aber noch schlimmer hatte ihn Lucys enttäuschter Blick getroffen. Sie hatte am Vorabend ihren ersten Zahn verloren und ihm davon erzählen wollen, aber er war nicht erreichbar gewesen.

Schluss damit, hatte er sich in diesem Moment geschworen. Schluss mit den Frauen, Schluss mit dem Alkohol, Schluss damit, vor seinen Aufgaben den Kopf in den Sand zu stecken. Er würde sich von jetzt an voll und ganz auf seine Tochter konzentrieren.

Schöne Frauen mit langen roten Haaren und warmen braunen Augen, die ihn in Versuchung brachten, ihnen das weiße Hemd vom Leib zu reißen, Frauen wie Annabel Hurley, sollten es also besser unterlassen, ihre Hand auf seine zu legen, egal, wie beiläufig es auch gewesen war.

„Daddy, ich glaube, Daisy hat meine Wachsmalkreide gefressen!“, rief Lucy erschrocken aus dem Wohnzimmer. „Sie macht ganz komische Geräusche!“

West eilte ins Wohnzimmer. Tatsächlich spuckte Daisy ein bisschen und versuchte mit der Pfote, etwas aus ihrem Maul zu holen.

„Geht es ihr gut?“, fragte Lucy besorgt.

„Lass mich erst mal schauen. Ich helfe ihr ja schon.“

Er kniete sich neben die Beagle-Hündin und öffnete ihr Maul. Tatsächlich klebte ein Stück der Wachsmalkreide flachgekaut an ihren Backenzähnen.

„Es gibt auch nichts, was dieser Beagle nicht frisst“, sagte er und pulte ihr die Masse mühsam aus den Zähnen. Die andere Hälfte spuckte Daisy von selbst aus – genau in dem Moment, als aus der Küche ein angebrannter Geruch ins Wohnzimmer zog.

Verdammt, die Armen Ritter!

Wie aufs Stichwort klingelte es genau jetzt an der Tür. West hastete in die Küche und sah sofort, dass er die Toastpackung zu nah am Gasherd hatte stehen lassen und sie gerade dabei war, Feuer zu fangen. Er drehte das Gas hastig ab und warf die schwelende Packung in die Spüle. Etwas außer Atem stützte er sich auf die Arbeitsplatte und wünschte sich, seine Kopfschmerzen würden endlich aufhören.

„Dad, es hat noch einmal geklingelt!“, rief Lucy, eine Sekunde, bevor der Rauchmelder mit einem schrillen Piepen anfing.

„Lucy, hier sind Nana und Pop-Pop“, hörte er Rainas schrille Stimme vor der Tür. „Mach uns doch bitte mal auf, Schätzchen.“

Verdammt. Einer von Rainas gefürchteten Kontrollbesuchen. Manchmal fragte er sich, ob diese Frau nichts anderes zu tun hatte, als darauf zu lauern, ihn beim Versagen zu ertappen. Vor allem da er Lucy nachher sowieso bei ihr hatte vorbeibringen wollen.

Er versuchte, den Rauch mit einer Zeitung vom Rauchmelder wegzuwedeln und eilte dann ins Wohnzimmer, wo Raina und Landon ihn bereits vorwurfsvoll anstarrten.

„Was stinkt denn hier so erbärmlich?“, fragte Raina und ging direkt in die Küche.

West hörte sie das Fenster öffnen, woraufhin der Rauchmelder endlich Frieden gab. Die angekokelte Brotpackung anklagend vor sich hertragend, kam Raina nun ins Wohnzimmer zurück.

„Ich hoffe, du hattest nicht vor, das angebrannte Brot auf dem Herd meiner Enkelin zum Abendbrot anzubieten. Angebranntes ist bekanntlich hochgradig ungesund! Genau wie dieser viele Rauch. Willst du etwa, dass sie eine Rauchvergiftung bekommt?“

„Es war ein Notfall. Daisy hat einen meiner Stifte gegessen“, erklärte Lucy und hielt ihr die zerkaute Wachsmalkreide hin.

„Lieber Himmel, nicht mal der Hund ist in diesem Haus sicher“, warf Landon kopfschüttelnd ein. „Ich bringe das mal lieber in den Müll, damit es nicht noch einen Notfall gibt.“

„Ich habe gehört, dass du heute mit Lucy beim Arzt warst“, warf Raina ein und betrachtete ihre Enkelin, die zerrissene Leggins und auf einer Wange einen Schmutzstreifen zu ihren zerzausten dunklen Locken trug.

„Ich bin vom Baum gefallen“, berichtete Lucy stolz und streckte Raina das verbundene Bein hin.

„Ja, das sehe ich“, erwiderte Raina und warf West einen tödlichen Blick zu. „Gehst du bitte kurz in deinem Zimmer spielen? Grandpa und ich müssen mit deinem Vater reden.“

Als Lucy gegangen war, senkte Raina die Stimme: „Du lässt mir keine andere Wahl, West. Du hattest ein Jahr, um die Dinge auf die Reihe zu kriegen. Aber du bist als alleinerziehender Vater ganz offensichtlich hoffnungslos überfordert. Landon und ich werden deshalb das Sorgerecht einklagen. Das hier war einfach eine Sache zu viel.“ Bevor er noch etwas erwidern konnte, hob sie die Hand. „Versuch gar nicht erst, dich zu verteidigen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und stürmte mit Landon aus dem Haus.

Wie vom Donner gerührt ließ West sich auf das Sofa sinken. Niemand würde ihm seine Tochter wegnehmen! Aber wie konnte er sich gegen die Dunkins wehren, wenn es einfach zu viel gab, was gegen ihn sprach?

„Daddy, sind die Armen Ritter jetzt fertig? Ich habe Hunger!“ Lucy hüpfte ins Wohnzimmer und blickte sich suchend um. „Wo sind denn Nana und Pop-Pop?“

„Sie mussten noch dringend was erledigen“, sagte er, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.

Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, damit sie ihm sein kleines Mädchen nicht wegnahmen. Wirklich alles.

„Aber weißt du was? Die Armen Ritter kann man nicht mal Daisy vorsetzen. Lass uns doch lieber zum Essen ins Hurley’s fahren, was meinst du? Aber wasch dir vorher noch schnell das Gesicht, okay?“

Strahlend rannte Lucy ins Bad, während sich in West kalte Angst ausbreitete. Konnten die Dunkins vor Gericht wirklich beweisen, dass er als Vater ungeeignet war? Immerhin hatte er sich schon sehr gebessert. In den furchtbaren Wochen nach Lornas Tod hatte er Lucy die meiste Zeit bei Lornas oder seinen Eltern gelassen. Dann waren seine Eltern weggezogen – und bald darauf hatte er sie ganz verloren. Er hatte versucht, mit Sex und Alkohol zu vergessen, wer er jetzt war – ein Mann, der sich mutterseelenallein auf der Welt fühlte und keine Ahnung hatte, wie er seiner Tochter ein guter Vater sein sollte.

Aber das war nun schon lange her. Inzwischen wusste er, dass das Wichtigste, was ein Kind brauchte, ganz viel Liebe war, und davon hatte er mehr als genug.

Er würde sich seine Tochter nicht wegnehmen lassen, komme was wolle.

Dafür würde er notfalls auch bis zum Äußersten gehen.

3. KAPITEL

Laut Clementine hätte abends um halb sieben jeder Tisch im Hurley’s Homestyle Kitchen besetzt sein sollen und weitere hungrige Gäste hätten draußen vor der Tür stehen müssen. Doch heute Abend war der Speisesaal fast leer.

Clementine stand wütend in der Küchentür. „So unterstützen sie alle Gram nach fünfzig Jahren? Indem sie zu Hause bleiben, nur weil sie krank ist und nicht selbst kochen kann?“, fragte sie kopfschüttelnd und enttäuscht.

„Nun ja, Gram ist eben einzigartig“, erwiderte Annabel, während sie beobachtete, wie Olivia Piedmont und ihr Mann durch das Küchenfenster spähten, Grams Zweitköchin Hattie sahen und wieder umdrehten, um zum Chinesen ein paar Häuser weiter zu gehen. Dabei hatte Hattie über dreißig Jahre lang an Grams Seite gekocht, und Annabel selbst hatte schließlich auch schon mit acht Jahren bei ihrer Großmutter in der Küche gelernt.

Nur fünf der fünfzehn Tische waren besetzt, und bis jetzt hatte nur eine einzige Person den Karamell-Schokoladenkuchen, Annabels neueste Kreation, als Nachtisch bestellt. Wenn es so weiterging, würde Hurley’s Homestyle Kitchen in zwei Monaten pleite sein. Denn wenn die Leute nicht mehr ins Hurley’s kamen, weil die beste Köchin der Welt nicht hinter dem Herd stand, dann halfen auch die originellsten neuen Gerichte nur wenig.

Im Moment stand gerade Danielle Tolliver mit den Damen ihres Buchclubs vom Tisch auf, und Annabel hörte, wie zwei von ihnen darüber tuschelten, dass die Bratensoße einfach nicht dieselbe sei.

Diese Soße hatte Annabel höchstpersönlich gemacht. Vielleicht schmeckte sie zu sehr nach Dallas und nicht genug nach Blue Gulch. Sie musste daran denken, dass sie jetzt wieder zu Hause war und die Leute hier das altmodische Essen mochten, und keine neumodischen Gewürze in leichten Sößchen. Hier zählte nämlich niemand jemals Kalorien.

Annabel wollte gerade in die Küche zurückgehen, als ihr Herz schneller zu schlagen begann, weil ein neuer Gast den Speisesaal betrat. West Montgomery! Er hatte seine kleine Tochter an der Hand. Clementine begrüßte die beiden lächelnd und führte sie dann zu einem Fenstertisch.

Wahrscheinlich hätte Annabel ihn ebenfalls persönlich begrüßen und ihm danken sollen. Offenbar war er schon früh aufgestanden und hatte das Schild draußen frisch angemalt. Auch die losen Steine waren auf einmal repariert. Ein Mann, der sein Wort hielt. Doch sie winkte ihm nur zu und verschwand dann wieder in der Küche. Dieser Mann machte ihr in all seiner Pracht im Moment einfach Angst.

Kurz darauf kam Clementine mit der Bestellung der Montgomerys in die Küche – ein Roastbeef Po’boy für West und eine Kinderportion Käsemakkaroni für Lucy – und Annabel machte sich sofort an die Arbeit. Während sie herumhantierte, kam ihr plötzlich der Gedanke, dass sie gerade dabei war, das Abendessen für die beiden zuzubereiten, was sich sehr hausfraulich anfühlte. Wie es wohl wäre, mit West und Lucy unter einem Dach zu leben? Aber sie verscheuchte diesen Gedanken schnell wieder.

Wie einsam war sie all die Jahre in Dallas gewesen, Erfolg hin oder her. Jetzt war sie wieder zu Hause, und sie durfte auf gar keinen Fall noch einmal auf West Montgomery hereinfallen. Ganz egal, wie viele Schilder er für sie anmalte oder wie liebevoll er mit seiner Tochter das Platzdeckchen ausmalte, auf das extra ein Malmotiv für Kinder gedruckt war. Ganz egal, wie gern sie sich auch zu ihnen gesetzt hätte.

Nachdem die beiden gegessen hatten, streckte sie den Kopf durch die Küchentür, um zu sehen, ob es ihnen geschmeckt hatte. West entdeckte sie und winkte sie daraufhin heran. Mit Soßenflecken übersät und mit Mehlstaub im Haar schlängelte sie sich zwischen den Tischen hindurch, begrüßte Bekannte und bedeutete Harold, der Aushilfe, die Getränke an Tisch drei aufzufüllen. Neben Lucys Stuhl ging sie schließlich in die Hocke.

„Hallo, ich bin Annabel Hurley, eine der Köchinnen hier. Ich hoffe, die Käsemakkaroni haben dir geschmeckt.“ Da der Teller der Kleinen komplett leer war, konnte sie mit dieser Frage wohl nichts falsch machen.

„Es war sehr lecker“, antwortete Lucy. „Wir wollten eigentlich Arme Ritter essen, aber die sind verbrannt, weil Daisy meine Wachsmalkreide gefressen hat.“

„Lange Geschichte“, warf West ein. „Wollen wir uns vielleicht ein Stück Schokoladenkuchen teilen, Lucy?“

„Oh ja! Mit Schlagsahne und einer Kirsche obendrauf!“

„Bei ihr muss alles immer wie ein Eisbecher aussehen“, erklärte West grinsend.

Annabel lächelte die Kleine an. „Warum kommst du denn nicht einfach mit in die Küche und hilfst mir, deinen Kuchen richtig zu dekorieren?“

„Ja!“, jubelte Lucy, sprang auf und schob vertrauensvoll ihre Hand in Annabels.

West folgte ihnen in die Küche, wo Annabel ihnen Hattie und Harold vorstellte und Lucy dann die gekühlte Glasvitrine mit den Kuchen zeigte. Sie schnitt ein Stück Schokoladentorte für Lucy ab und reichte ihr dann die Schüssel mit der Schlagsahne sowie einen Löffel, mit dem die Kleine sorgfältig einen Klecks Sahne auf das Tortenstück gab.

„Und jetzt noch die Kirsche“, sagte Annabel und hielt ihr ein Körbchen mit den frischen Fr...

Autor

Michelle Major
<p>Die USA-Today-Bestsellerautorin Michelle Major liebt Geschichten über Neuanfänge, zweite Chancen - und natürlich mit Happy End. Als passionierte Bergsteigerin lebt sie im Schatten der Rocky Mountains, zusammen mit ihrem Mann, zwei Teenagern und einer bunten Mischung an verwöhnten Haustieren. Mehr über Michelle Major auf www.michellemajor.com.</p>
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Allison Leigh
<p>Allison Leigh war schon immer eine begeisterte Leserin und wollte bereits als kleines Mädchen Autorin werden. Sie verfasste ein Halloween-Stück, das ihre Abschlussklasse aufführte. Seitdem hat sich zwar ihr Geschmack etwas verändert, aber die Leidenschaft zum Schreiben verlor sie nie. Als ihr erster Roman von Silhouette Books veröffentlicht wurde, wurde...
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