Der süße Beweis deiner Unschuld

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Finanzgigant Cruz De Carrillo heiratet die schöne Witwe seines Bruders nur aus einem Grund: damit sie nicht das Vermögen seiner Neffen verschleudert! Denn Cruz weiß genau, dass Trinity eine raffinierte Erbschleicherin ist. Und ihr Wandel vom sexy Glamour-Girl zur treusorgenden Mutter nach dem Tod seines Bruders? Für Cruz reine Berechnung! Zu ärgerlich, dass sein Blut in ihrer Nähe trotzdem heiß pulsiert. Aber an ihre Unschuld glauben? Utopisch! Bis Trinitys rote Lippen ihm etwas ganz anderes zu beweisen scheinen …


  • Erscheinungstag 26.09.2017
  • Bandnummer 2302
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708641
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Cruz De Carrillo ließ seinen Blick über die Gäste im Salon wandern. Mächtige Männer und wunderschöne Frauen, das Who-ist-Who Londons, waren gekommen, um seine Rückkehr nach Europa zu feiern.

Es war ihm gelungen, in Nordamerika das Vermögen der Bank seiner Familie in weniger als einem Jahr zu verdreifachen. Triumph empfand er darüber allerdings nicht. Schließlich hatte er sich jahrelang genau diesem Ziel gewidmet: Dafür hatte er sich von solchen Partys und vor allem von dubiosen Gestalten, die man nur dort traf, ferngehalten und im Hintergrund daran gearbeitet, den guten Ruf der Familie wiederherzustellen.

Und eine dieser Gestalten stand im Augenblick nur wenige Meter von ihm entfernt – groß und schlank, dennoch mit sinnlichen Kurven gesegnet. Helle Haut. Zu viel helle Haut. Gehüllt in ein Kleid, das kaum noch etwas der Fantasie überließ. Ein verächtlicher Ausdruck trat in seine Augen – auch wenn sein Blut plötzlich heißer durch seine Adern zu strömen schien. Die Zeit hatte sein Verlangen also nicht verebben lassen, was ihn über die Maßen ärgerte. Dieses Verlangen war weder erwünscht noch in irgendeiner Weise angemessen. Heute mehr denn damals. Immerhin war sie seine Schwägerin.

Die blonden Haare hatte sie zu einem eleganten Knoten zusammengefasst. Eine goldene Kette wand sich hypnotisierend über ihren nackten Rücken, der sich dank des aufreizenden marineblauen Kleides jedem Blick darbot. Sie drehte sich ein wenig in Cruz’ Richtung. Er sah üppige Brüste, die bloß knapp von Stoff verhüllt wurden. Nur mit Mühe gelang es ihm, sein Begehren in Zaum zu halten.

Sie hielt sich ein wenig abseits der anderen Gäste. Fast wirkte sie verletzlich. Aber er wusste, dass es nur Maskerade war.

Er verfluchte sie. Und er verfluchte sich selbst. Wäre er nicht so schwach gewesen, würde er gar nicht wissen, wie lustvoll es sich anfühlte, wenn sich diese Kurven an seinen Körper schmiegten. Er würde nicht wissen, wie sich das Blau ihrer Augen verdunkelte, wenn er von der verbotenen Frucht kostete, die sie ihm in jener verhängnisvollen Nacht vor fast achtzehn Monaten in seinem Haus angeboten hatte, in dem sie als Hausmädchen angestellt war.

In seinen Träumen würde er nicht immer noch ihr atemloses Seufzen hören. Wenn er aufwachte, hart und erregt, sehnte er sich danach zu erfahren, wie sich ihr Körper wohl während des Höhepunkts anfühlte … kurz bevor die Wogen der Lust ihm süßes Vergessen schenkten.

Süß. Genau das war das Problem. An dieser Frau gab es nichts Süßes. Einmal mochte er das gedacht haben – früher errötete sie immer, wenn er auch nur in ihre Richtung schaute. Aber auch das gehörte zu ihrem hinterlistigen Plan. Denn sein jüngerer Bruder Rio hatte ihm gesagt, wer sie in Wahrheit war. Und unschuldig war sie nicht.

Seine Verführung folgte einem weitaus kalkulierteren Plan, als Cruz angenommen hatte. Und als der nicht aufgegangen war, hatte sie sich Rio, seinem unehelichen Halbbruder, zugewandt, mit dem Cruz eine komplizierte Freundschaft verband, um es freundlich auszudrücken.

Als sie noch Kinder waren, hatte ihr Vater einen Keil zwischen die Brüder getrieben. Cruz, als legitimer Erbe des De-Carrillo-Vermögens, war jedes Privileg zuteilgeworden, Rio, der Sohn des Hausmädchens, hatte gar nichts bekommen. Nicht einmal den Namen De Carrillo.

Doch Cruz war nie damit einverstanden gewesen, dass Rio dafür bestraft wurde, dass sein Vater seine Lust nicht hatte kontrollieren können. Nach dem Tod des Vaters vor zehn Jahren hatte er alles in seiner Macht Stehende getan, um Wiedergutmachung zu leisten. Dafür hatte er sogar gegen das Testament seines Vaters verstoßen, in dem Rio überhaupt nicht erwähnt wurde. Stattdessen war Cruz zu seinem Vormund geworden, hatte ihm seinen rechtmäßigen Namen gegeben und für seine Ausbildung bezahlt.

Dann, als der richtige Zeitpunkt gekommen war, hatte Cruz ihm seinen Anteil am Erbe ausgezahlt und ihm einen Job verschafft: zunächst in der De Carrillo Bank in Madrid, jetzt in London – sehr zum Unwillen des Aufsichtsrats.

Mit einundzwanzig war Rio als Mitglied im Kreis von Europas Millionären aufgenommen worden und dank seines guten Aussehens und seiner dunklen Vergangenheit zum Liebling der Medien avanciert. Und er hatte es genossen, frönte einem Lebensstil als Playboy und benahm sich in allem als das genaue Gegenteil von Cruz. Rasch heiratete er ein weltbekanntes Supermodel. Nur ein Jahr später endete die Ehe tragisch, als die junge Frau kurz nach der Geburt von Zwillingen bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam.

Aber sosehr ihm Rios Leben auf der Überholspur auch missfiel – konnte er es ihm nach den Jahren der Unterdrückung verdenken?

Plötzlich meldete sich Cruz’ Gewissen. Hatte er Rio nicht erst zur Zielscheibe von Goldgräberinnen gemacht, indem er ihm sein Erbe und seinen Namen verliehen hatte? Rios erste Frau hatte bestimmt nichts gegen ein Leben im Luxus einzuwenden gehabt, und das hatte sich bei seiner zweiten Frau nicht geändert.

Als ob sie spüre, dass er sie intensiv beobachtete, drehte seine Schwägerin sich um und sah ihn an. Ihre Augen weiteten sich, ihre Wangen waren gerötet. Cruz’ Ärger wuchs. Wieso machte ihn ihr Anblick so heiß? Selbst jetzt noch. Obwohl er wusste, wozu sie fähig war.

Er musterte das provokante Kleid, nahm den sinnlichen Körper wahr. Das Blut strömte schneller durch seine Adern. Dafür hasste er sie. Beinahe zögernd wandte sie sich ihm zu. Der leichte Satinstoff umschmeichelte bei jedem Schritt betörend ihre Beine.

Cruz beschwor seine Selbstkontrolle und befahl seinem Körper, nicht mehr auf ihre Anwesenheit zu reagieren – nicht einmal, als er jetzt ihren Duft tief einatmete, der so unschuldig und verführerisch zugleich war.

„Trinity.“ Selbst in seinen Ohren klang seine Stimme barsch. Er versuchte, den verletzten Ausdruck in ihren Augen zu ignorieren. Versuchte zu übersehen, wie sinnlich ihr Mund wirkte, der ihrer blonden Unschuld eine unglaublich sexy Note verlieh.

Eine Unschuld, die nur an der Oberfläche existierte.

„Cruz … schön, dich wiederzusehen.“

Ihre Stimme klang rauchig und erinnerte ihn sofort wieder daran, wie sie ihn in jener Nacht angefleht hatte: „Bitte …“

„Du hast es weit gebracht, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben.“

Sie schluckte. Fasziniert beobachtete er, wie sich ihr zarter Hals dabei bewegte. „Was meinst du damit?“

Angesichts dieser Heuchelei verhärteten sich seine Gesichtszüge. „Ich spreche von deinem raketenhaften Aufstieg vom Kindermädchen zur Ehefrau und Stiefmutter meiner Neffen.“

Seine eigenen Worte erinnerten ihn daran, dass er gerade eben erst eine SMS von Rio bekommen hatte, in der er seinen Bruder über die Hochzeit informierte.

Ich muss dir dafür danken, dass du diese wunderbare Frau in mein Leben geschickt hast. Ich hoffe, du freust dich für uns, Bruder.

Die Nachricht hatte Cruz einen Schock versetzt. Gleichzeitig breitete sich etwas Dunkles in seiner Seele aus. Bis dahin hatte es keinen Grund gegeben, daran zu zweifeln, ob es eine gute Idee gewesen war, Trinity zu Rio zu schicken – trotz seiner eigenen Erfahrung mit ihr. Rio war Witwer. Und offensichtlich hatten sich Trinity und er aus Liebe zu seinen Neffen miteinander angefreundet. Cruz hatte geglaubt, sie sei einfach eine Millionen Lichtjahre entfernt von Rios glamouröser und vergnügungssüchtiger erster Frau.

Trinity sah blass aus. Sie zögerte. „Ich habe dich gesucht. Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?“

Cruz drängte die unliebsamen Erinnerungen zurück und zog eine Augenbraue hoch. „In Ruhe?“

Er ließ seinen Blick über die Gäste hinter ihr schweifen, dann schaute er zurück zu Trinity. Was hatte sie vor? Bestimmt besaß nicht einmal sie die Frechheit, ihn noch einmal verführen zu wollen, wenn sich ihr Ehemann unter demselben Dach befand.

„Hier ist es ruhig genug. Niemand hört uns zu.“

Abermals errötete sie und schaute sich nervös um. „Vielleicht ist jetzt nicht der beste Zeitpunkt …“

Also hatte er richtig vermutet. Abscheu stieg in ihm auf. „Spuck’s aus, Trinity. Es sei denn, du willst gar nicht reden.“

Jetzt wich alle Farbe aus ihren Wangen. Damals hatte es ihn fasziniert, dass sie ihre Gefühle nicht verstecken konnte. Jetzt machte es ihn wütend.

„Was meinst du damit?“

„Du weißt ganz genau, was ich meine. Du hast versucht, mich in diesem Haus zu verführen. Und als das nicht geklappt hat, hast du deine Aufmerksamkeit meinem Bruder zugewandt. Offensichtlich war er anfälliger für deine Tricks.“

Stirnrunzelnd schüttelte sie den Kopf, hob eine Hand an die Brust, als könne sie es einfach nicht fassen. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst …“

Es erfüllte Cruz mit Zorn, dass sie so vor ihm stehen und offenkundig lügen konnte. Das Glitzern ihres Verlobungsrings schien ihn zu verspotten. Er sah nur ihren Verrat. Aber für Schuldzuweisungen war es jetzt zu spät.

Vor ein paar Tagen hatte Rio ihm gestanden, dass er kurz vor dem Bankrott stand, sein gesamtes Erbe hatte er bereits durchgebracht. Und Trinity De Carrillos Name stand auf fast jedem Beleg und jeder Quittung, die seinen Bruder tiefer und tiefer ins Verderben geführt hatte. Das Ausmaß, wie falsch Cruz sie eingeschätzt hatte, war erschütternd.

„Du brauchst nicht länger die Unschuld zu spielen. Auch wenn ich damals nicht erkannte, worauf du es abgesehen hast, jetzt weiß ich es. Rio hat mir erzählt, wie du deine Krallen um seinen gesamten Besitz geschlungen hast. Jetzt ist dir klar geworden, dass sein Vermögen kein Fass ohne Boden ist. Vielleicht bist du auf der Suche nach einem Ausweg … oder einem neuen Gönner?“

Bevor sie antworten konnte, fuhr er mit leiser, bitterer Stimme fort:

„Ich habe deine Fähigkeiten unterschätzt, Trinity. Du hast Rio in falscher Sicherheit gewiegt, indem du seine größte Schwäche gnadenlos gegen ihn verwandt hast: seine Söhne. Ich bin mir bewusst, dass ich dich zu ihm geschickt habe, und das werde ich mir nie verzeihen. Selbstverständlich erhält er finanzielle Hilfe von mir, aber deine Verschwendungssucht kannst du dir ein für alle Male aus dem Kopf schlagen. Falls du hoffst, einen Deal mit mir machen zu können, denk lieber noch mal nach. Von mir bekommst du kein Mitleid.“

Trinity war kreidebleich geworden. Fast wünschte er, sie würde ihre Rolle aufgeben und wütend werden, weil er sie enttarnt hatte.

Sie ließ die Hand sinken und schüttelte den Kopf. „Du verstehst überhaupt nichts.“

„Eine bessere Antwort fällt dir nicht ein?“, erwiderte er höhnisch. „Was habe ich nicht verstanden? Dann sag mir doch bitte, worüber du sprechen willst.“

„Ich wollte mit dir über Rio reden … über sein Verhalten. Er wird immer launischer … ich mache mir Sorgen um die Kinder.“

Cruz stieß ein ungläubiges Lachen aus. „Sorgen um die Kinder? Willst du wirklich die besorgte Stiefmutter spielen, um davon abzulenken, dass du in Wahrheit nur Angst davor hast, dass dein verschwenderischer Lebensstil ein Ende gefunden hat?“

Bitterkeit erfüllte ihn. Er wusste besser als die meisten, dass das Band zwischen Eltern und Kindern keine Garantie für Liebe und Geborgenheit war. Im Gegenteil.

„Du bist nicht einmal mit ihnen verwandt. Du hast sie nur benutzt, um ins Bett meines Bruders zu schlüpfen und einen Ring an deinen Finger zu bekommen.“

Die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, wich Trinity einen Schritt zurück. Eines musste er ihr lassen. Sie war wirklich eine ausgezeichnete Schauspielerin.

Fast als würde sie mit sich selbst sprechen, sagte sie: „Ich hätte es wissen müssen … natürlich glaubst du ihm mehr als mir.“

Ein unbehagliches Gefühl stieg in ihm auf, er schob es beiseite. „Ich kenne Rio seit seiner Geburt vor fünfundzwanzig Jahren. Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich meinem eigen Fleisch und Blut mehr vertraue als einer dahergelaufenen Goldgräberin.“

Trinity wurde rot. Unverwandt schaute sie ihn mit einem sehr überzeugenden Flehen in den Augen an. „Ich bin keine Goldgräberin. Alles, was du sagst, ist falsch. Meine Ehe mit Rio ist nicht, was du …“

„Da bist du ja, Liebling. Ich habe dich schon gesucht. Charlotte Lacey möchte sich mit dir über die Wohltätigkeitsveranstaltung nächste Woche unterhalten.“

Cruz erstarrte. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, dass Rio sich zu ihnen gesellt hatte. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt der Frau vor ihm. Über Trinitys Kopf hinweg sah Rio ihm in die Augen, während er seiner Ehefrau die Hand auf den Arm legte. Sein Blick wirkte hart. Trinity jedoch war noch blasser geworden.

„Wenn du entschuldigst, Bruder, ich muss kurz meine Frau entführen.“

Cruz kannte diesen Blick: voller Ärger, Scham und Wut. Er wusste, Rio bereute es längst, ihm gestanden zu haben, wie tief er durch diese Frau gesunken war.

Er sah ihnen nach, wie sie in der Menge verschwanden. Kurz danach verließen sie die Party – ohne sich zu verabschieden. Vom Fenster des Salons aus beobachtete Cruz, wie Rio Trinity beim Einsteigen in den dunklen Jeep half, bevor er sich auf den Fahrersitz schob.

Ein Gefühl der Bedrückung breitete sich in ihm aus. Alles, was er jetzt noch tun konnte, war, die Scherben von Rios Leben einzusammeln und dafür zu sorgen, dass er die Chance auf einen Neuanfang erhielt … und dass seine Frau keinen einzigen weiteren Cent in die Finger bekam.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, wandte Trinity in letzter Sekunde den Kopf und schaute Cruz an. Einen flüchtigen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Selbst auf die Entfernung hin hätte er schwören können, dass Tränen in ihren Augen schimmerten.

Bestimmt Tränen der Wut, weil er ihr die Wahrheit ins Gesicht gesagt hatte. Sie saß in der Falle, die sie sich selbst gestellt hatte. Eigentlich hätte es Cruz Befriedigung verschaffen müssen, doch er empfand nur ein dumpfes Gefühl in der Brust.

Mit quietschenden Reifen fuhr der Jeep aus der Einfahrt.

Damals wusste Cruz es nicht, aber es war das letzte Mal, dass er seinen Bruder lebend gesehen hatte.

1. KAPITEL

Drei Monate später. Büro des Anwalts.

Trinitys Herz setzte einen Schlag aus, ihr Mund wurde trocken. „Mr. De Carrillo wird dabei sein?“

Der Anwalt sah von seinem mit Papieren übersäten Schreibtisch auf. „Ja, er wurde zum Nachlassverwalter bestimmt. Außerdem befinden wir uns in seinem Bürogebäude.“

Dass die Testamentseröffnung in einem Gebäude stattfinden würde, das Cruz gehörte, wusste sie, seit sie den Brief mit der Adresse erhalten hatte. Trotzdem hatte sie nicht damit gerechnet, dass Cruz bei dem Treffen anwesend sein würde.

Am liebsten, musste sie zu ihrer Schande gestehen, hätte sie als Erstes ihr Äußeres überprüft – was sie natürlich hier schlecht tun konnte. Deshalb war sie insgeheim froh über ihre Kleiderwahl: eine dunkle, locker sitzende Hose und eine graue Seidenbluse. Aus reiner Gewohnheit hatte sie die Haare zu einem Zopf gebunden. Es gab nichts Praktischeres, wenn man mit zwei energiegeladenen Jungs umgehen musste. Zu ihrem Bedauern hatte sie kein Make-up aufgelegt … vermutlich sah sie aus wie achtzehn.

Ein leises Klopfen ertönte, dann wurde die Tür geöffnet. Der Anwalt erhob sich, begrüßte Cruz respektvoll und führte ihn zu einem Sessel vor seinem Schreibtisch.

Sofort fühlte sie sich quicklebendig. Die zarten Härchen auf ihren Armen richteten sich auf. Sie hasste ihre unkontrollierbaren Reaktionen auf ihn – würde das irgendwann aufhören?

Jetzt blieb er neben ihr stehen, groß und furchteinflößend. Er roch nach einer berauschenden Mischung aus sehr männlichen und würzigen Noten. Und dieser Geruch katapultierte sie zurück zu jenem Abend in seinem Haus, als sie begriffen hatte, wie groß Rios Verrat gewesen war.

Selbst jetzt noch konnte sie dem Schock nachspüren – offenbar hatte Rio seinen Bruder nach Strich und Fade belogen, was ihre Ehe anging. Trotzdem schmerzte es, dass Cruz so schlecht von ihr dachte.

Es tat fast so sehr weh, wie den Ausdruck von Ekel und Entsetzen auf seinem Gesicht zu sehen, nachdem er sie gerade noch voller Leidenschaft geküsst hatte. Diese Erfahrung hatte sich so tief in ihr Gedächtnis gebrannt, dass sie manchmal aus erotischen Träumen völlig verschwitzt auf zerwühlten Laken aufwachte. Selbst zwei Jahre danach empfand sie noch Scham.

Trinity zwang ihre Gedanken aus dem verstörenden Labyrinth aus Erinnerungen. Es gab wichtigere Dinge. Denn vor drei Monaten, nachdem sie Cruz’ Party verlassen hatten, waren ihr Ehemann und sie in einen Verkehrsunfall verwickelt worden, bei dem Rio auf tragische Weise ums Leben gekommen war.

An jenem Tag war sie zur alleinerziehenden Stiefmutter der zweieinhalbjährigen Zwillinge Mateo und Sancho geworden. Wie durch ein Wunder hatte sie bei dem Unfall nur ein paar Schrammen abbekommen und sich den Knöchel gebrochen. An das Unglück selbst konnte sie sich nicht erinnern. Ihre Erinnerung setzte erst wieder im Krankenhaus ein, als sie von einem aschfahlen und grimmig blickenden Cruz vom Tod ihres Mannes erfahren hatte.

Jetzt sammelte sie sich und stand auf. Innerlich wappnete sie sich gegen den Effekt, den sein Anblick unweigerlich auf sie ausübte. Ein nutzloses Unterfangen.

Seit dem Unfall hatten sie sich einige Male gesehen – auf der Beerdigung und bei seinen sporadischen Besuchen in Rios Haus. Aber dann hatte er nur kurz wissen wollen, ob sie oder seine Neffen etwas brauchten. Darüber hinaus gab es keinen Kontakt. Ihre Haut begann zu prickeln.

„Cruz“, zwang sie sich ganz ruhig zu sagen.

„Trinity.“

Trotz seines eisigen Tonfalls berührte seine dunkle Stimme etwas tief in ihrem Inneren.

Mittlerweile stand der Anwalt wieder hinter seinem Schreibtisch. „Espresso für Sie, Mr. De Carrillo, richtig?“

Trinity schaute auf. Der Anwalt hielt eine kleine Tasse samt Unterteller in den Händen. Instinktiv nahm sie das Getränk, um es an Cruz weiterzureichen. Zu spät wurde ihr bewusst, dass ihre Hände zitterten.

Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er ihre Nervosität nicht bemerkte. Seine Hände waren männlich und groß. Stark. Lange, schlanke Finger, kurz geschnittene Nägel. Unvermittelt flackerte die Erinnerung auf, wie es sich angefühlt hatte, diese Hand zwischen ihren Beinen zu spüren, wie er sie dort gestreichelt hatte …

Unmittelbar, bevor er die Tasse entgegennahm, verriet das Klirren von Porzellan ihre Anspannung. Verdammt. Rasch setzte sie sich und nippte an ihrem Tee. Auch er nahm jetzt Platz.

Während der Anwalt zu ein wenig Smalltalk vor der eigentlichen Testamentseröffnung ansetzte, riskierte Trinity einen weiteren Blick auf Cruz.

Er wirkte, als hätte er alles und vor allem sich selbst jederzeit unter Kontrolle. Nur ein einziges Mal hatte er die Beherrschung verloren – in einem Moment leidenschaftlicher Verwirrung. Trinity drängte die aufkeimenden Gefühle zurück. Schwäche konnte sie sich jetzt nicht leisten.

Unter dem teuren dreiteiligen Anzug zeichneten sich definierte Muskeln ab. Sein Gesicht war das Abbild männlicher Schönheit mit markanten Linien und ausdrucksstarken Zügen. Er besaß tief liegende Augen und einen sinnlichen Mund.

Trinity bemerkte, dass sie ihn anstarrte. Doch bevor sie sich abwenden konnte, wandte er den Kopf und sah sie an. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Rasch wandte sie sich wieder dem Anwalt zu, der seine Rede unterbrochen hatte und nervös zwischen ihr und Cruz hin und her blickte.

Er räusperte sich. „Da Sie beide hier sind, sollten wir anfangen.“

„Wenn Sie so freundlich wären.“

Ein Schauder überlief sie, als sie Cruz unverhohlene Ungeduld registrierte. Sie konnte sich gut vorstellen, wie er andere Menschen nur mit einem missbilligenden Blick nervös machte.

Rio und er hatten nur wenig gemeinsam. Rio besaß dunkelbraune Augen und schwarze Haare, Cruz hingegen strahlte eine kühle Schönheit aus, die Trinity immer an Eis über einem schwelenden Feuer denken ließ. Sie erschauerte in der Erinnerung daran, dass sie dieses Feuer gespürt hatte.

„Mrs. De Carrillo …?“

Der Anwalt reichte ihr einen Stapel Papiere, den sie rasch ergriff.

„Tut mir leid.“ Es fühlte sich immer noch seltsam an, Mrs. De Carrillo genannt zu werden – als ob sie wirklich Rios Ehefrau gewesen wäre.

Sie las die Überschrift. Letzter Wille und Testament von Rio De Carrillo. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Mit gerade einmal zwei Jahren hatten Mateo und Sancho beide Elternteile verloren.

So bitter ihre Erfahrung mit Rio auch sein mochte, so sehr er sie auch manipuliert und hintergangen hatte, nicht in einer Million Jahren hätte sie ihm den Tod gewünscht. Dennoch überraschte sie die Tiefe ihrer Trauer – schließlich existierte ihre Ehe nur auf dem Papier. Zu dem Zweck, dass die Kinder eine Mutter bekamen und Rio mit einer Ehefrau an seiner Seite der Öffentlichkeit das Bild eines gefestigten Lebenswandels bieten konnte. Wenn auch nur, um seine eigenen Interessen unbemerkt weiterzuverfolgen.

Trinity hatte der Verbindung vor allem deshalb zugestimmt, weil sie die Zwillinge schon bei der ersten Begegnung fest ins Herz geschlossen hatte. Zwei einjährige Engel mit dunklem Haar, schelmisch funkelnden Augen und einem hinreißenden Lächeln.

Rios eigene traurige Geschichte war ein weiterer Grund gewesen: Seine Eltern hatten ihn geradezu verstoßen. Außerdem hatte er versprochen, ihren größten Wunsch zu erfüllen. Sie würde an der Universität studieren und einen richtigen Abschluss machen. Dadurch würde sie in der Lage sein, ihre Zukunft selbst zu gestalten und den Makel ihrer Herkunft hinter sich zu lassen.

Allerdings hatte Rio ihr erst kurz vor dem Unfall das ganze Ausmaß seiner eigenen Ziele offenbart. Erst dann hatte sie begriffen, weshalb er sie wirklich hatte heiraten wollen. In Wahrheit hatte es viel mehr mit seinem seit Jahren schwelenden Hass auf seinen Halbbruder zu tun und viel weniger mit dem Wunsch nach Sicherheit und Stabilität für seine Söhne, geschweige denn damit, sein Image als Playboy loszuwerden …

„Wie Sie sehen, ist es ein relativ kurzes Dokument“, meldete sich der Anwalt zu Wort. „Zusammengefasst steht darin, dass Mr. De Carrillo seinen gesamten Besitz seinen Söhnen hinterlassen hat. Sie, Trinity, hat er als ihren gesetzlichen Vormund eingesetzt.“

Sie blickte auf. Sie wusste, dass Rio sie zum Vormund bestellt hatte. Anfangs hatte sie Angst vor der Verantwortung empfunden. Mittlerweile spürte sie nur noch den überwältigenden Wunsch, die Kinder zu beschützen.

Der Anwalt sah Cruz an, dann wandte er sich Trinity zu. In seinem Blick lag Unbehagen. „Ich bin mir nicht sicher, ob Sie über den Zustand von Mr. De Carrillos Finanzen zum Zeitpunkt seines Todes informiert sind?“

Sie spürte, wie Cruz’ Blick sie geradezu zu durchbohren schien. Ihr fielen seine anklagenden Worte auf der Party ein: Rio hat mir erzählt, wie du deine Krallen um seinen gesamten Besitz geschlungen hast. Jetzt ist dir klar geworden, dass sein Vermögen kein Fass ohne Boden ist …

Plötzlich war ihr, als lastete ein großes Gewicht auf ihrer Brust. Das Atmen fiel ihr schwer. Bis zu diesem Abend hatte sie keine Ahnung von finanziellen Problemen gehabt. Sie hatte nur mitbekommen, dass Rio sich immer seltsamer und irrationaler verhielt. Als sie ihn damit konfrontiert hatte, war es zu einem heftigen Streit gekommen. Erst während dieses Streits hatte sie die wahren Gründe erfahren, warum er sie geheiratet hatte.

Genau deshalb hatte sie mit Cruz reden wollen. Doch er hatte sie gar nicht zu Wort kommen lassen.

„Mir ist bewusst“, sagte sie vorsichtig, „dass die Dinge nicht gut stehen.“

„Rio war bankrott“, erwiderte der Anwalt ernst. „Ich fürchte, alles, was er Ihnen hinterlassen hat, sind Schulden.“

Trinity hatte Rio nicht des Geldes wegen geheiratet, also machte die Nachricht keinen großen Eindruck auf sie. Was sie jedoch beeindruckte, war die Tatsache, dass Cruz offensichtlich das Konto aufgefüllt hatte, von dem sie die Dinge für den täglichen Gebrauch für sich, die Jungs und die Nanny bezahlte. Rio hatte Mrs. Jordan nach der Hochzeit eingestellt, damit Trinity ihn zu gesellschaftlichen Events begleiten konnte – bei denen sie sich nie sonderlich wohlgefühlt hatte.

„Es tut mir leid, Mrs. De Carrillo“, fuhr der Anwalt fort, „aber auch das Haus wird verkauft werden müssen, um die Schulden zu begleichen.“

Bevor sie reagieren konnte, stand Cruz auf. „Wenn Sie uns jetzt entschuldigen würden“, sagte er mit kühler Autorität. „Den Rest bespreche ich unter vier Augen mit meiner Schwägerin.“

Offenbar hatte der Anwalt kein Problem damit, aus seinem eigenen Büro geschickt zu werden. Er griff nach einigen Papieren, verabschiedete sich knapp und ging.

Trinitys Gedanken rasten, während sie versuchte, das Gesagte zu begreifen. Panik stieg in ihr auf. Wie sollte sie es ohne Job schaffen, für die Jungs zu sorgen? Wie konnte sie es sich leisten, Mrs. Jordan weiter zu beschäftigen?

Cruz stellte sich vor das raumhohe Fenster und ließ den Blick über London schweifen. Einen langen Moment schwieg er. Hilflos musterte Trinity seinen breiten Rücken und die starken Schultern. Dann wandte er sich um. Und das Gefühl eines gewaltigen Déjà-vus überflutete sie. Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung. Damals war sie in sein Haus gekommen, um sich für eine Stelle als Hausmädchen zu bewerben.

Noch nie in ihrem Leben war sie einem so furchteinflößenden Mann begegnet. Oder einem so offenkundig maskulinen Mann. Aufgrund seines Rufs als einer der reichsten Bankiers der Welt hatte sie angenommen, er sei älter, sanfter … Aber er war jung. Und attraktiv. Sein großer, kraftvoller Körper wirkte, als sei er aus Granit und Stahl geformt. Und seine faszinierenden Augen: beunruhigend und unlesbar.

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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