Julia Extra Band 565

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SÜSSE RACHE IN DER TOSKANA? von KIM LAWRENCE

Sie ist es! Milliardär Draco Andreas erkennt Jane sofort! Damals hat sie ihn vor dem Altar stehen lassen, jetzt kämpft die engagierte Umweltschützerin gegen seine Firma in der Toskana – und macht dabei einen Fehler. Ist das Dracos Chance auf Rache – oder ein Neuanfang für die Leidenschaft?


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HUNDERT STUNDEN GLÜCK? von LUCY KING

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  • Erscheinungstag 04.03.2025
  • Bandnummer 565
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534291
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kim Lawrence

PROLOG

Lächelnd sah Federico die Fotos durch, die er und sein Team geschossen hatten. Normalerweise arbeitete er nicht auf Hochzeiten, aber das hier war keine gewöhnliche Feier.

Die Party als Hochzeit des Jahrzehnts zu bezeichnen war zwar nicht originell, aber auch keine Übertreibung angesichts der Gästeliste und medialen Aufmerksamkeit. Für manche Zyniker hatte der Termin eher praktische Gründe als romantische, da viele der internationalen Gäste keine weite Anreise hatten. Viele hatten gestern an der Verleihung des Nachhaltigkeitspreises für junge Innovatoren teilgenommen, die vom Bräutigam gesponsert worden war. Dieser hatte die letzten Monate in London verbracht, um seine neueste Firmenakquise zu regeln. Das Event hatte viel Aufmerksamkeit erregt – alle redeten darüber.

Mit Ausnahme des glücklichen Paares.

Draco Andreas galt als wortkarger Mann, der wenig sagte, was nicht zweckdienlich war. Obwohl es hieß, dass ein zorniger Blick von ihm Bände sprach. Und die Braut … Nun, in der Regel wurde öffentlich über das Kleid spekuliert, doch in diesem Fall über die Braut selbst. Im Internet zirkulierten nur ein paar unscharfe Bilder von der zukünftigen Mrs. Andreas, die zeigten, dass sie rothaarig und zierlich war. Die Aura des Geheimnisvollen beflügelte das fieberhafte Interesse an der Frau, die sich den Mann geangelt hatte, dessen Name in nur acht Jahren zu einer globalen Marke geworden war. Von den Verschwörungstheorien im Netz war eine verrückter als die andere.

Federico war ebenso neugierig wie alle anderen, doch er brauchte nicht lange zu warten. Er sah auf die Uhr: zwei Minuten. Die gesamte Veranstaltung war mit militärischer Präzision geplant worden, nichts blieb dem Zufall überlassen. Sogar das Wetter trotzte den Vorhersagen. Wofür er dankbar war. Er mochte genial sein, doch es schadete nicht, das Wetter auf seiner Seite zu haben. Jetzt musste er nur noch die Braut gut aussehen lassen, und das war bestimmt nicht schwierig, da er Draco Andreas noch nie mit einer Frau gesehen hatte, die nicht umwerfend schön war.

Obwohl bis jetzt noch keine lange an seiner Seite geblieben war.

Einige eifersüchtige Zeitgenossen stichelten, dass Reichtum ein bekanntes Aphrodisiakum sei, doch wenn auch nur die Hälfte der Geschichten in der Boulevardpresse stimmte, war Draco auch schon ein Frauenheld gewesen, bevor er es aus relativer Anonymität zu weltweitem Ansehen und Vermögen gebracht hatte. Angesichts seines heutigen Profils war es schwer zu glauben, dass Draco Andreas vor acht Jahren zwar den Namen seiner Familie geerbt hatte, aber kein Geld.

Die meisten hatten erwartet, dass er das Land der Familie verkaufte, wie andere verarmte Großgrundbesitzer in Italien oder anderswo es taten. Doch Draco Andreas hatte sich als Mann erwiesen, der nicht den ausgetretenen Pfad einschlug. Wo es keine Wege gab, bahnte er sich seinen eigenen. Die mobile App, die sein Tech-Start-up entwickelt hatte, hatte die Finanzplanung für Millionen Menschen revolutioniert. Draco galt als maßgebliche Kraft, die die Finanzbranche verändert, neue Technologien eingeführt, Innovationen gefördert und eine neue Generation von Unternehmern hervorgebracht hatte.

Ein Großteil seiner scheinbar grenzenlosen Energie war in sein toskanisches Familienanwesen geflossen, das nun als Vorzeigeobjekt für kreative grüne Zukunftstechnologien diente, Arbeitsplätze schuf und junge Menschen in ländliche Regionen zurückholte.

Er suchte keine Publicity, sie fand ihn. Neidisch dachte Federico an den glücklichen Wanderer, der das jüngste und bereits legendäre Foto des angehenden Bräutigams geschossen hatte. Draco auf einem Pferd, mit sexy Dreitagebart, windzerzaustem Haar und perfektem Profil, wie er mit düsterer Miene vor einem toskanischen Sonnenuntergang Büffel eintrieb, die die Milch für den berühmten Käse des Anwesens lieferten.

Aber, so sagte sich Federico, man konnte nicht alles haben. Er sah durch das Blätterdach der Kastanien hinauf, die die Zufahrt zur Kathedrale säumten, welche ihre eigene magische, wenn auch strenge Aura besaß. Sein Notfallplan für schlechtes Wetter war unnötig – die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel herab.

Einer der Sicherheitsleute nickte dem Fotografen zu, der aus dem Schatten der Bäume trat. Federico gab seinem Team ein Signal und wartete, bis das Knirschen von Reifen auf Kieselsteinen lauter wurde.

Es war sein erster Blick auf die Braut. Obwohl die berühmtesten Schauspielerinnen und Promis für ihn posierten, holte Federico tief Luft, als sie ins Freie trat. Seinem kritischen Auge gefielen ihre zarten Züge, weit auseinanderstehenden grünen Augen und ihre Haut, die dieselbe blasse, kristalline Klarheit hatte wie ihr perlmuttfarbenes Seidenkleid. Als sie anmutig ausstieg und stehen blieb, gertenschlank, während die Sonne auf ihr rötlich schimmerndes Haar fiel, hielt er den Moment fest und schoss fasziniert Foto um Foto. Die fein geschwungene Nase der Braut stand einen Hauch schräg im Profil, als sich die Brautjungfer vorbeugte, um die schwere Satinschleppe zu richten, die mit handvernähten Zuchtperlen gesäumt war.

„Oh, Janie, du siehst so schön aus, absolut traumhaft.“

Jane blinzelte – wie jemand, der gerade aufgewacht war. Bis jetzt hatte sich der Tag wie ein Traum angefühlt, durch den sie geschwebt war, in dem Kleid, das Draco ausgesucht hatte, weil sie sich zwischen den ganzen Designermodellen nicht hatte entscheiden können.

Er hatte auch die Blumen ausgesucht. Sie waren schön, aber leider ohne Duft. Mit Mühe lockerte sie den Griff, mit dem sie die Stiele der Orchideen umklammert hielt, und blickte auf ihre Hand hinunter, sah, wie das Blut in ihre Finger zurückkehrte. Der Ring glitzerte in der Sonne. Als Draco ihn ihr angesteckt hatte, hatte er gemurmelt, dass er zu ihren Augen passe, weshalb sie ihm nicht verriet, dass ihr etwas weniger Auffälliges als ein schwerer, von Diamanten eingefasster Smaragd lieber gewesen wäre. Der Stein passte einfach nicht zu ihr, einer Studentin, die drei Teilzeitjobs hatte, um über die Runden zu kommen, und die es genoss, zum ersten Mal verliebt zu sein … ihren ersten und letzten Liebhaber zu haben. Was in Ordnung war. Nach Draco hätte sie ohnehin keinen anderen Mann mehr gewollt, und Draco glaubte, dass der Ring ihr entsprach, also bemühte sie sich, der Mensch zu sein, für den er sie hielt.

Nicht nur der heutige Tag fühlte sich an wie ein Traum. Ihr war, als wäre sie die letzten beiden Monate schlafgewandelt, seit sie Draco gesehen und ihre Finger sich gestreift hatten, als sie die Kaffeetasse aufhob, die sie ihm aus der Hand gestoßen hatte. Zum ersten Mal im Leben war sie von tiefer, verzweifelter Lust erfüllt gewesen.

Seine ersten Worte waren: „Sie sind perfekt.“

Unwillkürlich hatte sie ausgerufen: „Und Sie sind wunderschön.“

Sie hatten die Nacht in seinem Hotelzimmer verbracht – und es die nächsten beiden Tage und Nächte nicht mehr verlassen. Dass er sie wollte, dass er sie liebte – vom schönsten Mann geliebt zu werden, den sie sich je vorgestellt hatte – war ein Traum, aus dem sie nicht aufwachen wollte.

„Bist du nervös?“

Carries Stimme schien von weither zu kommen. Jane schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. Sie wollte nicht nachdenken, wollte einfach nur im Moment sein. Nichts anderes zählte, als dass Draco sie und sie ihn liebte, das sagte sie sich immer wieder, um die andere Stimme zu übertönen, die sie nicht hören wollte.

„Nein, ich bin nicht nervös“, stritt sie ab und hob eine zitternde Hand vor ihre Lippen, deren volle Konturen zartrosa getönt waren. „Ich will es mehr als alles andere“, fügte sie einen Hauch trotzig hinzu. Atemlos gestand sie: „Ich habe mich nur selbst nicht erkannt, als ich mich im Spiegel sah.“

Wortlos drückte Carrie die kalte Hand ihrer Freundin. Jane atmete tief durch und ging den ersten Schritt die schmale Steintreppe hinauf. Sie fragte sich, wie viele Bräute vor ihr diesen Weg beschritten hatten und wie viele von ihnen glücklich waren oder es später bereut hatten.

Auf halber Strecke hielt sie inne. „Wahrheit ist wichtig, oder?“

Verdutzt blinzelte ihre Brautjungfer und lachte. „Sag mir jetzt nicht, dass du ein kleines schmutziges Geheimnis hast. Weil ich dir nämlich nicht glauben würde.“ Jane sah Carrie gequält an, und das Lächeln der großen Brünetten schwand. „Das sind nur die Nerven“, erklärte sie beruhigend. „Atme einfach tief durch.“

Jane nickte. Der nächste tiefe Atemzug brachte sie mehrere Schritte den Gang hinunter, bis sich Draco, ihr attraktiver italienischer Liebhaber, umdrehte und sie anblickte. Sie sah, wie sich seine dunklen Augen weiteten, und spürte über die Entfernung hinweg seine besitzergreifende Wärme. Mehr als alles wollte sie zu ihm gehen, in seine Arme laufen, doch Scham stieg in ihr auf und ließ ihre Freude ersterben.

Als sich ihre Blicke trafen, verlor sie die zittrige Kontrolle über ihr Gewissen – mitsamt den Blumen, die ihr aus den Fingern glitten.

Sogar ihr Schweigen war eine Lüge. Sie hatte das Geheimnis zwei Tage lang für sich behalten. Zwei Tage hatte sie Zeit gehabt, um es ihm zu sagen, aber sie hatte es nicht getan, weil sie wusste, wie er reagieren würde. Draco wollte ein Kind, einen Erben für den Familienbesitz, von dem er so leidenschaftlich sprach, und das hatte sie gefreut, weil sie sich immer eine Familie gewünscht hatte.

Seit ihrem letzten Arztbesuch wusste Jane aber, dass die Chancen dafür gering bis aussichtslos waren. Es würde kein Baby mit Draco geben, sie konnte ihm nicht schenken, was er wollte, und eines Tages würde er das ebenfalls wissen und sie hassen. Das Ziehen in ihrer Brust wurde zu einem Schmerz, der stärker war als jener, unter dem sie seit Langem gelitten hatte, ein Schmerz, der jetzt einen Namen hatte – Endometriose.

Das konnte sie ihm nicht antun. Sie liebte ihn zu sehr. Mit einem kleinen, verlorenen Aufschrei hob Jane ihre schweren Röcke hoch, wandte sich tränenüberströmt um und lief weg.

Nachdem das Klappern ihrer Absätze verstummt war, hallte die Stille ohrenbetäubend von den Dachbalken wider. Alle Augen waren auf das Gesicht des Mannes am Altar gerichtet, das aus kaltem Stein gemeißelt schien. Nur in seinen Augen loderten Flammen eisiger Wut.

1. KAPITEL

Die schmale Landstraße schlängelte sich scheinbar endlos dahin. Unter den Bäumen zu beiden Seiten wuchsen wilde Hecken, die von Weißdornbeeren gesprenkelt waren.

Unter anderen Umständen hätte Draco dieses Fleckchen des ländlichen Englands vielleicht gefallen. Das ungeduldige Tippen seiner langen, schlanken Finger auf dem Lenkrad seines edlen schwarzen Autos war das einzige Anzeichen für den Frust, der unter der Oberfläche brodelte. Der wolkenverhangene Himmel kündigte Regen an, was seiner Stimmung durchaus entsprach.

Ein Besuch auf einer Baustelle, die in die Schlagzeilen geraten war, weil ein übereifriger Bauleiter Eindruck schinden wollte, war nicht seine Vorstellung von einem vergnüglichen Ausflug. Der Mann hatte unnötige Abkürzungen genommen und damit Anwohner verärgert, die sich daraufhin an die Medien gewandt hatten.

Ein Traktor rumpelte in Sicht und tuckerte in einem Tempo voran, das eine absichtliche Missachtung von Dracos Zeitplan auszudrücken schien. Seine Verärgerung wuchs. So sollte der Geschäftsführer der Andreas Company den Morgen nicht verbringen müssen.

Dann aber verzog sich sein sinnlicher Mund zu einem Lächeln. Na, wenigstens konnte er noch über sich selber lachen … Er zischte triumphierend, als er es im vierten Anlauf endlich schaffte, den Traktor zu überholen.

Die Kontroverse – der eigentliche Grund für seine Frustration – wäre vermeidbar gewesen, deshalb war Dracos anfängliche Irritation mittlerweile in Ärger umgeschlagen. Genau dafür hatte er ein Team, das sein Eingreifen bei einem solch untergeordneten Projekt unnötig machen sollte. Doch inzwischen ging es um mehr als das Projekt. Er musste den Imageschaden reparieren.

Unvermittelt lichtete sich der Weg und gab den Blick auf einen breiten Waldstreifen frei. In der Ferne waren vereinzelte Häuser und ein Kirchturm zu sehen. Er erblickte den Bauleiter im selben Moment, als dieser ihn erkannte und klugerweise zwischen den Bäumen verschwand.

„Faul und geizig gleichzeitig …“, murmelte Draco. Jetzt brauchte es eine Charmeoffensive, um die Gemüter wieder zu beruhigen. Dabei ging es nicht nur um PR. Draco glaubte an dieses Projekt. Zwei vergleichbare gehobene Öko-Feriendörfer in seinem Heimatland Italien waren bereits in Betrieb und brachten den ländlichen Gemeinden, in denen sie angesiedelt waren, enorme Vorteile ein. Seinen kometenhaften Aufstieg verdankte er nicht zuletzt der frühzeitigen Erkenntnis, wie sehr Finanzmärkte die Investitionen in den Umweltschutz ankurbeln konnten.

Er musterte die Menschenmenge, als er langsam zu einem Parkplatz auf der Wiese fuhr. Zwischen den Kameras und Journalisten suchte er nach jemandem, der verantwortlich war. Aber niemand in der skandierenden Menge wirkte so auf ihn. Ein Mann mit Priesterkragen sprach aufgebracht mit einem Nachrichtensender. Er sah nicht allzu wütend aus, entschied Draco und wich einem Demonstranten aus, der mit seinem Plakat auf seine Windschutzscheibe schlug.

Durch eine Lücke in den Bäumen erblickte er das einstige Herrenhaus. Das Zuhause seiner Familie in der Toskana hätte ebenso enden können, doch dazu war es nicht gekommen, und das würde es auch nie, solange Draco das Sagen hatte. Doch heute ging es nicht um sein Erbe, sondern um den Ruf seiner Firma.

Plötzlich blitzte etwas Rotes auf. Instinktiv trat Draco auf die Bremse. Die Welt schien stillzustehen: Jane Smith!

Er hatte nie nach ihr gesucht. Er wollte nicht wissen, warum sie ihn gedemütigt hatte, ihre Gründe waren ihm ein Rätsel geblieben. In den letzten vier Jahren hatte er alle Gedanken an sie – zusammen mit dem Verlobungsring, der per Kurier auf seinem Schreibtisch gelandet war – in ein tiefes Verlies gesperrt und den Schlüssel dazu weggeworfen. Er hatte die Vergangenheit hinter sich gelassen. Gut, ein, zwei Male war er rückfällig geworden, wenn er einen roten Schopf erblickte und Wut in ihm aufstieg, vermischt mit einem Hunger, den er sich nicht eingestand. Dabei hatte sich das Feuerrot in der Menge stets als eine beliebige rothaarige Frau entpuppt.

Nicht aber dieses Mal.

Ihr Gesicht war von ihm abgewandt, doch das war egal. Es war ihre Haltung. Sie wirkte wie eine Tänzerin, schlank und anmutig. Die Erinnerung an ihr lautes Lachen stahl sich aus dem Verlies in seinem Kopf, in die er sie gesperrt hatte. Das Geräusch weckte Erinnerungen, bei denen die guten von der demütigenden Szene am Schluss überlagert wurden, in der es kein Lachen mehr gab.

Kurz war die Erinnerung so präsent, dass er die Demütigung förmlich schmecken konnte. Seine Augen verdüsterten sich. Dass seine Selbstbeherrschung ihn im Stich ließ, befeuerte seinen Zorn noch. Verbotene Bilder kamen hoch. Wie die Sonne auf ihr Haar schien. Seine Haut kribbelte, als er an ihre Berührungen dachte, an ihr weiches, seidiges Haar auf seiner Brust, wenn sie auf ihm saß. Und erst ihr Mund …

Er drängte die verfängliche Bilderflut zurück und zwang seinen Fokus wieder in die Gegenwart. Jene Gegenwart, in der Jane Smiths feuerrote Locken im Wind tanzten.

Erst jetzt nahm er die banaleren Details wahr: Ihr Haar war kürzer und reichte ihr nur noch bis zu den Schulterblättern statt zur Taille. Und da war … ein Baby? Er stieß einen heiseren Laut aus. Vor Ablehnung spannten sich seine Bauchmuskeln an.

Aber warum sollte sie kein Baby haben? Sie hatte das Ganze hinter sich gelassen, genau wie er. Diese Wendung hatte Draco nur nicht erwartet.

Erwartet! Als ob er irgendetwas davon erwartet hätte.

Er hätte die Erinnerung unterdrücken können, doch seine masochistische Ader ließ sie zu – jene eingefrorenen Momente des Tages, an dem sie sich begegnet waren. Vor jenem Tag hätte er die Vorstellung belächelt, dass ein Fingerstreifen erotisch sein könnte.

Als er die schlanke Gestalt anstarrte, verschwanden die Jeans und Stiefel, sie stand in Seide und Satin vor ihm und sah ihn mit glänzenden grünen Augen an. Und dann …

Unbarmherzig riss Draco sich aus dem Sog der Gefühle und löste die Bremse wieder. Er begrüßte die Chance, sich zu beweisen, dass Jane Smith ihm nichts mehr bedeutete.

Nur: Warum sollte er sich etwas beweisen, was er längst wusste?

Jane stand am Rand der Menge. Mattie, warm eingepackt auf ihrem Rücken, war eingeschlafen. Sie unterdrückte ein Gähnen. Sie hätte auch Schlaf brauchen können. Mattie war fast die ganze Nacht wach gewesen. Manchmal, ziemlich oft sogar, schien er zu spüren, dass sie keine Ahnung hatte, was sie tat. Vielleicht war er auch wütend. Sie war ebenfalls wütend, aber Matties Verlust war grenzenlos. Erst hatte er wundervolle Eltern gehabt, und nun hatte er wegen eines dummen Unfalls Jane am Hals.

Sie sah sich um. Würde sie jemand vermissen, wenn sie ging? Ihre Abwesenheit würde kaum auffallen. Die Kameras hatten eine größere Menge angezogen als erwartet.

Voller Empörung war sie zum Chefredakteur der Lokalzeitung marschiert und hatte ihm ihr Smartphone mit Fotos von Bulldozern und zerstörter Natur unter die Nase gehalten. Sie wusste nicht, was sie eigentlich erwartet hatte, aber bestimmt keine landesweiten Nachrichten. Wäre sie dort aufgetaucht, wenn sie gewusst hätte, dass der Nachname, der mit dem Projekt verbunden war, für das die kostbaren Bäume abgeholzt wurden, Andreas lautete? Jane wollte es gern glauben.

Andreas … Es war lächerlich, dass der Name immer noch solch eine emotionale Reaktion heraufbeschwor. Dieses kleine Projekt würde wohl kaum auf Dracos Radar erscheinen. Ein paar Bäume und aufgebrachte Anwohner waren definitiv unterhalb seines Zuständigkeitsbereichs. Das hoffte sie jedenfalls. Seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken wäre das Letzte gewesen, was sie wollte. Sie hatte ihn hinter sich gelassen, ihn und die schluchzende junge Frau, die über einen Kirchhof lief und über einen Zaun kletterte, wobei sie den Rock ihres Hochzeitskleids in Fetzen riss, ehe sie durch eine Seitengasse davonrannte.

Diese Person erschien ihr inzwischen wie eine Fremde. Welch einen Anblick sie geboten haben musste! Ein unerwarteter Regenguss hatte sie bis auf die Haut durchnässt, und Gott allein wusste, wie der Tag weiterverlaufen wäre, wenn nicht der Fahrer eines SUV mit seiner Familie an Bord angehalten und sie gefragt hätte, ob sie Hilfe brauche.

Carrie war atemlos und klatschnass dazu gekommen. Die Familie fuhr sie zu Carries Wohnung, wo Jane ihre Geschichte erzählte.

„Du hast Draco nichts davon erzählt?“, hatte Carrie gefragt. Jane hatte den Kopf geschüttelt und tat es jetzt erneut, um die Erinnerung abzuschütteln. Warum dachte sie in letzter Zeit wieder so oft an Draco? Vielleicht weil sie Mutter eines mutterlosen Babys geworden war. Schließlich war sie weggelaufen, weil sie keine Mutter werden konnte.

Sie hatte daran gedacht, ihm zu schreiben, um es zu erklären, aber wozu? Er würde ihr nie verzeihen, dass sie ihn gedemütigt hatte, wäre nur erleichtert gewesen, ehe die nächste langbeinige Schönheit in sein Leben trat. Und das nicht für lange. Sein Liebesleben hatte eine eingebaute Drehtür.

Dabei hatte nicht nur er Glück gehabt. Sie ebenfalls. In den letzten vier Jahren war ihr klar geworden, dass die Ehe nicht funktioniert hätte, auch ohne ihre Unfähigkeit, ihm einen Erben zu schenken. Als sie ihm verfallen war, verliebt in die Vorstellung, verliebt zu sein, war ihr die Zukunft rosig erschienen, aber schockiert hatte sie später festgestellt, dass sie in allen Gesprächen versucht hatte, das zu sagen, was er hören wollte.

Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass er untreu werden könnte, und wenn, dann hätte sie wohl sich die Schuld gegeben. Das Ganze war von Anfang an eine Katastrophe mit Ansage gewesen, sie hatten lediglich den Mittelteil übersprungen und waren direkt zum Ende gegangen, was langfristig weniger Schmerz und Enttäuschung für alle bedeutet hatte.

„Miss Smith?“

Jane blinzelte überrascht, als ein Reporter auftauchte. Sie zwang sich zu lächeln.

„Sie müssen erfreut sein, wie viele Menschen heute hier sind.“

Sie holte tief Luft. „Erfreut, aber nicht überrascht, dass die Leute schockiert sind von dieser eklatanten Umweltzerstörung. In dieser Gegend gab es vier Schlafquartiere von Fledermäusen, und auch unzählige andere Tiere haben ihren Lebensraum verloren. Das hier ist ein geschütztes Biotop. Es gab Anordnungen zum Schutz der Bäume, aber es wurde gegen das Gesetz verstoßen. Und wofür? Schnellen Profit!“

Der Reporter blickte in die Kamera. „Das war Jane Smith, die den Behörden diesen Vorfall gemeldet hat.“

Jane seufzte erleichtert, als der Reporter ihr lächelnd dankte und Kurs auf den Vikar nahm.

„Oje, Henry genießt gerade seine fünf Minuten Ruhm“, bemerkte seine Frau, als sie zu Jane trat.

„Er kann gern meine haben. Das war furchteinflößend. Habe ich mich zum Narren gemacht? Woher kannte er meinen Namen?“

„Sie sind berühmt, Jane, Sie haben das Ganze ins Rollen gebracht. Keine Sorge, Sie haben das gut gemacht. Ach, und kommen Sie doch zum Buchclub. Oder haben Sie noch andere Pressetermine?“

Jane lachte. „Oh, ich habe es noch nicht gelesen …“

„Macht nichts. Die anderen haben es auch nicht. Und bringen Sie eine Flasche … oder nein, lieber nicht“, sagte die Frau mit Blick auf Mattie, ehe sie sich wieder entfernte.

Jane hatte nie zuvor einer Gemeinschaft angehört. Es war schön und gleichzeitig traurig, dass der Grund dafür eine Tragödie war. Carrie hätte hier sein sollen. Jane wollte kein Leben führen, dass eigentlich ihrer Freundin gehörte.

Noch immer konnte sie nicht an Carrie denken, ohne dass der Kloß in ihrer Kehle schmerzhaft anschwoll. Carrie war Janes Freundin gewesen. Sie war offen und direkt, während Jane die Kunst perfektioniert hatte, nicht aufzufallen, trotzdem waren sie sich umgehend sympathisch gewesen. Später, als Jane Kunst studiert hatte, hatte Carrie ihren Robert gefunden, geheiratet und ein Baby bekommen.

Allerdings nicht in dieser Reihenfolge. Der Kurztrip am Wochenende war als verspätete Flitterwochen gedacht gewesen. Carrie hatte Jane ihr acht Wochen altes Baby anvertraut. „Ich würde ihn bei niemand anderem lassen“, hatte sie gesagt. „Und es sind ja nur drei Nächte.“

Aber aus den drei Nächten war „für immer“ geworden, als der Zug, in dem die jungen Eltern nach Schottland reisten, entgleiste. Vor fünf Monaten hatte die Tragödie für Schlagzeilen gesorgt. Jetzt war sie nur noch eine gelegentliche Fußnote, für Jane und Mattie jedoch würde sie nie nur eine Fußnote sein. Jane, die nie gedacht hätte, Mutter zu werden, war es nun, oder zumindest fast, das Adoptionsverfahren stand kurz vor dem Abschluss. Sie lebte jetzt in dem kleinen Cottage, das Robert und Carrie von seiner Großtante geerbt hatten.

Jane war Mattie zuliebe aufs Land gezogen, doch sie hatte sich der Umgebung sofort verbunden gefühlt. Traurigkeit überkam sie, sie senkte ihr Plakat. Sie brauchte eine Pause.

Da geschah es. Während des Interviews war ihr ein elegantes Auto aufgefallen. Schicke Autos hatten ihr nie viel bedeutet, weshalb sie eher desinteressiert in diese Richtung geblickt hatte. Das änderte sich, als sie die Person am Steuer erkannte. Alles in ihr erstarrte. Dunkle Augen begegneten ihren … Ihr stockte der Atem, und der Puls klang plötzlich so laut in ihren Ohren, dass er ihren überraschten Aufschrei übertönte.

Draco Andreas!

Erinnerungen strömten auf sie ein, Bilder aus einer Zeit, als sie von der Vorstellung beseelt war, verliebt zu sein. Sie hatte nichts von seiner Bekanntheit oder seinem Vermögen gewusst. Er war einfach nur Draco gewesen – der Mann, der sie zum Lachen brachte, der sie zu mögen schien. Nicht der Geschäftsführer der Andreas Company, der Mann, der seine Geliebten genauso oft wechselte wie normale Menschen ihre Socken.

Das Baby fing an zu weinen, vielleicht weil es ihre Anspannung merkte. Sie vernahm Gesprächsfetzen aus der Menge, als die große, elegante Gestalt aus dem Auto stieg. Panik stieg in ihr auf. Das war nicht der Zeitpunkt für eine Konfrontation. Diesen Zeitpunkt gab es nicht! Sie war froh, dass ihre Beine ihr gehorchten und sie in den Schatten der Bäume trugen.

Der vertraute Wald umfing sie, doch das gewohnte Gefühl von Trost und Frieden wollte sich nicht einstellen. Es war ein Schock. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Jane stützte sich gegen einen Baum und schloss die Augen. Ihre Gedanken waren heillos durcheinander. Sie konnte nur an Dracos Gesicht denken – die goldene Haut, die sich straff über rasiermesserscharf geschnittene Wangenknochen spannte, die breite Stirn und das starke, entschlossene Kinn. Draco hatte sie immer an einen gefallenen Engel denken lassen, dunkel und atemberaubend. Seine symmetrischen Gesichtszüge waren faszinierend.

Ihre Bauchmuskeln verkrampften sich, als sie an seine nachtschwarzen Augen dachte, die von dichten, dunklen Wimpern umrahmt waren. Die schmale, dominante Nase, die in eindrucksvollem Kontrast zu seinem sinnlichen Mund stand. Autorität gekoppelt mit Sinnlichkeit, und das alles ganz und gar männlich.

Sie presste die Zähne zusammen, um sich nicht von Nostalgie, Lust und Sehnsucht fortreißen zu lassen. Ihr Leben war jetzt ein anderes, es drehte sich jetzt um den kleinen Matthew. Es war ein ruhigeres Leben mit Freundschaften, Buchclubs und Yoga im Dorfsaal. Jane atmete durch. Draco Andreas mochte zu ihrer Vergangenheit gehört haben, aber sie würde nicht zulassen, dass er das Leben durcheinanderbrachte, das sie für sich und das Kind aufgebaut hatte.

Als sie tiefer im Wald verschwand, kreisten ihre Gedanken um ein einziges Thema: Wie sollte sie die unvermeidliche Konfrontation mit dem Mann angehen, der einst der Mittelpunkt ihres Universums gewesen war? Was sollte sie sagen? Du hier? Welch eine Überraschung! Lange nicht gesehen …

2. KAPITEL

Die Luft knisterte beinahe vor Erwartung, als der große, dynamische Draco Andreas die Bühne betrat. Jane saß in der letzten Reihe hinter einem großen Mann mit noch größerer Kappe. Auch wenn sie Draco deswegen nicht sehen konnte, wusste sie, dass er perfekt aussah. Seine Augen, die das Publikum musterten, waren eher blau-schwarz als bräunlich-schwarz, und seinem Blick blieb nichts verborgen. Der Mann vor ihr nahm seine Kappe ab, und sie rutschte vorsichtshalber tiefer in ihren Sitz.

Die Zwischenrufe verstummten angesichts der Autorität, die die große, geschmeidige Gestalt auf der kleinen Bühne ausstrahlte. Er schüttelte dem Vikar die Hand, ehe er sich dem feindseligen, schweigenden Publikum zuwandte. Scheinbar unbekümmert ließ er den Blick über die Gesichter vor sich wandern, und obwohl sie versteckt saß, schlug Jane die Augen nieder.

Versteckst du dich etwa? erklang eine ärgerliche Stimme in ihrem Kopf. Stolz hatte sie hergeführt, der Entschluss, sich von den Geistern der Vergangenheit nicht vom Kurs abbringen zu lassen. Draco würde ebenso beiläufig wieder aus ihrem Leben verschwinden, wie er aufgetaucht war. Sie würde weder weglaufen noch sich verstecken, doch sie musste ihre Anwesenheit auch nicht groß ankündigen.

Würde er sich überhaupt an sie erinnern? In vier Jahren hatte sie sich stark verändert. Wenn sie heute in den Spiegel sah … Wann sah sie denn in den Spiegel? Zwischen ihrem Job als Rezeptionistin in der Arztpraxis und der Kinderbetreuung blieb nicht viel Zeit, um sich um Falten zu sorgen. Seit sie sich um das Baby kümmerte, hatte sie fünf Kilo abgenommen, was sie sich eigentlich nicht erlauben konnte. Ihr Gesicht hatte etwas von seiner jugendlichen Fülle verloren, und ihr letzter Haarschnitt hatte mit der Nagelschere am Waschbecken stattgefunden. Auch ihre Garderobe war weit von den Designerstücken entfernt, die Draco für sie gekauft hatte. Gekauft und ausgesucht …

Heute beschämte es sie, wie nachgiebig sie gewesen war, wie verzweifelt sie ihm gefallen wollte, dass sie ihm gestattet hatte, sie wie eine Schaufensterpuppe anzuziehen. Sie strich über ihr Haar, von dem er fasziniert gewesen war. Er hatte sie versprechen lassen, es nie abzuschneiden, und sie hatte zugestimmt, ohne nachzudenken. Es war auch nichts Symbolisches daran, dass sie zwei Wochen nach der nicht stattgefundenen Hochzeit ihre taillenlangen Locken um zwanzig Zentimeter gestutzt hatte. Es war nur praktischer so.

Als sie nicht länger widerstehen konnte, lugte sie um den Mann vor ihr herum und sah, wie Draco entspannt dastand und sein charismatisches Lächeln effektvoll einsetzte. Zwar befand sie sich nicht in der Ohnmachtszone dieses Lächelns, aber dennoch verspürte sie die Nachbeben. Nicht erkennen? verspottete sie sich selbst, als sie mit pochendem Herzen wieder hinter dem grauhaarigen Mann verschwand. Draco hatte sie gesehen und definitiv erkannt. Seiner Miene war der Wunsch nach Vergeltung anzusehen. Draco verzieh nicht leicht. Sie schauderte, als ihre Fantasie einen alten Gott heraufbeschwor, der seine Feinde niederstreckte.

„Meine Damen und Herren“, fing Draco an. Seine leicht akzentuierte, samtene Stimme weckte auf kribbelnd schmerzhafte Weise schlafende Nervenenden unter Janes Haut. „Zunächst schulde ich Ihnen eine Entschuldigung für die nicht autorisierte Baumfällung.“ Er hielt inne, bis das Raunen verstummt war. „Ich will das Geschehene nicht rechtfertigen. Ich verstehe Ihre Wut. Auch ich“, erklärte er düster, „bin wütend.“

Jemand neben ihr klatschte, und als Draco hersah und lächelte, dachten wohl alle, er würde ihnen zulächeln, doch Jane hätte wetten können, dass sie als Einzige eine peinliche Reaktion zwischen den Beinen verspürte. Sie konnte sich gerade noch davon abhalten, laut zu rufen: Ich war es nicht, ich würde dir nie zujubeln … Küssen, berühren, schmecken – das war etwas anderes!

Sie räusperte sich. Dieses wilde, zügellose Verhalten gehörte der Vergangenheit an.

Vom nächsten Teil der Rede bekam Jane nichts mit. Sie musste ihre ganze Willenskraft aufbieten, um gegen die Sogwirkung der Tür und der Freiheit dahinter anzukämpfen; Freiheit vom hinterhältigen, benebelnden Klang seiner Stimme und den verstörenden Gedanken an seinen sinnlichen Mund. Seine Zunge …

Hör auf, Jane! Dieser Abschnitt der Rede musste gut gewesen sein, da mehr Leute applaudierten. Es gab sogar zustimmendes Grummeln von einigen der schärfsten Kritiker. Draco hatte sie für sich eingenommen. Unvermeidbar, dachte sie, als sie die gebannten Gesichter der Zuschauer sah, die er nun in der Hand hatte. So, wie er einst ihre Brust in der Hand gehalten und ihr gesagt hatte, dass sie die perfekte Größe habe …

Kopfschüttelnd atmete sie tief durch und lockerte ihr Oberteil, das über ihre Brustwarzen rieb. Es war sinnlos, so zu tun, als hätten die Jahre sie weniger empfänglich für seine männliche Aura gemacht. Ich bin kaum die Einzige! Ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. In einigen Köpfen hier dürften sich Fantasien über den italienischen Milliardär abspielen, was in Ordnung war, solange es Fantasien blieben. Gefährlich wurde es, wenn man sich in Draco verliebte und jede Vernunft über Bord warf.

Natürlich hatte er sein Publikum für sich gewonnen. Es schien verwunderlich, dass sie nicht gewusst hatte, wer er war. Draco hatte es amüsiert, und selbst, als sie es erfahren hatte, war sie sich des vollen Ausmaßes seines Einflusses, Vermögens und seiner Bekanntheit nicht wirklich bewusst gewesen. Es war ein Maß für ihre Verliebtheit und Selbsttäuschung, dass sie einen verrückten Moment lang geglaubt hatte, sie könne in sein Leben passen. Dass sie sich in das gewandte, elegante Wesen verwandeln könnte, das an seiner Seite wandelte und die richtigen Worte für die richtigen Leute fand. Es hätte nur funktioniert, wenn sie nie den Mund aufgemacht hätte, was Draco vermutlich recht gewesen wäre. Er hatte nie über seine Firma oder seine Rolle in der Finanzwelt gesprochen. Ihre Gespräche drehten sich um das Anwesen in der Toskana, wobei sein Gesicht in echter Begeisterung aufleuchtete, wenn er ihr den Ort beschrieb, der ihr Zuhause werden sollte … der perfekte Ort, um Kinder aufzuziehen.

Das wollte ich hören, dachte sie traurig. Danach hatte sie sich gesehnt. Sie ignorierte den Schmerz und sagte sich, dass sie jetzt ihre Familie hatte. Sie brauchte keinen Mann, der ihre kleine Familie vervollständigte. Mattie nahm ihre ganze Zeit und Energie in Anspruch. Was Sex anging, so war ihre Libido nach Draco in den Winterschlaf gefallen, und sie würde sie nicht aufwecken, bis sie Gefühle und Sex trennen konnte.

Draco sagte: „Bei unserem Projekt wurden Fehler gemacht.“ Er breitete die Hände aus. „Ich übernehme die Verantwortung dafür. Um den Schaden wiedergutzumachen, beginnt morgen eine Baumpflanzaktion, damit dieses schöne Ökosystem erhalten bleibt.“ Er umriss seine Pläne genauer, ehe er zu wohltätigen Maßnahmen für die Gemeinde überging, was bei der Dorfbevölkerung gut ankam.

Das muss man dem Mann lassen, dachte Jane, seine Worte waren aufrichtig, wenn auch etwas zu glatt. Nach dem launigen Zusatz fühlte sie sich besser.

„Ich verstehe, wie wichtig Gemeinschaft ist“, fuhr Draco fort. „Als Dank für Ihre Geduld und Ihr Verständnis wird die Andreas Company die Reparatur des Kirchendachs finanzieren – ein Symbol für unseren Einsatz zum Wohl des Dorfes.“

Das ist nett, gab Jane stumm zu. Draco Andreas, der Meister der Überzeugung, wob ein Narrativ, das ihm die Herzen der Dörfler öffnete. Er hatte seine Überzeugungskraft damals nicht gebraucht, um sie ins Bett zu kriegen. Ihre Wangen wurden warm, als sie sich an jenes erste Mal erinnerte, den Schock auf seinem erregten, geröteten Gesicht, als ihm klar wurde, dass er der Erste für sie war.

„Als weitere Geste des guten Willens spreche ich eine Einladung an ein Mitglied dieser Gemeinde aus.“ Suchend ließ Draco den Blick über die Menge streifen. Jane rutschte unbehaglich hin und her und hatte den Eindruck, dass sein Blick auf ihr gelandet war. Paranoia, sagte sie sich und versuchte, ruhig zu bleiben, wobei sie kläglich versagte.

„Wir veranstalten eine Schulung zu alternativer Energie auf meinem Anwesen. Vertreter der örtlichen Gemeinden sollten daran beteiligt sein, die Zukunft grüner Technologien zu gestalten. Nachdem, was hier passiert ist, halte ich Ihre Ansichten für äußerst wichtig.“

Jane spürte, wie alle sie anstarrten, als sich sein Blick auf sie richtete. Sie reckte das Kinn. Das war kein Zufall. Als die Dorfbewohner applaudierten, stand Jane auf, flüsterte entschuldigend „Mattie“ und ging zur Tür. Dabei hatte ihre Chefin, die Dorfärztin, gesagt, dass sie sich nicht zu beeilen brauche, als sie sich als Babysitterin angeboten hatte. Jane schaffte es bis zum Tor, ehe jemand ihren Namen rief und sie kehrtmachte.

„Vikar?“ Höflich wartete sie, bis der übergewichtige, wohlmeinende Kleriker sie erreichte.

„Jane, meine Liebe, ich bin froh, dass ich Sie erwische. Ich wollte schon vorher mit Ihnen reden, aber ich hatte nicht erwartet, dass Mr. Andreas es erwähnt. Als er mir von dem Kurs erzählte, dachte ich an Sie. Auf unserer Versammlung, zu der Sie leider nicht kommen konnten, waren sich alle einig, dass Sie die perfekte Kandidatin wären …“

Lachend fiel ihm Jane ins Wort. „Perfekt? Mir fallen vier Einwohner ein, die viel geeigneter wären. Ich kenne mich überhaupt nicht aus.“

„Aber Ihr Enthusiasmus und …“

„Ich bin nur Laie.“

Der Vikar schien kurz aus der Fassung zu geraten, fing sich aber. „Sie haben den Stein ins Rollen gebracht. Sie sollten diejenige sein, die …“

Jane biss sich auf die Lippen. Langsam fühlte es sich an wie eine Verschwörung. „Ich bin geschmeichelt, aber …“ Die Fortsetzung „kein Fall für die Wohlfahrt“ verkniff sie sich und fuhr lächelnd fort. „Das ist unmöglich.“

„Sie denken an Mattie, aber auf der Konferenz gibt es Krippeneinrichtungen und etwas italienische Sonne – eine Auszeit könnten Sie gut gebrauchen.“

Er bestätigte ihre Vermutung – die arme, alleinerziehende Jane könnte sich nie einen Italienurlaub leisten. Sie meinten es gut, aber die Vorstellung, Almosen anzunehmen, ärgerte sie. „Ich bekomme schnell einen Sonnenbrand“, sagte sie. Der ältere Herr lachte, als hätte sie einen Witz gemacht. „Im Ernst“, wiederholte Jane. „Viele hier wären besser geeignet, und in der Praxis fehlt Personal.“

„Wir haben mit Dr. Grace gesprochen, und sie sagte, Ihnen stünde noch Urlaub zu. Sie hat schon eine Aushilfe organisiert.“

Jane holte tief Luft. Alle Fluchtwege schienen versperrt. „Sie scheinen an alles gedacht zu haben.“

„Dann sind Sie einverstanden? Das würde uns auch helfen, den Austauschtag mit der städtischen Schule zu verwirklichen, den Sie bei der Gemeinderatssitzung vorgeschlagen haben.“

Ich und mein großes Mundwerk, dachte sie. Andererseits, von Draco abgesehen, war die Sache verlockend. Doch Draco würde sich nicht so einfach in Rauch auflösen. Es war eine verrückte Idee, aber der Kurs wäre interessant … ebenso wie Dracos Haus zu sehen. Ja, sie war neugierig. Widerstrebend nickte sie. Draco würde sich kaum dort sehen lassen. Derlei Dinge würde er sicher delegieren.

„Nur unter gewissen Bedingungen, wegen Mattie. Ich bräuchte mehr Details.“

„Natürlich. Ich leite Ihre Bitte an Mr. Andreas weiter.“

„Mr. Andreas hat bestimmt Wichtigeres zu tun. Einer seiner zahlreichen Assistenten kann mir sicher helfen.“

„Danke, nein“, sagte Grace, als Jane ihr einen Kaffee anbot. „Aber ich passe gern auf das Baby auf. Ich vermisse die Zeit, als meine beiden noch klein waren und keine Widerworte gaben – apropos, ich muss nachsehen, ob sie ihre Hausaufgaben gemacht haben. Ihrem Dad tanzen sie auf der Nase herum“, sagte sie. „Ich freue mich, dass du der Toskana zugestimmt hast. Du brauchst eine Auszeit.“

„Es ist kein Urlaub.“

„Nein, aber bestimmt hast du etwas Zeit für ein bisschen Sonne, Meer und vielleicht einen gut aussehenden Italiener?“, sagte Grace neckend, ehe sie hinausging.

Jane machte die Tür zu, lehnte sich an die Wand und seufzte. Das einzige Geräusch war das Ticken der Uhr über dem Kamin. Gerade jetzt hätte sie sich über etwas Babygeschrei gefreut, um sich abzulenken. Sie stieß sich von der Wand ab, als es an der Tür klopfte. Grace vergaß immer etwas. Bemüht lächelnd öffnete sie die Tür. „Was hast du diesmal hiergelassen?“

Ihr Lächeln verschwand, als sie in das Gesicht des Mannes hinaufsah, der vor ihr stand. Sein dunkles Haar streifte den Dachbalken des Vorbaus. „Draco …! Mr. Andreas“, berichtigte sie hastig. Im Dorfsaal hatte seine männliche Aura sie unbehaglich gestimmt. Jetzt schnürte sie ihr die Kehle zu. Ihr Herz raste und in ihrem Kopf herrschte heilloses Durcheinander.

„Sag ruhig Draco“, erwiderte er gedehnt. Aus leicht gehobenen Mundwinkeln wurde ein breites spöttisches Lächeln, als er auf sie herabsah, wobei seine langen Wimpern seine messerscharf konturierten Wangenknochen berührten. „Ich stehe mit fast allen Frauen, mit denen ich geschlafen habe, auf du und du, Cara.“

Sein Spott riss sie aus ihrer Verwirrung – manchmal sorgte Ärger für einen klaren Kopf. Außerdem lenkte er sie von Gedanken an seinen Mund ab. „Und du erinnerst dich an all ihre Namen. Ich bin beeindruckt“, gab sie bissig zurück.

Draco trat innerlich einen Schritt zurück. Sie versuchte nicht mehr, sich unsichtbar zu machen, was ihn immer amüsiert hatte – wie ein Kind, das glaubte, es würde verschwinden, wenn es die Augen schloss. Jetzt konfrontierte sie ihn. Dachte sie, dass eine Frau mit feuerrotem Haar, die aussah wie sie, mit solchen Augen, einem Körper … Er brach den Gedanken ab, ehe er eine unangenehme Situation noch schmerzhafter machte.

Verächtlich erinnerte er sich daran, wie er in den Tagen, nachdem sie ihn gedemütigt hatte, nachts wachgelegen und abwechselnd getrunken und sich nach ihr verzehrt hatte. Nun sah er sie an und bewunderte den Schwung ihrer Nase, die weit auseinanderstehenden, beeindruckend grünen Augen, die verlockenden Lippen, das stur vorgereckte Kinn … Er runzelte leicht die Stirn. Das sture Kinn – war es schon immer so gewesen?

Du kannst dich beglückwünschen, so viel du willst, aber du bist trotzdem hart wie ein Fels, spottete eine Stimme in seinem Kopf. Ein Bild des Kindes auf ihrem Rücken kam ihm in den Sinn, und die höhnische Stimme fuhr fort: Du kriegst nichts, aber ein anderer schon.

So hatte er sich das Ganze nicht vorgestellt. Die Jane, die er kannte, besaß einen warmen Sinn für Humor und ein wunderschönes Lachen, aber Sarkasmus – das war neu. Er musterte sie, aus Neugier, nicht etwa hungrig, und betrachtete die sanften Konturen ihres herzförmigen Gesichts. Ihre großen, dunkel umrahmten Augen blickten zu ihm auf, ein vorsichtiger Ausdruck in ihren schimmernden Tiefen. Ihr Mund war immer noch verführerisch groß, doch der Winkel ihres runden Kinns deutete auf eine Sturheit hin, die er nicht erkannte.

Um nicht den Eindruck zu wecken, dass sie seine Geliebten zählte, fügte Jane hochmütig hinzu: „Hast du nach mir gesucht?“

Er richtete sich zu seiner vollen, imposanten, schlanken und muskulösen Größe von einem Meter neunzig auf und sah auf sie herab. Die eisigen Flecken in seinen Augen und die Milde seiner Verachtung ließen ihn noch härter erscheinen. „Sollte ich nach dir suchen?“

Hatte sie angenommen, dass er es täte, und hatte sie diese Reaktion erwartet? Hatte sie diese Situation herbeigeführt? Der Verdacht ließ sich nicht abschütteln, doch sie wäre enttäuscht gewesen. Er war seiner entflohenen Braut nicht nachgejagt. Das hätte ihn wie seinen Vater gemacht – so besessen von einer Frau, dass er daran zerbrochen war. Besessen bis zum Wahnsinn. Bei seinem Vater war es dessen zweite Frau gewesen, für die er Dracos verstorbene Mutter verlassen hatte. Antonio Andreas hatte ihr jeden Wunsch erfüllt, und jeder ihrer Wünsche erforderte Geld. Als das Geld ausgegangen war, um ihren Appetit nach Luxus und Ausschweifungen zu stillen, hatte sie seinen Vater für einen anderen verlassen. Dabei ließ sie ihren kleinen Sohn, Dracos Halbbruder, zurück.

Ohne sie hätte alles besser werden können, aber sein Vater wollte der Realität nicht ins Auge sehen. Er stalkte seine Ex-Frau online wie auch bei einigen beschämenden Anlässen in der Öffentlichkeit, wo er sie anflehte, zu ihm zurückzukommen. Keine Demütigung schien groß genug, und trotz allem duldete er kein schlechtes Wort über sie. Als Draco sich nicht länger zurückhalten konnte, hatte er den Zorn seines Vaters nicht nur zu hören, sondern auch zu spüren bekommen.

Zweifellos hatte seine Verachtung für seinen Vater seine Reaktion auf die geplatzte Hochzeit beeinflusst. Es war eine Frage des Prinzips gewesen, nicht nach seiner davongelaufenen Braut zu suchen, sich nicht einmal die Frage zu gestatten, warum, oder wo sie war. Hier war sie nun. Wenn er an Schicksal glaubte, hätte er gesagt, es wäre Bestimmung, doch Draco war überzeugt, dass ein Mann sein Schicksal selbst bestimmte.

Nicht, dass er Chancen nicht nutzte, wenn sie sich ihm boten. War das hier eine Chance? Wenn ja, worauf? Die Rache, nach der sein Zorn verlangte? Antworten?

Jane errötete schuldbewusst. „Nein, das hatte ich nicht erwartet“, sagte sie leise. „Warum bist du hier?“

Ironisch lächelnd stellte er sich dieselbe Frage. Um sie zu konfrontieren, ihr vorzuwerfen, diese Situation bewusst herbeigeführt zu haben? Aus Neugier? Um zu sehen, welches Leben sie einem mit ihm vorzog, und mit wem?

„Willst du mich nicht hereinbitten?“, fragte er, da sie es offensichtlich nicht wollte. Vielleicht fragte sie sich, wie sie ihn ihrem Freund oder Ehemann erklären sollte? Dem Vater ihres Kindes, dessen Existenz er immer noch nicht ganz akzeptiert hatte.

„Ich …“ Ehe ihr eine Alternative zu einem unverblümten Nein einfiel, ging Draco einfach an ihr vorbei. Es war ein kleiner Raum, und Draco war kein kleiner Mann. Instinktiv schloss sie die Augen und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen, was ziemlich sinnlos war und die beschämende Tatsache nicht verhüllen konnte, dass tiefes Verlangen sie erfasste, als sein harter, muskulöser Arm ihre Schulter streifte. Sein warmer, maskuliner Duft hüllte sie ein, sodass sie kaum denken konnte.

Draco zu lieben war immer Irrsinn gewesen – Draco zu begehren, berichtigte sie sich. Ihr mochte klar sein, dass die Ehe mit Draco ein Fehler gewesen wäre und nie gehalten hätte, doch körperlich war sie immer noch erschreckend empfänglich für ihn.

Komm damit klar, sagte sie sich mitleidslos. Wie verrückt war es, dass sie sich in diesem Moment fast ebenso beraubt vorkam wie an dem Tag, als sie von der Hochzeit weggelaufen war?

Nach ein paar beruhigenden Atemzügen drehte sie sich um und folgte ihm in ihr kleines, gemütliches Wohnzimmer, das sie nun durch seine Augen betrachtete. Es kam ihr nicht mehr gemütlich vor. Nervös huschte ihr Blick durch das Zimmer, überallhin, bloß nicht zu ihm. Sie sah das Zuhause, dass sich Carrie und Robert aufgebaut hatten, und stellte sich vor, wie es ihm erscheinen musste. Draco würde nicht die Dinge sehen, die sentimentalen Wert besaßen, ihm würde es beengt und schäbig vorkommen. Die Vorstellung, dass er darüber die Nase rümpfen könnte, brachte sie auf. Sie reckte das Kinn und wandte sich mit vorgetäuschtem Selbstbewusstsein zu ihm um.

Früher hatte sie so sensibel auf seine Launen reagiert, dass allein der Gedanke, etwas Falsches zu sagen oder die verdammte falsche Gabel zu benutzen, sich wie Versagen anfühlte, nicht gut genug. Doch dieses Haus war mehr als gut genug, und sie würde mit den Fingern essen, ob es ihm passte oder nicht! Der Gedanke erinnerte sie daran, wie Draco ihr eine dekadente Süßigkeit in den Mund gesteckt und sie die Creme von seinen langen braunen Fingern geleckt hatte und … Sie brach die destruktive und zügellose Erinnerung ab, stützte eine Hand in die Hüfte und sah ihn herausfordernd an. Sie würde jedes triviale Detail dieses Hauses verteidigen, das mit Liebe eingerichtet worden war.

Als sich ihre Blicke trafen, bemerkte sie zufrieden, wie er sie überrascht und nachdenklich musterte.

„Es gefällt mir, wie du dich eingerichtet hast.“

Sie zog die Brauen zusammen. Er klang nicht sarkastisch oder abfällig, doch sie senkte das Kinn nur ein kleines Stück. Draco dagegen hätte den Kopf senken müssen, er streifte fast die niedrigen Balken, die Carrie weiß gestrichen hatte, um die Decke höher erscheinen zu lassen. Damals hatte ihre Freundin lachend gesagt, wie gut, dass ihr Mann klein sei. Bei der Erinnerung schnürte sich Janes Kehle zusammen, und ihre Augen wurden feucht. Sie blinzelte, um die unangenehme Situation nicht zu verschlimmern, indem sie weinte. Das passierte immer noch in den unpassendsten Momenten, wenn die Trauer hochkam.

Das kompakte Zimmer ließ Dracos Präsenz noch überwältigender erscheinen. Es lag nicht nur an seiner Größe, sondern an der rastlosen Energie, die er verströmte. Jane warf ihre Haare zurück, die einen feurigen Heiligenschein aus bronzefarbenen Locken um ihr Gesicht und ihre Schultern bildeten, stützte die Hände in die schmalen Hüften und hob das Kinn. Sie atmete tief durch und verbarg ihre Trauer hinter einer Fassade aus trotziger Angriffslust. Sie war entschlossen, das Schweigen nicht als Erste zu brechen. Doch sie musste unangenehm lange warten.

„Du hast dich verändert“, sagte er schließlich mit Blick auf ihr trotziges Kinn und das militante Leuchten in ihren Augen. In ihrer Beziehung war sie nie auf Konfrontation gegangen – stattdessen hatten ihr nachgiebiges Schulterzucken, ihre Sanftmut, ihn zuweilen geärgert. Wildheit hatte sie nur im Bett gezeigt. Dort hatte sie seine Träume befeuert mit ihrer Faszination für seinen Körper und ihrer Hemmungslosigkeit. Sie hatte ihn nie herausgefordert, nie versucht, ihn zu manipulieren, war beinahe unfassbar weltfremd gewesen. Alles an ihr war das komplette Gegenteil seiner gierigen, intriganten Stiefmutter. Jane hatte ihn nie um etwas gebeten. Stattdessen schienen ihr seine Geschenke unangenehm zu sein. Sie war höflich dankbar, doch er hatte ihr Unbehagen gespürt, als er ihren Schrank mit Designerkleidung füllte. Wodurch es noch unverständlicher wurde, was sie getan hatte.

Unvermittelt stieg eine Erinnerung empor, ausgelöst vielleicht durch ihr Parfum, dasselbe wie damals, als sie sich auf das Bett kniete, das von ihrem letzten Liebesspiel zerwühlt war, und ihre perfekten kleinen Brüste an seinen Rücken presste, die schmalen Arme um ihn legte und flüsterte, dass sie ihn liebe. In Erwartung, dass er das Gefühl erwiderte. Draco hatte nicht gelogen. Er glaubte nicht an Liebe. Liebe hatte seinen Vater zerstört. Aber er hatte behutsam sein wollen. Die Vorstellung, sie zu verletzen, hatte ihn auf eine Weise getroffen, die er nie zuvor oder seitdem erlebt hatte. Mit schockierender Klarheit erinnerte er sich an die Sommersprossen auf ihrer weichen blassen Schulter und den Duft ihres Haares, als er es von ihrem anmutigen Hals strich, ehe er sein Gesicht in der seidigen Weichheit vergrub.

„Wir passen gut zusammen, Cara. Ich kriege nicht genug von dir.“

Sie hatte gelächelt, als er wieder anfing, sie zu lieben, langsam und sanft dieses Mal. In ihren Augen lag Traurigkeit, doch er tat, als sähe er es nicht, und ignorierte das nagende Schuldgefühl, was nun ironisch schien, angesichts dessen, wie alles geendet hatte.

Als sie die Kritik in seiner Stimme hörte, nahm sie an, dass er auf ihren Gewichtsverlust anspielte, und zuckte die Achseln. Jane fand ihre spitzen Hüftknochen und hervorstehenden Schlüsselbeine auch nicht attraktiv. Doch sie war nicht mehr die Person, die Draco von ihr erwartete. Darin lag eine gewisse Freiheit. Dadurch fühlte sie sich stark. Es brachte sie dazu, sich selbst zu mögen, und sie war jetzt Mutter. Eine Mutter schuldete es ihrem Kind, sich selbst zu mögen und ihre Unsicherheiten nicht weiterzugeben.

Wenn sie diese Einsicht doch nur vor vier Jahren gehabt hätte. Sie hatte die Fehler in ihrer Beziehung nicht sehen wollen, bis sie sich davon distanziert hatte, und selbst dann erst, als der Schmerz vergangen war.

„Mein Gewicht ist genau richtig.“ Sie presste die Lippen aufeinander.

„Das meinte ich nicht“, erwiderte er ungehalten. „Du wirkst einfach … anders.“

„Es wäre wohl überraschender, wenn es nicht so wäre. Es ist vier Jahre her. Du wirkst genau wie damals“, fügte sie hinzu, ohne es schmeichelhaft klingen zu lassen.

„Ich habe keine Familie.“

Sie nickte und dachte an die endlose Prozession seiner Freundinnen, während sein Blick auf das Spielzeug fiel.

3. KAPITEL

Beiläufig fragte er: „Gibt es auch einen Vater zu dem Baby?“

Wie lange kennst du ihn schon? Hast du mich seinetwegen verlassen? Diese Fragen konnte er nicht stellen, ohne zu verraten, wie sehr es ihn interessierte. Jane schüttelte den Kopf. Ihr Unbehagen und der Stress waren ihr anzumerken. Es wäre eine Lüge gewesen zu behaupten, es würde ihn stören, dass es offenbar Ärger im Paradies gab. War der Mann verheiratet? War er fremdgegangen? Oder hatte er nur die Verantwortung der Vaterschaft nicht gewollt? Draco beschwor das Bild eines völligen Versagers herauf.

„Teilt ihr euch das Sorgerecht?“

Jane schüttelte erneut den Kopf, ohne auf seinen Spott zu reagieren. „Matties Vater wuchs hier im Dorf auf“, sagte sie leise. „Dann zog er weg. Er war Steinmetz, ein Handwerker, ein Künstler. Seine kleine Firma wollte gerade …“ Sie brach ab.

Bei ihrem ehrfürchtigen Ton spannte sich Dracos Kiefer an, ehe er die Vergangenheitsform registrierte. „War?“

„Er starb.“ Ihre Stimme klang wie die dunkelste Winternacht.

Ihre Hand bedeckte ihren Mund, den Mund, den er geliebt hatte, der ihn verrückt gemacht hatte, als sie jeden Zentimeter seines Körpers erkundete. Nie war Sex so gewesen wie mit Jane. Dieser Sex und der tödliche Schlag, den sie seinem Stolz verpasst hatte – nicht der Verlust – hatten die Monate, nachdem sie weggerannt war, zu den härtesten seines Lebens gemacht. Aber er hatte es durchgestanden, und zu den Vorteilen des Reichseins gehörte es, dass er niemandem Rechenschaft schuldete. Wenn er sich also zwei Monate in einer Hütte in Alaska verkroch, stellte es niemand infrage. Nicht die Gäste auf der Hochzeit und bestimmt nicht der Fotograf mit den Bildern der fliehenden Braut, die jetzt in Dracos Besitz waren.

Es war Draco als fairer Tausch erschienen und, mit der Alternative konfrontiert, hatte der Fotograf zugestimmt.

„Wenn Sie sie veröffentlichen, verdienen Sie zwar Geld, aber ich werde Sie ruinieren.“ Draco hatte es nicht weiter ausgeführt, ehe er seine bevorzugte Option nannte. „Händigen Sie mir alle Kopien aus – und ich meine alle – und Ihre Karriere wird durch die Decke gehen.“

Natürlich hatte es Gerüchte gegeben, aber keine Beweise. Und niemand war bereit gewesen, öffentlich etwas zu sagen, denn Draco war als prozessfreudig bekannt. Vermutlich hatte kein Mensch seine Pressemitteilung über eine „beiderseitige Meinungsänderung“ geglaubt, aber niemand hatte sie infrage gestellt.

„Tut mir leid“, sagte er schroff.

Sie ließ die Hand fallen, und ihr schimmernder Blick war verstörend direkt, fast vorwurfsvoll. Was ironisch war, da er der Geschädigte war.

„Tatsächlich?“

Seine Miene war ausdruckslos, was, wie sie von früher wusste, seine Art war, mit emotionalen Situationen umzugehen. Sie hatte geglaubt, dass sich hinter dieser Maske echte Gefühle verbargen, doch nun wusste sie, dass er nicht gesagt hatte, dass er sie liebe, weil er es einfach nicht tat.

Draco sagte nichts. Was konnte er sagen? Nur Augenblicke zuvor hatte er es begrüßt, dass sie unglücklich sein könnte. Mit einem Anflug von Scham dachte er: Pass auf, was du dir wünschst. Der Schmerz in ihren Augen war … Er musste den Blick abwenden. Ihre Verletzlichkeit, ihre Zerbrechlichkeit weckten Gefühle, die schmerzhaft waren in ihrer Intensität, auch wenn er sich weigerte, sie zu benennen.

„Wart ihr verheiratet?“

Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und lachte seltsam auf. „Nein.“

„Alleinerziehende Mutter zu sein muss …“

„… eine Lernkurve sein“, gab sie zu. Es war keine Lüge, nur nicht die volle Wahrheit.

Das Schweigen dehnte sich aus, als er nach Worten suchte. „Hast du Familie in der Nähe?“

„Ich bin im Heim aufgewachsen, Draco.“

Er errötete kaum merklich. „Ich weiß.“

„Es ist dir nur entfallen.“

Weil es ihm nicht wichtig war, dachte sie verbittert.

„Ich meinte jemand, der dir hilft … Deine Freundin – Carrie, oder?“

„Das hier ist eine gute Gemeinde“, erklärte Jane, ohne ihn anzusehen, damit er ihre Tränen nicht bemerkte. „In einer großen Stadt wäre es schwerer, ein Kind aufzuziehen. Die Dorfbewohner sind toll. Sie haben mich für diesen Kurs vorgeschlagen, weil sie glauben, dass ich eine Auszeit brauche, und weil ich das Nachrichtenteam hergeholt habe.“ Sie holte tief Luft. „Es mag persönlich erscheinen, aber das war es nicht. Allerdings schulde ich dir wohl …“

„Eine Erklärung?“

„Nein, ich meinte …“ Sie hielt inne. „Du kannst mir die Schuld für deine schlechte Presse geben, aber das heißt nicht, dass ich es bedauere!“

„Ich gebe nicht dir die Schuld, sondern dem inkompetenten Bauleiter. Seinetwegen musste ich ans Ende der Welt fahren. Aber er wird keinen Ärger mehr machen.“ Er sah, wie sie große Augen machte. „Sieh mich nicht so an, ich habe keine Killer auf ihn angesetzt“, sagte er amüsiert.

„Das dachte ich auch nicht …“ Unbehaglich brach sie ab. „Du hast ihn gefeuert?“ Jane hatte den Mann an den Pranger gestellt und wüst beschimpft, trotzdem verspürte sie keine Genugtuung. Vielleicht hatte er Kinder, eine Hypothek …

Draco schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich kann nicht fassen, dass der Typ dir leidtut.“

„Nicht genau“, entgegnete sie und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.

Dracos Blick folgte der Bewegung ihres feingliedrigen Handgelenks, dessen Zartheit die geschmeidige Kraft ihres Körpers verbarg, die straffen Beine, die sich eng um ihn legen konnten, Arme, die … Er versuchte, den Erinnerungen Einhalt zu gebieten, aber es war zu spät. Hitze breitete sich unkontrolliert in ihm aus. Er erinnerte sich an ihren heiseren Atem, als er sich küssend an ihrer Wirbelsäule hinabbewegte, das leise Stöhnen, als sie ihr Gesicht im Kissen vergrub, während er die Hand zwischen ihre Beine schob, der konzentrierte Ausdruck auf ihrem Gesicht, als er in sie eindrang und …

Plötzlich wurde die Luft um sie herum dick und schwer, sodass jeder Atemzug Mühe kostete, während ihre Blicke verschmolzen. Jane zitterte, als sich verbotene Erregung in ihr breitmachte. Ihre Welt schrumpfte auf seinen dunklen Blick zusammen. Sie kam sich entblößt vor und konnte doch den Blick nicht abwenden.

„Draco …?“

Es war nicht die undeutliche Warnung in ihrer Stimme, die ihn aus der Spirale erotischer Erinnerungen riss. Es war ein plötzlicher, unmöglicher Gedanke, als er sich an die Entschuldigungen erinnerte, mit denen sich sein unfähiger Mitarbeiter aus der Affäre ziehen wollte. Sein Gerede von einer Frau, die ihn wild attackiert hätte.

Jane hatte den Atem angehalten. Leise zischend stieß sie ihn jetzt aus und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Die gefährliche Spannung in der Luft war einer Verlegenheit gewichen. Sie rieb sich über die Arme und schalt sich im Stillen eine Närrin. Sie war eine dumme, naive Jungfrau gewesen, die sich eingebildet hatte, zum ersten Mal verliebt zu sein. Beim zweiten Mal …

Entsetzt riss sie die Augen auf. Es würde kein zweites Mal geben! Nach fünf Minuten in seiner Gesellschaft hielt sie es bereits für unausweichlich, aber nichts war unausweichlich außer der Tatsache, dass es kein Zurück gab.

Das sexuelle Summen in der Luft war verschwunden, aber Dracos Blick blieb verwirrend intensiv.

„Was?“, fragte sie unwirsch und überlegte, ob sie sich diesen atemlosen Moment nur eingebildet hatte. „Habe ich etwas an meiner Nase oder was?“

„Sommersprossen“, sagte er gedankenverloren. „Warst du …?“ Er schüttelte den Kopf und lachte. „Nein.“

„War ich was?“ Erschrocken hielt sie inne. Wenn er wüsste, wie nahe sie daran gewesen war, einen Annäherungsversuch zu machen.

„Franco … Der Mann, wegen dessen Karriere du so besorgt warst.“

Verärgert verzog sie die Lippen. „Könntest du noch herablassender klingen? Ich war nicht besorgt. Er bereitet mir keine schlaflosen Nächte!“

„Vielleicht fühlst du dich besser, wenn ich dir sage, dass er versucht hat, allen anderen die Schuld zu geben, nur nicht sich selbst.“ Das war eine rote Linie für Draco gewesen. Verantwortung gehörte zu den wichtigsten Führungsqualitäten. „Genauer gesagt, einer ‚unflätigen, zeternden Hexe, die nicht alle beisammen hat‘.“ Er tippte sich an die Stirn. „Außerdem hätte sie ihn bedroht.“ Er hielt inne. „Du?“

„Keine Gewalt“, protestierte sie. „Ich war wütend“, gab sie trotzig zu.

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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