Die wilde Braut des Wikingers

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Nur wer sie im Kampf besiegt, darf sie zur Frau nehmen! Doch jeder Bewerber scheitert an der schönen Schildmaid Sayrid Avildottar, die wie eine Göttin aus Walhalla das Schwert schwingt. Bis der breitschultrige Wikinger Hrolf Eymundsson sie herausfordert. Der wilde Seekönig, der die Flotte befehligt, besiegelt Sayrids Schicksal: In einer Sekunde der Unaufmerksamkeit unterliegt sie ihm! Sayrid muss ihm ihr Land überlassen. Aber mehr noch: Als seine Braut muss sie zur Mittsommernacht und bis in alle Ewigkeit sein Lager und seine Leidenschaft teilen. Doch kann die Unbezähmbare jemals wahre Liebe in den Armen ihres Wikingers finden?
  • Erscheinungstag 30.01.2024
  • Bandnummer 333
  • ISBN / Artikelnummer 9783963691782
  • Laufzeit 09:16:00
  • Audio Format mp3-Download
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Leseprobe

1. KAPITEL

830 n. Chr. – im Nordosten von Schweden

Sayrid Avildottar stand im eiskalten Fluss. Sie hatte den Wurfspieß zum Angriff erhoben und die Augen auf eine auffallend große Meerforelle gerichtet.

Seit langem waren sie und die Forellen hartnäckige Gegner. Beim Fischen konnte Sayrid ihren Blick schärfen und ihre Geschicklichkeit schulen, was ihr bei der Arbeit im Haus ebenso nützte wie bei der Versorgung ihrer Familie mit Nahrung. Hier draußen am Fluss beschwerte sich niemand darüber, dass sie viel zu groß oder unbeholfen war oder dass sie sich nicht wie eine Frau benahm. Obwohl solche Bemerkungen in letzter Zeit eher rar geworden waren, schließlich hatte sie auf fünf einträchtigen Seereisen ihr Können unter Beweis gestellt.

Es war erstaunlich, wie rasch die Leute verstummten, wenn sie sahen, wieviel Gold sie in ihrem Geldbeutel bei sich trug. Sayrid stand im Ruf, eine gerissene Händlerin zu sein und geschickt im Umgang mit dem Schwert, das sie mit sich führte.

Sicher würde der Jarl bald einlenken und ihr die Führung eines Felags in den Osten anvertrauen, wo es sich noch wirklich lohnte, Geschäfte zu treiben und wo man noch stattliche Vermögen erzielen konnten. Der Handel mit Birka warf längst keine großen Gewinne mehr ab. Darüber hinaus machten Seefahrer die Gewässer mit ihren Beutezügen unsicher und verlangten Tribut. Wenn sie aus dem Osten zurückkehrte, würde sie nie mehr auf Reisen gehen müssen. Dann würde sie hier bleiben und ihre Ländereien beschützen. Und die Zeit ihrer Abwesenheit könnte ihr Halbbruder Regin nutzen, um sich als der fähige Krieger zu beweisen, der er war, und ihre Halbschwester könnte in Ruhe einen Krieger wählen, den sie heiraten wollte, damit sie nicht zu einer sinnlosen Vereinigung mit einem Mann gezwungen wurde, der sie weder liebte noch respektierte.

Sie musste nur einen Weg finden, den Jarl davon zu überzeugen, dass dies zu seinem Vorteil war.

Die Forelle machte kehrt und schwamm direkt auf Sayrid zu, als wollte sie sich den Weg in die Freiheit erkämpfen. Sayrid zählte lautlos ihre Herzschläge und versuchte, den besten Moment abzupassen, um zuzustechen.

Da hörte sie ihren Halbbruder laut rufen: „Sayrid! Sayrid!“

Sayrid stieß ihren Speer ins Leere, und der Fisch verschwand blitzartig.

„Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mich zu stören, Regin“, rief Sayrid ihm zu, während sie den Speer aus dem Wasser zog. Sie schwor sich, dass die Forelle beim nächsten Mal nicht so einfach davonkommen sollte. „Du hast mich einen Fisch zum Abendessen gekostet.“

„Blodvin hat uns eine dringende Nachricht zukommen lassen. Es geht um die Hochzeit.“

„Was kann daran so wichtig sein?“ Sayrid spähte ins Wasser und versuchte, die Forelle wieder ausfindig zu machen. „Der Brautpreis wurde letzte Weihnachten festgelegt. Zwar lag er höher als vorgesehen, doch blaue Augen, goldene Locken und eine ansehnliche Menge Land haben eben ihren Preis.“

Der Brauch der Svear schrieb vor, dass der Bräutigam einen Brautpreis an die Familie seiner Auserwählten zu zahlen hatte, bevor die Ehe vollzogen wurde. Damit sollte er beweisen, dass er in der Lage war, seine zukünftige Frau und eventuelle Kinder angemessen zu versorgen. Im Gegenzug zahlte die Familie der Braut eine Mitgift, die dem Mann sein Leben lang zur Verfügung stand, bei seinem Tod oder bei einer Scheidung aber an die Frau und ihre Kinder zurückfiel. Für gewöhnlich hoben sich die ausgetauschten Beträge gegenseitig auf.

„Ist das alles, was dir dazu einfällt, Sayrid? Wieviel Gold meine Hochzeit diese Familie kosten wird? Es geht hier um mein zukünftiges Glück.“

Sayrid stützte den Ellenbogen auf das obere Ende des Wurfspießes. Mögen die Götter sie vor ihrer Familie schützen. Seitdem ihr jüngerer Bruder in Blodvin verliebt war, war er noch verträumter geworden und starrte oft Löcher in die Luft.

„Bis zum Abendessen habe ich dir vergeben, aber dreh bitte nicht durch. Wenn das große Thing das nächste Mal zusammentritt, wirst du bereits verheiratet sein. Selbst Ingvar Flokison, die Blutaxt, würde es nicht wagen, unsere Familie zu verärgern, nicht, nachdem der Brautpreis vereinbart wurde. Mehr habe ich nicht dazu zu sagen …“ Sie bemerkte eine leichte Bewegung im Wasser. „Und nun, wenn du erlaubst, habe ich noch ein Hühnchen mit dieser Forelle zu rupfen.“

„Sayrid, sieh mich an, bitte.“

Sayrid drehte sich um und zuckte zusammen, als sie Regins gequälten Gesichtsausdruck sah. Glücklicherweise war ihr gemeinsamer Vater nicht mehr da, er hätte seinen Sohn verspottet.

„Was ist denn los, Regin?“, fragte sie nun viel sanfter. Ihre alt bekannten Einwände gegen eine Vereinigung mit Blodvin zu wiederholen, machte wenig Sinn. Regin hatte seine Entscheidung getroffen, und seine Starrköpfigkeit konnte sich mit ihrer messen. Dank dieser Stärke war es ihnen beiden vor Jahren gelungen, ihren Vater daran zu hindern, die gemeinsame Schwester Auda zu verprügeln, die damals noch so klein war, dass sie kaum laufen konnte. „Was verlangt Blutaxt denn jetzt noch? Was immer es ist, ich werde es ihm liefern. Du kennst mich und weißt, dass ich es hasse, beim Fischen gestört zu werden.“

„Sie wird jemand anderen heiraten.“

Sayrid erstarrte. „Wen? Wer glaubt, unsere Familie ohne Strafe verärgern zu können?“

„Hrolf Eymundsson. Blodvins Vater wagt es nicht, sich ihm zu widersetzen, weil er ein geachteter Eroberer der Meere ist, dem ein halbes Dutzend Schiffe unterstehen.“ Regin fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. „Ich kann sie unmöglich verlieren, Sayrid.“

„Was?“ Sayrid richtete sich kerzengerade auf. „Hrolf Eymundsson ist nicht hier, sonst hätte mich der Jarl bestimmt gerufen. Er hätte bei der Verteidigung unseres Dorfes um meine Hilfe ersucht.“

„Hrolf und unser Jarl haben in Birka Friedensringe getauscht. Sie haben sich gegen Lavrans und seine Plünderer aus Viken verbündet.“

„Davon habe ich gehört.“ Sayrid blickte finster. Hätte man sie gefragt, hätte sie von diesem Bündnis abgeraten. Wer einmal ein plündernder Seeräuber war, würde sich nie ändern, aber als der Jarl seinen Instinkten folgte und die Nähe zu Hrolf suchte, war Sayrid mit den Dänen in Ribe, um herauszufinden, ob sich dort besserer Handel treiben ließ als in Birka. Sie konnte nur hoffen, dass Hrolf, der Meeresreiter, seine Versprechen einlöste und sich um die Bedrohung des Dorfes durch Lavrans kümmerte. Sayrid befürchtete allerdings, dass er wie alle anderen Eroberer der Meere war, die sie in der Vergangenheit kennengelernt hatte: ein Tölpel mit aufgeblähten Selbstwertgefühl und einer unersättlichen Gier nach Gold. Er würde nur immer höhere Tribute einfordern, doch der Jarl war alles andere als erfreut, als sie ihm ihre Einschätzung offenbarte.

„Hrolf ist vor zwei Wochen zu einem Besuch eingetroffen, um das Bündnis zu festigen.“ Ihr Bruder sah sie scharf an. „Ich dachte, du hattest den Jarl bei deiner Rückkehr getroffen.“

„Wir haben über andere Dinge gesprochen.“ Sayrid versuchte, möglichst unbeteiligt auszusehen. Regin brauchte nicht zu wissen, wie schlecht die Unterredung gelaufen war und wie aufgebracht sie den Jarl verlassen hatte. „Was hat dieses Bündnis mit Blodvin zu tun?“

„Hrolf Eymundsson hat Blodvin erspäht, als er unser Land betrat. Noch am selben Tag machte er ihr einen Antrag, und ihr Vater wünschte sich eine vorteilhaftere Partie.“

„Vorteilhafter, tatsächlich! Dieser elende Schuft! Wir haben ihm bereits einen Teil des Brautpreises gezahlt!“ Sayrid war wütend, dass man ihr nichts über diesen wichtigen Besuch erzählt hatte, und machte ihrem Ärger und ihrer Frustration Luft, indem sie den Speer mit aller Kraft von sich warf. Er bohrte sich tief in den Schlamm und blieb vibrierend dort stecken. „Niemand hintergeht die Kinder von Eiserner Faust.“

„Es ist deine Stellung, nicht meine.“ Ihr Bruder zog den Speer aus dem Schlamm und reichte ihn ihr. „Ich bin zwar derjenige, den Blodvin heiraten soll, doch ich bin nicht einmal das Familienoberhaupt. Als Schildmaid wird dir dieser Titel zuteil.“

„Eine Abmachung ist eine Abmachung.“ Sayrid verschränkte die Arme und wies ihren Bruder damit wortlos an, mit dem Jammern aufzuhören. „Blodvin hat dich unter all ihren Verehrern gewählt.“

„Hrolf Eymundsson ist aber ein völlig anderes Kaliber. Du kennst seinen Ruf so gut wie ich. Er hat es aus dem Nichts innerhalb weniger Jahre zum Schiffskommandanten und zu einer Unmenge byzantinischem Gold gebracht.“

„Das Glücksrad kann sich genauso schnell wieder drehen“, hielt sie dagegen. „Vielleicht ist seine Glückssträhne längst vorbei, und deine fängt gerade an.“

Regin ließ den Kopf hängen. „Du weißt, wie ich in persönlichen Kämpfen dastehe.“

„Das glaubst du nur seit dem Vorfall, als du zehn Jahre alt warst.“ Sayrid watete aus dem Fluss. „Es ist nicht verwunderlich, dass du damals unterlagst. Du warst noch ein Kind und hast gegen einen Vollblutkrieger gekämpft. Far hätte dich niemals dazu zwingen dürfen.“

Ihr Vater trug für so vieles die Verantwortung. Er hatte seine Fäuste immer viel zu schnell eingesetzt, und seine Zunge war stets viel zu flink. Mit welcher Freude er ihren jüngeren Bruder stets gequält hatte. Erst als sie sich ihm entgegenstellte und drohte, von ihrem Schwert Gebrauch zu machen, lenkte er ein, doch seine Rache ließ nicht auf sich warten. Er schlug Sayrid so lange, bis ihr der Rücken blutete, doch Regin ließ er in Ruhe.

Sayrid hatte seine Fäuste nie gefürchtet, wohl aber seine grausame Zunge. Sie erinnerte sich noch genau an den Moment, an dem Far einen Preis auf sie aussetzte. Er verkündete, dass der Mann, der Sayrid im Kampf schlug, sie und seinen ganzen Besitz als Mitgift erhalten würde und auf den üblicherweise fälligen Brautpreis verzichten dürfe.

Dies war der unglaubliche Beginn ihrer Karriere als Schildmaid, auch wenn es sie angewidert hatte, gegen einen fetten, betrunkenen Dummkopf anzutreten, während alles um sie herum grölte. Doch schon bald wandelte sich der unverhohlene Spott in respektvolle Stille, als sie auf den nächsten Kandidaten traf, der ein angesehener, aber älterer Krieger war. Ihn entwaffnete sie ebenso mühelos wie den jungen Kämpfer, der anschließend sein Glück versuchte. Danach wagte es niemand mehr, gegen sie anzutreten.

„Aber Far sagte …“

„Far hat viel dummes Zeug geredet“, fiel ihm Sayrid ins Wort. „Aber nun ist er tot, weil er viel zu viel Ale getrunken hat. Er kann dir nicht mehr wehtun. Nie mehr.“

„Aber … aber …“ Ihr Bruder schluckte nervös.

„Unsere Familie steht gut da. Hat Jarl Kettil nicht gesagt, wie sehr er sich über das viele Gold freue, das wir von unserer letzten Handelsreise mitgebracht haben?“ Sayrid versuchte, fröhlich zu lächeln. „Du hast auch dazu beigetragen.“

Regin zuckte mit den Schultern. „Ich bin immer noch kein so großer Krieger, wie Far es sich gewünscht hätte. Kettil erwartet von unserer Familie aber einen erfahrenen Krieger, einen, der die Felags leiten und dieses Land beschützen kann. Eine Schildmaid wird er damit nicht betrauen.“

„Du hast andere Talente“, warf Sayrid ein, ehe Regin seine vermeintlichen Mängel aufzählen oder sie daran erinnern konnte, dass Kettil sich hartnäckig weigerte, sie mit der Führung eines Felags nach Osten zu beauftragen. „Du hast dich in Tønsberg bewährt und verhindert, dass der Magnetstein von Bord gespült wurde.“

Er lächelte traurig. „Das war reines Glück. Außerdem wären wir gar nicht erst in die Nähe dieser Felsen geraten, wenn ich besser aufgepasst hätte.“

„Du bist sehr sprachbegabt.“

Regin blähte seine Nasenflügel auf. In diesem Moment erinnerte er sie an ein nervöses Pferd, das sich nicht an Bord eines Schiffes ziehen lassen wollte. „Hrolf wird mich mit dem Schwert herausfordern, nicht mit poetischen Versen.“

Sayrid starrte ihren Bruder an. Wo war sein Rückgrat geblieben? Wenn er Blodvin wirklich liebte, sollte er bereit sein, um sie zu kämpfen. „Mit Panik wurde noch kein Problem gelöst. Du bist gerade siebzehn Jahre alt und kein unerfahrener Jüngling mehr. Jeder Mann hat eine Schwäche. Beobachte ihn, finde sie und mach sie dir zunutze, wenn du die Frau willst.“

„Blodvin glaubt, dass sie schwanger ist.“

Sayrid erstarrte. „Von dir?“

Regin lief puterrot an und nickte langsam. „Vor drei Monaten beim Sommerfest. Es war das einzige Mal, ich schwöre es, aber sie lag so süß in meinen Armen.“

„Blodvins Vater ist eine hinterhältige Schlange. Deshalb solltest du Zurückhaltung üben“, presste sie zwischen den Zähnen hervor, bevor Regin weitere intime Einzelheiten ausplaudern konnte. „Ich habe dir gesagt, dass du warten sollst, bis du verheiratet bist, wegen all der möglichen Komplikationen. Hätte ich sie dir einzeln aufzählen sollen?“

„Blodvin erwartet von mir, dass ich Hrolf damit konfrontiere und sie und das Kind einfordere.“ An Regins rechtem Auge trat ein nervöses Zucken auf, wie immer, wenn ihm ein Kampf bevorstand. „Andernfalls sei ich nicht der Krieger, für den sie mich hält. Sie möchte, dass ich ihn an ihrem Hochzeitstag herausfordere.“

„Bei einer Hochzeit einzufallen und die Braut zu entführen, würde eine große Fehde nach sich ziehen, falls du überhaupt lebend davonkommst. Das verbiete ich dir.“ Sayrid konzentrierte sich auf ihre Atmung. Diese Frau würde ihren Bruder damit umbringen oder, schlimmer noch, eine Fehde entfachen, die über Generationen andauerte. „Warum hast du mit deiner Beichte gewartet, bis ich fischen gehe?“

Regin ließ den Kopf hängen. Die blonden Locken fielen vorn über sein Gesicht. Im Gegensatz zu Sayrid, die nach ihrem großen, starken Vater kam, ähnelte Regin seiner Mutter. Er war viel kleiner. Ihr Vater hatte immer von sich behauptet, dass ein zweifacher Fluch auf ihm läge. Seine älteste Tochter sei größer als die meisten Männer und sein einziger Sohn hübscher als die meisten Frauen.

„Ich habe es erst heute Morgen erfahren.“ Das Licht der Sonne versetzte Regins Locken einen goldenen Schimmer. „Blodvin gibt mir das Gefühl, ich sei so stark wie zehn Männer.“

„Blodvin kann das Kind zu uns schicken, wenn die Zeit gekommen ist. Ich würde nie eines deiner Kinder zurückweisen.“ Sie streckte ihrem Bruder die Hände entgegen. Sie wusste, dass ihre Worte hart waren. Doch sie wollte unbedingt verhindern, dass ihr Bruder wegen einer flatterhaften Frau verstoßen wurde oder ihm noch Schlimmeres widerfuhr. „Mit der Zeit wirst du erkennen, dass dies die beste Lösung für dich war. Die Nornengöttinnen werden dein Schicksal neu besiegelt und eine andere Frau für dich vorgesehen haben.“

Regin wandte den Kopf ab. „Für mich wird es keine anderen Frauen geben. Ich liebe Blodvin von ganzem Herzen.“

„Das sagen alle Verliebten, bis sie die nächste Frau treffen.“ Sie wartete auf Regins schüchternes Lächeln.

In seinen Augen loderte eine helle Flamme. „Du machst nur Witze, weil du noch nie verliebt warst.“

„Ich verliebt? Bei allen Göttern, nein. Ich muss mich um einen Haushalt kümmern und hungrige Mäuler stopfen.“ Liebe war für Frauen bestimmt, die zu Männern aufschauen konnten, statt sie zu überragen, die sie mit verführerischen Tänzen betörten und ihnen den nötigen Respekt erwiesen, wenn sie ihnen Getränke servierten. Zumindest in diesem Fall hatte ihr spöttischer Vater ein klein wenig recht.

„Eines Tages, Sayrid, wirst du selbst erfahren, was es bedeutet, wenn einem das Herz aus dem Leib gerissen wird.“

„Ich bin eine Schildmaid. Für immer und ewig. Ich werde niemals heiraten, es sei denn, der Mann kann mich im Kampf besiegen. Der Jarl hat mein Gelöbnis angenommen.“ Sayrid warf ihren Fischspeer zur Übung. Sie hatte aus dem grausamen Scherz ihres Vaters eine Tugend gemacht. „Lenk jetzt nicht ab. Was gedenkst du zu tun, wenn du Hrolf nicht herausfordern willst, um die Hand der schönen Blodvin zu gewinnen? Nach Osten segeln?“

Der flehende Ausdruck auf Regins Gesicht war wirklich herzzerreißend. „Damit beleidigt er auch unsere Familie. Blutaxt wird sagen, dass er die Vereinbarung gebrochen hat, weil …“

„Weil ich nicht wie andere Frauen bin und diesen Haushalt mit meinem Schwert führe. Sollte ich lieber spinnen und weben gehen oder flehend meine Hände in die Luft recken, wenn wir im Begriff sind, alles an irgendeinen arroganten Seefahrer zu verlieren, der in unseren Hafen segelt und Tribute verlangt?“ Sayrid fuhr fort, ehe Regin etwas entgegnen konnte. „Weil ich die Künste des Kampfes geschickt beherrsche, und nicht die der Liebe?“

„Frauen sind nicht dazu bestimmt, Wikinger zu werden.“ Regin räusperte sich. „Du musst zugeben, dass meine Mutter damit recht hatte.“

Weißglühende Wut überfiel Sayrid. Wie hatte sie an dem Tag gejubelt, als ihre Stiefmutter endlich wieder heiratete. Nun lebte diese Frau mit der giftigen Zunge weiter im Süden, über eine Woche Fußmarsch von hier entfernt. „Komisch. Solche Bemerkungen kommen den Leuten immer schnell über die Lippen. Dabei vergessen sie gerne den Handel und den Wohlstand, der durch unsere Schiffe erzielt wird.“

Regin zog mit dem Fuß eine Linie auf dem Boden. „Ihr Vater lehnt dich vielleicht ab, aber ich tue dies nicht. Das wollte ich damit nicht sagen. Er wird die Auflösung verlangen, weil ich die Heirat aufgeschoben habe und er sich sorgte, ob der vereinbarte Preis gezahlt würde. Wären wir seinen Forderungen nachgekommen, hätte ich Weihnachten geheiratet.“

„Seine Wollsäcke waren zu leicht, und ich werde kein gutes Gold bezahlen, wenn nicht das volle Maß geliefert wird. Ein Mann, der bei solchen Dingen betrügt, wird auch bei der Mitgift für seine Tochter betrügen.“ Sayrid legte die Hände auf Regins Schultern und schaute in seine feuchten Augen. „Wir haben die Hochzeit verschoben, weil Blutaxt Schwierigkeiten hatte, die Mitgift zu zahlen, und weil Blodvin wollte, dass ihr Kleid ordentlich bestickt wurde. Wir haben keinen Fehler gemacht, und der Jarl weiß das.“ Sie hielt inne. „Sie wollen dich nur verunsichern, damit wir eine geringere Mitgift akzeptieren.“

Regin schlug die Fäuste aneinander. „Ich werde Blodvin heiraten, mit oder ohne deine Hilfe … und wenn ich dafür sterben muss.“

Sayrid tat, als würde sie mit dem Fischspeer herumhantieren. „Auch, wenn ich es dir verbiete?“

Das Gesicht ihres Bruders bekam einen trotzigen Ausdruck. „Ich werde trotzdem gehen.“

„Ich werde dir diesmal nicht aus der Patsche helfen.“

Er machte ein langes Gesicht. „Vielleicht musst du das gar nicht.“

Ein kurzes Lachen entrann ihrer Kehle. „Regin! Denk nach!“

„Ich liebe sie, Say. Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie sie mit jemandem wie Hrolf Eymundsson vermählt wird.“

Im Stillen verabschiedete sich Sayrid von ein paar ruhigen Wochen, in denen sie fischen oder Pläne schmieden konnte, wie sie den Jarl doch noch dazu bekam, ihr die Verantwortung für einen Felag zu übertragen. „Wenn es dir so viel bedeutet, werden wir sehen, ob Blodvin wirklich gerettet werden muss. Aber wenn die Lady wünscht, mit Hrolf Eymundsson verheiratet zu werden, lassen wir sie dort und gehen. Einverstanden?“

Ein Lächeln huschte über Regins Gesicht. „Ich wusste, dass du es tun würdest. Ich sagte Auda, dass du mir helfen würdest.“

„Dies ist das letzte Mal …“

Hrolf Eymundsson musterte seine Gastgeber träge. Sie verheimlichten ihm etwas. Er erkannte es an den verstohlenen Blicken, die sich der Mann und die Frau abwechselnd zuwarfen und daran, dass sie immer wieder nervös zur Tür schauten. „Gibt es einen Grund, warum Ihr möchtet, dass die Hochzeit schon morgen stattfindet?“

Schweiß perlte auf der Stirn von Ingvar der Blutaxt. Er gab seiner Frau ein Zeichen, damit sie sein Horn mit Ale auffüllte. „Der Brautpreis wurde vereinbart, und meine Tochter hat alles, was Ihr Euch von einer Frau wünschen könntet, sie ist vollkommen und wunderschön. Warum also warten?“

Hrolf senkte den Kopf. Bei der Rückkehr von seinem letzten Felag hatte er Ingas Mutter tot aufgefunden, und Inga selbst war kaum in der Lage, seine Sprache zu sprechen. In jenem Moment wusste er, dass er handeln musste. Er brauchte eine Frau, die Land besaß, und zwar Land mit einem guten Zugang zur See. Aber noch mehr wollte er, dass seine Tochter von einer Frau erzogen wurde, die wusste, was es bedeutete, eine Svear zu sein. Deshalb war er hierher zurückgekehrt, statt eine der Frauen entlang der Handelsroute im Gebiet der Rus zu heiraten. Wie ihn sein Onkel vor vielen Jahren gelehrt hatte, gab es für Ehefrauen eine festgelegte Rolle, sie erfüllten einen Zweck. Auch wenn er nie ein besonderes Bedürfnis verspürt hatte, zu heiraten, war es der einzige Weg, seine Tochter und sein wachsendes Imperium abzusichern.

Der Brautpreis lag zwar etwas höher, als er es sich vorgestellt hatte, aber wenn es stimmte, was ihre Mutter sagte, buhlte eine Reihe von Verehrern um Blodvin. Eine Braut aus diesem Gebiet zu nehmen, würde auch Kettil beweisen, dass Hrolf es mit dem Bündnis ernst meinte. Er würde diese Küsten vor der Bedrohung seines Rivalen Lavrans beschützen. Im Gegensatz zu Lavrans, der stets höhere Abgaben forderte, sobald ein Verbündeter schwächer wurde, brüstete sich Hrolf damit, Vereinbarungen nach besten Kräften zu erfüllen.

Er hatte Blodvin entdeckt, als er von Bord gegangen war. Sie beaufsichtigte gerade eine Reihe Kinder an Land und ihm fiel auf, dass sie recht hübsch war und Ingas Mutter ähnelte. Sein Ersuchen beantwortete sie mit einem süßen Lächeln, und als er ihren Namen erfuhr und dass sie unverheiratet war, schien es, als hätten ihn die Schicksalsgöttinnen gesegnet. Früher einmal standen sich sein Vater und Ingvar, die Blutaxt, sehr nah. Dann verlor sein Vater Land und Titel … Hrolf verkrampfte die Finger um das Trinkhorn.

Er hatte vergangenes Unrecht behoben und sämtliche Schulden bezahlt. Jetzt war er ein Eroberer, der die Wellen regierte. Und Blutaxt hatte recht, was wollte er mehr? Blodvin war die richtige Frau, um Inga eine gute Mutter zu sein.

„Blodvin ist die geeignete Frau, die an den Arm eines Seefahrers und zukünftigen Jarls gehört!“, sagte die Mutter schniefend. „Ich wusste, dass die Nornen für sie eine besondere Zukunft vorgesehen haben.“

Hrolf trank einen weiteren Zug des mittelmäßigen Ales. „Ist Eure Tochter denn einverstanden? Wir haben kaum miteinander gesprochen.“

Ingvar und seine Frau wechselten einen raschen Blick.

„Blodvin ist recht schüchtern.“ Blutaxt schlug sich auf die Brust und rülpste laut. „Aber sie wird eine ideale Frau abgeben. Sie hat Jahre damit verbracht, ihre Hochzeitstruhe auszustatten. Sie weiß alles, was sie über Haushaltsführung wissen muss, und die Kinder lieben sie. Wenn sie erfährt, dass wir diesen Bund für sie beschlossen haben, wird sie ihrer Hochzeitsnacht mehr als erwartungsvoll entgegensehen.“

Jede Sehne seines Körpers mahnte zur Vorsicht. Dennoch hatte Hrolf keinen Grund anzunehmen, dass mit der Frau irgendetwas nicht stimmte.

„Ihr kennt Eure Tochter selbstverständlich besser.“

Die Tür knarrte leise, und Hrolf versteifte sich, instinktiv griff er nach seinem Messer, aber weder Blutaxt noch dessen Frau schienen von dem Knarren Notiz zu nehmen. Hrolf entspannte seine Schultern. Er hatte zu lange unter Kriegern gelebt, wo jeder ungewöhnliche Laut Zeichen eines bevorstehenden feindlichen Überfalls sein konnte.

„Ich möchte Eure Tochter offiziell kennen lernen, bevor wir unser Abkommen besiegeln.“ Er neigte den Kopf. „Aus reiner Höflichkeit. Ich bin sicher, sie entspricht Eurer Beschreibung.“

„Hol sie, Weib. Es ist an der Zeit.“ Blutaxt lachte breit. „Ihr werdet sehen, dass ich nicht untertrieben habe, Hrolf der Meeresreiter. Morgen Nacht wird Eure Braut Euer Bett wärmen.“

Die Frau von Blutaxt knickste rasch, doch ihr rechtes Auge zuckte nervös. „Blodvin hat diesen Tag herbeigesehnt.“

Sie huschte aus dem Raum. Hrolf befand, dass er die eingeschränkten Fähigkeiten seines Gastgebers, ein banales Gespräch zu führen, ausreichend strapaziert hatte. Er wanderte hinüber zu dem kleinen Fenster. Im schwindenden Licht machte er zwei verhüllte Gestalten aus, die soeben den Hof betraten.

Eine Eule schrie, und die eine Gestalt lief eilig davon. Die andere stand still im Schatten und lauschte. Sie hatte eindeutig nichts Gutes im Sinn.

Drei Herzschläge später hallte der Schrei einer Frau durch den Raum. Hrolf zog sein Schwert.

„Herr! Blodvin ist aus ihrem Zimmer verschwunden!“

„Ich habe sie persönlich in die Scheune gesperrt, als sie das Gerücht über die Verbindung hörte“, donnerte Blutaxt. „Dies ist das letzte Mal, dass sie sich derartig benimmt! Sie wird mir gehorchen.“

„Soll ich nachschauen, ob sich meine Braut noch in der Scheune befindet?“, fragte Hrolf mit samtweicher Stimme.

Die Götter standen ihr zur Seite. Den ganzen Weg vom Fluss hierher hatte Sayrid vor Anspannung kaum zu atmen gewagt. Nun stieß sie erleichtert Luft aus, als sie feststellte, dass die Farm im Stillen lag. Nur aus der Scheune drangen Blodvins Weinen und Klagen.

Es war nicht schwer, Blutaxts Versteck zu erraten.

„Blodvin, ich bin’s“, wisperte Sayrid. „Bitte sei still. Ich versuche, diese Tür aufzusperren, aber du machst es mir unmöglich. Sei still, dann kann ich klar denken.“

„Sayrid! Warum bist du gekommen?“

„Deine Magd ließ Regin eine Nachricht zukommen, in der sie um Hilfe fleht.“ Sayrid kämpfte mit dem Türbolzen. „Deine Gebete wurden erhört.“

„Mein Vater will mich mit Hrolf Eymundsson verheiraten. Ich habe gehört, wie sie den Bund ausgeklügelt haben. Mir blieb gerade noch Zeit, Tove loszuschicken, bevor mich mein Vater wegsperrte. Hrolf ist nichts als ein alter grauer Seefahrer! Hol mich bitte hier raus!“

Mit ihrem ganzen Gewicht drückte Sayrid gegen den Bolzen, und er sprang auf. Laut krachend gab die Tür nach. „Wenn du gehen möchtest, dann lauf in deine Freiheit.“

Blodvin eilte hinaus und umarmte Sayrid stürmisch. „Ich werde dir ewig treu ergeben sein, wenn du mich hier unbeschadet herausbringst. Sie möchten mich noch vor dem nächsten Storting verheiraten, damit Far schnell genug Gold bekommt, um seine Schulden zu bezahlen. Hrolf ist bereit, doppelt so viel für mich zu bezahlen wie du. Kannst du dir das vorstellen?“

Sayrid befreite sich aus der zu vertrauten Umarmung. Sie fühlte sich übergroß und unbehaglich gegenüber der viel kleineren Frau. „Ich habe dem Jarl eine Nachricht geschickt, damit sofort eine Notversammlung einberufen wird.“

„Du bist viel zu gut zu mir.“ Blodvin seufzte. „Wo ist mein Geliebter? Wo ist Regin?“

Sayrid trat zurück und stieß versehentlich einen Eimer um. Wie kam es, dass sie ihre Männer gefahrlos in eine Schlacht führen konnte, während sie in Gegenwart anderer Frauen so unbeholfen war?

Blodvin hielt sich die Hand vor den Mund, als der Eimer wegrollte.

„Wir gehen jetzt.“ Sayrid ergriff Blodvins Arm. „Regin wartet am Fluss auf dich. Er hat ein Boot und wird euch zu unserem Schiff bringen. Ich kümmere mich um alles Weitere.“

Blodvin versuchte, etwas hinter Sayrid zu erkennen. „Aber Regin ist doch mit dir gekommen? Mein Geliebter, der mir sein Leben verpfändete?“

Sayrid kämpfte gegen aufsteigende Übelkeit an. Sie hatte vergessen, wie zuckersüß Blodvin war, fast unangenehm. Liebe war wirklich ein Zustand, in dem sie selbst sich nie befinden wollte.

„Regin liebt dich“, antwortete sie grob. „Aber ich werde sein Versteck nicht ans Scheunentor nageln.“

Blodvin kaute auf ihrer Unterlippe. „Ich wollte, dass mein künftiger Ehemann mich rettet.“

„Entweder kommst du jetzt mit mir und wirst Regins Frau oder ich lasse dich hier.“

„Ich komme! Ich will es!“ Blodvin hakte sich bei Sayrid unter. „Wir werden Schwestern sein, und es ist unwichtig, was alle über dich reden. Du rettest mich vor einem Schicksal, das viel schlimmer ist als der Tod.“

Sayrid gab einen Eulenschrei von sich. Sofort antwortete Regin mit dem gleichen Laut. Die Spannung in Sayrids Schultern ließ nach. Alles lief nach Plan. „Das ist Regins Zeichen. Er wartet auf dich.“

Sie bogen gerade um die Ecke, als der Schrei einer Frau die Luft zerschnitt. Blodvin erstarrte.

„Sie haben meine Flucht bemerkt! Wir sind verloren.“

„Lauf, Blodvin, lauf!“ Sayrid griff die Frau beim Arm und zog sie weiter. „Jetzt ist es zu spät, um die Meinung zu ändern.“

„Aber sie werden uns einfangen.“

„Nicht, wenn ich damit etwas zu tun habe. Geh zum Fluss. Sag Regin, er soll ablegen. Ich kann schwimmen.“

Sayrid schob Blodvin vorwärts, zog ihr Schwert und leitete den Rückzug ein. Jeder Schritt zurück war ein neuer Sieg. Mit etwas Glück würde Blutaxt erst am Fluss suchen, wenn es schon viel zu spät war.

Beim Geräusch schwerer Schritte versteifte sie sich.

„Wer ist da?“, erklang eine gebieterische Stimme.

„Ein Fremder, der seinen Geschäften nachgeht.“ Sayrid zuckte zusammen. Sie hätte besser nichts sagen sollen, doch sie musste Blodvin Zeit verschaffen, den Fluss zu erreichen. Außerdem hätte sie darauf gewettet, dass Blodvin beim kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten zu Boden sinkt. „Nach was sieht es sonst aus?“

Ein unbekannter Wikinger trat aus der Dunkelheit hervor. Seine blauen Augen schimmerten. War das Hrolf Eymundsson oder einer seiner Männer? Er war viel zu gut gekleidet, um einer der Bediensteten von Blutaxt zu sein.

„Ihr habt etwas genommen, das Euch nicht gehört.“

Sayrid schüttelte den Kopf, um wieder klar zu denken. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, die breiten Schultern des Mannes wahrzunehmen oder sein wallendes hellbraunes Haar. Oder, dass er genauso groß war wie sie. Jetzt war der Zeitpunkt, ihr Leben zu retten und hier herauszukommen, ohne auf Ingvar, die Blutaxt, zu treffen.

„Warum hätte ich dies tun sollen? Ich respektiere die Menschen, die hier wohnen.“

„Ich weiß es nicht, aber Ihr steht hier, mitten im Mondschein.“

„Vielleicht hatte ich Lust, hier umherzuschlendern?“ Ohne dass sie es wollte, rang sie etwas zu stark nach Luft. Sie hüstelte. „Ein Gang nach dem Abendessen tut gut.“

„Ich habe keine Zeit für Spielchen.“ Er musterte sie, und das rief ihr ihren wenig weiblichen Körper in Erinnerung. „Nicht einmal mit einer Walküre, wie Ihr es seid.“

Sayrid zog den Umhang fester um ihren Körper. Normalerweise dachte sie nie an solche Dinge, aber so, wie er sie musterte, wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie eine Frau war.

Der schwache Laut von Rudern, die ins Wasser klatschten, bestärkte sie. Blodvin und Regin waren in Sicherheit.

„Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht.“ Sayrid zuckte die Achseln, doch das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hatte nicht damit gerechnet, auf einen legendären Eroberer zu treffen. Doch wenn ihr Plan aufgehen sollte, musste sie Ruhe bewahren. „Vergebt mir, aber ich habe noch anderweitig zu tun.“

„Ich möchte gerne mit meiner zukünftigen Braut sprechen. Holt sie.“

Sayrid hielt den Atem an. Blodvin musste blind sein, wenn Hrolf Eymundsson in ihren Augen alt und grau war. Er mochte nicht mehr in der Blüte seiner Jugend stehen, dennoch bot er einen sehr stattlichen Anblick.

„Findet eine willige Braut.“

Die Grübchen auf seiner Wange vertieften sich. „Wollt Ihr etwa ihren Platz einnehmen?“

„Wohl kaum!“ Langsam spielte sie mit ihren Händen, damit sie aufhörten zu zittern. „Beim nächsten Mal stellt bitte sicher, dass die Braut ihr Herz nicht unwiderruflich einem anderen versprochen hat.“

„Ihr Vater behauptet, sie sei frei.“

Sayrid rollte mit den Augen. „Fragt ihn, wer sonst noch den Brautpreis bezahlt hat.“

„Sollen wir ihn zusammen fragen? Ihr und ich, Walküre?“

Zeit, wieder im Schatten zu verschwinden. Sayrid trat einen weiteren Schritt zurück. All ihre Muskeln waren gespannt, bereit für das letzte Stück ihrer Flucht. Sie brauchte nur noch einen Schritt zurückgehen. „Ein anderes Mal.“

Der Krieger griff nach ihrem Arm und zog sie an sich. „Die Wahrheit … Walküre. Warum habt Ihr meine Braut entführt? Welchen Zorn hegt Ihr gegen mich?“

Sie erwiderte seinen zornigen blauen Blick. „Fragt Blutaxt, warum er versucht, meine Familie zu betrügen.“

Hrolf wirkte verblüfft, dann lächelte er breit und seine Miene wurde sanfter. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, und ihr ganzes Wesen nahm ihr Gegenüber als Mann wahr. Sayrid unterdrückte dieses Gefühl. „Euer Handeln gilt also Blutaxt, nicht mir. Ihr solltet diese Angelegenheit besser vor das Storting bringen und dem Jarl erlauben, sie zu regeln.“

„Damit er sie in Eurem Sinne regelt? Der Jarl ist ein Mann des Gesetzes. Er gibt nicht demjenigen recht, der ihm am meisten Gold zahlt.“

Hrolf versteifte sich. Dieses kleine Zögern machte es Sayrid möglich, ihren Arm aus seinem Griff zu lösen und in Richtung Fluss zu rennen.

Hinter sich vernahm sie stampfende Schritte, doch sie rannte weiter.

Fünf Schritte vom Fluss entfernt, legte sich ein schweres Gewicht auf ihre Schulter und wirbelte sie herum. „Versucht das noch einmal, und ich übernehme keine Verantwortung für die Folgen.“

Sein zorniges Gesicht war nur wenige Zoll von ihrem entfernt. Ihr Atem vermischte sich, Sayrid spürte die muskulösen Arme, in denen sie gefangen war. Sie versuchte, ihre Schultern zu entspannen, während sie den dunklen Fluss absuchte. Das Ruderboot ihres Bruders bewegte sich flussabwärts. Sie brauchte sich nur von der Strömung treiben lassen, das gehörte zu dem Notfallplan, den sie mit Regin ausgetüftelt hatte.

Sie lehnte sich vor. Dabei streiften ihre Brüste versehentlich den Oberkörper des Eroberers und ihr Körper prickelte. Sie spürte beinahe die Berührung seiner Lippen auf ihren. Wenn sie den Kopf nur ein wenig nach rechts neigte, würde ihr Mund auf seinen treffen. Ihr blieb wenig Zeit, die Bewegung zu überdenken. „Ich werde die Folgen tragen.“

Im Nu duckte sie sich und wand sich aus seiner Umarmung, dann preschte sie die paar Yards zum Fluss hinunter, wo sie ins schenkeltiefe Wasser watete und dort mit einem perfekten Kopfsprung verschwand.

Hrolf starrte auf den dunklen Fluss. Ungeduldig wartete er darauf, dass die Frau wieder aus dem Wasser auftauchte. Er hatte sich völlig verkalkuliert. Sein ganzes Wesen hatte ihre tiefroten Lippen kosten wollen, und durch diese Schwäche hatte er ihr die Flucht ermöglicht. Er hatte kein Recht, sich selbst als Eroberer zu bezeichnen, wenn er sich wie ein unerfahrener Krieger benahm, der noch nie mit einer Frau das Bett geteilt hatte.

Dann sah er ihren Kopf aus dem Wasser ragen, während sie auf ein kleines Ruderboot zutrieb. Jemand zog sie an Bord. Über das Wasser hinweg drang Gelächter an seine Ohren.

Hrolf umschloss den Griff seines Schwerts noch fester. „Dies ist erst der Anfang, Walküre. Niemand hält mich zum Narren.“

2. KAPITEL

Das leise Schleifen ihrer weichen Lammlederstiefel auf dem Boden war kaum wahrnehmbar, als Sayrid auf die Versammlungshalle zuging. Über ihrer neuen Lederhose trug sie die dunkelgrüne Tunika, die Auda ihr zu ihrem letzten Geburtstag gefertigt hatte, und die sie mit einem Gurtband zusammenhielt. Ihr Umhang schwang locker um sie herum. Alles war darauf ausgerichtet, den Eindruck höchsten Selbstvertrauens zu erwecken, auch wenn sie innerlich völlig aufgewühlt war.

Sie hatte alle Möglichkeiten sorgfältig abgewogen. Blodvin trug ihre Morgengabe, die aus zwei Armreifen und einer Halskette bestand. Auf Sayrids Drängen hatte sie Kleider gewählt, in denen sie ihre Schwangerschaft selbst für den unerprobten Beobachter nicht verstecken konnte. Blodvin war bereit zu schwören, dass Regin ihr Auserwählter sei und sie keinen anderen Mann wünschte, und beide würden dies in einem feierlichen Eid bekunden. Sicherlich würde Blutaxt sich anständig verhalten und nicht verlangen, dass Regin von der Gemeinschaft ausgestoßen wurde, weil er sein einziges Kind entführt hatte.

Sobald sich der Jarl zu ihren Gunsten ausgesprochen hatte, würde sie alle zur Hochzeitsfeier einladen. Die Bediensteten waren immer noch dabei, das Fleisch unter Audas fachmännischer Anleitung zuzubereiten. Man würde die Vereinigung zweier Familien feiern, anstatt Regins Tod zu beklagen.

„Ich fragte mich, ob Ihr erscheinen würdet, Walküre.“

Sayrid wäre fast gestolpert. Zu ihrem Ärger hatte sie ihn vorübergehend vergessen und damit die Möglichkeit, dass er der Versammlung beiwohnen könnte. Jetzt lehnte der Mann, der seit kurzem ihre Träume beherrschte, an der Hauswand. Warum saß er nicht still neben Ingvar Blutaxt oder, noch besser, warum segelte er nicht gerade von dieser Küste weg, um nach einer anderen Braut Ausschau zu halten?

„Hrolf Eymundsson.“ Sie begegnete seinem dunkelblauen Blick standhaft. „Warum seid Ihr jetzt schon hier und verschwendet Eure Zeit?“

„Sayrid Avildottar.“ Er neigte den Kopf, sodass sein hellbraunes Haar vor sein Gesicht fiel und die Augen bedeckte. „Walküre passt besser zu Euch. Schließlich seid Ihr die Schildjungfer, die den Hafen kontrolliert, der auf magische Weise geschützt zu sein scheint. Wie viele Angreifer haben bei dem Versuch, ihn zu erobern, schon ihre Schiffe verloren?“

„Drei erlitten nach dem Tod meines Vaters Verluste, aber dies lag vielmehr an ihren armseligen Seefahrtskünsten als an meinen magischen Kräften.“

„Man erzählt sich etwas Anderes.“

Ihr Herz flatterte leicht, dann sank es. Sie wusste, was über sie und ihre Lebensweise erzählt wurde. „Ich bin aus Fleisch und Blut und keine Dienerin Wotans. Der Hafen wird durch eine Reihe von Absperrungen geschützt.“

„Trotzdem könnt Ihr schwimmen. Und ich höre, wie geschickt Ihr mit dem Schwert umgeht. Blutaxt verflucht täglich Euren Namen und Euren sagenhaften Heldenmut.“

Normalerweise ließen sie solche Gerüchte kalt. Trotzdem, ein kleiner Teil von ihr wünschte, er hätte eher von ihrem Geschick als Händlerin oder Seefahrerin gesprochen. Kopfschüttelnd tat sie den Gedanken ab. Als nächstes würde sie womöglich hoffen, dass er sie anziehend fände. Ihre Grenzen, was die anmutige und feminine Seite des Lebens betraf, waren so legendär wie ihre Gewandtheit mit dem Schwert.

„Ich konnte nie gut mit Nadel und Faden umgehen, und ich bin viel zu groß und unbeholfen. Meine Stiefmutter verzweifelte an mir“, erklärte sie und lockerte die Nackenmuskeln. Wenn Hrolf dachte, er könne sie demütigen, irrte er sich. Vor langer Zeit schon hatte sie das hochgewachsene Mädchen hinter sich gelassen, das sich bedeckt hielt, in der Hoffnung, niemand würde es bemerken. Jetzt trat sie selbstbewusst vor, weil sie ihre Schiffe und Männer beschützte. „Das Schwert passt besser zu mir.“

Er stieß sich von der Mauer ab, und sein dunkelblauer Umhang wehte um seine schmalen Hüften. An den Armen trug er mindestens drei schwere goldene Armreifen. Alles an ihm ließ erkennen, dass er wirklich so erfolgreich war, wie man sich erzählte.

„Dann wolltet Ihr Eurer Legende neulich Nacht nur eine weitere Heldentat zufügen?“

„Ich musste die Ehre meiner Familie wahren.“ Sie hielt inne. „Vielleicht ist das einem berühmten Seefahrer wie Euch fremd, aber in Svear wird es hoch angerechnet.“

In seine Augen trat Eiseskälte. „Warum entführtet Ihr die Tochter von Blutaxt?“

„Das klingt scharf, wenn man bedenkt, dass die Frau aus freien Stücken mitgekommen ist.“

„Die Leute flüstern, dass die Schlösser durch ein Handzeichen von Euch aufsprangen und Ihr den Vollmond genutzt habt, um sie zu verzaubern. Angeblich habt Ihr sie in einen Schwan verwandelt, damit sie ungesehen entkommen konnte.“

„Wenn ich nur die Hälfte von dem getan hätte, was die Leute behaupten, würde ich bestimmt nicht vor Euch stehen, sondern auf Flügeln durch die Lüfte nach Konstantinopel schweben, da Kettil sich fortwährend weigert, mir ein vernünftiges Schiff für diese Reise zur Verfügung zu stellen“, bemerkte sie knapp und bedachte ihn mit einem Blick, bei dem Männer normalerweise in Deckung gingen.

„Warum habt Ihr es dann getan?“, fragte er leise. „Ich will die Wahrheit. Egal, welches Spiel Ihr spielen möchtet, ich werde, wie gewohnt, als Sieger daraus hervorgehen. Darauf gebe ich Euch mein Wort.“

Ihr Mund wurde trocken. Ihr lag auf der Zunge zu fragen, von welcher Art Spiele er sprach, doch sie verschluckte die Frage sofort. Stattdessen funkelte sie ihn düster an. „Mein Bruder und seine auserwählte Braut verdienen es, zusammen zu sein.“

„Hat das einen besonderen Grund?“

Mit dem Kopf zeigte sie auf Blodvin und Regin, die darauf warteten, dass über ihr Schicksal entschieden wurde. „Sie sind ein schönes Paar.“

„Euer Bruder hätte mich herausfordern sollen. Was nützt ein Mann, wenn er seine Frau und seine Kinder nicht beschützen kann?“

„Blodvin hat ihre eigene Wahl getroffen“, antwortete Sayrid, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. „Niemand betrügt meine Familie.“

In Hrolfs Augen trat ein bedrohliches Flimmern. „Starke Worte. Wo genau lag der Betrug von Ingvar der Blutaxt?“

„Wenn man einen Brautpreis vereinbart und bezahlt, ist es normal, dass die Braut so lange zur Verfügung steht, wie sie es möchte.“

„Zahlungen können zurückgegeben werden.“

Sayrid hüstelte. „Beim nächsten Mal hört Euch um, oder besser noch, fragt die Frau, ob sie Euch heiraten möchte.“

Er schlug mit der Faust gegen seine offene Handfläche. „Blutaxt hat geschworen, dass es kein Hindernis gibt.“

Sie rollte mit den Augen. Es erstaunte sie, dass ein Krieger wie Hrolf Meeresreiter geneigt war, Ingvar Flokison zu vertrauen. Aber er war lange Zeit im Osten unterwegs gewesen und mochte vergessen haben, darauf zu hören, was die Leute erzählten.

„Man sollte das Wort des Mannes, der nichts als zu leichte Wollsäcke liefert, grundsätzlich in Frage stellen.“ Ihre Stimme nahm einen spöttischen Ton an. „Habt Ihr in Betracht gezogen, zu hören, was die Leute sich über ihn erzählen, bevor Ihr mit ihm in Verhandlung tratet? Ihr, dem der Ruf des schnellen Denkers vorauseilt.“

Ein Grübchen trat in seine Mundecke. „Das Frauengeschwätz um Spinnrocken und Webstuhl?“

„Männer reden mehr als Frauen. Sie möchten nur glauben, dass sie es nicht tun.“

„Wirklich?“

Sayrid knirschte mit den Zähnen. Hrolf war ebenso ignorant wie jeder andere Wikinger. Für ihn waren Frauen nur dazu bestimmt, den Haushalt zu versorgen und dem Manne Vergnügen zu bereiten. Sie ballte die Fäuste und hatte sich wieder im Griff. „Ich habe das Gerede der Leute in den Häfen ernst genommen, nur deshalb mein Schiff von der ersten Reise heil zurückgebracht. Wir haben eine andere Route heimwärts gewählt und sind so den Seeräubern entgangen.“

Sofort wurde er ernst. „Was beherrscht Ihr sonst noch, Walküre?“

Die Härte dieser ersten Reise überwältigte sie immer noch. Sie dachte an die Stürme, an den von Bord gespülten Magnetstein und an all die Männer, die versuchten, sie zu betrügen, weil sie eine Frau war. Und an all die anderen, die sie wegen ihrer Größe anglotzten.

„Zu viel, um es aufzählen zu können.“ Sie hob das Kinn und versuchte beiläufig zu klingen. „Ich wünsche Euch einen guten Tag, Hrolf Eymundsson. Meine Familie braucht mich, um diese Angelegenheit zu regeln.“

„Ihr sorgt Euch mehr um Eure Familie als um Euer Leben.“

Sayrid zuckte mit den Schultern. „Ihr werdet eine andere Braut finden. Nach der Versammlung gebe ich ein Fest, um die Hochzeit zu feiern. Ich könnte Euch ein paar Frauen empfehlen, die noch nicht vergeben und deren Angehörige ehrlich sind. Ich möchte nicht, dass Ihr denselben Fehler zweimal begeht. Fehden können Familien ruinieren.“

Stechend musterte er ihren Mund. „Ich treffe meine eigene Wahl, ohne Einmischung.“

Ihr Magen drehte sich um. Es war falsch gewesen, ihn neulich Nacht beinahe zu küssen. Sie hätte ihm besser auf den Fuß treten sollen. „Ich wollte nur behilflich sein.“

„Ich freue mich, unsere Unterhaltung nach dem Storting fortzusetzen … solltet Ihr wirklich vorhaben, behilflich zu sein.“

Sayrid runzelte die Stirn. Was für ein Spiel spielte er? Für gewöhnlich flirteten Männer nicht mit ihr. Vielleicht wollte er ja tatsächlich, dass sie ihm jemanden vorstellte. Dieser Gedanke versetzte ihrem Herz einen leichten Stich.

Sie machte eine fröhliche Geste. „Wir beide liegen nicht im Streit, Ihr und ich.“

Er legte die Hand auf ihre Schulter. Die Berührung schien ihre wollene Tunika zu versengen. Plötzlich wurde ihr ganz schwindelig. „Ich freue mich, dies zu hören.“

Sie rückte von ihm ab und versuchte, das prickelnde Gefühl in ihrem Bauch zu besänftigen. Dieser Krieger war noch schlimmer als alle anderen. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater vor langer Zeit behauptete, sie hätte einem Mann wenig Anziehendes zu bieten, auch wenn er noch so verzweifelt sei. Diese Worte hallten in ihrem Kopf wider. „Möget Ihr die Braut finden, nach der Ihr Euch wirklich sehnt, Meeresreiter. Ich wünsche Euch ein langes Leben und Wohlstand.“

„Das wünsche ich Euch auch, Schildmaid.“

In der großen Halle wimmelte es von Menschen. Hrolf freute sich nach so vielen Jahren im Osten wieder unter seinesgleichen zu weilen. Es war genau das Richtige, hierher zurückzukommen und sein Bündnis mit Jarl Kettil zu stärken. Dies war der Ort, wo er als Mann Wurzeln schlagen und seine Tochter aufziehen konnte.

„Wo hast du gesteckt?“, flüsterte Bragi, Hrolfs bester Freund und Steuermann. „Jarl Kettil hat sich schon gefragt, wo du bleibst. Ich dachte, wir seien hier, damit du den Mann identifizierst, der deine Braut entführt hat, so wie Ingvar die Blutaxt es verlangte. Wir möchten, dass die Sache geklärt wird.“

Hrolf stellte die Fingerspitzen aneinander. Sayrid hatte leider recht. Erst als sie von den halbgefüllten Wollsäcken gesprochen hatte, erinnerte er sich wieder an die Worte seines Vaters. Er hatte geklagt, dass Blutaxt einst versäumte, die versprochenen Waffen zum Schlachtfeld zu liefern. Und die Tochter von Blutaxt erwartete unübersehbar ein Kind. Hier ging es um weit mehr, als er zunächst angenommen hatte. Aber um was? „Ich will nur sichergehen, dass ich alles erfahre, bevor ich entscheide, auf welcher Seite ich stehe. Hier steht das Leben eines Mannes auf dem Spiel.“

„Wer ist das?“, fragte Bragi, als Sayrid nach vorne ging. Ihr Umhang wehte leicht und gab den Blick auf ein paar Kurven frei. „Kann mich ihr jemand vorstellen? Ich bete zu den Göttern, dass sie unverheiratet ist.“

Hrolf runzelte die Stirn. Bragi würde Sayrid nicht einmal bis zur Schulter reichen.

„Sayrid Avildottar, Schildjungfer und Besitzerin des größten Anwesens in dieser Gegend, nach meinem eigenen“, sagte Kettil, noch bevor Hrolf antworten konnte.

„Dann ist sie unverheiratet.“

„Ihr Vater hat bestimmt, dass sie solange unverheiratet bleibt, bis es einem Mann gelingt, sie im Kampf zu besiegen.“ Der Jarl lächelte. „Dass sie unter meiner Führung kämpft, dient meinen Zwecken, aber sie wird kühner und stellt Forderungen. Sie möchte einen Felag nach Byzanz führen. Könnt Ihr Euch das vorstellen?“

„Beim Bart von Thor, sie ist sehr groß“, antwortete Bragi und fügte eine etwas derbe Bemerkung über die Form ihrer Beine hinzu.

Hrolf kämpfte gegen das Bedürfnis, seinen Freund mit den Fäusten zu bearbeiten. Dass er glaubte, Sayrid in Schutz nehmen zu müssen, war völlig widersinnig, denn schließlich kannte er die Frau kaum. Für ihn waren Frauen schöne Begleiterinnen, die er genoss, solange er an Land war. Dies hatte ihn sein Onkel nach dem Tod seines Vaters gelehrt. Wer Wohlstand erzielen wollte, musste verhindern, dass sich Frauen in die Geschäfte einmischten.

„Nur ein sehr mutiger oder ziemlich dummer Mann erlaubt sich solche Bemerkungen in Sayrids Nähe.“ Kettil zog mit dem Finger eine schlitzende Bewegung über seine Kehle. „Sie ist sehr stolz. Während ihrer ersten Reise soll sie mehr als einmal ihre Ehre verteidigt haben.“

Bragi wurde bleich. „Oh.“

„Haben bisher viele Männer versucht, ihre Hand zu gewinnen?“, fragte Hrolf. „Oder wagten es nur alte Männer und bartlose Jünglinge?“

„Wer würde die Schande auf sich nehmen wollen, gegen eine Frau zu verlieren?“ Kettil schüttelte den Kopf. „Wenn all meine Krieger so tapfer wären wie sie, wäre ich längst König von Svear und Götaland, statt Jarl in der Provinz.“

„Es gibt gute Kämpfer, aber ich bin außergewöhnlich gut.“ Hrolf verzog den Mund. Die stolze Sayrid würde bald eine wichtige Lektion lernen.

Die Schmetterlinge in ihrem Bauch hatten sich in eine Herde tobender Rentiere verwandelt, als das Storting begann. Ingvar die Blutaxt und seine Frau wirkten recht glaubwürdig in der Rolle als verzweifelte Eltern. Sie riskierte einen Blick zu Hrolf Eymundsson, der scheinbar ungerührt dasaß.

„Regin Avilson hat mir meine Tochter gestohlen“, begann Blutaxt mit leicht weinerlicher Stimme. „Er hat sie ohne meine Zustimmung von meinem Hof entführt. Er hatte kein Recht, meinen Besitz zu betreten. Er sollte ausgestoßen werden und mir meine Tochter zurückgeben. Hrolf Eymundsson war bei uns. Er wird bestätigen, dass Regin Avilson meine Tochter zwang, gegen ihren Willen mitzugehen.“

Autor

Michelle Styles
<p>Obwohl Michelle Styles in der Nähe von San Francisco geboren und aufgewachsen ist, lebt sie derzeit mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Hunden, zwei Katzen, Enten, Hühnern und Bienenvölkern unweit des römischen Hadrianswalls im Norden Englands. Als begeisterte Leserin war sie schon immer an Geschichte interessiert, darum kann sie sich...
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