Heirate mich, Geliebte - Heirate mich, mi corazón
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Calandra Brown riss die Augen auf, als sich ein warmer, muskulöser Arm auf ihren Bauch legte. Im Spiegel über dem Bett begegnete sie ihrem eigenen Blick und unterdrückte einen Aufschrei.
Mitternachtsblaue Seide bedeckte ihre Brust, doch unter der Decke war sie definitiv nackt. Sie spürte den Stoff wie einen kalten Kuss auf der Haut. Ihr Haar, das sie normalerweise zum Dutt hochgesteckt trug, lag in dunkelbraunen Wellen über dem Kissen. Ihre Lippen waren geschwollen, die Wangen rosig …
Oh, nein. Sie sah aus, als wäre sie vom Cover eines Liebesromans entschlüpft.
Ebenso wie der nackte Mann, dessen Arm über ihrem Bauch lag. Er hatte das Gesicht im Kissen vergraben, dafür war sein nackter Hintern im Spiegel umso deutlicher zu erkennen. Dunkle Locken fielen ihm in den Nacken, er hatte breite Schultern und einen muskulösen Rücken, der sie förmlich dazu einlud, die Fingern an der Wirbelsäule hinabgleiten zu lassen, bis zu …
Stopp!
Langsam beruhigte sich Calandras Herzschlag wieder. Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können? Sie handelte sonst nie unüberlegt. Ließ nie jemanden zu nah an sich heran. Doch es war, als hätte letzte Nacht jemand anders die Kontrolle über ihren Körper übernommen, denn statt des eisigen Blickes, mit dem sie normalerweise jeden bedachte, der sie belästigte, hatte sie kokett gelacht. Wenn ihr Chef herausfand, was sie getan hatte – und vor allem, mit wem sie es getan hatte –, war es mit ihrer Karriere vorbei.
Sonnenlicht fiel durch die Jalousien und blendete Calandra. Sie kniff die Augen zusammen, schlängelte sich unter dem Arm des Mannes hervor und schwang die Beine über den Bettrand. Ihre Füße versanken im tiefen Teppich. Die eine Seite des Zimmers wurde von einem großen Marmorkamin beherrscht, auf der anderen bot gleich eine ganze Reihe von Fenstern einen unglaublichen Blick auf den Sonnenaufgang über dem Hudson River.
Vor langer, langer Zeit hatte sie selbst in einem ähnlichen Überfluss gelebt. Spielzeug ohne Ende, Designerkleider, Reisen nach Frankreich und Italien und in die Türkei.
Sie war todunglücklich gewesen.
Doch es war leichter, sich auf den Luxus zu konzentrieren als auf den splitternackten Mann, der friedlich hinter ihr schlief. Leichter, ihre Aufmerksamkeit auf die Details des Whirlpools zu richten, den sie durch die offene Badezimmertür erkennen konnte, als sich daran zu erinnern, wie sich seine Lippen an ihrem Hals, auf ihren Brüsten, ihrem Bauch angefühlt hatten. Als der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, dass sie ihre Unschuld an einen Mann verloren hatte, dessen Gesellschaft sie in den letzten drei Jahren verschmäht hatte.
Sie griff nach ihrem Handy und riss die Augen auf. Halb sieben? Sie schlief seit Jahren nie länger als bis um vier Uhr morgens.
Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken. Kein Wunder, dass sie nach dieser Nacht verschlafen hatte.
Glücklicherweise gab es keine verpassten Anrufe oder Nachrichten von Adrian. So unglaublich die Nacht auch gewesen sein mochte, nichts war es wert, ihren Ruf zu riskieren. Oder ihr Herz. Sie war stolz auf ihre Fähigkeit, andere auf Distanz zu halten. Eine heiße Nacht war es nicht wert, dafür alles aufs Spiel zu setzen.
Mit einem flüchtigen Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, dass er immer noch schlief. Das Sonnenlicht fiel auf seinen Rücken und tauchte seine definierten Muskeln in goldenes Licht.
Sie wandte sich ab und stand auf. Wo war ihr Abendkleid gelandet? Sie musste sich anziehen und verschwinden, bevor …
„Buenos días, Callie.“
Alejandro Cabrera lächelte selbstzufrieden, als Calandra erstarrte, ihr fantastischer Körper im Gegenlicht der Morgensonne. Das Licht schien ihre zarte Gestalt zu streicheln, vom Schwanenhals bis zu den ausgesprochen langen Beinen. Vielleicht konnte er sie überreden, wieder ins Bett zu kommen, und sich von ihren schlanken Waden bis zu ihren sinnlichen Lippen hinaufküssen, mit einigen Umwegen.
Allerdings sprachen ihre angespannte Körperhaltung und die Sorge in ihren grauen Augen nicht dafür, dass sich die Vorstellung von letzter Nacht in absehbarer Zukunft wiederholen würde.
Schade eigentlich. Die eiskalte Eventmanagerin mit dem Herzen aus Stein, die er sonst kannte, war plötzlich aufgetaut und hatte sich als faszinierende Frau entpuppt, die ihn mit heißen Küssen und leidenschaftlichem Stöhnen um den Verstand brachte, während er jeden Zentimeter ihres gelenkigen Körpers erkundete.
Ihres jungfräulichen Körpers. Das war ein kleiner Schock gewesen. Dennoch hatte er sie umso mehr besitzen wollen, mehr als je eine andere, was ihn zu einem noch aufmerksameren, zärtlicheren Liebhaber machte.
Auch wenn es bei der zweiten Runde nicht ganz so zärtlich zugegangen war. Calandra reagierte mit einer Leidenschaft, die ihn in ungeahnte Ekstase versetzt hatte. Ein Höhenflug, den er nur zu gern wiederholen wollte.
Er setzte sich auf und lehnte sich an das Kopfteil des Bettes. Calandras Blick huschte zu seinen Lenden. Ein Blick reichte, schon rührte sich etwas. Zwei rote Flecken erschienen auf ihren Wangen, und sie wandte den Blick wieder ab.
Er grinste. „Nichts, was du nicht schon gesehen hast.“
Sie verzog das Gesicht. „Bitte, erinnere mich nicht daran.“
Das war normalerweise nicht das Erste, was Frauen nach einer Nacht mit ihm sagten. Seine Miene verfinsterte sich. Hatte er sich die leidenschaftliche Verführerin in seinem Bett letzte Nacht nur eingebildet? Oder schlimmer noch, war er nicht zärtlich genug gewesen? Ihre Unschuld hatte ihn überrascht, doch als er innehielt, packte sie seine Hüften und zog ihn mit so einer Begierde an sich, dass er sich fast blamiert hätte.
Bevor er noch etwas sagen konnte, durchquerte sie das Zimmer und schnappte sich ihr Kleid vom Boden, doch es fiel ihr gleich wieder aus der Hand. Sie starrte den schwarzen Satin an, als wollte sie den Stoff hypnotisieren. Dann atmete sie genervt aus, hob das Kinn und sah ihn an.
Da. Ein kleines Feuer flackerte in ihren Augen auf. In ihrer Nacktheit, das zerzauste Haar in Wellen über den Alabasterschultern, sah sie aus wie eine dunkelhaarige Aphrodite, die dem aufgepeitschten Meer entstieg.
„Hör auf, mich so anzustarren.“
Er riss den Blick von den rosigen Spitzen ihrer Brüste los und richtete ihn auf ihre Augen.
Ihre emotionslosen grauen Augen. Etwas in seiner Brust zog sich zusammen. Er vermisste das Funkeln, das letzte Nacht darin geflackert hatte und zu einem flammenden Inferno geworden war, als sie den leeren Ballsaal verließen.
Nachdem er die wahre Calandra kannte, gefiel es ihm nicht, sie wieder in die Rolle der kühlen Geschäftsfrau schlüpfen zu sehen.
Obwohl es ihm eigentlich egal sein konnte. Heute Nachmittag würde er im Flugzeug nach New Orleans sitzen. Und Calandra würde weiter als Eventmanagerin für Cabrera Wines arbeiten, die Firma seines Bruders. Ihre gemeinsame Nacht, so leidenschaftlich sie auch gewesen war, würde in seiner Erinnerung verblassen und von Nächten mit anderen Frauen überlagert werden.
Er überspielte die kleine sentimentale Entgleisung mit dem gewohnten Playboy-Lächeln.
„Nichts, was ich nicht schon gesehen habe.“
„Lass es einfach, Alejandro.“
Mit einem enttäuschten Seufzer wandte er den Blick ab und starrte aus dem Fenster auf die Skyline von New York City, die im frühen Morgenlicht funkelte. Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, auf der Weinpräsentation seines Bruder vorbeizuschauen. Aber maldicíon, jetzt war er froh darüber. Es war schon einen ganzen Monat her, seit er mit einer Frau zusammen gewesen war. Sosehr er es auch genoss, Calandra zu sticheln, er hätte nie gedacht, dass sie die nächste sein würde.
Oder dass sie noch unberührt war. Der hoffnungslose … verzweifelte Wunsch, sie zu besitzen, erwachte erneut in ihm. Er wollte sie ganz für sich allein, wollte, dass niemand außer ihm allein sah, welche Kostbarkeit unter der dunklen Kleidung und der ernsten Fassade lag.
Diskret warf er einen letzten Blick auf die sinnliche Krümmung ihres Rückens, die schmale Taille und die schönen Beine, bevor alles unter dem Kleid verschwand.
Ja. Verdammt froh sogar.
„So …“
Er musste ein Grinsen unterdrücken, als er sie ansah. Ihre Lippen waren aufeinandergepresst, die Fäuste zu ihren Seiten geballt, ihr Blick so kalt, dass die meisten Männer wohl die Flucht ergriffen hätten.
Nicht jedoch er. Nicht mehr. Nicht nach den Freuden der vergangenen Nacht, als sie ihre atemberaubenden Beine um ihn geschlungen hatte und …
„Entschuldige, wie bitte?“, fragte er und versuchte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
„Danke für …“ Sie wedelte mit der Hand durch die Luft, dann schüttelte sie den Kopf. „Komm gut nach New Orleans.“
Eine ebenso unerwartete wie unwillkommene Panik stieg in ihm auf. Er bekam nie Panik, wenn eine Frau sein Bett verließ. Normalerweise war er es, der ging. Also, warum störte es ihn, dass Calandra es so eilig hatte? Mit Frauen, die von allein gingen, kam er grundsätzlich besser klar als mit denen, die sich nach einer einzigen Nacht mehr erhofften.
Doch ihm gefiel nicht, dass Calandra ging. Bevor er seine Gefühle analysieren konnte, gab er seinem Instinkt nach und sprang aus dem Bett, schnappte sich eine Jogginghose vom Stuhl und folgte ihr.
Sie hatte schon eine Hand am Türgriff, als er ins Wohnzimmer kam. Ihre Augen weiteten sich. Sie starrte auf seine Brust, dann riss sie den Blick los und errötete.
Ah. Die Eiskönigin war nicht annähernd so gleichgültig, wie sie sich den Anschein gab.
„Was tust du da?“ Ihr Tonfall hingegen hätte die Hölle einfrieren können. „Ich habe mich doch verabschiedet.“
„Es wäre unhöflich von mir, dich nicht zu deinem Zimmer zurückzubegleiten.“
Ihr Lippen wurden noch schmaler. Seit Adrian sie vor drei Jahren eingestellt hatte, machte Alejandro sich einen Spaß daraus, dieser Frau eine Reaktion zu entlocken, doch sie schien Arbeit dem Vergnügen vorzuziehen.
Bis gestern Abend. Bis sie gestern Abend seinen Namen gestöhnt hatte, während ihre Finger sich in seine Schultern krallten. Er konnte die Abdrücke ihrer Fingerspitzen immer noch spüren.
„Ich habe kein Zimmer hier.“
Alejandro runzelte die Stirn. „Wieso nicht?“
„Ich wohne bei einem Freund.“
In seiner Brust wallte Eifersucht auf. „Bei einem Freund?“
Trotz seines unvermittelt scharfen Tonfalls zuckte sie nicht mit der Wimper. „Genau.“
„Jemand, den ich kenne?“
„Nein.“
Was störte ihn daran? Sie hatten eine Nacht zusammen verbracht. Normalerweise reichte ihm das. Und allem Anschein nach war auch Calandra nicht an mehr interessiert.
Warum also war er eifersüchtig?
Sie öffnete die Tür und trat in den Flur. Ehe sie die Tür schließen konnte, schlüpfte Alejandro hindurch.
„Solltest du dir nicht etwas überziehen?“ Calandra hielt den Blick abgewandt, während sie mit staksenden Schritten zum Fahrstuhl ging, wobei der dicke Teppich ihre Schritte verschluckte. Ein älteres Paar kam ihnen entgegen, und der Frau klappte die Kinnlade herunter, als sie seine nackte Brust sah. Der Mann gab einen missbilligenden Laut von sich und zog seine Frau weiter.
„Ich fühle mich so wohl. Außerdem“, fügte er grinsend hinzu, als das Klingeln des Fahrstuhls ertönte und sich die Türen mit einem Zischen öffneten. „Nichts, was du nicht schon gesehen hast. Oder geküsst. Oder ge…“
„Schon kapiert.“
Bevor die Fahrstuhltüren vor seiner Nase zugingen, stellte er sich neben Calandra und drückte den Knopf ins Erdgeschoss. Die Türen schlossen sich.
Und plötzlich waren sie wieder allein. Allein in einem sehr engen Raum. Er hörte, wie sie die Luft einsog, spürte die erotische Spannung zwischen ihnen. Sofort wurde er hart. Erinnerungen an die letzte Nacht schossen ihm durch den Kopf. Das Blut rauschte in seinen Ohren.
Sie gehört mir, mir ganz allein.
Er riskierte einen Blick. Calandra starrte stur geradeaus. Sie hatte die Schultern durchgedrückt, sodass sich die Brüste unter dem Stoff ihres Kleides abzeichneten. Das dunkle Haar fiel über ihren Rücken, und er konnte sich nur schwer zurückhalten, den Arm auszustrecken und mit den Fingern hindurchzufahren.
Die Vorstellung, dass sie sein Hotelzimmer verließ, hatte in ihm das verzweifelte Bedürfnis geweckt, sie aufzuhalten. Doch jetzt, da er einen Schritt zurücktrat – von ihr und damit auch von der Versuchung, sie an die Fahrstuhlwand zu drücken und ihre sinnlichen Lippen zu küssen –, begannen seine Alarmglocken zu läuten.
Plötzlich konnte er es gar nicht erwarten, dass sie – und damit auch alles, was sie in ihm auslöste – endlich verschwand.
Der Fahrstuhl kam zum Stehen, und die Türen öffneten sich zur Lobby. Griechische Säulen säumten die Halle, flankiert von Vasen mit pinken Blumen. Kronleuchter hingen von der Decke, leise Instrumentalmusik übertönte den Lärm der Taxis, Busse und Autos auf der dreiundfünfzigsten Straße, die vor den Panoramafenstern vorbeifuhren.
Calandra verließ den Fahrstuhl, und ihre Absätze klackerten auf dem Holzfußboden. Alejandro folgte gemächlichen Schrittes. Obwohl er am liebsten in sein Zimmer zurückgekehrt wäre, um im Bett zu frühstücken und vor seinem Flug noch ein paar Stunden Schlaf nachzuholen, zwang er sich, das Richtige zu tun und Calandra wenigstens sicher in ein Taxi zu setzen.
Das Mädchen am Empfang stutzte, als er vorbeiging, und die Augen hinter ihrer riesigen Brille weiteten sich.
„Äh … Sir …“
Er zwinkerte ihr zu. „Ich weiß, ich habe mein Hemd vergessen. Ich zieh mir sofort etwas über, versprochen.“
Er beschleunigte seinen Schritt, als Calandra die Eingangstür aufstieß und den Arm hob. Bis er sie einholte, hatte sie längst ein Taxi herangewinkt und griff gerade nach der Autotür.
„Darf ich?“
Alejandro öffnete die Tür mit großer Geste und verbeugte sich. Sie bedachte ihn mit einem schmalen Blick, während sie in den Wagen stieg.
„Danke“, murmelte sie steif.
„Gern geschehen.“
Sie drehte den Kopf, wahrscheinlich, um irgendeine spitze Bemerkung zu machen, doch was auch immer sie hatte sagen wollen, war vergessen, als ihre Blicke sich trafen. Die Kälte verschwand aus ihren Augen, und es flackerte Verlangen darin auf. Verlangen, Sehnsucht und … eine so tiefe Traurigkeit, dass es ihm das Herz zerriss.
Er blinzelte. „Calandra, ich …“
Sie schüttelte den Kopf und griff nach der Tür.
„Auf Wiedersehen, Señor Cabrera.“
Die Tür wurde zugeschlagen, und das Taxi fuhr los. Er sah ihm nach, bis der New Yorker Verkehr es verschluckte.
Er blickte an den legendären Wolkenkratzern der Stadt hinauf und verachtete sich für den Schmerz in seiner Brust. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, manifestierte sich schon seit einigen Monaten. Er war der ewigen Partys überdrüssig, und wenn er ehrlich war, sehnte er sich nach mehr. Nach etwas, das für immer war. Die beiden geplanten Neuanschaffungen für die Flotte von Cabrera Shipping hatten ihn ein wenig von seiner inneren Leere abgelenkt. Er hatte das vorläufige Okay des Vorstands für sein La Reina-Projekt, trotz der ablehnenden Haltung seines Vaters. Das kam nicht überraschend. Er hatte sich daran gewöhnt, dass er Javier Cabrera nichts recht machen konnte.
Die Zukunft war rosig. Warum quälte ihn dann diese Sehnsucht? Und warum hatte die Nacht mit Calandra ihn noch mehr aus dem Gleichgewicht gebracht?
Er wusste nicht, wie lange er so dastand und auf die Stelle starrte, wo er sie aus den Augen verloren hatte.
Doch der unvermittelte Schrei – gefolgt von einem „Hey, Sexy“ – einer übernächtigten Frau mit verschmiertem Eyeliner, die aus dem Fenster eines vorbeifahrenden Taxis hing, riss ihn aus seinen nostalgischen Gedanken und holte ihn in die Realität zurück.
Eine Nacht. Eine Nacht mit sensationellem Sex. Das war alles, und so sollte es auch bleiben.
Mit diesem Gedanken drehte er sich um und ging ins Hotel zurück. Die Angestellte am Empfang hatte die Arme verschränkt und fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Ihrem schwarz-goldenen Namensschild zufolge hieß sie Leia.
„Sir, wir erwarten von all unseren Gästen, dass sie in der Lobby Hemd, Hose und Schuhe tragen.“
Er grinste und lehnte sich an den Tresen. Statt ihn anzuhimmeln oder seine nackte Brust zu beäugen, wurden ihre Augen zu Schlitzen.
Schon die zweite Frau, die seinem Charme an diesem Morgen widerstand. Vielleicht verlor er seine Wirkung auf Frauen.
Er hob kapitulierend eine Hand. „Tut mir leid. Ich war nicht bei der Sache. Kommt nicht wieder vor.“
Sie starrte ihn noch einen Augenblick an, dann deutete sie mit einem Kopfnicken zur Tür.
„Ich hoffe, Ihrer Freundin hat es bei uns gefallen.“
Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht. „Ja.“ Warum machte es ihm so zu schaffen, dass Calandra die Flucht ergriffen hatte? Er selbst war schon aus vielen Betten geflohen, ohne sich auch nur zu verabschieden.
Ein Anflug von Mitgefühl huschte über Leias Gesicht. „Vielleicht wird ja alles gut.“
Er erwiderte ihren Blick, bevor sein Lächeln zaghaft zurückkehrte. „Danke. Und Entschuldigung noch mal.“
Sie schob die Brille auf ihrem Nasenrücken hoch und nickte knapp. „Schon gut … solange es nicht wieder vorkommt, Mr. Cabrera.“
Er wich mit erhobenen Händen zurück, schenkte ihr ein weiteres strahlenden Lächeln, was jedoch nur bewirkte, dass sie die Augen verdrehte, und ging zum Fahrstuhl. Die Türen öffnete sich, und eine schöne blonde Frau stürmte heraus, den Kopf gesenkt, in der Hand einen Koffer. Sie blickte auf, und er erkannte sie wieder. Er hatte sie gestern Abend mit Adrian tanzen sehen, hatte gesehen, wie sein normalerweise reservierter Bruder sie angeschaut hatte.
Er setzte zu einer Begrüßung an, um wenigstens ihren Namen zu erfahren, doch sie rauschte so schnell an ihm vorbei, dass er keine Chance hatte.
Tja. Er hatte andere Sorgen. Zum Beispiel musste er dafür sorgen, dass es mit seiner Firma vorwärtsging, und die Frau vergessen, die aus seinem Bett geflohen war, als wäre der Teufel hinter ihr her.
Schritt eins: kalt duschen. Schritt zwei: anziehen und frühstücken. Schritt drei: zum Flughafen fahren. Schritt vier: sich Calandra Smythe aus dem Kopf schlagen.
Vier Monate später
Calandra überflog die Menge, die sich im Garten von Adrian Cabreras Pariser Villa versammelt hatte. Ihre Finger hielten das Champagnerglas so fest umklammert, als wäre es eine Rettungsleine. Die Gäste bewegten sich in einem Meer aus Sommerfarben, mintgrüne Abendkleider und hellblaue Hemden, während sie an ihrem Champagner nippten und Pilzpastetchen aßen.
Für die Crème de la Crème der feinen Gesellschaft war das ein zwangloses Treffen. Sie hatte selbst dazugehört, als sie noch für Adrian gearbeitet hatte.
Doch das war Vergangenheit. Sie wäre lieber zu Hause in North Carolina geblieben und hätte es sich mit einem Buch und einer Tasse Tee im Bett gemütlich gemacht, doch ihr Gewissen war stärker gewesen.
Nur ein kurzes Gespräch. Nur ein paar Minuten, dann kannst du wieder gehen.
Vorsichtig löste sie den Todesgriff um ihr Glas, bevor sie es noch zerbrach. Er hatte keinen Grund, sauer zu sein. Sie hatte einen Plan und würde sich um alles kümmern, so wie sie es immer tat. Außerdem, wie oft während ihrer Wortgefechte bei diversen Cabrera-Events hatte er ihr unter die Nase gerieben, dass er kein Mann war, der sich binden wollte? Er scheute jede Art von Verantwortung.
Nachdem er sie an jenem Morgen ins Taxi gesetzt hatte, sah sie im Rückspiegel, wie er am Straßenrand stand und ihr nachsah. Und in diesem Augenblick war ein beängstigendes Gefühl in ihr aufgekeimt – Sehnsucht. Nicht das brennende, körperliche Verlangen der letzten Nacht, sondern Sehnsucht nach der Geborgenheit, die sie in seinen Armen gefühlt hatte. Sie hatte sich selbst im Stillen eine Standpauke gehalten, mit all den Gründen, die dagegensprachen. Alejandro wollte sich nicht binden. Und sie selbst auch nicht. Das Thema Ehe hatte sie längst von ihrer Liste gestrichen.
Eigentlich hatte sie ihn nicht in die Sache mit hineinziehen wollen, doch ihre jüngere Schwester Johanna hatte ihr so lange ein schlechtes Gewissen gemacht, bis sie nachgab. Sie hatte versucht, Kontakt aufzunehmen. Erst per E-Mail, dann telefonisch. Ihre Mails blieben unbeantwortet, ihre Anrufe wurden von einer übereifrigen Sekretärin abgeblockt.
Deshalb versuchte sie es nun, indem sie uneingeladen zur Verlobungsfeier ihres ehemaligen Chefs erschien, den sie seit ihrer überstürzten Kündigung vor über drei Monaten nicht gesehen hatte. Aber nur, weil sie zufällig gerade in London gewesen war und sich das Ticket von London nach Paris mit ihrem begrenzten Budget gerade noch leisten konnte. Die letzte Runde der Vorstellungsgespräche für die Stelle der Eventmanagerin bei einem europäischen Luxusmodehaus beinhaltete ein Flugticket. Ein gutes Zeichen dafür, dass sie den Job bekommen würde, meinte Johanna optimistisch.
Das Vorstellungsgespräch ging jedoch den Bach runter, als man Referenzen von Adrian Cabrera wollte, bevor man ihr den Job gab. Ihr viertes Vorstellungsgespräch in sechs Wochen. Ein weiterer Grund herzukommen. Vielleicht konnte sie Adrian ein Empfehlungsschreiben abringen, nachdem sie Alejandro die Neuigkeiten überbracht hatte. Sie hatten sich zwar nicht unbedingt im Guten getrennt, doch während ihrer Zeit bei Cabrera Wines hatte sie verdammt gute Arbeit geleistet.
Sie hätte zu gern am Champagner in ihrer Hand genippt, das Prickeln in der Kehle gespürt, um ihre Nerven zu beruhigen. Seit ihrer Landung gestern früh hatte sie Herzklopfen, und es klopfte noch schneller, seit sie am Nachmittag eines ihrer letzten noch übrigen Abendkleider angezogen hatte. Die restlichen hatte sie verkauft, um ihre rasch schwindenden Ersparnisse aufzubessern. Nachdem sie sich mit selbstbewusster Dreistigkeit Einlass verschafft hatte, schlug ihr Herz nun so laut, dass sie sich fragte, ob es außer ihr tatsächlich niemand hören konnte.
„Wunderschön, nicht?“
Calandra ordnete ihre engleisten Gesichtszüge zu einer höflichen Maske, bevor sie sich umdrehte, um zu sehen, wer sie angesprochen hatte.
Ein große, braunhaarige Frau stand neben ihr, den Blick auf den Eiffelturm gerichtet, der sich majestätisch vor dem dunkler werdenden Himmel abzeichnete.
„Zum ersten Mal in Paris?“
Sosehr sie Small Talk auch hasste, irgendetwas an der jungen Frau rührte sie. Als sie sich umdrehte, um Calandra anzusehen, stutzte sie. Der unschuldige, staunende Ausdruck in ihrem Gesicht wurde noch durch zwei unterschiedliche Augen betont, das eine war hellblau, das andere bernsteinfarben.
Die junge Frau nickte eifrig. „Ja. Ich lebe in Spanien, seit ich zehn bin. Ich habe immer davon geträumt, Paris zu sehen.“
Calandras Beschützerinstinkt meldete sich. Sie hielt sich am Glas fest, um dem Drang zu widerstehen, die Hand der jungen Frau zu ergreifen und sie fortzuziehen. Fort von dem ganzen Funkeln und Glitzern, in dem sich zu viele Wölfe in Schafspelzen verbargen.
„Ich heiße Annistyn, aber meine Freunde nennen mich Anna.“
„Calandra.“
„Woher kennen Sie Adrian und Everleigh?“
„Ich habe mal für Cabrera Wines gearbeitet.“
Annas Augen leuchteten auf. „Ich wohne im Casa de Cabrera in Granada. Mein Onkel Diego ist der Butler.“
Calandra lächelte. Sie hatte den weißhaarigen Diener der Cabreras in guter Erinnerung.
„Oh.“
Calandra folgte Annas Blick zur Terrasse, auf der Adrian und seine Verlobte Everleigh standen. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Hatten sie sie gesehen? Würden sie die Security rufen und sie rauswerfen, bevor sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte?
Atmen. Ruhe bewahren.
Sie sahen nicht einmal in ihre Richtung. Nein, sie hatten nur Augen füreinander. Ein gut aussehender junger Mann näherte sich ihnen lächelnd, sodass man die weißen Zähne im dunklen Bart aufblitzen sah. Adrian lachte und umarmte ihn.
Calandra blinzelte. Die Male, die sie Adrian hatte lachen sehen, konnte sie an einer Hand abzählen.
„Äh, entschuldige mich.“
Bevor Calandra noch etwas sagen konnte, drehte Anna sich um und verschwand über einen Gartenweg. Calandra sah, wie Everleigh den jüngeren Mann auf die Wange küsste. Der Ähnlichkeit nach zu urteilen, hatte sie gerade zum ersten Mal Antonio Cabrera vor sich. Der jüngste Bruder war sonst nie zu Adrians Events erschienen, jedenfalls nicht, während sie noch für Cabrera Wines gearbeitet hatte.
Im Gegensatz zu Alejandro, der bei fast jedem Event auftauchte und es genoss, sie zu provozieren und ihre Geduld zu strapazieren, was anderen selten gelang. Normalerweise war sie die Gelassenheit in Person.
Doch bei ihm verwandelte sie sich in jemanden, den sie selbst nicht wiedererkannte. In jemanden, der sich nach seiner Berührung, seinen geflüsterten Worten sehnte. In ein naives Dummchen.
Erneut sah sie sich um. Keine Spur von ihm. Sie atmete langsam aus, und die Anspannung wich aus ihren Schultern. Einatmen, ausatmen.
Sie schaffte das.
Ein letztes Mal überflog sie die Menge. Keine langen, dunklen Locken, keine tiefblauen Augen, in denen eine tödliche Mischung aus Humor und Verführung funkelte.
Erneut suchte ihr Blick Adrian und Everleigh, und sie hob entschlossen das Kinn.
Bevor sie wankelmütig wurde, stellte sie das unangerührte Champagnerglas auf ein Tablett, hob den Saum ihres Kleides an und marschierte durch den Garten, Adrian und Everleigh fest im Blick. Als sie die Stufen erreichte, drehte Adrian den Kopf und erkannte Calandra. Seine Augen weiteten sich zuerst überrascht, dann verengte sich sein Blick und wurde eiskalt.
Hatte sie etwas anderes erwartet? Sie hatte ihren Boss sitzen lassen, als er sie dringend brauchte, und das auch noch auf höchst unprofessionelle Weise. Doch sie war sicher, hätte Adrian den wahren Grund gekannt, würde er ihr das Leben zur Hölle machen.
Ein Fuß vor den anderen, und mit jedem Schritt gewann sie an Selbstvertrauen, bis sie die oberste Stufe erreichte.
„Buenos días, Señor Cabrera.“
Ihre Stimme klang ruhig, sicher, gerade freundlich genug. Sie streckte die Hand aus und wartete.
Adrian starrte sie einen langen Augenblick an, bevor er ihr endlich die Hand schüttelte. „Lange nicht gesehen, Calandra. Wie geht es dir?“