Verführt im Château des Milliardärs

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Sie braucht dringend seine Unterschrift! Entschlossen betritt die junge Rechtsanwältin Rosalind Sutton das Chȃteau du Bellerose in der Normandie. Hierhin hat sich der geheimnisumwitterte Griffith Lykaois nach einem schweren Unfall zurückgezogen. Und bis jetzt ist es ihrer Kanzlei nicht gelungen, ihn wegen einer Erbschaft zu kontaktieren. Doch sofort stellt der Milliardär sie zornig zur Rede. Und nicht nur das: Ein gefährlich erotischer Zauber geht von ihm aus, der Rosalind überwältigt – sie will fliehen! Aber das macht ein Sturm unmöglich …


  • Erscheinungstag 29.10.2024
  • Bandnummer 2672
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525077
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Griffith Lykaois strich mit einem Finger über die Narbe, die durch seine rechte Braue, den Augenwinkel und über seine Wange verlief. Eine andere reichte vom Mundwinkel bis zum Kinn und zeichnete sich deutlich unter seinem Bart ab. Er saß in einem Ledersessel in der Nähe der Balkontüren, ein Glas Whisky in Reichweite, und konnte sich sein entstelltes Gesicht vorstellen, als würde er in einen Spiegel blicken. In den letzten elf Monaten waren die Narben etwas verblasst – im Gegensatz zu der Erinnerung an das erste Mal, als er sich im Spiegel gesehen hatte. Die frisch genähten Wunden. Die blutunterlaufenen Augen, mit denen er nicht richtig fokussieren konnte, weil er mit Schmerzmitteln vollgepumpt gewesen war.

Grässlich.

Der entsetzte Klang ihrer Stimme und das Wort hatten ihn durchdrungen, während er an jenem ersten Tag abwechselnd zu Bewusstsein gekommen war und es wieder verloren hatte.

Nicht einmal sein Status als Sohn eines reichen Reeders hatte Kasey Dupree veranlasst, bei ihm zu bleiben. Schließlich hatte ihr Freund eher wie ein Monster als wie ein Mann ausgesehen.

Das musst du doch verstehen, Griff.

Ihre Stimme hatte an seinen Nerven gezerrt, als er zu verarbeiten versuchte, dass sein Vater ums Leben gekommen und er völlig entstellt war. Und nur weil er nicht aufgepasst hatte. Auf sich konzentriert gewesen war, wie sein Vater es ihm gerade vorgeworfen hatte, bevor seine Welt aus den Fugen geraten war.

Das Wort ging ihm durch den Kopf, als Griffith die Hand sinken ließ, um das Glas in die Hand zu nehmen. Der Whisky brannte ihm in der Kehle. Er betrank sich nicht. Es wäre zu einfach gewesen.

Er trank nur so viel, um den Schmerz zu betäuben.

Grässlich.

Kasey hatte ihn am zweiten Tag im Krankenhaus besucht, das glänzende blonde Haar zu einem eleganten Knoten hochgesteckt, sodass ihr herzförmiges blasses Gesicht perfekt zur Geltung kam. Während er den Schmerz und den Kummer bekämpfte, hatte sie ihm die Hand auf die Schulter gelegt, aber mit angewiderter Miene schnell wieder zurückgezogen, als sie das Blut durch den Verband sickern sah.

„Das musst du doch verstehen, Griff.“

„Gib mir die Kette.“

Daraufhin war sie wütend geworden und hatte ihn gefragt, wie er es wagen könnte, ihr das Einzige wegzunehmen, das sie an die Zeit vor dem Unfall erinnern würde. Erst als er ihr gedroht hatte, sie wegen Diebstahls anzuzeigen und das an die Presse weiterzugeben, hatte sie die Kette mit den Rubinen im Wert von vier Millionen Dollar abgenommen und ihm entgegengeschleudert. Tränenüberströmt war sie dann aus dem Zimmer gestürmt.

Dass sein erster Gedanke Die bin ich los gewesen war, hatte eine Menge über ihre sechsmonatige Beziehung ausgesagt. Es hatte kaum wehgetan, und das hatte mehr wehgetan.

Mit der linken Hand strich Griffith sich über die kleine mondförmige Narbe in seiner linken Gesichtshälfte, der einzigen sichtbaren Verletzung auf der Seite. Die dünne Narbe an der Schläfe, wo er gegen den Türrahmen geprallt war, verdeckte sein Haar.

Doch er konnte sie spüren. Spürte sie, wenn er sich kämmte. Wenn sie nachts pulsierte und er denselben Schmerz empfand wie in dem Moment, als er seinen Vater seinen Namen hatte schreien hören, bevor alles schwarz geworden war.

In einer Hinsicht hatte Kasey recht gehabt. Er war ein Monster. Innerlich und äußerlich.

Griffith trank noch einen Schluck von dem irischen Whisky, den er für über eine Million Dollar bei Sotheby’s in New York ersteigert hatte. Noch vor einem Jahr hatte er ganz an der Spitze gestanden. Eins der begehrtesten Models Europas hatte ihm gegenübergesessen und die exklusivsten Juwelen getragen, die er mit Geld kaufen konnte, und er hatte den besten Whisky getrunken.

Nun war dieser nur noch Mittel zum Zweck, denn er ließ ihn sich besser fühlen und half ihm dabei, die Zeit zu vertreiben.

Das Schicksal hatte überhaupt keinen Sinn für Humor, wie er festgestellt hatte. In den vergangenen zehn Jahren hatte sich für ihn alles um sein Geld und sein Image gedreht. Als er vor vier Jahren zum ersten Mal vom Diamond Club hörte, hatte der Neid ihn beherrscht. Das Clubhaus, ein exklusives Stadthaus in London, bot Zuflucht für die zehn reichsten Menschen der Welt und verfügte über einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach, Säulen aus feinstem Marmor und auf die Mitglieder individuell zugeschnittenen Suiten.

Doch nun, da Griffith aufstand und durch die Suite ging, die sein Vater dekoriert hatte, empfand er keinen Neid mehr.

Ihm war einfach nur übel.

Drei Monate nach dem Unfall, als seine Wirbelsäulenfrakturen so weit geheilt waren, dass er die Rückenstütze nicht mehr tragen musste, hatte ihn ein Anwalt auf seinem Familiensitz in Kent besucht. In den vergangenen Jahren hatte sein Vater seine Geschäfte ausgeweitet und in praktisch alles von Immobilien bis Technologie investiert. Und damit hatte er Milliarden verdient.

Ein so ansehnliches Vermögen, dass kurz nach dem Besuch eine Einladung erfolgt war. Eine Frau in einem schwarzen Kostüm war in einer gleichfarbigen Limousine gekommen und hatte ihm einen cremefarbenen Umschlag überreicht. Dabei hatte sie ihm gesagt, Mr. Raj Belanger würde ihn dazu einladen, den Platz seines Vaters im Diamond Club einzunehmen.

Und damit hatte er eins seiner größten Ziele erreicht. Auf Kosten des Lebens seines Vaters.

Ja. Das Schicksal war sehr grausam.

Er hatte sich nicht überwinden können, die Sicherheit und Geborgenheit seines Familiensitzes zu verlassen, die Vertrautheit der schimmernden Holzfußböden und der antiken Möbel, über die er damals gespottet hatte. Nun konnte er nachvollziehen, dass sein Vater sich nicht von dem abgewetzten Chesterfieldsofa hatte trennen können, auf dem er damals mit seiner Mutter gesessen und alte Filme gesehen hatte. Oder den verblichenen Perserteppich vor dem Kamin, auf dem er, Griffith, Weihnachten immer gehockt und Geschenke ausgepackt hatte.

Zu spät erkannte er den Wert, die Weisheit der Worte seines Vaters, verstand dessen Mahnungen, sich nicht zu sehr in Geld und Luxus zu verlieren.

Nun, da seine Eltern beide gegangen waren, wusste er diese Erbstücke umso mehr zu schätzen, weil sie ihn an Zeiten erinnerten, die unwiederbringlich verloren waren. Trotz all seiner abfälligen Bemerkungen darüber hieß ihn sein Elternhaus mit offenen Armen willkommen.

Genauso wie seine Eltern es immer getan hatten.

Kent war für ihn zu einem Zufluchtsort geworden. Die Vertrautheit seiner Umgebung, die Wärme eines Ortes, den er einst als Zuhause bezeichnet hatte, hatten ihm den Trost gespendet, den keines seiner noblen Penthouses und Apartments ihm zu vermitteln vermochte.

Allerdings hatte man ihm diesen Zufluchtsort vor einer Woche genommen, als er am Ufer seines Privatsees spazieren ging und zwischen den Bäumen ein Licht aufblitzte. Am nächsten Tag war ein Foto von ihm auf der Titelseite einer Boulevardzeitung erschienen. In dem Artikel hatte man den Autounfall, bei dem sein Vater Belen Lykaois ums Leben gekommen war, bis ins kleinste Detail geschildert und außerdem erwähnt, dass der Inhaber von Lykaois Shipping milliardenschwer gewesen war.

Und dass sein einziger lebender Erbe Griffith Lykaois diese Milliarden geerbt hätte.

Weniger als eine Stunde später hatte man ihn mit Anrufen bestürmt. Die Geier hatten sich auf ihn gestürzt und ihn mit Einladungen zu Wohltätigkeitsgalas, Urlauben auf Privatjachten und Dinnerpartys bombardiert. Und natürlich hatten sich unzählige Anbieter von dubiosen Investitionen gemeldet, um sich etwas von seinem Geld unter den Nagel zu reißen.

Geld, von dem er einmal geträumt hatte. Und an das er jetzt kaum denken mochte.

Kaceys Anruf hatte ihm den Rest gegeben. Er hatte gerade mit seiner Assistentin in London telefoniert, die alle Anfragen abblockte. Dann hatte sein Handy geklingelt, und er hatte es eingeschaltet, ohne vorher aufs Display zu blicken.

Sie hatte ihn mit dem Spitznamen angesprochen, den er verabscheute – Griff –, und gesagt, sie würde ihn vermissen und ob sie ihn sehen könnte, um sich bei ihm zu entschuldigen …

Ohne nachzudenken, hatte er das Telefon aus dem Fenster geworfen.

An dem Abend hatten die Männer vom Sicherheitsdienst zwei weitere Paparazzi gestellt. Er war mit seiner Limousine nach London gefahren, zu dem Ort, der mindestens genauso sicher war wieder Buckingham-Palast.

Zum Diamond Club.

Nachdem er den Club durch den Hintereingang betreten hatte, hatte ihn ein stattlicher Mann mit einem großen silberfarbenen Schnurrbart begrüßt und sich ihm mit einer Verbeugung als Lazlo vorgestellt. Dann hatte er ihn durch die prunkvolle Eingangshalle mit dem Marmorfußboden eine Wendeltreppe hoch und durch einen mit edlem Teppich ausgelegten Flur zu einer schwarzen Tür mit einer goldenen Acht geführt.

Und nun befand er sich seit sechs Tagen hier und ging wie ein Tiger im Käfig in der Suite auf und ab. Sofort war ihm aufgefallen, dass sein Vater diese nicht für sich selbst, sondern für ihn dekoriert hatte. Die hohen Fenster, die kontrastierende Wand aus rotem Ziegelstein und die cremefarben gestrichenen Wände bildeten einen schönen Kontrast zu dem Industriestil, den er bevorzugte.

Auch wenn er sich hier umblickte, die ledernen Sitzmöbel, die Kunstwerke an den Wänden betrachtete, empfand er keine Freude. Nur Scham. Scham und eine tiefverwurzelte Selbstverachtung, weil er alles abgelehnt hatte, wofür sein Vater gestanden hatte. Weil er ihn so lange auf Abstand gehalten hatte, während dessen Liebe zu ihm immer ungebrochen gewesen war.

Er, Griffith, besaß alles, was er sich je gewünscht hatte, nur um festzustellen, dass ihm das Einzige fehlte, das er immer gehabt und nie zu schätzen gewusst hatte. Das letzte Gespräch mit seinem Vater, vielmehr eine Auseinandersetzung, hatte sich um die bekannten Themen gedreht. Belen hatte sich besorgt über … alles geäußert. Darüber, dass er so lange arbeitete. Über seine Beziehung mit Kacey. Seine Ausgaben.

„Ich gebe das Geld aus, das ich selbst verdiene“, hatte er ihn angefahren, als er an einer Ampel hielt. „Du hast doch gerade eingestanden, dass ich mir für dieses Unternehmen den Hintern aufreißen.“

„Und wofür?“, hatte sein Vater gekontert. „Luxusuhren? Kunstwerke für deine Penthouses?“

„Du besitzt auch schöne Dinge.“

„Ja, aber ich erfreue mich auch an ihnen. Dein Großvater hat Lykaois Shipping aus dem Nichts aufgebaut. Ich habe meine ersten Jahre in Armut verbracht. Und auch er war den größten Teil seines Lebens arm. Den Reichtum zu besitzen, über den wir jetzt verfügen …“

„Er ist verdient“, war er ihm ins Wort gefallen.

Das Seufzen seines Vaters hatte seine Wut durchdrungen und sich in dem Teil seines Herzens festgesetzt, der immer ein kleiner Junge auf der Suche nach Anerkennung seines Vaters sein würde.

„Es gibt mehr im Leben als Gegenstände, mein Sohn.“

„Gegenstände sind wie Trophäen. Insignien des Erfolgs. Das Ergebnis harter Arbeit.“ Er hatte seinen Griff um das Lenkrad verstärkt.

Griffith verdrängte die Erinnerungen, um nicht zu durchleben, was danach passiert war. Er stand auf und trat vor den Balkon, der durch ein schmiedeeisernes Geländer gegen neugierige Blicke von den Nachbargebäuden abgeschirmt war und auf dem gemütliche Sessel um eine Feuerschale gruppiert waren. In den schwarzen Laternen am Geländer brannte Licht, während aufziehende Wolken Regen ankündigten.

Was sollte er tun? Lykaois Shipping, der Stolz seines Großvaters und das Vermächtnis, das ihre Familie von armen Widerstandskämpfern im Zweiten Weltkrieg an die Spitze gebracht hatte, wurde während seiner Abwesenheit von einem tüchtigen Team geleitet. Niemand hatte seine Bitte um ein einjähriges Sabbatjahr infrage gestellt. Im Gegenteil, während der Videokonferenz, bei der er die Kamera ausgeschaltet hatte, hatte der Vorstand ihm seine volle Unterstützung versichert.

Nicht weil sie ihn los sein wollten. Nein, seine Assistentin hatte ihm erzählt, dass er sich ausruhen sollte, damit er gestärkt zurückkehren könnte. Nachdem man ihn vor fünf Jahren zum Geschäftsführer der Niederlassung in Großbritannien ernannt hatte, war alles in die Höhe geschnellt – der Marktanteil am Containerverkehr, die Bilanz, die Profite. Und das wünschte sich der Vorstand für das gesamte Unternehmen, auch wenn sie ein Jahr warten mussten.

Griffith betrat den Balkon und stellte sich ans Geländer, um auf London zu blicken. Es wehte ein kühler Wind. Einige Kilometer entfernt befand sich die Niederlassung.

Eiskalte Regentropfen fielen ihm ins Gesicht. Bevor er hineineilen konnte, öffnete der Himmel seine Schleusen, und er war völlig durchnässt.

Perfekt.

Im nächsten Moment klingelte das Haustelefon.

„Sir“, erklang Lazlos tiefe Stimme. „Eine junge Lady möchte Sie sehen.“

Zorn überkam Griffith. „Richten Sie Miss Dupree aus, sie soll auf ihrem Besen sonst wohin reiten oder direkt zur Hölle fahren.“

„So gern ich das tun würde, Sir, es ist nicht Miss Dupree.“

Griffith runzelte die Stirn. „Wer dann?“

„Rosalind Sutton von Nettleton & Thompson.“

Das war eine alteingesessene Kanzlei, die hochrangige Klienten betreute und den Nachlass seines Vaters verwaltete. Er sollte die Papiere unterzeichnen, die das Vermögen seines Vaters offiziell auf ihn übertrugen. Diese Frau war ausgesprochen hartnäckig, denn sie hatte ihn erst unter seiner privaten Nummer angerufen und war dann in seinen Büros und sogar in Kent erschienen. Zum Glück war er an dem Wochenende schon weg gewesen.

Griffith wusste, dass er diese verdammten Papiere irgendwann unterzeichnen und damit eingestehen musste, dass sein Vater gegangen war.

Aber nicht heute. Er war noch nicht dazu bereit.

Du wirst nie dazu bereit sein.

„Richten Sie ihr aus, dass ich mich später mit ihr in Verbindung setze“, wies er Lazlo angespannt an.

„Natürlich, Sir.“ Im nächsten Moment war ein Rascheln zu hören. „Miss Sutton …“

„Geben Sie mir das Telefon“, ließ sich eine Frauenstimme vernehmen. „Ich muss …“

Griffith kannte ihre Stimme von der Voicemail, die er gelöscht hatte, bevor er die Nummer blockiert hatte. Darauf hatte sie kühl und professionell geklungen. Nun hingegen klang sie so weiblich, lebhaft und selbstbewusst, dass sie etwas in ihm weckte.

„Miss Sutton …“, hörte er Lazlo noch einmal verzweifelt ansetzen.

Im nächsten Moment wurde das Gespräch unterbrochen.

2. KAPITEL

Starr betrachtete Griffith das Telefon. Sein Ärger wich Bewunderung für die Frau, die es geschafft hatte, in einen der exklusivsten Clubs der Welt zu gelangen. Erst jetzt war ihm ihr amerikanischer Akzent aufgefallen. Dieser faszinierte ihn und weckte seine Neugier.

Es war lange her, seit ihn etwas wirklich interessiert hatte.

Griffith legte auf und ging zu der Treppe, die auf die obere Ebene und ins Schlafzimmer führte. Er war erschöpft, doch dann siegte seine Neugier. Also betrat er den geschmackvoll mit zeitgenössischen und klassischen Gemälden dekorierten und dezent erleuchteten Flur und blickte von der Marmortreppe in die Eingangshalle, die mit Säulen und einem prachtvollen Kronleuchter dekoriert war.

Lazlo kam aus seinem Büro und verdeckte dabei fast völlig die Gestalt an seiner Seite. Energisch durchquerte er die Halle. „Sie sind hier unerwünscht, Miss Sutton“, sagte er ungewohnt eisig.

„Stehen Sie nicht im Dienste Ihrer Kunden?“

Die leicht heisere Frauenstimme umfing Griffith zu seiner Verblüffung. Er ging näher an die Treppe heran.

Lazlo führte Miss Sutton zur Flügeltür, an der zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes standen. Nun konnte Griffith sehen, dass sie langes, lockiges, dunkelbraunes Haar hatte und einen hellen Trenchcoat sowie dunkelblaue Gummistiefel trug.

„Eben. Mr. Lykaois möchte Sie nicht sehen.“

„Aber dann riskiert er …“

„Darf ich vorschlagen, dass Sie seine Assistentin anrufen?“

„Das habe ich. Oft. Außerdem bin ich in seinen Büros in Liverpool, Portsmouth und Southampton gewesen …“

Plötzlich wandte sie den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich. Und sie hielt seinen auch noch fest, als Lazlo sie weiter in Richtung Ausgang führte.

Spannung lag in der Luft. Allerdings nahm Griffith noch etwas anderes wahr, eine dunkle, hypnotische Kraft, und im nächsten Moment stieg heißes Verlangen in ihm auf. Lebhafte Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf, von einem schlanken Körper unter ihm, während er die Finger in die Locken schob …

Schockiert umfasste er das Geländer.

„Mr. Lykaois?“

Seine Brust schnürte sich zu, während er sich zwang, dort zu verharren. Da er im Dunkeln stand, konnte die hartnäckige Anwältin ihn nicht richtig erkennen. Auch er konnte nur sehen, dass ihr Gesicht herzförmig war. Allerdings ging ihre Stimme ihm unter die Haut und verleitete ihn dazu, noch einen Moment länger zu verweilen und die Frau zu betrachten, die seinen Körper in Flammen versetzte.

„Mr. Lykaois, bitte. Ich muss mit Ihnen über Ihr Erbe sprechen.“

Das Wort Erbe wirkte wie eine kalte Dusche auf ihn. Die Hände zu Fäusten geballt, kehrte er Rosalind Sutton den Rücken zu und eilte in seine Suite zurück, während sie seinen Namen rief.

Mit jedem Schritt bekam er sich besser unter Kontrolle. Hatte er Rosalind Sutton vorher nur als Querulantin empfunden, sah er sie nun in einem ganz anderen Licht. Innerhalb weniger Sekunden hatte ihn Verlangen überwältigt wie noch nie zuvor. Dass allein der Klang ihrer Stimme ihn veranlasst hatte, impulsiv zu handeln und in die Lobby zu gehen, waren Warnsignale, die er nicht ignorieren durfte.

In den letzten elf Monaten hatte er hart daran gearbeitet, seinen Lebensstil zu verändern. Die Worte seines Vaters zu beherzigen, auch wenn dieser die Ergebnisse seiner unermüdlichen Unterstützung und Liebe zu seinem einzigen Kind nicht mehr miterleben konnte.

Rosalind Sutton stellte für all das eine Bedrohung dar. Das durfte er nicht zulassen.

In seiner Suite ging Griffith die Treppe hoch und blickte dabei aus dem Fenster. London war nun grau in grau, und es war zu kühl für den Sommeranfang.

Ein gelber Regenschirm unter all den anderen dunklen fiel ihm ins Auge. Noch bevor er den hellen Trenchcoat und die blauen Gummistiefel bemerkte, wusste Griffith, dass er Rosalind gehörte. Schnell entfernte sie sich vom Diamond Club.

Wie hatte sie sich hier Zutritt verschafft? Die Frau hatte Mumm, das musste er ihr lassen.

Sie wollte von ihm nur eine Unterschrift. Doch für ihn wäre es das ultimative Eingeständnis, dass sein Vater gegangen war.

Irgendwann würde er die Papiere unterzeichnen müssen. Allerdings allein, an einem Ort seiner Wahl und weit weg von ihr. Er konnte kein weiteres Treffen mit einer Frau riskieren, die ihn allein durch ihre Anwesenheit verführte. Es wäre einfach, ihr die Schuld an seiner unnatürlichen Reaktion auf sie zuzuweisen. Doch dann wäre er wieder in alte Verhaltensmuster verfallen. Indem er nicht die Verantwortung für sich selbst und sein Handeln und die Folgen seines Egoismus übernahm.

Griffith ging weiter die Treppe hoch und verdrängte dabei energisch die Gedanken an sie. Irgendwann würde er sich mit dem verdammten Erbe befassen. Jetzt wollte er allerdings seine Ruhe. Brauchte sie, wenn er nicht den Verstand verlieren wollte. Und je länger er hierblieb, desto mehr lasteten die Schuldgefühle auf ihm.

Und auch in seinen anderen Domizilen außerhalb von England würde er keinen Frieden finden – in seinem Penthouse in New York City, seiner Strandvilla in Kalifornien oder seinem Apartment in Tokio, das er nur wenige Wochen vor dem Unfall erworben hatte.

Oben an der Treppe blieb er stehen und ließ den Blick über die exklusiven Möbel schweifen. Beim Gedanken an das Strandhaus erinnerte er sich an einen anderen Strand, an dem er seit über dreizehn Jahren nicht mehr gewesen war. Sein Herz krampfte sich zusammen, bis er sich zwang, die Erinnerungen daran zu verdrängen und sich auf die praktischen Dinge zu konzentrieren. Dieser Strand war abgelegen und würde wohl kaum Aufmerksamkeit erregen.

Die Anspannung fiel ein wenig von Griffith ab. Er hatte sich immer geschworen, nie wieder in die Normandie zurückzukehren, zu dem Chȃteau, dem die ganze Leidenschaft seiner Mutter vor ihrem Tod gegolten hatte. Es wäre also nicht nur der ideale Zufluchtsort, sondern auch eine gerechte Strafe.

Griffith betrat das Schlafzimmer und ignorierte die Flasche mit den Schmerztabletten, als er sich schnell auszog und dabei sein rechter Arm und sein rechtes Bein schmerzten. Dann sank er aufs Bett, schloss die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf, in dem er von berstendem Glas, quietschenden Reifen und einem gelben Regenschirm träumte.

3. KAPITEL

Eine Woche später

Hohe Weißeichen säumten die Auffahrt, und nur gelegentlich drangen vereinzelte Sonnenstrahlen durch das Blätterdach und ließen die Muschelsplitter auf dem Weg leuchten.

In einer Hand die Aktentasche, in der anderen den Regenschirm, stand Rosalind Sutton da und blickte starr in die Ferne. Hinter dieser Allee musste ein Tor sein, und hinter dem Tor lag die Burg.

Nein, das Schloss, verbesserte sie sich.

Das hatte sie von Bonar erfahren, dem netten älteren Herrn, der sie in seinem kleinen Laster vom Dorf mitgenommen und ihr alles erzählt hatte, was er über das zwischen den Hügeln liegende Chȃteau du Bellerose wusste.

Die Steinbrücke, die sie von der Allee trennte, führte über eine kleine Schlucht mit einem Fluss und verband das auf einem Plateau erbaute Chȃteau mit dem Rest der Welt. Bonar zufolge hatte man es früher dadurch besser gegen Feinde verteidigen können.

Und nun bot es Zuflucht für einen sehr dickköpfigen, sehr unhöflichen Milliardär, der einen Vertrag unterzeichnen musste.

Rosalind dachte an den Moment in der Eingangshalle des Diamond Clubs. Sie hatte gespürt, dass jemand sie beobachtete, und vermutet, wer es war. Sie hatte nur seine Beine und seine Hände gesehen, der Rest seines Körpers war im Dunkeln verborgen gewesen.

Und als sie seinen Namen sagte, war etwas zwischen ihnen aufgeflammt – eine Art sinnliches Bewusstsein. Und sofort wieder verflogen, als sie das Wort Erbe ausgesprochen hatte. Sie hatte seinen Ärger gespürt, beobachtet, wie er die Hände zu Fäusten geballt hatte.

Und gewusst, dass alle Kämpfe, die sie bisher ausgefochten hatte, nichts im Vergleich zu dem war, den sie ausfechten musste, um seine Unterschrift zu bekommen.

Ihr Instinkt und ihre umfangreichen Recherchen hatten sie veranlasst, seinen Privatjet in Heathrow im Auge zu behalten. Am Morgen nach ihrem Besuch im Club hatte man einen Flugplan herausgegeben – ein Kurztrip von London nach Le Havre in der Normandie. Eine kurze Überprüfung hatte ergeben, dass die Familie Lykaois mehrere Anwesen in Frankreich besaß, darunter ein Penthouse in Paris und eine Strandvilla an der französischen Riviera.

Allerdings nur eins in der Normandie – ein jahrhundertealtes Herrenhaus in der Nähe des kleinen Dorfs Étretat.

Eine Zug- und zwei Taxifahrten später befand sie sich nun hier. Und es gab keine Sicherheitsleute in Maßanzügen, die sie hinauswarfen. Keine Assistentinnen, die ihr mit versteinerter Miene mitteilten, dass sie die Polizei rufen würden, falls sie noch einmal auftauchte. 

Und dennoch zögerte Rosalind. Einerseits wollte sie ins Dorf zurückkehren. Durch die malerischen Straßen schlendern und bei einem Glas Wein auf den Strand und die weißen Kreidefelsen blicken. Einen friedlichen Moment erleben.

Später, nahm sie sich vor, als sie sich zwang, die Brücke zu überqueren. Sobald sie die Unterschrift hätte, würde sie die verbleibenden Tage in ihrem gemieteten kleinen Ferienhaus genießen. Vielleicht würde sie sogar Urlaub nehmen und eine Woche in Paris oder Rom verbringen.

Ja sicher.

Sobald sie die Unterschrift und damit ihre Beförderung gesichert hätte, würde ihr ohnehin schon voller Terminplan noch voller werden. Lange Arbeitstage, lange Wochenenden und Feiertage. Das war der Preis, den man für eine Karriere in einer prestigeträchtigen Anwaltskanzlei zahlte.

Auf diese Beförderung arbeitete sie hin, seit sie ihr Jurastudium beendet und als Juniorpartnerin bei Nettleton & Thompson angefangen hatte. Da sie aus einem kleinen Ort in Maine stammte, waren ihre Eltern so stolz auf ihren Aufstieg gewesen. Vor dem Tod war es der größte Wunsch ihrer Mutter Jane gewesen, dass sie, Rosalind, noch mehr erreichte, mehr, als irgendjemand in ihrer Familie je zu erträumen gewagt hatte.

Manchmal fragte sie sich, ob sie ihren Eltern hätte erzählen sollen, dass sie viel lieber in einer kleineren Firma gearbeitet hätte, in einer Kanzlei, die sich der Aufgabe verschrieben hatte, weniger betuchten Menschen zu helfen.

Dann erinnerte sie sich an ihr letztes Gespräch mit ihrer Mutter, bei dem diese schon ganz schwach geklungen hatte.

Es war nicht ihr Traum, der eine Rolle spielte.

Und der nächste Schritt in diesem Traum befand sich nun in Reichweite. Und es machte sie wahnsinnig, dass ein Mann über ihre Karriere bei Nettleton & Thompson bestimmte.

Prompt musste Rosalind wieder an die Begegnung mit ihm denken. Da er im Schatten gestanden hatte, konnte sie die starke Reaktion ihres Körpers nicht verstehen. Sofort verspannte sie sich und atmete schneller, als sie an das plötzlich aufflammende Verlangen dachte.

Es war wirklich lächerlich.

Autor