Hoffnung auf das große Glück
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HISTORICAL LORDS & LADIES erscheint alle zwei Monate im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
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Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20350 Hamburg Tel.: 040/347-25852 Fax: 040/347-25991 |
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© 2002 by Joanna Maitland
Originaltitel: „Marrying The Major“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: HISTORICAL ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
in der Reihe MYLADY ROYAL Band 32
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Private Collection/bridgemanart.com
Erste Neuauflage by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
in der Reihe HISTORICAL LORDS & LADIES Band 22 (6) 2010
Veröffentlicht im ePub Format in 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
ISBN-13: 978-3-86349-482-7
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HISTORICAL LORDS & LADIES-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
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Joanna Maitland
Hoffnung auf das große Glück
PROLOG
1805
Emma Fitzwilliam ließ sich hoch oben in einer Astgabel ihrer Lieblingseiche nieder, und es machte ihr nicht viel aus, als sie dabei einen neuen Riss in ihrer Baumwollschürze bemerkte. Normalerweise war sie nicht so ungeschickt. Natürlich würde sie gerügt werden, wenn sie ins Haus zurückkehrte, aber ihre Bestrafung würde viel schlimmer ausfallen, wenn man entdeckte, dass sie immer noch auf Bäume kletterte. Ihre alte Gouvernante bemühte sich nach wie vor vergeblich, eine Dame aus ihr zu machen. Und Papa – der liebe Papa! – hatte erst vor Kurzem ein paar Mal angedeutet, dass er mit ihrem Benehmen alles andere als glücklich war.
Liebster Papa! Seinetwegen würde sie sogar versuchen, eine Dame zu werden – selbst wenn es ihr schwerfiel, denn es war entsetzlich langweilig. Damen mussten gemächlich einherschreiten, anstatt im Freien herumzutollen, sie durften niemals ohne Begleitung ausgehen, und auf gar keinen Fall war es ihnen gestattet, im See zu schwimmen, zu angeln oder gar auf Bäume zu klettern. Sie durften nicht einmal laut lachen. Bei diesem letzten Gedanken runzelte Emma die Stirn. Gentlemen war es erlaubt zu lachen – und sie taten es zuweilen auch –, doch von Damen erwartete man, dass sie nur schüchtern lächelten oder bestenfalls leise kicherten, um zu zeigen, dass sie sich amüsierten. Das war nicht gerecht. Und genauso wenig gerecht war es, den ganzen Tag mit damenhaften Tätigkeiten verbringen zu müssen. Emma konnte Klavier spielen und sang recht hübsch, und ihre Stickereien waren durchaus ansehnlich, indes vermochte sie sich einfach nicht vorzustellen, ihre Zeit ausschließlich mit diesen Beschäftigungen zu füllen, abgesehen von beschaulichen, eintönigen Spaziergängen in Begleitung eines würdevollen Dieners.
Sie beugte sich etwas zur Seite, um aus der Tasche ihr Buch und einen Apfel hervorzuangeln, in den sie kräftig hineinbiss. Dann machte sie es sich bequem, begann zu lesen und kaute dabei zufrieden. Dies gehörte zu den Vergnügungen, denen man nachgehen durfte, wenn man keine Dame war – und sie würde es auf keinen Fall aufgeben.
Der Butler stand an der Tür zum Arbeitszimmer. „Der junge Lord Hardinge und sein Freund sind gekommen und fragen nach Miss Emma, Sir“, verkündete er mit ernster Miene. „Aber niemand weiß genau, wo sie sich aufhält. Soll ich …?“
„Führen Sie die beiden herein, Godfrey“, erwiderte Sir Edward Fitzwilliam und erhob sich. Ein nachsichtiges Lächeln erschien auf seinem heiteren Gesicht. „Ohne Zweifel wird meine Tochter bald auftauchen. Sie scheint eine Art sechsten Sinn zu besitzen, wenn es um angenehmen Besuch geht. Der funktioniert allerdings ebenso bei unangenehmem.“ Er schmunzelte. Richard Hardinge war für sie so etwas wie ein großer Bruder, daher würde sie vermutlich erscheinen. Jahrelang war sie ihm nachgelaufen, und Richard hatte ihre bisweilen gewiss anstrengende Gesellschaft immer geduldet. Das würde bald ein Ende haben müssen. Emma wuchs rasch heran, und junge Damen trieben sich nicht mit männlichen Freunden in der Gegend herum, selbst wenn diese absolut vertrauenswürdig waren. Daran konnte auch ein toleranter Vater nichts ändern. Nein, man würde eine weibliche Gefährtin finden müssen für seine einzige Tochter, um ihr den Schliff zu verpassen, den sie brauchte und für den ihre liebe Mama gesorgt hätte, wäre sie noch am Leben.
Diese traurige Erinnerung entlockte Sir Edward ein leises Seufzen, als jedoch die Tür aufging, setzte er ein höfliches Lächeln auf, um seine Gäste zu begrüßen. Die jungen Männer sahen einander bemerkenswert ähnlich, beide groß und dunkelhaarig, mit offenen Mienen und von freundlichem Wesen. Sie schienen gerade über einen Scherz gelacht zu haben.
Richard Hardinge verneigte sich höflich vor seinem Gastgeber. „Sie ist mal wieder spurlos verschwunden, Sir“, verkündete er mit ironischem Kopfschütteln. „Dabei war Hugo ganz begierig darauf, sich in angemessener Form von ihr zu verabschieden.“ Er grinste seinen Begleiter an, der von der kleinen Stichelei seines Freundes völlig unbeeindruckt schien.
„Ich schlage vor, wir setzen uns erst einmal“, meinte Sir Edward und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Sessel gegenüber dem Kamin. „Früher oder später wird sie sich blicken lassen.“ Er wandte sich an Hugo Stratton. „Indes vernehme ich mit großem Bedauern, dass Sie uns verlassen werden, mein Junge. Ich hatte Lady Hardinge so verstanden, dass sie noch etwa einen Monat auf Harding bleiben wollen.“
„Das hatte ich geplant, Sir“, erwiderte Hugo. „Lady Hardinge besaß die Freundlichkeit, mich für den Sommer einzuladen, bis meine Ernennung durch ist. Nun ist allerdings … also, Tatsache ist, Sir, dass mein Regiment für nächste Woche nach Deal beordert wurde. Es geht das Gerücht, dass wir uns nach Norddeutschland einschiffen sollen. Und wenn ich mich diesmal nicht anschließe, muss ich wieder monatelang warten, abgesehen davon, dass ich die Gelegenheit verpasse, gegen Bonaparte zu kämpfen.“ Seine grauen Augen blitzten vor Begeisterung, als er weitersprach. „Sie sehen, Sir, ich muss einfach gehen. Heute Nachmittag schon reise ich heim.“
Sir Edward nickte weise. Er hatte Hugo Stratton in den vergangenen Wochen gut genug kennengelernt, um zu erkennen, dass aus dem jungen Mann einmal ein hervorragender Offizier werden würde. „Ich verstehe Ihre Eile, mein Junge. In Ihrem Alter war ich genauso. Unter diesen Umständen ist es sehr freundlich von Ihnen, dass Sie sich die Zeit nehmen, bei Emma vorzusprechen. Gewiss haben Sie viele andere Dinge im Kopf.“
Hugo war noch jung genug, um erröten zu können. Er geriet sogar ein wenig ins Stottern. „Nachdem Sie so gastfreundlich waren, Sir … ist dies das Mindeste, was ich tun kann.“
„Das war doch selbstverständlich“, erwiderte Sir Edward. Er erhob sich, trat ans Fenster und zog die schweren Samtvorhänge zurück, um den Blick auf die Terrasse und den Rasen dahinter freizugeben. „Dieses verflixte Kind“, murmelte er zu sich selbst. „Wo in aller Welt steckt sie bloß?“
Er drehte sich wieder zu seinen Gästen um und lächelte entschuldigend. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie in Eile sind, daher möchte ich Sie nicht aufhalten. Da Emma sich nicht dazu herablässt, zu erscheinen, werde ich ihr ausrichten, dass Sie hier waren und aus welchem Grund. Vielleicht wird ihr das eine Lehre sein.“
Hugo und Richard hatten sich ebenfalls erhoben, wie es die Höflichkeit gebot. Jetzt trat Hugo einen Schritt vor. „Mir bleibt etwa eine halbe Stunde, Sir. Dürfen wir uns nach Miss Emma umsehen? Sie muss irgendwo im Garten sein – und Richard weiß vielleicht, wo wir suchen können. Das sollte er jedenfalls, nachdem er so viele Jahre bei Ihnen ein und aus gegangen ist.“ Diesmal lächelte Hugo, als sein Freund sichtlich verlegen wurde.
Sir Edward nickte. „Aber gern, wenn Sie es wünschen. Allerdings dürfen Sie auf keinen Fall zulassen, dass Sie sich der kleinen Range wegen verspäten.“
Die beiden jungen Männer waren bereits in Richtung Garten unterwegs. Sir Edward blickte ihnen mit einem müden Kopfschütteln nach. „Der Himmel stehe mir bei. Was soll ich nur machen mit diesem Wildfang?“
Emma war so vertieft in die Abenteuer ihrer Romanheldin, dass es ein paar Minuten dauerte, bis die Stimmen zu ihr durchdrangen. Liebe Güte – sie standen praktisch direkt unter ihr! Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel und flehte, dass die beiden nicht aufschauen mochten, während sie vollkommen reglos dasaß.
„Nun, offensichtlich ist sie nicht hier.“
Sofort erkannte Emma, dass es Richard war, der da sprach – und dass er verärgert sein musste. Seit frühester Kindheit waren sie Freunde gewesen, obgleich er in letzter Zeit ihr gegenüber weniger nachsichtig war als früher. Ihr Vater meinte, Richard sei nun zu erwachsen, um sich mit einem ungestümen kleinen Wildfang abzugeben, und wenn er erst einmal sein Studium beendet hätte, würde er überhaupt keine Zeit mehr für Emma aufbringen. Doch so etwas würde Richard nicht tun, oder?
Emma wollte ihm gerade etwas zurufen, dann indes überlegte sie es sich anders. Da war jemand bei ihm …
„Wenn sie nicht gefunden werden will“, sagte sein Begleiter, „scheint sie sich in Luft aufzulösen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass du geradewegs zu ihrem Versteck gehst, Richard. Schließlich müsstest du hier jeden Baum und jeden Strauch kennen.“
Emma lächelte, als sie die zweite Stimme erkannte. Sie gehörte Richards Freund Hugo Stratton, und er wirkte eher amüsiert als verstimmt. Überhaupt war Hugo ganz anders als Richard – abgesehen von ein paar äußerlichen Ähnlichkeiten vielleicht. Hugo behandelte sie nicht wie eine kleine Schwester, die man necken und ärgern konnte. Er verhielt sich ihr gegenüber, als sei sie schon eine richtige Dame.
Fast, wiederholte sie im Stillen. Denn Hugo Stratton besaß einen boshaften Sinn für Humor. Er brachte es fertig, sich wie der perfekte Gentleman zu benehmen und sich gleichzeitig über jeden in der Umgebung lustig zu machen. Dann verriet ihn nur ein gewisses Funkeln in seinen Augen – und Emma hatte schnell gelernt, danach Ausschau zu halten.
Leider konnte sie von ihrem Hochsitz aus sein Gesicht nicht erkennen.
Plötzlich erbebte der Baum, als hätte sich ein Riese dagegengelehnt. Es war nur der Wind, doch Emma griff rasch nach dem Buch, das auf ihrem Schoß lag, damit es nicht herunterfiel. Den Apfelgrips allerdings konnte sie nicht mehr halten, und er kullerte durch das Blattwerk. Glücklicherweise verfing er sich an einem kleinen Zweig.
„Ich dachte, ich kenne Emmas sämtliche Verstecke“, hörte sie wieder Richards nachdenkliche Stimme, „aber offensichtlich ist das nicht der Fall. Diese kleine Göre hat offenbar ein paar Geheimnisse vor mir. Wenn wir sie nicht bald finden, verpasst sie die Gelegenheit, dich vor deiner Abreise zu sehen, und sie wird sich fürchterlich ärgern.“
„Warum sollte sie?“ Hugos Worte klangen verwundert. „Sie kennt mich doch kaum.“
„Darum geht es Emma nicht. Sie mag erst dreizehn sein, gleichwohl glaubt sie, sie besäße eine Art gottgegebenes Recht, alles über jeden zu wissen. Wenn du fortgehst, ohne dich zu verabschieden, werde ich mir von ihr anhören müssen, dass wir sie nicht beachtet haben.“
„Sie ist ein Kind, Richard …“
„Nur manchmal, Hugo. Dann wiederum führt sie sich auf wie eine Dame der feinen Gesellschaft. Das ist fast ein bisschen unheimlich, vor allem weil sie in der Tat noch sehr kindlich aussieht, überall Schmutz und Kratzer und immer zerzaust.“
„Vielleicht wird sie erwachsen“, meinte Hugo.
„Das wäre schade“, erwiderte Richard. „Wir hatten so viel Spaß zusammen. Sie ist ein guter Kamerad, weißt du. Sie klagt nie, wenn wir angeln gehen und sie nass wird. Ich kann sie mir gar nicht als junge Dame vorstellen, so steif und starr und zimperlich – und sauber!“ Er lachte laut auf.
Emma musste an sich halten, denn der Zorn über Richards Worte überwältigte sie beinahe. Sie war keine schmutzige Range, wie er zu glauben schien, und …
Und dann fiel ihr Blick erneut auf den Apfelgrips. Die Äste schwankten im Wind, und der Apfel bewegte sich …
Sie hielt den Atem an. Einen Moment lang war alles still.
„Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen, Hugo“, sagte Richard, und seine Stimme klang auf einmal sehr ernst. „Aber wie es um meinen Vater nun einmal steht …“
„Ich weiß“, entgegnete Hugo mitfühlend. „Und selbst wenn Lord Hardinge nicht kränklich wäre, würde man dir nicht gestatten zu gehen. Manchmal bin ich ganz froh, nur der jüngere Sohn zu sein. Jetzt zum Beispiel. Mein Onkel erzählte mir, wie viel Spaß er bei seinem ersten Regiment hatte. Natürlich spielten die älteren Offiziere ihm allerlei Streiche – ein bisschen wie in der Schule – dennoch, die vielen Abenteuer …“
„Ja, ich weiß. Du hast mir davon erzählt, erinnerst du dich?“ Richard war neidisch auf das Glück des Freundes, wie Emma erkannte. Ihm als einzigem Sohn würde man niemals erlauben, in den Krieg zu ziehen.
„Wo kann sie bloß stecken?“ Richard war plötzlich wütend geworden. „Geh du und sieh im Obstgarten nach, Hugo. Ich suche unten am Fluss. Und wenn wir sie in den nächsten zehn Minuten nicht finden, müssen wir aufbrechen. Du darfst schließlich nicht zu spät kommen.“ Verärgert schlug er gegen den Stamm. „Verwünschtes Gör. Warum kann sie sich nie benehmen?“
Für einen Augenblick schien der Apfelgrips in der Luft zu schweben, um im nächsten Moment zwischen den Blättern zu verschwinden.
Emma unterdrückte einen Aufschrei. Dann blickte sie achselzuckend durch eine Lücke im Blattwerk nach unten. Jetzt konnte sie ebenso gut aufgeben, denn gleich würden sie sie ohnehin entdecken.
Richard indes war bereits losgegangen und begab sich mit langen, zornigen Schritten in Richtung Fluss.
Von unten drang unterdrücktes Gelächter zu ihr herauf. Deutlich vernehmbar und mit kaum verhüllter Belustigung hörte sie Hugo sagen: „Na, wenn das nicht merkwürdig ist. Da hat man mir wohl etwas Falsches beigebracht. Ich hätte schwören können, dass das hier eine Eiche ist, aber heruntergefallen ist ein Apfel. Wenn das kein Eichapfel ist … ja, gewiss, so muss es sein. Und die Zahnabdrücke stammen zweifellos von einem Eichhörnchen, denke ich mir. Sie haben ziemlich große Eichhörnchen in dieser Gegend. Beim nächsten Mal bringe ich mein Gewehr mit.“
Emma hätte schwören mögen, für einen Moment in sein Gesicht geblickt zu haben, doch gleich darauf sah sie, wie Hugo über das Gras zum Obstgarten lief, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Sie schob das Buch in ihre Tasche und begann, vom Baum zu steigen. War sie wirklich eine kleine Göre? Und immer schmutzig? Na warte, sie würde es Richard Hardinge schon zeigen.
Sie rannte über das Gras zum Seiteneingang des Hauses. Mithilfe des Kindermädchens würde sie binnen zehn Minuten wie eine Dame aussehen. Sie würde es ihm zeigen – ihnen beiden!
Nein, das war unfair. Hugo Stratton hatte sie nicht als schmutzige Göre bezeichnet. Er hatte genau gewusst, wo sie war, aber er hatte nur gelacht – und er besaß ein so wundervolles Lachen …
1. KAPITEL
1816
Emma Fitzwilliam ließ ihre haselnussbraune Stute in einen ruhigen Trab fallen, ehe die Eingangstore in Sicht kamen. Schlimm genug, dass sie ohne den Stallburschen ausgeritten war. Sie musste nicht auch noch in vollem Galopp auf das Anwesen der Hardinges preschen, als hätte sie keine Manieren.
Sie brachte das Pferd zum Stehen, um ihr blondes Haar zu richten. Es wurde Zeit, in die Rolle der perfekten Dame zu schlüpfen – was ihr schon seit Längerem mühelos gelang.
Emma sehnte sich danach, Richard und seine Gemahlin wiederzusehen. Es waren nur wenige Monate vergangen, seit der Earl und die Countess Hardinge aufs Festland gereist waren, aber Emma schien es Jahre her zu sein. Obwohl Richard der Gefährte ihrer Kindheit gewesen war, vermisste sie vor allem seine Ehefrau Jamie, der sie so nahe stand wie einer Schwester. Natürlich hatten sie einander geschrieben, doch das war immer mit einer zeitlichen Verzögerung verbunden. Und die Kontakte nach Frankreich konnte man bestenfalls als unsicher bezeichnen, obwohl der Krieg seit fast einem Jahr vorüber und Napoleon inzwischen sicher auf St. Helena untergebracht war.
Briefe jedenfalls waren nichts im Vergleich zu einer ausführlichen Plauderei – und genau deswegen war Emma gekommen.
Sie trieb ihr Pferd zu einer raschen Gangart an.
Als sie auf die Auffahrt ritt, erspähte Emma ein paar Gestalten auf dem Rasen unter der alten Eiche. Sie hielt auf sie zu, zügelte die Stute jedoch, denn Jamie war nicht dabei. Zwischen den beiden Herren, die dort auf einer Decke saßen, krabbelte ein Kleinkind umher, das sich mit den vielen Unterkleidern nur mühsam bewegen konnte. Himmel, wie sehr Dickon gewachsen war. Emma erkannte ihren kleinen Patensohn kaum wieder. Er musste jetzt bald ein Jahr alt sein.
Dickons Nanny hielt sich besorgt in der Nähe, damit die ungeschickten Männer ihren Schützling auch ja nicht falsch behandelten. In Richards Fall besteht da keine Gefahr, dachte Emma, denn er betet Dickon an und verbringt weitaus mehr Zeit mit seinem kleinen Sohn, als die meisten Väter es tun würden. Der andere Gentleman allerdings schien das Kind nicht zu bemerken. Er saß halb abgewandt da und blickte in die Ferne.
Emma schirmte die Augen vor der Sonne ab, um den zweiten Mann besser betrachten zu können. Sie war überzeugt, ihn nicht zu kennen, konnte indes nur sein Profil sehen. Genau wie Richard hatte er dunkles Haar, doch seine Haltung deutete auf einen älteren, gesetzteren Herrn hin. Insgeheim hoffte sie, ihm nicht begegnen zu müssen. Er würde ihr den schönen Tag verderben.
In diesem Moment begann der kleine Dickon mit ausgestreckten Armen in ihre Richtung zu tapsen. Die Schreie, mit denen er seiner Freude über die eigenen Fähigkeiten Ausdruck verlieh, hallten über den Rasen. Die Kinderfrau sprang vor, um ihren Liebling aufzufangen, ehe er hinfiel. Richard – allem Anschein nach ganz unbekümmert – lächelte nur. Dickon machte noch zwei Schritte, bei denen er leicht hin und her schwankte. Allmählich schien er aus dem Gleichgewicht zu geraten, und seine bebenden Lippen deuteten an, dass ein enttäuschtes Weinen bevorstand.
Und dann drehte sich der Fremde nach dem Kind herum, beugte sich vor, um Dickon aufzufangen und ihn hoch in die Luft zu heben. Sofort begann Dickon lauthals zu jubeln.
Als er das Kind an den Vater zurückreichte, erhaschte Emma einen weiteren Blick auf sein Profil.
Sie konnte kaum glauben, was sie sah. Es war, als habe sie eine andere Person vor sich. Das Spiel mit Dickon hatte aus dem Unbekannten einen viel jüngeren Mann gemacht, einen Mann, der vor Vergnügen strahlte – und alles wegen eines kleinen Kindes.
Plötzlich hatte Emma das Gefühl, diesem Menschen in die Seele geschaut zu haben. Fast ein wenig beschämt lenkte sie ihr Pferd zum Haus.
Die Tür wurde geöffnet, kurz bevor sie sie erreichte. Der Butler erwartete sie, seine gewöhnlich ausdruckslose Miene zeigte ein Lächeln beim Anblick der jungen Dame, die auf Harding ein und aus ging, seit sie laufen konnte. „Guten Tag, Miss Emma. Ihre Ladyschaft wird entzückt sein, wenn sie erfährt, dass Sie hier sind. Darf ich Sie in den blauen Salon führen?“
Emma schenkte dem Butler ein schelmisches Lächeln. „Ich bin sicher, dass man mich nicht anmelden muss, Digby.“ Sie legte Peitsche und Handschuhe auf den Tisch in der Halle, hob die weiten Röcke ihres blauen Samtkleids mit beiden Händen an und begann, leichtfüßig die Treppe hinaufzueilen. „Ich nehme an, Lady Hardinge befindet sich in ihrem Salon?“
„Jawohl, Madam“, rief der Butler ihr nach, „aber …“
Emma hörte ihm nicht weiter zu. Zu groß war ihr Verlangen, ihre liebste Freundin wiederzusehen.
Sie klopfte kurz und betrat den Salon der Countess, ohne die Aufforderung dazu abzuwarten.
Lady Hardinge saß auf der Chaiselongue am Fenster. „Emma!“, rief sie entzückt, als sie der Freundin ansichtig wurde, und versuchte sich zu erheben. Sie gab ihre Bemühungen jedoch bald auf und ließ sich in die Kissen zurücksinken. „Verzeih mir, Emma. Es ist etwas schwierig mit dem Aufstehen. Du siehst …“
Emma eilte durchs Zimmer, um Jamie zu umarmen. Eine ganze Weile hielten sie einander fest. Dann richtete Emma sich auf und fragte besorgt: „Geht es dir nicht gut, meine Liebe, weil du …“ Sie verstummte, als ihr Blick Jamies Taille streifte. „Oh, ich verstehe“, sagte sie ein wenig verlegen, während sie im Geiste die Monate zählte, die seit ihrer letzten Begegnung verstrichen waren. „Du hast mir vor deiner Abreise gar nicht gesagt, dass du guter Hoffnung bist.“ Emma bedauerte ihre Worte, kaum dass sie ausgesprochen waren. Sie klangen wie ein Vorwurf.
„Nein“, stimmte Jamie mit einem müden Lächeln zu. Sie griff nach Emmas Hand. „Da war ich es auch noch nicht.“
Emma sah Jamie ungläubig an. Die Schwangerschaft war doch schon mehr als sechs Monate fortgeschritten?
„Die Hebamme in Brüssel meinte, es würden Zwillinge“, erklärte Jamie. „Und wenn man bedenkt, wie erschöpft ich mich fühle – ganz abgesehen von meinem Umfang – glaube ich, dass sie recht hat.“
„Zwillinge?“ Emma ließ sich auf den Fußschemel neben der Chaiselongue sinken. „Ach, du lieber Himmel …“
Jamie tätschelte beruhigend Emmas Hand. „Ich weiß, es klingt erschreckend, aber ich hatte Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Und es ist ja nicht mein erstes …“
Emma zwang sich, das Lächeln der Freundin zu erwidern. „Herzlichen Glückwunsch, Jamie. Ich hätte das gleich sagen sollen, indes war ich völlig …“
Jamie lachte. „Richard fehlten ebenfalls die Worte, als ich es ihm erzählte. Ich habe ihn kaum je so erschüttert gesehen. Ich erklärte ihm, es gäbe keinen Grund zur Sorge. Ich bin stark wie ein Pferd. Und dir versichere ich dasselbe: Mach dir keine Gedanken. Bitte.“
Emma drückte Jamies Hand. „Ich werde es versuchen. Wann ist es so weit?“
„Nun, ich denke, im Herbst. Die Hebamme allerdings meinte, Zwillinge kämen immer zu früh, manchmal mehrere Wochen. Daher weiß ich es nicht genau. Vermutlich nicht vor Oktober.“
Emma machte große Augen. Jamie hatte das völlig gleichmütig geäußert. „Ich verstehe“, erwiderte sie. Wenn sie ehrlich war, war sie nicht sicher, ob sie es wirklich verstehen wollte. Natürlich war eine Ehe dafür da, Kinder hervorzubringen, aber das war immer eine gefährliche Angelegenheit, ganz abgesehen von den Unannehmlichkeiten in den Monaten davor. In Emmas Augen war nur ein sehr besonderer Mann den Schmerz und das Risiko wert. Jamie und Richard beteten einander an, doch einen Mann zu heiraten, ohne ihn zu lieben …
Plötzlich bemerkte Emma, dass sie nichts von dem mitbekommen hatte, was Jamie gerade sagte. Sie schüttelte den Kopf, um klarer denken zu können. „Verzeih mir, Jamie“, bat sie, „ich habe geträumt. Worüber hast du gesprochen?“
Jamie sah die Freundin nachsichtig an. „Ich habe dir von unserer Reise erzählt. Es ist viel zerstört worden, Emma, du wärest entsetzt gewesen. Ganze Ortschaften liegen in Ruinen, die Menschen laufen in Lumpen herum und müssen hungern. Und überall Kriegsversehrte, die um ein Stück Brot betteln. Wir halfen, wo wir konnten, dennoch … ganz ehrlich, Emma, manchmal habe ich Dinge gesehen, die mich zum Weinen brachten. Oh, ich weiß, wir mussten den Tyrannen bekämpfen, der Preis dafür war indes um so viel höher, als jeder von uns es sich vorstellen konnte.“
Emma nickte. „Ja“, erwiderte sie ernsthaft. „In England haben wir jetzt auch Bettler, und wie es scheint, gibt es nur sehr wenige, die ihnen ihr Opfer danken. Die Männer wurden sogar aus der Stadt vertrieben. Einen von ihnen hat Papa als Stallburschen eingestellt, aber für die anderen konnte er nicht viel tun. Das Geld, das er ihnen gab, wird nicht lange reichen.“
Jamie schwieg und dachte einen Moment lang nach. „Dein Vater ist ein guter Mensch“, sagte sie schließlich. „Er sorgt für die Schwachen.“ Ihre Augen schimmerten feucht, als sie weitersprach. „Wir haben ebenfalls eine neue Hilfe im Stall, einen Mann, in dessen Schuld wir so tief stehen, dass wir es niemals wiedergutmachen können. Er half uns, Richards bestem Freund das Leben zu retten. Richard war überzeugt, dass er auf dem Schlachtfeld den Tod gefunden hatte. Ich habe es dir nicht erzählt – das war Richards Wunsch –, doch wir reisten nach Belgien in der Hoffnung, sein Grab zu finden. Stattdessen … nun, belassen wir es dabei zu sagen, dass Richard überglücklich ist, Hugo lebend angetroffen zu haben. Im Vergleich dazu spielt es keine Rolle, dass …“
„Hugo? Hugo Stratton?“, rief Emma und sprang so schnell auf, dass ihr Schemel umfiel, während sie zur Tür stürzte.
„Ja, wieso?“, fragte Jamie verwirrt. „Kennst du ihn etwa? Er ist unten im Garten, zusammen mit Richard und Dickon – Emma, warte!“ Wieder bemühte sich Jamie umständlich, aufzustehen. Bis sie sich allerdings erhoben hatte, war Emma auf und davon.
Während sie über den Rasen eilte, haderte Emma mit sich selbst. Wie hatte sie Hugo Stratton nicht erkennen können, den Mann, dessen spöttisches Lächeln sie monatelang in ihren Jungmädchenträumen verfolgt hatte?
Die kleine Gruppe saß noch immer im Schatten des alten Baumes. Emma bemühte sich um eine damenhafte Haltung, und lächelnd verlangsamte sie ihren Schritt. Wie seltsam, dass sie einander wieder unter einer Eiche begegnen sollten, wenn es auch nicht dieselbe war. Als Kind war sie oft auf diese hier geklettert. Sie kannte sie beinahe so gut wie die bei ihr zu Hause.
Und viel besser, als sie Hugo Stratton kannte.
Was, um Himmels willen, sollte sie ihm sagen?
Würde er sie überhaupt erkennen? Sie war inzwischen eine Dame und nicht mehr die kleine Göre, der er großzügigerweise gestattet hatte, ihn zu necken. Sie war noch ein Kind gewesen, als Hugo zur Armee ging. Eigentlich gab es keinen Grund, warum er sich überhaupt an sie erinnern sollte, insbesondere nicht, nachdem er so viel durchgemacht hatte. Und dennoch …
Im Näherkommen sah sie, dass Dickon im Arm seines Vaters fest eingeschlafen war. Richard wirkte stolz, glücklich – und ein kleines bisschen selbstzufrieden. Hugo sprach leise mit ihm, den Rücken Emma zugewandt. Niemand schien sie zu bemerken.
„Richard …“, begann sie.
Richard, Earl of Hardinge, erhob sich mit einer einzigen Bewegung, ohne das Kind aufzuwecken. Er lächelte und bedeutete der Nanny, ihm den Sohn abzunehmen. Er schwieg, bis er ihr seine Last übergeben hatte, und auch dann flüsterte er nur.
„Emma. Wie schön, dich so bald zu sehen. Ich hatte die Absicht, morgen bei dir vorzusprechen …“
Richard verstummte, als Emma ihn umarmte und ihm einen herzlichen Kuss auf die Wange gab. „Ich konnte es nicht abwarten, euch beide zu sehen – nein, euch drei.“ Während sie sprach, wurde ihr bewusst, dass sie Hugo nicht eingeschlossen hatte – und dass er nicht aufgestanden war, um sie zu begrüßen. Erstaunt drehte sie sich um.
Hugo versuchte sich zu erheben, indem er einen Ebenholzstock in den weichen Rasen stemmte, um seine schwachen Beine zu stützen. Er hielt den Kopf gesenkt, doch daran, wie sein Hals sich rötete, erkannte Emma, welche Mühe es ihn kostete. Offensichtlich war er schwer verwundet worden – Richard hatte ihn sogar für tot gehalten –, und noch immer hatte er sich nicht völlig erholt. Am besten tat sie, als wäre alles in bester Ordnung.
Sie setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und wartete, bis Hugo sicheren Stand hatte. Dann begann sie heiter: „Ich bin nicht sicher, ob Sie sich meiner entsinnen, Hugo, aber ich habe unsere letzte Begegnung keinesfalls vergessen. Ich schulde Ihnen große Dankbarkeit, weil Sie meine Anwesenheit einem gewissen gemeinsamen Freund nicht verraten haben …“ Sie lächelte Richard verschwörerisch zu. „Einem Freund, der das Wesen von Apfelgripsen nicht versteht.“
„Ich erinnere mich sehr gut an Sie, Miss Fitzwilliam, und ich war Ihnen gern zu Diensten.“
Seine Worte klangen leer und förmlich, und dass er ihren vollen Namen benutzte, empfand Emma wie einen Schlag. Sie wandte den Blick von Richard ab, um dem Gentleman in die Augen zu sehen, der ihre Freundschaft so leichtfertig zurückwies.
Ein leiser Aufschrei entrang sich ihrer Kehle.
Hugo Stratton hatte nichts mehr gemein mit dem Mann aus ihren Träumen. Den gut aussehenden, heiteren Offiziersanwärter, der sie in ihrer Lieblingseiche angelacht hatte, gab es nicht mehr. Der Hugo Stratton in der unübersehbar neuen Zivilkleidung war dünn und hager und so schwach, dass er nicht ohne den Stock auskam. In sein Antlitz waren tiefe Linien gekerbt, und es waren keine Lachfältchen, sondern Zeichen des Leides. Auf der rechten Gesichtshälfte, derer sie jetzt erst ansichtig wurde, verlief eine dünne rote Narbe von der Stirn bis zum Kinn, teilte seine Braue und reichte weiter bis in den Kragen hinein. Der Himmel allein mochte wissen, wie tief die Verletzung reichte, die unter ihr lag.
Er hielt ihrem Blick stand. Und er lächelte nicht.
Emma schluckte und neigte höflich den Kopf, verzweifelt bemüht, ihr Entsetzen zu verbergen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie wieder sprechen konnte. „Wie geht es Ihnen, Mr. Stratton?“
2. KAPITEL
„Ich bin so froh, dass du Major Stratton bereits begegnet bist, Emma, denn er wird eine Weile bei uns bleiben – bis er wieder zu Kräften gekommen ist.“ Jamie ließ sich auf einem hochbeinigen Stuhl in ihrem Salon nieder und schenkte aus einer silbernen Kanne Tee ein, um dann ihre Gäste anzusehen, denen es sämtlich die Sprache verschlagen zu haben schien.
Richard lächelte Emma ermutigend an, während er ihr eine Tasse reichte. Doch sie brachte noch immer kein Wort heraus. Draußen auf dem Rasen hatte sie sich gewünscht, der Boden möge sich auftun und sie verschlingen. Jetzt ruhten ihre Füße auf einem kostbaren Aubussonteppich, das Gefühl indes blieb dasselbe. Sie starrte auf das kunstvolle Muster und wäre am liebsten unter ihren Sessel gekrochen.
Das gespannte Schweigen hielt an, während Richard seinem Freund Tee servierte, der unbeholfen auf dem Sofa saß, den Stock neben sich. Das linke Bein schien er kaum beugen zu können.
„Hugo …“, hub Richard an.
„Major Stratton …“, sagte Jamie gleichzeitig.
Richard und Jamie unterbrachen sich und lächelten einander zu. Dann erhob sich Richard, vollführte eine galante Verneigung und bedeutete seiner Frau, weiterzusprechen.
„Ihr solltet ihn gar nicht beachten“, wandte Jamie sich an die anderen beiden. „Er tut so, als trüge er einen taillierten Gehrock aus Satin und Schnallenschuhe mit roten Absätzen, und tritt auf wie ein affektierter Gentleman des letzten Jahrhunderts.“
Richard gelang es, gekränkt auszusehen. „Nichts dergleichen, Geliebte“, erwiderte er. „Ich räume dir lediglich ein, was du mir gegenüber stets als deine Aufgabe bezeichnest.“
Sein Gesicht drückte eine solche Mischung aus Unschuld und Boshaftigkeit aus, dass Emma in Jamies Lachen einstimmte.
Nur Hugo blieb still, wie sie bemerkte. Er schien sich ganz in sich selbst zurückgezogen zu haben. Und die Teetasse hielt er unangetastet in der Hand.
Emma beschloss, ihn aus sich herauszulocken. Schließlich war es ihr peinlicher Fauxpas gewesen, der Hugo in diese Situation gebracht hatte. Sie durfte nicht länger daran denken, wie sie sich fühlte. Ganz gewiss war das alles für ihn noch deutlich unangenehmer.
„Ich bin sicher, dass Sie hier gute Fortschritte machen werden, Major Stratton“, sagte sie und versuchte, möglichst viel Herzlichkeit in ihre Worte zu legen. „Ich weiß aus erster Hand, dass Richard und Jamie wunderbare Gastgeber sind. Und im Sommer ist ein Aufenthalt auf Harding einfach herrlich.“