Im Rhythmus unserer Herzen

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Partys, Frauen, Alkohol - Rockstar Ezra Hurley hat ein Leben auf der Überholspur geführt und nichts ausgelassen. Doch jetzt ist er fest entschlossen, all das hinter sich zu lassen, und steckt seine ganze Energie in die Familienranch. Bis er auf Tuesday Eastwood trifft, die seine wilde Seite erneut zum Vorschein bringt und eine ungezähmte Begierde in ihm entfacht. Mehr als eine heiße Affäre sollte sie eigentlich nicht für ihn sein. Aber bald muss Ezra sich eingestehen, dass dies niemals genug sein wird. Er begehrt Tuesday nicht nur, er braucht sie mit einer Verzweiflung, gegen die er einfach nicht ankommt …

Sehr sexy, sehr heiß: Die neue, wunderbar geschriebene Serie von Lauren Dane.

Harlequin Junkie über die Hurley Boys

Lauren Dane liefert immer eine gefühlvolle, sexy Lektüre.

Shannon Stacey, New York Times-Bestsellerautorin

Sexy, emotional und intensiv: Die Hurley Boys sind zum Verlieben.

Jill Shalvis, New York Times-Bestsellerautorin

Broken Open handelt von Familie, Freundschaft und davon, wie man lernt, wieder zu lieben, und die Vergangenheit hinter sich lässt. Es gibt Momente voller Humor, Schmerz, Romantik und Drama, aber zum Schluss gibt es ein Happy End für zwei Menschen, die so viele Verluste in ihrem Leben ertragen mussten.

www.thereadingcafe.com


  • Erscheinungstag 11.04.2016
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783956495397
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Broken Open

Copyright © 2014 by Lauren Dane

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: Büropecher, Köln

Redaktion: Laura Oehlke

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz /

Thinkstock, München/ Nastco

ISBN eBook 978-3-95649-539-7

www.harpercollins.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Vorher: Dezember

Tuesday Eastwood schaltete nach Ladenschluss das Licht im Schaufenster ein und schloss den Laden ab. Erst jetzt fiel ihr auf, wie kalt es war. Mit einer Hand schlug sie ihren Kragen gegen den Wind hoch und hielt ihn zusammen, während sie sich beeilte, zu ihrem Auto zu kommen.

Als sie an der Kreuzung anhielt und in beide Richtungen blickte, um die Straße zu überqueren, entdeckte sie ihn.

Auch aus der Entfernung wusste sie, dass es Ezra war, denn aus irgendeinem Grund nahm sie ihn mehr als deutlich wahr. Er sah gut aus, wie er dort stand und mit einem Grinsen im Gesicht darauf wartete, dass die Straße frei wurde.

Noch nie zuvor hatte sie dieses aufregende Kribbeln im ganzen Körper gespürt wie jetzt beim Anblick seiner markanten, maskulinen Gesichtszüge. Wie seine drei Brüder war auch Ezra attraktiv, aber auf eine andere Art und Weise.

Ezra Hurley war ein totaler Alpha-Mann. Alpha-Mann im Sinne von Pferde reiten, Heuballen stemmen, sich die Hände schmutzig machen und ausgewaschene Jeans tragen – ausgewaschene Jeans, die sich in diesem Augenblick an einen Hintern schmiegten, bei dem jeder Frau das Wasser im Mund zusammenlief.

Ezra war nicht nur Rancher, sondern auch Rockstar. Ein einstmals jetsettender Rockstar, der ein extremes Leben geführt und die Bühnen gerockt hatte. Dann war er abgestürzt. Doch das hatte seiner Ausstrahlung keinen Abbruch getan.

„Hi, Tuesday.“ Er erreichte die Stelle, wo sie wie angewurzelt stehen geblieben war, während sie sich vorstellte, wie er nackt aussah.

„Ezra. Was treibt dich hierher?“

„Ich habe ein paar Besorgungen gemacht und wollte jetzt noch etwas essen gehen, bevor ich wieder nach Hause fahre.“ Er hielt kurz inne. „Was hast du noch vor? Willst du mit essen gehen?“

Sie nickte, obwohl sie wusste, dass es keine gute Idee war. Ezra war nicht nur ein umwerfender Rancher und ein erfolgreicher Musiker mit einem tollen Hintern.

Ezra war auch der älteste Bruder des Freundes ihrer besten Freundin Natalie, und es würde kompliziert werden, wenn zwischen Natalie und Paddy etwas schieflief.

Es ist nur ein Abendessen, redete sie sich ein. Keine große Sache. Natalie und sie standen sich ohnehin so nahe wie Schwestern, und sie sollte die Leute kennenlernen, die nun in Natalies Leben eine Rolle spielten.

Also schob sie ihre Hand in seine Armbeuge und ihre Bedenken beiseite. „Ich bin am Verhungern.“

Ezra führte sie nur einen Block weiter die Straße hinauf in eins ihrer Lieblingscafés.

Die Bedienung rannte fast gegen einen Pfosten, als sie sie zu ihrem Tisch führte, weil sie den Blick nicht von Ezra losreißen konnte.

Das Mädchen stolperte davon, nachdem Ezra ihr gedankt hatte. Dann trat er auf Tuesday zu. „Lass mich dir helfen.“

Seine Finger streiften die Haut in ihrem Nacken, als er ihren Kragen auseinanderschob und ihr aus dem Mantel half.

Ein wohliger Schauer durchlief sie, und sie schloss kurz die Augen. „Danke.“

Er hängte ihren Mantel auf und entledigte sich seiner eigenen Jacke, während sie am Tisch Platz nahm. Als er sich zu ihr setzte, lächelte er sie an und nahm seinen Schal ab.

„Dein Bart gefällt mir“, brachte sie heraus, überrascht, dass es nicht atemlos klang, obwohl er sämtlichen Sauerstoff aus der Luft um sie herum aufzusaugen schien.

Sie musste einfach immer wieder auf die Stelle direkt unter seinem Ohr schauen. Aber anstatt aufzustehen und ihn dort zu küssen, klammerte sie sich an den Tisch, der sie glücklicherweise auf Distanz hielt.

Dann strich er sich mit den Fingerspitzen über den Bart. Es war nur eine Angewohnheit, aber eine, die ihr für kurze Zeit den Atem nahm.

„Ja? Hin und wieder lasse ich ihn mal wachsen. Der Winter ist eine gute Zeit dafür.“

Tuesday hielt es ganz ähnlich mit ihren Beinen.

„Er steht dir.“ Und umrahmte seinen Mund; er hatte einen fantastischen Mund.

Sie zwang sich, den Blick von ihm abzuwenden und stattdessen auf die Speisekarte zu lenken, obwohl sie genau wusste, was sie bestellen würde.

Ezra und sie hatten sich letzten September kennengelernt. Der Freund ihrer besten Freundin hatte drei Brüder, die allesamt hinreißend waren, dazu erfolgreich und mit einer überwältigenden Ausstrahlung gesegnet. Ezra war sie als Letztem der vier begegnet, aber als er in den Raum gekommen war, hatte sie außer ihm nichts anderes mehr wahrgenommen.

Seitdem hatte sie Ezra mehrmals wiedergesehen, denn während Natalie und Paddy sich immer näher kamen, wurden sie beide regelrecht in die Familie Hurley aufgenommen.

Und jedes Mal spürte sie diese Verbindung zwischen ihnen, die sie wie magisch zu ihm zog.

Bis ihr Essen kam, machten sie nur Small Talk, was aber keineswegs unangenehm oder gar peinlich war.

„Hattest du ein schönes Weihnachtsfest?“, fragte er sie.

„Oh ja. Ich habe viel Zeit mit meinen Nichten, Neffen und Unmengen Videospielen verbracht. Kinder sind eine super Ausrede, um sich vor Shoppingtrips zu drücken.“

„Einkaufen macht dir keinen Spaß?“

„Mit meiner Mutter, meiner Schwester und sämtlichen Schwägerinnen? An Weihnachten? Nein. Ich bin zu Hause geblieben, habe Glühwein getrunken und mich mit den Kindern bei Videospielen amüsiert, bis die Kids genug von mir hatten. Dann habe ich mir Filme angeschaut und die Ruhe genossen.“

„Ich habe zwei Nichten, ich kann das also gut nachvollziehen.“

Ezra war wie eine Katze. Tuesday wollte seine ganze Aufmerksamkeit haben, aber auch sie war wie eine Katze. Beide schlichen umeinander herum, distanziert, aber heiß aufeinander.

„Ich würde zu gerne wissen, woran du gerade denkst.“ Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, und sie schluckte schwer.

„Willst du das wirklich wissen?“

Er nickte.

„Ich dachte gerade daran, dass wir beide uns wie Katzen verhalten.“

Nachdenklich nickte er. „Distanziert, aber fordernd?“

Sie grinste. „Ein Katzenbesitzer.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob sie mich besitzen oder ich sie.“

„Das heißt also, ja.“

Er brach ein Stückchen Brot ab, und sie musste sich auf die Unterlippe beißen, um ihren Blick von seinen Händen loszureißen.

Tuesday hatte eine Schwäche für Hände, und seine waren schön und kräftig. Rau und groß.

„Wie läuft das Geschäft? Ich kann mir gut vorstellen, dass du gerade viel zu tun hast.“

Tuesday besaß einen Rahmenladen im Zentrum von Hood River, Oregon. Niemals hätte sie damit gerechnet, dort zu landen, aber nachdem ihr Leben aus den Fugen geraten war, waren es diese Stadt am Columbia River sowie ihre beste Freundin Natalie gewesen, die ihr eine neue Heimat geboten hatten.

„In der Weihnachtszeit mangelt es wirklich nicht an Aufträgen. Auch mein Schmuck verkauft sich gut.“ Gott sei Dank, denn sie hatte eine große Familie, und ihr Budget ging schon für die Geburtstage drauf. „Wie läuft es auf der Ranch?“

Als die Kellnerin ihre Teller abräumte, sah er sie über den Tisch hinweg an. „Ich hätte Lust auf ein Dessert. Du auch?“

Sie nickte. „Allerdings. Hier gibt es pochierte Birnen, die ich sehr gern mag.“

Er grinste. „Ach wirklich? Das sind Hurley-Birnen, wusstest du das?“

Sweet Hollow Ranch war nicht nur der Name der Band, die Ezra zusammen mit seinen Brüdern gegründet hatte, als sie alle noch Teenager gewesen waren. Sweet Hollow Ranch war auch der Ort, wo die Hurleys wohnten. Das Land, das sie bestellten.

Und offenbar auch die Herkunft des Desserts, das sie bestellen wollte.

„Nein, das habe ich nicht gewusst, aber sie sind wirklich gut.“

„Finde ich auch. Wenn du die Birnen bestellst, nehme ich die Käseplatte. Wir könnten teilen, wenn das okay für dich ist.“

„Mehr als okay. Klingt super.“

Sie saßen noch beim Kaffee, als die meisten Gäste bereits gegangen waren und das Café geschlossen werden sollte. Ezra bezahlte, und sie standen auf.

„Ich habe gar nicht bemerkt, dass wir schon so lange hier sind.“

Er half ihr in den Mantel. „So muss ein gutes Abendessen sein – ein tolles Gespräch, bei dem man die Zeit vergisst.“

Auf dem Weg zu ihrem Wagen knirschten seine Stiefel auf dem rutschigen Bürgersteig.

Tuesday konnte sich nicht daran erinnern, schon einmal drei Stunden bei einem Abendessen vertrödelt zu haben, schon gar nicht mit jemandem, den sie kaum kannte.

Irgendetwas an ihm sprach sie an. Die Form seiner Augen, die Geschichte, die sich darin andeutete … ein wenig dunkel und kompliziert. Seine Lippen … Er hatte den schärfsten Mund, den sie seit langer Zeit gesehen hatte.

Gut möglich, dass sie ins Rutschen kam, weil sie an seinen Mund dachte und abgelenkt war. Nicht, dass sie das gestehen müsste, schließlich war es kalt und glatt, und jeder konnte ausrutschen. Wie sollte man auch nicht an Ezras Lippen denken?

„Vorsicht!“ Mit einer Hand umfasste er ihre Taille und hielt sie fest. Er war so stark, und seine Nähe ließ sie zittern. Ein Zittern, das sie nicht der Kälte zuschreiben konnte.

„Alles in Ordnung?“

Seine Stimme ging ihr unter die Haut. Sie war ein wenig wie Sandpapier, aber von Karamell umhüllt. Eigentlich konnte es gar nicht sein, dass sie beides zugleich war, aber so war es. Manchmal rollte er das R, und jedes Mal vibrierte etwas tief in ihrem Inneren. Diese Anziehungskraft war beunruhigend, aber auch herrlich prickelnd.

Er verdrehte ihr den Kopf. Nicht nur, dass er gut aussah, er verströmte solch pure Sinnlichkeit, dass sie ganz kribbelig wurde. Ja, er war attraktiv, aber darüber hinaus hatte er etwas an sich, etwas Raues, Natürliches, von dem sie völlig fasziniert war.

Und jetzt, wo sie ihn einmal ganz für sich hatte, musste sie sich eingestehen, dass sie mehr wollte.

„Das war knapp. Danke, dass du mich aufgefangen hast.“

Er zögerte, sie loszulassen, und blieb nahe genug neben ihr stehen, sodass sie ihn riechen konnte. Sein Parfüm war wirklich gut. Würzig und sexy.

Riech nicht an ihm. Riech nicht an ihm. Riech nicht an ihm!

Der Moment dehnte sich zwischen ihnen aus, bis Ezra schließlich zurücktrat und den Weg zu ihrem Wagen fortsetzte.

Sie schloss die Fahrertür auf und nutzte den Augenblick, um sich zu fangen, ehe sie ihn noch anspringen würde.

Dann drehte sie sich wieder zu ihm um. „Noch einmal danke für das Abendessen. Und dafür, dass ich mir dank deiner Hilfe nicht alle Knochen gebrochen habe, als ich fast gefallen wäre.“

Ezra machte etwas mit seinem Mund, und es war ihr unmöglich wegzuschauen.

Er war so perfekt, umrahmt von seinem sexy Bart. Sie wollte sich über diesen Mund hermachen.

Aber was genau machte er da? Bereits beim Essen war ihr aufgefallen, dass er manchmal, wenn sie etwas sagte, auf ihren Mund blickte und dabei mit der Zunge über seine Unterlippe strich, als würde er daran denken, sie zu kosten. Und es war ihr, als könnte sie seine Zunge tatsächlich auf ihrer Haut spüren.

Sie zitterte, und diesmal war es vor Kälte. Ezra öffnete die Knöpfe seiner wollenen Jacke und schlug sie einladend auseinander.

Sie musste nichts weiter tun, als diesen Schritt in die Wärme seiner Umarmung zu machen und die Arme um seine Hüfte zu legen.

Tuesday legte den Kopf in den Nacken, um ihn ansehen zu können, und wurde ganz still, als ihre Blicke sich einen Moment lang gegenseitig festhielten, bevor sein Blick weiter zu ihrem Mund wanderte – und er wieder diese Sache mit der Zunge machte.

Sie schnappte nach Luft.

Er hatte es gehört. Sie erkannte es daran, dass seine Pupillen auf einmal sehr groß wurden.

Alles um sie herum verblasste, sämtliche Geräusche um sie herum verstummten, bis es nur noch Ezra und Tuesday gab.

Und dann lag sein Mund auf ihrem, und die Arme, mit denen er die Jacke um sie schloss, spannten sich an, als er sie näher an sich zog.

Eng an sich zog.

Körper an Körper, bis es keinen Zweifel mehr daran gab, wie sehr er sie wollte.

Musik war nicht das Einzige, von dem Ezra behaupten konnte, dass er Talent dazu hatte.

Ein wohliges atemloses Stöhnen entwich ihr, das Ezra mit seinem Kuss erstickte.

Das war zu viel. Ihr Herz klopfte wie wild, und sie kämpfte gegen den Wunsch an, vor ihm wegzulaufen.

Seit Erics Tod hatte sie bei keinem Mann mehr etwas so Starkes empfunden.

Vielleicht nicht einmal davor.

Aber diesen Gedanken schob sie weit von sich.

Obwohl es zu viel war, wollte sie mehr. Sie bebte vor Verlangen, alles zu nehmen, was Ezra ihr anbieten würde.

Sie knabberte an seiner Unterlippe und genoss es, wie sein Bart sich dabei auf ihrer Haut anfühlte. Dann leckte sie über seine Lippen und presste sich enger an ihn.

„Scheiße, ja“, murmelte er. Seine Zunge glitt in ihren Mund, und sein Geschmack breitete sich explosionsartig darin aus.

Vanille und ein Hauch von Brandy, der von den Birnen stammte, die sie sich nach dem Essen geteilt hatten. Dazu ein winziger Hauch Kaffee, und was auch immer dieser heiße Typ an Superendorphinen produzierte.

Er küsste sie weiter und presste sie mit seinem Gewicht gegen den Wagen.

Seine Hitze verbrannte sie in seiner Jacke, ihr Herzschlag donnerte in ihren Ohren.

Schließlich zog er sich etwas zurück und holte tief Luft. Er sah sie an, und neben Verlangen und Bewunderung lag auch Schmerz in seinen Augen. Eine gewisse Verletzlichkeit.

Bitte entschuldige dich nicht, dachte sie, und sag mir nicht, dass ich es vergessen soll.

Als nach längerem Schweigen immer noch keine Entschuldigungen oder panische Erwartungsbeschränkungsmaßnahmen von ihm kamen, atmete sie etwas leichter, auch wenn sie seinen Geschmack noch immer auf den Lippen hatte.

Seine tiefbraunen Augen wanderten zu ihren Lippen und gleich darauf wieder zu ihren Augen.

In seinen Mundwinkeln deutete sich ein Lächeln an. „War das meine Belohnung dafür, dass ich dich vor einem Sturz bewahrt habe?“

Einen Augenblick lang schürzte sie die Lippen und genoss das Flirten, dann erwiderte sie sein Lächeln. „Vielleicht.“

„Ich bin immer gerne bereit, die Bezahlung für Dienste und Waren von deinem Mund entgegenzunehmen.“

Sie schluckte hart. War aufgeregt und nervös, geschmeichelt und erregt. „Dann sollte ich also die Daumen drücken, dass es ein langer eisiger Winter wird, was?“

Ezra lachte, ließ sie los und trat einen Schritt zurück. Sofort spürte sie die Kälte wieder, was es ihr leichter machte, wieder klar zu denken.

„Danke, dass du meinen Tag so viel besser gemacht hast, Tuesday Eastwood.“ Er hielt die Wagentür für sie auf.

„Gleichfalls.“

Er küsste sie schnell noch einmal. „Wir sehen uns. Wirst du nächste Woche zu unseren Konzerten kommen?“

Sweet Hollow Ranch, die Band, die Ezra und seine Brüder gegründet hatten, brachte ein neues Album heraus und machte eine kurze Winter- und Frühjahrstournee.

Ezra schrieb noch immer Songs für die Band und kümmerte sich um Aufnahme und Produktion derselben. Aber nach seinem Drogenentzug hatte er einen Schlussstrich unter dieses wilde Kapitel in seinem Leben gezogen und die Tourneen aufgegeben.

Erst jetzt, zum ersten Mal nach Jahren, hatte er vor, bei ein paar kleinen inoffiziellen Shows wieder mit auf der Bühne zu stehen, um zu sehen, wie die Songs bei den Fans ankamen, bevor Sweet Hollow Ranch auf richtige Tournee ging.

Bestimmt war er deswegen aufgeregt und nervös, allerdings machte er einen sehr gelassenen Eindruck.

„Nat und ich kommen auf jeden Fall. Wir werden uns also sehen.“ Sie setzte sich ins Auto, und er schloss die Tür und trat zur Seite.

Er sah ihr nach, bis sie um die Ecke bog, aber noch Stunden später konnte sie seine Lippen auf ihrer Haut spüren.

2. KAPITEL

Jetzt: Mai

Ezra wusste einfach, dass Tuesday backstage war. Jedes Mal, wenn sie in seiner Nähe war, schoss heiße Energie durch seinen Körper, die auch Tuesday zu spüren schien und welche die beiden immer wieder zueinander zu ziehen schien. Als er sich umdrehte, sah er, wie sie sich durch die Menge schob, wobei ihr wundervoller Lockenkopf sie von allen anderen abhob.

Natalie – Tuesdays beste Freundin und die Freundin seines Bruders Paddy – lief neben ihr. Die beiden Frauen gaben ein tolles Bild ab, denn beide waren auf unterschiedliche Weise schön und stark und ein wenig verwundet.

Vielleicht auch schwer verwundet. Je besser er die Freundin seines Bruders kennenlernte, desto mehr bewunderte er sie für das, was sie alles überstanden hatte.

Natalie drückte Tuesdays Hand, bevor sie zu Ezra hinüberging. „Ezra, du siehst toll aus.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und umarmte ihn.

„Danke, Süße. Ich freue mich, dich hier zu sehen, und ich bin froh, dass du und Paddy euch wieder zusammengerauft habt.“

Hinter Natalie unterhielt sich nun Ezras Schwägerin Mary mit Tuesday, deshalb musste er sich in Geduld üben.

„Wie ich gehört habe, hast du einiges dazu beigetragen, dass es am Ende dazu kommen konnte. Paddy würde es wohl kaum zugeben, aber ohne deine Hilfe war er ziemlich verloren.“

Paddy hatte nicht nur Natalie einen Haufen dummer verletzender Sachen an den Kopf geworfen, sondern auch Ezra, und solange er sich bis zum Anschlag da hineingesteigert hatte, hatten sie nicht miteinander geredet.

Zum Glück war sein Bruder nicht so blöd, wie er hübsch war. Er hatte sich wieder eingekriegt und sich sowohl mit Ezra als auch mit Natalie wieder versöhnt.

„Manchmal braucht man jemanden, der einem sagt, was man eigentlich längst weiß.“

„Du bist sehr weise. Sicher ist das auch der Grund, weshalb du meine beste Freundin so ansiehst, wie du es tust.“

Er lachte und machte eine Handbewegung, wie um sie zu verscheuchen. „Sieh zu, dass du weiterkommst. Paddy fällt sonst gleich hier über dich her.“

Natalie gab ihm einen Kuss auf die Wange und ging zu Paddy, der auf sie wartete und lächelte, als gäbe es nur sie.

Als Tuesday sich von Mary befreite und ihren Weg in seine Richtung fortsetzte, wurde Ezras Geduld endlich belohnt. Ihre Lippen verzogen sich zu einem sexy Lächeln.

Ihm blieb die Spucke weg, als sie sich aus der Menge löste. Sie trug ein sehr kurzes Kleid in einem knalligen Pink und Orange – Farben, die nicht wirklich zusammenpassten, aber sie sah in dem Kleid einfach umwerfend aus. Es hatte einen hohen Kragen, aber ihre Schultern und auch ihre Brust waren teilweise unbedeckt.

Er streckte eine Hand aus, und sie griff danach. Jedes Mal, wenn er sie berührte, fühlte es sich an wie ein Adrenalinstoß. Er umfasste ihre Hand, presste einen Kuss in ihre Handfläche und fuhr mit den Lippen über ihr Handgelenk.

„Du riechst gut“, murmelte er. Bei Gott, das tat sie. Würzig, sexy und eine Spur geheimnisvoll.

Sie war nahe genug, um ihn zu hören, und wieder hob sie die Mundwinkel zu einem Lächeln.

Da war so viel Chemie zwischen ihnen, dass es ihn leicht schwindlig machte. Schwindlig genug, um die Risiken zu erkennen, und dennoch stand er hier und nahm sich vor, sie so bald wie möglich überall zu küssen.

Tuesday war Natalies beste Freundin. Sie standen sich so nahe wie Schwestern. Obendrein lebte sie nicht nur in Hood River, sie und Natalie wohnten zusammen. Wenn etwas zwischen ihnen schieflief, könnte es auf Dauer ziemlich unangenehm werden.

Und doch konnte er sich nicht bremsen, wenn er sie sah. Sich oder seine Gedanken. Und er musste ziemlich oft an sie denken, vor allem nach diesem Kuss im Dezember und dem zweiten, zu dem es erst letzte Woche gekommen war.

Wenn er jedoch ganz ehrlich mit sich selbst war, musste er zugeben, dass es ihm bereits so ging, seit er ihr im letzten Herbst zum ersten Mal begegnet war.

Tuesday Eastwood sprühte vor Leben; sie war sinnlich und trug ihr Selbstbewusstsein und ihre Intelligenz mit Mut. Ezra fand das so heiß, dass er schon hart wurde, wenn er sie nur sah.

„Danke. Ich freue mich darauf, dich heute Abend auf der Bühne zu sehen.“

Er blickte nach unten auf ihre glitzernden High Heels, die hübsch lackierten Fußnägel und dann über wohlgeformte Fesseln und Waden hinauf zu ihren durchtrainierten Oberschenkeln. Etwas, was ihm ebenfalls an Tuesday gefiel, war ihre Liebe zur Natur. Seine Arbeit war körperlich sehr fordernd, sodass er all seine überschüssige Energie abbauen konnte … jedenfalls das meiste davon. Und er liebte es, mit Pferden und Geländefahrzeugen die Gegend zu erkunden, und hatte sich gefreut, als er bei Ausritten, die sie alle gemeinsam unternommen hatten, feststellte, dass es ihr genauso ging.

Sie war hinreißend und stark, und er wollte alles, was sie ihm zu bieten hatte.

Seine innere Stimme mahnte ihn zur Vorsicht, aber er ignorierte sie, denn es fühlte sich so gut an, Tuesday zu begehren.

„Danke. Du siehst fantastisch aus.“

„Ich hatte damit gerechnet, dass du diese …“, sie wedelte mit einer Hand in seine Richtung, „… scharfe Rockstar-Nummer abziehst. Da musste ich schwerere Geschütze auffahren.“

„Das ist dir gelungen. Übrigens, ich werde dich heute Abend nach Hause bringen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.“

„Paddy hat dich darum gebeten, damit er Natalie entführen kann, oder?“ Ihr Lächeln verriet ihm, dass sie sich nicht darüber ärgerte. „Ich werde den Teil überspringen, wo ich so tue, als wäre ich mit dem Plan nicht einverstanden.“

„Er hat mich noch nicht gefragt, aber er wird es tun. Ich habe gesehen, wie er sie gerade angeschaut hat. Was mir sehr gelegen kommt, denn ich hätte dich gern einmal ganz für mich.“

Die Techniker drängten sich durch die Menge, um mit jedem der Brüder zu reden. Mit zunehmender Berühmtheit der Band kam auch mehr Geld, und sie konnten es sich leisten, Leute zu engagieren, die ihre Instrumente in Ordnung hielten. Irgendwann waren sie sogar in der Lage, für jedes Mitglied der Band einen eigenen Techniker einzustellen. Der Techniker, der Ezra in diesem Augenblick unverhohlen musterte, war Ira, der bereits seit einem Jahrzehnt zu Sweet Hollow Ranch gehörte.

Jemanden zu haben, der ihren Terminplan und seine persönlichen Vorlieben kannte, erleichterte es Ezra sehr, zum ersten Mal nach seiner Therapie wieder auf eine große Bühne zurückzukehren.

Immer mehr Leute trafen backstage ein und hoben die Geräuschkulisse im Raum. Das ganze Chaos zehrte an seinen Nerven.

Er fuhr mit dem Daumen über Tuesdays Unterlippe. „Ich muss in meine Garderobe.“

Sie strich mit den Fingerspitzen über sein Handgelenk und küsste seinen Daumen. „Geh nur. Du wirst sie alle vom Hocker reißen!“

Ezra trat noch einmal auf sie zu und legte einen Arm um ihre Taille. Es war ihm egal, dass es ein Dutzend Gründe gab, die dagegen sprachen, etwas mit ihr anzufangen. Er wollte sie, sie wollte ihn, und sie waren beide erwachsen.

Er war völlig machtlos, als sie ihm noch näher kam, den Kopf leicht zur Seite neigte und ihren Hals entblößte.

Er senkte den Kopf, inhalierte ihren Duft und streifte ihre Haut mit den Lippen.

„Ich werde hier sein, wenn du fertig bist.“

„Ich nehme dich beim Wort.“ Damit löste er sich von ihr und holte Ira ein, um mit ihm über seine Gitarren zu reden, aber ihr Duft verfolgte ihn.

Ira musterte ihn eindringlich, und Ezra tat so, als würde er es nicht bemerken. Jahrelang hatte Ira ihn vor den Shows eindringlich gemustert, und wenigstens war Ezra jetzt nicht so high, dass er es nicht einmal mehr schaffte, auf der Bühne bei Bewusstsein zu bleiben.

Heute hatte Ezra sich wieder im Griff. Man konnte ihm vertrauen und sich auf ihn verlassen. Niemand sah ihn noch mit diesem mitleidigen Ausdruck an, begleitet von Abscheu. Er hatte einen Kampf hinter sich, bei dem er manchmal nicht sicher gewesen war, ob er ihn gewinnen könnte. Aber hier war er – mit dem ganzen Trümmerfeld seiner Vergangenheit im Rücken und großen Hoffnungen für seine Zukunft im Herzen.

Zufrieden, dass mit Ezra alles in Ordnung war, entspannte Ira sich, brachte ihn kurz auf den neuesten Stand und ließ ihn dann in seiner Garderobe allein. Auch wenn Paddy als Bandleader galt, war Ezra der Gründer der Band und der, an den alle sich wandten, einschließlich Paddy.

Dieses Vertrauen in ihn erstaunte Ezra immer wieder aufs Neue. Sie sollten ihm nicht vertrauen. Nicht nach seiner Heroinsucht. Aber sie taten es, er setzte alles daran, um die Menschen, die sich auf ihn verließen, nicht zu enttäuschen.

Nachdem er ein Glas Wasser getrunken hatte, setzte er sich auf die Couch und legte die Beine hoch. Er atmete langsam aus, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Das letzte Mal, als er auf einer so großen Bühne gestanden hatte, war er vor dem Publikum zusammengebrochen, was ihn schließlich in die Entzugsklinik gebracht hatte. Die kleinen Auftritte in den Klubs, in denen sie vor Beginn der Tournee gespielt hatten, waren aufregend gewesen und hatten diesen Durst in ihm geweckt, den anscheinend nur Liveauftritte löschen konnten.

Damals hatte er sich Sorgen gemacht, dass er seine Magie auf der Bühne verloren haben könnte, aber sowie er dann dort stand, war sie mit derselben Leichtigkeit zurückgekehrt wie früher, als hätte er sie nie verloren. Er war wieder der Ezra Hurley gewesen, und das hatte etwas in ihm aufgeweckt.

Es gab etwas, das er beweisen musste, nicht nur seinen Brüdern und Fans, sondern sich selbst.

Tuesdays Haut kribbelte an der Stelle, wo Ezras Lippen ihren Hals gestreift hatten.

Sie sah ihm nach, als er sich zurückzog. Nahm wahr, wie sich der weiche Stoff seines T-Shirts über seinen breiten kräftigen Schultern bis hinunter zu der schmalen Hüfte spannte. Seine Brüder trugen Jeans, aber Ezra hatte sich für eine braune Lederhose mit Cowboy-Stiefeln entschieden.

Seine Haare waren etwas zerzauster als sonst, und ihr fielen die Tattoos an seinen Armen auf. Als sie einmal auf einem Geländeausflug unterwegs gewesen waren, hatte sie ihn ganz verschwitzt gesehen, und schon das war ein Anblick gewesen, den sie nie mehr vergessen würde. Aber Rockstar-Ezra hatte sich gerade einen Platz neben dem verschwitzten, schlammbedeckten Ezra in ihren Fantasien verdient.

Hinzu kam, dass er einen fantastischen Hintern hatte.

Und er ging wie ein Mann, der einen großen Schwanz hatte.

Natalie trat zu ihr, und gemeinsam sahen sie ihm nach, bis er außer Sichtweite war. „Die Lederhose steht ihm wirklich gut“, bemerkte sie.

„Allerdings. Und er hat diesen Gang von Männern mit einem großen Schwanz, oder?“

Natalie prustete. „Das werde ich nie mehr aus dem Kopf bekommen!“

„Stimmt es etwa nicht?“

„Doch. Wo du recht hast, hast du recht.“

Grinsend sahen sie sich an. „Mit Paddy alles okay?“

Ihre Freundin hatte ein großes Herz und war bis über beide Ohren in Ezras Bruder Paddy verknallt. Gerade hatten sie sich nach einer schweren Phase wieder versöhnt und viel getan, um diese hinter sich zu lassen. Tuesday hatte gewusst, dass das auch nötig war.

„Ja. Alles in Butter. Was ist mit dir und Ezra?“

Genau das hatte Tuesday sich schon selbst gefragt, deshalb entschied sie, dass es einfacher wäre, die Sache als lockeres Vergnügen anzusehen.

„Was soll sein? Er will, was ich habe, und ich will, was er hat.“

Mary gesellte sich zu ihnen. Sie war Damien Hurleys Frau und eine neue Freundin von ihnen. „Ich bin so froh, heute Nacht wieder in meinem eigenen Bett schlafen zu können.“

Drei Monate waren sie auf Tour gewesen, und wie Tuesday wusste, war das relativ kurz dafür, was daran lag, dass Mary in sechs Wochen einen weiteren Hurley zur Welt bringen würde. Offiziell würde die Tour erst morgen Abend zu Ende sein, aber Portland lag nahe genug bei Hood River, sodass alle lieber nach Hause fuhren, anstatt eine weitere Nacht in einem Hotel zu verbringen.

Der Gong, der darauf hinwies, dass es Zeit war, zur Bühne zu gehen, ertönte. War es nicht seltsam, dass all diese Dinge in ihrem Leben plötzlich völlig normal waren?

Paddy kam auf sie zu und lächelte Tuesday an. Sie versuchte sich an einem Lächeln, das so viel sagte wie: Ich verzeihe dir, aber wenn du meine beste Freundin noch einmal verletzt, werde ich dich zum Krüppel machen.

Er verstand, nickte und umarmte sie kurz, bevor er Natalies Hand nahm und sie alle gemeinsam Richtung Bühne gingen. Am Ende des Flurs kam Ezra aus seiner Garderobe und sah teuflisch gut aus. Noch etwas zerzauster, aber konzentriert und entspannt.

Als hätte sie ihre Gedanken laut ausgesprochen, drehte er sich um, und ihre Blicke hielten einander fest, bis sie wieder die starke Anziehung zwischen ihnen spürte. Er wartete, bis sie bei ihm war, und ging dann neben ihr her. Keiner von ihnen sagte etwas. Sie hatte das Gefühl, dass er das Schweigen brauchte.

An der Bühne angelangt, gingen die Brüder weiter nach vorne und redeten kurz miteinander, bevor sie sich wieder trennten. Damien ging hinaus, Vaughan folgte ihm und dann Paddy. Ezra stellte sich neben Tuesday, und sie war sich seiner Nähe nur allzu bewusst.

„Willst du mir nicht viel Glück wünschen?“, fragte er neckend und lächelte. Tuesday erkannte dahinter jedoch einen Hauch von Zweifel.

„Nein. Und weißt du auch, warum?“ Sie kam ein wenig näher. „Du brauchst kein Glück. Du bist Ezra Hurley. Du bist hierfür geboren.“

Er entspannte sich sichtlich, nahm ihre Hand und küsste ihre Finger, ehe er seine Gitarre von Ira entgegennahm, hinaus auf die Bühne trat und anfing zu spielen.

Sowie er die Seitenbühne verlassen hatte, änderte sich alles. Er entfesselte seine Energie, nahm das Gebrüll der Menge in sich auf, ihr Grölen, wenn sie die Texte seiner Songs mitsangen, den Applaus und das Zusammenspiel zwischen ihm und seinen Brüdern und schwelgte darin.

Obwohl die drei anderen die ganze Tour zusammen gemacht hatten, fügte Ezra sich in ihrer Mitte ein, als wäre er nie weg gewesen. Sie mochten zwar eher daran gewöhnt sein, das jeden Abend zu machen, aber er war noch voller Energie, also glich sich alles wieder aus.

Heute Abend waren sie wieder ganz die Hurleys, die die Welt kannte und liebte, und alles war absolut perfekt.

Vor der ersten Zugabe machten sie eine Pause, während der sie die Bühne verließen. Ezra ging zur Toilette, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und wechselte sein Shirt.

Als er wieder zur Bühne kam, wartete Tuesday dort auf ihn, und sie hatte nur Augen für ihn. Ezra fühlte, wie das Verlangen in ihm hochkochte.

Aber er würde warten, so wie sie es tat, damit er sich auf den Auftritt konzentrieren konnte.

Er lächelte ihr zu, ließ sich von Ira seine Gitarre reichen und ging wieder hinaus auf die Bühne.

Drei Zugaben später war es Zeit, nach Hause zu fahren.

Nach einer Show ging es meist sogar noch lauter und chaotischer zu als vorher. Als Ezra von der Bühne kam, lief er neben Tuesday her, als sie alle zum Green Room gingen.

Energie pulsierte durch ihn hindurch, er musste dringend etwas herunterkommen und sich waschen.

Als sie im Green Room waren, wandte er sich an Tuesday. „Ich gehe duschen und mich umziehen. Ist das in Ordnung für dich?“

Sie nickte. „Natürlich. Ich warte hier.“ Ihr Mund … lieber Gott im Himmel! Er wollte sich vorbeugen und ihn küssen. So sehr, dass seine Hände leicht zitterten.

Tuesday hob ihm das Gesicht entgegen. „Nun mach schon. Du wirst mich schon nicht zerbrechen.“

Verblüfft blinzelte er. „Was?“

„Du hast auf meinen Mund geschaut, als hättest du Lust darauf. Also, greif zu.“

Zwei Schritte, und er war bei ihr, hatte den Arm um ihre Taille gelegt, spürte ihren Körper an seinem und ließ seine Lippen über ihre gleiten, welche sich mit einem Seufzer öffneten, während sie sich ihm hingab.

Er saugte an ihrer Unterlippe, hielt sie mit den Zähnen fest. Sie krallte die Finger in sein T-Shirt, um ihn bei sich zu halten.

Verlangen ergriff ihn, heiß und beharrlich. Am liebsten hätte er sie an die Wand gedrückt und gleich hier und jetzt genommen.

Keuchend trat er von ihr zurück, als ein Haufen Leute in den Raum kam.

„Wir setzen diese … Unterhaltung fort, wenn ich sauber bin.“ Er schmeckte sie noch einmal, als er sich über die Lippen leckte.

Langsam atmete sie aus und nickte lächelnd.

Bevor er jedoch die Tür erreichte, wurde er von seinen Brüdern überfallen, die ihn umringten, ihm auf den Rücken klopften und umarmten.

Es tat gut, zu hören, wie Paddy schon fast brüllte: „Mann, das war die geilste Show seit Jahren! Ez, was da draußen abgegangen ist, geht alles auf deine Kappe. Gut gemacht.“ Paddy grinste seinen Bruder an, und Ezra ließ sich davon anstecken.

Mary, Natalie und andere Freunde, die zu der Show gekommen waren, umarmten ihn ebenfalls.

Tuesday wurde weggezogen, um jemanden kennenzulernen, und Ezra beobachtete sie, während er ein Glas Tee trank und Vaughan und Damien zuhörte.

Mary, die seinem Blick gefolgt war, tätschelte seinen Arm. „Sieht so aus, als hätten wir etwas unterbrochen, als wir reinkamen.“

Ezra zuckte nur mit den Schultern. Es würde geschehen, das stand bereits fest, seit er sie damals in der Stadt zum ersten Mal geküsst hatte und dann noch einmal vor drei Wochen im Dunkeln vor ihrem Haus.

Seit Monaten trieben sie nun schon dem Moment entgegen, in dem all ihre Leidenschaft sich entladen würde. Er lächelte seine Schwägerin an. „Mach dir keinen Kopf deswegen.“

Fast eine Stunde später gelang es ihm, in seine Garderobe zu entkommen, und als er das Wasser der Dusche auf seiner Haut spürte, war er bereit für einen Marathon oder wilden Sex.

Kein Marathon heute Nacht. Sex vielleicht, denn die Anziehung zwischen ihnen war nicht zu leugnen. Vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls würde es früher oder später dazu kommen. Dieses langsame Tempo, diese lang andauernde Verführung fand er nicht nur scharf, es gab ihm auch Zeit zu ergründen, was er für Tuesday empfand. Das Verlangen war heiß, aber diese Gier … er musste einen Weg finden, damit umzugehen, um es genießen zu können, ohne ständig auf der Hut zu sein.

Tuesday sorgte dafür, dass er sich lebendig fühlte.

3. KAPITEL

Also.“ Als sie seinen Wagen erreicht hatten, blieb Ezra stehen und schob Tuesday rückwärts an die Tür seines schnittigen Porsches. Als er sich vorbeugte, um sie zu küssen, legte sie die Arme um seinen Nacken.

Nachdem er sie fast besinnungslos geküsst hatte und sich wieder von ihr löste, fragte sie leise: „Also?“

„Nichts eigentlich. Ich wollte dich nur noch einmal küssen, bevor du in den Wagen steigst.“

Tuesday lachte erfreut. Manchmal wirkte er so ernst, dass es sich jedes Mal wie ein köstliches Geheimnis anfühlte, wenn er einen Witz machte und seinen trockenen Humor unter Beweis stellte.

„Na dann.“

Sie stieg ein, beugte sich vor, öffnete ihre Schuhe und streifte sie von den Füßen.

Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie, dass er sie beobachtete.

„Du hast tolle Beine“, stellte er mit seiner tiefen Stimme fest, und lächelnd ließ sie sich in den butterweichen Ledersitz zurücksinken.

Ezra fuhr mit derselben Intensität, mit der er alles zu tun schien. Obgleich die Show seit fast zwei Stunden vorbei war, war in den Straßen um den Veranstaltungsort herum noch immer viel Verkehr. Ezra wirkte sehr konzentriert, während er sich auf dem Weg zur Autobahn durch die Straßen schlängelte, deshalb schaute sie aus dem Fenster und schwieg.

Nachdem sie die vollen Straßen hinter sich gelassen hatten, entspannte er sich etwas. Jedenfalls so weit, dass sie das Gefühl hatte, wieder etwas sagen zu können.

„Du warst unglaublich heute Abend.“

Er lächelte, blickte aber weiter konzentriert nach vorn auf die Straße. „Ja?“

„Ich habe dich schon einmal auf der Bühne gesehen. Früher, als du die Tourneen noch mitgemacht hast. Ich hatte damals gerade meine Familie in Louisville besucht.“

Sie spürte seine Anspannung und hätte wetten können, dass er glaubte, sie würde seine Abhängigkeit zur Sprache bringen. „Das war noch ziemlich am Anfang“, erklärte sie. Er sollte wissen, dass sie ihn in Hochform erlebt hatte, bevor Heroin ins Spiel gekommen war. „Ich glaube, ‚Ten To Midnight‘ war gerade rausgekommen. Also das ist echt eine umständliche Art, dir zu sagen, dass ich dich schon mal bei einem Auftritt erlebt und daher einen Vergleich habe. Letzten Dezember bei den Auftritten in den Klubs warst du gut. Aber heute Abend warst du Ezra Hurley, der Rockstar.“

Und er war heiß, so heiß, dass sie allein bei seinem Anblick fast dahingeschmolzen wäre. Selbstsicher, sexy, alles im Griff habend – der Ezra, der da auf der Bühne gestanden hatte, ließ sie erschauern. Wenn er nicht gesungen, sondern nur Gitarre gespielt hatte, hatte er dieses Grinsen im Gesicht gehabt, als hätte er schmutzige Gedanken.

Tuesday fragte sich, was er mit all der Energie anfing, wenn er nicht auf der Bühne stand, denn außer in den kurzen Momenten, wenn er diese ganz auf sie richtete und sie beinahe darin versank, wirkte er ziemlich entspannt.

Aus der Ferne betrachtet zumindest.

Ezra hatte etwas Dunkles an sich, und die Dunkelheit, die in ihr selbst lebte, schien darauf zu reagieren. Es war ein tief sitzender Schmerz, den er jedoch nicht wie einen Schild vor sich hertrug. Er versuchte eher, ihn herunterzuspielen. Aber der Schmerz war da, und vermutlich war es dieser Schmerz, der ihn zum Teil motivierte, jetzt Erfolg zu haben.

Als sie sich vorstellte, wie er seine Aufmerksamkeit voll auf sie richtete, überlief sie ein Schauer. Sie hatte das starke Gefühl, dass Ezra sich im Bett nicht zurückhalten würde. Nicht im Geringsten.

Zugleich hatte sie das starke Gefühl, dass sie es erfahren würde, und zwar bald.

Noch nie hatte sie sich von einem anderen Menschen so angezogen gefühlt, in ihrem ganzen Leben nicht, was ihr sehr unangenehm war. Es gab ihr das Gefühl, Eric gegenüber untreu zu sein, obwohl er schon seit vier Jahren tot war.

Zum Glück sagte Ezra endlich etwas und riss sie damit aus ihrer mentalen Selbstbestrafung. „Es hat sich richtig angefühlt heute Abend. Auf der Bühne gibt es einen bestimmten Rhythmus, der sich von allem unterscheidet, was man sonst als Band macht. Seit Jahren habe ich keine Tour mehr mitgemacht, und meine Brüder haben einen neuen Rhythmus gefunden.

Im Studio ist das etwas anderes, und die Klub-Auftritte waren eher wie eine Jamsession im Studio. Heute Abend hat mich diese Einheit der drei wieder eingelassen, und ich war wieder dort, wo ich einmal hingehört habe, als Sweet Hollow Ranch noch zu viert waren.“

Tuesday fragte sich, ob es ihm schwergefallen war, mit anzusehen, wie die drei ohne ihn weitergemacht hatten, oder ob es ihn nach dem Auftritt heute Abend nicht reizte, wieder mit ihnen auf Tournee zu gehen. Aber sie kannte ihn nicht gut genug, um tiefer zu bohren. Nicht, solange sie nicht wusste, ob sie es damit nur schlimmer für ihn machte.

Sie mochte Ezra sehr und wollte es nicht vermasseln, aber sie wollte ihn auch besser kennenlernen.

„Nach heute Abend … Wünschst du dir da nicht, du könntest wieder mit auf Tournee gehen? Ich meine … keine Ahnung, was ich meine. Also doch, das weiß ich schon, aber in meinem Kopf klang es besser als jetzt, wo ich es laut ausspreche.“

Er lachte. „Ist schon okay. Ich bin nicht sicher, was ich empfinde. Noch nicht. Nicht ganz.“ Ezra machte eine Pause, und sie bedrängte ihn nicht. Sie hoffte zwar, dass er es näher erklären würde, wusste aber auch, dass er das vielleicht nicht wollte.

„Das Album ist gerade erst rausgekommen. Mary und Damien erwarten ein Baby und werden nach der Geburt zu Hause bei der Familie sein wollen. Paddy und Natalie werden eine Weile unzertrennlich sein, und er ist mit Sicherheit nicht bereit, sie zurückzulassen. Es wird Zeit, dass wir unser Privatleben an erste Stelle setzen und uns um das kümmern, was wichtig ist.“

Tuesday entging nicht, dass er wir sagte, wenn er von der Band sprach.

„Das hätten wir schon für Vaughan tun sollen“, murmelte er.

„Möchtest du das erklären?“

„Du bestehst nicht einfach darauf?“

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wer bin ich, das zu verlangen? Manchmal rutscht mir etwas heraus, was ich gar nicht sagen will. Oder vielleicht doch, aber dann werfe ich’s nur mal so in den Raum, um später darüber zu reden.“

„Ich denke, was Vaughan angeht, lassen wir’s erst mal dabei, vielleicht können wir ja später darüber reden.“

„Okay.“

Eine Weile versanken sie in entspanntem Schweigen. Tuesday mochte die Stille. Sie war in einem wahnsinnig lauten Haus aufgewachsen, das immer voller Leben war, mit Kindern, Familie und Freunden. Deshalb schätzte sie die Stille und versuchte, die Anzahl der Leute in ihrem Leben, denen nicht genauso viel daran lag, auf ein Minimum zu beschränken.

Ausgenommen ihre Familie. Sie waren laut und verrückt, und daran war nichts zu ändern.

„Sag mir, was du gerade denkst“, verlockte Ezra sie mit seiner supersexy Stimme.

„Willst du das wirklich wissen?“

„Ich bin ein erwachsener Mann, Tuesday. Ich sage, was ich meine.“

Was war denn so heiß daran? Wie kam es, dass er sie jedes Mal ganz kribbelig machte und dafür sorgte, dass sie sich einsam fühlte, wenn sie sich trennten?

„Ich habe über Stille nachgedacht. Wie sehr ich sie mag und dass wir einen schönen ruhigen Augenblick miteinander geteilt haben. Ich wünschte, es würde mehr Leute geben, denen das gefällt.“

„Für viele Menschen verstärkt Stille die Einsamkeit. Vielleicht gilt das sogar für die meisten.“

„Es ist nichts falsch daran, manchmal einsam zu sein.“

Er brummte. Es war ein Laut der Zustimmung und Anerkennung, und auch das war heiß. Gott, alles an ihm war heiß. Wie konnte das sein? Wie konnte ein einziger Mensch so anziehend sein? Was für eine Art kosmisches Leckerli war Ezra Hurley eigentlich?

„Ich selbst habe die Stille erst in der Entzugsklinik schätzen gelernt.“

Tuesday lehnte sich in ihrem Sitz zurück und blickte aus dem Fenster, während er sprach. Intuitiv war Ezra klar, dass sie es tat, weil sie wusste, dass es ihm lieber war, wenn sie ihn nicht ansah, während er sich ihr auf diese Weise anvertraute.

Abgesehen davon, dass er sie mochte, wusste er nicht, warum er ihr das erzählte. Er war gern mit ihr zusammen, und dieses langsame Sichkennenlernen war neu für ihn. Und etwas beunruhigend, weil es dumm von ihm war, ausgerechnet sie zu wählen, und doch würde er es tun.

„Sie haben mich in diese Einrichtung mitten in der Walachei geschickt. Da gab es nur Bäume, frische Luft und Berge in der Ferne.“ In der ersten Woche hatten sie ihn sofort in die Entgiftungsstation gesteckt. „Entzug ist laut. Versteh mich nicht falsch, ich weiß, was ich für ein Glück hatte, dass diese Klinik so gut war. Aber bei einem Entzug wird viel geschrien.“ Und gekotzt, was er noch mehr gehasst hatte als das ganze Schreien.

„Die Klinik befand sich auf einem großen Stück Land, und das Haupthaus und die anderen Gebäude waren umzäunt. Es war ein Weg von drei Meilen, das Ganze einmal zu umrunden, und den bin ich ungefähr vier Mal am Tag gegangen, nur um allein zu sein.“

„Hast du dich einsam gefühlt?“

„Ja.“ Er hatte alle, die ihm je etwas bedeutet hatten, vor den Kopf gestoßen. Er war so tief gesunken und hatte so viele Menschen verletzt, dass die Einsamkeit ihn fast umgebracht hatte.

„Wenn es still ist, kannst du dich dem nicht entziehen.“ Ihre Worte und ihr Tonfall sagten ihm, dass sie aus eigener Erfahrung sprach.

„Nein. Ganz gleich, wie schmerzhaft es ist, und auch wenn es noch so sehr deine eigene Schuld ist.“ Er schüttelte den Gedanken ab. „Wie auch immer, ich musste bessere Möglichkeiten finden, meinen ganzen Mist zu verarbeiten. Was ich getan habe, hat mich fast umgebracht.“ Als er zum ersten Mal in der Lage gewesen war, laut auszusprechen, dass er ein verfluchter Heroinsüchtiger war, hatte er es nicht vor einer Therapiegruppe gesagt. Ezra hatte allein unter einem Baum an diesem Zaun gestanden, denn er war es, der es aussprechen musste, der es hören musste, der es glauben musste.

Sie nickte bedächtig. „Ich glaube, dass ich am dringendsten allein sein muss, wenn ich genau das zu vermeiden versuche. Ich kann mich selbst nicht so leicht belügen wie andere.“

„Es ist ziemlich eindrucksvoll, so … selbstkritisch zu sein.“

Sie lachte. „Meine Mutter ist ein als Ingenieurin verkleideter Hippie. Sie hat uns als Kinder Traumtagebücher führen lassen. Es geht ihr nichts über die Wahrheit.“

„Ist das so nervig, wie ich es mir vorstelle?“

Sie fing an zu kichern. Erst war es nur ein kleines Glucksen, dann noch eins und noch eins, bis sie einen richtigen Anfall bekam und ihm gar nichts anderes übrig blieb, als zu lächeln.

Und mehr zu wollen.

„Es ist total nervig. Sie steht voll auf diesen ganzen New-Age-Kram und ist ein überkandidelter Hippie. Einmal im Jahr fährt sie in ein spirituelles Heilungszentrum, wo sie mit Freude Yoga machen, massenhaft Mungobohnen essen und was sonst noch. Es macht sie glücklich, was ja der Sinn des Ganzen ist. Jedenfalls wurde ich dazu erzogen, mich unerfreulichen Dingen zu stellen, weil es das ist, was man machen soll.“

Ezra konnte sich gut vorstellen, dass ihre Mom ziemlich toll war. „Du hast mal erwähnt, dass dein Dad Dachdecker ist?“

„Du hast gerade von deinem Entzug erzählt. Danach bin ich an der Reihe.“

Er seufzte. „Vermutlich hatte ich das Chaos und den Lärm genutzt, um mich davon abzuhalten, mich mit meinem Scheiß auseinanderzusetzen. Und dann hatte ich so viel Lärm und nichts anderes als Zeit, sodass ich etwas Stille gesucht habe. Erst dann konnte ich mit der Arbeit anfangen.“

„Du sprichst von Selbstkritik.“

„Von Therapie.“

„Ach ja.“

„Wie ich sehe, weißt du, was ich meine.“ Sowie er die Worte ausgesprochen hatte, wünschte er, sie wieder zurücknehmen zu können. „Entschuldige. Ich hatte vergessen …“

Sie atmete geräuschvoll aus. „Schon in Ordnung, ehrlich. Allerdings war ich in Therapie, als ich noch ein Kind war, lange bevor ich wusste, dass Eric überhaupt existierte. Damals war ich neun. Wir hatten einen Unfall bei einem Schulausflug. Unser Bus hatte sich überschlagen und war in einem Fluss gelandet.“

Ihre Stimme klang, als wäre sie in Gedanken weit weg.

„Zwei meiner Mitschüler und eine meiner Lehrerinnen sind dabei umgekommen. Ich war reisekrank und mein Fenster war offen, damit ich mich nicht übergab. Deshalb konnte ich so schnell dort rauskommen. Meine Eltern haben mich wegen der Albträume und zur Trauerbewältigung zu einer Psychologin geschickt. Wow, ich habe die Stimmung ziemlich runtergezogen. Tut mir leid, dass ich so eine Spaßbremse bin.“

Von wegen Spaßbremse. Sie war unglaublich. Er widersprach ihr mit einem Grummeln und fuhr in die Einfahrt zu dem großen viktorianischen Haus, das Tuesday mit Natalie bewohnte. Der Bewegungsmelder tauchte die Hausfront in Licht und gab hübsche Blumenbeete und eine Veranda mit einladendem Mobiliar preis.

Er stellte den Motor ab und wandte sich ihr zu. „Wie es aussieht, haben wir beide unsere Stille gefunden.“

Sie nickte. Auf ihrem Gesicht lag ein Schatten, sodass er ihre Miene nicht so gut erkennen konnte. „Und uns unsere Einsamkeit eingestanden, hm?“

Vielleicht war es so, aber jetzt musste er nicht einsam sein, und sie genauso wenig. Er ignorierte ihre rhetorische Frage. „Lass mich dich ins Haus begleiten. Um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist.“

„Wird das jetzt ein mitleidiges Gute-Nacht-Händeschütteln für die Witwe?“

Ezra verkniff sich ein ärgerliches Knurren, stieg aus, ging um den Wagen herum auf ihre Seite, öffnete die Tür und zog sie auf die Füße.

Dann trat er nahe an sie heran. „Ist es das, was du von mir willst, Tuesday? Mitleid? Das kann ich dir bei Tageslicht in einem Café geben. Ich kann dir auch ein Buch über Trauer schicken, aber ich wette, du hast dein eigenes geschrieben.“

Ihr Blick schnellte hoch und hielt seinen fest. Herausfordernd. Gut so. Er wollte nicht, dass sie Angst hatte oder eingeschüchtert war; sie sollte wissen, wer er war, und ihn dennoch begehren.

Sie leckte sich über die Lippen und zuckte mit den Schultern. „Ich will, dass du mich berührst und mich niemals glauben lässt, dass du Mitleid mit mir hast. Menschen sterben, Ezra. Es ist passiert, als ich neun war, und es ist vor vier Jahren passiert. Ich werde sterben. Du wirst sterben. Es ist das, wozu wir geboren wurden. Ich brauche dein Mitleid nicht, ich brauche deinen Schwanz.“

Überrascht lachte er schallend. Offensichtlich wollte sie das Thema im Augenblick nicht vertiefen, also beließ er es dabei, denn er wusste, wie das war. „Ich denke, damit kann ich dienen.“

„Also gut, dann.“ Sie hakte sich bei ihm ein und ging los. Ihre High Heels baumelten von ihren Fingern, als sie die Treppe zur Veranda hinaufstiegen.

Ezra war sicher, dass mit dem Haus alles in Ordnung war; sie hatten gute Schlösser und ein Alarmsystem. Es war nicht so, dass er sie ins Haus begleiten musste oder sich um ihre Sicherheit sorgte. Sharon Hurleys Söhne mochten in der Schule zwar Satansbraten gewesen sein, aber sie hielten anderen Leuten immer die Tür auf; sie sagten Bitte und Danke, Sir und Ma’am, und sie brachten ihre Dates zur Tür. Die Hurleys besaßen einen großen Beschützerinstinkt gegenüber den Leuten, die sie zu den Ihren zählten.

Den Ihren. Tuesday war die beste Freundin der Freundin seines Bruders. Und er selbst sah sie auch als Freundin. Mehr war es nicht.

Einen Augenblick blieb Ezra dabei, dann gab er auf, sich selbst etwas vorzumachen.

Er wollte mit ihr zusammen sein. Allein an einem Ort, wo er sie unter sich spüren und eine Weile genießen konnte. Natalie würde bei Paddy sein, sodass sie das Haus ganz für sich hätten und es unwahrscheinlich war, von jemandem gestört zu werden, dessen Nachname mit einem Y endete.

Tuesday schaltete das Licht ein und drehte sich zu ihm um. Der große Wohnbereich wurde in warmes Licht getaucht. Er war schon einmal hier gewesen, als Natalie dabei gewesen war, aber jetzt war er zum ersten Mal mit Tuesday allein hier. Es war ein wirklich schöner Raum, aber er war nicht gekommen, um sich Möbel anzuschauen.

„Dieses Lächeln in deinem Gesicht …“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Sollte ich mich freuen oder mir Sorgen machen?“

„Jedes Lächeln von mir, das dir gilt, sollte ein Grund zur Freude für dich sein.“

„Wow. Das ist eine echt gewagte Aussage, Ezra.“

„Ich stecke voller gewagter Aussagen, Schönheit.“

Sie ließ ihre Schuhe fallen, ging ohne zu zögern auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Brust. „Ich denke, das würde ich gern herausfinden. Komm mit nach oben. Ich will dir meine Seite des Hauses zeigen.“

4. KAPITEL

Lie nahm seine Hand und führte ihn durch das Haus. „Nat und ich bewohnen jeweils die Hälfte des oberen Stockwerks. Mein Zugang ist hier hinten.“

Ihr Treppenflügel wand sich einen Aufgang hinauf, der hauptsächlich aus Fenstern bestand. Besser noch, als er höher hinaufblickte, konnte er erkennen, dass die oberen Scheiben aus Bunt-glas bestanden.

„Ist es so schön, wie ich es mir vorstelle, wenn das Licht im richtigen Winkel einfällt?“

„Ja. Dieser gesamte Raum hier erstrahlt in Blau- und Rottönen. Das sind die Originalscheiben, die die Leute, die Natalie das Haus verkauft haben, herausgenommen und mit Klarglas ersetzt hatten. Die Buntglasscheiben haben wir im Schuppen gefunden, in einwandfreiem Zustand.“

Ein paar Schritte weiter tauchte er ein in Tuesdays Reich. Die Eleganz und die klassischen Linien überraschten ihn nicht, aber er fand diesen Raum – ihren privaten Bereich – unerwartet romantisch.

Die Möbel in ihrem Reich waren geschwungen und verschnörkelt. Ezra wusste nicht, wie man den Stil nannte, aber er gefiel ihm. Stuck zierte die Wände, ohne den Raum zu beherrschen. Sanftes Blau und Gelb ergänzten einander in einem Sitzbereich mit einem kleinen Zweiersofa und einem Tisch. An einer Wand waren Bücherregale aufgebaut, die das Fenster umrahmten, vor dem eine Chaiselongue mit einem Plaid über der Rückenlehne stand. Auf einem Beistelltisch lag ein E-Reader.

Die Vorstellung, wie herrlich es sein musste, an einem faulen Nachmittag mit einem Buch dort zu liegen, weckte Sehnsucht in ihm. Es war viel zu lange her, seit er sich den Luxus des Faulseins gegönnt hatte.

„Die Leseecke?“

Sie nickte. „Als ich zum ersten Mal hier raufkam, war dieser Teil des Hauses leer. Natalie hatte nicht genug Möbel gehabt, um ihn einzurichten, und sie hatte wirklich nur ihre Seite des oberen Stockwerks bewohnt. Wie auch immer. Ich kam hier hoch, es war Nachmittag, und das Licht fiel genau im richtigen Winkel auf den Fußboden, und ich wusste, dass dies ein Ort war, wo ich sein sollte. Ich lese viel. Ich lese gern im Bett, aber manchmal möchte ich da drüben an meinem Fenster sitzen, mit einer Decke über den Beinen, und lesen, während es draußen regnet.“

„In meinem Haus habe ich eine ganze Bibliothek. Sie ist Teil meines Heimstudios und Übungsraums. Aber mir geht es genauso – ich lese gern im Bett.“

Sie neigte den Kopf zur Seite. „Ich sehe dich sehr selten einmal nicht in Bewegung. Wahrscheinlich wäre ich total überrascht, wenn ich dich einmal in ein Buch versunken anträfe.“

„Als ich in der ersten Klasse war, konnte ich immer noch nicht lesen, und meine Eltern haben mit der Schule hin- und herdiskutiert. Die Lehrer hatten behauptet, ich sei nicht besonders klug, und du hast ja meine Mutter kennengelernt, somit kannst du dir vorstellen, wie das bei ihr ankam. Schließlich fragte meine Mom: ‚Kann er nicht etwas anderes lesen? Etwas, das er sich selbst aussuchen darf?‘ Sie waren einverstanden, wahrscheinlich nur, damit sie Ruhe gab und verschwand, aber damit hat sie immer Erfolg.“

Tuesdays Lachen zog ihn näher zu ihr.

„Lass mich raten, wie es ausgegangen ist. Als du entscheiden konntest, hast du gern gelesen. Es hat dir nur nicht gefallen, dass jemand anders die Entscheidungen für dich traf.“

„Ich gestehe, das ist eine Eigenart von mir.“ Er sah sie an und sein Blick stellte klar, woran er dachte. „Ich habe gern die Zügel in der Hand.“

Sie blinzelte ein paarmal. „Ist das jetzt eine Anspielung auf Sex? Entschuldige. Ist es unsexy, danach fragen zu müssen? Wahrscheinlich hätte ich lieber den Mund halten sollen.“

„Schönheit, du bist mehr als sexy. Es ist eine allgemeine Bemerkung, die sich zufällig auch auf Sex bezieht.“

Zu sehen, wie diese superselbstsichere Frau bei dem Thema – das ihn selbst leicht nervös machte – ins Schwitzen geriet, erfüllte ihn mit einer Zärtlichkeit, die er nur selten für jemanden empfunden hatte, der nicht zu seiner Familie gehörte.

Sie zuckte mit den Schultern. „Dann müssen wir wohl herausfinden, ob dein Kontrollbedürfnis mit meinem Bedürfnis, dich von oben bis unten abzulecken, kompatibel ist.“

Tuesday wusste, dass sie sehr viel selbstsicherer klang, als sie sich fühlte. Sex mit ihm? Ja. Ja, und noch mal ja. Aber Kontrolle? Was bedeutete das? Etwas Gruseliges? Oder etwas Heißes? Es gab Leute, die Sachen wie Handytracking und ähnliche Kontrollgeschichten megageil fanden. Sie gehörte nicht dazu.

Sie brauchte keinen Dad. Oder einen Beschützer. Oder einen weißen Ritter. Schon gar keinen Stalker.

„Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, scheint es ein interessantes Gespräch zu sein, das sich da in deinem Kopf abspielt.“ Er versuchte vergeblich, sein Lächeln zu unterdrücken, und sie war bezaubert.

Ezra war eine Nummer zu groß für sie. Diese Anziehungskraft zwischen ihnen war überwältigend, könnte jedoch unschön enden.

Aber es fühlte sich so gut an, dass sie sich dennoch darauf einließ.

Sie war an selbstbewusste, intelligente Männer gewöhnt. Aber Ezra war nicht irgendein Kerl, mit dem sie nur eine Weile vögeln wollte.

„Ich habe nur überlegt, was du mit Kontrolle meinen könntest.“

Der Blick, mit dem er sie musterte, war fast körperlich spürbar. Er zog eine Augenbraue nach oben, und in seinen Mundwinkeln zeichneten sich Grübchen ab. In diesem Augenblick sah er geradezu lächerlich verführerisch aus, zerzaust, groß und liebenswert.

Tuesday mochte große Männer. Es gab Leute, die auf braune Augen standen; sie mochte große Männer mit breiten Schultern. Der Stoff seines Shirts spannte sich über so viel gebräunte Haut und von der Arbeit gestählte Muskeln, dass sie nicht wegschauen konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte. Wenn etwas kaputt ging, er würde es reparieren können. Wenn etwas schwer war, er würde es tragen.

Aber Ezra war nicht nur körperlich groß; auch seine Ausstrahlung war überwältigend, und er schien vor Energie und Kraft nur so zu strotzen.

Das machte sie gierig, denn Ezra Hurley war wie ein Chocolate Lava Cake. Man wusste, dass der kleine Kuchen mit dem Kern aus flüssiger Schokolade massig Kalorien hatte und es eine klebrige Angelegenheit werden würde, aber man wollte es trotzdem, weil klebrig und kalorienreich in der Regel einen unvorstellbaren Genuss bedeutete.

Sie hatte vor, sich an diesem Mann gütlich zu tun, und das würde sie – ohne sich im Nachhinein zu rechtfertigen oder zu kritisieren. Sie wollte ihn, und er wollte sie, und was zwischen ihnen war, war so heiß, unwiderstehlich und sexy, dass sie von seinem Testosteron schon ganz trunken war.

Sie stöhnte. „Du hast einen großen Schwanz, oder?“

Es dauerte ein wenig, bis ihre Frage ganz zu Ezra durchgedrungen war und er reagierte. Das war so lustig, dass sie beinahe vergaß, dass ihr der Kommentar über seinen Schwanz tatsächlich rausgerutscht war.

Siehst du? dachte sie. Betrunken. Wie ein Amateur. Ich bin kein Amateur, verdammt noch mal! „Ähm.“ Sie legte sich die Hände vors Gesicht und spürte, wie warm ihre Haut an den Handflächen war.

„Ich hatte eigentlich nicht vor, das laut auszusprechen.“

Er trat nahe genug an sie heran, um die Arme um ihre Taille legen zu können. Ohne ihre High Heels war er jetzt viel größer, und sie musste nach oben blicken, aber er lächelte.

„Du kannst dich einfach selbst davon überzeugen, falls du neugierig bist.“

Sie hielt ihn wie er sie, aber ihr Griff um seine Hüfte lockerte sich, als er sie näher heranzog und so positionierte, wie es ihm gefiel.

Und da begriff sie auf einmal, wie er das mit der Kontrolle gemeint hatte.

Ezra hatte die Führung übernommen, und ihr gefiel es.

Der leichte Schmerz, als er sie bewegte und dabei seine Finger in ihre Arme drückte, stellte alles Mögliche mit ihren Hormonen an. Ja, es war etwas grob, aber nur, weil er sie so sehr begehrte, weil er sie einfach haben musste.

Ezras Präsenz war atemberaubend, seine Aufmerksamkeit ganz auf sie gerichtet.

Es war aufregend. Schmeichelnd. Schwindelerregend.

Er neigte den Kopf, und sie hob ihm ihr Gesicht entgegen, um seinen Kuss zu empfangen. Völlig vertieft widmete er sich ihrem Mund, erforschte ihn und schmeckte alles, als wäre sie etwas Köstliches. Ein Lecken an der Oberlippe. Ein Gleiten der Zunge über ihre Unterlippe. Seine Zunge verschlang sich mit ihrer. Ein kleines Stupsen hier, ein Knabbern dort.

Mit seinem Kuss vertrieb Ezra sämtliche Gründe aus ihrem Kopf, weshalb sie heute Nacht nicht mit ihm schlafen sollte. Was wunderbar war, denn in Wirklichkeit waren ihre Gründe fadenscheinig und dumm gewesen, und er war so warm und hart und das Körperteil, nach dem sie ihn gerade gefragt hatte, presste sich an ihren Bauch.

Ja. Groß.

Als er den Kuss unterbrach, leckte sie sich über die Lippen, um ihn noch ein letztes Mal zu schmecken. „Du hast mein Schlafzimmer noch nicht gesehen.“

Sein Lächeln ließ ihre Klitoris pochen, und Tuesday wusste, dass sie sich das merken musste, um Natalie später davon zu erzählen, denn das gehörte zu den Dingen, die man seiner besten Freundin unbedingt erzählen musste.

„Stimmt. Du bist eine schreckliche Gastgeberin.“

Für einen Mann, in dessen Augen so viel Dunkles lag, hatte er einen wunderbaren Sinn für Humor.

„Ich habe dir nicht mal was zu trinken angeboten.“

„Ich würde dich lieber nackt sehen.“

„Ich mag deine Prioritäten.“

Sie nahm seine Hand und führte ihn ins Schlafzimmer. Es war ihr persönliches Reich. Natalie ließ öfter Leute in ihr Zimmer, aber Tuesday war da zurückhaltender. Natürlich waren ihre engen Freundinnen schon hier oben gewesen, aber sie hatte noch nie einen Mann in ihr Schlafzimmer gelassen, seit sie in diesem Haus wohnte. Genau genommen hatte sie seit vier Jahren mit niemandem mehr das Bett geteilt. Nicht, seit sie verheiratet war, und sie ging davon aus, dass sie noch immer verheiratet war. Tot war schließlich nicht dasselbe wie Scheidung, richtig?

Der Gedanke traf sie mit solcher Wucht, dass sie sich auf die Bettkante setzen musste.

Besorgt kniete Ezra sich neben sie und sah sie an. „Tuesday? Ist alles in Ordnung?“

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