Julia Best of Band 186

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VERFÜHRT VON EINEM SCHEICH von GREEN, ABBY
Nichts erscheint Julia aufregender als die sanften Berührungen von Scheich Kaden. Und seit ihrer letzten Begegnung vor zwölf Jahren ist er noch attraktiver geworden! Sie kann seinen Verführungsversuchen nicht widerstehen. Doch dann erfährt sie, dass er bald heiratet …

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  • Erscheinungstag 15.04.2017
  • Bandnummer 0186
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708870
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Abby Green

JULIA BEST OF, BAND 186

1. KAPITEL

„Der Emir von Burquat. Seine Königliche Hoheit Scheich Kaden Bin Rashad al Abbas.“

Kaden ließ den Blick über die im Ballsaal des exklusiven Londoner Royal Archaeology Club versammelten Gäste schweifen, deren ungeteilte Aufmerksamkeit sich sofort auf ihn richtete. Es machte ihm nichts aus, angestarrt zu werden. Er kannte es nicht anders. Lässig eine Hand in der Hosentasche haltend schritt er die eleganten Marmorstufen hinunter und beobachtete mit unbewegtem Gesicht, wie sich die Menschen, die sich beim Starren ertappt fühlten, schnell abwandten. Oder besser gesagt: Die Männer wandten sich ab. Den Frauen fiel es schwerer, einige verschlangen ihn geradezu mit Blicken – auch die vollbusige Serviererin, die am Fuß der Treppe wartete, um ihm ein Glas Champagner zu reichen. Ihr kokettes Lächeln blieb jedoch unerwidert, denn Kaden nahm das Glas und sah weg. Die Kleine war viel zu jung für sein abgeklärtes Herz.

Schon als Teenager hatte er gemerkt, dass er eine gewisse Anziehungskraft auf Frauen ausübte. Wenn er seine markanten Gesichtszüge im Spiegel betrachtete, fragte er sich allerdings, ob es der Damenwelt nur darum ging, ein zärtliches Lächeln auf seine spöttische Miene zu zaubern. Früher war er nicht zynisch gewesen, doch das war so lange her, dass er sich kaum noch daran erinnern konnte. Vielleicht hatte er es auch nur geträumt.

In diesem Moment fiel sein Blick auf eine blonde Frau, die sich deutlich von den dunkelhaarigen Gästen abhob. Sein Körper reagierte sofort. Immer noch. Nach so langer Zeit! Kaden verfluchte sich für diesen unwillkürlichen Reflex, der von einer Erinnerung ausgelöst worden war, die kaum mehr als ein flüchtiger Traum gewesen war. Dann wandte er sich erleichtert dem Geschäftsführer des Clubs zu, der auf ihn zueilte.

Julia Somertons Herz raste, ihr wurde schwindlig.

Kaden.

Hier.

Im selben Raum!

Würdevoll schritt er die Treppe hinunter und verschwand in der Menge – obwohl er die meisten Menschen überragte. Doch der erste Eindruck von ihm, wie er dort oben einer eleganten dunkelhaarigen Gottheit gleich den Ballsaal überblickte, hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. In ihrem Herzen bewahrte sie sein Bild schon seit Jahren, trotz aller Versuche, es auszulöschen.

Als seine Ankunft verkündet worden war und Julia erstaunt aufgeblickt hatte, war ihr sofort aufgefallen, dass er noch immer so blendend aussah wie bei ihrer ersten Begegnung. Groß, breitschultrig, dunkelhaarig, exotisch – mit den markanten Gesichtszügen eines Mannes, dessen Vorfahren seit Menschengedenken in dem kargen, unwirtlichen Land Burquat überlebt hatten. Selbst aus der Entfernung nahm der Blick seiner fast schwarzen Augen sie gefangen. Sie waren so dunkel, dass man sich in ihnen zu verlieren glaubte. Und war ihr nicht genau das passiert?

Seltsam, auch nach all den Jahren hatte er noch immer diese Wirkung auf sie. Genau genommen waren seit ihrer letzten Begegnung zwölf lange Jahre ins Land gegangen. Inzwischen hatte sie eine Scheidung hinter sich und war vieler Illusionen beraubt worden. Das idealistische junge Mädchen von damals gab es nicht mehr!

Sie war gerade zwanzig Jahre alt geworden, als sie Kaden – wenige Wochen vor seinem zwanzigsten Geburtstag – zum letzten Mal gesehen hatte. Damals hatte sie ihn gern damit aufgezogen, dass er etwas mit einer „älteren“ Frau hatte.

Allein die Erinnerung daran versetzte ihrem Herzen einen schmerzhaften Stich. Als Julia erschrocken zusammenzuckte, fragte einer der umstehenden Kollegen besorgt: „Alles in Ordnung, Julia? Du siehst plötzlich kreidebleich aus.“

Mit bebender Hand stellte Julia ihr Glas auf einen Tisch und antwortete heiser: „Es ist nur die Hitze. Ich gehe kurz an die frische Luft.“

Blicklos bahnte sie sich einen Weg zwischen den dicht gedrängten Gästen hindurch zu den Terrassentüren, hinter denen sich ein gepflegter Garten auftat. Sie registrierte nur am Rande, dass der Kollege sie bat, sich nicht zu weit zu entfernen. „Du musst doch gleich deine Rede halten.“

Sobald sie auf die Terrasse trat, atmete sie tief ein und aus. Sie fühlte sich schwach und hatte das Gefühl, neben sich zu stehen. Offenbar hatte sie einen Schock erlitten! Außerdem schien sich an diesem schwülen Abend Mitte August ein Gewitter zusammenzubrauen. Die Luft über der Stadt war schwül. Dunkle Wolken waren heraufgezogen und kamen bedrohlich näher.

Der Garten des Royal Archaeology Club war berühmt für seine exotischen Pflanzen, die Archäologen von ihren abenteuerlichen Reisen aus aller Welt mitgebracht hatten und die von den Gärtnern des Clubs liebevoll gehegt und gepflegt wurden. Doch Julia nahm diese Pracht gar nicht wahr. Sie klammerte sich so fest an die Brüstung, dass die Knöchel gespenstisch weiß hervortraten. Vor ihrem geistigen Auge lief ein Film bittersüßer Erinnerungen ab.

Verzweifelt drängte sie die aufsteigenden Tränen zurück. Aus heiterem Himmel überkam sie das Gefühl, einen schmerzlichen Verlust erlitten zu haben. Wie hatte alles so falsch laufen können? Sie war zweiunddreißig Jahre alt und stand, wie manche sagen würden, in der Blüte ihres Lebens, aber sie selbst hatte eher den Eindruck, ihre besten Jahre lägen bereits hinter ihr. An dem Tag vor zwölf Jahren, als ihre Maschine vom Flughafen des auf der Arabischen Halbinsel gelegenen Emirats Burquat abgehoben war, war etwas in ihr gestorben. Zwar hatte sie ihr Studium abgeschlossen und sogar promoviert, geheiratet und ihren Ehemann auf ihre Weise geliebt, doch sie hatte nie wieder richtig tief empfunden. Der Grund dafür befand sich im Ballsaal hinter ihr – bedrohlich und unheilvoll. Sie hatte ihn so sehr geliebt!

„Dr. Somerton, es wird Zeit für Ihre Rede.“

Der dringliche Tonfall riss Julia aus ihren Gedanken. Mühsam gelang es ihr, neue Kräfte zu mobilisieren. Sie atmete noch einmal tief durch, dann drehte sie sich um. Mit Spannung wurde im Ballsaal ihre fünfzehnminütige Rede erwartet – und sie würde sie in dem Wissen halten müssen, dass er da war und ihr zusah.

Falls er sich überhaupt an mich erinnert.

Vielleicht hatte er sie auch längst vergessen. Julia presste die Lippen zusammen. Sicher hatte er genug Frauen gehabt, um sich nicht im Detail an jede zu erinnern. Verheiratet war er auch gewesen. Leider musste sie zugeben, dass sie ebenso gut über ihn informiert war wie die Leute, die in der Mittagspause Klatschblätter verschlangen.

Möglicherweise würde er sich wundern, wieso sie ihm bekannt vorkam. Energisch unterdrückte Julia den erneuten Schmerz. Vielleicht hatte er die langen Nächte in der Wüste vergessen, in denen sie sich unter dem glitzernden Sternenhimmel wie die einzigen Menschen auf der Welt vorgekommen waren. Vielleicht erinnerte er sich nicht mehr an den ergreifenden Augenblick, als sie beide eins geworden waren. Es war für sie beide die erste Begegnung mit der körperlichen Liebe gewesen. Die anfängliche Unerfahrenheit war bald heißer Leidenschaft und unersättlichem Verlangen gewichen.

Vielleicht hatte er auch vergessen, was er ihr eines Nachts zugeflüstert hatte: „Ich werde dich immer lieben. Keine andere Frau wird jemals mein Herz so erobern wie du.“ Und vielleicht erinnerte er sich auch nicht mehr an den schrecklichen Tag, als er ihr im prachtvollen königlichen Palast von Burquat eine so kalte, distanzierte und grausame Abfuhr erteilt hatte.

Julia war sich sicher, dass sie für einen Mann wie Kaden längst in Vergessenheit geraten war. Daher widerstand sie dem Impuls, den altehrwürdigen Club fluchtartig zu verlassen. Stattdessen setzte sie ein Lächeln auf und folgte ihrem Kollegen zurück in den Ballsaal. Dabei versuchte sie verzweifelt, sich zu erinnern, worüber sie eigentlich reden sollte.

„Ach, Scheich Kaden, da sind Sie ja. Dr. Julia Somerton wird gleich ihren Vortrag halten. Sie hat in Burquat für ihre Abschlussarbeit geforscht. Vielleicht kennen Sie sich von damals? Inzwischen ist sie dafür zuständig, Drittmittel für archäologische Forschungen weltweit zu verwalten.“

Kaden musterte den rotgesichtigen Mann, der sich durch die Menge zu ihm vorgearbeitet hatte, und nickte vage. Der Geschäftsführer hatte ihn eingeladen, weil er sich davon Spendengelder erhoffte. Kaden versuchte zu verbergen, wie sehr es ihn schockiert hatte, den Namen Julia zu hören, und redete sich ein, es könne sich gar nicht um dieselbe Frau handeln. Zwar war er in Burquat nie wieder einer Julia begegnet, aber schließlich kamen viele ausländische Studenten in sein Heimatland. Und sein Interesse an Ausgrabungen war schlagartig erloschen, nachdem Julia das Emirat verlassen hatte.

Welch eine Ironie des Schicksals, dass er bei seinem ersten Ausflug in die Welt der Archäologie nach zwölf Jahren wieder auf eine Julia treffen musste. Diese hier hieß allerdings Somerton, nicht Connors. Vielleicht hatte sie inzwischen geheiratet. Er war ja schließlich auch verheiratet gewesen. Beim Gedanken an seine Ehe stieg kalte Wut in ihm auf, die er jedoch sofort im Keim erstickte. Er gehörte eigentlich nicht zu den Menschen, die sich ständig mit der Vergangenheit befassten.

Und doch wurde er jetzt wieder mit ihr konfrontiert. Falls es sich wirklich um Julia handelte. Urplötzlich schlug sein Herz schneller. Das Stimmengewirr im Saal verstummte. Die Welt schien für einen Sekundenbruchteil stillzustehen, als Kaden die schlanke Frau im schwarzen Cocktailkleid erblickte, die soeben die Stufen zum Podium heraufstieg. Julia! Sie war es tatsächlich! Sofort erinnerte er sich, dass er sie aus erotischer Lust auf ein Podest gehoben und gerade noch rechtzeitig erkannt hatte, dass sie dort nichts zu suchen hatte. So war ihm der größte Fehler seines Lebens erspart geblieben.

Schnell schüttelte er die verstörend lebhaften Erinnerungen ab und musterte die Julia von heute. Ihre rauchige Stimme hatte ihn schon bei ihrer ersten Begegnung fasziniert. Damals trug sie ein T-Shirt und staubige enge Jeans, das lange Haar fiel ihr lockig über die Schultern. Eine Art Tropenhelm schützte ihr Gesicht vor der brennenden Sonne. Ihre natürlich-sinnliche Figur hatte ihm die Sprache verschlagen. Und jetzt war sie womöglich noch schöner. Ihr Gesicht war schmaler geworden und die Wangenknochen traten stärker hervor. Die runden mädchenhaften Züge waren verschwunden und auch ihr Körper war schmaler geworden, doch der V-Ausschnitt ihres Kleides ließ ein verführerisches Dekolleté erahnen. Im Gegensatz zur Julia von damals wirkte die Frau auf dem Podium fast zerbrechlich.

Mit dem neunzehnjährigen Mädchen, das er in der staubigen Wüste getroffen und dessen Anblick sich unauslöschlich in seiner Erinnerung eingebrannt hatte, war diese elegante Erscheinung wirklich nicht zu vergleichen. Ihr langes blondes Haar war im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden; ein tiefer Seitenscheitel verlief bis hinter das Ohr, sodass ihr das Haar schräg über die Stirn fiel. Doch auch das elegante Äußere konnte nicht verhindern, dass ein erotischer Film vor Kadens geistigem Auge ablief und ihn in Erregung versetzte.

Sonderbar, dass er so heftig auf eine Exgeliebte reagierte! Es war ihm unbegreiflich. Allerdings musste er widerstrebend zugeben, dass keine andere Frau nach Julia ihn je wieder so erregt hatte. Nur bei ihr hatte er völlig die Kontrolle über sich verloren – jedes Mal. Nie wieder hatte die Eifersucht ihn fast zerfressen, so wie damals, als er Julia in den Armen eines anderen Mannes überrascht hatte, der sie geküsst, seinen Körper an ihren gepresst hatte. Auch dieses Bild quälte ihn jetzt. Er war zu benommen sich zu fragen, was das zu bedeuten hatte.

Diese Frau hatte ihn gelehrt, nie wieder seinen natürlichen Bedürfnissen zu folgen, sondern stets auf seinen Verstand zu hören. Doch bei ihrem Anblick geriet dieser Vorsatz empfindlich ins Wanken. Die Heftigkeit, mit der die Erinnerungen auf ihn einstürmten, verwirrte ihn. Es machte ihn geradezu wütend, dass Julias bloße Anwesenheit solche Emotionen entfesseln konnte.

Als eine Bemerkung von ihr plötzlich amüsiertes Gelächter bei den Zuhörern hervorrief, presste Kaden wütend die Lippen zusammen. Angespannt erklärte er dem Geschäftsführer, der noch immer neben ihm stand, er bräuchte frische Luft, und verließ den Saal durch die offenen Terrassentüren. Sowie Julia ihre Rede beendet hat, verschwinde ich und vergesse dieses Wiedersehen, nahm er sich wütend vor.

Julia verließ das Podium. Fast hätte sie bei ihrem Vortrag den Faden verloren, als Kaden, der die meisten Anwesenden überragte, sie vom anderen Ende des Ballsaals mit loderndem Blick durchbohrt hatte und dann plötzlich nach draußen gestürzt war, als hätte er sich über eine ihrer Bemerkungen geärgert. Nur durch äußerste Selbstbeherrschung war es ihr gelungen, ihre plötzliche Verunsicherung zu überspielen und ihren Vortrag fortzusetzen.

Der Vorfall hatte ihr jedoch so zugesetzt, dass sie sogar froh war, als ihr Vorgesetzter von der Fundraising-Stiftung zu ihr eilte und sie besitzergreifend unterhakte. Normalerweise achtete sie darauf, die Distanz zu ihm zu wahren. Seit ihrer Scheidung vor einem Jahr gab Nigel ihr immer deutlicher zu verstehen, dass er sich für sie interessierte, obwohl Julia nicht auf seine Annäherungsversuche einging. Heute Abend brauchte sie jedoch jede Unterstützung. Wenn der schier endlose Small Talk überstanden war und sie endlich verschwinden konnte, könnte sie sich vielleicht einreden, Kaden wäre gar nicht da gewesen.

Nigel redete aufgeregt auf sie ein, als er sie vom Podium wegführte. Doch der Geräuschpegel im Saal war so hoch, dass Julia kein Wort verstand. Die Gäste sprachen eifrig dem Champagner zu, der gratis ausgeschenkt wurde. Auch Julia sehnte sich nach einem Glas, vielleicht würde sie der Alkohol etwas beruhigen. Doch Entspannung war ihr nicht vergönnt, denn entsetzt musste Julia feststellen, dass Nigel sie direkt zu dem großen schwarzhaarigen Mann an der Terrassentür führte, den sie am liebsten ignoriert hätte. Genau wie damals reichte Kadens dichtes lockiges Haar ein wenig zu lang über den Kragen seines Sakkos.

Wie ein aufsässiges Kind versuchte sie stehen zu bleiben, doch Nigel zog sie einfach weiter und flüsterte ihr zu: „Er ist ein Emir. Ich habe keine Ahnung, wie man ihn anreden muss. Am besten sagen wir einfach ‚Eure Hoheit‘, damit können wir nichts falsch machen. Es wäre ein echter Coup, ihn für die Stiftung zu gewinnen.“

Im Bruchteil einer Sekunde erinnerte sich Julia an die erste Begegnung mit Kaden. Sie hatte erst seit zwei Wochen an der Ausgrabungsstätte gearbeitet und noch mit der enormen Hitze gekämpft, als sie aus dem Augenwinkel ein Paar Männerschuhe wahrgenommen hatte. Ohne aufzublicken, hatte sie den Träger der Schuhe ärgerlich angeherrscht: „Keinen Schritt weiter! Sonst stehen Sie gleich auf einem etwa dreitausend Jahre alten Fossil.“

Der Mann gehorchte. Mit tiefer, leicht fremdländisch klingender Stimme fragte er zuckersüß: „Begrüßen Sie alle Menschen so enthusiastisch?“

Julia biss die Zähne zusammen. Seit ihrer Ankunft stand sie im Mittelpunkt männlichen Interesses – wie sie sich illusionslos eingestand, vermutlich allein deshalb, weil sie blond und die einzige Frau unter fünfzig war.

„Sie sehen doch, dass ich beschäftigt bin!“

Die Schuhe bewegten sich keinen Millimeter und erneut ertönte die Stimme, dieses Mal in arrogantem, vorwurfsvollem Tonfall. „Das gibt Ihnen nicht das Recht, den Kronprinzen zu ignorieren. Ich erwarte Ihre volle Aufmerksamkeit, wenn ich mit Ihnen spreche!“

Bestürzt legte Julia die Bürste hin. Sie hatte völlig vergessen, dass der Emir mit einigen wichtigen Begleitern die Ausgrabungsstelle besuchen sollte – und mit seinem Sohn! Geblendet von der Sonne sah sie höher und höher hinauf zu dem großen breitschultrigen Mann, der über ihr stand. Alles, was sie in dem gleißenden Licht von ihm erkennen konnte, war seine Silhouette. Langsam zog sie die Handschuhe aus und richtete sich auf. Vor ihr stand der unwiderstehlichste Mann, den sie je gesehen hatte. Seine Körpergröße und die breiten Schultern wurden von dem weißen Gewand noch betont. Unter einem Turban lugten pechschwarze Locken hervor, die sich bis über den Kragen kräuselten. Und dann diese hypnotisierenden dunklen Augen! Völlig überwältigt hatte Julia den Helm abgenommen und eine Hand zur Begrüßung ausgestreckt …

„Und das ist Dr. Somerton, deren Vortrag Sie gerade gehört haben. Ihre Aufgabe in der Stiftung besteht darin, sicherzustellen, dass die Spendengelder auch tatsächlich an den jeweiligen Ausgrabungsstätten ankommen.“

Die Vergangenheit verband sich mit der Gegenwart; Julia streckte automatisch die Hand aus und begegnete Kadens Blick, dem sie gern ausgewichen wäre. Gleichzeitig fesselte sie sein Anblick: Kaden trug einen dunklen Anzug und ein blütenweißes Hemd mit offenem Kragen und hob sich dadurch von den anderen formeller gekleideten Gästen ab. Er sah unwiderstehlich aus, aber auch geheimnisvoller und gefährlicher als jeder andere Mann im Club.

Seine jugendliche Erscheinung hatte er sich bewahrt, und er strahlte unbändige Vitalität und erotische Anziehungskraft aus, die noch anziehender und kraftvoller waren als damals. Julia wurde schwindlig. Sein Gesicht wirkte markanter und hatte alles Weiche verloren. Der Nasenrücken war seit einem Bruch leicht gekrümmt, was Kaden erst recht gefährlich erscheinen ließ. Julia erinnerte sich schaudernd, wie er bei der Ausübung des Nationalsports von Burquat zu der Verletzung gekommen war.

Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie auch die Linien, die seine Gesichtszüge harscher erscheinen ließen. Wann mochten die entstanden sein? Unwillkürlich ließ sie den Blick weiter nach unten gleiten. Sein Mund war unverändert – sinnlich und vollkommen mit der volleren Unterlippe und der wunderschön geschwungenen Oberlippe. Hingerissen hatte sie deren Konturen immer wieder mit dem Finger nachgezogen. Heißes Verlangen flammte in ihrem Bauch auf. Und mit der Zunge. Beim Anblick dieses sinnlichen Mundes wurde auch die zynischste Frau schwach und sehnte sich danach, diesen Mann zu erobern.

Bestürzt stellte Julia fest, wie stark dieser Wunsch sie beherrschte. War es denn möglich, dass sie diesen Mann auch nach all den Jahren wieder begehrte?

Noch immer schwebte ihre Hand in der Luft, während Kaden sie genauso unbeweglich ansah wie sie ihn. Kein höfliches Aufblitzen zum Zeichen des Wiedererkennens, stattdessen eine unglaublich angespannte Atmosphäre. Er hatte sie erkannt, freute sich aber nicht über das Wiedersehen. Diese Erkenntnis durchzuckte Julia, als Kaden schließlich ihre schmale Hand in seine große nahm. Bei der Berührung explodierte ein wahres Gefühlsfeuerwerk in ihrem Körper.

Seine gute Erziehung verbot es ihm, Julias ausgestreckte Hand zu ignorieren, auch wenn ihm das lieber gewesen wäre. Also umschloss er sie und biss die Zähne zusammen, um sich gegen den Körperkontakt zu wappnen. Natürlich funktionierte das nicht! Sowie er ihre zarte Hand in seiner spürte, wollte er impulsiv den Daumen zwischen ihren Daumen und Zeigefinger schieben, einer sinnlichen Liebkosung gleich. Er sehnte sich danach, jeden Millimeter ihrer Handfläche mit seinen Fingern zu erforschen.

Mit allen Sinnen wollte er diese Frau aufs Neue kennenlernen. Durch den Körperkontakt geriet Kaden in einen sinnlichen Strudel biblischen Ausmaßes. Verblüfft überlegte er, wann ein einfacher Händedruck je ein so überwältigendes Verlangen in ihm entfesselt hatte.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: vor zwölf Jahren an einem glutheißen Nachmittag auf einer staubigen Ausgrabungsstätte, als dieselbe Frau schüchtern gelächelt und ihm die Hand gereicht hatte! Zu Kadens großem Verdruss löste sich in diesem Moment sein Vorsatz in Wohlgefallen auf, diese Frau einfach zu ignorieren, denn über ihm schlug eine Welle unbezwingbarer Lust zusammen.

2. KAPITEL

Julia hatte das Gefühl, der Boden schwanke unter ihren Füßen. Kaden machte keine Anstalten, ihre Hand freizugeben, und sie selbst brachte nicht die Energie auf, sie ihm zu entziehen. Sein zweideutiger Blick weckte heißes Verlangen in ihr. Verzweifelt versuchte sie, die schmerzliche Sehnsucht zurückzudrängen. Doch die Tatsache, dass sie Kaden gegenüberstand, überforderte sie völlig und machte sie praktisch willenlos.

Der intensive Ausdruck in Kadens dunklen Augen verschwand so schnell, wie sie ihn entdeckt hatte. Seine Aufmerksamkeit richtete sich jetzt auf die Gesellschaft, in der sie sich befanden. Julia hatte alles um sie beide herum völlig vergessen und erschrak, als Kaden ihre Hand so plötzlich losließ, als hätte er sich verbrannt. Sie fröstelte und widerstand dem Impuls, ihren Körper schützend mit den Armen zu umfassen.

Nigel übernahm nervös die Vorstellung. „Seine Königliche Hoheit, der Emir von Burquat.“ Erwartete er etwa einen Hofknicks von ihr? Julia unterdrückte ein hysterisches Kichern und fing Kadens Blick auf, der nun wieder auf ihr lag.

„Dr. Somerton.“

Seine Stimme klang so vertraut, aber seltsam kühl.

Erst jetzt bemerkte Julia den kleinen rotgesichtigen Mann, der neben Kaden stand. Es handelte sich um den Geschäftsführer des Clubs. Wie von weit her vernahm sie seine Stimme.

„Kennen Sie sich schon, Dr. Somerton? Sie haben sich doch zu Studienzwecken in Burquat aufgehalten.“

Ein heftiger Schmerz durchzuckte Julia bei der Erinnerung. Hilfe suchend schaute sie Kaden an.

Der rang sich ein vages Lächeln ab. „Ich bin mir nicht sicher. Wann genau waren Sie in Burquat?“

Diese Abfuhr verletzte sie zutiefst. Genauso hatte sie sich gefühlt, als sie vor zwölf Jahren aus Burquat abgereist war. Dass dieser Mann mit einem Satz all die schmerzlichen Erinnerungen von damals wecken konnte, war verheerend. Aber vielleicht spürte er, wie unerträglich die Situation für Julia war. Immerhin hatte sie sich ihm damals an den Hals geworfen! Möglicherweise wollte er sie jetzt nicht in Verlegenheit bringen.

Julia zwang ein höfliches Lächeln auf ihre Lippen. „So genau weiß ich das jetzt selbst nicht mehr. Es ist ja schon so lange her“, behauptete sie und wandte sich den anderen beiden Männern zu. „Wenn Sie mich dann bitte entschuldigen würden, meine Herren. Ich bin erst heute Nachmittag aus New York zurückgekehrt und leide unter Jetlag.“

„Ihr Mann erwartet Sie sicher bereits zu Hause. Oder ist er auch hier?“

Kadens Unverfrorenheit schockierte Julia. Was fällt ihm eigentlich ein? überlegte sie wütend. Erst gibt er vor, mich nicht zu kennen, und nun stellt er mir eine so persönliche Frage? Abweisend stieß sie hervor: „Nur zu Ihrer Information, Hoheit: Ich bin geschieden.“

Die knappe Antwort stürzte Kaden in ein neues Gefühlschaos. Er hatte sich vorgestellt, wie sie im trauten Heim von einem gesichtslosen Ehemann begrüßt wurde. Bei der Vorstellung war ihm schwarz vor Augen geworden. In seiner Verzweiflung hatte er daher schnell die Frage gestellt. Und schon folgte – wie aus der Pistole geschossen – die nächste: „Und wieso tragen Sie noch den Namen Ihres Exmannes?“

Julias Gesichtszüge verhärteten sich. „Weil es sehr aufwendig ist, den Namen zu ändern. Irgendwann werde ich aber wieder meinen Mädchennamen annehmen.“

Es hatte den Anschein, als existierten nur Kaden und sie. Die anderen Männer waren unbeachtet in den Hintergrund gerückt. Schließlich wurde es Nigel zu bunt. Er drängte sich näher an sie und umfasste besitzergreifend ihren Ellbogen.

Wenige Augenblicke zuvor hätte Julia diese stützende Geste begrüßt, doch jetzt machte sie schnell einen Schritt zur Seite, um Nigels Hand abzuschütteln. Das wird er mir sicher übel nehmen, dachte Julia. Ihr Kopf schmerzte. Der Geschäftsführer neben Kaden wirkte perplex, weil er sich die angespannte Atmosphäre nicht erklären konnte.

Julia wusste, dass sie Kaden nur aus Höflichkeit vorgestellt worden war. Ihr Chef erwartete nicht von ihr, neue Spender zu gewinnen. Ihre Aufgabe bestand darin, Spendengelder bestmöglich einzusetzen. Hätte sie geahnt, dass Kaden der Veranstaltung beiwohnen würde, wäre sie länger in New York geblieben, um ihm nicht begegnen zu müssen.

Ich muss hier raus! dachte sie verzweifelt und entfernte sich noch einen Schritt von dem Trio. „Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, meine Herren!“

Sie spürte Nigels und Kadens verärgerte Blicke im Rücken, als sie sich auf unsicheren Beinen zum Ausgang begab. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis sie sich einen Weg durch die Menschenmenge gebahnt hatte. Schließlich hatte sie es fast geschafft, als jemand sie am Arm festhielt. Widerstrebend wandte sie sich um. Nigel! Sein ebenmäßiges Gesicht war gerötet.

„Kannst du mir mal verraten, was das eben zu bedeuten hatte?“

Erneut schüttelte sie seine Hand ab und ging weiter. „Gar nichts, Nigel. Ich bin müde und möchte nach Hause. Das ist alles.“

Hoffentlich überhörte er die Panik in ihrer Stimme! Julia wusste nicht, was passieren würde, wenn sie noch eine Minute länger in diesem Club bliebe. Mit bebender Hand reichte sie der Garderobiere die Abholmarke und wartete ungeduldig auf ihre Jacke.

„Ihr kennt euch also von früher, oder? Bei der spannungsgeladenen Atmosphäre hätte das sogar ein Blinder bemerkt.“

Julia seufzte ergeben. „Das ist eine halbe Ewigkeit her.“ Sie griff nach der Jacke und fügte behutsam hinzu: „Nicht, dass dich das etwas anginge, Nigel.“

Die Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. „Und ob es mich etwas angeht, wenn der potenziell aussichtsreichste Spender des Abends abgeschreckt wird, weil er mal was mit meiner Spendenbeauftragten gehabt hat.“

Sein Tonfall missfiel ihr. Trotzdem bemühte sie sich, höflich zu bleiben. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass so eine Kleinigkeit seine Spendenbereitschaft beeinflusst. Und falls doch, ist es erst recht besser, wenn ich jetzt verschwinde.“

Erneut hielt Nigel sie zurück. Seine verschwitzte Hand, bei deren Kontakt Julia leichte Übelkeit empfand, unterschied sich völlig von Kadens kühler, aber erregender Berührung.

„Bitte verzeih mir, Julia.“ Nigel lächelte zerknirscht. „Darf ich dich als Wiedergutmachung an einem der nächsten Tage zum Abendessen einladen?“

Julia widerstand dem Impuls, die Einladung anzunehmen, um Nigel für den Moment abzuwimmeln. Das Wiedersehen mit Kaden hatte sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Dabei hatte sie sich eingebildet, ihr Leben nach der Scheidung wieder völlig im Griff zu haben. Doch nur einige Minuten in Kadens Nähe hatten ihre Welt bereits bedenklich ins Wanken gebracht.

Ablehnend schüttelte Julia den Kopf. „Nein, vielen Dank, Nigel. Ich bin einfach noch nicht bereit für eine neue Beziehung. Tut mir leid.“ Sie entzog ihm die Hand und trat einige Schritte zurück. „Wir sehen uns morgen im Büro.“ Wahrscheinlich würde er sie den ganzen Tag unter seiner schlechten Laune leiden lassen, weil sie ihm eine Abfuhr erteilt hatte.

Hastig drehte Julia sich um und erreichte mit wenigen Schritten endlich den Ausgang. Sie konnte es kaum erwarten, sich in ihre eigenen vier Wände zurückzuziehen, aus dem engen Cocktailkleid zu schlüpfen und es sich gemütlich zu machen. Diesen Abend und die Tatsache, dass die Vergangenheit sie mit der Wucht eines Vorschlaghammers getroffen hatte, wollte sie so schnell wie möglich vergessen.

Eigentlich hätte Kaden sich nach Julias überstürztem Aufbruch wieder auf die Rolle konzentrieren sollen, die an diesem Abend von ihm erwartet wurde. Bei jeder anderen ehemaligen Geliebten wäre ihm das nicht schwergefallen, aber nun spürte er den dringenden Impuls, Julia zu folgen. Insbesondere nachdem er Zeuge geworden war, wie dieser unterwürfige Mann sich erdreistet hatte, Julia anzufassen, und ihr dann wie ein vernarrtes Schoßhündchen nachgelaufen war.

Daher entschuldigte er sich bei dem immer noch leicht verwirrt wirkenden Geschäftsführer des Clubs und bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, ohne auf das Getuschel zu achten. Euphorisch gehorchte er seinem Instinkt. Er fühlte sich wie ein Adler, der seine Beute bereits fest im Blick hat und sie sich nicht entgehen lassen würde.

Schon vor zwölf Jahren hatte sein Verstand ausgesetzt, wenn es um Julia ging. Noch immer fühlte er sich in ihrer Nähe wie berauscht. Er konnte nichts dagegen tun. Erst als er die verlassene Eingangshalle erreichte, wurde ihm bewusst, dass sein Handeln völlig irrational war. Julia war verschwunden!

Warum nur stürzte ihn diese Tatsache in tiefe Trostlosigkeit? Woher rührte der dringende Wunsch, sie zu finden? Er war doch eigentlich fertig mit Julia. Und zwar seit vielen Jahren.

Kaden ärgerte sich über seinen schwachen Moment und rief seine Sicherheitskräfte – wild entschlossen, den Club auf der Stelle zu verlassen und zu vergessen, dass er Julia Connors, beziehungsweise Somerton, wie sie sich jetzt nannte, wieder begegnet war. Es kam gar nicht infrage, sich je wieder von seinen Gefühlen leiten zu lassen, statt auf seinen Verstand zu hören. Damals hatte er sein persönliches Vergnügen über Pflichten und Verantwortung gestellt. Das durfte nie wieder passieren!

Julia hatte den Eingang der nahe gelegenen U-Bahn-Station bereits im Blick. Im nächtlichen London herrschte drückende Schwüle, die sich um Julias Körper legte und ihre Haut benetzte. Entferntes Donnergrollen und auffrischender Wind kündigten ein Gewitter an. Dunkle tief hängende Wolken hatten sich bedrohlich über der Stadt zusammengezogen. Das Wetter passte durchaus zu Julias Stimmung. Noch verstörender war allerdings die Tatsache, dass sie in der letzten Zeit immer wieder aufwühlende Träume gehabt hatte, in deren Mittelpunkt stets Kaden stand.

Wahrscheinlich halluziniere ich schon, dachte sie beunruhigt und blickte sich kurz um. Aus dem hell erleuchteten Gebäude, das sie gerade verlassen hatte, drang Gelächter. Julia schauderte bei der Vorstellung, zur Party zurückzukehren und sich wieder mit Nigel auseinandersetzen oder gar Kadens distanzierten und spöttischen Blicken standhalten zu müssen. Er hatte tatsächlich so getan, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen!

Am liebsten hätte sie sich ein Taxi genommen, aber sie war nicht der Typ, der sich solchen Luxus leistete. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine elegante schwarze Limousine wahr, die sich langsam näherte. Der leise schnurrende Motor verriet, dass es sich um eine exquisite Automarke handelte. Als Julia sich instinktiv nach dem Wagen umschaute, zuckte ein mächtiger Blitz über den schwarzen Himmel und seine Schleusen öffneten sich sturzbachartig. Innerhalb von Sekunden war sie völlig durchnässt. Statt Schutz zu suchen, blieb sie jedoch wie angewurzelt stehen.

Die folgenden Geschehnisse nahm sie wie in Zeitlupe wahr. Zunächst bemerkte sie die Flagge des Emirats Burquat auf der Motorhaube, die verdunkelten Scheiben und den begleitenden Jeep, in dem sich das stets über Kaden wachende Sicherheitsteam befand.

Während sie klatschnass und völlig reglos dastand, erinnerte sie sich an die heißen, verschlungenen Gassen von Burquat, wo sie einmal Hand in Hand mit Kaden den Sicherheitsbeamten entkommen war. In einem verborgenen Garten hatte er Julia gegen eine Mauer gepresst, ihren Schleier gelüftet und sie zum ersten Mal geküsst.

Erst als der hintere Wagenschlag aufgestoßen wurde und Kaden ausstieg, wurde Julia wieder in die Gegenwart katapultiert. Ihr Herz klopfte und ihr Atem beschleunigte sich, als ihr bewusst wurde, dass sie keineswegs halluziniert hatte.

Die prasselnden Regentropfen schienen von ihm abzuprallen und vor dem Hintergrund des apokalyptischen Schauspiels am Himmel zu zerstieben. Julia wich zurück, schaute Kaden jedoch wie hypnotisiert an.

„Steig ein, Julia. Ich nehme dich mit.“

Ihr leicht exotisch ausgesprochener Name aus seinem Mund verfehlte nicht seine Wirkung auf ihr Innerstes. Julia lachte halb erstickt. „Nein danke, ich komme schon zurecht. Ich muss nach Hause und nehme die U-Bahn.“ Endlich gelang es ihr, sich abzuwenden. Doch Kaden hielt sie fest. Die unerwartete Berührung löste ein elektrisierendes Prickeln in ihrem ganzen Körper aus. Julia schaute zu Kaden auf, der ihr nun den Weg abschnitt. Er war ihr so nah, dass sie sehen konnte, wie sein pechschwarzes Haar nass an seinem wohlgeformten Kopf klebte. Wie schön sein Gesicht war. Wie dunkel die magischen Augen. Regentropfen rannen über die markanten Wangenknochen.

„Was willst du, Kaden? Oder soll ich dich mit deinem Titel anreden?“ Verbitterung und ein anderes, beängstigendes Gefühl machten sich in ihr breit. „Du hast vorhin sehr überzeugend vorgegeben, mich nicht zu kennen. Daher überrascht es mich, dass du dich plötzlich an meinen Namen erinnerst.“

Trotz des heftigen Regens, der ihre Sicht beeinträchtigte, bemerkte sie, wie er die Zähne zusammenbiss. Mit finsterem Blick musterte er sie von oben bis unten. Dann lockerte er den Griff, was seltsamerweise dazu führte, dass Julia zu beben begann. „Ich erinnere mich an deinen Namen, Julia“, sagte Kaden leise und fügte besorgt hinzu: „Du bist völlig durchnässt. Und ich auch. Ich habe hier ganz in der Nähe eine Wohnung. Steig ein, damit du schnell ins Trockene kommst.“

Panik und heißes Verlangen erfassten Julia. Sie sollte mit zu Kaden kommen? Siedend heiß fiel ihr sein zweideutiger Blick von vorhin ein, der sofort heftige Erregung in ihr entfesselt hatte. Ein Gefühl, das nur Kaden in ihr auslösen konnte, wie sie zu ihrem Leidwesen eingestehen musste. Dabei hatte sie ihn zwölf Jahre lang nicht gesehen!

Ablehnend schüttelte sie den Kopf und versuchte, sich aus Kadens Griff zu befreien. „Nein danke. Ich möchte dir keine Umstände machen.“

Unwillig verzog er das Gesicht. „Willst du wirklich in diesem durchweichten Zustand mit der U-Bahn fahren und dich wie eine halb ertrunkene Ratte nach Hause schleppen?“, fragte er nicht gerade gentlemanlike.

Diese drastischen Worte versetzten Julias Selbstvertrauen einen empfindlichen Dämpfer. Sie musste ja schrecklich aussehen! Wahrscheinlich lief ihr die Wimperntusche in schwarzen Bächen über die Wangen. Kaden wollte wohl nur höflich sein und sie nicht einfach im Regen stehen lassen. Zumal sie seinen Konvoi wohl kaum hätte übersehen können, wenn er einfach an ihr vorbeigerauscht wäre.

„Ich kann mir auch ein Taxi nehmen. Warum bemühst du dich überhaupt?“

„Wahrscheinlich war ich einfach nur überrascht, dich so völlig unerwartet wiederzusehen.“

Julia bedachte ihn mit einem abfälligen Blick. Er hatte sicher nicht damit gerechnet, ihr je wieder zu begegnen. Die Wahrscheinlichkeit war schließlich gering gewesen – als sie darüber nachdachte, überkam sie das Gefühl eines schmerzhaften Verlusts. Und Sehnsucht. Sie würde Kaden nach dieser Nacht nicht wiedersehen. Dass sie überhaupt hier standen, war wohl einfach seiner Neugier geschuldet, vielleicht fühlte er sich sogar von ihr angezogen. Er war ihr erster Liebhaber gewesen. Ihre erste große Liebe. Ihre einzige große Liebe? Bevor Julia diesen verstörenden Gedanken unterdrücken konnte, schob Kaden sie zum Wagen, als hätte sie stillschweigend ihr Einverständnis gegeben. So war es wohl tatsächlich, denn Julia hatte nicht die Kraft, sich ihm zu widersetzen.

Höflich half er ihr auf den Rücksitz, bevor er die Wagentür schloss, auf der anderen Seite einstieg und auf Arabisch das Kommando zur Weiterfahrt erteilte. Fast lautlos setzte sich die Limousine in Bewegung und passierte die U-Bahn-Station.

Kaden lehnte sich zurück und betrachtete Julia – die langen schwarzen Wimpern, die Nase mit dem winzig kleinen Höcker, der ihr Profil edel wirken ließ, und den Mund … Stundenlang hatte er sich damals mit diesem Mund beschäftigt. Seine geschwungene Form mit der vollen Unterlippe und der perfekt geformten Oberlippe faszinierten ihn noch immer. Dieser hinreißende Mund war ihm einmal so vertraut gewesen wie sein eigener.

Julia hatte sich eine leichte Jacke über das schwarze Cocktailkleid gezogen, dessen V-Ausschnitt durch das Gewicht des Regenwassers tiefer gerutscht war und einen großzügigen Blick auf die hellen Brüste und einen verführerischen, mit Spitzen besetzten schwarzen BH gewährte. Der Anblick der sich schnell hebenden und senkenden Brüste brachte Kaden fast um den Verstand. Seine mangelnde Selbstbeherrschung ärgerte ihn. Er hatte sich beim Verlassen des Clubs fest vorgenommen, Julia umgehend wieder aus seinem Gedächtnis zu streichen. Aber als er sie dann so energisch und mit dieser völlig natürlichen Sinnlichkeit durch den Regen gehen sah, hatte er diesen Vorsatz blitzschnell aufgegeben und seinen Chauffeur anhalten lassen.

Ihre erotische Anziehungskraft auf ihn war noch immer so überwältigend wie am Tag ihrer ersten Begegnung vor zwölf Jahren. Noch lange, nachdem Julia damals aus Burquat abgereist war, hatte Kaden sich einzureden versucht, er könnte sie nur deshalb nicht vergessen, weil sie seine erste Geliebte gewesen war und unauslöschliche Erinnerungen mit ihr verbunden waren.

Als es jetzt auch wieder so erregend zwischen ihnen knisterte, musste er jedoch zugeben, dass die Freuden, die sie zusammen entdeckt hatten, mehr als nur sinnliche Lust zweier Liebender gewesen waren, die sich gemeinsam auf unbekanntes Gebiet vorgewagt hatten. Die Liebesspiele mit Julia waren fantastischer gewesen als alles, was er danach erlebt hatte. Mit Julia an seiner Seite wurde ihm plötzlich schlagartig bewusst, dass er sich zwölf Jahre lang nur eingebildet hatte, seine Gefühle Frauen gegenüber unter Kontrolle zu haben. Die Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, waren einfach nur nicht Julia gewesen! Das war eine verheerende Erkenntnis!

Julia spürte Kadens durchdringenden Blick auf sich ruhen und schwor sich, ihn nicht zu erwidern. Schon damals hatte er sie angeschaut, als würde er sie am liebsten mit Haut und Haar verschlingen. Das hatte sie sehr erregt, ihr aber auch Angst gemacht. Bei Kaden war alles intensiv – seine Liebe, aber auch seine Zurückweisung, die sie damals zutiefst verletzt hatte. Wenn sie ihn jetzt anschaute …

Nervös berührte sie ihren Hals. Es war ein Reflex, dem sie seit Jahren gehorchte. Ihr Hals war nackt. Zum Glück! Die Erleichterung war grenzenlos, als Julia bewusst wurde, was sie gerade getan hatte. Sie trug immer eine goldene Halskette, die in der Mitte zu einem Liebesknoten verbunden war. Kaden hatte sie an einem Marktstand in Burquat für sie erstanden. Seitdem trug sie die Kette jeden Tag. Nur dann nicht, wenn sie auf Reisen war, aus Angst, sie könnte das geliebte Schmuckstück verlieren.

Heute trug sie die Kette nur deshalb nicht, weil sie es nach der Rückkehr aus New York so eilig gehabt hatte, rechtzeitig im Club zu erscheinen, dass sie völlig vergessen hatte, sie wieder umzulegen. Die Kette symbolisierte Julias Verbindung zu Kaden, obwohl es diese seit Jahren nicht mehr gab. Hätte sie die Kette getragen, wäre Kaden vermutlich auf die Idee gekommen, er könnte ihr noch etwas bedeuten. Und genau so war es ja auch. Doch das musste er nicht unbedingt erfahren.

„Wir sind da.“ Die Limousine hielt vor einem luxuriösen Gebäude. Ein livrierter Portier eilte heran, um ihnen die Wagentüren aufzuhalten. Im nächsten Moment stand Julia bereits auf dem Bürgersteig und sah Kaden auf sich zukommen. Der Regen hatte sich gelegt, inzwischen nieselte es nur noch leicht. Trotz der warmen Nacht fröstelte Julia in dem durchnässten Kleid.

Kaden führte sie zu einem opulent ausgestatteten Fahrstuhl, der sich lautlos nach oben bewegte. Bevor Julia in Panik geraten konnte, weil sie mit Kaden allein auf so engem Raum zusammen war, glitt die Lifttür schon wieder auf, und es ging auf direktem Weg in eine noble Penthousewohnung, deren moderne Einrichtung durch einige erlesene Antiquitäten den letzten Schliff erhielt. Die vorherrschenden Farben Elfenbein und Gold verliehen der Wohnung einen edlen Touch. Kaden führte sie in eine riesig wirkende Empfangshalle. Der Blick durch die Panoramafenster auf das nächtliche London war atemberaubend. Als sie sich von der Aussicht losriss und bemerkte, wie Kaden wohlgefällig den Blick über ihren Körper gleiten ließ, wurde ihr heiß vor Erregung und ihr stockte der Atem.

Kaden schlenderte zu einer offenen Tür auf der anderen Seite der Halle und sagte kühl: „Du kannst dieses Schlafzimmer und das angrenzende Badezimmer benutzen, um dich abzutrocknen.“

Julia folgte ihm schweigend. Sie war triefnass und hinterließ Wasserspuren auf dem kostbaren Teppich. Hinter der offenen Tür befand sich ein Wohnzimmer, das an ein Schlafzimmer angrenzte.

„Wenn du deine Sachen ins Wohnzimmer legst, sorge ich dafür, dass sich jemand darum kümmert.“

Julia sah auf – sichtlich erleichtert, dass sie offenbar doch nicht allein in der Wohnung waren. „Hast du hier eine Haushälterin?“

„Nein, aber es wird sich jemand um deine Sachen kümmern. Ich suche dir trockene Kleidung heraus.“

Wie hatte sie nur vergessen können, dass sich unzählige gute Geister stets um das Wohl der königlichen Familie kümmerten? Innerhalb weniger Stunden war einmal mitten in der Wüste ein Beduinenzelt nur für Kaden und sie errichtet worden. Bei der Erinnerung flatterten sofort Schmetterlinge in ihrem Bauch. Julia nickte wortlos und sah Kaden nach, der sie sich selbst überließ.

Dann trat sie in das Schlafzimmer, zog die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Wieso eigentlich? Kaden würde wohl kaum die Tür eintreten, weil er seine Lust nicht unter Kontrolle hatte – triefnasse Archäologinnen waren wohl kaum nach seinem Geschmack.

Verärgert über ihre Gedankengänge schlüpfte Julia aus den Schuhen und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Ihr erster Blick fiel auf eine herrliche, in den Boden eingelassene Badewanne und eine geräumige Dusche. Dann entdeckte sie ihr Spiegelbild und schloss entsetzt die Augen. Kadens Beschreibung ihrer Erscheinung als halb ertrunkene Ratte war noch höflich ausgefallen! Das lange blonde Haar klebte am Kopf und fiel ihr in nassen Strähnen über die Schultern. Unter den Augen war die schwarze Wimperntusche verschmiert.

Julia schnitt eine Grimasse und konnte sich der nassen Sachen gar nicht schnell genug entledigen. Auf einem Sessel im Wohnzimmer breitete sie ein Handtuch aus und legte die durchweichten Kleidungsstücke darauf, bevor sie schnell wieder im Badezimmer verschwand, um nicht splitterfasernackt von Kaden überrascht zu werden.

Nach einem sehnsüchtigen Blick auf die Badewanne entschied sie sich doch für die Dusche. In Kadens Penthouse ein Bad zu nehmen erschien ihr dann doch zu dekadent – und zu gefährlich …

Nackt unter der Dusche zu stehen in der Annahme, Kaden täte das in einem der anderen Badezimmer auch gerade, fühlte sich schon sündhaft genug an. Julia seufzte verärgert über ihre blühende Fantasie und beschloss, falls nötig die nassen Kleider wieder anzuziehen und so schnell wie möglich das Weite zu suchen.

Kaden hatte geduscht und sich trockene Sachen angezogen. Nun stand er vor der Tür, die zur Zimmerflucht führte, die er Julia zur Verfügung gestellt hatte. Ganz entgegen seinem Naturell zögerte er plötzlich. Vor seinem geistigen Auge sah er Julia in dem engen, vor Nässe an ihrem Körper klebenden Kleid. Selbst in triefnassem Zustand wirkte sie sexy, verführerisch und von klassischer englischer Schönheit mit ihren sanft geschwungenen Kurven.

Das brennende Verlangen, das ihn schon auf der Fahrt hierher gequält hatte, war längst nicht abgeklungen – im Gegenteil. Normalerweise hätte er die Frau seiner Begierde verführt und wäre dann zur Tagesordnung übergegangen. Doch hier handelte es sich um die Frau, der einmal sein Herz gehört hatte. Ach was, das hatte er sich in seiner jugendlichen Unwissenheit nur eingebildet! Damals hatte er überwältigende Lust mit Liebe verwechselt.

Schon in jungen Jahren hatte er gelernt, dass man romantischer Liebe nicht trauen durfte. Sein Vater hatte aus Liebe geheiratet. Doch nachdem Kadens Mutter bei der Geburt seiner jüngeren Schwester gestorben war, hatte das Verhalten des Vaters ihm gezeigt, dass Liebe wehtat. Nach dem Verlust seiner geliebten Frau war sein Vater nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen und hatte sich in seinem Kummer völlig in sich zurückgezogen. Seit frühester Kindheit war Kaden vermittelt worden, dass er eines Tages die Herrschaft über das Emirat übernehmen würde. Er durfte sich also nicht von Gefühlen überwältigen lassen, wie es seinem Vater passiert war.

Kadens Vater hatte ein zweites Mal geheiratet – dieses Mal nicht aus Liebe, sondern aus Staatsräson. Leider hatte diese Ehefrau durch ihre Gefühlskälte und Intrigen Kadens negative Eindrücke von Ehe und Liebe noch verstärkt. Schöne Erinnerungen an glückliche Tage seiner Eltern hatten sich schnell verflüchtigt und kamen ihm unwirklich vor.

Doch als er Julia kennenlernte, vergaß er auf einen Schlag alles, was sein Vater ihm vorgelebt hatte. Noch heute plagten ihn deshalb Schuldgefühle. Außerdem fühlte er sich hintergangen. Wenn er sie damals nicht mit dem anderen Mann gesehen hätte, wenn er nicht gemerkt hätte, wie wankelmütig sie war …

Kaden fluchte unterdrückt. Musste er ausgerechnet jetzt daran denken?

Er klopfte an die Tür und betrat, als keine Antwort kam, das Zimmer, um Julia frische Kleidung hinzulegen. Aus dem Schlafzimmer drang gedämpftes Licht, die Badezimmertür war angelehnt. Wie in Trance ging er ins Schlafzimmer und legte die Sachen aufs Bett. Dann griff er nach Julias nasser Kleidung. Sofort stieg ihm ein vertrauter Geruch in die Nase. Kaden schloss die Augen. Julia benutzte also noch immer das gleiche Lavendelparfum. Bevor der Duft lange verschüttet geglaubte Erinnerungen heraufbeschwören konnte, riss ein Geräusch Kaden aus seinen Träumereien, und er schlug die Augen wieder auf. Julia hatte die Badezimmertür aufgestoßen. Ein Badetuch umhüllte ihren Körper, um das Haar hatte sie ein Handtuch zum Turban geschlungen. Durch die Tür drang betörend aromatischer Dampf.

Heiße Lust überwältigte Kaden. Julias lange schlanke Beine waren nackt, ebenso Schultern und Arme. Er verfluchte sich dafür, Julia hergebracht zu haben. Dieses Kapitel sollte doch längst abgeschlossen sein!

Betont kühl sagte er: „Ich lasse deine Sachen trocknen.“ Er zeigte auf die Kleidung, die er auf dem Bett bereitgelegt hatte. „In der Zwischenzeit kannst du das hier anziehen. Die Größe müsste stimmen.“

Julia ging zum Bett, warf einen Blick auf die Kleidung und schüttelte energisch den Kopf. „Ich ziehe lieber meine eigenen Sachen an und mache mich auf den Heimweg.“

Bei der Vorstellung, sie könnte ihn in wenigen Augenblicken verlassen, verwarf Kaden seine Vorsätze und verbarg die nassen Kleider hinter seinem Rücken. „Sei nicht albern, Julia. Du holst dir eine Lungenentzündung, wenn du mit den nassen Kleidern rausgehst.“

Julia kniff die Augen zusammen und streckte fordernd eine Hand aus. „Das ist mir egal. Es war eine dumme Idee, mit dir herzukommen.“

3. KAPITEL

Schweigend maßen sie einander mit Blicken. Julia hatte keine Ahnung, was in Kaden vorging. Sie wich erschrocken zurück, als er plötzlich näher kam und leise sagte: „Du bist aber mitgekommen. Wovor hast du Angst, Julia? Dass du bei mir schwach werden könntest?“

Sein herausfordernder Blick rief Erinnerungen in ihr wach, wie es sich angefühlt hatte, Kaden in sich zu spüren, wie berauschend es gewesen war, wenn er sie mit kraftvollen Stößen zum Höhepunkt gebracht hatte. Die Bilder liefen so lebendig vor ihrem geistigen Auge ab, dass es ihr einen Moment lang die Sprache verschlug. Kaum vernehmbar bat Julia dann erneut: „Bitte gib mir meine Sachen, Kaden!“

Wieder ignorierte er ihre Bitte und deutete nur wortlos auf die frischen Kleider auf dem Bett: Jeans und eine edle graue Seidenbluse, bei deren Anblick Julia wütend wurde. Mit bebender Hand zeigte sie auf die Kleidungsstücke. „Ich denke nicht daran, die abgelegten Sachen deiner Geliebten anzuziehen. Lieber verlasse ich das Haus nur in dieses Handtuch gewickelt.“

Kaden, der bereits die Tür erreicht hatte, wandte sich um. Im aus dem Nebenzimmer fallenden Gegenlicht wirkten seine Schultern in dem blütenweißen Hemd noch breiter. Eine schwarze Hose betonte seine schlanken Hüften. Sein schwarzes Haar glänzte feucht. „Tu, was du nicht lassen kannst. Die Kleidungsstücke gehören übrigens Samia. Du erinnerst dich doch an meine kleine Schwester? Ihr müsstet jetzt ungefähr die gleiche Größe haben. Samia wohnt seit zwei Jahren hier.“

Julia ärgerte sich über ihre verräterische Reaktion und versuchte zu retten, was noch zu retten war. „Ja, ich erinnere mich an Samia.“ Sie hatte einen guten Draht zu Kadens Schwester gehabt, deren etwas lebensfremdes und sehr schüchternes Wesen sie immer gemocht hatte. Bevor sie sich nach Samias Befinden erkundigen konnte, hatte Kaden das Zimmer bereits verlassen und die Tür hinter sich zugezogen.

Jetzt muss ich mich wohl geschlagen geben, dachte Julia, ließ das Handtuch fallen und schlüpfte in die frische Kleidung. Sogar ein noch originalverpacktes Höschen befand sich darunter. Die Jeans saß etwas eng an Po und Schenkeln, und ohne BH unter der Seidenbluse fühlte sie sich nackt. Ihre Brüste waren zwar nicht übertrieben groß, aber auch nicht so klein, dass sie sich ohne BH wohlgefühlt hätte. Die Option, den an der Badezimmertür hängenden Morgenmantel überzuziehen, verwarf sie, weil sie sich darin noch unbekleideter gefühlt hätte. Nachdem sie sich noch schnell die Haare geföhnt hatte, griff sie nach ihren Schuhen und wappnete sich für die erneute Begegnung mit Kaden.

Als Julia den Salon betrat, stand er am Fenster und blickte hinaus in die dunkle Nacht. In diesem Moment wirkte er einsam und fast verletzlich. Doch der Eindruck verflog, als er sich umwandte und Julia mit spöttischem Lächeln entgegensah.

„Ich nehme mir jetzt ein Taxi“, informierte sie ihn entschlossen. „Meine Sachen kann ich demnächst abholen.“

Kaden umfasste das Glas in seiner Hand fester. Natürlich hätte er sie in ihrem Beschluss bestärken müssen. Doch bei Julias Anblick setzte sein Verstand aus und wehmütige Sehnsucht erfasste ihn. Ihr seidig glänzendes Haar umspielte sanft die schmalen Schultern. Ohne die Aufmachung einer erfolgreichen weltgewandten Frau wirkte sie wieder wie die neunzehnjährige Studentin von damals. Die grau schimmernde Seidenbluse ließ Julias graue Augen dunkler und geheimnisvoller erscheinen. Er erinnerte sich, dass er zunächst geglaubt hatte, ihre Augen seien von einem sehr hellen Eisblau. Erst bei genauem Hinsehen hatte er gemerkt, dass sie in Wirklichkeit leuchtend grau waren.

Die Bluse verbarg keine Geheimnisse. Unter dem dünnen Stoff zeichneten sich die festen Brüste ab, er konnte sehen, wie sich die Knospen unter seinem verlangenden Blick aufrichteten. Kadens Körper reagierte sofort auf diesen erregenden Anblick. Die etwas zu engen Jeans betonten die sanft geschwungenen Hüften und Schenkel. Am liebsten hätte er Julia gebeten, sich umzudrehen, damit er einen Blick auf ihren wohlgerundeten Po werfen konnte.

Zum ersten Mal seit Jahren lief Kaden Gefahr, seine eiserne Selbstbeherrschung zu verlieren. Ihm wurde heiß. Es war ihm unmöglich, Julia einfach ziehen zu lassen!

Auch Julia fiel es schwer, ihre Erregung zu unterdrücken. Wie Kaden sie anschaute! „Bitte, Kaden“, bat sie leise. „Sieh mich nicht so an!“

Lächelnd schlüpfte er in die Rolle des Verführers. „Wie sehe ich dich denn an? Du bist eine wunderschöne Frau, Julia. Begehrliche Männerblicke dürften für dich kaum neu sein.“

Sie errötete unter dem intensiven Blick, in dem sich gleichzeitig ein eiserner Wille widerspiegelte. Die Erinnerung an die letzte Begegnung mit Kaden vor ihrer Abreise aus Burquat schoss ihr durch den Kopf und mit ihr Schuldbewusstsein und Übelkeit. Es hatte sich so erniedrigend angefühlt, dass Kaden beobachtet hatte, wie ein anderer Mann sie an sich gezogen hatte. Sie hatte kaum noch Luft bekommen und wäre liebend gern … Energisch verbannte sie den verstörenden Gedanken und schüttelte verneinend den Kopf. „Doch. Ich sollte jetzt auch wirklich gehen. Rufst du mir bitte ein Taxi?“ Kaden lächelte unverschämt. Offenbar hatte er einen Entschluss gefasst. Julia wurde unglaublich nervös.

„Wozu die Eile? Du hast doch sicher noch Zeit für einen Drink, oder?“

Julia musterte ihn misstrauisch. Noch immer hielt sie unbeholfen die Schuhe in der Hand und wusste nicht, ob sie gehen oder bleiben sollte. Wenn sie diese Wohnung jetzt verließe, würde sie Kaden vielleicht nie wiedersehen! Tiefe Sehnsucht erfasste sie. War es nicht Schicksal, dass sie einander heute wieder begegnet waren?

Einerseits spürte sie die Gefahr und wusste, dass es besser wäre, auf der Stelle davonzulaufen. Andererseits wollte sie sich nicht anmerken lassen, wie sehr das unvermutete Wiedersehen sie aufwühlte. Daher nahm sie seine Einladung widerwillig an. „Also gut. Ein Drink kann nicht schaden. Schließlich ist das zwischen uns sehr lange her.“

Kaden nickte zustimmend. „Ja, es ist lange her.“ Ohne sie aus den Augen zu lassen, zeigte er auf das Sideboard, auf dem eine Flasche Sahnelikör stand. „Trinkst du den immer noch so gern?“

Julia spürte ein leichtes Ziehen im Bauch. Kaden erinnerte sich noch an ihr Lieblingsgetränk? Sie hatte den Likör nur in seiner Gesellschaft genossen und seit zwölf Jahren nicht mehr angerührt. Wortlos nickte sie und sah zu, wie Kaden geschickt ein Glas einschenkte und es ihr reichte. Sie roch daran und trank schnell einen Schluck, um ihre Röte zu verbergen. Das Aroma beschwor magische Erinnerungen an die wunderschöne Nacht herauf, die Kaden und sie im Sommerpalast seiner Familie am Meer verbracht hatten. Damals hatten sie zum ersten Mal miteinander geschlafen.

Wie sehr sie ihn geliebt hatte! Und er hatte dieses tiefe Gefühl von einem Moment auf den nächsten zerstört und ihr damit den unschuldigen Glauben an das Gute im Menschen geraubt! Wie eine Lawine rollten die Erinnerungen über Julia hinweg und nahmen ihr die Luft zum Atmen. Schwankend wich sie zurück und wandte den Blick von ihm ab. Sie spürte ihn hinter sich und nahm ihn aus dem Augenwinkel wahr, als er näher an sie herantrat.

„Möchtest du dich nicht setzen?“

So höflich. Als wäre gar nichts geschehen. Als hätte sie ihm niemals ihren Körper, ihr Herz und ihre Seele geschenkt. Auch diesen schmerzlichen Gedanken verdrängte Julia schleunigst wieder. „Danke.“

Sie folgte ihm zu den Sitzgelegenheiten und entschied sich, da er sich auf einem einladenden Sofa niederließ, für einen Sessel. Die Schuhe stellte sie daneben ab. Als sie aufsah, fing sie seinen belustigten Blick auf. Dieser neue Kaden schüchterte sie ein. Nichts in seinem Verhalten erinnerte mehr an den Jungen von damals. Sie waren praktisch noch Teenager gewesen. Dann war er jedoch über Nacht erwachsen geworden, nachdem sein Vater unerwartet gestorben war. Jetzt war er ein Respekt einflößender Mann. Bei ihrem letzten Gespräch mit Kaden in Burquat hatte sie schon einen Vorgeschmack darauf bekommen.

Barfuß und mit der dünnen Seidenbluse fühlte sie sich ausgeliefert. Ihre harten Brustspitzen kribbelten. Nicht ein einziges Mal seit ihrer Beziehung zu Kaden, schon gar nicht während ihrer Ehe, war sie je wieder so schnell und heftig erregt gewesen. Durch diese Erkenntnis fühlte sie sich erst recht schutzlos. Ich bin eine erfolgreiche, intelligente Frau, ich bin der Situation gewachsen! Diesen Satz sagte sie sich immer wieder schweigend vor, wie ein Mantra. Sie war verheiratet gewesen und geschieden, sie war keine naive Jungfrau mehr. Sie konnte mit dieser Situation umgehen! Dazu musste sie sich nur vor Augen führen, wie emotionslos Kaden geblieben war, als sie sich getrennt hatten, während der Abschied ihr selbst schwer zugesetzt hatte.

Plötzlich dachte sie wieder daran, wessen Kleider sie gerade trug. Endlich ein unverfängliches Gesprächsthema! „Wie geht es Samia?“, erkundigte sie sich betont munter. „Inzwischen muss sie ja mindestens vierundzwanzig sein.“

Kadens Lider waren halb geschlossen. Unauffällig musterte er Julia und ließ sich Zeit mit der Antwort. Ihm war nicht nach Small Talk. Er fand es beunruhigend, wie richtig es sich anfühlte, mit Julia gemeinsam hier im Salon zu sitzen. Plötzlich hatte er das Gefühl, angekommen zu sein.

Julia faszinierte ihn mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. Erleichtert stellte er fest, dass sie noch immer völlig natürlich war und nicht so hart und übertrieben zurechtgemacht wie die Frauen, denen er sonst auf gesellschaftlichem Parkett begegnete. Ihre Verletzlichkeit berührte ihn. Dieses überraschende Gefühl setzte ihm so zu, dass er am liebsten aufgesprungen und nervös hin und her gelaufen wäre. Entschlossen rang er diesen Impuls nieder und konzentrierte sich auf ihre Frage.

„Samia? Sie ist fünfundzwanzig und heiratet am Wochenende den Sultan von Al-Omar. Für die Vorbereitungen ist sie schon nach B’harani geflogen.“

Als Julia verblüfft die Augen aufriss, konnte Kaden sich vor Verlangen kaum noch zurückhalten. Wenn er jetzt seinem Impuls nachgab und aufstand, wüsste Julia auf einen Blick Bescheid, wie ihre Anwesenheit auf ihn wirkte. Er schwankte zwischen Wut auf sich selbst, sie hergebracht zu haben, und dem Wunsch, sie nicht so schnell wieder gehen zu lassen. Ein solches Gefühlschaos hatte er lange nicht mehr erlebt. Eigentlich war er ein Mann klarer logischer Entschlüsse. Jetzt jedoch hatte er das Gefühl, von einem tosenden Strudel fortgerissen zu werden. Genau wie damals bei seiner ersten Begegnung mit Julia. Die Versuchung war groß, seinem Verlangen nachzugeben und noch einmal mit ihr zu schlafen. Wieso eigentlich nicht?

„Samia heiratet den Sultan von Al-Omar?“ Ungläubig schüttelte Julia den Kopf. Außerdem gefiel ihr das verräterische Glitzern in Kadens Augen nicht. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um sich auf das Gespräch zu konzentrieren. „Samia war doch immer sehr schüchtern. Fällt es ihr nicht schwer, plötzlich so im Rampenlicht zu stehen?“

Die Frage löste unerwartete Schuldgefühle in Kaden aus. Er hatte kurz vor Samias Abreise aus London noch mit ihr gesprochen. Eigentlich hatte sie einen ganz gelassenen Eindruck gemacht. Doch nun erinnerte Julia ihn daran, wie introvertiert seine kleine Schwester immer gewesen war. Eigentlich erstaunlich, dass sie das noch wusste.

Harsch erklärte er: „Samia ist inzwischen eine erwachsene Frau, die sich der Verantwortung ihrem Land und ihrem Volk gegenüber bewusst ist. Von der Verbindung mit Sultan Sadiq können beide Länder profitieren.“

„Dann handelt es sich also um eine Vernunftehe?“

Kaden nickte bestätigend. Wieso hatte er plötzlich das Gefühl, sich verteidigen zu müssen? „Natürlich. Meine Ehe wurde ja auch arrangiert. Und so wird es auch bei der nächsten sein.“ Ironisch zog er eine Augenbraue hoch. „Du hast wohl aus Liebe geheiratet, oder? Trotzdem wurde auch deine Ehe geschieden.“

Julia ließ sich nicht anmerken, dass es ihr einen Stich versetzt hatte, als er seine nächste Ehe erwähnte, und wich seinem fragenden Blick aus. Hatte sie aus Liebe geheiratet? Eigentlich schon. Schließlich hatten John und sie sich freiwillig das Jawort gegeben. Niemand hatte sie dazu gezwungen. Doch von ganzem Herzen hatte sie John nicht geliebt, und das hatte er auch gewusst.

Es schmerzte sie, sich jetzt ausgerechnet vor dem Mann rechtfertigen zu müssen, der ihr so viel Kummer bereitet hatte. Widerstrebend sah sie ihn an. „Ja, auch meine Ehe ist gescheitert“, gab sie zu. „Ich weiß aber, dass viele Vernunftehen sehr gut funktionieren, und hoffe, dass Samia glücklich wird.“

„Kinder?“

Das klang so knapp und undeutlich, dass Julia nachfragen musste. „Kinder?“

Kaden nickte.

Ein erneuter Schmerz durchzuckte sie. Das Bild ihres verlegenen Ehemannes erschien vor ihrem geistigen Auge. Er hatte sich immer weiter in sein Schneckenhaus zurückgezogen, als er von seinem Unvermögen erfahren hatte. Das war der Anfang vom Ende ihrer Ehe gewesen. „Nein, sonst wäre ich wohl kaum hier“, erklärte sie entrüstet. Verflixt, jetzt hatte sie zu viel verraten. Kaden könnte auf die Idee kommen zu hinterfragen, warum sie seiner Einladung gefolgt war. „Mein Mann – Exmann – konnte nicht … wir hatten Probleme … Und du? Hast du Kinder?“

Wieder dieser spöttische Blick. Wozu diese Frage? Es war doch allgemein bekannt, dass seine Ehe kinderlos geblieben war. „Nein.“ Er presste die Lippen zusammen.

Julia fröstelte. Genauso hatte er ausgesehen, als er damals so schroff mit ihr Schluss gemacht hatte!

„Meine Exschwiegermutter wäre fast im Kindbett gestorben und hat ihrer Tochter Horrorgeschichten über die Geburt erzählt. Amira hat daraufhin panische Angst vor einer Schwangerschaft entwickelt. Als sie dann tatsächlich schwanger wurde, hat sie das Kind sofort abtreiben lassen – ohne mein Wissen. Daraufhin habe ich die Scheidung eingereicht.“

Er fing Julias entsetzten Blick auf. Natürlich klang das brutal! Kaden biss sich auf die Lippe. Wie kam er nur dazu, so offen darüber zu sprechen? Bisher war der Scheidungsgrund ein wohlgehütetes Geheimnis gewesen. Das Drama seiner Ehe lief wie ein Film vor ihm ab. Er hatte sich so sehr bemüht, Amira ihre Angst zu nehmen. Vergeblich. Schließlich hatte Amira vorgeschlagen, sich scheiden zu lassen, weil sie niemals imstande sein würde, ihm einen Erben zu schenken. Sie konnte ihre panische Angst einfach nicht überwinden.

Ein eisiger Schauer lief Julia über den Rücken. Der Kaden, den sie gekannt hatte, war einfühlsam und idealistisch gewesen, nicht so gefühllos wie dieser Mann hier. Kaden hatte sich wirklich sehr verändert! Um ihr Entsetzen zu überspielen, fragte sie schnell: „Seit wann sind Scheidungen in Burquat legal?“

Kaden trank einen Schluck, um Zeit zu gewinnen. „Seit deinem Aufenthalt dort hat sich einiges verändert. Die althergebrachte Gesetzgebung wurde reformiert. Inzwischen ist auch Burquat im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen.“

Das sprach für ihn. Wehmütig erinnerte sie sich daran, dass Kaden sich schon immer leidenschaftlich für Reformen eingesetzt hatte. Da er nicht merken sollte, wie sehr sie ihn dafür bewunderte, erhob sie sich hastig und ging zum Fenster – das Likörglas in der Hand. Kaden hatte ihr bereits damals von dieser Penthousewohnung im Zentrum von London erzählt und sogar vorgeschlagen, sie sollte hier wohnen, wenn sie ihr Studium in London fortsetzte. Dann wäre ihre Sicherheit gewährleistet. Er war ganz begeistert gewesen von dieser Idee. „Wenn ich in London bin, erwartest du mich hier schon“, hatte er mit verführerischem Lächeln gesagt.

Leere Worte! Traurig senkte Julia den Blick.

In ihrer Geistesabwesenheit hatte sie nicht bemerkt, dass Kaden ebenfalls aufgestanden war. Sie erschrak, als sie plötzlich dicht neben sich seine tiefe Stimme hörte.

„Warum hast du dich scheiden lassen, Julia?“

Weil ich ihn nie so lieben konnte, wie ich dich geliebt habe. Diese Worte hallten in ihr nach. Doch sie sprach sie nicht aus. Niemals hätte sie sich träumen lassen, Kaden könnte ihr einmal diese Frage stellen.

Als sie meinte, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu haben, wagte sie, Kaden anzuschauen. Er lehnte nun lässig an der Wand neben ihr und wartete gespannt auf eine Antwort. Seine Nähe löste ein erotisches Prickeln in Julia aus, das sie sofort zu unterdrücken versuchte. Alles nur Einbildung, redete sie sich ein. Doch das heiße Verlangen und die tiefe Sehnsucht nach diesem Mann straften sie Lügen.

Sie sah wieder aus dem Fenster. „Weil wir uns auseinandergelebt hatten. Eigentlich sind wir uns immer irgendwie fremd geblieben. Und als dann feststand, dass wir keine Kinder haben konnten, fand ich es an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Ich bin froh, dass keine Kinder da sind. Sie hätten sicher unter unseren Eheproblemen gelitten.“

Julia hatte Kaden nie erzählt, dass sie selbst adoptiert worden war. Auch über ihren Kinderwunsch hatte sie mit niemandem gesprochen. Es waren zu schmerzvolle Themen. Vielleicht hatte sie damals auch Angst vor seiner Reaktion gehabt. Hätte er gewusst, dass sie ein Adoptivkind war, hätte er die Beziehung vielleicht gleich beendet.

Die Atmosphäre war plötzlich spannungsgeladen. Julia mied Kadens Blick, weil sie fürchtete, man sähe ihr ihre Gefühle an. Kaden hatte einmal erwähnt, wie sprechend ihr Gesicht war. Damals hatte sie seins umfasst und ihm tief in die Augen geschaut …

Plötzlich zuckte ein gleißend heller Blitz über den dunklen Nachthimmel und jagte Julia einen solchen Schrecken ein, dass sie heftig zurückwich und dabei versehentlich Likör über die Bluse goss.

Verlegen sah sie Kaden an, der sofort bei ihr war, ihr das Glas aus der Hand nahm und es auf dem Tisch abstellte. Dann ließ er den Blick über sie gleiten, bis er auf ihrem Busen verweilte. Wie hypnotisiert folgte Julia seinem Blick. Die Flüssigkeit hatte die Bluse befleckt und durchtränkt, sodass der nasse Stoff an ihrer Brust klebte.

Panisch wich Julia zurück. „Ich hole einen Lappen. Ich möchte nicht auch noch Samias Bluse ruinieren.“

Kaden hielt sie am Arm fest. „Spar dir die Mühe!“

Seine Stimme klang unerträglich rau. Die Atmosphäre lud sich immer stärker auf und glich darin dem draußen tobenden Gewitter, das wieder näher gekommen war und sich in diesem Moment erneut durch einen heftigen Donnerschlag bemerkbar machte.

Julia zuckte zusammen und schaute Kaden fasziniert in die dunklen Augen. Mit erstickter Stimme stieß sie hervor: „Ich dachte, der Sturm hätte sich gelegt.“

Kaden zog sie näher zu sich heran. Ihre Körper berührten sich fast. „Ich glaube, er fängt gerade erst an.“

Sie nahm gar nicht wahr, was er da sagte. Erst als sie seinen verlangenden Blick bemerkte, der jetzt auf ihrem Mund verweilte, erfasste sie die volle Bedeutung dieser Situation: Heißes Begehren lag in diesem Blick und ließ Julias Herz schneller schlagen. Dieser Blick hatte sie Nacht für Nacht bis in ihre Träume verfolgt! Verzweifelt versuchte sie die Wogen der Leidenschaft zurückzudrängen, die über ihr zusammenzuschlagen drohten. Mit letzter Kraft wollte sie sich von Kaden lösen. Doch er gab sie nicht frei.

„Nein, Kaden! Ich sollte gar nicht hier sein. Wir hätten uns nicht wiedersehen sollen.“

„Aber wir haben uns wiedergetroffen. Und du bist hier.“

„Ich bin nicht deswegen hergekommen.“

Lächelnd schüttelte Kaden den Kopf. „Diese Möglichkeit stand im Raum, seitdem wir uns vorhin im Club begegnet sind.“

Julia konterte verärgert: „Obwohl du vorgegeben hast, mich nicht zu kennen?“

Erneut folgte Donner auf Blitz. Regen trommelte gegen die Fenster.

„Ja.“

Nichts schien Kaden von seinem Vorhaben abbringen zu können. Hatte er die Beleuchtung im Salon gedimmt? Julia hatte jeden Realitätssinn verloren. Die Vergangenheit verwob sich mit der Gegenwart und die Zukunft spielte keine Rolle mehr.

Trotzdem startete Julia einen weiteren Versuch. „Diese Möglichkeit hat vor zwölf Jahren aufgehört zu existieren. Oder hast du vergessen, dass du mir damals in Burquat unmissverständlich zu verstehen gegeben hast, unsere ‚Affäre‘ wäre beendet?“ Die Verbitterung in ihrem Tonfall war unüberhörbar, auch wenn Julia gern vorgegeben hätte, die Geschehnisse von damals machten ihr nichts mehr aus. Was passiert war, schmerzte sie noch immer.

„Ich möchte nicht über die Vergangenheit reden, Julia. Sie hat nichts damit zu tun, dass wir jetzt hier stehen.“

„Wie kannst du so etwas behaupten? Die Vergangenheit ist schuld daran, dass ich jetzt hier stehe.“

Kadens heißer Blick schürte das Feuer des Verlangens in Julia. Sie war machtlos dagegen.

„Ich würde dich auch begehren, wenn wir uns heute Abend zum ersten Mal begegnet wären“, behauptete Kaden heiser.

Seine Schmeichelei prallte an ihr ab. Es schmerzte sie, wie wenig ihm ihre frühere Beziehung offensichtlich bedeutete. Damals wie heute empfand er keine Liebe für sie. Julia versuchte, sich gegen die Wogen der Lust zu behaupten. Sie musste verschwinden, bevor die Situation völlig außer Kontrolle geriet. „Ich kann die Vergangenheit aber nicht einfach beiseiteschieben, und ich halte dies hier für keine gute Idee.“

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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