Julia Exklusiv Band 297

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HEIß VERFÜHRT IN EINER WÜSTENNACHT von GREEN, ABBY
Abby Green Heiß verführt in einer Wüstennacht Heiße Verführung unter dem nachtblauen Samthimmel der Wüste: In Scheich Nadims Armen fühlt sich die junge Iseult zum ersten Mal im Leben wie eine richtige Frau. Aber so sehr sie Nadim begehrt, darf sie niemals seine Warnung vergessen: "Verlieb dich nicht in mich!"

BERUF: HERZENSBRECHER? von CARSON, AIMEE
Aimee Carson Beruf: Herzensbrecher? Carly ist empört: Eine Software, die automatisch Abschiedsnachrichten auf Handys versendet? Wie gemein! Die Reporterin will den Erfinder zur Rede stellen. Doch als sie ihn trifft, ist sie sprachlos: Denn Hunter Philipps kennt Tricks, die selbst Carly entwaffnen …

FLITTERWOCHEN UNTER GRIECHISCHER SONNE von HOOD-STEWART, FIONA
Fiona Hood-Stewart Flitterwochen unter griechischer Sonne Traumhafte Stunden der Liebe erlebt Nena in ihren Flitterwochen auf der Insel Agapos, bis sie zufällig hört, wie ihr Mann Ramon von seiner Ex-Geliebten, der feurigen Luisa, schwärmt …


  • Erscheinungstag 27.04.2018
  • Bandnummer 0297
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711146
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Abby Green, Aimee Carson, Fiona Hood-Stewart

JULIA EXKLUSIV BAND 297

1. KAPITEL

Scheich Nadim Bin Kalid Al Saqrs wache, dunkle Augen verfolgten das im wilden Galopp dahinfliegende Pferd. Er war wie geblendet, nicht nur von der Schönheit und Eleganz des jungen Zuchtfohlens, sondern auch von dem satten Grün der Landschaft rings herum. Der feine Sprühregen ließ an diesem ungewöhnlich milden Septembertag die Konturen der Umgebung verschwimmen.

Als ein Mann der Wüste, der an karge Vegetation und schroffe Felsen gewöhnt war, überraschte es ihn, dass die fremde Landschaft so viel Wohlwollen in ihm hervorrief. Mehr noch, er fühlte sich geradezu berauscht von all der Üppigkeit und Frische hier.

Bisher war er immer dankbar dafür gewesen, dass er seine Assistenten hinaus in die Welt schicken konnte und nicht selbst auf Reisen gehen musste. Stattdessen hatte er sich lieber ganz auf die Pferdezucht auf der arabischen Halbinsel konzentriert. Doch nun sollte es darum gehen, einen neuen Standort in Europa zu finden, und er selbst hatte sich für Kildare entschieden, die irische Hauptstadt für die Aufzucht und Ausbildung von Rassepferden.

Kein wirklicher Experte konnte die Augen vor der Tatsache verschließen, dass die besten Zuchtpferde, Züchter und Trainer nun einmal aus Irland kamen. Der Mann neben ihm, dessen gerötete Gesichtshaut auf mehr als nur ein kleines Alkoholproblem schließen ließ, war einst einer der ganz Großen seines Fachs gewesen. Ein Trainer von Weltformat. Doch dann, ganz plötzlich, hatte er sich aus dem Geschäft zurückgezogen.

Ein gespanntes Schweigen lag zwischen den beiden Männern, doch Nadim nahm sich die Zeit, das Fohlen in Ruhe zu betrachten.

Sein Blick glitt vom Pferd hinauf zum Reiter. Nicht nur das Tier war etwas ganz Besonderes. Auch derjenige, der es trainierte, musste sehr talentiert sein und all sein Herzblut dafür geben. Selten hatte Nadim einen so versierten – und dazu noch so jungen – Reiter gesehen. Auch nicht in den Reihen seiner eigenen Leute. Der junge Mann mochte vielleicht gerade einmal achtzehn Jahre alt sein, sehr schlank und hochgewachsen. Doch er legte eine Ausdauer und einen Ehrgeiz an den Tag, die von wahrer Hingabe, Mut, aber auch Erfahrung zeugten.

Der ältere Mann neben ihm trat nervös von einem Bein auf das andere, sodass Nadim endlich sein Urteil verkündete: „Er ist einfach unglaublich.“

„Nicht wahr?“, Paddy O’Sullivans Stimme war die große Erleichterung anzuhören. „Ich bin davon ausgegangen, dass Sie es gleich bemerken würden.“

Der junge Hengst war der Hauptgrund für Nadims Besuch in Irland – und für seinen Wunsch Paddy O’Sullivans heruntergewirtschaftetes Gestüt zu übernehmen.

„Unmöglich, es nicht zu bemerken“, murmelte der Scheich und verfolgte weiter mit den Augen jede anmutige Bewegung des jungen Pferdes. Im Geiste malte er sich bereits aus, wie wohl die zukünftigen Nachfahren dieses Hengstes aussehen würden.

Nadim hatte vor einigen Monaten seinen erfahrensten Berater nach Irland geschickt, damit dieser die Lage hier sondieren konnte. Und er hatte diesen Hengst und dieses Gestüt entdeckt. Was für ein Potenzial! Die Ställe und Ausbildungsareale lagen etwa zwei Meilen vom Haupthaus entfernt, und auch alles Land dazwischen würde ihm gehören. Die perfekte Größe für seinen neuen Standort.

Nadims Gesicht verfinsterte sich, als er daran dachte, wie sein Assistent zunächst hier empfangen worden war. Eine wütende junge Frau hatte einen Jagdhund hinter ihm hergehetzt, trotz seiner Beteuerungen, sich nur unterhalten zu wollen. Merkwürdige Sitten waren das! Doch Nadim hatte seinen Assistenten erneut geschickt, diesmal mit Voranmeldung bei Paddy O’Sullivan. Und er hatte Paddy ein Angebot gemacht, das dieser unmöglich hatte ablehnen können.

Das Gestüt war einst eines der erfolgreichsten des Landes gewesen. Zahlreiche Gewinnerpferde waren hier geboren und ausgebildet worden. Diese reine Abstammungslinie hatte vor zwei Jahren das Pferd hervorgebracht, das schließlich ihn nach Irland gelockt hatte. Der junge Hengst hatte in den vergangenen Monaten selbst schon zwei nicht unbedeutende lokale Rennen gewonnen. Tief in Nadims Magengrube breitete sich ein wohliges Kribbeln aus. Es war lange her, dass er zum letzten Mal so etwas wie Aufregung verspürt hatte. Spontane Gefühlsausbrüche kamen in seinem Alltag kaum vor. Und genau das hatte ihm an seinem Leben auch immer gefallen.

„Iseult hat unermüdlich mit ihm trainiert.“ O’Sullivan wandte sich dem Scheich zu. „Ohne sie wäre er niemals das Pferd geworden, das er heute ist.“

Nadim runzelte die Stirn und betrachtete den rothaarigen Mann neben sich mit Verwunderung. Hatte er gerade von einer Frau gesprochen? Und wie war der Name gleich gewesen? Es hatte irgendwie irisch geklungen. „I… wie?“

O’Sullivan deutete mit dem Kopf zu dem jungen Hengst und seinem Reiter. „Iseult ist der Name meiner ältesten Tochter. Sie ist eine sehr begabte Trainerin. Quasi seit sie laufen kann, versteht sie es mit den Pferden zu kommunizieren, sie zu führen.“

Langsam dämmerte es Nadim. Der Reiter war eine Frau! Er verbesserte sich innerlich. Ein Mädchen! Unmöglich, dass dieses Geschöpf es geschafft hatte, das Fohlen zu trainieren. Nadim hatte schon mit vielen Frauen zusammen Pferde trainiert, doch diese hier war viel zu jung, auch wenn ihr das Talent dazu vielleicht in die Wiege gelegt worden war.

Er schüttelte ungläubig den Kopf. Und während er die Überraschung innerlich verdaute, lenkte er seinen Blick noch einmal genauer auf die angebliche Trainerin. Es stimmte schon, für einen Mann war die Taille etwas zu schmal – beziehungsweise die Hüften doch etwas zu kurvig. Die Schultern waren sehr zart, der Nacken bildete eine sanft geschwungene Linie. Mehr deutete aber definitiv nicht auf eine Frau hin. Jeans und eine weite Fleecejacke, das Haar komplett von einer Mütze bedeckt.

Beim Anblick dieser Kopfbedeckung krampfte sich sein Magen unwillkürlich zusammen. Schnell beruhigte er sich wieder. Er war hier nicht in Merkazad. Der Boden hier war weich – und nicht von tödlicher Härte.

Dennoch sollte das Mädchen einen Helm tragen. Wenn das hier sein Gestüt wäre … Dann müsste sie sich jetzt auf eine angemessene Bestrafung gefasst machen.

Obwohl ohnehin niemand in der Nähe war, bemerkte O’Sullivan mit plötzlich ganz leiser Stimme: „Es tut mir leid, wie Ihr Assistent hier empfangen wurde … Iseult hat sich mit dem Verkauf bisher noch nicht abgefunden … mit dem Verkauf des Gestüts und auch mit dem Verkauf von Devil’s Kiss.“ Nervös fuhr er fort. „Wissen Sie, sie hängt sehr an ihrem Zuhause und an ihrem …“ Er unterbrach sich und deutete auf den Scheich „An Ihrem Pferd“, verbesserte er sich rasch.

Nadim spürte, wie sein Puls zu rasen begann. Wie bitte? Dieses Mädchen hatte seinen Assistenten Adil in die Flucht geschlagen? Was für eine Frechheit. Da, wo er herkam, hatten sich Töchter etwas mehr unter Kontrolle zu haben. Zugegeben, auch er hielt viel davon, dass Frauen unabhängig waren. Aber dem eigenen Vater in den Rücken zu fallen, das ging nun wirklich zu weit. Außerdem sahen die Frauen bei ihm zu Hause aus wie Frauen – und nicht wie Jungs. Nadim dankte dem Himmel, dass er die Weitsicht gehabt hatte, selbst nach Irland zu kommen. Nicht auszudenken, wenn ihm dieses Mädchen sein Geschäft kaputtgemacht hätte.

Sie wäre durchaus in der Lage, den Verkauf zu vereiteln, daran hatte Nadim keinerlei Zweifel. Er traute ihr sogar zu, dass sie das Pferd sabotierte, nur damit er vielleicht doch noch von seinem Kaufangebot zurücktrat.

All diese Überlegungen ließen Nadims Stimme autokratischer als sonst klingen, als er antwortete: „Er wird bald mir gehören, so wie Ihr gesamtes Gestüt – außer Sie haben es sich doch noch anders überlegt?“

„Nein, nein“, entgegnete O’Sullivan hastig. „So hatte ich das nicht gemeint. Ich wollte ja nur erklären, dass meine Tochter sehr an unserem Gestüt und eben auch an Devil’s Kiss hängt. Sie hat ihn von Anfang an trainiert.“

Nadim warf dem Iren einen finsteren Blick zu. Es stimmte also wirklich, dass dieses Mädchen das Pferd ausgebildet hatte. Und es sah ganz danach aus, als hätte sie ihre Arbeit gut gemacht.

„Ich hoffe, dass die Tatsache, dass das Gestüt weiterhin auf Ihren Namen geführt wird und ich Sie auch als Manager behalte, genug Anreiz für Sie darstellt. Denn wenn mich nicht alles täuscht, wäre Ihre Alternative der totale Bankrott.“

O’Sullivan knetete nervös an seinen Fingern, völlig zerknirscht, dass er seinen neuen Chef unabsichtlich verärgert hatte. „Natürlich, Scheich Nadim. Ich wollte ja nur darauf hinweisen, dass meine Tochter … manchmal etwas dickköpfig sein kann. Ich hoffe nur, dass sie Ihnen gegenüber nicht irgendwie ausfallend …“ Er verstummte augenblicklich, als Pferd und Reiterin direkt vor ihnen zum Stehen kamen.

Nadim hatte erwartet, dass Iseult absteigen und sich ihm vorstellen würde, doch weit gefehlt. Sie blieb auf dem Pferd sitzen und würdigte ihn keines Blickes.

Aus irgendeinem Grund konnte Nadim nicht umhin, statt des jungen Hengstes nun die Silhouette seiner Reiterin zu studieren. Der obere Teil ihres Gesichts war vom Schirm der Mütze verdeckt. Doch Nadim spürte einen plötzlichen Stich in der Herzgegend, so, als hätte ihm jemand einen Elektroschock verpasst.

Denn was er unterhalb des Mützenschirms sah, war von wirklicher Schönheit. Iseults Gesicht war fein geschnitten, sie besaß hohe Wangenknochen, eine schlanke, gerade Nase und ein schön geformtes Kinn. Ihr Mund bildete eine anmutig geschwungene Linie, wenngleich ihr Ausdruck eher mürrisch war. Wie sinnlich würden diese Lippen wohl aussehen, wenn Iseult glücklich war?

Verwirrt schob er diese Gedanken beiseite. Er ließ seinen Blick sinken und wurde sogleich von der Üppigkeit ihrer Brüste in den Bann gezogen. Noch ein Stich, diesmal in einer deutlich tiefer liegenden Region seines Körpers.

Er war völlig überrascht. Solche Gefühle erwartete er vielleicht, wenn er mit reifen, erfahrenen Frauen seines Standes verkehrte. Nicht aber bei einem Mädchen, das er vor wenigen Minuten noch für einen Jungen gehalten hatte. Und das dazu noch auf einem Gestüt auf dem Land lebte. Nadim konnte nur innerlich den Kopf über sich selbst und seine Empfindungen schütteln. Sein Ärger wuchs und zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab.

Iseult O’Sullivan hatte dem Scheich Devil’s Kiss nur äußerst widerwillig vorgeführt. Der Mann war gekommen, um sich anzusehen, was er schon so gut wie sicher in der Tasche hatte – ihren Hof nämlich und ihr Pferd. Heute wollte er seine Unterschrift unter den Vertrag setzen, und der Verkauf wäre endgültig rechtskräftig.

Vor einigen Monaten bereits hatte er einen Assistenten geschickt, der überall herumgeschnüffelt und Fotos gemacht hatte. Dann hatte der Scheich, wahrscheinlich im Schatten unter einer Palme sitzend, seelenruhig abgewartet, bis ihr Vater Insolvenz anmelden musste. Und nun wollte er zuschlagen. Doch als Iseult vom Rücken des Pferdes aus auf den fremden Mann herabsah, verrauchte ihre Wut mit einem Mal.

Plötzlich war sie noch aus einem anderen Grund ganz dankbar, dass sie aus Trotz oben sitzen geblieben und nicht abgestiegen war. Denn vermutlich würden am Boden ihre Knie wie aus Pudding sein. Iseult umklammerte Devil’s Kiss’ Zügel, und der junge Hengst unter ihr bebte noch leicht von der gerade absolvierten Vorführung.

Der Scheich sah gar nicht aus, wie man es von einem Mann aus Saudi-Arabien vielleicht erwartet hätte. Zunächst einmal war er groß, gut gebaut, mehr der athletische Typ. Sie war darauf vorbereitet gewesen, denn sie hatte im Internet nach Berichten und Fotos von ihm recherchiert, um sich ein Bild von ihm machen zu können.

Scheich Nadim Bin Kalid Al Saqr sah verdammt gut aus, daran bestand kein Zweifel. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Er trug verwaschene Jeans und ein dunkles, langärmeliges Polohemd. Beide Kleidungsstücke konnten kaum den muskulösen Körper darunter verstecken, wenngleich es nicht so wirkte, als wolle er diesen betonen. Sein olivfarbener Hautton wirkte hier im irischen Nieselregen so exotisch wie eine tropische Dschungelpflanze.

Er trug flache Schnürstiefel, immerhin eine angemessene Bekleidung für den feuchten Boden hier. Einen Fuß hatte er gegen den alten, hölzernen Zaunpfahl gestützt. Sein dichtes schwarzes Haar war sehr kurz geschnitten, doch ließ erahnen, dass es sich bei zunehmender Länge locken würde.

All dies nahm Iseult innerhalb einer Sekunde wahr – und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Zugegeben, er war ein Mann mit einer außergewöhnlich starken sexuellen Ausstrahlung. Aber das sollte ihr völlig gleich sein! Unfreiwillig erbebte sie dennoch. Und ein wohliges Ziehen machte sich in ihrem Unterleib bemerkbar.

Der Scheich strahlte Autorität und Macht aus. Kein Wunder, denn er war von königlicher Herkunft und ihm gehörten nicht nur unzählige Ländereien, sondern auch die besten Gestüte der arabischen Halbinsel.

Iseults Herz schlug bis zum Hals, als sie sah, mit welcher Geschmeidigkeit sich der Scheich über den Zaun schwang und direkt auf sie zukam. Auch Devil’s Kiss reagierte auf seinen neuen Herrn. Unruhig warf er den Kopf zurück, blähte die Nüstern und trippelte etwas seitwärts. Iseult tätschelte seinen Hals und flüsterte ihm einige beruhigende Worte ins Ohr. Nur kurz allerdings, denn sie wollte es dem Scheich nicht zu einfach machen.

Ihr Vater, der nur einige Schritte entfernt hinter dem Zaun stand, warf ihr flehende Blicke zu: Bitte benimm dich, Kind! Doch ihr Herz war zu schwer, als dass sie sich hätte benehmen können. Dieser Mann war imstande ihr alles zu nehmen, woran ihr Herz hing: das Gestüt, ihr Zuhause, ihr geliebtes Pferd. Das Einzige, was sie tun konnte, war, diesem Mann nicht einen Millimeter entgegenzukommen.

Der Scheich sah sie direkt an, und Iseult erkannte die Verärgerung auf seinem Gesicht, darüber, dass sie bisher nicht abgestiegen war. Und sich ihm quasi unterworfen hatte. Und obwohl Iseult ihm gerne ihre Abneigung gezeigt hätte, so war sie doch in erster Linie darauf bedacht, ihm nicht seine Wirkung auf sie anmerken zu lassen. Endlich hörte sie die Stimme ihres Vaters, angsterfüllt: „Iseult, steig endlich von dem Pferd herunter!“

Mit weit weniger Grazie, als es ihr eigentlich möglich war, ließ Iseult sich zu Boden gleiten. Ungeschickt ging sie mit den Zügeln in der Hand auf den Scheich zu, ohne ihn dabei anzusehen. Ihre Knie wurden tatsächlich zu Pudding, als sie neben ihm stand und bemerkte wie groß und kräftig er wirklich war. Seine Schultern waren breit, und sein Körper strotzte nur so vor Männlichkeit, dass Iseult unmittelbar ein starkes Kribbeln in der Magengrube spürte.

Und dann errötete sie auch noch. Gerade sie, die sich schon vor Jahren damit abgefunden hatte, dass ihre weibliche Seite nicht allzu stark ausgeprägt zu sein schien, sie stand hier neben ihm und zitterte! Dazu schossen ihr auch noch wirre erotische Bilder durch den Kopf. Das durfte doch alles gar nicht wahr sein. Dieser Mann war ihr Feind!

„Bitteschön.“ War das ihre Stimme gewesen? Barsch hielt sie ihm die Zügel unter die Nase.

In seinen dunklen Augen lag ein gefährliches Glitzern. Iseult betete, dass er ihr die Zügel aus der Hand nehmen möge, bevor ihre zitternden Hände ihre Erregung verrieten. Doch die Erleichterung mischte sich mit erneuter Hitze, als seine Finger ihre beim Übernehmen des Zaumzeugs berührten.

Unmittelbar machte sie auf dem Absatz kehrt und stapfte durch das feuchte Gras in Richtung ihres Vaters. Bloß nicht noch einmal umschauen. Bloß nichts anmerken lassen.

Noch niemals hatte Iseult sich so außer Kontrolle gefühlt. Ihr Körper schien ein wundersames Eigenleben entwickelt zu haben, mit dem sie ganz und gar nicht einverstanden war.

Mit klopfendem Herzen betrachtete sie nun, wie Scheich Nadim um das Pferd herumging und die Steigbügel auf seine Größe einstellte. Seine Hand strich dabei ganz beiläufig über Devil’s Kiss’ Flanke. Und Iseult erbebte abermals.

Dann bestieg er das Pferd mit einer unangestrengten Eleganz, wie sie Iseult noch nie zuvor bei einem Reiter gesehen hatte. Er schnalzte kurz, woraufhin der junge Hengst ohne zu zögern in einen leichten Galopp verfiel. Iseults Kehle fühlte sich plötzlich ganz trocken an. Devil’s Kiss war bestimmt kein einfaches Pferd. Doch er hatte nicht einmal den Hauch von Irritation oder Widerwillen gegenüber dem Scheich gezeigt. Er gehorchte seinem neuen Herrn widerspruchslos.

Im Pferdezuchtgeschäft galt Scheich Nadim weit über die Grenzen seines Königreichs hinaus als eine Art Rebell. Es war bekannt, dass er einen Reitstall in Europa aufbauen wollte, doch wie und wo hielt er bis jetzt geheim. Genauso wenig wusste die Öffentlichkeit über die Pferde Bescheid, die er in seiner Heimat züchtete und hielt. Immer wieder jedoch kam eines seiner Tiere zu großem Ruhm, weil es als vermeintlicher Außenseiter eines der ganz bedeutenden Rennen gewann. Erst im letzten Jahr hatte ein dreijähriger Hengst seines Gestüts völlig überraschend das renommierte Rennen von Longchamp bei London gewonnen. Spätestens seither galt Scheich Nadims Name in den entsprechenden Kreisen als der eines ernst zu nehmenden Konkurrenten.

Neben ihr lachte ihr Vater leise in sich hinein. „Das hättest du nicht gedacht, was? Dass Devil’s Kiss es dem Scheich so einfach macht?“

Iseults Augen füllten sich mit Tränen, was bei ihr nur sehr selten vorkam. Rasch drehte sie sich weg. Nach allem, was geschehen war, fühlte sie sich einfach nur machtlos. Ihre letzte Hoffnung war es gewesen, dass Devil’s Kiss es dem Scheich nicht einfach machen würde – und jetzt das! Eine weitere Niederlage, die sie erst einmal verdauen musste.

„Iseult, warte!“

Doch sie hatte sich schon umgedreht und war voller Trauer und Enttäuschung in Richtung ihres Hauses davongestürmt. Oh nein, das Haus gehörte ihnen ja gar nicht mehr, ebenso wenig wie die Koppel, die sie gerade überquerte. Ihr Vater versuchte es noch einmal. „Iseult O’Sullivan, komm gefälligst zurück! Was soll der Scheich von dir denken?“

Iseult drehte sich um, doch ging sie dabei rückwärts weiter. „Wir haben alles verloren, Papa!“ Sie warf in einer hoffnungslosen Geste die Arme in die Luft. „Ich werde mich nicht vor diesem Mann verbeugen oder gar zu Kreuze kriechen, wozu auch? Lass ihn Devil’s Kiss zu seinem Stall zurückbringen und sich um ihn kümmern. Schließlich ist es jetzt sein Pferd.“

All die Jahre, in denen Iseult sich um ihren Vater, ihre beiden jüngeren Brüder und die Schwester gekümmert hatte, ließen sie auf das Recht pochen, als Autorität in der Familie angesehen zu werden. Und ihr Vater wusste genau, wann er noch einmal mit ihr reden konnte und wann das letzte Wort gesprochen war. Er akzeptierte das, denn er verdankte ihr sehr viel.

Erst jetzt nahm Iseult den silbernen Geländewagen mit den getönten Scheiben wahr, der in der Hofeinfahrt stand. Ein wichtig dreinblickender Bodyguard mit dunkler Sonnenbrille stand daneben und sah herüber zu ihr. Ganz so, als könnte sie eine Bedrohung für den Scheich darstellen. Das machte Iseult nur noch wütender.

Dieser Scheich musste ja wirklich ein großes Selbstbewusstsein haben. Er kam hierher, in die irische Provinz und brachte seinen Leibwächter mit! Dabei hatte der Scheich selbst nicht gerade wehrlos ausgesehen. Und als er aufs Pferd gestiegen war, hatte sein Shirt für einen kurzen Moment seinen nackten, muskulösen Bauch freigegeben. Dieser Mann hatte einen durchtrainierten Körper, wie sie es bisher selten gesehen hatte. Wofür brauchte der einen Bodyguard?

Iseult stellte ihn sich in seiner Heimat vor. Auf weiche Seidenkissen gebettet, dazu noch Wein und erlesenste Köstlichkeiten. Und umringt von den schönen Frauen seines Harems, die ihm jeden Wunsch von den Lippen ablasen …

Tatsächlich passte dieses Bild nicht zu dem Mann, dem sie vor wenigen Minuten zum ersten Mal gegenübergetreten war. Und dessen Präsenz ihr ein heißes Pochen in einer sehr intimen Region ihres Körpers beschert hatte.

Sie betrat verwirrt den Stall. Was war nur in sie gefahren? Egal, jetzt musste sie wenigstens Devil’s Kiss’ Box so weit vorbereiten, dass der Scheich alles vorfand, was er brauchen würde. Iseult zog sich die Mütze vom Kopf und schüttelte ihr Haar. Sie atmete tief durch. Ihr Pullover war schweißnass, besonders Rücken und Brüste waren feucht und sehnten sich nach trockener Kleidung.

Als Iseult sich jetzt im Stall umsah, musste sie zugeben, dass es höchste Zeit war, dass sich jemand mit Geld des Gestütes annahm. Sie war so müde und traurig über all die leeren Boxen, in denen einst prächtige Pferde gestanden hatten. Doch die finanzielle Situation ihres Vaters hatte sie dazu gezwungen nach und nach den Großteil der Pferde zu verkaufen und sich einzig und allein auf Devil’s Kiss zu konzentrieren.

Erst kürzlich hatte zwar auch ein anderes ihrer Pferde ein Rennen gewonnen, doch das Geld dafür reichte kaum, um die laufenden Kosten zu decken. Ganz abgesehen davon, dass auch das Wohnhaus dringend einer Renovierung bedurft hätte.

Das Gestüt war am Ende. Zumindest ohne neues Geld. Und wo hätte das schon herkommen sollen? Devil’s Kiss war das letzte Ass, das sie im Ärmel gehabt hatten. Und das war jetzt auch verspielt.

Der Scheich wollte den jungen Hengst mit nach Saudi-Arabien nehmen, ihn dort trainieren, an Rennen teilnehmen lassen und in seine Zucht aufnehmen. Er würde ihr kleines Gestüt mit allem, was dazugehörte, übernehmen. Ein richtiges Unternehmen daraus machen. Iseult hatte nichts gegen Expansion oder Wirtschaftlichkeit. Aber es war ihr immer wichtig gewesen, dass sie sich mit ihrem Gestüt identifizieren konnte, und diese Zeiten waren jetzt vorbei. Viele irische Gestüte waren bereits in der Hand reicher Araber oder großer internationaler Firmen. Und nun gehörten also auch sie dazu.

Wieder einmal dachte Iseult sehnsüchtig an ihren Großvater. Der hätte sich auch gegen die Übernahme aufgelehnt, so viel war klar. Als Mädchen hatte sie ihn überall hin verfolgt, er war ihr Ein und Alles gewesen. Und als er dann nach schwerer Krankheit starb und der Untergang des Gestütes seinen Lauf nahm, da war sie gerade einmal zehn Jahre alt gewesen …

Wieder traten ihr die Tränen in die Augen. Doch genau in diesem Moment vernahm Iseult das vertraute Geklapper von Devil’s Kiss’ Hufen. Rasch wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Als sie zur Stalltür blickte, erschien auch schon die breitschultrige Silhouette des Scheichs – auf dem Rücken von Devil’s Kiss.

Für eine Sekunde war Nadim völlig perplex. Ohne ihre Mütze auf dem Kopf war O’Sullivans Tochter ganz definitiv eine Frau – und was für eine! Sie mochte vielleicht Anfang zwanzig sein, unglaublich schlank, dabei aber wohlproportioniert. Mit Rundungen an den richtigen Körperstellen, wie er ohne es zu wollen feststellen musste. Irritiert über die erneut aufsteigende Hitze in seinem Körper wandte er seinen Blick wieder ihrem Gesicht zu. Dieses war auf eine natürliche Weise schön. Sie trug nicht ein Krümelchen Make-up und hatte dennoch eine ebenmäßige, fast weiße Haut, leicht gerötete Wangen, leuchtende Augen, mit langen, dunklen Wimpern. Doch in dem Moment, als sie ihn wahrnahm, verfinsterte wieder der mürrische Ausdruck von vorhin ihr Gesicht. Die vollen, sinnlichen Lippen wurden zu einer schmalen Linie und die strahlenden hellbraunen Augen wandten sich von ihm ab. Iseult warf ihr wunderschönes, langes Haar in den Nacken. Es hatte eine Farbe, von der Nadim nicht gewusst hatte, dass sie in der Natur vorkam. Ein leuchtendes Dunkelrot mit einem Hauch Schokobraun darin. Er konnte nicht anders, als sie anstarren.

Er bemerkte, wie sich ihre Brust hastig hob und senkte. Vor Anstrengung? Vor Wut? Oder vor Erregung?

Hier brach er seine Gedanken ab, denn sie hatten einen direkten Einfluss auf die Vorgänge in seinem Körper. Ein plötzliches Begehren war in ihm aufgeflammt, unberechtigt und völlig unangemessen, und ließ ihn erbeben.

„Wenn sie mit Ihrer Inspektion fertig sind, übernehme ich Devil’s Kiss jetzt wieder. Ich gehöre übrigens nicht zum Inventar Ihrer neu erworbenen Güter.“

Ihre Stimme klang überraschend fest und kräftig für ein so zartes, junges Ding. Der Hochmut, der darin mitschwang, ließ ihn unverzüglich vom Pferd steigen. Verärgert stellte er fest, dass er sich wieder von jemandem herumkommandieren ließ, der kaum mehr war als ein Stallmädchen. Unglaublich. Er ignorierte die Hand, die sie ihm fordernd hingestreckt hatte, damit er ihr die Zügel aushändigte. Stattdessen sah er sie streng an.

Iseult kämpfte gegen ihren Wunsch an, einen Schritt zurückzuweichen. Denn nachdem der Scheich vom Pferd gestiegen war, stand er weit näher vor ihr, als es ihr lieb war. Die Ruhe und Gelassenheit, die er ausstrahlte, hatte ihre Knie abermals zu weich werden lassen. Und jetzt, wo er sie so finster anstarrte, wirkte er weit Furcht einflößender als vorhin auf der Pferdekoppel. Er musste mindestens 1,90 groß sein. Und obwohl Iseult selber nicht klein war, kam sie sich neben ihm wie eine Zwergin vor.

„Verbessern Sie mich bitte, falls ich mich irre, Miss O’Sullivan. Aber ich bin der Meinung, dass Sie und Ihr Vater sehr wohl zum Inventar des Gestütes gehören. Denn Teil der Vereinbarung ist es, dass alle bisher Angestellten von mir übernommen werden und somit fortan für mich arbeiten. Oder gehören Sie nicht zu diesem Personenkreis?“

Seine souverän klingende, tiefe Stimme und der verführerische, harte Akzent verwirrten Iseult nur noch mehr. Wütend auf sich selbst, blaffte sie ihn an: „Ich bin mehr, als nur eine kleine Angestellte. Da, wo Sie herkommen, ist es vielleicht an der Tagesordnung Menschen zu kaufen und zu verkaufen. Hierzulande gelten solch mittelalterliche Praktiken zum Glück als überholt.“

Sein Gesicht versteinerte sich zusehends. „Vorsicht, Miss O’Sullivan. Ich glaube, Sie gehen gerade einen Schritt zu weit. Ihre Unverschämtheit wird mir allmählich zu bunt. Ich halte nichts von Angestellten, die Widerworte geben – oder Fremden einen Jagdhund auf den Hals hetzen.“

Iseult errötete vor Scham. „Murphy ist kein Jagdhund“, murmelte sie zu ihrer Verteidigung. „Ich war alleine zu Hause und Ihr Assistent hat hier herumgeschnüffelt.“

Scheich Nadims Mundwinkel drückten Missfallen aus. „Er hat höflich darum gebeten, sich umsehen zu dürfen. Und das kam wohl auch nicht allzu überraschend, da Sie ja überall publik gemacht hatten, dass das Gestüt zum Verkauf steht.“

Iseult wich seinem tadelnden Blick aus. Wie nur hätte sie diesem Mann erklären können, dass sie zunächst nicht hatte klein beigeben wollen? Dass sie noch Hoffnung gehabt hatte, dass das Gestüt weiterhin in ihrem Besitz bleiben konnte? Und dass der Assistent alles andere als höflich gefragt hatte, sondern arrogant über die Ländereien stolziert war, als wäre er der neue Besitzer?

Nadim fuhr fort: „Ich muss wohl nicht ausdrücklich erwähnen, dass es künftig an mir liegt, Angestellte zu entlassen, wenn ich nicht zufrieden mit ihnen bin, oder?“

Alle Farbe war aus Iseults Gesicht gewichen. Tatsächlich hatte sie sich über diesen Sachverhalt noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Was für eine unfassbare Vorstellung! Nicht mehr hier arbeiten zu dürfen. Entlassen zu werden vom neuen Chef.

Sie sah eine Regung in seinem Gesicht, hörte etwas, das wie ein knapper Fluch klang. Und dann trat er noch näher an sie heran, diesmal mit sorgenvollem Gesichtsausdruck. Dachte er, sie würde ohnmächtig werden? Iseult hatte noch nie in ihrem Leben das Bewusstsein verloren. Abwehrend wich sie vor ihm zurück.

Nadim musste den Reflex unterdrücken, sich zu entschuldigen. Er wusste gar nicht mehr, wann er zum letzten Mal jemanden um Verzeihung gebeten hatte. Aber jetzt und hier war es auf alle Fälle unangemessen. Dennoch tat es ihm leid, dass er so barsch mit ihr gesprochen hatte. Das lag ja nur daran, dass sie ihn so sehr reizte. Im doppelten Sinne, sozusagen. Doch als sie plötzlich so leichenblass geworden und nach hinten gewankt war, da hatte er sie einfach beschützen wollen. Er konnte nicht glauben, was dieses Mädchen an Gefühlen in ihm auslöste. Noch nie war ihm eine Frau, die er kaum kannte, so nahe gegangen.

Er konnte sich jetzt auf keine weitere Diskussion einlassen. Sie war nur eine von über hundert Angestellten, die weltweit unter seinem Kommando arbeiteten. „Devil’s Kiss wird morgen auf die Reise nach Saudi-Arabien gehen. Kümmern Sie sich darum, dass alles dafür vorbereitet ist“, ordnete er knapp an. Dann drehte er sich um und verließ den Stall.

2. KAPITEL

Kurz darauf betrat Iseult, innerlich immer noch zitternd, das Wohnhaus durch die Hintertür. Sie zog die schweren Arbeitsstiefel aus und sog tief den köstlichen Essensduft ein, der aus der Küche zu ihr herüberwehte. Am Herd stand Mrs. O’Brian, die Haushälterin. Sie sah ziemlich aufgeregt und gehetzt aus und hantierte eilig mit Töpfen, Pfanne und Kochlöffel herum. Unter dem Küchentisch lag zusammengerollt Murphy, der Haus- und Hofhund, und beäugte ihr Tun misstrauisch.

„Was ist denn los?“, wollte Iseult wissen.

Die ältere Frau blies eine Haarsträhne aus ihrem geröteten Gesicht. „Vor nicht einmal einer Stunde hat mich dein Vater informiert, dass der Scheich und seine Leute heute bei uns zu Mittag essen wollen. Und jetzt muss ich gucken, was ich auf die Schnelle zaubern kann. Das heißt Essen für fünf Personen. Soviel habe ich nicht mehr kochen müssen, seit die Kinder auf dem College sind.“

Die Kinder, das waren Iseults jüngere Geschwister, Paddy Junior und die Zwillinge Nessa und Eoin. „Naja, und es muss halt auch einem Scheich genügen … wir können ihm ja schlecht nur Pellkartoffeln vorsetzen“, fügte Mrs. O’Brian hinzu.

Erneute Wut flammte in Iseult auf. Was bildete sich dieser Mensch nur ein? So eine Unverschämtheit, dass er sich und seine Begleiter jetzt auch noch zum Mittagessen einlud. Sie hatten kaum genug Geld, die Vorratskammer für sich selbst zu bestücken, geschweige denn für reiche, fremde Männer mitzukochen. Am liebsten hätte Iseult der Haushälterin befohlen, auf der Stelle mit den Vorbereitungen aufzuhören. Doch sie wusste, wie viel ihrem Vater diese Bewirtung bedeuten würde, und so ließ sie es sein.

Letztendlich hatten sie keine Wahl: Entweder würde der Scheich das Gestüt übernehmen oder die Bank würde es tun. Und immerhin hatte der Scheich ihnen zugesichert, dass ihr Vater weiterhin das Gestüt leiten und auf seinen Namen führen durfte. Und wenn sie sich etwas zusammenriss, dann würde sie auch weiter hier arbeiten können. Selbst die Bezahlung würde anständig sein. Während sie darüber nachdachte, stiegen leichte Schuldgefühle in Iseult auf. Vielleicht sollte sie einfach die Sache akzeptieren und ihren Frieden mit Scheich Nadim machen.

Doch konnte sie das wirklich? Sie hatte sich falsch verhalten, okay, aber noch etwas stand zwischen ihnen, das sie nicht so einfach vergessen konnte. Aber verdrängen musste sie es auf alle Fälle. Und zwar sofort.

Innerlich gab sie sich geschlagen, griff nach der Ersatz-Schürze und band sich diese um. Mrs. O’Brian warf ihr ein dankbares Lächeln zu. Dann arbeiteten die beiden Frauen Schulter an Schulter, um den Gästen eine annehmbare Mahlzeit zuzubereiten.

Ein Tablett mit dampfenden Suppentassen balancierend, blieb Iseult wie vom Donner gerührt vor der Esszimmertür stehen. Scheich Nadims tiefe Stimme, die gedämpft nach draußen drang, hatte ihr eine Gänsehaut über den Körper gejagt. Egal. Zähne zusammenbeißen und durch.

Iseult betrat den Raum, und alle Stimmen verstummten. Sie vermied jeglichen Blickkontakt, nahm aber wahr, dass der Scheich am Kopf des Tisches Platz genommen hatte. Das war immer das Privileg ihres Großvaters gewesen. Wie hatte ihr Vater ihm das nur erlauben können?

Mit zitternder Hand begann Iseult die Suppen zu servieren. Zuerst bekamen die Anwälte und der Leibwächter ihre Vorspeise, dann ihr Vater und ganz zum Schluss stellte sie auch Scheich Nadim ein Schälchen vor die Nase. Natürlich war ihr klar, dass die Reihenfolge genau andersherum hätte sein sollen, doch diese kleine, ungehorsame Geste konnte sie sich nicht verkneifen.

Als sie mit hoch erhobenem Kopf den Raum gerade wieder verlassen wollte, hörte sie die ängstliche Stimme ihres Vaters: „Iseult, Liebes, warum setzt du dich nicht zu uns?“

Sie war ihm so wichtig. Nicht zuletzt auch, was ihr Wissen über den Hof und alles, was dazugehörte, betraf. Doch Iseult war nicht darauf vorbereitet, in die Kaufverhandlungen mit einbezogen zu werden. Ihr Vater war und blieb der Kopf des Gestütes. Dass in Wirklichkeit sie es war, die seit Jahren alles am Laufen hielt, das sollte der neue Eigentümer gar nicht erfahren. Und Iseult betete, dass ihr Vater tatsächlich eines Tages wieder so weit sein würde, dass er die Geschäfte ganz alleine führen konnte. Doch der Blick ihres Vaters verriet seine Angst, sich vor den Männern zu blamieren und vielleicht doch noch die ihm versprochene Stelle als Manager zu verlieren.

Iseult zögerte. Doch die tiefe Stimme des Scheichs nahm ihr die Entscheidung ab: „Seit wann setzten sich eine Stallhilfe und ein Küchenmädchen zusammen mit dem Eigentümer des Gestütes an einen Tisch? Mr. O’Sullivan, entschuldigen Sie, aber von jetzt an möchte ich nicht mehr, dass Ihre Tochter hier zu Mittag isst. Außerdem glaube ich auch nicht, dass sie imstande ist, sonderlich viel zu unseren Gesprächen beizutragen.“

Iseult wandte sich um zum Scheich, das Tablett hielt sie wie eine Waffe vor dem Körper. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte es ihm in seine arrogante Visage gerammt. Doch sie beruhigte sich, zwang sich zu einem Lächeln und deutete sogar noch einen kleinen Knicks an. Ihre Stimme klang ruhig und freundlich, als sie entgegnete: „Sehr wohl, der Herr. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich mich jetzt zurückziehen. Ich habe auch gar keine Zeit, mit den Herren zu speisen, denn ich habe ja Stall und Küche, die mich rund um die Uhr auf Trab halten.“ Sie kicherte gekünstelt, warf ihm dabei aber einen eiskalten Blick zu. Dann wandte sie sich um und verließ auf kürzestem Weg das Esszimmer. Ein unterdrücktes Lachen vonseiten ihres Anwaltes zeigte ihr, dass sie alles richtig gemacht hatte. Der Scheich war bloßgestellt. Alle Anwesenden mussten erkennen, wie er wirklich war: primitiv und selbstgerecht.

Natürlich hatte Iseult nicht die geringste Lust, die Suppentassen wieder abzutragen und den Hauptgang zu servieren. Doch als sie zurück in die Küche kam, war Mrs. O’Brian schon mit dem Nachtisch beschäftigt und so gab Iseult nach und ging wieder zurück ins Esszimmer.

Spannung lag in der Luft, als sie den Raum betrat. Iseult spürte ein Prickeln am ganzen Körper, was sie darauf zurückführte, dass ein bestimmtes Augenpaar jede ihrer Bewegungen verfolgte. Sie selbst hingegen betrachtete ihren Vater aus dem Augenwinkel. Dankbar nahm sie wahr, dass vor ihm immer noch nur ein Glas Wasser stand und er nicht etwa aufgrund der problematischen Situation rückfällig geworden war.

Iseult wollte das leere Geschirr auf einem Tablett zurück in die Küche tragen, doch als sie die Esszimmertür erreichte, war diese inzwischen zugefallen. Noch bevor sie darauf reagieren konnte, war schon jemand vom Tisch aufgesprungen und hatte sich ihr von hinten genähert. Ein muskulöser Arm griff an ihr vorbei, um ihr die Tür aufzuhalten. Iseult stockte für einen Moment der Atem. Konnte das wirklich der Scheich sein? Ihr Magen begann wie wild zu kribbeln. Ungeschickt trat sie etwas zurück, um auszuweichen. Und für einen Moment berührte ihr Rücken der Länge nach seinen festen, warmen Körper. Eine unbeschreibliche Hitze flammte in ihr auf. Fast hätte sie das Tablett fallen lassen, doch er führte sie am Arm hinaus in den Flur und zog die Tür hinter ihnen ins Schloss. Dann baute er sich groß und imposant vor ihr auf. Iseult wäre am liebsten im Erdboden versunken, doch es gelang ihr, seinen finsteren Blick zu erwidern.

Er sprach leise und eindringlich zu ihr. „Ihr Verhalten mir gegenüber gefällt mir überhaupt nicht, Miss O’Sullivan. Noch so eine Szene und weder Sie noch Ihr Vater werden hier einen Tag länger arbeiten. Mir schwant mittlerweile, dass ich viel zu gutgläubig gewesen bin, was die Fähigkeiten Ihres Vaters bei der Führung des Gestüts betrifft.“

Er fuhr mit harter Stimme fort: „Ich habe keine Ahnung, warum Sie sich mir gegenüber so feindselig verhalten. Ich bin nicht schuld daran, dass das Gestüt bankrottgegangen ist. Darüber sollten Sie nachdenken, bevor wir beide uns nach dem Mittagessen ein bisschen eingehender unterhalten.“

Iseult hatte den dringenden Wunsch, das Tablett endlich abzustellen. Ihre Arme zitterten, und das Geschirr klapperte ganz leise. „Wie meinen Sie das, unterhalten?“

„Nach nur zehn Minuten mit Ihrem Vater war mir klar, dass unmöglich er es sein kann, der hier die Fäden in der Hand hält. Er scheint nicht viel mehr vom Geschäft zu verstehen, als seine Haushälterin. Es sieht so aus, als hätte ich Sie unterschätzt, Miss O’Sullivan. Wir treffen uns in einer Stunde im Büro Ihres Vaters.“

Und ohne ihre Antwort darauf abzuwarten, verschwand er wieder im Esszimmer. Mit wild pochendem Herzen blieb Iseult zurück. Mrs. O’Brian brachte in diesem Moment das Dessert und den Irish Coffee und servierte beides auch, nachdem sie Iseults Zustand gesehen hatte. Diese stellte das Tablett in der Küche ab und stürzte nach draußen.

Die kühle, frische Luft tat ihr unendlich gut. Ihre Wangen glühten noch, aber langsam kam ihr Körper wieder zur Ruhe. Was war nur los mit ihr?

Instinktiv ging Iseult herüber zu den Ställen, wo sie Devil’s Kiss heute wohl zum letzten Mal antreffen würde. Als der junge Hengst ihre Schritte vernahm, kam er sofort zum Fenster seiner Box getrabt. Sie streichelte und tätschelte ihn, und erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen. Das war es also gewesen. Der Hof in fremder Hand und Devil’s Kiss bald schon in weiter Ferne.

Dazu kam noch ihre Verwirrung in Bezug auf den Scheich. Sie war nie ein verträumtes Mädchen gewesen, das irgendwelchen Schwärmereien nachgehangen hatte. Ihre Jugendjahre waren von harter Arbeit geprägt gewesen, nicht von Interesse für das andere Geschlecht. Doch irgendetwas schien sich in ihr verändert zu haben, seit der Scheich hier aufgetaucht war. Er brachte durch seine bloße Anwesenheit ihren ganzen Körper aus seinem Gleichgewicht. Es war, als wäre etwas in ihr aufgebrochen und würde jetzt darauf drängen, herausgelassen zu werden. Und trotz all dieser verwirrenden Empfindungen in ihr fühlte Iseult sich zum ersten Mal in ihrem Leben als richtige Frau.

Unwillkürlich biss sie die Zähne zusammen, sodass ihre Lippen wieder eine harte dünne Linie bildeten. Als ihre Mutter gestorben war, war sie gerade zwölf Jahre alt gewesen. Danach hatte es kein weibliches Vorbild mehr für sie gegeben. Und als sie einmal von sich aus probiert hatte, betont weiblich zu sein, da war sie unendlich gedemütigt worden. Niemals wieder würde sie jemanden so nahe an sich heranlassen, das hatte sie sich damals geschworen.

Wie um alles in der Welt kam sie jetzt auf diese Geschichte? Wieder erschien das harte, aber fein geschnittene Gesicht des Scheichs vor ihrem geistigen Auge. Und wieder begann es in ihrem Magen zu kribbeln. Unter normalen Umständen hätten ein Mann wie er und eine Frau wie sie sich niemals kennengelernt. Und natürlich würden sie einander auch niemals näher kennenlernen. Im Internet hatte sie Fotos von ihm zusammen mit verschiedenen Frauen gesehen. Allesamt charmant und attraktiv, herausgeputzt und einfach wunderschön. Genau so, wie Iseult niemals sein würde.

Sie ging zurück zum Haus, mit mulmigem Gefühl im Bauch, bei dem Gedanken an das Gespräch mit Scheich Nadim. Sie würde sich entschuldigen müssen, so viel stand fest.

Der Scheich stand mit dem Rücken zu ihr hinter dem wuchtigen Schreibtisch ihres Vaters. Es schien, als habe er gerade die Aussicht auf die sanften, grünen Hügel genossen und auf die Ländereien des Gestüts, das nun ihm gehörte. Er wandte sich um, als sie mit einem zaghaften Klopfen eintrat.

Iseult blieb direkt neben der Tür stehen. Die Vorstellung, sich ihm noch einmal nähern zu müssen, war mehr, als sie heute noch ertragen konnte.

Scheich Nadim hob fragend eine Augenbraue.

Iseult begann: „Ich … ähm … wollte mich entschuldigen.“

Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Leicht machen würde er es ihr also nicht.

„Es tut mir leid, wenn ich auf Sie den Eindruck gemacht habe, dass ich …“

Er unterbrach sie, und sie hörte den Ärger in seiner Stimme: „… rüpelhaft, egoistisch, impertinent, einfach unverschämt war?“

Iseult spürte, wie erneut die Wut in ihr aufstieg. Was fiel diesem Kerl eigentlich ein, sie derart zu beschimpfen? Und das, obwohl sie gekommen war, um sich zu entschuldigen! Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, erwiderte aber nichts.

Der Scheich zog den mächtigen Schreibtischstuhl unter dem Tisch heraus und setzte sich. Dabei fiel ihr Blick auf seine muskulösen Oberschenkel, über denen nun der Jeansstoff spannte. Irgendetwas zwang sie förmlich dazu, dorthin zu schauen. Und ihr Körper reagierte erneut mit einem Kribbeln.

Scheich Nadim verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust und blickte sie unverwandt an. Für einen Augenblick vergaß Iseult, was sie hatte sagen wollen. Doch dann fiel es ihr wieder ein. Und obwohl sie gerne etwas Entsprechendes auf seine Beleidigung geantwortet hätte, entgegnete sie nur: „Ich entschuldige mich hiermit für mein Verhalten. Ich hätte Sie nicht so respektlos behandeln dürfen.“

„Nein, das hätten Sie wirklich nicht.“ Er wirkte fast ein wenig überrascht, während er sie weiterhin fixierte. „Zugegeben, ich kann schon nachvollziehen, dass die Situation nicht einfach für Sie ist. Deshalb verzeihe ich Ihnen.“

Er senkte seinen Blick für einen Moment, und es schien, als würde er ihren Körper betrachten. Iseult fühlte, wie ihr wieder unerträglich heiß wurde, ganz besonders im Bereich zwischen ihren Schenkeln und von dort aufwärts. Ein Kribbeln und Prickeln, als würde der Scheich ihr die Kleider vom Körper streifen.

„Und schließlich sind Sie ja noch sehr jung“, er sah diesmal ihr Gesicht abschätzend an, „achtzehn, vielleicht?“

Ohne es zu wollen, musste Iseult grinsen. „Ich bin dreiundzwanzig“, entgegnete sie ruhig. „Ich bin kein Kind mehr, falls Sie das gedacht haben.“

Nadim erschrak, als er hörte, wie alt sie war. Nicht nur, weil Sara mit dreiundzwanzig … er verbot sich diesen Gedanken zu Ende zu denken. Nein, auch die Tatsache, dass er das junge Mädchen absichtlich jünger eingeschätzt hatte, als sie war. Weil er sich auf jeden Fall davor hatte wappnen wollen, dass sie tatsächlich gewisse Gefühle in ihm auslöste. Gefühle, die ihm in Bezug auf sie mehr als unmöglich zu sein schienen. Die einfach nicht sein durften.

„Dann aber wohl eine recht naive Dreiundzwanzigjährige“, antwortete er barsch. „Die den Gedanken nicht erträgt, fortan nicht mehr die Herrin des Hauses zu sein.“ Das war jetzt vielleicht etwas zu hart gewesen.

Und tatsächlich konnte Iseult ihre Wut nicht länger unterdrücken. „Dann sind Sie wohl ein recht naiver neuer Eigentümer. Wenn Ihnen noch nicht aufgefallen ist, dass es hier längst keine Hausherrin mehr gibt. Jeder packt mit an. Jeder tut sein Möglichstes, um den Laden hier am Laufen zu halten. Mrs. O’Brian hat seit Monaten kein Gehalt gesehen, doch sie bleibt trotzdem bei uns. Aus Loyalität und für nicht mehr, als ein Dach über dem Kopf.“ Ihre Stimme klang verbittert, als sie fortfuhr: „Aber so wie es aussieht, hat unsere harte Arbeit eben nicht ausgereicht.“

„Oder die Tatsache, dass ihr ein junges neues Gewinnerpferd hervorgebracht habt“, ergänzte er.

Überrascht sah sie ihn an und nickte. „Ja, oder die Tatsache, dass wir ein neues Gewinnerpferd hervorgebracht haben.“

Nadim war überrascht über den plötzlichen Stimmungswandel der Irin. Eben noch leidenschaftlich kämpfend, jetzt plötzlich ganz leise und verstört. Als er sie noch eingehender betrachtete, bemerkte er, dass sie tatsächlich viel zu dünn war. Und ihr Gesicht, das sich zwar einige Male in seinem Beisein gerötet hatte, war eigentlich viel zu blass mit dunklen Schatten unter den großen Augen.

„Trinkt Ihr Vater noch?“, wollte Scheich Nadim fast mitleidig wissen.

Zu seiner Überraschung blaffte sie nicht zurück, schüttelte aber energisch den Kopf. „Nein, er ist schon seit sieben Jahren trocken. Und das wird er auch bleiben.“

„Woher wollen Sie das so genau wissen? Der Verkauf des Hofes, die Umstrukturierung hier, vielleicht wird ihm das alles zu viel. Vermutlich hat sein Alkoholproblem überhaupt erst dazu geführt, dass das Gestüt bankrottging?“

Noch nie hatte Iseult mit jemandem darüber gesprochen. Und so wunderte es sie noch mehr, dass sie sich ausgerechnet mit dem Scheich ganz vernünftig darüber unterhalten konnte. „Nun, alles begann mit der Krankheit meines Großvaters. Wir hatten eine Menge Pech in dieser Zeit, viele Probleme mit der Zucht … und plötzlich … Keine Ahnung. Immer weniger Züchter brachten ihre Stuten zum Decken zu uns. Plötzlich hatten wir nur noch Ausgaben und kaum mehr Einnahmen … und dann ist kurz nach meinem Opa auch noch meine Mutter verstorben.“

Sie konnte nicht weiter sprechen. Und sie wollte auch gar nicht. Der Scheich sah sie immer noch aufmerksam an. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er diese Fakten den Unterlagen noch gar nicht entnommen hatte.

„Und wie ging es danach weiter? Hat ihr Vater jemand Neues eingestellt?“

„Nein.“ Sie lachte verstört. „Wir haben eben alle mit angepackt – ich natürlich mehr, als meine drei jüngeren Geschwister. Allerdings mit wenig Erfolg, wie Sie ja sehen.“

Nadim war bestürzt. Nach außen hin verriet nichts seine Gedanken, doch er kochte innerlich vor Wut auf Iseults Vater. Wie hatte dieser seiner Tochter nur die Jugend rauben können? Und wofür? Sie hatte Schule und Beruf quasi gleichzeitig durchgezogen, und sich außerdem noch um ihre jüngeren Geschwister und ihren alkoholkranken Vater kümmern müssen.

Das Merkwürdige war nur, dass er jetzt, wo er ihre Geschichte kannte, plötzlich ein völlig anderes Bild von Iseult hatte. Noch nie hatte er innerhalb so kurzer Zeit seine Meinung zu einer Person so radikal geändert.

Sie unterhielten sich noch eine Weile über Devil’s Kiss, und Nadim erkannte auch hier Iseults Begabung und Ehrgeiz.

Schließlich deutete er auf den Stuhl ihm gegenüber vor dem Schreibtisch, und Iseult gehorchte und nahm Platz. Scheich Nadim zog einen Stapel Papiere aus einer ledernen Mappe.

„Es ist alles unterschrieben, Iseult. Jetzt gehört alles mir.“ Für einen Sekundenbruchteil huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Auch du.“

Fassungslos starrte Iseult ihn an. Hatte sie gerade richtig gehört? Der Scheich hatte sie plötzlich bei ihrem Vornamen angeredet, sie geduzt und – was noch viel schlimmer war – auch schon wieder behauptet, sie wäre jetzt quasi sein Eigentum!

„Und …?“, gelang es ihr endlich hervorzustammeln, „Was …?“

„Ich habe einen neuen Manager eingestellt“, fuhr er fort, ohne ihr in die Augen zu sehen.

„Wie bitte? Sie hatten doch meinem Vater die Stelle versprochen? Was für eine Frechheit!“, erboste sich Iseult. „Wenn Sie glauben, dass Sie damit durchkommen …“

„Iseult!“, unterbrach er sie wütend. „Halt den Mund.“

Ihr Herz schlug bis zum Hals, erstens, weil er sie angeschrien hatte, und zweitens, weil er es gewagt hatte, ihr den Mund zu verbieten. Dennoch war da gleichzeitig wieder diese fast greifbare, erotische Spannung zwischen ihnen, die Iseult kaum mehr ertragen konnte.

„Dein Vater bleibt ja auch weiterhin Manager“, fuhr er endlich fort, nachdem er sich wieder in seinem Sessel zurückgelehnt hatte. „Ganz wie ich es versprochen hatte. Doch ich sehe ihn eher als eine Art Berater, der dem neuen Manager zur Hand geht. Dir müsste klar sein, dass diese Aufgabe den Fähigkeiten deines Vaters viel eher entspricht.“ Er sah kurz auf, wartete aber keine Antwort ab. „Der Neue wird morgen früh anfangen. Deine Aufgabe wird es sein, ihm alles zu zeigen und ihm all seine Fragen zu beantworten. Sieh zu, dass du bis mittags damit fertig bist, denn am Nachmittag wirst du Devil’s Kiss nach Merkazad begleiten.“

3. KAPITEL

Mit fragendem Blick sah Iseult ihn an. „Merkazad? Wo ist Merkazad? Ich gehe nirgendwo hin, ich werde hier gebraucht.“

Scheich Nadim verzog keine Miene. „Merkazad ist das Land, aus dem ich komme. Es ist ein unabhängiges, kleines Scheichtum im Süden von Al-Omar. Und doch, du wirst dorthin fliegen.“

Für einen Moment schien Iseults Herz stehen zu bleiben. Sie sollte weggehen? Das Gestüt verlassen? Aber für wie lange? „Aber warum? Sie brauchen mich doch da überhaupt nicht“, entfuhr es ihr. „Sie haben doch dort ein riesiges Unternehmen mit zig Mitarbeitern aufgebaut.“

Wieder lächelte er für einen kurzen Moment. „Du hast dich über mich schlaugemacht, wie?“

Sie errötete. „Nun ja … ich habe eben recherchiert, wer unser Gestüt übernimmt.“ Doch vor ihrem geistigen Auge erschienen nur Bilder von ihm und seinen sexy Begleiterinnen.

Nadim konnte nicht fassen, dass er diese Unterhaltung immer noch führte. Er war es gewohnt, dass er Anweisungen erteilte und seine Angestellten sie befolgten. Es war ganz einfach und logisch, und bisher war dieses System auch niemals infrage gestellt worden. Und hier stand nun dieses aufbrausende, rothaarige Mädchen vor ihm und belehrte ihn eines Besseren. Sie war störrisch wie ein Esel. Und sie trug immer noch die gleichen Klamotten, wie vorhin bei ihrer Reit-Vorführung.

Er betrachtete ihren vollen Mund, dessen sinnliche Lippen ihm einen wohligen Schauer über den Rücken jagten. Mehr noch, er spürte ein so plötzliches Aufwallen seiner Begierde, dass er unter dem Tisch die Hände zu Fäusten ballte. Wie war er nur auf die bescheuerte Idee gekommen, sie in sein Heimatland zu zitieren?

Verärgert über seine erneute Erregung, fuhr er sie an: „Du wirst nach Merkazad fliegen, fertig! Ich dulde keinerlei weitere Diskussion darüber.“

Iseult sprang empört auf, so, als schien seine Anweisung erst jetzt richtig zu ihr durchgedrungen zu sein. „Ich kann hier nicht weg.“ Sie spürte, wie das blanke Entsetzen in ihr aufstieg. „Mein Vater – was soll er nur ohne mich machen? Und die Kinder?“

Auch Scheich Nadim hatte sich aus seinem Sessel erhoben. Reglos vor Wut stand er ihr gegenüber. „Welche Kinder? Willst du sagen, dass unter diesem Dach auch noch dein eigener Nachwuchs lebt?“

Diesmal war es an Iseult für einen kurzen Moment zu grinsen. Schnell schüttelte sie den Kopf: „Nein. Wir nennen meine drei jüngeren Geschwister immer die Kinder. Sie sind auf dem College, aber wenn sie nach Hause kommen …“, sie stockte. „Sie haben ja nur mich.“

Nadim war überrascht über seine plötzliche Erleichterung. Er ging um den Schreibtisch herum auf sie zu und bemerkte mit Wohlwollen, wie sie zurückwich. Respekt hatte sie also vor ihm. Zumindest körperlich. Und schon meldete sich wieder dieses heiße Pochen in seinem Körper, das ihn langsam rasend machte. Es musste daran liegen, dass er seit Monaten keine Frau gehabt hatte, obwohl ihm mehr als genug Geliebte zur Verfügung standen. Er hatte schlichtweg keine Lust gehabt. Doch nun meldete sich dieses Urverlangen zurück in ihm, stärker als je zuvor.

„Als Jugendlicher habe ich alleine die Welt umreist“, entgegnete er endlich. „Zweimal sogar“, fügte er prahlerisch hinzu.

„Sie kommen aus einem ganz anderen Kulturkreis“, wandte Iseult ein.

„Nicht so ganz“, unterbrach er sie schroff. „Ich bin in England zur Schule gegangen.“ Und trocken fügte er hinzu: „Nicht in einem Beduinenzelt in der Wüste, wie du es wahrscheinlich erwartet hattest. Wie auch immer, deine Geschwister sind heranwachsende Jugendliche. Sie sind die Woche über im College und kommen höchstens am Wochenende hierher. Und auch dann werden sie nicht alleine sein, denn dein Vater ist schließlich auch noch da.“

Iseult wollte antworten, dass sie von klein auf die Ersatzmutter für die Drei gewesen war, doch bevor sie dazu kam, fuhr der Scheich fort: „Ich weiß, wie es ist, ganz ohne Eltern aufzuwachsen, denn meine sind ebenfalls früh verstorben. Und ich musste mich um meinen jüngeren Bruder und um das Scheichtum kümmern.“

Mitgefühl stieg in Iseult auf. Doch rasch schluckte sie ihre Emotionen wieder herunter. „Und was … was soll ich in Merkazad machen?“

„Nun, du wirst Teil meiner Crew. Du kümmerst dich um die Pferde, die Ställe, und eventuell werde ich dich auch in Devil’s Kiss’ Training mit einbeziehen. Ich möchte, dass er nächstes Jahr am Prix de l’Arc teilnimmt. Und übernächstes Jahr am Dubai World Cup.“

Trotz der Tatsache, dass ihre Welt soeben ins Wanken geraten war, empfand Iseult doch so etwas wie Freude darüber, dass sie weiterhin bei Devil’s Kiss sein durfte. Und irgendwo in ihrem Bauch machte sich auch eine gewisse Aufregung breit.

„Und was ist, wenn ich mich weigere“, wollte sie trotzdem wissen.

„Das ist doch ganz einfach“, entgegnete er ruhig. „Dann wirst du eben nicht länger für mich arbeiten.“

Er sagte das mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass Iseult eine Gänsehaut bekam. „Ich muss also nach Merkazad fliegen, oder ich werde für immer vom Hof verwiesen, richtig?“

Nadims Gesichtszüge blieben hart. Doch er durfte seiner Lust, sie seinem Willen untertan zu machen nicht weiter nachgeben. „Ich denke, du hast sehr wohl die Wahl. Du hast jede Menge Erfahrungen als Pferde-Trainerin sammeln können. Du musst nicht für mich arbeiten. Die Welt steht dir offen“, schlug er nun sanftere Töne an. „So aber kannst du weiter in Devil’s Kiss’ Nähe bleiben. Und du weißt, dass es auch keine schlechte Referenz ist, für mich gearbeitet zu haben. Überleg es dir.“

Iseult dachte nach. Es hätte tatsächlich weit schlimmer kommen können. Die Bank oder der neue Eigentümer des Gestütes hätte sie und ihren Vater hochkant hinauswerfen können. Dann würden sie jetzt ohne Haus, Hof und Pferde dastehen und dazu noch arbeitslos sein.

Kämpferisch sah sie ihm direkt in die Augen. Eine Sache ließ ihr keine Ruhe: „Warum machen Sie das überhaupt? Sie hätten uns doch auch alle entlassen können.“

Scheich Nadims Augen funkelten verärgert. Es schien nicht viele Menschen zu geben, die seine Entscheidungen hinterfragten, kam es Iseult plötzlich in den Sinn. Sein Kiefer wirkte angespannt, als er entgegnete: „Weil ich weiß, was es bedeutet, alles zu verlieren. Dies hier ist ein relativ kleines Gestüt, eine eingeschworene Gemeinschaft, wenn man so will. Ihr kennt einander, kommt gut miteinander aus, jeder weiß, was er zu tun hat. Und die Nachbarn, die Leute im Dorf, die respektieren und kennen euch. Das kann für mich natürlich nur von Vorteil sein. Würde ich komplett neue Mitarbeiter einstellen, müsste das alles erst noch wachsen. Summa summarum kommt es mich günstiger, euch alle zu behalten und zu bezahlen, als einen Neuanfang zu machen.“ Dann fügte er ungeduldig hinzu. „Also, Iseult, du musst dich jetzt entscheiden. Ich bin bereit, dich zu behalten, aber wenn du nicht willst, kannst du auch gerne gehen.“

Sie überlegte. „Wie lange soll ich denn in Merkazad bleiben?“

„So lange, wie ich es für richtig halte“, entgegnete er entnervt.

So lange, wie ich es für richtig halte. Wie arrogant, wie lächerlich autokratisch das klang! So völlig unpassend. Und dennoch fehlte Iseult in diesem Moment die Kraft, ihm zu widersprechen. „In Ordnung, ich werde also morgen mit Ihnen und Devil’s Kiss zusammen nach Al-Omar reisen.“

Scheich Nadim lächelte triumphierend, doch es lag eine gewisse Verachtung in seiner Stimme: „Du wirst nicht zusammen mit mir reisen. Du wirst mit dem Pferd nachkommen. Und ich erwarte, dass Devil’s Kiss in gutem Zustand in Merkazad ankommt.“

Dann warf er einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr. „Und jetzt entschuldige mich bitte, Iseult. Ich habe alles für Devil’s Kiss’ Reise vorbereitet. Ihr werdet morgen Nachmittag fliegen, und einer meiner Tierärzte wird euch begleiten. Ich gehe davon aus, dass du alles hast, was du für die Reise brauchen wirst?“

Zu gerne hätte Iseult geantwortet, dass sie leider keinen Pass besitze – was aber leider nicht stimmte, obwohl sie in ihrem Leben nie weiter als bis nach England gekommen war. Sie nickte nur. „Ja, alles klar.“

Als seine Privatmaschine am nächsten Morgen vom Dubliner Flughafen abhob, schaute Nadim nachdenklich aus dem Fenster. Doch der Blick auf das endlose Grün der Felder und Wiesen und die Stadt unter ihm konnten nicht das Bild auslöschen, das er pausenlos vor sich sah. Iseult. Ihr Gesicht, ihr Haar, ihr Körper. Es war wie verhext. Was war nur los mit ihm?

Iseult O’Sullivan. Eine freche Göre vom Lande, mehr nicht. Doch er konnte nicht vergessen, wie sehr sein Blut in Wallung geraten war, als sie im Stall gegen ihn gestoßen war. Er hatte förmlich spüren können, wie auch sie erbebte. Und am liebsten hätte er ihre Taille umfasst und sie fest an seine Hüften gezogen, sie dort gehalten und dem drängenden Gefühl in seinen Lenden nachgegeben.

Nadims Körper spannte sich an. Er war so wütend – auf sich selbst. Nicht zuletzt auch, weil er ihr Dinge verraten hatte, die nicht einmal seine engsten Vertrauten über ihn wussten. Natürlich war bekannt, dass er als Jugendlicher seine Eltern verloren hatte. Doch wie er damit umgegangen war und dass er sich für seinen kleinen Bruder verantwortlich gefühlt hatte … diese Gefühlsdinge, darüber hatte er noch nie mit jemandem gesprochen. Nicht einmal mit Sara …

Er musste aufhören, noch länger darüber nachzudenken. Die Worte waren in Iseults Gegenwart nun einmal aus ihm herausgesprudelt, warum auch immer. Doch statt sie zu vergessen, sie in Irland zurückzulassen, hatte er auch noch darauf bestanden, dass sie ihm nach Merkazad folgte. Für einen Moment zweifelte er an seinem Verstand.

Doch dann waren da wieder diese Bilder. Wie aufrecht und stolz sie auf ihrem Pferd gesessen und ihn keines Blickes gewürdigt hatte. Oder wie sie erst gestern vor ihm zurückgewichen war und es ihn so wahnsinnig viel Stärke gekostet hatte, sie nicht in seine Arme zu ziehen und ihre herrlichen Brüste von diesem verwaschenen Pullover zu befreien.

Im Grunde hatte er doch recht gehabt, darauf zu bestehen, dass sie mit nach Merkazad kam. Und zwar wegen des Pferdes. Es war wichtig, dass Devil’s Kiss weiterhin Kontakt zu seiner Hauptbezugsperson hatte. Und schließlich kannte Iseult den jungen Hengst besser als jeder andere. Sie hatte ihn von klein auf trainiert. Sowieso schien sie viel von Pferden zu verstehen, das musste er zugeben. Im Gegensatz zu ihrem Vater war Iseult wirklich ein Gewinn für ihn – beziehungsweise natürlich für sein neues Gestüt.

Nadim merkte, dass er sich bei diesen Gedanken wieder etwas entspannen konnte. Er hatte bisher alles richtig gemacht. Und er war sich sicher, dass der merkwürdige Reiz, den diese kleine Irin auf ihn ausgeübt hatte, in seinem Heimatland, zu Hause, keinerlei Wirkung mehr auf ihn haben würde. Dennoch fiel es ihm nicht leicht, die erotischen Bilder zu verdrängen, die ihm ständig in den Kopf kamen, wenn er sie sich bei der Arbeit in seinen Ställen vorstellte.

Nadim hatte seine Leidenschaft immer gut unter Kontrolle gehabt. Dass seine Gefühle bei Iseult Achterbahn fuhren, konnte unmöglich an ihr liegen. Es war Zufall. Er selbst hatte vor gar nicht allzu langer Zeit erfahren, wie fatal es sein konnte, seine Emotionen zu sehr auf eine Frau zu konzentrieren.

Iseult blinzelte und atmete die warme, fremdartig riechende Luft ein. Sie hatte soeben das Flugzeug verlassen, und der Tierarzt war in Devil’s Kiss’ Box gegangen, um den jungen Hengst zu untersuchen. Es war Nacht in Al-Omar, aber es war so mild, dass sie sofort in ihrem warmen Parka zu schwitzen begann. Alles sprach dafür, dass der nächste Tag heiß werden würde. Der Himmel war in ein tiefes Dunkelblau getaucht und unendlich viele Sterne funkelten Iseult entgegen. Die Mondsichel lag auf dem Rücken, ein ungewohnter Anblick für jemanden, der den Mond immer nur aufrecht stehen gesehen hatte.

Plötzlich ertönte in der Ferne das Geräusch immer näher kommender Fahrzeuge. Kurz darauf erreichten drei dunkle Jeeps das Rollfeld, einer mit einem Pferdeanhänger, und kamen in der Nähe des Privatjets zum Stehen.

Auch Iseults Herz schien für einen Moment stehen zu bleiben, als ihre Augen hinter den dunklen Scheiben der Fahrzeuge vergeblich nach dem einen, ihr bekannten Gesicht suchten. War er gekommen, um sie abzuholen?

Doch als sich die Türen der bulligen Geländewagen öffneten, stiegen nur eine Handvoll fremder Männer aus, die allerdings freundlich in ihre Richtung grüßten. Wie hatte sie auch nur allen Ernstes glauben können, dass der Scheich persönlich mitten in der Nacht zum Flughafen gefahren kam? Für ihn war sie nur eine ganz normale, kleine Angestellte. Dazu noch eine, die ihm Widerworte gab und die es sich um ein Haar mit ihm verscherzt hätte.

Nadim zögerte, bevor er aus seinem Wagen stieg. Er betrachtete Iseult, die nicht so recht zu wissen schien, wohin sie schauen oder gehen sollte. Trotz der Entfernung konnte er die Schatten unter ihren großen, müden Augen erkennen, und ihre Körperhaltung drückte Erschöpfung und Verunsicherung aus.

Ihr Haar trug sie immer noch zu einem etwas unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden – wie bereits am Morgen in Irland. Sie hatte sich sehr bemüht, den neuen Manager freundlich zu empfangen und hatte ihn engagiert auf dem Gestüt herumgeführt. Doch ihr war eine gewisse Anspannung anzumerken gewesen, eine Abneigung dagegen, ihre Heimat zu verlassen. In Nadim machte sich so etwas wie Mitgefühl breit, als er Iseult so einsam und verloren neben dem Flugzeug stehen sah. Aber sogleich verfluchte er dieses Gefühl, wie auch die Tatsache, dass er überhaupt hierhergekommen war, um sie zu empfangen. Das hätte ja gerade noch gefehlt, dass er sich seiner neuen Angestellten gegenüber aufführte, wie eine überbesorgte Glucke.

Dennoch war es richtig gewesen, zum Flugplatz zu kommen, redete er sich ein. Obwohl Jamilahs Schweigen Bände gesprochen hatte, als er ihr mitgeteilt hatte, dass er selbst Iseult und das Pferd abholen werde. Normalerweise war es nämlich die Aufgabe seiner Pferdewirtin Jamilah, neue Mitarbeiter und Tiere am Flughafen in Empfang zu nehmen.

Iseult sah zu den beiden uniformierten Männern hinüber, die über sie zu sprechen schienen. Sie fühlte sich plötzlich ziemlich einsam. Was, wenn hier niemand Englisch konnte? Wenn die Männer gar nicht über ihr Kommen informiert worden waren?

Sie hörte, wie eine weitere Tür an einem der Jeeps geöffnet wurde, und fuhr instinktiv herum. Aus dem Wagen erhob sich die mächtige Silhouette des Scheichs, langsam stieg er aus und kam dann zielstrebig auf sie zu.

Iseults Mund schien binnen weniger Sekunden auszutrocknen. Sie schluckte schwer. Scheich Nadim trug eng geschnittene schwarze Hosen und eine ebenso dunkle, körperbetonende Jacke. Er sah so unglaublich stark und attraktiv aus, dass Iseult am ganzen Körper zu beben begann.

Sie war gar nicht in der Lage zu antworten, als er knapp fragte, ob sie einen guten Flug gehabt hätte. Sie nickte nur stumm. Scheich Nadim deutete auf die uniformierten Männer. „Diese beiden sind zuständig für Einwanderungsbelange in Merkazad. Sie werden mit dir einige Dokumente durchgehen und ein Arbeitsvisum für dich besorgen.“

In Iseults Kopf drehte sich alles. Sie bekam gar nicht mit, was sie geantwortet hatte, und hoffte nur, dass es etwas Passendes gewesen war. Sie war nicht davon ausgegangen, dass Scheich Nadim sie am Flughafen abholen würde. Sie hatte es vielleicht gehofft, geträumt, aber sie hätte es niemals erwartet. Nun schienen plötzlich Tausende Schmetterlinge in ihrem Bauch aufzuflattern. Es war schwer vorzustellen, dass dieser Mann ihr Leben innerhalb von 36 Stunden völlig auf den Kopf gestellt hatte. Und dass sich ihre anfängliche Abneigung gegen ihn zu etwas noch viel Unheimlicherem und Gefährlicherem entwickelt hatte.

Im Nu hatten die beiden Uniformierten ihr freundlich lächelnd ihren mit offiziellen Stempeln versehenen Pass zurückgegeben und ihr einige ins Englisch übersetzte Dokumente zum Unterschreiben vorgelegt. Schnell und unbürokratisch war diese Prozedur also schon überstanden. Sie sah hinüber zum Scheich, der sich angeregt mit dem Tierarzt unterhielt. Als er ihren Blick bemerkte, drehte er sich zu ihr um und fragte: „Er hat den Flug gut überstanden, oder?“

Iseult näherte sich ihm mit zaghaften Schritten. „Ja, ich denke schon …“, entgegnete sie schwach. Der Tierarzt nickte zustimmend.

„Gut“, der Scheich schien zufrieden, „oftmals ist es ein schlechtes Zeichen, wenn ein Pferd seine erste Reise nicht gut übersteht.“

Iseult versuchte, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen – ebenso wenig wie die Wirkung, die Nadims Hände auf sie ausübten, die gefühlvoll, aber kräftig über Devil’s Kiss’ Flanken streichelten. Und doch begann sich eine große Hitze in ihrem Unterleib auszubreiten.

Sie brachten den jungen Hengst in dem luxuriösesten Pferdeanhänger unter, den Iseult jemals gesehen hatte. Danach verstaute der Scheich persönlich ihr Gepäck in seinem Jeep, und sie fuhren los. Erst jetzt wurde Iseult bewusst, dass die anderen beiden Fahrzeuge baugleiche Modelle waren und dass sie den Wagen des Scheichs flankierten. Seine Leibwächter also, vermutete Iseult. Auch bemerkte sie erst in diesem Moment, dass die Jeeps mit kleinen Fähnchen versehen waren, offiziellen Flaggen des Scheichtums. Sie saß hier neben dem Herrscher eines kleinen, fernen Landes, es war einfach unglaublich!

Als sie die Autobahn erreichten – es war eine wirkliche Autobahn nach europäischen Maßstäben – fand Iseult endlich ihre Sprache wieder. Doch sie hätte sich ohrfeigen können, weil sie gleich das Erste ausplapperte, was ihr in den Sinn kam: „Ich hatte Sie nicht am Flughafen erwartet.“

Kurz huschte ein grimmiges Lächeln über sein Gesicht. „Ich hatte ein Treffen mit dem Sultan von Al-Omar“, antwortete er dann aber ganz lässig. „Doch dieser musste früher als erwartet abreisen, und so habe ich beschlossen, die Nacht zu Hause zu verbringen. Morgen früh habe ich ohnehin ein wichtiges Meeting in Merkazad.“

Iseults knetete verlegen ihre Finger. Natürlich war er nicht ihretwegen gekommen, sondern einfach nur, weil es auf dem Weg gelegen hatte.

Sie war sich seiner mächtigen, männlichen Präsenz bewusst, als er den Wagen konzentriert durch die Nacht steuerte. Ihre Anspannung wurde noch verstärkt, als er nach einigen Minuten wieder das Wort ergriff. „Du wirst nicht gleich morgen mit Arbeiten anfangen müssen. Nimm dir erst einmal ein paar Tage, um dich einzugewöhnen.“

Noch ehe Iseult ihrer Überraschung Ausdruck verleihen konnte, fuhr er fort: „Meine leitende Pferdewirtin Jamilah wird dich gleich morgen früh überall herumführen und dir alles zeigen. Sie wird dann auch entscheiden, wo genau wir dich einsetzen.“

Iseults anhaltendes Schweigen entlockte Nadim ein etwas spöttisches Lächeln: „Du wunderst dich, dass ich eine Frau zur Herrin über meine Ställe gemacht habe, was? Weißt du, Iseult, wir leben hier nicht hinterm Mond. Was die Emanzipation der Frauen betrifft, sind wir hier sehr fortschrittlich. Das mag vielleicht nicht für die einfache Landbevölkerung gelten, in den Städten gilt es aber sehr wohl.“

Iseult errötete. „Selbst in Irland gibt es überwiegend männliche Pferdewirte“, musste sie zugeben. Eine bleierne Müdigkeit breitete sich plötzlich in ihrem Körper aus. „Wie lange dauert es noch, bis wir in Merkazad sind?“

„Es ist nicht mehr weit. Üblicherweise lassen wir unsere Pferde nach B’harani, der Hauptstadt von Al-Omar fliegen. Doch von dort aus sind es mehrere Stunden Fahrt. Der Flugplatz, auf dem du gelandet bist, liegt in der Nähe der Grenze zu Merkazad. Wir planen aber auch, im nächsten Jahr mit den Arbeiten an einem eigenen Flughafen zu beginnen.“

„Ah“, Iseult hüllte sich wieder in Schweigen. Sie blickte aus dem Fenster in die schwarze Nacht, doch so sehr sie ihre Augen auch anstrengte, sie konnte nicht erkennen, was abseits der Straße lag. War es die Wüste? Oder etwa das Meer? Kurz vor der Landung waren sie übers Meer geflogen, also konnte es dorthin nicht allzu weit sein. In ihrer letzten Nacht in Irland hatte Iseult im Internet recherchiert, um möglichst viel über Merkazad zu erfahren. Sie wusste nun, dass es ein sehr kleines Land war. Gerade einmal hundertfünfzig Kilometer breit und dreihundert Kilometer lang. Die Grenze zu Al-Omar hin bildete eine hohe Gebirgskette. Der letzte Herrscher vor Scheich Nadim war dessen Vater bis zu seinem Tod vor etwa zwanzig Jahren gewesen.

Ansonsten hatte sie gelernt, dass es über Jahrzehnte Streit und sogar Krieg mit dem Nachbarland Al-Omar gegeben hatte – bis Scheich Nadim im Alter von nur 21 Jahren die Nachbarn zu einem Friedensabkommen überredete, das bis heute Gültigkeit besaß. Was für ein Verantwortungsgefühl er seinem Land gegenüber hatte!

Die Straße führte sie immer weiter aufwärts, in die Berge hinein. „Direkt hinter diesem Bergkamm geht es wieder abwärts. Merkazad liegt in einem fruchtbaren Becken. Es regnet im Verhältnis zu den anderen Ländern in der Region viel, und wir haben dadurch ein angenehmes Klima und eine üppige Vegetation“, erklärte Nadim, als hätte er Iseults Interesse an seinem Land bemerkt.

Bald schon tauchten vor ihnen die Lichter einer Stadt auf. Das Bild erinnerte Iseult an einen Fernsehbeitrag, den sie einmal über Las Vegas gesehen hatte. Eine Stadt mitten in der Wüste. Als sie näher kamen, überraschte es Iseult, zu sehen, dass es keine Hochhäuser gab. Die Gebäude waren alle nur zwei oder drei Stockwerke hoch, und das gesamte Stadtbild machte einen sehr gepflegten Eindruck auf sie. Eine prachtvolle, ornamental verzierte Moschee wurde von Dutzenden Scheinwerfen beleuchtet. Iseult bewunderte den Stil der Gebäude, der zwar orientalisch, aber auch irgendwie europäisch und gleichzeitig modern wirkte. Sie erinnerte sich, etwas von einer Kolonialisierung durch die Portugiesen gelesen zu haben. Die Straßen waren breit und gut ausgebaut, sie führten auf geraden Achsen durch die Stadt. Viele waren richtige Alleen, die von sich im leichten Wind wiegenden Palmen gesäumt wurden.

Sie kamen in einen nicht weniger schmucken Außenbezirk der Stadt. Und bald schon bog Nadim von der Hauptstraße auf eine kurvige Nebenstraße ab, die zu einem etwas erhöht liegenden Anwesen führte. Sie hielten vor einem mächtigen weißen Tor, das sich innerhalb von Sekunden wie von Zauberhand zu öffnen begann.

Die Scheinwerfer des Geländewagens erhellten für einen Moment das seitlich neben dem Tor angebrachte Schild Gestüt Al Saqr. Dann fuhren sie hinein.

Trotz ihrer Müdigkeit riss Iseult überrascht die Augen auf. Auf einem großen Platz standen alle Arten von Fahrzeugen, Pferdeanhängern, Geländewagen und Transportern. Das Gestüt musste riesig sein! An den Platz schloss sich eine weitläufige Grünfläche an, auf der unter anderem ein prachtvoller, über und über mit Ornamenten verzierter Brunnen stand, dessen Wasserfontänen in alle Richtungen spritzten und dessen frisches, kühles Nass die Luft angenehm befeuchtete. Überhaupt stellte Iseult fest, nachdem sie ihr Fenster geöffnet hatte, dass es hier bedeutend kühler war, als auf dem Flugplatz in Al-Omar.

Die Jeeps der Bodyguards hielten an, und die bulligen Insassen stiegen aus. Scheich Nadim hingegen fuhr weiter. „Ich bringe dich gleich zu deiner Unterkunft. Sie befindet sich direkt neben den Ställen. Einer meiner Pferdepfleger wird Devil’s Kiss in seine neue Box bringen; du kannst dabei bleiben, wenn du möchtest.“

Iseult fühlte sich mit einem Mal so leicht. Sie wusste nicht, ob es von ihrer Übermüdung kam oder vom ungewohnten Klima oder daher, dass es hier so wunderschön war. Oder hing es etwa mit Scheich Nadim zusammen? Jedenfalls hatte sie die ganze Reise über nicht ein einziges Mal an ihr Zuhause oder ihre Familie gedacht.

Endlich hielt Nadim vor einem alten, aber stilvollen Gebäude an. Daneben erstreckten sich Ställe, soweit das Auge reichte. Sie stiegen aus. Und Iseult fuhr herum, als sie ihren Namen hörte.

„Willkommen in Merkazad, Iseult!“

Die schönste Frau, die Iseult jemals gesehen hatte, näherte sich dem Jeep und streckte ihr freundlich lächelnd die Hand entgegen. Sie trug schlichte Jeans und ein schwarzes T-Shirt, aber sie hatte wundervolles glänzend-schwarzes, langes Haar, dass ihr bis zur Taille reichte. Ihre Hautfarbe war, wie Nadims, von einem dunklen Ockerton. In wunderschönem Kontrast dazu stand ihre Augenfarbe, ein leuchtendes Dunkelblau. Auch ihre Figur war unglaublich attraktiv. Schlank, aber mit weiblichen Rundungen. Iseult war verblüfft.

„Ich bin Jamilah“, stellte sich die Frau vor.

Endlich gab Iseult ihr die Hand. „Iseult, aber das wissen Sie ja.“

„Oh bitte“, winkte die Frau ab, „lass uns duzen, ja?“

„Gerne.“

Scheich Nadim wandte sich mit düsterem Blick an Jamilah. Unfreundlich brummte er: „Ich hatte doch gesagt, du sollst nicht extra aufbleiben.“

Doch Jamilah lächelte. „Ich bin auch nicht aufgeblieben, mein Wecker hat mich pünktlich vor zehn Minuten geweckt. Ich wollte doch Iseult und dieses Wunderpferd persönlich begrüßen.“

Mit diesen Worten war sie schon um den Wagen herumgelaufen, an dessen Anhänger sich bereits ein anderer Pfleger zu schaffen machte. Gemeinsam befreiten sie den etwas verdatterten Devil’s Kiss aus seinem Anhänger. Iseult kam dazu und redete beruhigend auf das Pferd ein.

Jamilah musterte sie anerkennend. „Er ist wirklich wunderschön. Und du hast ganze Arbeit geleistet. Ich bin mir sicher, dass du eine wirkliche Bereicherung für unser Gestüt bist.“

Iseult errötete vor Freude. „Oh, danke“, stammelte sie, völlig verblüfft über diese netten Worte. Ihr Vater und ihr Großvater waren die einzigen Menschen, die sie bisher für ihre Arbeit gelobt hatten. Aber eine fremde Frau, die sie gar nicht kannte? Sehr ungewöhnlich, aber nicht unangenehm.

Iseult spürte Nadims ruhigen Blick auf ihrem Gesicht, doch sie sah ihn nicht an. Dankbar folgte sie lieber dem Stallburschen, und gemeinsam brachten sie Devil’s Kiss in seine neue Box.

Iseult fühlte sich merkwürdig. War es Eifersucht? Jedenfalls war ihr das sehr vertraute Verhältnis zwischen Nadim und Jamilah aufgefallen. Ob die beiden wohl ein Paar waren?

Autor

Fiona Hood Stewart
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