Julia Extra Band 0354

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Verlieb dich nie in den Bräutigam! von Hannay, Barbara
"Willst du meine Brautjungfer sein?" Begeistert sagt Zoe Ja, als sie von den Heiratsplänen ihrer Freundin Bella erfährt. Bis sie den Bräutigam kennenlernt: Zoe ist so fasziniert von Kent Rigby, dass sie die Liebe wie ein Blitz trifft. Was soll sie jetzt nur tun?

Verführt von einem Scheich von Green, Abby
Scheich Kadens Berührung versetzt Julia in heftige Erregung. Seit ihrer letzten Begegnung vor zwölf Jahren ist er noch attraktiver geworden! Sie kann seinen Verführungsversuchen einfach nicht widerstehen. Bis sie schockiert entdeckt, dass er bald heiratet. Allerdings nicht sie!

Küsse - süß wie griechischer Wein von James, Susanne
Ein prachtvoller englischer Landsitz! Zumindest eine Hälfte davon … Helena sollte sich über ihr unerwartetes Erbe freuen. Doch die Sache hat einen Haken: Die andere Hälfte gehört ausgerechnet dem feurigen Griechen Oscar Theotokis! Schon einmal hat er ihr das Herz gebrochen …

Sinnliche Ballnacht in Paris von Yates, Maisey
"Ich bin die Versuchung", haucht Ella, als sie Blaise Chevalier zu einem glamourösen Kostümball in Paris begleitet. Ihre saphirblauen Augen hinter der goldenen Maske funkeln herausfordernd. Doch kaum hat sie seinen Kuss erwidert, rennt sie dem Milliardär davon …


  • Erscheinungstag 23.09.2012
  • Bandnummer 0354
  • ISBN / Artikelnummer 9783954461783
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maisey Yates, Abby Green, Susanne James, Barbara Hannay

JULIA EXTRA, BAND 354

MAISEY YATES

Sinnliche Ballnacht in Paris

Ein sinnlicher Kuss beim Ball der Herzen – und Ella schmilzt in Blaise Chevaliers Armen dahin. Bis ihr wieder einfällt: Anders als für sie, geht es für Blaise immer nur um Geld, nie um Gefühle …

ABBY GREEN

Verführt von einem Scheich

Bei Julias Anblick wird Scheich Kaden vor Verlangen heiß. Doch solange er sie begehrt, kann er nicht auf Brautschau gehen. Er muss diese Affäre schnellstens wieder beenden! Aber das ist nicht leicht …

SUSANNE JAMES

Küsse – süß wie griechischer Wein

Als Helena gemeinsam mit ihrer Jugendliebe Oscar einen Landsitz erbt, fürchtet sie nur eins: Dass er sie dort erneut verführt – und dann verlässt. Allein gelassen mit der Sehnsucht nach seinen Küssen …

BARBARA HANNAY

Verlieb dich nie in den Bräutigam!

Zoe ist völlig verzweifelt: Ausgerechnet der Bräutigam ihrer besten Freundin, der umwerfend attraktive Australier Kent Rigby, entpuppt sich plötzlich als ihr absoluter Traummann …

1. KAPITEL

„Ist das Ihr ganzes Angebot?“

Der umwerfend attraktive Mann, der gerade Ellas kleine Boutique betreten und sich etwa zehn Sekunden lang schweigend umgesehen hatte, zog fragend die dunklen Brauen hoch.

Ella straffte die Schultern und zauberte ein professionelles Lächeln auf ihre Lippen. „Zurzeit ist es leider etwas reduziert, da die Nachfrage sehr groß ist. Aber jedes dieser Stücke ist ein Ella-Stanton-Original.“

Als selbstständige Unternehmerin in der Modebranche Fuß zu fassen, war alles andere als ein Zuckerschlecken, und Ella musste sich ihren festen Platz dort erst noch erobern. Aber es war ihr immerhin gelungen, ihre ersten zwei Kollektionen zu produzieren und in ihrem eigenen Geschäft zu verkaufen, was schon eine beachtliche Leistung war.

„Aha …“ Der Mann ließ erneut den Blick über die sparsam bestückten Regale und Kleiderständer schweifen, bevor er sich wieder Ella zuwandte. „Ich war nur neugierig auf meine frisch erworbenen Vermögenswerte“, teilte er ihr mit, worauf diese verwirrt blinzelte.

„Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.“

„Ich sprach vom Ella-Stanton – Label und dieser Boutique“, erläuterte er gelassen. „Auch wenn keines von beiden diese Bezeichnung wirklich verdient.“

Seine dunkle Stimme klang leicht rauchig und ungemein verführerisch, während das, was er tatsächlich sagte, einfach zu lächerlich war, um wahr zu sein.

Und doch spürte Ella unter der wohlklingenden Sprachmelodie eine Härte, die ihre sonst so flinke Zunge lähmte und es ihr unmöglich machte, einen passenden Kommentar abzugeben.

Dann machte ihr Magen einen Satz, als ihr auf einmal klar wurde, wen sie da vor sich hatte.

Blaise Chevalier!

Aggressiver Finanzinvestor, auch „Heuschrecke“ oder „Unternehmensplünderer“ genannt. Superstar der französischen Hochglanzmagazine. In Paris war er wegen seiner rücksichtslosen Geschäftsmethoden, seines märchenhaften Reichtums und seiner zahllosen Affären ebenso berühmt wie berüchtigt.

Außerdem war er der mit Abstand schönste Mann, den Ella je zu Gesicht bekommen hatte. Sein schmales, klassisch geschnittenes Gesicht hätte ihn vielleicht eine Spur zu glatt aussehen lassen, wären da nicht das auffallend kräftige Kinn, die faszinierenden grüngoldenen Augen und seine umwerfend sinnliche Ausstrahlung gewesen. Darüber hinaus war er auch noch mit einem geradezu göttlichen Körper gesegnet, der für elegante Maßanzüge wie geschaffen war.

Dass sie ihn nicht gleich erkannt hatte, musste daran liegen, dass ihm kein Foto gerecht werden konnte. Von dem charmanten Playboylächeln, das er für gewöhnlich den Paparazzi präsentierte, fehlte jede Spur. Stattdessen ging eine dunkle, beunruhigende Intensität von ihm aus. Und jede Menge Erotik …

An diesem Punkt ihrer Überlegungen griff Blaise Chevalier in die Innentasche seines Jacketts, zog ein schmales Bündel zusammengefalteter Papiere heraus und reichte es Ella mit undurchschaubarer Miene.

Zögernd nahm sie die sehr offiziell aussehenden Dokumente entgegen und begann zu lesen. Je mehr sie las, desto stärker wurde das flaue Gefühl in ihrem Magen. Schließlich hob sie den Kopf und versuchte, sich ihre Erschütterung nicht anmerken zu lassen.

„Und was bedeutet das im Klartext?“, fragte sie ihn. „Ich bin mit dieser abgehobenen Juristensprache nicht sehr vertraut.“

„Kurz ausgedrückt besitze ich das Pfandrecht auf Ihren Geschäftskredit. Und der beläuft sich auf eine ziemlich beachtliche Summe.“

Ella spürte, wie ihr vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen heiß wurde. So ging es ihr immer, wenn sie sich vor Augen führte, wie stark sie sich verschuldet hatte, um ihr Geschäft zum Laufen zu bringen. „Das weiß ich sehr wohl, aber …“, sie atmete tief ein, um die aufkommende Panik zurückzudrängen, „… wie sind Sie dabei ins Spiel gekommen?“

Jeden anderen, der mit solchen Ansprüchen an sie herangetreten wäre, hätte Ella als Spinner abgetan. Aber sie kannte Blaise Chevalier, wenn auch nur seinem Ruf nach. Und es verhieß mit Sicherheit nichts Gutes, wenn er hier mit Bankdokumenten auftauchte, die gnadenlos ihre finanzielle Misere offenbarten.

„Die Bank, die Ihnen seinerzeit Ihr Darlehen gewährt hat, ist von einem größeren Finanzinstitut aufgekauft worden“, setzte er sie ins Bild. „Nach der Übernahme ist der größte Teil der Geschäftskredite zu Paketen zusammengefasst und versteigert worden. Ihr Kredit ist Teil des Paketes, das ich wegen einiger kleiner, aber interessanter Unternehmen erworben habe. Leider gehört Ihres nicht dazu.“

„Mit anderen Worten, Sie besitzen jetzt mein Geschäft, das für Sie aber völlig uninteressant ist.“

Blaise Chevalier nickte knapp. „Das ist in etwa die Zusammenfassung.“

Ella schob sich das blonde Haar aus dem Gesicht und ließ sich auf einen der Kundensessel sinken. Dies musste der absolute Tiefpunkt sein. Noch schlimmer konnte es einfach nicht mehr werden. Am liebsten hätte sie ihren Frust laut hinausgeschrien. Verdammt, es war so unfair! Hatte sie denn immer noch nicht genug gekämpft und gelitten? Wie viele Kraftakte wurden in diesem Leben noch von ihr erwartet?

Blaise Chevalier stand in dem Ruf, ohne Rücksicht auf Verluste seine Interessen durchzusetzen. Er zermalmte Firmen jeder Größenordnung zu Staub, wenn sie in seinen Machtbereich gerieten und er sie als unprofitabel erachtete. Und nun war er der Besitzer ihrer Boutique, ihrer Werkstatt, ihrer Wohnung. Alles, was ihr auf dieser Welt etwas bedeutete, war jetzt sein Eigentum.

Entschlossen stand sie wieder auf. Sie würde jetzt nicht in die Knie gehen! Es ging um ihre Karriere, ihr Label, um alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte. Und solange es noch einen Funken Hoffnung gab, dachte sie überhaupt nicht daran, ihren Traum zu begraben.

„Und wie beabsichtigen Sie jetzt weiter vorzugehen?“, erkundigte sie sich sachlich.

„Es ist mein Beruf, Geld zu machen, Ms Stanton. Und wie es aussieht, bringen Ihre Boutique und Ihr Label nicht einmal genug ein, um die Kosten zu decken und Ihnen ein akzeptables Leben zu ermöglichen.“

„Das werden sie aber“, hielt Ella ihm rasch entgegen. „Mit etwas zusätzlicher Werbung habe ich mir in einem Jahr einen größeren Kundenstamm aufgebaut und kann anfangen, an den wichtigeren Modenschauen teilzunehmen, wodurch sich natürlich auch nach und nach der Bekanntheitsgrad meines Namens erhöht.“

Blaise Chevalier zog eine dunkle Braue hoch. „Und dann?“

Ella atmete tief durch. Nichts leichter, als diese Frage zu beantworten. Sie hatte alles bis ins Kleinste durchgeplant, bis hin zu den Outfits, die sie bei den entsprechenden Events tragen würde.

„Dann kommt die Fashion Week hier in Paris. Danach eventuell New York und Mailand. Weitere Boutiquen werden mein Label vertreiben, und sicher werde ich auch Kontakte zu der einen oder anderen Einzelhandelskette knüpfen können. Ich habe einen kompletten Fünfjahresplan ausgearbeitet, von dem ich Ihnen gern eine Kopie zur Verfügung stelle.“

Blaises Miene drückte gelangweiltes Desinteresse aus. „Ich warte keine fünf Jahre, bis sich ein Geschäft für mich rentiert. Und daraus folgt, dass Sie ebenfalls keine fünf Jahre haben.“

Heiße Wut schoss in Ella hoch und versorgte sie mit dem dringend benötigten Adrenalin. „Und was schwebt Ihnen stattdessen vor?“, erkundigte sie sich sarkastisch. „Soll ich mit einer Trommel und einem Plakat um den Hals durch die Stadt marschieren und meinen Namen herausschreien, damit es schneller geht? Die Modebranche ist ein hart umkämpftes Terrain, Monsieur Chevalier. Man braucht Zeit, um sich dort durchzusetzen.“

„Ich hatte mehr an ein offensives Vorgehen auf hohem Niveau gedacht. An etwas mit … Klasse.“ Die Art, wie er dabei die Lippen kräuselte, ließ vermuten, dass Ella in seinen Augen nicht die geringste Klasse besaß.

„Sie haben von schnellen Ergebnissen gesprochen, und nicht von Klasse“, erinnerte sie ihn giftig.

„Das eine muss das andere ja nicht ausschließen, oder?“

Obwohl Ella ihm am liebsten an die Kehle gesprungen wäre, überlief sie beim Klang seiner melodischen Stimme ein erregender Schauer. Den Grund dafür konnte sie sich nicht erklären. Sie sprach häufig mit französischen Männern, die hier etwas für ihre Frauen oder Freundinnen kauften, sodass der weiche Akzent inzwischen den Reiz des Neuen für sie verloren hatte. Dennoch – aus Blaise Chevaliers Mund klang er anders. Es schwang etwas darin mit, das sie nicht näher definieren konnte und das seiner Stimme eine unwiderstehlich exotische Note verlieh.

Was leider nichts an der Tatsache änderte, dass er hier hereingerauscht war, als würde ihm der ganze Laden gehören, um ihr dann umgehend mitzuteilen, dass genau das der Fall war.

„Wozu überhaupt über Strategien nachdenken?“, wollte sie wissen. „Sie werden mein Unternehmen doch ohnehin bei der nächsten Gelegenheit wieder abstoßen.“

„Davon habe ich nichts gesagt. Ich habe lediglich festgestellt, dass Sie mehr Umsatz machen müssen. Und zwar in weniger als fünf Jahren.“

„Dann haben Sie außer diesen Papieren sicher auch einen Zauberstab mitgebracht“, spöttelte sie. Die wichtigste Regel im Umgang mit Machtmenschen lautete: Niemals Angst oder Schwäche zeigen!

Blaise lächelte selbstgefällig. „Erfolg hat nichts mit Magie zu tun, sondern mit der Fähigkeit zu handeln und Dinge in Bewegung zu setzen.“

„Und was heißt das jetzt konkret?“ Im besten Fall würde sie die Kontrolle über die Leitung ihres Geschäfts verlieren. Schlimmstenfalls verlor sie es ganz, und wenn das geschah …

„Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass die Modeindustrie nur von geringem Interesse für mich ist“, riss Blaise sie aus ihren düsteren Gedanken. „Das Darlehenspaket habe ich, wie gesagt, wegen anderer Unternehmen gekauft, aber Ihres war nun einmal auch darunter. Also habe ich ein wenig recherchiert und bin zu dem Schluss gekommen, dass diese Branche lukrativer ist, als ich vermutet hatte.“

„Wenn man seine Karten richtig ausspielt, kann man dort sehr viel Geld verdienen“, stimmte Ella ihm zu, obwohl dieser Aspekt für sie nie im Vordergrund gestanden hatte.

„Sehr richtig. Und im Gegensatz zu Ihnen beherrsche ich diese Kunst.“

Er kam einen Schritt näher und ließ eine Hand über die geschwungene Lehne des Sessels gleiten, auf dem sie gerade gesessen hatte. Aus dem Augenwinkel beobachtete Ella die Bewegung, die ihr Herz unwillkürlich schneller schlagen ließ. Fast kam es ihr vor, als würde er sie und nicht den Sessel berühren.

„Ich habe ein Marketing- und Designstudium absolviert und betrachte mich auf diesem Gebiet durchaus nicht als Anfängerin“, stellte sie klar. „Ich habe einen professionellen Geschäftsplan erstellt und bereits eine Reihe von Investoren gefunden …“

„… denen allesamt die nötigen Kontakte und finanziellen Ressourcen fehlen. Ich dagegen könnte Ihren Fünfjahresplan in sechs Monaten umsetzen.“

Ella schüttelte verärgert den Kopf. „Aber das ist doch …“

„Absolut machbar. Ich kann Sie schon nächstes Jahr zur Fashion Week in Paris bringen, und bis dahin wird Ihre Arbeit sämtliche wichtigen Magazine und Plakatwände zieren. Es ist eine Sache, Ihre Outfits in Ihrem eigenen Laden zu verkaufen. Internationale Beachtung und weltweiter Vertrieb eine ganz andere. Letzteres kann ich Ihnen bieten.“

„Und was wollen Sie dafür haben?“, fragte Ella ihn mit zusammengebissenen Zähnen. „Meine unsterbliche Seele?“

Er lachte amüsiert. „Kein Interesse, auch wenn böse Zungen behaupten, ich hätte meine längst an den Teufel verkauft. Mir geht es ausschließlich ums Geld.“

Alles in Ella rebellierte dagegen, dass dieser Mann sich so massiv in ihr Geschäft drängte. Andererseits war sie auch nicht dumm. Sie war hoffnungslos bei Blaise Chevalier verschuldet, und ihre einzige Chance, sich jemals aus dieser Abhängigkeit zu befreien, bestand darin, ihr kleines Unternehmen nach vorn zu bringen. Und zwar in einem Ausmaß, das ihr in diesem Augenblick völlig unrealistisch erschien.

„Das heißt also, dass Sie mir von jetzt an diktieren, was ich zu tun oder zu lassen habe.“ Es gelang Ella beim besten Willen nicht, die feindselige Note in ihrer Stimme zu unterdrücken.

„Als Ihr Darlehensgeber kann ich mit Fug und Recht von Ihnen erwarten, dass Sie jede Maßnahme mittragen, die mir geeignet erscheint, den Namen Ella Stanton am Markt durchzusetzen.

„Und wenn ich das nicht tue?“

Blaise zuckte die breiten Schultern. „Dann ziehe ich den Stecker raus. Ich werde weder meine Zeit noch meine Energie an eine Kampagne verschwenden, die nicht die vollste Unterstützung aller Beteiligten hat.“

„Verstehe. Und welchen Anteil am Kuchen haben Sie sich zugedacht, falls ich jemals schwarze Zahlen schreiben sollte?“

„Fünfundzwanzig Prozent.“

„Das ist ja Straßenraub!“

„Keineswegs. Normalerweise würde ich einen beträchtlichen Stundensatz für meine geschäftliche Beratung in Rechnung stellen. Wenn Sie in diesem Rahmen weitermachen, werden Sie mir keinen Cent einbringen, Ms Stanton. Mein Vorschlag ist daher mehr als fair.“

Ella sah ihn ausdruckslos an. „Ich soll Ihnen also für diese feindliche Übernahme auch noch dankbar sein?“

„Von feindlich kann gar keine Rede sein. Es ist ein ganz normales Geschäft. Ich investiere, wenn ich es für zweckmäßig halte. Tue ich es nicht, ist das Projekt gestorben, so einfach ist das.“

Ella blickte sich in ihrer liebevoll ausgestatteten Boutique um. Jedes einzelne Teil hier hatte sie selbst entworfen. Sie hatte die roh verputzten, schwarz-weißen Wände eigenhändig gestrichen und die schimmernden Marmorfliesen mit der Unterstützung einiger männlicher Models verlegt, die für sie gelaufen waren. All dies war sehr persönlich für sie. Es steckte viel Liebe und harte Arbeit darin, die sie unmöglich auf nackte Zahlen und nüchterne Prognosen reduzieren konnte.

Aber er hatte es getan. Und er würde noch mehr tun, das wäre ihr auch klar gewesen, wenn sie seinen Ruf nicht gekannt hätte. Das entschlossen vorgeschobene Kinn und der kompromisslose Ausdruck in seinen Augen verrieten deutlich, dass es ein grober Fehler wäre, diesen Mann nicht ernst zu nehmen.

„Ich habe übrigens gehört, dass Sie eine eifrige Partygängerin sind. Stimmt das?“

Blaise registrierte, wie sie die pinkfarben geschminkten Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpresste. Offenbar gefiel seine Frage ihr ebenso wenig wie die Tatsache, dass er überhaupt hier war.

Aber sie konnte nicht leugnen, dass sie bei fast jedem Event in Paris auftauchte, zu dem sie Zutritt hatte. Und nach dem, was Blaise über Ella Stanton herausgefunden hatte, gab es nur wenige Veranstaltungen, auf die das nicht zutraf. Eine schöne amerikanische Erbin mit einem ebenso sensationellen wie tragischen Hintergrund war immer gefragt. Und Ella schien das weidlich auszunutzen.

„So etwas nennt man Promotion. Wir haben gerade darüber gesprochen“, erinnerte sie ihn und zog dabei die fein gezupften Brauen hoch.

Ja, sie sah wirklich toll aus. Hellblonde, kunstvoll zerzauste Locken umrahmten ihr fein geschnittenes, ausdrucksvolles Gesicht. Die leuchtend blauen Augen hatte sie mit einem breiten Lidstrich betont, was ihnen etwas Katzenhaftes verlieh. Zu dem kurzen schwarzen Kleid, das ihre sensationellen Beine optimal zur Geltung brachte, trug sie schnallenverzierte Stiefeletten mit hohen Absätzen. Sie waren vorn ausgeschnitten und ließen neonrosa lackierte Zehennägel aufblitzen.

Ein jäher Anflug von Erregung übermannte Blaise, den er jedoch sofort wieder unterdrückte. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich nicht von seinen Hormonen beeinflussen zu lassen, wenn es ums Geschäft ging.

„Es ist eine sehr uneffektive Form der Promotion“, stellte er fest. „Wenn Sie bei jeder Nachtkluberöffnung in Paris dabei sind, erscheint zwar Ihr Name regelmäßig in der Klatschpresse, aber als Designerin bringt es Sie kein Stück weiter.“

„Am derzeitigen Punkt meiner Karriere ist es eine der wenigen Möglichkeiten, die ich habe, um Interesse am Ella-Stanton – Label zu wecken.“

„Das reicht aber nicht, und außerdem ist es billig.“

So eine Unverschämtheit! „Das klingt ja, als würde ich nackt auf dem Tisch tanzen und dabei Werbezettel in die Menge werfen!“, empörte sich Ella. „Ich trete bei diesen Veranstaltungen durchaus professionell auf, und keineswegs billig, wie Sie es so charmant formuliert haben.“

Blaise verzog keine Miene. „Und kommen die hart feiernden Teilnehmer solcher Events auch in Ihre Boutique, um dort Geld auszugeben?“

„Einige von ihnen.“

„Einige sind nicht genug. Sie müssen sich Verbindungen in der Branche aufbauen. Starke Verbindungen, die Ihnen die Sorte von Kunden verschaffen, die Sie haben wollen.“

„Ich arbeite daran, aber es flattern nicht gerade täglich Einladungen von solchen Leuten in meinen Briefkasten.“

Als sie das Gewicht verlagerte und eine Hand auf ihre Hüfte legte, bemerkte Blaise zum ersten Mal die glänzenden roten Flecken auf ihren ansonsten makellos schönen Fingern. Das war der Grund, warum die Presse sie so spannend fand: Eine narbengezeichnete amerikanische Erbin, die ihre Wunden wie eine Trophäe trug, war immer eine Schlagzeile wert. Die dramatische Geschichte von dem Hausbrand, bei dem sie um ein Haar ums Leben gekommen wäre, war seinerzeit ein wahres Fest für die Medien gewesen. Und Ella tat ihr Bestes, um dieses Interesse wachzuhalten und zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Daran war nichts Verwerfliches – ganz im Gegenteil. Blaise bewunderte sie dafür. Dennoch hatte er Ellas Kleinunternehmen ursprünglich so schnell wie möglich liquidieren wollen. Er hatte weder Zeit noch Lust, sich ein verwöhntes reiches Mädchen ans Bein zu binden, das sich dilettantisch an einer Karriere als Modeschöpferin versuchte.

Nach einem Blick auf ihre Geschäftsberichte hatte er seine Meinung über sie jedoch teilweise revidieren müssen. Daraufhin hatte er einige Brancheninsider um eine Einschätzung ihres Talents gebeten, was seinen Eindruck von ihr ein weiteres Mal verändert hatte. Ella Stanton spielte nicht einfach nur herum, es war ihr durchaus ernst mit dem, was sie tat. Sie arbeitete härter daran, sich einen Namen zu machen, als er angenommen hatte, aber er wusste, dass da noch viel mehr herauszuholen war.

Profit war alles, was zählte. Und er würde jeden nur möglichen Cent aus dem Ella-Stanton – Label herauspressen.

„In meinen Briefkasten flattern sie schon“, teilte er ihr mit. „Und ich weiß, was zu tun ist, wenn sich solche Gelegenheiten zum Netzwerken auftun. Es wird ständig über mein Talent geschrieben, Firmen zu zerstampfen, aber ich kann sie auch aufbauen. Es liegt bei Ihnen, welche meiner Fähigkeiten ich in Ihrem Fall einsetze.“

„Was genau wollen Sie von mir?“, fragte Ella grimmig.

„Ganz einfach. Wann immer es ums Geschäft geht, befolgen Sie meine Instruktionen, und zwar buchstabengetreu.“

„Mit anderen Worten: Sie wollen die totale Kontrolle.“ Ihr Tonfall war beherrscht, doch er spürte die unerhörte Anspannung, unter der sie stand.

„Ich möchte, dass Ihr Label zu einem geflügelten Begriff wird und es für jeden Modefreak ein Muss ist, mindestens ein Ella-Stanton-Outfit im Schrank zu haben. Ihre Modelle sollen in jeder Edelboutique und in jedem Kaufhaus vertreten sein. Damit das geschieht, muss ich die Kontrolle haben. Anders geht es nicht.“

„Und wenn ich einen Weg finde, das Darlehen abzulösen?“

Blaise musterte sie interessiert. „Sie würden lieber allein weitermachen, als diese einmalige Gelegenheit wahrzunehmen?“

Sie presste die Lippen zusammen und erwiderte nichts. Ihr Atem ging so heftig, dass Blaises Aufmerksamkeit automatisch auf ihre vollen Brüste gelenkt wurde. Unauffällig ließ er den Blick zu ihrer schmalen Taille und den geschwungenen Hüften weiterwandern und unterdrückte einen bedauernden Seufzer. Wirklich schade, dass er Geschäftliches nie mit Erotik vermischte, aber es war ganz klar die richtige Entscheidung. In Blaises Beziehungen zu Frauen hatte die Vermeidung von Komplikationen oberste Priorität.

„Kennen Sie denn jemanden, der Ihnen eine solche Summe leihen würde?“, fragte er sie. „Ihre Bilanz dürfte kaum einen Banker begeistern.“

Ellas Wangen röteten sich. „Ich weiß, dass es nicht gerade blendend um meine Firma steht, aber mein Plan ist gut und …“

„… voller Unwägbarkeiten“, ergänzte Blaise schonungslos. „Ich halte ihn im Prinzip ebenfalls für gut, aber Sie haben keine Sicherheiten. Außerdem hatten Sie in letzter Zeit über das Darlehen hinaus noch weitere beachtliche Ausgaben.“

„Modeschauen sind teuer“, hielt Ella ihm entgegen. „Die Letzte hat mich eine fünfstellige Summe gekostet, von der nur ein kleiner Bruchteil wieder hereingekommen ist.“

Ein längeres Schweigen breitete sich aus, während dessen Ella förmlich zusehen konnte, wie ihr die Situation aus den Händen glitt. Jahrelang hatte sie darauf hingearbeitet, um es bis hierher zu schaffen, und wenn sie nicht alles wieder verlieren wollte, musste sie nach Blaise Chevaliers Regeln spielen. Entweder sie akzeptierte das, oder sie war erledigt.

Schließlich atmete sie tief ein und nickte. „Also gut. Ich bin bereit, in allem mit Ihnen zusammenzuarbeiten, was unseren Erfolg sicherstellt.“

Ein wissendes Lächeln umspielte Blaises sinnliche Lippen. Offenbar ließ er sich von ihrer zur Schau getragenen Gelassenheit nicht täuschen, und das machte sie stinkwütend.

„Es geht mir nur darum, guten Gewinn zu machen, Ella“, versicherte er ihr. „Und das ist durchaus auch in Ihrem Interesse.“

Nach kurzem Zögern streckte sie ihre Hand aus, und als Blaise einschlug, war es, als würde ein elektrischer Stromschlag ihren Arm durchzucken. Sie sah zu ihm auf und entdeckte das begehrliche Glitzern in seinen Augen. Hitze durchflutete sie. Sie spürte, wie ihr die Knie weich wurden. Doch als er begann, leicht mit dem Daumen über das vernarbte Gewebe auf ihrem Handrücken zu streichen, wich das Gefühl von Hitze augenblicklich einem eisigen Schauer.

Abrupt zog sie die Hand zurück, doch Blaises Blick ruhte weiter auf ihrem Gesicht. „Es wird mir ein Vergnügen sein, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Ms Stanton.“

2. KAPITEL

„Hier bewahre ich die Musterexemplare meiner Entwürfe auf.“

Seit ihrem ersten Treffen in der Boutique waren einige Tage vergangen. Während dieser Zeit hatte Blaise gründlich nachgedacht und entschieden, sich in den nächsten Monaten ganz auf Ellas Unternehmen zu konzentrieren. Im Gegensatz zu seiner anfänglichen Einschätzung war er schließlich zu der Überzeugung gelangt, dass hier das meiste Geld zu machen war.

Als er an diesem Vormittag spontan vorbeigekommen war, um sich ihre Werkstatt anzusehen, war sie sichtlich verärgert gewesen. Und auch jetzt noch vermied sie es sorgfältig, ihm in die Augen zu sehen, wenn sie mit ihm sprach.

Blaise störte es nicht weiter, er fand es eher amüsant. Interessiert blickte er sich in dem weitläufigen Atelier um, von dem ein ganz spezielles Flair ausging. Er hätte es nicht näher definieren können, aber es passte perfekt zu seiner Besitzerin, die an diesem Tag schwarze Leggings und ein überlanges, figurbetontes Oberteil trug.

Als sie ihm voranging, um ihn in den hinteren Teil des Raums zu führen, sprang ihm ihr fantastischer Po, der bei jedem Schritt verführerisch hin- und herschwang, förmlich ins Auge. Er spürte, wie sein Blut in Wallung geriet, und atmete tief durch. „Ich würde mir gern die aktuellen Verkaufszahlen Ihrer Boutique ansehen“, bat er sie in geschäftsmäßigem Tonfall, worauf Ella sich unmerklich versteifte.

„In Ordnung“, sagte sie bereitwillig, wich dabei jedoch wieder demonstrativ seinem Blick aus.

Blaise, der es für an der Zeit hielt, dieses Spielchen zu beenden, legte den Daumen unter ihr Kinn und hob es sanft an. Als ihre Blicke sich trafen, glaubte er in ihren blauen, weit geöffneten Augen echte Bestürzung erkennen zu können. Doch schon einen Augenblick später hatte sie sich wieder im Griff und ging zu ihrem Laptop, der auf einem der Arbeitstische stand.

„Wollen Sie die kompletten Unterlagen sehen?“, erkundigte sie sich betont sachlich.

„Nur die Verkaufszahlen, bitte. Und Ella … das hier ist nichts Persönliches. Ich muss einfach Bescheid wissen, womit ich es zu tun habe.“

„Schon gut“, meinte sie, während sie das Programm hochfuhr. „Es ist einfach ungewohnt für mich, dass ein Außenstehender Einblick in meine geschäftlichen Unterlagen nimmt.“

„Ich verspreche, dass ich es kurz und schmerzlos mache.“

„Bringen Sie diesen Spruch auch bei den Frauen an, mit denen Sie sich verabreden?“, platzte sie heraus, ohne nachzudenken. Schon eine Sekunde später hätte Ella sich dafür ohrfeigen können, aber für Reue war es nun zu spät.

In Blaises Augen blitzte es kurz auf, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem sinnlichen Lächeln. Dann stellte er sich direkt neben sie und beugte sich leicht vor. „Dazu besteht keine Veranlassung“, unterrichtete er sie freundlich. „Die Frauen, mit denen ich mich verabrede, wissen genau, was sie wollen. Und sie treffen sich mit mir, weil sie ebenso genau wissen, dass ich es ihnen geben kann.“

Ella lag schon ein spöttischer Kommentar auf der Zunge, aber dieses Mal war sie klug genug, sich zurückzuhalten. Außerdem hätte sie sowieso keinen Ton herausgebracht, denn Blaise war ihr so nah, dass eine winzige Bewegung genügt hätte, um mit ihren Lippen seine Wange zu berühren. Schon allein die Vorstellung ließ ihren Mund staubtrocken werden.

Mit einem diskreten Räuspern wandte sie sich wieder dem Laptop zu, öffnete den Ordner mit den gewünschten Daten und drehte den Bildschirm so, dass Blaise ihn sehen konnte. Nachdem er mit konzentrierter Miene einige Tabellen durchgesehen hatte, schloss er den Ordner wieder und klappte den Laptop zu. „Die Boutique läuft gut“, stellte er fest.

„Stimmt“, pflichtete Ella ihm bei. „Sie ist zwar sehr klein, aber dafür ist die Lage erstklassig.“

„Dennoch machen Sie nur wenig Gewinn damit.“

„Ich mache so gut wie gar keinen“, korrigierte sie ihn trocken. „Seit in der Boutique so viel los ist, schaffe ich es nicht mehr allein. Daher musste ich zwei Teilzeitverkäuferinnen einstellen, und das geht ganz schön ins Geld.“

Das war das Frustrierende in dieser Branche. Mit dem Erfolg wuchsen auch die Anforderungen: mehr Zeit, mehr Investitionen, mehr Personalkosten. Wie sollte sie jemals aus diesem Kreislauf herauskommen und den „großen Sprung“ schaffen, den Blaise anscheinend von ihr erwartete?

„Was ich bisher gesehen habe, gefällt mir“, eröffnete er ihr in diesem Augenblick. „Daher beabsichtige ich, in größerem Stil zu investieren, als ich es ursprünglich vorhatte.“

Er nannte Ella eine Summe, die sie sekundenlang sprachlos machte. Und er tat es so beiläufig, als wäre es gar nichts für ihn. Was vermutlich auch der Fall war.

„Das ist ziemlich viel Geld“, stellte sie überflüssigerweise fest.

„Stimmt, aber ich halte nichts von halben Sachen. Wenn man Erfolg haben will, muss man die nötigen Maßnahmen ergreifen, um ihn sicherzustellen. Und ich will mit diesem Projekt Erfolg haben.“

Ella betrachtete diese neue Wendung mit gemischten Gefühlen. Vom unternehmerischen Standpunkt aus gesehen hatte Blaise natürlich recht. Doch es bedeutete ebenfalls, dass ihr Schuldenberg ins Unermessliche wachsen würde und dieser Mann noch mehr Macht über sie hätte, als es jetzt schon der Fall war.

Aber hatte sie überhaupt eine Wahl? Wenn sie darauf beharrte, weiter in ihrem bisherigen Schneckentempo vorwärtszukriechen, würde Blaise sehr schnell die Geduld verlieren, und das wäre das Ende von allem.

„Dann wollen wir beide dasselbe“, erklärte sie, auch wenn es eine Lüge war. Er war nur auf das Geld aus, aber bei ihr ging es um mehr. Sie wollte in erster Linie beweisen, dass sie mehr erreichen konnte, als alle, die sie damals kannten, ihr zugetraut hätten.

„Mehr oder weniger“, erwiderte Blaise in diesem seltsam singenden Tonfall, der Ella jedes Mal erschauern ließ, egal was er sagte.

„Aus Ihrem Munde klingt das, als träfe eher Letzteres zu.“

Er lächelte rätselhaft. „Durchaus möglich.“

„Aus welchem Teil der Welt stammen Sie eigentlich?“ Ob er wohl merkte, welche Wirkung er auf sie hatte? Ella hoffte inständig, dass es nicht der Fall war.

„Ich bin in Frankreich zur Welt gekommen, aber den größten Teil meiner Kindheit habe ich bei meiner Mutter in Malawi verbracht.“

Daher also dieser unwiderstehliche Akzent!

„Und warum gerade dort?“, hakte Ella neugierig nach.

„Weil es ihre wahre Heimat war.“

Als Blaise ihren verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er hinzu: „Meine Mutter ist zwar in Paris geboren und aufgewachsen, aber sie hatte schon einige Jahre in Malawi gelebt, als sie meinen Vater kennenlernte. Nach ihrem Medizinstudium ist sie für ein dreimonatiges Praktikum dorthin gegangen und schließlich ganz geblieben.“

„Aber … wie hat sie dann Ihren Vater kennengelernt?“

Blaise zuckte die Schultern. „Bei einer Wohltätigkeitsgala in Paris. Sie war eingeladen worden, um über ein neues Krankenhausprojekt zu berichten, das sie mitinitiiert hatte, und wie der Zufall es wollte, war mein Vater der Schirmherr dieser Veranstaltung. Sie heirateten, meine Mutter zog zu ihm nach Paris, aber die Ehe ging nicht gut. Nach der Scheidung ist sie wieder nach Malawi zurückgekehrt und hat mich mitgenommen.“

Er sagte es so unbeteiligt, als würde er aus dem Telefonbuch vorlesen. Dennoch spürte Ella instinktiv, dass dieses Thema ihn keineswegs so kalt ließ, wie er vorgab. Aber das ging sie nichts an, und außerdem wäre es ausgesprochen unklug, sich allzu sehr in Blaise Chevaliers Psyche zu vertiefen.

„Wie soll denn jetzt unser nächster Schritt aussehen?“, wechselte sie rasch das Thema, um gegen die seltsame Spannung anzugehen, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte.

„Ich dachte an eine Plakatwand-Aktion in Paris und anderen wichtigen Städten sowie eine Titelseite bei Look. Die Herausgeberin hat mir bereits das Cover für die Frühjahrsnummer und eine ganzseitige Anzeige zugesagt, sofern Sie mit einer passenden Kollektion aufwarten können.“

Ella schnappte buchstäblich nach Luft. „Aber das … das wäre ja eine unglaubliche Publicity!“

Blaise verzog die Lippen zu einem zufriedenen Lächeln. „Ich sagte doch, ich bin gut.“

Gut war eine grobe Untertreibung.

„Ich kann es überhaupt noch nicht fassen …“ Wie benommen schüttelte Ella den Kopf. „Sie hat Ihnen tatsächlich dieses Angebot gemacht, nur, weil sie Sie kennt?“

„Selbstverständlich nicht. Sie hat sich Ihre Website angesehen und war ziemlich beeindruckt von Ihrer Arbeit. Sie erwägt sogar, Sie mit einem Interview als neuen Talentstern am Designerhimmel vorzustellen.“

Bei der Aussicht auf ein solches Maß an Publicity wurde Ella ganz schwindlig. Zum Glück hatte sie kein Problem damit, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Inzwischen machte es ihr sogar Spaß, vor der Kamera zu posieren und dabei wie zufällig den Kopf zu drehen, damit man die Narbe an ihrem Hals sah. Sollten die Leute sie doch angaffen, wenn sie so fasziniert davon waren! Sie versuchte weder, ihre Vergangenheit zu verstecken, noch die Spuren, die sie an ihrem Körper hinterlassen hatte.

Bis zu einer gewissen Grenze jedenfalls. Ihre schlimmsten Verletzungen kannten außer ihr selbst nur die Ärzte und Schwestern, die sie behandelt hatten. Ella zeigte gerade so viel, wie nötig war, um ein wenig zu schockieren und unerwünschte Kommentare schon im Keim zu ersticken.

Nicht, dass sie sie nicht ertragen hätte. Sie hatte jede nur vorstellbare Kränkung zu diesem Thema gehört und es überlebt. Nein, sie war damals nicht in die Knie gegangen und würde es auch jetzt nicht tun. Stattdessen würde sie die Chance, die sich ihr gerade bot, mit beiden Händen ergreifen und aus der erzwungenen Geschäftsbeziehung mit Blaise Chevalier das Beste machen.

„Das wäre großartig – ach was, es wäre einfach gigantisch!“

Seine Mundwinkel hoben sich unmerklich. „Ja, ich weiß, wie sehr Sie Publicity lieben.“

„Ich liebe die Umsätze, die damit einhergehen“, konterte Ella schlagfertig.

„Haben Sie denn schon etwas Bestimmtes für das Coverfoto im Auge?“

Dankbar, für eine Weile Blaises Nähe zu entkommen, ging Ella zu einem der Kleiderständer an der gegenüberliegenden Seite des Raums. Wie war es nur möglich, dass sie sich in seiner Gegenwart so angespannt und gleichzeitig seltsam beschwingt fühlte?

Egal, sagte sie sich. Es gab jetzt Wichtigeres, als ihre widersprüchlichen Gefühle gegenüber einem Mann zu ergründen, der mit Sicherheit kein Interesse an „beschädigter Ware“ hatte.

„Blau“, verkündete sie und zog ein schlichtes kurzes Kleid mit überlangen gerüschten Ärmeln hervor. „Dieses Modell zum Beispiel wäre mit den passenden Stiefeln ein echter Blickfang.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an, doch sein einziger Kommentar lautete: „Wenn Sie das sagen, wird es auch so sein.“

„Aber Sie werden doch eine eigene Meinung dazu haben.“

„Ich interessiere mich nicht besonders für Mode. Diese Art von Entscheidungen überlasse ich Ihnen.“

Ella zog überrascht die Brauen hoch. „Ich habe tatsächlich die Macht, eigene Entscheidungen zu treffen?“

In seinen grüngoldenen Augen blitzte es kurz auf. „Sie werden es kaum glauben, Ella, aber ich bin mir durchaus meiner Grenzen bewusst. Wenn ich mich zum Beispiel an eine dieser Nähmaschinen setzen würde, käme gar nichts dabei heraus. Also lasse ich Ihnen auf Ihrem Gebiet freie Hand und Sie mir auf meinem.“

Das war weit mehr, als Ella von ihm erwartet hatte, aber es stimmte natürlich. Wenn sie aus diesem Deal aussteigen würde, hätte er nichts außer ein paar Nähmaschinen, die er nicht bedienen konnte.

Eine interessante Erkenntnis.

„Also haben Sie nicht vor, die Outfits für meine Models selbst auszusuchen?“

„Ich habe nie so etwas behauptet.“

„Nein, aber nach allem, was ich von Ihnen gehört habe, hätte ich Sie nicht unbedingt für jemanden gehalten, der gerne im Team arbeitet.“

Er lachte leise, und es klang etwas eingerostet, als würde er es nicht oft tun. „Ja, es kursieren jede Menge wüste Geschichten über mich.“

„Dann stimmen sie also nicht?“ Irgendetwas in ihr hoffte, dass es nur Lügen waren. Dass er in Wirklichkeit gar nicht so kaltschnäuzig und skrupellos war, wie die Medien ihn darstellten.

„Jedes Wort davon ist wahr“, klärte er sie auf, ohne den Blick von ihr abzuwenden. „Ich treffe meine Entscheidungen grundsätzlich im Hinblick auf meinen eigenen Vorteil. Dieses Maß an Kontrolle gestehe ich Ihnen nur deswegen zu, weil es das Beste für die Firma und somit auch für meine Brieftasche ist.“

Ella spürte, wie der kleine Hoffnungsfunke in ihr wieder erlosch. „Okay, dann werde ich also nehmen, was ich bekommen kann.“

Dieser Mann war Gift für ihr seelisches Gleichgewicht. Es ärgerte sie maßlos, wie sehr er sie mit seinem arroganten Auftreten verunsichern konnte, und gleichzeitig fühlte sie sich magisch von ihm angezogen. Sie atmete tief durch, um zu dem Zustand gelassener Gleichgültigkeit zurückzufinden, der ihr half, das Leben zu bewältigen und mit Menschen umzugehen, die ihr wehtun wollten.

Es gelang ihr nicht. Blaise schaute sie an, als könnte er mühelos durch den Schutzwall hindurchblicken, den sie in den letzten elf Jahren zwischen sich und der Welt errichtet hatte. Als würde er nicht nur die schlimmsten ihrer Narben sehen, sondern auch die unsichtbaren, noch tieferen Verletzungen darunter.

„Haben Sie eine Aufnahme von diesem Kleid?“

Seine Frage holte Ella umgehend ins Hier und Jetzt zurück. „Ja, natürlich“, erwiderte sie mit leicht belegter Stimme. „Ich fotografiere alle meine Entwürfe.“

„Ausgezeichnet. Schicken Sie mir das Bild per Mail, ich leite es dann an die Look-Redaktion weiter.“ Er nickte ihr kurz zu, dann drehte er sich um und verließ ohne ein weiteres Wort die Werkstatt.

Ella blickte ungläubig auf die Tür, die gerade hinter ihm zugefallen war. Was für ein unmöglicher Kerl! Er hatte sich nicht einmal dazu herabgelassen, ihr Auf Wiedersehen zu sagen, als wäre seine bloße Bewegung zur Tür hin schon Zeremonie genug. Mitten in ihrem eigenen Atelier gab er Ella das Gefühl, dass sie diejenige war, die soeben entlassen wurde.

Sie schluckte ihren Ärger hinunter, ging zu ihrem Laptop und mailte Blaise kommentarlos das Foto. Es gab nichts, was sie diesem Mann zu sagen hatte. Sie würde mit ihm kooperieren und tun, was immer nötig war, um ihr Geschäft zu behalten. Und sobald sie dazu in der Lage war, würde sie ihn auszahlen und wieder das Ruder übernehmen.

Ihr Blick fiel auf die Zeitanzeige auf der unteren Bildschirmleiste. Verdammt, sie musste schleunigst nach Hause und sich umziehen! Eine ihrer Pariser Bekannten gab an diesem Abend eine Geburtstagsparty, und es war sehr wichtig, dass sie dort erschien.

Blaise Chevalier mochte ihre Art des Marketings für uneffektiv halten, aber sie war da anderer Meinung.

3. KAPITEL

Sie verstand es gut, sich in Szene zu setzen, das musste Blaise ihr lassen.

Er hob pro forma sein Glas an die Lippen, ohne den Champagner wirklich zu trinken. Alkohol und die damit verbundene Benommenheit im Kopf waren nichts für ihn. Er hatte seine eigenen Vorstellungen von Vergnügen, und Kontrollverlust gehörte nicht dazu.

Einige Meter entfernt von ihm stand Ella und plauderte mit einer kleinen Gruppe weiblicher Gäste. Jetzt lachte sie und hob dabei ein wenig den Fuß, wodurch das Auge des Betrachters automatisch auf ihre pinkfarbenen High Heels gelenkt wurde.

Ihr ärmelloses Kleid entblößte ihre schlanken Arme, deren samtig schimmernde Haut von unregelmäßig geformten, weißen Flecken durchsetzt war. Der linke Oberarm war fast vollständig davon bedeckt, doch sie schien sich deswegen nicht im Geringsten unwohl zu fühlen. Ihre Bewegungen wirkten frei und unbekümmert, und während sie sprach, unterstrich sie ihre Worte häufig mit lebhaften Gesten.

Blaise fiel auf, dass Ellas Gesprächspartnerinnen sie zwar nicht mit offenem Unbehagen anschauten, aber doch einen gewissen Abstand zu ihr hielten. Unwillkürlich fragte er sich, ob wohl ihre Narben der Grund dafür waren. Falls dem so war, schien es Ella jedenfalls nicht weiter zu stören.

Er stellte sein Glas an der Bar ab und bahnte sich durch den überfüllten Klub hindurch den Weg zu ihr. Als sie ihn entdeckte, weiteten sich ihre Augen für einen winzigen Moment, und ihr eben noch so natürliches Lächeln wirkte jetzt eine Spur gezwungen.

„Monsieur Chevalier! Ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu treffen.“

„Ich hatte eine Einladung bekommen“, unterrichtete er sie mit einem charmanten Lächeln. „Aber ich war nicht sicher, ob ich es schaffen würde.“

Dies war nicht die Sphäre, in der er sich für gewöhnlich aufhielt. Wenn ihm nach unkomplizierter weiblicher Gesellschaft zumute war, ging er hin und wieder auf eine Party, ansonsten sah er keinen Grund, solche Events zu besuchen.

„Aber wie ich sehe, haben Sie es geschafft“, stellte Ella wenig enthusiastisch fest.

„Ich wusste, dass es Sie freuen würde, mich zu sehen.“

Sie erwiderte sein spöttisches Lächeln und verschränkte die Arme vor der Brust, was es Blaise nahezu unmöglich machte, ihre vollen Brüste nicht zur Kenntnis zu nehmen.

„Ich dachte, es sei unter Ihrer Würde, einer Veranstaltung wie dieser beizuwohnen.“

„Das ist es ganz und gar nicht.“

Die kleine Gruppe um Ella herum hatte inzwischen eine Gesprächspause eingelegt und verfolgte stattdessen interessiert ihren Wortwechsel.

„Suchen wir uns ein Eckchen, wo es etwas ruhiger ist“, forderte Blaise sie mit gedämpfter Stimme auf.

Sie schüttelte den Kopf. „Ein verlockendes Angebot, aber vielen Dank. Ich fühle mich hier sehr wohl.“

„Wir müssen reden.“

„Dann reden Sie.“

„Unter vier Augen. Bitte.“

Als Blaise Ellas Hand nahm und mit seinen kräftigen Fingern umschloss, verspannte Ella sich spürbar. Er sah den Anflug von Panik in ihren Augen und fragte sich unwillkürlich, wie wohl ihre Liebhaber mit den Teilen ihres Körpers umgingen, die nicht perfekt waren.

Er verstärkte den Griff um ihre Hand noch ein wenig und zog Ella entschlossen von ihren Gesprächspartnerinnen weg, was sie widerstandslos, wenn auch mit etwas verbissener Miene geschehen ließ. Die Frauen, mit denen er bisher zusammen gewesen war, hatten ausnahmslos dem gängigen Schönheitsideal entsprochen. Daher hatte er keine Ahnung, wie er auf den Anblick von Ellas nacktem Körper reagieren würde. Und das war vermutlich auch gut so, denn er stellte gerade fest, dass schon die bloße Vorstellung einer nackten Ella genügte, um sein Denkvermögen empfindlich zu beeinträchtigen.

Er führte sie zu einer kleinen Nische abseits der Tanzfläche. Als er seine Hände links und rechts von ihr an der Wand abstützte, trat ein so erschrockener Ausdruck in ihre Augen, dass er sich auf einmal vorkam wie Beelzebub persönlich. Doch schon einen Augenblick später hatte sie wieder ihre gelassene Maske aufgesetzt und erwiderte herausfordernd seinen Blick.

„Dann schießen Sie mal los“, forderte sie ihn forsch auf. „Worum geht es?“

„Ich will einfach mit Ihnen reden. Und da wir die allgemeine Aufmerksamkeit bereits auf uns gezogen haben, sollten wir das Beste daraus machen.“

„Okay, reden wir also.“

„Ich muss zugeben, dass ich Sie bei unserer ersten Begegnung unterschätzt habe.“

Ella gelang es nicht, ihre Überraschung zu verbergen. „Tatsächlich?“

„Ich hatte Sie anfangs für eine Traumtänzerin gehalten, weil mir nicht klar war, dass sich mit Mode ein echtes Vermögen machen lässt, wenn man es richtig anfängt.“

„Sie geben also zu, dass Sie von dieser Branche keine Ahnung haben?“

Er kam noch etwas näher. „Wenn Verabredungen mit Models nicht mitzählen, lautet die Antwort ja.“

Ella presste den Rücken so fest gegen die Wand, als wollte sie mit ihr verschmelzen. Um Blaises intensivem Blick auszuweichen, wandte sie leicht den Kopf zur Seite und fixierte einen imaginären Punkt hinter seiner Schulter. In dieser Haltung war die dunkelrosa Narbe, die sich über die linke Seite ihres Nackens bis zum Haaransatz zog, deutlich zu sehen. Sie wirkte, als wäre sie noch nicht richtig verheilt und würde immer noch wehtun, was aber unmöglich der Fall sein konnte, da der Unfall bereits mehr als zehn Jahre zurücklag. Es war kein schöner Anblick. Er ließ die makellose, cremig weiße Haut um die Narbe herum in den Hintergrund treten und schien Blaises gesamte Aufmerksamkeit zu fordern.

So wie alles an Ella …

Als er die Hand hob und sanft mit den Fingerspitzen der unebenen Linie folgte, entzog sie sich seiner Berührung und trat abrupt von der Wand weg. „Tun Sie das nie wieder“, sagte sie scharf und wollte sich an ihm vorbeidrängen, doch Blaise versperrte ihr den Weg. „Warum nicht?“

„Weil Sie kein Recht dazu haben! Sie mögen mein Geschäftsdarlehen gekauft haben, aber nicht mich.“

„Das ist mir durchaus bewusst, Ella“, erwiderte er ruhig.

„Was ist es dann? Morbide Neugier? Man nennt so etwas Brandnarben, und ich habe sie mir vor elf Jahren bei einem Feuer im Haus meiner Eltern zugezogen. Ich hatte angenommen, dass Sie das längst irgendwo gelesen haben. Falls nicht, kann ich Ihnen ganz besonders den Artikel im Courier empfehlen.“

Ella schlug das Herz bis zum Hals, ihr krampfte sich der Magen zusammen. Sämtliche Situationen, in denen sie sich seit dem Feuer verunsichert oder unzulänglich gefühlt hatte, standen ihr plötzlich wieder gnadenlos lebendig vor Augen. Am liebsten hätte sie sich auf dem Absatz umgedreht und fluchtartig den Klub verlassen, aber damit hätte sie nur unerwünschte Aufmerksamkeit erregt. Die meisten der anwesenden Gäste beobachteten sie bereits, und Ella wusste, dass auch Reporter darunter waren. Sie hatte keine Lust, am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen, dass sie sich mit Blaise Chevalier gestritten hatte und danach wie eine beleidigte Leberwurst abgerauscht war.

Sie war eine Powerfrau und lief niemals vor etwas weg!

„Aber wahrscheinlich war es nur die Macht der Gewohnheit“, fügte sie mit einem kalten Lächeln hinzu. Sie wollte, dass er sich genauso bloßgestellt fühlte wie sie. „Nachdem Sie sich schon so lange einfach nehmen, was Ihnen nicht gehört, ist Ihnen sicher nicht einmal der Gedanke gekommen, ich könnte etwas dagegen haben.“

Das Glitzern in seinen Augen gefror zu goldenem Eis. „Ich nehme mir nur, was nicht gut bewacht wird, Ella. Wenn Sie nicht so hohe Schulden gemacht hätten, besäße ich jetzt nicht die geringste Macht über Sie.“

„Verstehe. Und wenn Ihr Bruder besser aufgepasst hätte, hätten Sie ihm nicht die Verlobte ausgespannt. Die beiden standen damals kurz vor ihrer Hochzeit, oder?“

„Wie ich sehe, haben Sie sich gründlich über mich informiert“, stellte Blaise mit ausdrucksloser Miene fest.

Ella hatte in der Tat das Internet nach Informationen über ihn durchforstet. Als sie auf die Geschichte mit seinem Bruder gestoßen war, hatte sie förmlich in ihrer Empörung gebadet, weil ihr das die Möglichkeit gab, Blaise zu verachten. Das war bedeutend sicherer, als all die anderen verwirrenden Empfindungen zuzulassen, die er in ihr auslöste.

„Stimmt“, bestätigte sie. „Und dabei habe ich festgestellt, dass Sie anscheinend in sämtlichen Bereichen Ihres Lebens ein Pirat sind.“

Ein amüsiertes Lächeln spielte um seinen sexy Mund. „Als Piraten habe ich mich bisher noch nicht gesehen, aber es ist eine nette Art, mich zu romantisieren.“

„Ich romantisiere gar nichts!“, stellte Ella klar. „An einem Mann ohne Ehrgefühl kann ich absolut nichts Anziehendes finden.“

Falls sie ihn damit getroffen hatte, gab er es nicht einmal mit einem Wimpernzucken zu erkennen. „Ehre ist ein interessanter Begriff“, meinte er nur. „Allerdings bin ich ihr bisher noch nicht begegnet.“

Ella ging es da nicht viel anders. Als Teenager hatte sie oft von einem edlen Ritter in schimmernder Rüstung geträumt, der sie aus ihrem öden Krankenhauszimmer entführte, aber spätestens zum Ende ihrer Highschool-Zeit hatte sie diesen kindischen Traum begraben.

Dafür hatte sie jetzt einen skrupellosen Freibeuter an Bord, der ein Viertel von ihrem Gold haben wollte!

Sie hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Wie auf Knopfdruck wurde Ella siedend heiß. Ihre Lippen fühlten sich plötzlich trocken an, sodass sie sie nervös mit der Zungenspitze befeuchtete. Sie sah, wie Blaise die Bewegung registrierte, und spürte ein sehnsüchtiges Ziehen zwischen ihren Schenkeln.

Das Gefühl war ihr nicht fremd, nur war das Objekt ihrer Begierde diesmal keine gefahrlose Fantasie im Schutz ihres Schlafzimmers. Kein duftiges Traumgespinst, das ihr ein unbestimmtes Lustgefühl verschaffte. Es war ein realer Mann aus Fleisch und Blut, und er betrachtete ihre Lippen mit mehr als nur flüchtigem Interesse.

Eine Nacht mit Blaise Chevalier – was für eine Vorstellung! Für ihn würde es allerdings eher ein Albtraum sein. Schon der bloße Gedanke, dass er sie nackt sah, war unerträglich, und doch gelang es Ella nicht, die verführerischen Bilder zu verbannen, die unentwegt vor ihrem inneren Auge auftauchten. Es war, als würde in ihrem Innern ein erbitterter Kampf zwischen ihrem gesunden Menschenverstand und der Sehnsucht nach Nähe und körperlicher Befriedigung stattfinden. Nur gut, dass sie es schon vor Jahren gelernt hatte, ihre triebgesteuerten Bedürfnisse unter Kontrolle zu halten.

Scheinbar ungerührt hielt sie Blaises Blick stand, als er sich leicht zu ihr vorbeugte. Seine Lippen waren ihren jetzt so nah, dass sie die Wärme spüren konnte, die von ihnen ausging. Doch Ella rührte sich nicht von der Stelle.

„Keine Sorge“, sagte er in einem Tonfall, der im Nu die erotische Ladung verpuffen ließ, die gerade noch die Luft zwischen ihnen zum Knistern gebracht hatte. „Um Sie zu einer reichen Frau zu machen, brauche ich kein Ehrgefühl. Ich wage sogar zu behaupten, dass es mich dabei nur behindern würde.“

4. KAPITEL

„Es ist die Schlagzeile im Gesellschaftsteil!“

„Die Presse hat eben ein krankhaftes Interesse an meinem Sexleben.“

Selbst durchs Telefon hindurch wirkte Blaises Stimme wie eine sinnliche Berührung. Ella, die sich immer noch nicht von dem Schreck über ihre Entdeckung erholt hatte, starrte auf das Zeitungsfoto von ihnen beiden. Sie standen dicht beieinander in einer unbeleuchteten Nische des Klubs, und ihre Lippen berührten sich fast. Es sah aus, als ob sie …

Langsam schüttelte Ella den Kopf, als könnte sie dadurch den falschen Eindruck korrigieren, den diese Aufnahme vermittelte. „Aber jetzt wird alle Welt glauben, wir … hätten etwas miteinander!“

„Davon können wir ausgehen“, pflichtete Blaise ihr gelassen bei. „Wir waren zusammen in dem Klub, und die Presse weiß, dass ich kürzlich Ihr Darlehen aufgekauft habe. Natürlich nehmen sie jetzt an, dass es eine Rettungsaktion war, um die aktuelle Frau in meinem Leben aus einer Notlage zu befreien.“

„Dann müssen wir eben einen Brief an den Herausgeber schreiben, um den Irrtum aufzuklären.“ Sie hatte inzwischen ihren Laptop hochgefahren und die Besucherzahlen ihrer Website aufgerufen. Das tat sie routinemäßig jeden Tag, um sich ein Bild zu machen, wer sich für ihre Arbeit interessierte, und an welchen Stellen noch mehr Werbung nötig war. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, als sie die Statistik sah. Dann checkte sie die Suchwörter, die zu ihrer Site geführt hatten, und verschluckte sich beinah an ihrem Tee.

Chevalier und Stanton ein Paar … Blaise Chevaliers neue Freundin … Blaise Chevalier Ella Stanton verlobt …

„Geht es Ihnen nicht gut?“, erkundigte Blaise sich am anderen Ende der Leitung.

„Ich …“ Sie räusperte sich. „Ich hatte ungefähr vier Mal so viele Besucher auf meiner Website als normalerweise, und fast alle haben nach Informationen über uns beide gesucht.“

„Dann war dieser Artikel offenbar genau die Art von Presse, die Sie brauchen.“

„Und ich verdanke ihn einem Event, das Sie für unter meiner Würde erachtet haben“, betonte sie nachdrücklich, um seiner nervtötenden Selbstgefälligkeit einen Dämpfer zu verpassen.

„Sie verdanken ihn vor allem der Tatsache, dass Sie mit der richtigen Begleitung da waren.“

Seine Arroganz machte Ella sekundenlang sprachlos, aber dann musste sie einsehen, dass stimmte, was er sagte. Blaises Macht und Reichtum, seine skrupellosen Geschäftspraktiken und sein Ruf, ein notorischer Herzensbrecher zu sein, waren mit ziemlicher Sicherheit der Grund dafür, dass man ihre Anwesenheit auf der Party so intensiv zur Kenntnis genommen hatte. Das gefiel Ella zwar nicht, aber sie musste praktisch denken. Wenn Blaise nur irgendwo zu erscheinen brauchte, um einen kleinen Medienwirbel auszulösen, konnte das nur gut für sie sein.

Gedankenverloren strich sie mit den Fingerspitzen über das Foto vor ihr. Natürlich hatte man sie von der linken Seite aufgenommen. Sie betrachtete die fleckigen Hautpartien auf ihrem entblößten Arm und spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Es war leicht, Selbstvertrauen vorzutäuschen, solange einem die unschöne Realität des eigenen Körpers nicht direkt ins Auge sprang.

„Sie haben recht.“ Gereizt schob sie die Zeitung von sich, damit sie das Bild nicht mehr sah. „Ohne Sie hätte ich es bestenfalls in die Spalte ‚Vermischtes‘ geschafft. Dieser Auftritt hat sich also wirklich gelohnt.“

„Vorsicht“, warnte Blaise sie. „Mein riesiges Ego könnte sich noch mehr aufblähen.“

Wie unglaublich witzig. Plötzlich wollte Ella das Gespräch so schnell wie möglich beenden. „Okay, dann will ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen“, sagte sie steif. „Wir sehen uns … irgendwann.“

„Ein geschäftliches Telefonat mit Ihnen betrachte ich nicht als Zeitverschwendung.“

„Wow, das war ja fast ein Kompliment!“

„Wie gesagt, Ella, das hier ist nichts Persönliches. Ich habe nicht vor, Sie fertigzumachen. Es gibt nur ein Ziel, das ich verfolge, und das besteht darin, Profit zu erwirtschaften. Was ja wohl auch zu Ihrem Vorteil sein dürfte.“

„Ja, sicher.“ Sie stand vom Tisch auf und begann ruhelos durch die Küche zu wandern. „Sie werden Geld machen, ich werde Geld machen, und alle leben glücklich bis an ihr Lebensende. Nur hängt für mich noch ein bisschen mehr daran.“

„Und was, wenn ich fragen darf?“

„Leidenschaft!“, antwortete Ella, ohne zu zögern. „Die Sehnsucht, einen Traum zu verwirklichen. Der Kick des Erfolgs. Die Befriedigung, etwas erreicht zu haben.“ Zumindest für sie war es so. Manchmal kam es ihr vor, als wären ihr Beruf und ihre Person ein und dasselbe. Als würde nichts mehr von ihr übrig bleiben, wenn man ihr ihre Arbeit wegnähme.

„Dann freut es Sie sicher zu hören, dass ich eine Mail von Karen Carson bekommen habe. Das ist die Herausgeberin von Look“, fügte er unnötigerweise hinzu.

Die Nachricht hob Ellas Stimmung augenblicklich, auch wenn es sie ein wenig ärgerte, dass die Zeitschrift sich nicht direkt an sie gewandt hatte. Sie war es gewohnt, dass ihre Geschäftspartner mit ihr persönlich kommunizierten – und nicht mit ihrem übermächtigen Wohltäter.

„Und?“, hakte sie aufgeregt nach. „Was hat sie gesagt?“

„Das Foto hat ihr gefallen.“

„Gut. Dann will sie das Kleid also für die Titelseite?“ Ihr Herz schlug plötzlich so schnell, dass sie kaum atmen konnte.

„Leider nicht.“

Das Hochgefühl verflog so schnell, wie es gekommen war. „Na ja, wenigstens war es einen Versuch wert“, meinte sie forciert lässig, während sie bereits fieberhaft überlegte, was sie wohl falsch gemacht hatte.

Warum war das Kleid nicht gut genug gewesen?

Warum war sie nicht gut genug gewesen?

„Sie möchte, dass Sie etwas anderes entwerfen.“

„Etwas anderes?“, wiederholte Ella verständnislos. „Aber ich dachte …“

„Das Kleid war für den Zweck nicht das Richtige, aber Karen findet Ihren Stil unwiderstehlich, wie sie es ausdrückte.“

„Okay, ich verstehe …“ Ein neuer Energieschub durchströmte Ella und setzte tausend Ideen in ihrem Kopf frei. „Was genau will sie denn haben? Ich meine, schwebt ihr etwas Klassisches vor oder eher ein lässiges Outfit? Ich muss nur wissen, was sie sich vorstellt, dann kann ich es auch machen …“ Sie kam sich vor wie ein durchgedrehter Duracell-Hase und hatte den Verdacht, dass sie auch genauso klang. Aber in diesem Moment war es ihr egal.

„Ich leite Karens Mail an Sie weiter“, versprach Blaise ihr. „Sie will etwas Formelles, aber im selben Farbton. Etwas, das ganz auf das Konzept von Look ausgerichtet ist.“

Ellas feindselige Gefühle gegenüber Blaise rückten in den Hintergrund. Unter normalen Umständen hätte sie sich mühsam ein Netz von Verbindungen aufbauen müssen, um sich dann Schritt für Schritt die Erfolgsleiter hochzukämpfen. Aber Blaises machtvoller Status hatte sie mit einem Schlag die Hälfte der Stufen überspringen lassen.

„Danke“, sagte sie leise und merkte entsetzt, dass ihre Stimme bedenklich schwankte. Verdammt, sie würde doch jetzt nicht so albern sein und weinen! Bei aller Dankbarkeit hielt sie es nach wie vor für sträflichen Leichtsinn, Blaise ihre Verletzbarkeit zu zeigen.

„Sie sind ein seltsames Wesen, Ella. Zuerst benehmen Sie sich wie ein giftiges Stacheltier, und dann bedanken Sie sich plötzlich.“

„Dafür haben Sie die seltsame Angewohnheit, sich wie ein Esel aufzuführen, um dann etwas ganz Wunderbares geschehen zu lassen.“

„Sie nennen mich einen Esel?“

„Ja.“

„Tja, ich denke, ich musste schon schlimmere Beschimpfungen hinnehmen.“

„Ich auch.“ Sie blickte auf ihre Hände und war heilfroh, dass Blaise in diesem Moment nur eine körperlose Stimme war und sie nicht mit seinen wissenden grüngoldenen Augen fixieren konnte.

„Ich habe Karens Nachricht gerade an Sie weitergeleitet. Sie haben eine Woche, um ein neues Kleid zu entwerfen. Um das übrige Styling kümmert sich Look.“

„In Ordnung.“

„Ich melde mich im Laufe der nächsten Woche bei Ihnen. Und Ella …“

„Ja?“

„Viel Glück.“

Unwillkürlich musste sie lächeln. „Ich brauche kein Glück, Blaise. Ich mache fantastische Kleider.“

Blaise beobachtete, wie Ella vor der Schneiderpuppe kniete und das blassblaue Kleid daran zurechtzupfte. Immer wieder hielt sie inne, um eine Falte anders zu arrangieren, eine überflüssige Stecknadel herauszuziehen oder eine neue festzustecken. Dabei summte sie leise vor sich hin.

Wieder überraschte es ihn, wie anders es in ihrer Werkstatt aussah als in der konsequent durchgestylten Boutique. Statt des strengen Schwarz-Weiß-Schemas mit den strategisch gesetzten Farbtupfern herrschte hier eine wahre Farbenorgie. An den Wänden reihten sich hohe Regale voller Stoffballen aneinander. Die Mitte des Raums wurde von einem Ablagegestell voller durchsichtiger Schubladen dominiert, die Unmengen von Garnen, Knöpfen und Bändern enthielten. Alles dort hatte seinen Platz, und doch wirkte es in seiner Vielfalt an Farben und Stilen chaotisch.

Ein Ort organisierter Exzentrik, ging es ihm durch den Kopf. So lebendig und widersprüchlich wie die Frau, die ihn geschaffen hatte.

Heute trug sie hautenge schwarze Jeans mit pinkfarbenen Nähten und ein schlichtes schwarzes Top. Die wilde blonde Mähne hatte sie im Nacken zu einem lockeren Knoten geschlungen und eine scharlachrote Blume hineingesteckt. Alles an ihrem Outfit wirkte zufällig, und doch spürte Blaise, dass sie hart an diesem Effekt gearbeitet hatte.

„Das sieht gut aus!“, rief er ihr zu und wunderte sich, wie leicht ihm das Kompliment über die Lippen kam. Woran es lag, hätte er nicht sagen können. Vielleicht steckte derselbe geheimnisvolle Grund dahinter, der ihn veranlasst hatte, persönlich hier aufzutauchen, wo doch ein Anruf vollauf genügt hätte, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen.

Ella wirbelte herum wie von der Tarantel gestochen. „Hätten Sie nicht anklopfen können?“, fuhr sie ihn an. „Ich hätte fast einen Herzschlag bekommen.“

Lässig ging er auf sie zu. „Wenn Sie so schreckhaft sind, sollten Sie besser die Tür abschließen.“

„Soll das so etwas wie eine Entschuldigung sein?“

Mit blitzenden Augen stand sie vor ihm, die Hände herausfordernd in die Hüften gestemmt, was ihre perfekte Figur wirkungsvoll zur Geltung brachte. Vielleicht war der Grund seines Kommens ja doch nicht so undefinierbar.

„Und wie läuft es?“, erkundigte er sich, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Ihre Augen wurden ein wenig schmaler. „Das hätte ich Ihnen auch am Telefon erzählen können.“

Blaise zuckte gleichmütig die Schultern. „Bei meinen größeren Investitionen werfe ich gern persönlich ein Auge auf die Dinge.“

Als er noch einen Schritt auf sie zu machte, wich Ella rasch hinter die Schneiderpuppe zurück. Eine reine Reflexhandlung, sagte sie sich. Und ihr Herz schlug nur deswegen so schnell, weil sein unangekündigtes Erscheinen sie erschreckt hatte. Das war alles.

Allerdings musste sie zugeben, dass ihm dieser anthrazitfarbene Anzug gnadenlos gut stand. Bei den meisten ihrer männlichen Models musste sie die Schulterpartie massiv mit Polstern verstärken, und der Effekt war nicht halb so dynamisch.

„Also, was denken Sie?“, fragte sie ihn und deutete auf das Kleid. Nicht, weil sie es wirklich wissen wollte, sondern um das unangenehme Flattern in ihrem Magen loszuwerden.

„Es ist … ungewöhnlich“, antwortete er vage.

„Nun ja, es ist nicht aus Lycra und auch nicht von oben bis unten mit Pailletten besetzt. Vielleicht kommt es Ihnen deswegen so vor.“

Blaise zog eine dunkle Braue hoch. „Sollte das ein Kommentar zu meinem Frauengeschmack sein?“

„Wenn Sie es so verstehen wollen.“

„Danke für das Feedback, aber die Presse hat sich bereits zur Genüge zu diesem Thema geäußert.“

Und es scherte ihn einen Dreck, sein herablassender Tonfall verriet es deutlich. Aber egal, es gab jetzt Wichtigeres als das. „Bei diesem Modell geht es um die Verbindung von Bewegung und Struktur“, erklärte Ella ihm, als würde sie vor einer Modeklasse referieren. „Der griechisch inspirierte Faltenwurf und das plissierte Mieder geben eine schöne Silhouette und fügen gleichzeitig ein interessantes Designelement hinzu.“

„Aha …“ Blaise trat an die Schneiderpuppe heran und drehte sie ein wenig zu sich, wobei seine kräftigen Hände einen aufregenden Kontrast zu dem zarten, duftigen Stoff bildeten.

„Ich habe zwar kein Wort von alldem verstanden, aber ich kann mir gut vorstellen, wie dieses Kleid an einer schönen Frau aussieht.“ Er fing Ellas Blick auf und strich dabei leicht mit den Fingerspitzen über das Mieder.

Ella musste schlucken, als seine linke Hand sich langsam der Stelle näherte, wo sich normalerweise die Brüste einer Frau befanden, während die rechte, die zuvor auf der Hüfte der Puppe gelegen hatte, die andere Richtung einschlug, bis sie schließlich den Rocksaum erreichte.

Sie konnte fühlen, wie es sein würde, dieses Kleid zu tragen und Blaises festen, erfahrenen Griff an jeder Wölbung und Vertiefung ihres Körpers zu spüren. Vielleicht würde er ihr als Nächstes den Rock hochschieben. Es musste sich wunderbar anfühlen, wenn der kühle Chiffon an ihren nackten Schenkeln hinaufglitt …

Plötzlich lag eine solche Spannung in der Luft, dass Ella Mühe hatte, ruhig weiterzuatmen. Ihre Lippen kribbelten, das Ziehen in ihrem Schoß wurde so stark, dass es fast schmerzte. Sie hatte das Gefühl, dass gerade etwas Schwerwiegendes geschehen war, dabei hatte Blaise nur den Stoff an einer Schneiderpuppe berührt.

„Mit anderen Worten, ich hätte nichts dagegen, meine Herzdame in einem solchen Kleid zu sehen.“ Er trat etwas zurück, um Ellas Werk noch einmal zu begutachten, als ob es die ganze Zeit über nur darum gegangen wäre.

Und genauso war es ja auch, du dummes Ding!

Es waren ihre Fantasie, ihr Hunger nach Sex, die mehr daraus gemacht hatten.

„Ich glaube, Karen wird das Kleid mögen, was meinen Sie?“ Wenigstens war ihrer Stimme nichts anzumerken.

Blaise machte eine vage Handbewegung. „Wie gesagt, Mode ist nicht mein Gebiet. Aber als Mann kann ich sagen, dass es mich anspricht.“

„Okay.“ Ella wollte jetzt nur noch, dass er ging, um möglichst rasch zu vergessen, was ihr gerade durch den Kopf gegangen war.

„Ich wollte noch etwas anderes mit Ihnen besprechen“, eröffnete Blaise ihr.

Was denn noch, um Himmels willen?

„Und das wäre?“, fragte sie ungeduldig.

„Ich möchte, dass Sie mich heute Abend zum Ball der Herzen begleiten. Das ist ein Event, das Sie tatsächlich weiterbringen kann. Und wer weiß? Vielleicht können wir den Medien ja etwas bieten, worüber es sich wirklich zu berichten lohnt.“

5. KAPITEL

Der Ball der Herzen war eine der hochkarätigsten Wohltätigkeitsveranstaltungen in Frankreich.

Schon die Eintrittskarten kosteten ein Vermögen, und es kamen noch dreihundert Euro pro Person für das Dinner hinzu. Der Erlös floss in einen Fonds, aus dem Medikamente und Operationen für Menschen mit schweren Herzkrankheiten finanziert wurden. Darüber hinaus verschaffte das Ereignis den Reichen und Schönen die Gelegenheit, gesehen zu werden und in der Presse aufzutauchen.

Blaise bestand darauf, sämtliche Kosten zu übernehmen, aber Ella wollte wenigstens das Dinner selbst bezahlen, obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten konnte.

„Es ist für einen guten Zweck“, argumentierte sie, „und da möchte ich auch meinen Beitrag leisten.“

Am liebsten hätte sie die Einladung überhaupt nicht angenommen und erklärt, dass sie weder Blaise noch seine Publicity brauchte. Tatsache war jedoch, dass sie beides verzweifelt nötig hatte, und so lief es ironischerweise darauf hinaus, dass sie Zeit mit ihm verbringen musste, um ihn möglichst schnell wieder loszuwerden.

Ich bezahle das Dinner“, entschied Blaise in einem Tonfall, der jede weitere Diskussion sinnlos machte. „Sie können ja eine Spende machen, die Ihrer momentanen Finanzlage angemessen ist.“

„Das kommt mir aber etwas … unausgeglichen vor.“

„Das finde ich nicht. Meiner Ansicht nach sollte ein Mann immer für die Rechnung seiner Begleiterin aufkommen.“

„Du liebe Güte, wollen Sie jetzt auch noch den edlen Ritter spielen?“ Das letzte Mal war Ella in der Highschool um ein Rendezvous gebeten worden, und dieses Treffen war in einem fürchterlichen Desaster geendet.

„Ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen ein bisschen Ritterlichkeit ganz gut tun würde.“

„Nicht von einem Mann wie Ihnen.“

Kaum hatte Ella es ausgesprochen, tat es ihr auch schon leid. Blaise mochte ein schwieriger Geschäftspartner sein, aber er hatte sie noch nie beleidigt. Sie dagegen hatte gerade – und das nicht zum ersten Mal – seine Vergangenheit als Waffe benutzt, um ihm eine verbale Ohrfeige zu verpassen. Allzu große Schuldgefühle verspürte sie deswegen allerdings nicht, zumal ihre Bemerkung ihn ziemlich kalt zu lassen schien. Seine Kinnmuskeln spannten sich ein wenig an, und das war auch schon alles.

„Ich bin ein unsozialer, egoistischer Mensch“, gab er unverblümt zu. „Aber wenn ich mit einer Frau zusammen bin, kümmere ich mich auch um sie, egal ob es sich um einen One-Night-Stand oder etwas Längerfristiges handelt.“

Ella glaubte sofort, dass er das tat. Wenigstens in körperlicher Hinsicht. Allein seine Stimme versprach alle nur erdenklichen Genüsse, doch die Qualitäten, auf die es ihr bei einem Mann ankam – Zärtlichkeit, Wärme, Verlässlichkeit –, gingen ihm völlig ab.

Aber vielleicht tat sie ihm ja unrecht. Sie präsentierte der Welt schließlich auch eine Fassade, die mit ihrem wahren Ich nur wenig zu tun hatte. Und Blaise spielte die Rolle des Bösewichts mit solcher Hingabe, dass sich die Frage förmlich aufdrängte, was sich wohl dahinter verbarg.

Nichts, Ella. Da brauchst du gar nicht erst zu suchen!

Bei ihren Eltern hatte sie diesen Fehler gemacht. Jahrelang hatte sie sich eingeredet, dass sie nicht die waren, die sie zu sein schienen, weil sie nicht akzeptieren konnte, dass ihnen ihr eigenes Wohlbefinden letztendlich wichtiger war als das ihrer Tochter. Nein, die Menschen waren, wie sie waren, daran konnte nichts und niemand etwas ändern.

„Um wie viel Uhr fängt der Ball denn an?“, fragte sie.

„Um acht. Ach ja, es ist übrigens ein Kostümball.“

Eine Welle erregender Vorfreude erfasste Ella, vermischt mit einer Spur von Ärger, weil Blaise so viel Macht über ihre körperlichen Reaktionen hatte.

In diesem Moment beschloss sie, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen.

„Ein Kostümball, wie nett“, sagte sie mit einem honigsüßen Lächeln. „Da wird mir sicher etwas Passendes einfallen.“

Das festlich geschmückte Schloss, in dem der Ball der Herzen stattfand, funkelte wie eine überdimensionale Schmuckschatulle. Vor vierzehn Jahren wären Blaise beim Anblick von so viel Reichtum und Überfluss noch die Augen aus dem Kopf gefallen. Mittlerweile konnten solche Szenarien ihn nicht mehr reizen.

Ganz im Gegensatz zu Ella!

Eine goldene Maske verdeckte den oberen Teil ihres Gesichts. Darunter lockte ihr sinnlicher Mund – blutrot wie das atemberaubende Kostüm aus eng anliegender Spitze, das gerade lang genug war, um die Grenzen des guten Geschmacks zu wahren. Spontan aufflammende sexuelle Begierde war nichts Ungewöhnliches für Blaise. Normalerweise bekam er solche Anwandlungen spielend in den Griff, aber bei Ellas Anblick musste er sich schwer zusammenreißen, um seine coole Fassade aufrechtzuerhalten.

„Darf ich fragen, was Sie heute Abend darstellen?“ Er nahm ihre Hand in dem fingerlosen Spitzenhandschuh und führte sie die geschwungene Freitreppe hinunter in den Ballsaal.

„Ich bin die Versuchung“, gab sie ihm lächelnd Auskunft, wobei ihre saphirblauen Augen hinter der goldenen Maske mysteriös glitzerten.

Oh ja, das war sie in der Tat!

Und der Blaise, der er noch vor drei Jahren gewesen war, hätte dieser Versuchung ohne zu zögern nachgegeben. Aber diesen Mann gab es nicht mehr. Der Blaise von heute glaubte an Kontrolle und lebte seine Libido grundsätzlich nur dann aus, wenn es ihm angebracht erschien.

„Sie dagegen haben sich offensichtlich mal wieder über alle Regeln hinweggesetzt“, bemerkte Ella mit einem Blick auf seinen klassischen schwarzen Smoking.

Er neigte sich zu ihr und raunte ihr verschwörerisch ins Ohr: „Ich habe mich als Mann verkleidet, der es nicht mag, sich zu verkleiden.“

Zur Belohnung schenkte sie ihm ein spontanes Lachen, das prompt einen weiteren unwillkommenen Blutstau in seiner Körpermitte verursachte.

„Ich glaube aber nicht, dass hier irgendjemand den Mut hat, Sie deswegen zu tadeln.“

„Wahrscheinlich nicht“, stimmte Blaise ihr zu.

Er saß inzwischen gesellschaftlich so fest im Sattel, dass er praktisch Narrenfreiheit genoss, wobei ihm natürlich klar war, dass hinter seinem Rücken gnadenlos über ihn hergezogen wurde. Vermutlich sah man ihn immer noch als den Jungen, der bei seiner Rückkehr von seinem Vater wie ein Prinz empfangen worden war und als Dank für die empfangenen Wohltaten das Lebensglück seines einzigen Bruders zerstört hatte.

Anfangs hatte ihn diese eindimensionale Sichtweise noch geärgert, aber inzwischen wusste Blaise die Vorteile seines abschreckenden Rufs zu schätzen. Er verschaffte ihm die Freiheit zu tun, was ihm gefiel, und hielt die Konkurrenz auf Abstand. Schließlich wollte sich niemand mit jemandem anlegen, der vor absolut nichts zurückschreckte, um zu bekommen, was er wollte.

„Ich finde das unfair“, erklärte Ella in diesem Moment. „Schließlich habe ich mich nach allen Regeln der Kunst in Schale geworfen.“

„Und das Ergebnis ist den Aufwand mehr als wert“, ergänzte Blaise und wandte seine Aufmerksamkeit wieder ganz seiner hinreißenden Begleiterin zu.

Die Spitze ihres Kostüms wirkte ungemein zart. Sicher wäre es ein Leichtes, sie ihr vom Körper zu reißen. Stück um Stück, bis ihr verführerischer Körper sich ganz seinen Blicken darbot. Die Maske würde er ihr nicht abnehmen. Die Vorstellung einer nackten, nur mit einer goldenen Maske bekleideten Ella hatte etwas herrlich Verruchtes.

Ohnehin würde er sie unter Tausenden wiedererkennen, ob mit oder ohne Maske. Selbst in seiner Fantasie sah Blaise die pigmentlosen Flecken an ihrem Arm. Die Narbe an ihrem Nacken. Sie machten sie einzigartig und sagten ihm, dass er Ella vor sich hatte und nicht irgendeine gesichtslose Frau.

Ella hatte den Eindruck, dass Blaise mühelos durch ihr Kostüm hindurchsehen konnte. Kein Wunder, denn es war gerade noch blickdicht genug, um die Teile ihres Körpers zu verbergen, die für die Öffentlichkeit tabu waren.

Als sie die megakurze Provokation von einem Kleid in ihrem Schlafzimmer anprobiert hatte, war sie noch stark und selbstsicher gewesen. Sie hatte förmlich darauf gebrannt, Blaise so gründlich aus dem Gleichgewicht zu bringen, wie er es mit ihr getan hatte. Jetzt hatte sie allerdings das deutliche Gefühl, sich übernommen zu haben. Blaise sah sie an, als wollte er sie noch vor dem Dinner als Appetithäppchen verspeisen – und sie hatte keine Ahnung, wie sie sich in einem solchen Fall verhalten sollte.

Aber dazu würde es gar nicht erst kommen. Sobald er ihr das Kleid ausgezogen hätte, würde er schockiert die Flucht ergreifen, in der nächsten Bar einen doppelten Whisky herunterkippen und bei dem Gedanken erschauern, dass er kurz davor gewesen war, mit einer solchen Frau Sex zu haben.

Okay, vielleicht übertrieb sie ein wenig. So schlimm sahen ihre Narben auch wieder nicht aus. Doch wenn Ella nackt vor dem Spiegel stand, fiel es ihr schwer, etwas anderes wahrzunehmen. Und es gab keinen Grund anzunehmen, dass es ausgerechnet Blaise anders gehen sollte.

Nicht nach dem katastrophalen Abschlussball an der Highschool. Es hatte sich herausgestellt, dass der Junge, der sie eingeladen hatte, nur auf eine Gelegenheit spekuliert hatte, ihr das Oberteil ihres Kleides herunterzuziehen, um festzustellen, wie hässlich sie darunter wirklich aussah.

Und was war der Trost ihrer Mutter gewesen? Das muss ja furchtbar für dich gewesen sein, Liebling, hatte sie kummervoll gemurmelt. Besonders, nachdem du früher einmal so hübsch gewesen bist.

Nein, sollte sie je verrückt genug sein, es auf einen weiteren Versuch ankommen zu lassen, dann nur mit jemandem, der wirklich etwas für sie empfand.

„Wann startet eigentlich dieses fulminante Dinner?“, fragte sie betont locker. Das offene Begehren, mit dem Blaise sie musterte, verunsicherte sie zunehmend. Sie sehnte sich nach einem Tisch zwischen ihnen, der sie wenigstens teilweise seinen Blicken entzog.

„Das kann sich noch hinziehen“, meinte er. „Zuerst müssen schließlich alle die Gelegenheit bekommen, hässliche Gerüchte zu streuen und sich außerdem gegenseitig Honig ums Maul zu schmieren.“

Blaises verächtliche Miene sprach Bände. Außerdem war Ella aufgefallen, dass er stets darauf bedacht war, sich ein wenig abseits von der Menge zu halten.

Sie selbst tat bei gesellschaftlichen Veranstaltungen genau das Gegenteil. Sie ergriff die Initiative, brachte Gespräche in Gang und war auf diese Weise stets Herrin der Lage. Solange sie selbstbewusst genug auftrat, wagte es niemand, ihr unerwünschte Fragen zu stellen oder ihr auf andere Weise zu nahe zu treten. Dabei leisteten ihre Narben ihr gute Dienste. Bei den meisten Menschen lösten sie Unbehagen und Unsicherheit aus, sodass es ihr nicht schwerfiel, die meisten sozialen Situationen nach ihren Wünschen zu steuern.

„Champagner?“

Noch bevor Ella antworten konnte, reichte Blaise ihr eins der beiden Gläser, die er vom Tablett eines vorbeikommenden Kellners genommen hatte.

Froh, etwas zu haben, an dem sie sich festhalten konnte, nahm Ella es entgegen, obwohl sie wahrhaftig keine zusätzliche Stimulation mehr brauchte.

„Wie geht es mit dem Kleid für Look voran?“, fragte er sie, während er fortfuhr, sie mit diesem abschätzenden Blick zu betrachten, unter dem ihr abwechselnd heiß und kalt wurde.

„Bestens“, erwiderte sie forciert munter und trank einen Schluck Champagner. Sie musste aufpassen, dass er ihr nicht zu Kopf stieg. Sie vertrug nur wenig Alkohol, und die Art, wie Blaise sie ansah, benebelte ihre Sinne schon genug. „Ich habe Karen eine Zeichnung gemailt, und sie war sehr angetan davon. Von daher habe ich ein gutes Gefühl, auch wenn ich gleichzeitig furchtbar nervös bin. Aber das ist bei einer so großen Sache schließlich kein Wunder.“

Blaise zuckte die Schultern, und Ella bemerkte, dass er sein Glas noch immer unberührt in der Hand hielt. „Machen Sie einfach einen Schritt nach dem anderen“, riet er ihr. „So halte ich es auch mit meinen Geschäften. Auf diese Weise hat man die Situation zu jedem Zeitpunkt unter Kontrolle.“

„Und läuft nicht Gefahr, vor lauter Nervosität alles zu vermasseln“, ergänzte Ella.

„Ich bin niemals nervös.“

Sie zog zweifelnd die Brauen hoch. „Wirklich nie?“

„Nein. Ich treffe eine Entscheidung und handle dann. Ich befasse mich weder mit dem Zustand meiner Nerven, noch bereue ich hinterher etwas.“

Ella fragte sich, ob das wirklich stimmte. Seine Respekt gebietende Erscheinung, sein Auftreten … einfach alles an ihm schien seine Worte zu bestätigen. Und doch weigerte sich ein Teil von ihr, ihm diese Aussage so ohne Weiteres abzukaufen. Warum das so war, verstand sie selbst nicht, denn sie war sich ziemlich sicher, dass sie in diesem Fall besser ihren Augen trauen sollte als ihrem zum Wunschdenken neigenden Herzen.

„Das muss … befreiend sein.“

„Eine interessante Wortwahl“, bemerkte Blaise.

„Nicht wirklich. Wenn ich bei allem, was ich tue, diese Sicherheit empfände, wäre das eine gewaltige Befreiung für mich.“

„Es gibt keinen Grund, warum es für Sie nicht so sein sollte, Ella.“

Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Name so geheimnisvoll, ja geradezu exotisch klingen konnte. Als Blaise sich langsam über sie beugte, senkte sie rasch die Lider, um ihn nicht länger ansehen zu müssen. Stattdessen blieb ihr Blick an seinem Zeigefinger hängen, der träge über den Stiel des Champagnerglases strich.

Sie trat einen Schritt zurück. „Ich finde, es ist ziemlich heiß hier.“

„Möchten Sie für einen Moment an die frische Luft gehen?“

Ella nickte und steuerte eilig auf die geöffneten Türen eines Balkons zu, doch es gab kein Entkommen. Blaise blieb ihr auf den Fersen wie ein Bluthund.

„Bemühen Sie sich nicht“, bat sie ihn in einem letzten Versuch, ihn abzuwimmeln. „Ich komme schon allein klar.“ Dann trat sie hinaus und hielt ihr erhitztes Gesicht in die kühle Nachtluft. Vielleicht würde sie ja den Nebel aus ihrem Kopf vertreiben, der es ihr unmöglich machte, klar zu denken.

„Es ist schlechter Stil, wenn ein Mann die Dame in seiner Begleitung allein lässt“, hörte sie Blaises Stimme direkt hinter sich.

„Ich bin überwältigt von Ihrer Fürsorge.“

„Keine Ursache. Ich bin stets bestrebt, meinem exzellenten Ruf gerecht zu werden.“ In seiner Stimme schwangen Sarkasmus und eine Spur von Bitterkeit mit, die Ella erneut daran zweifeln ließ, dass er nie etwas bereute.

Sie ging zu der weinumrankten Balustrade und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „Die Presse wird ihnen bestimmt gern dabei helfen.“ Sie schlug absichtlich einen scherzhaften Ton an, um gegen das spannungsgeladene Knistern zwischen Ihnen anzugehen. „Besonders nachdem wir uns auf diesen verschwiegenen Balkon gestohlen haben, was man nur als intimes Stelldichein interpretieren kann.“

Er lachte leise. „Sie sollten für die Medien arbeiten.“

„Dafür fehlt mir das dicke Fell.“

Im Ballsaal wurde gerade ein Walzer gespielt, und Ella schloss für einen Moment die Augen, um der romantischen Melodie zu lauschen. Blaise nahm ihr das Champagnerglas ab und stellte es zusammen mit seinem auf die steinerne Brüstung. Dann legte er ihr den Arm um die Taille und zog sie sanft an sich. „Da Ihnen die Musik so gut zu gefallen scheint, sollten Sie auch die Gelegenheit bekommen, zu tanzen.“

Ein leises „Oh …“ war alles, was Ella darauf antworten konnte. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrer Wange, ihr Herz hämmerte so wild, als wollte es ihr aus der Brust springen. Es wäre das einzig Richtige gewesen, Blaise auf der Stelle von sich zu schieben, aber sie brachte es einfach nicht über sich. Dazu fühlte es sich viel zu gut an, den Druck seiner warmen Hand auf ihrem Rücken zu spüren. Sich im Einklang mit der Musik mit ihm zu bewegen, anstatt gegen ihn zu kämpfen …

„Versuchung“, murmelte er und rieb dabei leicht seine Wange an ihrem Haar. „Was für eine passende Kostümwahl …“ Er löste seine rechte Hand aus ihrer und legte sie auf ihre Hüfte, von wo aus er sie langsam höher gleiten ließ, bis er kurz vor dem Ansatz ihrer Brüste stoppte.

Ella hatte ihre sinnliche Berührung bereits gespürt, als Blaise am Nachmittag das Kleid an der Schneiderpuppe berührt hatte. Aber das war wie üblich nur Fantasie gewesen, wohingegen dieser Moment sehr real war. Und die dünne rote Spitze war die einzige Barriere zwischen ihm und ihrer nackten Haut!

Wie in Trance folgte sie seinen geschmeidigen Bewegungen, machte sie zu ihren eigenen. Als Blaise sie noch etwas näher an sich zog, realisierte sie schockiert, dass er genauso erregt war wie sie. Sein heißer Atem hinterließ eine brennende Spur, die direkt unter ihrem linken Ohr begann, der Linie der Narbe folgte, und dann zu ihrer Schulter führte. Dabei berührten seine Lippen ihre Haut nicht, sondern schwebten knapp darüber. Ellas ganzer Körper stand in Flammen. Am liebsten hätte sie seinen Kopf gepackt und ihn einfach geküsst. Sie wollte seinen Mund auf ihrem spüren – heiß und begierig – und nicht nur die Ahnung davon.

Nach einer Weile zog er sich gerade so weit von ihr zurück, um ihr tief in die Augen sehen zu können. Dann drehte er behutsam ihren Kopf und wiederholte die süße Folter auf der anderen Seite ihres Halses. Als Ella seine Hitze nicht mehr spüren konnte und die Empfindung für das langsame Gleiten seiner Finger verlor, versteifte sie sich in seinen Armen.

Er war immer noch da.

Berührte sie nach wie vor.

Aber sie konnte es nicht fühlen!

Er könnte ihr Schmerz oder Lust bereiten – sie würde den Unterschied nicht merken. An einigen Partien ihres Körpers waren die Brandwunden so tief, dass sie auch die unter der Haut liegenden Nerven zerstört hatten. Dort würde sie nie wieder etwas empfinden können.

Abrupt befreite Ella sich aus Blaises Armen und trat leicht taumelnd zurück. „Es tut mir leid“, murmelte sie. Es war nicht wirklich eine Entschuldigung. Sie verspürte einfach nur Bedauern. „Vielleicht sollten wir nachsehen, ob das Dinner schon angefangen hat …“

Blaise musterte sie prüfend, wobei seine eigene Miene nichts von seinen Gefühlen preisgab. „Haben Sie Hunger?“, fragte er sie schließlich.

„Es ist schon spät, und das Essen soll wirklich spektakulär sein. Mit echtem Blattgold verzierte Schokoladentorte und solche Sachen …“

Er sah sie weiter schweigend an, ohne sich von der Stelle zu rühren. Endlich nickte er, doch als er ihr die Hand reichte, um sie in den Ballsaal zurückzuführen, tat Ella so, als hätte sie die Geste nicht bemerkt.

Sie hätte vor Frustration schreien mögen, aber sie konnte ihn jetzt unmöglich berühren. Denn wenn sie es tat, würde sie weinen, und das durfte nicht sein. Sie war stark und zeigte niemandem ihre Tränen.

Wenigstens würde sie gleich nicht mehr allein mit ihm sein. Sie nahm sich vor, sich während des Dinners ganz auf ihre anderen Tischnachbarn zu konzentrieren, dann konnte Blaise ihr nicht mehr gefährlich werden.

Nur hatte Ella das dumme Gefühl, dass es dafür bereits zu spät war.

6. KAPITEL

Chevaliers Romanze wird immer heißer!

Nicht zum ersten Mal verspürte Blaise einen Anflug von Widerwillen angesichts der Gier, mit der die Presse sich auf jedes pikante Detail seines Privatlebens stürzte. Andererseits hatte sie ihm dadurch zu einem Bekanntheitsgrad verholfen, der sich durchaus vorteilhaft auf seine Geschäfte auswirkte. Inzwischen hatte er mehr Geld gemacht, als die meisten Normalsterblichen sich vorstellen konnten. Darin lag sein Talent. Und es verschaffte ihm die Möglichkeit, im Gedenken an seine Mutter Stiftungen und Hilfsprojekte in Malawi zu finanzieren und auf diese Weise die Arbeit fortzusetzen, die ihr so viel bedeutet hatte.

Er zog die aufgeschlagene Zeitung, die er unwillig von sich geschoben hatte, wieder zu sich heran und betrachtete lange das Foto von ihm und Ella. Es war genau in dem Moment aufgenommen worden, als er ihren Nacken geküsst hatte, und ihre hingebungsvolle Haltung ließ keinen Zweifel daran, wie sehr sie seine Liebkosung genoss. Ihre Augen waren geschlossen, die Lippen leicht geöffnet. Keine Frage, sie war eine wunderschöne Frau. Aber schöne Frauen gab es viele, und im Gegensatz zu Ella stellten die meisten von ihnen keine so große Gefahr für seine eiserne Selbstkontrolle dar.

Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Es war Karen Carson von Look, die mit ihm über die neuen Entwürfe reden wollte, die Ella ihr inzwischen geschickt hatte.

„Je mehr ich von ihrer Arbeit sehe, umso überzeugter bin ich, dass sie genau die Art von Mode macht, für die unser Magazin steht“, teilte sie Blaise mit. „Daher spiele ich mit dem Gedanken, eine ganze Fotostrecke mit ihren Kreationen zu bringen. Ich dachte an ein Strandshooting mit Abendkleidern und anderen formellen Outfits.“

Bingo! dachte Blaise triumphierend, doch er war ein zu guter Stratege, um sich seine Siegerstimmung anmerken zu lassen. „Ich freue mich, dass Ella dich von ihrem Talent überzeugen konnte“, sagte er nur.

Karen räusperte sich. „Nach dem, was man in letzter Zeit so hört und liest, scheint Ms Stanton auch auf anderen Gebieten sehr begabt zu sein.“

Blaise lachte leise. „Ich bin nicht aus Stein, Karen, aber vor allem bin ich Geschäftsmann. Wäre ich nicht davon überzeugt, dass Ella es bis ganz nach oben schaffen kann, hätte ich sie dir gegenüber nie erwähnt. Habt ihr übrigens schon eine Idee, wo das Shooting stattfinden könnte?“

„Wir hatten an Hawaii gedacht.“

„Langweilig“, meinte Blaise. „Das hat es schon zigmal gegeben.“

„Hast du einen besseren Vorschlag?“

„Allerdings.“

„Haben Sie genug Personal, um sich für eine Woche von hier freizumachen?“

Ella wirbelte erschrocken herum, als sie plötzlich Blaises Stimme hinter sich hörte. „Können Sie sich diese unangekündigten Auftritte nicht mal abgewöhnen?“, fuhr sie ihn verärgert an, worauf er beschwichtigend beide Hände hob.

„Ich habe es mehrmals auf Ihrem Handy versucht, aber da meldete sich nur die Mailbox.“

„Oh …“ Sie bückte sich unter den Tresen und wühlte in ihrer großen roten Ledertasche, bis sie endlich auf ihr Handy stieß. Als sie es aufklappte, tat sich nichts. Entweder war der Akku leer, oder sie hatte es aus Versehen ausgeschaltet. Sehr professionell!

„Tut mir leid“, murmelte sie kleinlaut und legte das Handy auf den Tresen. Dann fiel ihr wieder ein, mit welcher Frage er hier hereingeplatzt war. „Wozu sollte ich mir eine Woche freinehmen?“, erkundigte sie sich misstrauisch.

„Karen will jetzt eine ganze Fotostrecke mit Ihren Kreationen machen und möchte Sie als Beraterin bei dem Shooting dabeihaben. Alle anderen Aktionen laufen natürlich weiter wie geplant.“

Der Adrenalinschub schoss wie eine Stichflamme durch Ellas Körper, aber diesmal hatte es nichts mit Blaise zu tun. Dies war eine richtig große Sache! Es war der Schlüssel zu internationaler Aufmerksamkeit. Zu Runway-Shows, zu denen sie sich momentan nicht einmal eine Eintrittskarte leisten konnte.

„Ich glaube, ich hyperventiliere gleich“, murmelte sie schwach.

Non, ma belle, das werden Sie nicht“, versprach Blaise ihr und strich dabei leicht mit den Fingerknöcheln über ihre Wange.

Ella wich zurück, fest entschlossen, seine Berührung ebenso zu ignorieren wie das durch sie ausgelöste Pulsrasen. „Okay, also … wann soll dieses Shooting losgehen?“

„Schon morgen. Können Sie bis dahin alles organisieren?“

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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