Julia Gold Band 92

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  • Erscheinungstag 15.05.2020
  • Bandnummer 92
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715106
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Stephens, Abby Green, India Grey

JULIA GOLD BAND 92

1. KAPITEL

„Kommen Sie näher, damit wir Sie sehen können“, befahl die männliche Stimme.

Zoe Chapman stieß einen leisen Fluch aus, rutschte den Abhang hinunter und richtete sich auf. Sie hatte gehofft, nicht entdeckt zu werden. Ihr Versteck zwischen zwei Felsen war zwar unbequem, aber dafür dachte sie, von dort aus unbemerkt die Aktivitäten rund um das Lagerfeuer beobachten zu können.

Als sie endlich das Flamenco-Camp gefunden hatte, war noch niemand zu sehen gewesen. Die Tatsache, dass sie für das Fernsehen arbeitete, machte sie nicht gerade überall beliebt. Doch für ihre überaus populäre Kochshow war sie darauf angewiesen, dass alle Beteiligten freiwillig mit ihr zusammenarbeiteten. Im Dorf behauptete man, dass hier im Camp der beste Flamenco getanzt würde. Bevor sie sich den Tänzern vorstellte, wollte sie sich selbst davon überzeugen.

Der Mann, der sie gerufen hatte, war kurz nach ihr eingetroffen. Jetzt hatte er ihr den Rücken zugewandt und sah hinunter auf das Tal. Aus der Entfernung hatte Zoe nur eine hoch gewachsene männliche Gestalt ausmachen können. Er hatte dichtes dunkles Haar und breite, muskulöse Schultern. Genau die Art von Mann, die zu meiden sie sich fest vorgenommen hatte.

Inzwischen waren immer mehr Leute dazugekommen. Es sah so aus, als wäre er der Anführer der kleinen Gruppe. Zoe überraschte das nicht. Sie hatte sich bereits gefragt, wer er war, denn wenn sie ihn ansah, lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter. Sie ärgerte sich über sich selbst. Anscheinend hatte sie seit ihrer Scheidung nichts dazugelernt. Noch immer fühlte sie sich zu gefährlichen Männern hingezogen.

Beim Näherkommen merkte sie, dass er genau ihr Typ war. Er sah unglaublich gut aus, strahlte eine leichte Arroganz aus und war offensichtlich sehr verärgert. Wenn es sich nicht um ihre Arbeit gehandelt hätte, wäre sie sofort verschwunden.

Für ihre Fernsehshow suchte sie sich immer interessante Leute aus allen Bereichen der Gesellschaft. Besonders beliebt waren die Sendungen, in denen sie regionale Besonderheiten vorstellte. Dadurch unterschied sie sich von ihrer Konkurrenz.

Normalerweise machte ihr das Recherchieren viel Spaß. Aber in diesem Fall durfte sie ihren Gefühlen nicht allzu große Beachtung schenken und hoffte nur, dass der Tanz bald beginnen würde. Sie konnte sich nicht von irgendeinem dahergelaufenen Abenteurer aufhalten lassen. Am besten sie vergaß den Mann! Das Wichtigste war jetzt, jemanden zu finden, der bereit war, in ihrer Show aufzutreten.

Neben der Arbeit war das Tanzen Zoes große Leidenschaft. Sie wusste, dass sie es niemals zum Profi schaffen würde. Aber ein wichtiger Schritt nach der Scheidung war gewesen, sich einer Jazztanzgruppe anzuschließen. Eine bessere Therapie gab es nicht für sie. Doch im Moment sah es ganz so aus, als wären all ihre Bemühungen umsonst gewesen.

„Worauf warten Sie noch?“

Der Anführer winkte sie ärgerlich nach vorn, seine Stimme war kalt und rief unangenehme Erinnerungen in ihr wach. Doch wenn es um die Arbeit ging, konnte Zoe unglaublich zäh sein. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie beide Aufsehen erregten. Vielleicht fand sie unter diesen Leuten ja ein paar Freiwillige, die gerne in ihrer Show auftraten.

Der Mann hob die Hand, um Zoe am Näherkommen zu hindern. Er war das Bild von einem Mann. Außer der Aura von Macht und Stärke hatte er auch noch Stil. Warum fand Zoe solche Männer nur attraktiv?

Sie schätzte ihn auf Anfang bis Mitte dreißig. Er war athletisch gebaut, und alles an ihm wirkte finster: seine Augen, sein Haar …

„Was wollen Sie hier?“, fragte er.

„Man hat mir gesagt, dass sich hier die Liebhaber des Flamencos treffen. Ich möchte mehr über den Tanz erfahren.“

„Damit Sie zurück nach England fahren und bei Ihren Freunden damit angeben können?“

„Nein, natürlich nicht, ich …“ Er hielt den Blick unverwandt auf sie gerichtet. Zoe beschloss, sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen. „Ich interessiere mich wirklich sehr für Flamenco.“

„Sind Sie allein?“

„Im Moment schon …“

Er sah sie scharf an. „Im Moment?“

„Ich arbeite normalerweise mit einem Fernsehteam zusammen. Aber jetzt sind meine Leute nicht hier.“

War es möglich, dass sein Blick noch finsterer wurde? Sie versuchte, ihm alles zu erklären, aber ihr versagte die Stimme. Die ganze Zeit über war Zoe der Sonne ausgesetzt gewesen, ohne Wasser dabeizuhaben. Jetzt hätte sie alles für einen Drink gegeben.

„Hätten Sie vielleicht ein Glas Wasser für mich?“ Sie sah sich um.

„Was, glauben Sie, ist das hier? Ein Café?“

Alle anderen hatten Gläser in der Hand. „Entschuldigen Sie, ich …“

„Haben Sie gedacht, dies hier wäre einer jener Touristenplätze, wo Sie umsonst einen Drink zu Ihrer Paella bekommen?“

„Nein, natürlich nicht.“

Er kam drohend auf sie zu. Zoe spürte, wie sie der Mut verließ. Unwillkürlich wich sie zurück und wäre dabei fast gestolpert. Nur der massige Körper eines Mannes hinter ihr bewahrte sie davor. Er schien ihre hastigen Entschuldigungen nicht zu verstehen und reichte ihr auffordernd eine Flasche.

Zoe wollte das Getränk nicht. Sie wollte nur noch weg – zurück an einen sicheren Ort, wo niemand sie ansah, wo niemand wusste, wer sie war oder woher sie kam.

Aber der Mann mit der Flasche lächelte sie noch immer an, und sie wollte ihn nicht provozieren.

„Gracias, señor.“

Nach einem kurzen Blick auf den Anführer griff sie nach der Flasche und nahm einen tiefen Zug.

Es schmeckte köstlich und eigentlich recht harmlos – wie Fruchtsaft mit Honig und einem Gewürz, das sie nicht benennen konnte. Das Getränk war angenehm kühl. Als er ihr anbot, mehr zu trinken, konnte sie nicht widerstehen.

„Salud!“

Das war wieder der Anführer, seine Stimme klang rau und unfreundlich. Zoe gab dem anderen Mann die Flasche zurück, sie fühlte sich schon viel besser.

„Köstlich“, sagte sie trotzig. „Was ist das?“

„Eine Spezialität hier aus der Gegend.“

„Ausgezeichnet. Man sollte sie vermarkten.“

„Über Ihre Empfehlung werde ich bestimmt nachdenken.“

Sein Sarkasmus traf Zoe, doch gleichzeitig wuchs ihre Entschlossenheit, erst zu gehen, wenn sie ihren Auftrag erfüllt hatte. Aber vielleicht schadete es ja nichts, ihm gegenüber ein wenig charmanter zu sein.

„Ich glaube, ich sollte mich vorstellen.“

„Ja, das finde ich auch.“

Sie strich sich eine Strähne ihres flammend roten Haares aus dem Gesicht und versuchte, sich zu konzentrieren. Das Getränk war viel stärker gewesen, als sie gedacht hatte. Auf nüchternen Magen verfehlte es seine Wirkung nicht. Sie schwankte und konnte sich nicht wehren, als er plötzlich die Hand ausstreckte, um sie vorm Fallen zu bewahren.

Sein Griff war leicht, dennoch traf sie seine Berührung bis ins Mark. Er führte sie weg von den anderen, hin zu einer kleinen Holzhütte, die ein wenig Schatten bot.

„Also, wer sind Sie?“

„Zoe – Zoe Chapman. Hätten Sie bitte ein Glas Wasser für mich?“

Rico hatte das Gefühl, als hätte er den Namen schon einmal gehört. Aber dann ignorierte er den Gedanken. Egal. Sie hatte bereits das Urteil über sich gesprochen – ein Fernsehteam! Er hätte es wissen müssen. Angewidert verzog er das Gesicht und streckte erneut die Hand nach ihr aus, als sie stolperte.

„Ich glaube, Sie sollten sich besser setzen.“ Er führte sie zu einer Bank und wandte sich zu der Gruppe um. „José! Fernando! Un café solo – rápido!

Dann sagte er: „Willkommen im Confradias-Cazulas-Flamenco-Camp! Und jetzt würde ich wirklich gern wissen, was Sie hier zu suchen haben.“

„Nett, Sie kennenzulernen, ich …“

„Erzählen Sie mir nicht diesen Unsinn über Flamenco! Was wollen Sie wirklich? Warum sind Sie gekommen? Wollten Sie mich ausspionieren?“

„Flamenco ist kein Unsinn“, erwiderte Zoe aufgebracht. „Und ich wollte Sie keineswegs ausspionieren. Ich recherchiere.“

„Ich verstehe“, sagte er sarkastisch.

Nein, nichts versteht er, dachte sie und hielt die Hand vor die Augen, um nicht geblendet zu werden. Ihr Kopf fühlte sich schwer an, ihre Schläfen pochten. Sie kniff die Augen zusammen, denn es schien ihr, als würde er schwanken.

„Wer sind Sie überhaupt?“ Ihre Zunge war schwer.

„Ich bin Rico. Rico Cortes.“

Plötzlich merkte sie, dass die anderen zu ihnen hinüberschauten.

„Freut mich, Sie zu treffen, Rico.“

In diesem Moment wurde der Kaffee gebracht. Rico reichte ihn ihr schweigend. Der schwarze Espresso war ausgesprochen bitter, aber das war jetzt unwichtig. Wichtig war nur, dass es ihr gelang, Leute für ihre Sendung zu finden, deren Herzstück die Flamenco-Show werden sollte.

„Am besten, Sie trinken noch einen.“

Er bedeutete dem Jungen mit der Kanne, ihr nachzuschenken.

„Lass die Kanne hier. Por favor, José.

Plötzlich klang seine Stimme ein wenig wärmer, was Zoe nicht verborgen blieb. Aber als er sie ansah, war sein Blick wieder verächtlich. Das war wirklich kein besonders vielversprechender Beginn, um ihr Ziel zu erreichen.

Kaum hatte sie den Espresso ausgetrunken, verlangte sie gleich nach einer weiteren Tasse. Sofort begann Rico mit seinen Fragen.

„Wenn Sie mit einem Fernsehteam hier sind, wollen Sie doch bestimmt jemanden unter Vertrag nehmen, stimmt’s? Deswegen haben Sie hier herumgeschnüffelt, oder?“

Zoe dankte dem Jungen und gab ihm die Tasse zurück. Sie fühlte sich besser, ihr Kopf war wieder klarer.

„Ich bin hier, um herauszufinden, ob Flamenco das Thema für meine Fernsehshow sein wird. Nicht mehr und nicht weniger.“

Ihre Fernsehshow?“

„Ja, ich gestalte das Programm und habe dabei volle künstlerische Freiheit. Mir gehört die Firma, die die Sendung produziert.“

„Sie sind das also!“

„Wie bitte?“

„Sie wohnen im Castillo Cazulas, stimmt’s?“

„Ja, meine Firma hat das Schloss für einen begrenzten Zeitraum gemietet.“

„Und dort wollen Sie Ihr Meisterwerk produzieren?“

„Verzeihung?“ Seine Stimme klang ausgesprochen geringschätzig. Zoe fühlte sich verletzt. Schließlich hatte sie alles getan, um der Sendung ein eigenes Gesicht zu geben. Sie hatte ein wunderbares Team zusammengestellt und war stolz auf das, was sie gemeinsam erreicht hatten.

„Flamenco in Spanien, Oper in Italien, Mode in Frankreich – so läuft das doch, oder? Sie sahnen das Beste von einem Land ab, nur um damit Geld zu verdienen.“

„Ich verdiene damit Geld, das leugne ich ja nicht. Wie soll ich mich sonst im Geschäft behaupten? Wovon soll ich meine Mitarbeiter bezahlen? Ihre Anschuldigungen sind einfach haltlos!“

„Ach ja?“

Zoe merkte, dass ihr das Herz bis zum Hals klopfte.

„Hören Sie, Rico, wenn Sie der falsche Gesprächspartner für mich sind, können Sie mir vielleicht jemanden nennen, der mir weiterhelfen kann.“

„Um meine Privatsphäre zu stören? Wohl kaum!“

Ihre Privatsphäre? Wie kommen Sie bloß auf die Idee, dass meine Sendung irgendetwas mit Ihnen zu tun haben könnte?“

Finster blickte er sie an. „Es wird Zeit, dass Sie zu Ihrem Team zurückkehren, Miss Chapman.“

„Möchten Sie, dass ich von hier verschwinde?“

„Langsam wird es dunkel. Es täte mir leid, wenn Sie sich verirren würden.“

„Keine Angst, ich werde verschwinden. Sobald ich meine Aufgabe hier erledigt habe.“

„Sie haben Ihre Aufgabe hier erledigt.“

„Warum stört es Sie eigentlich so, dass ich hier bin? Ich richte doch keinen Schaden an.“

„Leute haben ein Recht auf ihren eigenen Raum.“

„Und das hier ist Ihr Raum?“

„Könnte man so sagen. Ich bin Ihnen keine Erklärung schuldig“, antwortete er.

„Das ist richtig“, erwiderte Zoe. „Aber mir war nicht klar, dass das hier Privatbesitz ist. Schließlich sind wir in den Bergen. Ich habe das gleiche Recht, hier zu sein, wie Sie. Und noch etwas – bisher hat sich keiner meiner Gäste beklagt. Ich garantiere Ihnen, ich werde Ihre Privatsphäre nicht antasten.“

Er lachte höhnisch. „Und das soll ich glauben?“

„Ja, natürlich.“

„Träumen Sie weiter!“

Er wandte sich ab. Für ihn schien das Gespräch damit beendet zu sein. Ihre Sendung war ihm völlig egal. Aber so schnell wollte Zoe sich nicht geschlagen geben. Bisher hatte sie noch keine einzige Absage für ihre Show erhalten, und sie dachte nicht daran, sich von Rico Cortes einschüchtern zu lassen.

„Wir sind noch nicht fertig miteinander“, rief sie ihm nach.

„Oh doch!“ Er drehte sich um und starrte sie an. Sie atmete tief durch.

„Bitte“, sagte sie beschwörend. „Sie müssen mir glauben. Ich stelle keine Gefahr dar, weder für Sie noch für andere. Ich versuche nur …“

„Mehr über Flamenco herauszufinden?“

„Genau.“

Ihre Blicke trafen sich, ein kleiner Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Wollte sie dieser Art Mann nicht aus dem Weg gehen?

„Es wird schon spät“, meinte sie zögernd und sah zum Himmel. „Vielleicht haben Sie ja recht. Dies ist nicht die Zeit, um …“

„Lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten“, sagte er spöttisch.

Zoe wollte gerade antworten, als ein Gitarrenakkord erklang und das Lachen und die Gespräche unterbrach. Mit einem Mal wurde es ganz still. Alle wandten sich der kleinen Holzbühne zu, die am Rande der Klippen errichtet worden war.

„Wenn Sie schon hier sind, können Sie sich auch die Vorstellung anschauen.“

Rico ging voran und führte Zoe durch die Menge. Jetzt sah sie auch den Mann mit der Gitarre, der auf einen Hocker gelehnt auf der Bühne stand. Plötzlich löste sich eine ältere Frau aus der Gruppe der Wartenden. Sie stützte die Hand aufs Knie, um auf die Bühne zu klettern. Man merkte ihr das Alter an. Doch dann fand eine unglaubliche Verwandlung statt. Mit einem gebieterischen Blick auf das Publikum raffte die Frau mit einer Hand ihren Rock zusammen und streckte die andere zum Himmel. Dann stampfte sie ein Mal hart mit dem Fuß auf.

Eine wilde, feurige Energie erfüllte die Luft, als sie zu tanzen begann. Zoe merkte gar nicht, dass Rico sie beobachtete. Sie war wie gebannt von der Vorstellung und vergaß alles um sich herum.

„Konnten Sie es spüren?“, fragte er, als das Stück endete und das Publikum in jubelnden Applaus ausbrach.

„Was denn?“

„Bei uns heißt es duende.“

„Duende, wiederholte sie versonnen. Es klang erdig und verboten, genau wie Rico.

„Sie wollten doch richtigen Flamenco sehen“, sagte er mit funkelnden Augen. „Nun, hier sind Sie richtig. Dieser Tanz ist wild und leidenschaftlich. Sind Sie dafür bereit, Zoe Chapman?“

Sie fragte sich, was für einen Eindruck er von ihr hatte. Hielt er sie für unfähig, etwas zu empfinden?

„Ich bin wirklich dankbar dafür, dass ich einen so fantastischen Flamenco sehen durfte.“

„Man sieht Flamenco nicht. Man spürt ihn.“

„Ich verstehe.“ Bestimmt hielt er sie für eine Touristin auf der Suche nach einem Kick. Aber sie war keine Touristin, sie hatte einen langen Weg bis hierher zurückgelegt. Die alte Zoe Chapman hätte bestimmt klein beigegeben, aber das war lange her. Sie war nicht nach Spanien gekommen, um sich beleidigen zu lassen. Sie wollte eine wunderbare Show auf die Beine stellen, und das würde ihr auch gelingen.

„Können Sie mir das Wort duende erklären?“

„Sie verstehen es sofort, wenn Sie es spüren.“

„Was, wie ein Kribbeln?“

„Wie ein Orgasmus.“

Zoe sah ihn mit offenem Mund an. Sie war nicht leicht zu schockieren, aber damit hatte sie nicht gerechnet. Offensichtlich hatte sie mit ihrer ersten Einschätzung recht gehabt – Rico Cortes war extrem gefährlich.

„Ein emotionaler Orgasmus, meinen Sie?“, gab sie zurück und war froh, wie gut es ihr gelang, Haltung zu bewahren.

„Völlig richtig.“

Zoes Wangen röteten sich, aber vielleicht hing das ja auch mit der Leidenschaft zusammen, die sie nach dem Auftritt der Flamenco-Tänzerin noch immer zu spüren meinte. Sie zwang sich, Ricos Blick zu erwidern.

„Sie haben also das Castillo Cazulas für den Sommer gemietet“, sagte er und sah sie so durchdringend an, als ob er genau wüsste, wie ihr zumute war. „Und Sie wollen eine Sendung über Flamenco machen. Aber warum ausgerechnet hier? Kaum jemand außerhalb des Dorfes kennt das Confradias-Cazulas-Flamenco-Camp.“

„Liebhaber des Flamencos kennen es sehr wohl. Und ich habe den Spaziergang hierher sehr genossen.“

„Aber wie wollen Sie jetzt zurückfinden? Es ist ja schon fast dunkel.“

„Kein Problem!“ Triumphierend zeigte sie ihm die kleine Taschenlampe, die sie in weiser Voraussicht eingesteckt hatte. Doch plötzlich merkte sie, dass sie damit nicht viel anfangen konnte. Um diese Jahreszeit wurde es in Spanien schlagartig so dunkel, dass man nicht die Hand vor Augen sah.

In diesem Moment betraten noch andere Tänzer die Bühne. Sie waren alle sehr talentiert, aber keiner von ihnen konnte sich mit der älteren Frau messen. Zoe wusste, sie hatte den Star ihrer Show bereits gesehen. Jetzt musste sie nur noch jemanden finden, der sie ihr vorstellen konnte.

Natürlich wäre Rico genau der Richtige gewesen. Aber es erschreckte Zoe, wie sehr sie sich von ihm angezogen fühlte. Er versprühte ungezügelte männliche Sexualität. Auf gar keinen Fall durfte sie sich davon beeindrucken lassen. Schließlich war sie nicht nach Spanien gekommen, um sich in einen arroganten Macho zu verlieben. Ihr Interesse am Flamenco war rein professionell.

Als die Bühne wieder leer war, war es finstere Nacht. Die Zuschauer stiegen in ihre Autos, und einer nach dem anderen verließ das Camp.

„Sie glauben doch wohl nicht, dass diese kleine Taschenlampe Ihnen weiterhelfen wird, oder?“, fragte Rico.

„Das wird sie wohl müssen“, erwiderte Zoe herausfordernd. „War das die letzte Vorstellung an diesem Abend?“

„Hat es Ihnen nicht gereicht?“

„Was glauben Sie, wie viel würde es kosten, um die erste Tänzerin zu engagieren? Sie wissen, wen ich meine, die ältere Frau.“

Seine Haltung änderte sich schlagartig.

„Alles Geld der Welt würde nicht ausreichen, um ein solches Talent zu kaufen. Sie könnten es sich ganz bestimmt nicht leisten!“

Zoe hatte schon eine ärgerliche Bemerkung auf den Lippen, aber sie hielt sich zurück. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um eine Szene zu machen. Bald würden alle verschwunden sein, auch die ältere Frau. Sie konnte es sich nicht leisten, eine solche Gelegenheit zu verpassen.

„Tut mir leid, wenn ich Ihnen zu nahegetreten bin. Aber Sie können sich doch bestimmt vorstellen, wie beeindruckt ich von dieser Tänzerin war.“

„Sie heißt Maria.“

„Maria“, wiederholte Zoe. Sie hatte das Gefühl, jetzt sehr vorsichtig sein zu müssen. Es war ungeheuer wichtig, dass sie Rico zu einer Zusammenarbeit bewegen konnte. Normalerweise konnte sie mit Menschen sehr gut umgehen. Aber bei ihm hatte sie das Gefühl, als würde sie jedes Mal das Falsche sagen.

„Marias Vorstellung war fantastisch. Glauben Sie, dass sie für mich tanzen würde?“

„Warum sollte sie das tun?“

„Nicht für mich persönlich natürlich, für meine Show. Glauben Sie, Maria wäre damit einverstanden, in meiner Sendung aufzutreten?“

„Das müssten Sie sie schon selbst fragen.“

„Ja, das werde ich auch. Ich wollte Sie nur zuerst fragen, wie Sie das einschätzen.“

„Das hängt sehr davon ab, was Sie ihr als Gegenleistung anbieten können.“

„Ich würde sie selbstverständlich dafür bezahlen.“

„Ich spreche nicht von Geld.“

„Wovon sonst?“

Ein Muskel zuckte in seinem Gesicht. „Sie müssten zunächst ihren Respekt gewinnen.“

„Und was ist der beste Weg, um das zu erreichen?“

Zoe merkte plötzlich, dass ihr erhitztes Gespräch nicht unbemerkt geblieben war. Die letzten verbliebenen Gäste sahen zu ihnen herüber und tuschelten. Nun, sie konnte es nicht ändern. Es war wichtig, dass sie dieses Geschäft abschloss.

„Sie müssten ihr ein Angebot machen.“

„Was für ein Angebot?“, fragte Zoe lächelnd.

„Gibt es irgendetwas, was Sie gut können?“, fragte Rico.

Er musste plötzlich an die vielen Leute denken, die ständig hinter ihm her waren. An die vielen Dummköpfe, die glaubten, dass sein Erbe dasselbe wäre wie die billigen Touristenorte an der Küste. Aber immerhin hatte sie ihn so weit gebracht, mit ihr zu verhandeln. Das bewies, dass sie gewiefter war als die anderen. Er hätte sich auf eine Diskussion mit ihr gar nicht erst einlassen sollen.

Davon abgesehen, war es falsch gewesen, so lange von Cazulas fernzubleiben. Sonst hätte er besser darauf achtgeben können, wer das Schloss mieten würde. Er hatte das Geschäftliche einer Managementfirma anvertraut. Aber das würde nicht noch einmal passieren.

„Ich produziere die Sendungen nicht nur“, sagte Zoe in diesem Moment. „Ich präsentiere sie auch.“

„Oh, bitte entschuldigen Sie“, sagte er übertrieben höflich. „Abgesehen davon, was könnten Sie Maria anbieten, was sie interessiert?“

„Ich kann kochen.“

Er sah sie erstaunt an. „Sie können kochen?“

„Wieso, ist daran etwas falsch?“

„Nein, überhaupt nicht. Es ist nur … damit habe ich nicht gerechnet.“

„Nun, ich weiß nicht, was Sie erwartet haben.“

Jedenfalls nicht diese Antwort. Normalerweise tauchten in den Bergen keine Fremden auf, dazu war die Landschaft viel zu wild und unzugänglich. Aber plötzlich stand diese Zoe Chapman vor ihm, mit ihren blaugrünen Augen und dem flammend roten Haar, mit ihrer lächerlich kleinen Taschenlampe. Was wollte sie nur hier?

„Lassen Sie uns ein anderes Mal darüber sprechen“, schlug er vor. „Ich werde jemanden bitten, Sie nach Hause zu bringen.“

„Zuerst muss ich mit Maria sprechen.“

Sie sah ihn trotzig an, und er merkte plötzlich, dass sie ihm ziemlich gut gefiel. Er mochte ihre Lippen und ihre Augen. Er versuchte zu erraten, ob sie eine gute Figur hatte. Aber der formlose graue Trainingsanzug ließ keine Rückschlüsse darüber zu. Vielleicht war es ja auch besser so.

Er wusste, dass er niemandem trauen konnte. Ihr Programm, ihre Produktionsfirma – wer sagte ihm, dass sie das alles nicht nur erfunden hatte? Cazulas lag ihm sehr am Herzen. Nur hier hatte er Raum, um sich zu erholen, und er würde nicht zulassen, dass irgendjemand sein Refugium zerstörte.

„Werden Sie mich also Maria vorstellen?“

Sie gab wirklich nicht auf!

„Im Moment passt es nicht, es …“

„Wer behauptet das?“

„Maria!“ Rico wandte sich überrascht um. „Ich habe dich gar nicht kommen gehört.“

„Das habe ich gemerkt.“ Die ältere Frau warf Zoe einen neugierigen Blick zu. „Aber da ich nun schon einmal hier bin, warum stellst du uns nicht vor, Rico?“

„Sie wird nicht lange bleiben, sie …“

„Oh doch, das werde ich!“

Maria sah die beiden amüsiert an.

„Ich dachte, es würde dich nicht interessieren, was Miss Chapman zu sagen hat“, meinte er gereizt.

„Jetzt denkst du also schon für mich?“

Einen Moment lang sahen sie sich an, dann kam er ihrem Wunsch nach.

„Maria Cassavantes – ich möchte dir Zoe Chapman vorstellen.“

„Zoe“, wiederholte Maria erfreut. „Ich habe von Ihrer Sendung gehört und würde mich sehr gern mit Ihnen unterhalten. Beachten Sie Rico gar nicht.“

Das war mehr, als Zoe erwartet hatte. Aber Rico nicht zu beachten – wie sollte das gehen? Sie registrierte, wie er erstarrte.

Tatsächlich kochte er innerlich. Was fiel Maria ein? Schließlich kannte sie diese Zoe Chapman doch gar nicht. Wahrscheinlich war sie genauso ein Hai wie alle aus der Medienbranche. Maria wusste gar nicht, worauf sie sich einließ.

„Ich finde, wir sollten mehr über Ihre Kochshow erfahren, bevor Maria mit Ihnen ins Geschäft kommt. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, was Flamenco in so einer Sendung zu suchen hat.“

„Bitte, lassen Sie mich doch erklären …“

„Wie kann ich sichergehen, dass Sie nicht einfach nur Marias Zeit verschwenden?“

„Ich habe doch schon gesagt, dass ich nichts dagegen habe“, sagte Maria und legte Rico begütigend die Hand auf den Arm. „Ich würde sehr gern mit Zoe sprechen und hören, was sie uns zu sagen hat.“

„Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihre Zeit nicht verschwenden werde“, meinte Zoe rasch. „Das ist auch gar nicht meine Art. Um es Ihnen zu beweisen, werde ich …“

„Ja, bitte, beweisen Sie es uns“, unterbrach Rico sie.

Die beiden starrten sich an. Maria war für einen Moment völlig vergessen. Dann brach Zoe als Erste den Blickkontakt ab.

„Ich werde für das ganze Dorf kochen“, verkündete sie. „Was sagen Sie dazu, Rico?“

Er war überrascht. „Ich muss sagen, das ist ein interessantes Angebot.“

„Ich meine es ernst.“

„Umso besser.“ Fast hätte er gelacht, aber er hatte nicht den Eindruck, dass sie seinen Humor teilen würde. Trotzdem bezweifelte er, dass sie ihr Versprechen wahr machen konnte. Schließlich hatte das Dorf einhundertsechzig Einwohner. Es würde ihr nie gelingen, für alle zu kochen.

Er verbeugte sich ironisch. „Ich freue mich schon darauf, Miss Chapman.“

„Warum nennst du unsere neue Freundin nicht beim Vornamen?“, fragte Maria. „Schließlich sieht es ja so aus, als würden wir mit ihr zusammenarbeiten.“

Werden wir denn mit ihr zusammenarbeiten, Maria?“, fragte Rico skeptisch. Ihm war nicht entgangen, wie aufgeregt die Tänzerin bei dieser Aussicht war. Misstrauisch sah er dabei zu, wie die beiden Frauen sich umarmten. Es würde Zoe Chapman nicht gelingen, ihn so leicht um den Finger zu wickeln.

„Ich bin noch nie zuvor im Fernsehen aufgetreten“, verkündete Maria.

„Wir werden uns für Sie etwas ganz Besonderes ausdenken“, versprach Zoe.

„Wir beide sind bestimmt ein gutes Team“, sagte die ältere Frau. Sie warf Rico einen provozierenden Blick zu.

Im Moment musste er sich geschlagen geben. Diese Runde hatte Zoe gewonnen, aber er war auf der Hut. Wenn er sich vorstellte, dass eine Künstlerin von Marias Format in einer drittklassigen Fernsehshow auftrat, in der es eigentlich um Kochrezepte ging, wurde ihm ganz schlecht.

Miss Chapman hatte ihre Beute ausgemacht und erlegt. In seinen Augen war sie nicht besser als ein Paparazzo. Aber er wusste aus Erfahrung, dass es nicht gut war, Maria zu widersprechen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Er würde alles tun, um sie vor Menschen wie Zoe Chapman zu beschützen. Aber im Moment genügte es ihm, dabei zuzusehen, wie Zoe sich ihren eigenen Strick drehte. Er würde sie nicht aus den Augen lassen. Wenn sie auch nur eine Sekunde lang versuchen würde, Marias Kunst schlechtzumachen, wären ihre Tage in Spanien gezählt.

2. KAPITEL

„Können wir jetzt über das Geschäft sprechen, Maria?“

„Das klingt ja sehr förmlich“, warf Rico ein.

Zoe war klar, dass er ihren Motiven zutiefst misstraute. Sie merkte, dass sie behutsam vorgehen musste. Normalerweise freundete sie sich immer mit den Leuten an, mit denen sie arbeiten wollte. Entgegen der öffentlichen Meinung wollte nicht jeder ins Fernsehen. Es gelang ihr fast immer, das Vertrauen ihrer Gäste zu gewinnen, aber Ricos Anwesenheit machte sie nervös.

„Ich weiß, es ist schon spät. Ich werde Sie nicht lange aufhalten, Maria.“ Zoe warf Rico einen bittenden Blick zu. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns allein zu lassen?“

„Das geht schon in Ordnung“, sagte Maria besänftigend.

„Ich möchte gern bleiben.“

„Aber das ist wirklich nicht nötig.“

„Egal.“ Er verschränkte die Arme.

Zoe merkte, dass sie ungeduldig wurde, doch um Marias willen riss sie sich zusammen. Trotzdem war sie müde und ausgelaugt, und sie konnte sich nicht zurückhalten.

„Wirklich, Rico, ich kann nicht einsehen, warum Sie bleiben sollten. Maria und ich sind durchaus in der Lage, diese Sache zwischen uns auszumachen und …“

„Es ist besser, wenn ich bleibe.“

Ihr war klar, dass er stur blieb. „Sind Sie ihr Manager?“

„Sie nennen ihn El Paladin“, warf Maria ein.

„El Paladin?“, wiederholte Zoe. „Der Champion? Was bedeutet das? Dass Sie jeden Schlagabtausch für sich entscheiden?“

„Rico ist jedermanns Champion“, meinte Maria und klopfte ihm auf die Schulter.

Sicher nicht meiner, dachte Zoe.

„Was bedeutet es also?“, wiederholte sie die Frage.

„Sie stellen anscheinend gern Fragen“, bemerkte Rico höhnisch. „Aber Sie geben nur ungern Antworten, was den wahren Grund Ihres Aufenthalts in Cazulas betrifft.“

„Trotzdem hat sie recht“, sagte Maria. „Du magst es nicht, den Kürzeren zu ziehen.“

„Ich gewinne nun einmal gern“, erwiderte er.

„Was hast du dieser jungen Frau eigentlich erzählt?“

„Gar nichts. Wenn du für sie tanzen willst und sie im Gegenzug für uns kocht, habe ich nichts dagegen. Schließlich wissen wir, dass du wirklich tanzen kannst!“

„Dass ich bereits meine dritte Staffel produziere, beweist doch wohl, dass ich kochen kann“, sagte Zoe aufgebracht.

„Kann schon sein. Aber ich verstehe einfach nicht, wo die Verbindung zwischen Kochen und Tanzen sein soll.“

Offensichtlich sagte ihm die Idee ihrer Show nicht zu, aber wenigstens schien Maria auf ihrer Seite zu sein. Sie musste Ricos ablehnende Haltung einfach ignorieren und sich auf ihr Vorhaben konzentrieren. Auf jeden Fall musste sie Ärger mit ihm vermeiden. Wahrscheinlich war er es gewohnt, dass er nur den kleinen Finger zu krümmen brauchte, damit die Frauen angerannt kamen. Nun, bei ihr würde es ihm nicht gelingen.

Sie wandte sich ganz bewusst an Maria und drehte ihm den Rücken zu.

„Die Verbindung ist folgende: Die Menschen, die ich in meiner Sendung porträtiere, sind die Inspiration für das Essen, das ich präsentiere. In diesem Teil Spaniens ist der Einfluss des Flamencos allgegenwärtig.“

„Das Kochen ist also nicht nur ein Hobby für Sie?“, fragte Rico.

„Nein, Rico, das Kochen ist für mich Arbeit und Leidenschaft zugleich, und ich bin jede freie Minute damit beschäftigt.“

„Genau wie mit Ihrer Produktionsfirma.“

Maria unterbrach ihr Streitgespräch. „Das heißt, Sie möchten, dass ich in Ihrer Sendung auftrete, um Ihren Gerichten Lokalkolorit zu verleihen?“

„Genau“, erwiderte Zoe strahlend. „Sie tanzen, ich koche, und zusammen sind wir ein tolles Team.“

„Bueno“, meinte Maria begeistert. „Das klingt gut. Aber ich bestehe darauf, dass die Dorfgemeinschaft mein Honorar bekommt.“

„Natürlich“, sagte Zoe. „Wie Sie wünschen.“ Sie fuhr fort. „Ich habe noch nie jemanden so tanzen sehen wie Sie. Sie sind sensationell.“

Gracias, Zoe. Sie sind sehr freundlich.“

„Nein, einfach nur ehrlich.“ Sie hörte, wie Rico ein kurzes, verächtliches Lachen ausstieß. Was konnte sie tun, um ihn zu überzeugen?

Sie blickte ihn kalt an. Sein Hemd war leicht geöffnet, und Zoe konnte einen Blick auf seine gebräunte Haut erhaschen. Schnell wandte sie sich wieder Maria zu.

„Ihr Auftritt wird unsere Sendung lebendig machen. Das weiß ich, ich …“ Zoe verstummte. Sie spürte Ricos sexuelles Interesse an ihr wie Wellen, die zu ihr herüberschwappten.

„Machen Sie sich keine Sorgen“, versicherte Maria ihr. „Alles wird gut, Sie werden schon sehen.“

Zoe war sich da nicht ganz so sicher, aber sie war froh, als Maria sie unterhakte und mit ihr zum Lagerfeuer ging.

„Hast du Zoe überhaupt schon etwas zu trinken angeboten?“, fragte sie, indem sie sich zu Rico umdrehte.

„Ich glaube, sie hat bereits genug getrunken“, erwiderte er.

„Du hast ihr doch hoffentlich nichts von dem Likör gegeben, der hier im Dorf hergestellt wird?“

„Schon gut, Maria“, warf Zoe hastig ein. „Ich habe schon mehrere Tassen Kaffee getrunken.“

Rico sah sie unverwandt an. Offensichtlich konnte er sich nicht erklären, warum sie ihn so verunsicherte. Es war unmöglich, dass sie sich bereits begegnet waren. Und er konnte auch nichts über ihre Vergangenheit wissen. Hier in den Bergen war sie völlig unbekannt.

„Wann soll ich denn für Sie tanzen?“, fragte Maria in diesem Moment.

„Wie wäre es mit Dienstag?“, schlug Zoe vor. „Dann haben wir genug Zeit für die Vorbereitungen.“

„Wissen Sie überhaupt, worauf Sie sich da einlassen?“ Ricos Worte wirkten auf sie wie eine kalte Dusche.

„Warum fragen Sie? Glauben Sie, ich bekomme das nicht hin?“

„Mich würde wirklich sehr interessieren, was Sie hinbekommen wollen.“

„Aber das ist doch völlig klar. Ich werde kochen, und Maria wird tanzen. Ich weiß nicht, was Sie sich sonst noch vorstellen, im Grunde ist es wirklich ganz einfach.“

„Meiner Erfahrung nach ist nie etwas ganz einfach.“

Unverwandt betrachtete Zoe Ricos volle, sinnliche Lippen.

„Es ist schon nach Mitternacht“, sagte Maria nach einem Blick auf ihre Uhr. „Ich habe Sie viel zu lange aufgehalten, Zoe.“

„Nein, gar nicht“, versicherte sie ihr. „Wichtig ist jetzt nur, dass Sie mit unserem Arrangement zufrieden sind. Ich werde dafür sorgen, dass alles nach Ihren Wünschen geschieht. Möchten Sie essen, bevor Sie auftreten oder danach?“

„Beides. Ich brauche viel Kraft für meinen Tanz. Rico wird sicher auch gern von Ihren Kochkünsten profitieren, oder?“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt kommen werde“, erwiderte er.

„Gut, dann erwarte ich Sie gegen neun im Schloss?“, fragte Zoe, zu Maria gewandt.

„Ja, und ich werde um Mitternacht für Sie tanzen.“

Zoe freute sich so sehr darüber, dass nicht einmal Ricos ablehnende Haltung sie wirklich treffen konnte. Sie hatte ihre Mission erfolgreich beendet. Ohne sie vor der Kamera gesehen zu haben, wusste sie instinktiv, dass Maria eine starke Ausstrahlung hatte. Die Sendung würde einzigartig sein.

„Rico, wären Sie so nett, den Dorfbewohnern mitzuteilen, dass sie am Dienstagabend ins Castillo Cazulas zum Essen eingeladen sind?“, fragte Zoe ihn mit leuchtenden Augen.

Einen Moment lang war er überrascht, dass sie ihn überhaupt in ihre Planung mit einbezog. Er gab zu, dass er ihren Mut bewunderte. Wahrscheinlich war es das Beste, wenn er präsent war, und sei es auch nur, um sie nicht aus den Augen zu lassen.

Vielleicht sollte er ihr anbieten, sie persönlich zum Schloss zurückzufahren. Es war wohl an der Zeit, seinen Charme einzusetzen.

„Keine Sorge, niemand liebt Feste mehr als wir hier in Cazulas“, versicherte er ihr. „Brauchen Sie vielleicht noch zusätzliche Leute?“

Zoe schüttelte den Kopf. „Nein, das wird nicht nötig sein. Schließlich habe ich mein Team.“

Dann wandte sie sich von ihm ab und verabschiedete sich von Maria.

„Wie wollen Sie denn jetzt nach Hause kommen?“, erkundigte sich die Tänzerin.

„Ich werde Sie fahren“, erbot sich Rico.

„Nein, ich gehe zu Fuß.“

Maria sah sie stirnrunzelnd an und schüttelte den Kopf. „Natürlich wirst du sie fahren, Rico. Um diese Zeit zu Fuß durch die Berge zu wandern, ist viel zu gefährlich.“

Zoe blieb nichts anderes übrig, als sich ihrem Wunsch zu fügen. Eigentlich wäre es ihr lieber gewesen, mit Maria mitzufahren. Die ältere Frau hatte sich jedoch bereits abgewandt und ging mit schnellen Schritten auf einen Lieferwagen zu. Sie stieg ein und winkte Zoe noch einmal zu. Dann verschwand der Wagen auf der staubigen Landstraße um die Ecke.

„Sie müssen sich keine Sorgen machen“, sagte Rico in diesem Moment. „Es ist mir ein Vergnügen, Sie ins Schloss zu bringen.“

„Nein danke!“

„Nun hören Sie schon auf, die Mutige zu spielen. Es ist stockdunkel, und diese lächerlich kleine Taschenlampe wird Ihnen nicht helfen, wenn Sie in einen Abgrund fallen sollten.“

Trotzig ignorierte sie ihn und marschierte los. Aber nach wenigen Schritten war er bei ihr und fasste sie am Arm.

„Lassen Sie mich los!“, sagte Zoe mit blitzenden Augen.

„Damit Sie Ihren Willen bekommen? Damit Sie mir noch mehr Ärger machen, wenn ich morgen früh nach Ihrem zerschmetterten Körper suchen muss?“

„Ich finde es wirklich rührend, wie sehr Sie um mich bemüht sind. Aber ich brauche Ihre Fürsorge nicht. Ich kenne diese Berge.“

„Wie gut kennen Sie sie denn? Seit wann sind Sie überhaupt schon hier?“

„Seit fast einem Monat.“ Das brachte ihn vorübergehend zum Schweigen, wie sie befriedigt feststellte.

So lange schon? Es war anscheinend wirklich ein Fehler gewesen, sich nicht um die Belange im Schloss zu kümmern. Rico wusste nur, dass er Zoe nicht gehen lassen wollte. Er musste unbedingt herausfinden, was sie im Schilde führte.

„Es ist wirklich sehr gefährlich nachts in den Bergen“, sagte er drängend. „Manchmal lockert sich das Gestein, und es geht oft ziemlich steil herunter.“

„Das nehme ich in Kauf.“

„Kommen Sie, Sie wollen doch in Wirklichkeit gar nicht zu Fuß gehen“, versuchte er, sie zu überreden. „Und mit dem Jeep sind wir schnell da.“

„Also gut“, sagte sie schließlich.

Eigentlich war sie erleichtert darüber, dass sie nicht durch die Dunkelheit marschieren musste. Aber als Rico in seiner Hosentasche nach dem Autoschlüssel suchte, fragte sie sich, ob sie noch bei Verstand war. Schließlich kannte sie ihn überhaupt nicht, und nach ihrer Scheidung hatte sie sich geschworen, nie mehr auf Männer wie ihn hereinzufallen. Männer, die sie nur ausnutzen würden.

„Nun seien Sie doch nicht so misstrauisch! Bei mir sind Sie viel sicherer. Wie sieht es aus, kommen Sie nun mit oder nicht?“, fragte er, als sie immer noch zögerte. „Ich habe noch viel zu tun.“

„Es ist Sonntag.“

„Stimmt, aber ich muss einiges für Montag vorbereiten.“

„Was denn?“, fragte Zoe, als er ihr die Beifahrertür aufhielt. Rico war ihr ein Rätsel, dabei war es eine Spezialität von ihr, Leute zum Reden zu bringen. Es war eines der Geheimnisse ihres Erfolges.

Kaum hatte er hinter dem Steuer Platz genommen, bestürmte sie ihn schon mit der nächsten Frage.

„Was machen Sie überhaupt in diesem Teil Spaniens?“

„Ich verfolge meine Interessen.“

„Was für Interessen sind das denn?“

Er antwortete ihr nicht und stellte den Motor an. Er ging ihren Fragen wirklich geschickt aus dem Weg, so als hätte er Erfahrung im Umgang mit der Presse.

Aber bestimmt war es das Beste, sich nicht zu sehr in sein Leben zu drängen. Schließlich hatte sie sich nach einer unglücklichen Ehe ihre Freiheit hart erkämpft. Sie wollte sich auf gar keinen Fall von einem Mann erneut aus der Bahn werfen lassen. Und warum ließ sie es dann zu, dass Rico sie zum Schloss zurückfuhr? Aus dem einzigen Grund, weil Maria ihn mochte – und weil sie Maria mochte.

Maria hatte behauptet, er wäre ein Kämpfer. El Paladin, der Champion. War Kämpfen vielleicht sein Beruf? fragte sich Zoe und warf ihm einen Blick von der Seite zu. Nein, unmöglich. Er hatte zwar den Körper eines Athleten, aber sein Gesicht und seine Hände waren ohne jeden Makel. Trotz seiner legeren Kleidung schien er Stil zu besitzen. Das war bei Boxern eher selten der Fall.

„Haben Sie jetzt genug gesehen?“

„Verzeihen Sie, habe ich Sie angestarrt? Ich bin so müde, ich weiß gar nicht mehr, was ich tue.“

Rico merkte, wie die sexuelle Spannung zwischen ihnen von Minute zu Minute wuchs. Aber er musste mehr über diese Frau wissen, bevor er sich mit ihr einließ.

Inzwischen hatte er gelernt, Katastrophen in seinem Privatleben aus dem Weg zu gehen. Zoe war zwar sehr verführerisch, aber sie zog sich jedes Mal wieder zurück, wenn er einen Vorstoß machte. Offensichtlich war es ratsam, bei ihr langsam vorzugehen. Vorgehen? Dann wollte er also doch etwas von ihr? Das überraschte ihn selbst.

Rico lächelte. Er spürte, dass sie ihn noch immer anschaute. Zoe war für ihn ohne Zweifel eine Herausforderung – eine, die er seit langer Zeit schon nicht mehr hatte.

Eigentlich war Zoe eine gute Beifahrerin, aber Ricos Fahrstil erschreckte sie. Er fuhr mit Höchstgeschwindigkeit über die schmale Straße, manchmal waren sie nur wenige Zentimeter vom Abgrund entfernt. Doch er schien sich in den Bergen wirklich gut auszukennen. Nur so war es zu erklären, dass sie die halsbrecherische Fahrt heil überstanden.

Sie war froh, als sie endlich das Schloss erreichten. Rico wollte zunächst noch bleiben, doch es gelang ihr, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Schließlich war es schon spät, und sie würden nur alle wecken, wenn er sich um diese Zeit umschaute. Das konnte er schließlich auch noch am Dienstag machen, dem Tag der Party.

Bis dahin musste Zoe Ordnung in das Durcheinander bringen.

Seufzend sah sie sich am Drehort um. Es gab hier noch eine Menge zu tun. Dann sah sie plötzlich einen Zettel auf dem Küchentisch liegen. Carla, ihre Ausstatterin, hatte den Set aus familiären Gründen verlassen müssen, und ihr junger Assistent war für sie eingesprungen.

Zoe konnte ihm nicht böse sein, sie wusste, er hatte sein Bestes getan. Aber es war ihm nicht gelungen, am Drehort eine authentische Stimmung zu schaffen. Wie konnte sie von Maria erwarten, dass sie in einer Show auftrat, die eine spanische Küche mit Plastikfrüchten zeigte? Durch die Kamera gesehen, würde es vielleicht nicht so auffallen, aber bei dem Gedanken, dass Rico diese Plastikdekoration erblickte, wurde Zoe ganz anders zumute. Das hätte seine Vorurteile nur bestätigt.

Rico – warum musste sie schon wieder an ihn denken? Sie hatte doch bestimmt Wichtigeres zu tun. Zum Beispiel, dafür zu sorgen, dass die Show kein Misserfolg wurde. Männer wie Rico Cortes bedeuteten immer nur Unglück.

Zoe stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um.

Überall hingen Poster, auf denen ihre neuesten Kochbücher angepriesen wurden. Darüber spannten sich kleine bunte Wimpel. Auf dem herrlichen Marmorboden lag ein Teppich in einem grässlichen Orange. In der Mitte des Raumes stand eine Küchenzeile, der man schon aus der Ferne ansah, dass sie aus Sperrholz war. Ranken aus künstlichem Grün schmückten die Arbeitsfläche, daneben türmten sich Berge von Plastikfrüchten.

All dies würde sie entfernen müssen, aber das konnte bis zum nächsten Morgen warten. Zoe war so müde, dass sie sich kaum konzentrieren konnte. Immer wieder musste sie an Rico Cortes denken. Bestimmt war es am besten, eine Nacht durchzuschlafen und ihn zu vergessen. Dann konnte sie sich morgen ausgeruht an die Arbeit machen.

Bei den ersten Sonnenstrahlen sprang Zoe aus dem Bett. Um neun Uhr war eine technische Probe angesetzt. Dabei würde man die Kameraeinstellungen besprechen und den Ton festlegen. Zoe hatte also nicht viel Zeit, um die Dekoration nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Aber es war sehr wichtig, dass der Drehort schon für die Probe etwas Authentisches hatte. Beim Dreh musste dann alles perfekt sein.

Eine halbe Stunde später hatte sie Früchte von den Bäumen im Garten gepflückt und einen ganzen Korb Kräuter gesammelt. Immer, wenn sie den Markt in Cazulas besucht hatte, hatte sie dort handbemalte Keramik aus der Gegend gekauft. Jetzt breitete sie ihre Schätze auf ihrer Arbeitsfläche aus.

Stirnrunzelnd betrachtete sie die grellen Wimpel.

Es war gar nicht so leicht, auf der Leiter zu balancieren, doch schließlich gelang es ihr, die künstliche Dekoration herunterzunehmen. Danach entfernte sie das große Fischernetz, das der Assistent über die hintere Wand der Dekoration gespannt hatte. Auch die Kastagnetten aus Plastik landeten im Mülleimer. Richtige Kastagnetten wurden in den Händen einer Künstlerin wie Maria lebendig.

Sie sah auf die Uhr. Wenn sie in diesem Tempo weitermachte, konnte sie es schaffen, dem ganzen Set einen authentischen Look zu verleihen, bis das Team eintraf.

„Guten Morgen!“

„Rico!“ Fast wäre Zoe von der Leiter gefallen. „Was machen Sie denn hier?“ Entsetzt beobachtete sie ihn dabei, wie er die Plastikkastagnetten aufhob, die sie gerade von der Wand abgenommen hatte.

„Reizend“, sagte er und untersuchte sie spöttisch. „Welche Region Spaniens soll denn hier präsentiert werden?“

„Das waren alles Sonderangebote“, erwiderte Zoe betont humorvoll. Warum sah er so gut aus? Er hatte doch ebenso kurz geschlafen wie sie. Das war einfach nicht fair! „Wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?“, fragte sie scharf. Hatte sie nicht abgeschlossen, bevor sie zu Bett gegangen war?

Er ignorierte ihre Frage und ihren Versuch, ironisch zu klingen.

„Was soll dieser ganze Müll?“

Sie stieg eilig die Leiter herunter. „Das ist unsere Dekoration.“ Ihr Lächeln verschwand, als sie sein Gesicht sah. Noch nie hatte sie jemanden so zornig gesehen.

„Ja, das habe ich mir gedacht.“ Er sah sich um, der Widerwille war ihm ins Gesicht geschrieben.

Gut, es wirkte alles ziemlich durcheinander, aber es war ihre Unordnung, und sie würde diese schon in den Griff bekommen. Zoe spürte, dass auch sie langsam wütend wurde. Schließlich hatte sie das Schloss gemietet, sie konnte hier also tun, was sie wollte.

„Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?“ Zoe klang kühl, aber innerlich war sie sehr aufgewühlt.

„Ja, das können Sie. Sie können diesen ganzen Mist entsorgen.“

„Mist?“

„Sie haben richtig gehört. Ich möchte, dass der ganze Müll verschwindet.“

„Ach ja?“ Sie sah ihn herausfordernd an. „Darf ich fragen, was Sie das angeht?“

Er ignorierte ihre Frage und marschierte auf dem Set auf und ab, wie ein Panter auf Beutejagd.

„Sie können doch wohl nicht ernsthaft von einer Künstlerin wie Maria verlangen, dass Sie in einem verdammten Themenpark auftritt, oder?“

„Nein, natürlich verlange ich das nicht.“

„Dann schaffen Sie endlich diesen ganzen Mist weg. Ich will ihn beim nächsten Mal nicht mehr sehen. Haben Sie verstanden?“

„Beim nächsten Mal? Es muss schließlich kein nächstes Mal geben, Rico.“

„Wie bitte? Ich dachte, Sie hätten mich für nächsten Dienstag eingeladen.“

„Ja, aber wenn Sie das alles hier so stört, ziehe ich meine Einladung einfach wieder zurück. Dann haben wir beide keinen Stress.“

„Damit würde ich es Ihnen zu leicht machen.“

„Zu leicht?“ Zoe konnte sich auf seine Worte keinen Reim machen. Was sie betraf, war nichts leicht gewesen seit ihrer ersten Begegnung mit Rico Cortes.

„Wenn Sie möchten, dass Maria für Sie tanzt, werde ich kommen.“

„Verstehe“, erwiderte Zoe und nickte. „Sie gehört also Ihnen. Sie treffen alle Entscheidungen für sie, Sie …“

„Machen Sie sich nicht lächerlich!“

„Was wird denn Ihrer Meinung nach geschehen, Rico? Soviel ich weiß, produzieren wir eine Sendung. Ich werde kochen, Maria wird tanzen, und das ganze Dorf wird mit uns eine wundervolle Party feiern. Ist das so schlimm?“

Er sah sie finster an. „Sie glauben doch nicht im Ernst, ich würde zulassen, dass meine Freunde am Dienstag an einen solchen Ort kommen.“

„Ach, nun gehört Ihnen also schon das ganze Dorf? Mir war gar nicht klar, dass es hier noch das Feudalsystem gibt. Wahrscheinlich können Sie sich gar nicht vorstellen, dass die Dorfbewohner sehr wohl in der Lage sind, für sich selbst zu entscheiden“, erwiderte sie.

„Sie wissen schließlich nicht, was Sie hier im Schilde führen.“

„Was führe ich denn im Schilde?“

„Sie respektieren sie nicht.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Sie respektieren ihre Kultur nicht.“

„Wie können Sie es wagen, das zu behaupten?“

Zoe musste sich zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Aber diese Genugtuung würde sie Rico nicht geben.

„Sie kommen hier nach Cazulas, ausgerechnet nach Cazulas, weil Sie angeblich am Flamenco interessiert sind. Und dann gelingt es Ihnen, Maria für Ihre Pläne zu gewinnen. Das soll ein Zufall sein? Halten Sie mich für so leichtgläubig?“

Langsam reichte es ihr. „Sie haben recht, Rico. Es war kein Zufall, dass ich Maria angesprochen habe. Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung. Sie ist die beste Flamenco-Tänzerin, die ich je gesehen habe. Haben Sie sonst noch irgendwelche Fragen?“ Sie merkte, wie angespannt und verärgert er war.

„Sie kommen hierher, mit Ihren Fernsehkameras und Ihren vielen Fragen.“ Verächtlich sah er sich am Set um. „Sie werfen ein paar billige Souvenirs zusammen und glauben, das sähe spanisch aus. Was hat das Ganze mit unserer Kultur zu tun? Wollen Sie mich zum Narren halten?“

„Sie irren sich.“ Jetzt erst merkte Zoe, was ihm durch den Kopf ging. Er dachte, sie würde diese billigen Requisiten tatsächlich verwenden.

„Ich komme später wieder, um noch einmal nach dem Rechten zu sehen. Wenn dieser ganze Mist bis dahin nicht verschwunden ist, wird Maria nicht auftreten.“

„Glauben Sie nicht, dass Maria das selbst entscheiden sollte?“

Rico stand bereits an der Tür. „Natürlich kann Maria selbst entscheiden. Sie wird einen Blick auf diese grässliche Dekoration werfen und sich weigern, für Sie zu tanzen.“

„Ach, verschwinden Sie endlich!“

Er warf einen letzten Blick auf die Szene. Plötzlich erblickte er die frischen Früchte, die Kräuter und die Keramikwaren auf dem Arbeitstisch. Seine Mundwinkel kräuselten sich verächtlich. Wie schade! Jemand hatte versucht, dem Set etwas Authentizität zu verleihen. Aber leider hatte Zoe Chapman keinen Geschmack!

Sie war nicht besser als alle anderen. Selbst wenn sie die Absicht hatte, mit ihrer Sendung etwas Positives zu erreichen, würde er nicht zulassen, dass Maria ihren guten Namen für diese drittklassige Unterhaltungsshow hergab.

Zoe zuckte zusammen, als die Tür hinter ihm mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Im Grunde konnte sie Rico nur recht geben, der Set hier war tatsächlich eine Katastrophe. Aber das gab ihm noch immer nicht das Recht, ihr Befehle zu erteilen.

Wütend riss sie einen Plastikpapagei von der Wand und warf ihn zu den übrigen Requisiten in den Mülleimer. Kein Wunder, dass Rico Cortes einen schlechten Eindruck von ihr hatte. Doch vor allem hasste sie es, dass er später noch einmal hier auftauchen würde. Für wen hielt er sich eigentlich?

Was jedoch noch viel schlimmer gewesen wäre – wenn er nicht wiedergekommen wäre.

3. KAPITEL

Rico musste sich zusammenreißen, um dem Schloss fernzubleiben. Es war bereits Mittag. Er hatte geplant, am späten Nachmittag zurückzukehren. Aber jede Minute war für ihn eine Qual gewesen.

Noch nie hatte er eine solche Entweihung miterleben müssen. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und schlug den Rückweg ein. Mit etwas Glück konnte er Zoe überraschen. Bestimmt erwartete sie ihn erst später.

Vielleicht gehörte sie nicht zu den Journalisten der Boulevardpresse, die er aus tiefstem Herzen verabscheute. Aber sie war trotzdem genauso oberflächlich wie diese Leute. Sie hatte keine Ahnung von der Kostbarkeit der Tradition, die Maria verkörperte.

Bevor er das Schloss verließ, hatte er noch ein Mitglied des Fernsehteams getroffen. Der junge Mann hatte ihm versichert, dass die technische Probe bestimmt über Mittag andauern würde. Er hatte auch zugegeben, dass er für die Ausstattung am Set verantwortlich war.

Welche Produktion verwendete solche Grünschnäbel für einen verantwortlichen Job? Wenn es eine respektable Firma war, warum hatte Zoe dann keinen richtigen Bühnenbildner? Das Ganze roch verdächtig nach einer Billigproduktion.

Ein kurzer Blick auf die Uhr überzeugte ihn davon, dass sein Timing genau stimmte. Bestimmt hatten sie längst mit der Probe angefangen. Er würde schon noch herausfinden, welche Art von Unterhaltung Zoe wirklich produzierte. Insgeheim musste er sich eingestehen, dass sie heute Morgen fantastisch ausgesehen hatte. Magere Frauen waren nicht nach seinem Geschmack, und Zoe war alles andere als mager. Sie hatte Kurven, die einem Gemälde von Rubens alle Ehre gemacht hätten.

Als das Schloss in Sicht kam, erhöhte er leicht sein Tempo und fuhr dann in den gepflasterten Innenhof. Schon bald hatte er die große Halle erreicht, hielt sich aber im Hintergrund, um nicht gesehen zu werden. Alle Augen waren auf Zoe gerichtet, sie stand im Fokus der Kameras.

Selbst er musste zugeben, dass die Verwandlung am Set beachtlich war. Die lächerlichen bunten Wimpel und die Plastikkastagnetten waren verschwunden. Zoe stand vor der Kücheninsel und hackte frische Kräuter. Auf dem Tisch befand sich eine ganze Reihe von Weinflaschen. Rico erkannte an den Etiketten, dass es sich um anspruchsvolle Weine aus der Region handelte.

Je länger er ihr bei der Arbeit zusah, desto unbehaglicher wurde ihm zumute. Hatte er sie falsch eingeschätzt?

Es war unmöglich, dass sie in wenigen Stunden die ganzen Requisiten zusammengesammelt hatte. Offensichtlich handelte es sich um Gegenstände und Geräte, die sie immer bei der Arbeit benutzte. Über ihrem Kopf hing eine Reihe glänzender Kupferpfannen, die Messer schienen aus Edelstahl zu sein. Auf der Arbeitsfläche standen ein paar sehr schöne Holzschalen und kleine Teller aus weißem Porzellan. Darauf lagen die Gewürze, die sie beim Kochen verwendete. Zu ihrer Rechten bemerkte Rico eine große Keramikschale voll frischem Gemüse. Vielleicht hatte sie ja etwas zu verbergen. Aber vom Kochen schien sie wirklich etwas zu verstehen.

Zoe arbeitete schnell und geschickt, ihre Hände standen niemals still. Dabei war sie die ganze Zeit auf die Kamera konzentriert. Sie hatte beides, Charisma und gutes Aussehen. Wider alle Vernunft wünschte Rico sich plötzlich, dass ihr Lächeln ihm gelten würde.

Aber war es wirklich ein Zufall, der sie nach Cazulas gebracht hatte? Das konnte er kaum glauben. Vielleicht konnte er sie dazu überreden, mit ihm zu Mittag zu essen. Dann würde er sicher mehr herausfinden. Es wäre wahrscheinlich nicht einfach nach ihrer hitzigen Diskussion von heute Morgen. Er löste sich langsam von der Wand, an die er sich gelehnt hatte, und entschloss sich zu gehen. Er hatte genug gesehen.

Zwischen den einzelnen Aufnahmen sah Zoe immer wieder zur Tür. Einerseits wünschte sie sich, Rico wiederzusehen, doch andererseits fürchtete sie sich auch davor. Aber sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen, denn Philip, der Regisseur, verkündete gerade, dass Drehschluss war. Noch immer war von Rico nichts zu sehen. Möglicherweise hatte ihn der Anblick des billigen Sets in die Flucht geschlagen.

Aber wie konnte sie ihm etwas erklären, wenn er ihr nicht zuhörte? Zoe konnte nur hoffen, dass er seinen Einfluss nicht nutzen würde, um Maria von ihrem Vorhaben abzubringen. Vielleicht sollte sie in das Dorf zurückkehren, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass alles nach Plan verlief.

Ob dies wohl die richtige Kleidung für einen Abstecher in die Berge ist? fragte sich Zoe, als sie sich kritisch im Spiegel betrachtete. Die Jeans waren wirklich sehr eng, und die Bluse war für ihren Geschmack etwas zu transparent. Entschlossen knöpfte sie sie bis zum Hals zu. Schon besser. Dann schnappte sie sich noch einen Pullover, zog die Lippen nach und legte etwas Parfüm auf.

Plötzlich fiel ihr auf, wie unnatürlich blau ihre Augen wirkten. Kam es daher, dass sie so blass war? Aber ihre Wangen waren gerötet, was sicherlich der Freude über den gelungenen Arbeitstag zuzuschreiben war. Ja, bestimmt war dies der Grund für ihre freudige Erregung – und nicht das baldige Wiedersehen mit Rico Cortes.

Sie war also zu ihm gekommen. Bei Zoes Anblick konnte Rico ein Gefühl des Triumphes nur schwer unterdrücken.

„Miss Chapman“, sagte er unbewegt. „Welch glücklichem Zufall verdanken wir dieses unerwartete Vergnügen?“

Beim Näherkommen fiel ihm auf, wie graziös ihre Bewegungen waren. Sie hatte etwas von einer Tänzerin. In der lässigen Kleidung sah sie umwerfend attraktiv aus. Sie war kaum geschminkt, und ihre Haut war leicht gebräunt. Kein Zweifel, sie war eine schöne Frau.

„Sie haben doch gesagt, Sie würden noch einmal zurückkommen.“ Zoe kam gleich zur Sache.

„Ich bin zurückgekommen. Aber ich wollte Sie nicht stören.“

„Verstehe.“ Ob er merkte, dass ihr das Herz bis zum Halse klopfte? „Ich hoffe, die Veränderungen am Set waren zu Ihrer Zufriedenheit?“

Er lachte kurz und entspannte sich dann. „Sie haben einen sehr guten Job gemacht, Zoe. Möchten Sie etwas trinken?“

„Nichts Stärkeres als Orangensaft, bitte.“

„Kein Problem.“

Er winkte ihr, ihm zu folgen, und führte sie zum Lagerfeuer. Hier trafen sich alle, Tänzer wie Zuschauer. Im Moment schienen gerade die Kinder an der Reihe zu sein, sie warteten mit vor Freude geröteten Wangen auf ihren Auftritt. In einer anderen Ecke saßen ein paar Jungen zu Füßen des Gitarristen, der für Maria gespielt hatte, und sahen ihm fasziniert zu.

Rico schenkte ihr ein Glas Orangensaft ein und ließ sich mit Zoe ein wenig abseits auf einem Felsbrocken nieder. Dann hörte er versonnen der Musik zu. Zoe konnte nicht anders, sie musste ihn die ganze Zeit anschauen. Das schwarze Hemd und die schwarze Jeans standen ihm vorzüglich und ließen seine gute Figur zur Geltung kommen.

„Sie sind etwas zu früh, um die erwachsenen Tänzer zu sehen“, sagte er zu ihr. In diesem Moment ließ der Gitarrist ein besonders klagendes Arpeggio hören.

„Deswegen bin ich nicht gekommen“, erwiderte sie.

„Ach nein?“ Er betrachtete sie mit spöttischem Lächeln.

„Ich bin auch nicht Ihretwegen gekommen“, fügte sie schnell hinzu. „Ich hatte gehofft, Maria hier zu treffen.“

„Maria ist hier, aber im Moment können Sie nicht mit ihr sprechen. Entspannen Sie sich doch erst einmal etwas und sehen Sie den Kindern bei den Vorbereitungen für die Fiesta zu.“

Zoe stimmte erfreut zu. „Wann kommen denn die anderen?“, fragte sie und sah sich suchend um. Ein paar Autos standen bereits auf dem Parkplatz.

„Im Moment halten sie Siesta, wie immer im Sommer.“

„Das heißt, Maria ist noch im Bett?“ Plötzlich errötete Zoe, denn sie hatte unbedingt vermeiden wollen, das Gespräch in diese Richtung zu lenken.

„Viele sind jetzt noch im Bett, aber Maria nicht.“ Er stand auf und bedeutete Zoe, ihm zu folgen. Dann führte er sie zur Bühne, wo die Kleinen gerade die ersten Schritte lernten.

Erneut erinnerte er sie an einen schwarzen Panter. Er hatte die Grazie und Verschlagenheit einer großen Katze. Im Vergleich zu ihm kam sie sich ziemlich klein vor. Wie es wohl sein mochte, in seinen Armen zu liegen? Oder … hör auf, befahl sie sich.

„Zoe?“

„Maria!“ Mit einem Ruck kehrte Zoe in die Gegenwart zurück. „Bitte entschuldigen Sie, ich habe geträumt. Ich wusste nicht, dass Sie mit den Kindern tanzen. Schön, Sie zu sehen!“

„Warum sind Sie gekommen?“

„Ich wollte Sie wiedersehen. Ich wollte sichergehen, dass Sie es sich nicht anders überlegt haben.“

„Wegen Dienstag, meinen Sie? Warum sollte ich das tun?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Zoe. Sie merkte plötzlich selbst, dass dies ein recht schwacher Vorwand gewesen war. „Ich wollte mich nur davon überzeugen, dass niemand versucht hat, Sie von unserem Plan abzubringen. Schließlich kennen wir uns kaum.“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde am Dienstag für Sie tanzen. Sie werden eine gute Sendung machen, und am Ende werden alle glücklich sein.“

Hoffentlich, dachte Zoe. Es gab Momente, da wünschte sie sich, dass sie nie nach Spanien gekommen wäre. Schließlich hatte sie wirklich einen neuen Anfang machen wollen. Und jetzt sah es ganz so aus, als drohte ihr eine Wiederholung der Tragödie, die sie gerade hinter sich hatte. Dieselbe Geschichte, nur mit neuen Charakteren.

War das übertrieben? Zoe konnte es nur hoffen. Männer wie Rico hatten ihr bisher immer nur Pech gebracht. Große, starke Männer wie ihr Exmann. Männer, die ihr das Gefühl gaben, eine begehrenswerte Frau zu sein.

Sex war schon immer ein Problem für sie gewesen. Meist tat es weh, und sie wusste nicht, wie sie die Situation in den Griff bekommen sollte. Irgendwann hatten ihrem Mann dann die ständigen Ausreden gereicht, und er hatte angefangen, sie zu hassen. Kein Wunder, dass sie sich schließlich hatten scheiden lassen.

Aber all das lag jetzt hinter ihr. Sie hatte ihr Leben neu gestaltet. Rico Cortes würde es nicht gelingen, sie wieder an ihre Schwäche zu erinnern.

„Zoe?“, fragte Maria besorgt. „Was ist los?“

„Nichts“, erwiderte sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Jetzt würde ich gern mit Ihnen den Ablauf der Sendung besprechen.“

„Bueno“, erwiderte Maria stirnrunzelnd. Die beiden ließen Rico stehen und verzogen sich in eine stille Ecke.

Sie unterhielten sich angeregt, und schon bald war klar, dass sie auf einer Wellenlänge lagen. Maria freute sich über die Möglichkeit, einer breiteren Öffentlichkeit die authentische spanische Kultur nahebringen zu können. Und Zoe war froh darüber, in ihrer Kochshow einen so spannenden Hintergrund zu präsentieren.

Bestimmt würde es fantastisch werden. Maria hatte etwas ganz Besonderes dazu beizutragen. Rico hatte recht gehabt. Diese ganz spezielle Qualität konnte man mit Geld nicht kaufen.

Plötzlich fiel ihr auf, dass er verschwunden war.

„Ich habe eine gute Idee“, sagte Maria plötzlich. „Wir beide werden miteinander tanzen.“

„Oh nein, das geht nicht. Ich kann nicht …“

„Natürlich können Sie tanzen. Aber zuerst müssen wir die passenden Kleider für Sie finden. Sie wirken wie ein Junge“, meinte sie und wies auf die engen Jeans. „Ich werde dafür sorgen, dass Sie wie eine Frau aussehen.“

Zoe sah sie überrascht an. Sie wagte nicht, ihr zu widersprechen. Außerdem war sie sehr neugierig, was Maria mit ihr vorhatte.

Jetzt wusste sie endlich, was sich in der Holzhütte befand, wo sich die Leute immer trafen. Dies war die Kleiderkammer des Dorfes. Hier waren die fantastischsten Kostüme untergebracht, es gab Berge von Schuhen, Haarschmuck, Seidentücher und Flamenco-Kleider in allen Farben des Regenbogens.

„Sie wissen gar nicht, wie glücklich Sie sich schätzen können, unter den Sternen zu tanzen“, sagte Zoe. Durch eines der kleinen Fenster sah sie hoch zum Himmel, der sich langsam verdunkelte. Jemand hatte das Lagerfeuer angezündet, die Flammen schossen hoch. Es sah so romantisch aus – wie in einem Hollywoodfilm aus den dreißiger Jahren. Die Kinder übten noch immer ihre Schritte.

„Was die Kinder können, können Sie auch“, sagte Maria in diesem Moment.

„Oh nein, das glaube ich nicht.“

„Wer sagt denn das? Hier, probieren Sie mal an.“ Sie drückte Zoe einen Haufen Kleider in die Hand. „Ich glaube, diese Farbe steht Ihnen besonders gut.“

Begeistert betrachtete Zoe das lilafarbene Tanzkleid mit den vielen Rüschen. Marias Zuversicht war wirklich ansteckend.

„Sie können sich dort drüben umziehen“, sagte Maria und wies auf die Garderobe. „Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen dabei, das Haar hochzustecken.“

Plötzlich wusste Zow, dass sie tatsächlich tanzen würde. Marias Vertrauen in sie hatte ihr Mut gemacht. Die Aussicht, etwas Neues auszuprobieren, begeisterte sie. Aber sie war froh, dass Rico verschwunden war. Vor ihm zu tanzen, hätte sie sich nicht getraut.

Das lilafarbene Kleid mit dem tiefen Dekolleté stand ihr ausgezeichnet. Die Farbe passte wunderbar zu ihrem flammend roten Haar. Es war eng geschnitten bis zur Hüfte, hatte einen weit schwingenden Rock, und eine Seite war länger als die andere. In diesem Kleid konnte sie Bein zeigen. Überrascht blickte Zoe sich im Spiegel an. Sie sah völlig verändert aus und kam sich mit einem Mal sehr weiblich vor. Instinktiv warf sie den Kopf zurück, wie sie es bei Maria gesehen hatte.

Hinter ihr an der Wand erblickte sie plötzlich ein Poster, das eine wunderschöne junge Frau zeigte. Mit einem leidenschaftlichen, herausfordernden Blick sah sie direkt in die Kamera. Ihre vollen Lippen waren leicht geöffnet, sie hatte langes schwarzes Haar. Am unteren Rand des Posters stand nur ein Name: Beba.

„Bueno!“ Maria war begeistert, als Zoe endlich aus der Garderobe kam. „Genau, wie ich dachte. Dieses Kleid ist wie für Sie gemacht. Kommen Sie, ich helfe Ihnen, hinten die Häkchen zuzumachen.“

„Ich komme mir so verändert vor. Das ist vielleicht lächerlich, aber …“

„Oh nein, das ist der Flamenco“, versicherte Maria ihr. „Er verleiht Ihnen Stolz und Zuversicht. Jede Frau sollte sich so fühlen. Kommen Sie, ich werde Ihnen das Haar hochstecken. Und dann werden wir tanzen!“

Taka taka taka tak tak tak … taka taka taka tak … Sie tanzte wirklich! Sie hatte etwa eine Stunde lang auf dem staubigen Boden geübt, und dann hatte Maria entschieden, dass Zoe reif war für die Bühne. Hier tanzten sie nun miteinander, die Absätze ihrer Schuhe hämmerten ein Stakkato auf die Holzbretter.

Zoe atmete schwer. Sie warf den Kopf zurück, wie Maria es ihr gezeigt hatte, und hob den Arm. Es schien ihr, als würde sie eine unsichtbare Energie aus der Luft beschwören.

„Olé!“

„Rico!“

„Nein, hören Sie jetzt nicht auf“, befahl Maria.

Aber Zoe kam sich plötzlich schutzlos und lächerlich vor. „Ich würde lieber Ihnen zuschauen“, sagte sie und trat ein paar Schritte zurück. „Sie haben noch immer kein Solo getanzt.“

„Ich schone mich noch“, meinte Maria augenzwinkernd. „Sie hingegen verstecken sich, Zoe.“

„Das ist nicht wahr!“

In diesem Moment trat Rico zu ihnen.

„Warum haben Sie aufgehört?“, fragte er Zoe.

„Ich bin nur eine blutige Anfängerin. Ich bin noch nicht so weit, in der Öffentlichkeit aufzutreten.“

„Aber es sieht doch ganz so aus, als hätten Sie Potenzial. Denkst du nicht, Maria?“

„Oh ja, großes Potenzial“, erwiderte Maria. Sie warf Rico einen durchdringenden Blick zu.

„Also, wie sieht es aus? Würden Sie für mich tanzen?“

Seine Worte berührten Zoe auf einer sinnlichen Ebene. Es war, als würde er sie nach allen Regeln der Kunst verführen. Nichts hätte sie lieber getan, als für ihn zu tanzen. Allein der Gedanke, sich in seiner Gegenwart total gehen zu lassen, war verführerisch. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so sexy gefühlt.

„Ich warte noch auf Ihre Antwort“, erinnerte er sie.

Zoe sah sich nach Maria um, aber sie war verschwunden.

„Kommen Sie runter von der Bühne!“

Sie zögerte noch.

„Bitte!“ Seine Stimme klang plötzlich erstaunlich sanft. „Ich versichere Ihnen, ich beiße nicht.“

Was war mit ihm los? Wollte er sich etwa bei ihr entschuldigen?

„Haben Sie Angst, für mich zu tanzen?“

„Ich will mich nicht öffentlich zur Schau stellen.“

„Schade.“

„Finden Sie? Hätten Sie eine bessere Meinung von mir, wenn ich für Männer tanzen würde? Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie haben mir ja bereits deutlich gezeigt, dass Sie nicht viel von mir halten.“

„Ich gebe zu, wir hatten einen schlechten Start.“

„Das ist wohl untertrieben.“

„Aber wir können doch noch einmal von vorn anfangen.“

Sie sah ihn misstrauisch an. „Ich halte das für keine gute Idee!“

„Nun kommen Sie schon von der Bühne herunter. Dann können wir uns unterhalten.“

Er hatte recht, sie konnte nicht ewig hier oben bleiben. Die Leute sahen sie schon an und tuschelten. Sie raffte ihren Rock und stieg von der Bühne.

„Bitte, Zoe.“ Er legte ihr die Hand auf den Arm.

„Was wollen Sie?“

„Ich glaube, ich habe mich Ihnen gegenüber ziemlich schlecht verhalten.“

„Das kann man wohl sagen.“

„Ich kann verstehen, dass Sie Probleme damit haben, mir zu vertrauen. Aber ich bin gewillt, es wiedergutzumachen. Hätten Sie vielleicht Lust, mit mir zu Abend zu essen?“

Zoe sah ihn überrascht an. Meinte er das ernst? Sie überlegte fieberhaft.

„Ich habe eine bessere Idee“, sagte sie dann.

„Und die wäre?“

„Wenn Sie für mich kochen, tanze ich für Sie. Einverstanden?“

„Bueno“, erwiderte er und nickte. „Heute Abend?“

„Heute Abend schon?“ Es war, als würde ihr die Luft ausgehen.

„In Spanien essen wir ziemlich spät. Um zehn Uhr also?“, erwiderte er.

„Zehn Uhr?“ Zoe sah ihn wie gelähmt an.

„Ja, das lässt Ihnen genug Zeit für die Vorbereitung.“

Sie biss sich auf die Lippe, ihr fiel keine Erwiderung ein.

„Abgemacht“, meinte Rico befriedigt. „Wir treffen uns später im Castillo Cazulas.“

4. KAPITEL

Bestimmt war es ein Fehler gewesen, auf diesen Vorschlag einzugehen. Die Vorstellung, für Rico zu tanzen, war geradezu lächerlich.

Zoe fuhr mit dem gemieteten Jeep in halsbrecherischem Tempo zurück zum Schloss. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte ihr das Kleiderbündel, das auf dem Rücksitz lag. Maria hatte darauf bestanden, dass Zoe einige Kleider mitnahm. Sie meinte, darin würde sie sich besser fühlen als in den Jeans. Das konnte schon sein, aber bei dem Gedanken, was Rico zu dem engen Übungsrock und der tief ausgeschnittenen Bluse sagen würde, war ihr äußerst unbehaglich zumute.

Sie wusste, dass sie mit dem Feuer spielte. Aber offensichtlich konnte sie ihm nicht widerstehen.

Als sie in den Innenhof des Schlosses fuhr, dachte sie kurz daran, das Ganze abzublasen. Aber warum? Bestimmt konnte sie besser tanzen als er kochen. Es war eine Möglichkeit, das Gleichgewicht zwischen ihnen wiederherzustellen.

Das Echo des schweren Türklopfers hallte durch die steinernen Gänge des Schlosses, als Zoe zur Tür eilte. Es war Punkt zehn Uhr.

Zoe spürte, wie aufgeregt sie war. Um nicht zu erwartungsvoll zu erscheinen, zwang sie sich, langsamer zu gehen.

Aber sie war froh über ihre Kleidung. Maria hatte recht gehabt, der Rock und die Bluse ließen sie viel weiblicher erscheinen als gewöhnlich. Sie gaben ihr ein Gefühl von Stolz und Würde. Kein Wunder, dass die spanischen Frauen immer so selbstbewusst wirkten.

„Zoe.“

Sie errötete unter seinem faszinierten Blick und versuchte, möglichst cool zu bleiben.

„Willkommen! Wie nett, Sie zu sehen.“

Nett! Zoe hatte das Gefühl, als wäre in ihr gerade ein Feuer angezündet worden. Sie fühlte sich stark und schwach zugleich, ihre Beine zitterten. Im nächsten Moment ging Rico auch schon an ihr vorbei in die Küche.

Er schien den Weg zu kennen. Aber das war nicht weiter ungewöhnlich. Vielleicht hatte er sich am Morgen gründlich umgesehen. Jedenfalls schien er seinen Teil der Verabredung einzuhalten. Er trug eine Kiste mit Vorräten und hatte eine Gitarre über der Schulter hängen.

„Das war wirklich köstlich“, sagte sie nach dem Essen.

„Überrascht?“

Ja, das hat mich wirklich überrascht, dachte Zoe. Rico hatte nicht nur sein Versprechen gehalten, er war tatsächlich ein exzellenter Koch.

Sie lächelte. Es war schwer, sich auf etwas anderes als sein Gesicht zu konzentrieren. Es ließ in Zoe den Wunsch entstehen, ihn besser kennenzulernen. Vom Äußeren her wusste sie, dass er zu den Männern gehörte, denen sie eigentlich aus dem Weg gehen sollte. Aber jetzt waren sie allein, und Zoe fragte sich, ob sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Er war zwar ein Macho, aber er besaß Humor, und das hatte sie nicht erwartet.

„Ich bin nicht überrascht, dass Sie kochen können, sondern dass Sie so gut kochen können.“

„Warum sollte ich dazu nicht in der Lage sein?“

„Die meisten Männer sind bestimmt nicht in der Lage, einen warmen Gemüsesalat mit Anchovis zu servieren.“

„Ein tolles Gericht, finden Sie nicht auch? Meine Mutter ist eine fabelhafte Köchin, sie hat mir alles beigebracht.“ Er stand auf und griff nach ihrem Teller.

„Ihre Mutter?“, fragte Zoe neugierig. Rico antwortete nicht, er begann, die Teller einzusammeln. Als sie anbot, ihm zu helfen, drückte er sie auf ihren Stuhl zurück.

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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<p>India Grey liebte schon als kleines Mädchen romantische Liebesgeschichten. Mit 13 Jahren schrieb sie deshalb das erste Mal an den englischen Verlag Mills &amp; Boon, um die Writer's Guidelines anzufordern. Wie einen Schatz hütete sie diese in den nächsten zehn Jahren, begann zu studieren … und nahm sich jedes Jahr...
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