Julia Royal Band 16

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DIE HEIMLICHE GELIEBTE DES KÖNIGS von ABBY GREEN
Flirte niemals mit einem Playboy! Leila weiß, dass Alix Saint Croix den Ruf eines Casanovas besitzt und ihr das Herz brechen wird. Aber Alix ist nicht nur ein Playboy, sondern auch ein König. Darf sie es wagen, sich seinen Wünschen zu widersetzen?

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NÄCHTE DER SEHNSUCHT von KATE WALKER
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  • Erscheinungstag 20.01.2023
  • Bandnummer 16
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516020
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Abby Green, Michelle Celmer, Kate Walker

JULIA ROYAL BAND 16

1. KAPITEL

Leila Verughese überlegte gerade, was wohl passieren würde, wenn ihre Parfümvorräte ganz ausgingen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Froh um die Ablenkung, die sie aus ihren dunklen Gedanken riss, drehte sie sich um.

Ein eleganter schwarzer Wagen hielt vor ihrem kleinen Haus an der Place Vendôme in Paris. Das Haus hatte sie von ihrer Mutter geerbt, zusammen mit der Parfümerie im Erdgeschoss. Als sie näher hinsah, bemerkte sie eine ganze Flotte schwarzer Autos. Der vorderste Wagen war mit Flaggen bestückt, doch Leila konnte nicht sagen, zu welchem Land sie gehörten. Obwohl sie oft genug in ihrem Leben zu dem weltbekannten Hotel Ritz hinübergesehen und beobachtet hatte, wer dort ein und aus ging.

Jetzt stieg ein Mann aus dem Wagen, offenbar ein Bodyguard mit einem Ohrhörer. Er sah sich um, ehe er die hintere Tür öffnete. Leilas Augen weiteten sich, als sie beobachtete, wer ausstieg.

Es war ein Mann – ein ausgesprochen maskuliner, energiegeladener Mann in einem langen schwarzen Mantel. Zuerst sah es so aus, als wollte er auf ihren Laden zusteuern, dann blieb er plötzlich stehen. Leila bemerkte, dass er für einen Moment verwirrt wirkte, ehe er sich umdrehte und mit jemandem hinten im Wagen sprach. Einer Frau? Einer Freundin?

Als der Mann sich wieder aufrichtete, erhaschte Leila einen Blick auf ein langes gebräuntes Bein und blonde Haare. Dann drehte er sich um und kam auf den Laden zu, flankiert von seinen Leibwächtern.

Erst jetzt sah Leila sein Gesicht. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so Schönes gesehen. Die Haut von einem dunklen Oliv – was vielleicht auf arabische Herkunft hindeutete –, dazu hohe Wangenknochen und ein sinnlicher Mund. Tiefliegende Augen, dichte Brauen und ein entschlossenes Kinn. Wieder der verwirrte Blick, während seine Kiefer fest zusammengepresst waren. Seine dunklen Haare waren sehr kurz geschnitten.

Wie angewurzelt blieb Leila stehen, als er immer näher kam. Kurz bevor die Ladentür sich öffnete, fing er ihren Blick auf, und sie hatte die seltsame Vorstellung, sich einem Raubvogel gegenüberzusehen, der gleich auf sie herniederstürzen, sie mit seinen Klauen greifen und mit ihr davonfliegen würde.

Alix Saint Croix bemerkte die dunkelhaarige Verkäuferin, die er durch das Ladenfenster sah, nur am Rande, als er zu der Parfümerie ging. Lass dir etwas einfallen. Sein Mund wurde schmal. Wäre die letzte Nacht angenehmer verlaufen, wäre er eher geneigt, sich für seine Geliebte etwas einfallen zu lassen. Er war es nicht gewohnt, irgendwelchen Befehlen zu gehorchen, und hatte Carmens plötzlicher Laune nach einem Parfüm nur nachgegeben, um von ihr wegzukommen.

Sie war am Abend zuvor in seiner Suite gewesen, und ihr Liebesspiel hatte seinen Zweck erfüllt. Alix hatte sich jedoch gefragt, wann er das letzte Mal so überwältigt gewesen war von einer Frau, dass er vor Verlangen völlig den Kopf verloren hatte. Noch nie, hatte eine kleine Stimme in seinem Kopf geflüstert, als seine Geliebte mit aufreizenden Bewegungen vom Bett ins Bad schlenderte.

Alix hatte sich gelangweilt. Und da Frauen einen sechsten Sinn dafür zu haben schienen, wurde seine Geliebte plötzlich ungewohnt gefügig und hatte ihm damit den Nerv geraubt. Noch mehr hatte ihn nur genervt, einen Tag lang Bohnenstangen über den Laufsteg stolzieren sehen zu müssen.

Doch als er sich bei seinem engsten Berater beschwerte, hatte der gemeint: „Das ist gut, Alix. So können wir sie in Sicherheit wiegen, weil sie glauben, dass du nichts anderes als Frauen im Kopf hast.“

Alix gefiel es nicht, als Frauenheld betrachtet zu werden. Deshalb stieß er die Ladentür nun fester auf als notwendig. Sein Blick ging zu der Verkäuferin, die ihn schockiert, aber auch ehrfürchtig ansah.

Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte.

Hellolivfarbene Haut, eine gerade Nase und volle, weiche Lippen. Ein zartes Kinn, hohe Wangenknochen. Ihre Haare fielen wie ein schwarzes glänzendes Seidentuch über ihre Schultern, und Alix verspürte den seltsamen Drang, sie zu berühren.

Doch noch stärker faszinierten ihn ihre Augen, die wie große, helle Smaragde funkelten, umrahmt von langen schwarzen Wimpern unter dunklen Brauen. Sie sah aus wie eine fernöstliche Prinzessin.

„Wer sind Sie?“

War das seine Stimme? Sie klang wie ein verblüfftes Krächzen. Begierde heizte sein Blut an, ein Feuer, das er in der vergangenen Nacht nicht verspürt hatte.

„Ich bin die Besitzerin des Ladens. Leila Verughese.“

Der exotische Name passte zu ihr. Er streckte die Hand aus. „Alix Saint Croix.“

Das Leuchten in ihren Augen zeigte, dass sie seinen Namen kannte. Natürlich. Wer hatte noch nicht von ihm gehört?

Sie legte ihre kleine, zarte Hand in seine und brachte damit Alix’ Blut zum Kochen, während er instinktiv seine Finger um ihre schloss.

Er versuchte sich zu erklären, warum er so heftig auf sie reagierte. Diese Frau … Leila … war zweifellos schön. Sie trug einen weißen Apothekerkittel über einer schlichten blauen Bluse und einer schwarzen Hose. Selbst in ihren flachen Schuhen war sie recht groß und reichte ihm bis zur Schulter. Er ertappte sich bei der Vorstellung, dass sie High Heels trug, und wie nahe ihr Mund dem seinen dann wäre …

Sie entzog ihm ihre Hand. „Sie suchen ein Parfüm?“

Parfüm? überlegte Alix verwirrt. Ach ja, Carmen. Sie wartete draußen im Wagen auf ihn. Sofort verfinsterte sich sein Blick wieder, und die Frau trat einen Schritt zurück.

Er hielt eine Hand hoch. „Entschuldigung, nein …“ Im Stillen fluchte er. Was war los mit ihm? „Das heißt, ja. Ich suche ein Parfüm. Für jemand anderen.“

Die Frau sah ihn an. „Haben Sie einen bestimmten Duft im Sinn?“

Alix zwang sich, den Blick von ihr zu lösen, und sah sich in dem kleinen Laden um. Regale und Theke waren aus Glas, die gläsernen Parfümfläschchen teils in Gold gehalten. All das verströmte etwas Kühles, Ruhiges, Ernstes, so wie sie selbst.

„Ich suche ein Parfüm für meine Geliebte.“

Als sie nicht sofort reagierte, wie die Menschen es sonst taten, wenn er einen Wunsch äußerte, sah er die Frau verwundert an. Sie wirkte missbilligend, auch etwas Neues für Alix, da die Menschen ihm sonst nie ihre wahren Gefühle zeigten.

Er hob eine Braue. „Haben Sie damit ein Problem?“

Fasziniert bemerkte er, dass ihre Wangen sich röteten und sie den Blick abwandte, ehe sie steif sagte: „Es steht mir nicht zu, Ihnen zu sagen, was eine passende Bezeichnung für Ihre … Partnerin wäre.“

Leila fluchte im Stillen, weil sie ihm gezeigt hatte, wie verärgert sie war. Schnell wandte sie sich ab und ging zu den Regalen, als ob sie ein Parfüm suchen wollte.

Ihr Vater hatte ihrer Mutter angeboten, seine Geliebte zu werden – nachdem ihre gemeinsame Tochter unehelich auf die Welt gekommen war. Er hatte Deepika Verughese verführt, als er geschäftlich in Indien mit Leilas Großvater zu tun hatte. Doch als sie nach einer langen Reise von Jaipur nach Paris schwanger bei ihm ankam, hatte er sie erst im Stich gelassen.

Danach hatte ihre Mutter aus Stolz und Verbitterung über seine anfängliche Ablehnung das Angebot abgelehnt, seine Mätresse zu sein.

Leila verdrängte die schmerzliche Erinnerung. Sie hasste es, so unprofessionell wie eben zu reagieren. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass der Mann zu ihr kam.

„Sie wissen, wer ich bin?“

Leila nickte. Sie hatte schon von ihm gehört. Er war der König eines kleinen Inselstaates vor der Küste Nordafrikas, in der Nähe von Südspanien, der jedoch seit geraumer Zeit im Exil lebte. Als Finanzgenie bekannt, hatte er seine Finger in jedem Geschäft, das man sich vorstellen konnte – einschließlich der Erdölvorkommen im Nahen Osten.

Gerüchten zufolge wollte er Anspruch auf seinen Thorn erheben. Dabei hatte er offenbar nichts Besseres zu tun, als seiner Geliebten Parfüm zu kaufen. Warum sie das so sehr verwirrte, wusste sie nicht.

„Dann wissen Sie bestimmt auch, dass ein Mann wie ich keine Freundinnen oder Partnerinnen hat“, fuhr Alix Saint Croix fort. „Ich nehme mir Geliebte – Frauen, die wissen, was sie erwartet, und die nicht mehr wollen.“

Leider kannte Leila Männer wie ihn. Und es machte sie krank, weil jemand wie er sie daran erinnerte, dass es das, was sie suchte, nie geben würde.

Doch sie war fest entschlossen, sich davon nicht die Laune verderben zu lassen. „Nicht alle Frauen sind so zynisch, wie Sie es darstellen“, gab sie fest zurück.

Seine Miene verhärtete sich. „Die Frauen, die in meinen Kreisen verkehren, schon.“

„Vielleicht ist Ihre Welt dann ein bisschen zu klein?“

Sie konnte nicht glauben, dass sie die Worte wirklich gesagt hatte, aber er hatte einen wunden Punkt bei ihr getroffen. Beinahe erwartete sie, dass er aus dem Laden stürmen würde. Stattdessen hob er einen Mundwinkel, was ihn noch verführerischer aussehen ließ.

Und gefährlicher.

„Ja, vielleicht.“

Plötzlich war Leila heiß, als sie seinen eindringlichen Blick spürte, der langsam zu ihren Brüsten wanderte. Hastig griff sie nach einer Flasche Parfüm, ohne auf die Marke zu achten.

Mit einer heftigen Bewegung stieß sie ihm die Flasche entgegen. „Das ist einer unserer beliebtesten Düfte. Blumig, mit einem Hauch Zitrus. Leicht würzig. Perfekt für Freizeitkleidung.“

Alix schüttelte den Kopf. „Ich möchte etwas Schwereres, Sinnlicheres.“

Leila stellte die Flasche weg und griff nach einer anderen. „Dann passt dies vielleicht besser. Auf Moschusbasis, mit einer nur schwach fruchtigen Note.“

Er legte den Kopf schräg. „Schwer zu sagen, solange man es nicht riechen kann.“

Leila ging zur Theke und holte einen Duftstreifen, um ihn zu besprühen, damit er den Duft riechen konnte. Sie wollte, dass er so schnell wie möglich verschwand, weil er sie viel zu sehr durcheinanderbrachte.

Doch ehe sie den Streifen besprühen konnte, schlang sich eine große Hand um ihren Arm und hielt sie zurück.

Hitze durchzuckte ihren Körper, und sie sah ihn an.

„Nicht auf den Streifen. Sie werden mir sicher zustimmen, dass das Parfüm auf der Haut besser seinen Duft entfaltet.“

Leila kam sich plötzlich dumm vor. „Aber es ist ein Duft für Frauen.“

Er hob eine Braue. „Dann sprühen Sie es auf Ihr Handgelenk, damit ich es riechen kann.“

Leila war so schockiert, als hätte er ihr eben befohlen sich auszuziehen.

Mühsam kämpfte sie um Fassung. Schon oft hatte sie sich Parfüm auf ihr Handgelenk gesprüht, damit die Kunden den Duft riechen konnten. Doch aus dem Mund dieses Mannes klang die Bitte fast unanständig.

Sie hoffte, dass ihre Hand nicht zitterte, als sie den Verschluss abschraubte, ihren Ärmel hochzog und den Duft auf ihre Haut sprühte. Was sie als absurd sinnliche Empfindung verspürte.

Alix Saint Croix nahm ihre Hand, drehte sie um und beugte den Kopf, der ihrer Brust verdächtig nahe kam, um an ihrem Handgelenk zu schnuppern.

Unverwandt sah er sie an, und Leila hielt die Luft an, als sie spürte, wie sein Atem über ihre Haut strich.

Plötzlich sah sie über seinen Kopf hinweg eine Bewegung. Eine große, schlanke Blondine stieg hinten aus dem Wagen, ein Handy am Ohr. Sie trug ein enges, kurzes Kleid und darüber eine Jacke, die sie vor dem kühlen Herbstwetter schützen sollte.

Er musste gespürt haben, dass Leila abgelenkt worden war, richtete sich auf und sah ebenfalls aus dem Fenster. Sie merkte, dass er sich verspannte, als die Blondine ihn erblickte und verwirrt ansah, während sie weiter in ihr Handy sprach.

„Ihre … Geliebte wartet auf Sie.“ Leilas Stimme hörte sich wie ein Krächzen an.

Erst jetzt ließ er ihre Hand los, und Leila versteckte sie schnell hinter ihrem Rücken.

Sein Blick wirkte nun kühler, was Leila seltsamerweise nicht tröstete.

„Ich nehme es.“

Verwirrt sah sie ihn an.

„Das Parfüm“, erklärte er.

„Natürlich.“ Sie löste sich aus ihrer Starre. „Ich packe es sofort ein, es dauert nur einen Moment.“ Hastig wickelte sie das Fläschchen in Papier und steckte es in eine Tragetasche, die sie ihm reichte, ohne ihn anzusehen.

Er legte Geld auf die Theke, drehte sich wortlos um und verließ den Laden. Draußen nahm er seine Was-auch-immer-sie-war beim Arm und drängte sie zurück in den Wagen.

Sein Duft hing noch in der Luft, frisch und mit einem männlichen Hauch nach Erde und Moschus. Könnte man diesen Duft einfangen, würde man sicher ein Vermögen damit machen.

Schockiert presste Leila die Beine zusammen, als sie merkte, wie es zwischen ihren Schenkeln pulsierte.

Was war los mit ihr? Dieser Mann war nicht nur ein König, sondern hatte auch eine Geliebte. Also sollte sie froh sein, dass sie ihn los war. Stattdessen war sie völlig durcheinander.

Sie musste an einen anderen Fremden denken, der einmal in ihren Laden gekommen war und sie umgarnt hatte. Um dann ziemlich hässlich zu ihr zu werden, als er merkte, dass sie ihm nicht das geben würde, was er wollte.

Einen Moment starrte sie auf die Geldscheine, die Alix Saint Croix auf die Theke gelegt hatte, und merkte, dass er viel zu viel bezahlt hatte. Sie dachte an den geheimnisvollen Blick, den er ihr noch zugeworfen hatte, ehe er wieder im Auto verschwunden war. Ein Blick, der besagte, dass er wiederkommen würde. Bald.

Als Leila wenig später oben in ihrer kleinen Wohnung war, die sie sich früher mit ihrer Mutter geteilt hatte, fühlte sie sich magisch angezogen von dem Fenster, das einen Ausblick auf die Place Vendôme bot. Das Opernglas, das ihre Mutter immer benutzt hatte, um zu beobachten, wer in dem berühmten Hotel Ritz ein und aus ging, lag auf dem Fensterbrett. Für einen Moment war Leila überwältigt von Trauer um ihre Mutter. Dann nahm sie das Glas und schaute hindurch. Unten vor dem Hotel herrschte die übliche Hektik, wenn Gäste neu ankamen. Leila hob das Glas und richtete es auf die Zimmer. Plötzlich erstarrte sie, als sie in einem hell erleuchteten Raum eine männliche Gestalt entdeckte, die ihr bekannt vorkam.

Sie stellte das Glas schärfer und hasste sich dafür, doch sie konnte den Blick nicht abwenden. Er war es tatsächlich. Alix Saint Croix, der mit dem Rücken zu ihr stand. Mantel und Jacke hatte er ausgezogen.

Leila starrte auf seinen muskulösen Rücken und spürte Hitze zwischen den Schenkeln.

Jetzt erschien die Blondine in ihrem Blickfeld. Auch sie hatte ihre Jacke ausgezogen und trug nur noch das dünne Kleidchen. Leila erinnerte sich, dass sie die Frau schon einmal gesehen hatte. Sie war ein weltbekanntes Wäschemodel. Sie hielt etwas in der Hand. Leila kniff die Augen ein wenig zusammen und erkannte, dass es ein Parfümfläschchen war. Das Model sprühte etwas davon auf ihr Handgelenk und roch daran, woraufhin ein verführerisches Lächeln ihren Mund umspielte.

Als sie sich noch weiter damit besprühte, zuckte Leila zusammen. Weniger ist mehr – dieser Grundsatz galt insbesondere bei Parfüm. Das aber schien diese Frau nicht zu wissen. Nun warf sie das Fläschchen zur Seite, vermutlich auf einen Stuhl oder eine Couch in ihrer Nähe, und zog die dünnen Träger ihres Kleids herunter, bis sie mit entblößtem Oberkörper dastand. Sie hatte kleine, aber perfekt geformte Brüste.

Das Selbstvertrauen dieser Person raubte Leila den Atem. Sie hätte nie den Mut gehabt, sich so aufreizend vor einem Mann auszuziehen.

Jetzt kam Bewegung in Alix Saint Croix. Er wandte sich von der Frau ab und ging zum Fenster. Einen Moment füllte sein Gesicht Leilas Fernglas ganz aus. Sein Blick wirkte eindringlich. Schließlich zog er den Vorhang zu, als wüsste er, dass Leila ihn von der anderen Seite des Platzes beobachtete.

Angewidert von sich selbst legte sie das Glas ab und ging in ihrem kleinen Apartment hin und her. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihn auszuspionieren? Er gehörte genau zu der Sorte Mann, vor der ihre Mutter sie gewarnt hatte. Reich und arrogant. Ein Mann, der Frauen nur als Geliebte benutzte und sich die nächste nahm, sobald der Reiz des Neuen verblasst war.

Leila hatte die Warnung ihrer Mutter bereits einmal in den Wind geschlagen, und ihr Selbstbewusstsein und ihr Stolz hatten dadurch einen gehörigen Dämpfer bekommen.

Entschlossen zog sie sich eine Jacke an, um in den nahen Tuilerien einen Spaziergang zu machen. Wieder und wieder redete sie sich ein, dass heute in ihrem Laden nichts passiert war, dass sie Alix Saint Croix nie wiedersehen würde und dass er ihr einfach nur egal war.

Am folgenden Abend dämmerte es schon, als Leila zur Ladentür ging, um abzuschließen. Nur ein paar Kunden waren an diesem Tag dagewesen, und sie hatte lediglich zwei Fläschchen Parfüm verkauft. Aufgrund der Rezession liefen die Geschäfte überall schlecht. Außerdem bekam sie keinen Nachschub mehr, da das Werk, das sie beliefert hatte, geschlossen worden war.

Also musste sie ihre Vorräte verkaufen und konnte nur hoffen, genug Geld einzunehmen, um wieder selbst Parfüm herstellen zu können.

Sie wollte gerade den Schlüssel umdrehen, als sie durch das Fenster eine große dunkle Gestalt sah, flankiert von zwei Männern, die auf ihre Tür zugingen.

Alix Saint Croix.

In einem Moment der Schwäche hatte Leila am Abend zuvor im Internet nach ihm geforscht und herausgefunden, dass seine Eltern und sein jüngerer Bruder bei einem Staatsstreich durch das Militär getötet worden waren. Er selbst war zu einer Art Legende geworden, da er hatte fliehen können und nun im Exil lebte.

Aus einem ersten Impuls heraus wollte sie schnell die Tür verschließen und das Rollo herunterziehen, doch er hatte sie bereits von draußen gesehen. Er lächelte verhalten, und sie sah den dunklen Bartschatten auf seinen Wangen.

Widerwillig öffnete sie die Tür und trat zurück, wieder einmal gebannt von seiner männlichen Schönheit.

Fest entschlossen, sich nicht erneut von ihm durcheinanderbringen zu lassen, setzte Leila eine höflich-professionelle Miene auf. „Hat Ihrer Geliebten das Parfüm gefallen?“

Alix Saint Croix machte eine beinahe abfällige Geste mit der Hand. „Ja, es gefällt ihr. Aber deswegen bin ich nicht hier.“

Leila hatte Mühe zu atmen. Warum war er dann gekommen? „Sie … Sie haben übrigens viel zu viel für das Parfüm bezahlt“, stotterte sie.

Dann drehte sie sich hastig um, ging zur Theke und nahm den Umschlag mit dem zu viel bezahlten Geld. Eigentlich hatte sie den Umschlag zum Hotel bringen wollen, hatte jedoch nicht den Mut aufgebracht. Sie hielt ihm das Kuvert hin.

Alix achtete nicht darauf, sondern meinte: „Ich wollte Sie zum Dinner einladen.“

Panik schnürte Leila die Kehle zu. „Was haben Sie gesagt?“

Er öffnete seinen leichten Mantel, unter dem er einen dreiteiligen Anzug trug. „Ich sagte, dass es mir gefallen würde, wenn Sie mir beim Dinner Gesellschaft leisten.“

Leila runzelte die Stirn. „Aber Sie haben eine Geliebte!“

Sein Blick aus grauen Augen wurde hart. „Sie ist nicht mehr meine Geliebte.“

Leila dachte daran, was sie am Abend zuvor beobachtet hatte, und platzte heraus: „Ich habe Sie doch gesehen … Sie beide zusammen …“ Sie stockte, denn er sollte auf keinen Fall wissen, dass sie ihn ausspioniert hatte. „Sie schien jedenfalls der Ansicht zu sein, zu Ihnen zu gehören.“

Sie konnte nur hoffen, dass er annahm, ihre Bemerkung würde sich auf die Begegnung draußen vor dem Wagen beziehen.

Seine Miene blieb regungslos. „Wie ich schon sagte, wir sind nicht mehr zusammen.“

Leila war empört und – schlimmer noch – enttäuscht. Natürlich, ein Mann wie er wechselte Frauen wie andere ihre Unterwäsche. „Aber ich kenne Sie nicht mal“, sagte sie.

Sein Mund verzog sich. „Ein Gespräch beim Dinner könnte da Abhilfe schaffen, non?“

Leila wäre am liebsten davongelaufen, zwang sich aber zu bleiben. Dies war ihr Laden, und alles in ihr schrie danach, diesem Mann zu widerstehen.

Ohne weiter nachzudenken, sagte sie: „Ich habe Sie beide gesehen. Es war keine Absicht, aber als ich gestern Abend aus dem Fenster sah, habe ich Sie in Ihrem Zimmer gesehen. Sie hat sich ausgezogen, und …“

Sein Blick wurde schmal. „Ich habe Sie auch gesehen … als Silhouette hinter Ihrem Fenster.“

Sie wurde blass. „Wirklich?“

Er nickte. „Es hat mir nur bestätigt, dass ich Sie will. Sie und keine andere Frau.“

Sein Blick nahm sie gefangen. „Aber Sie haben die Vorhänge zugezogen, um mit ihr allein zu sein.“

Sein Mund wurde schmal. „Ja, weil ich sie gebeten habe, sich wieder anzuziehen und zu gehen, denn unsere Beziehung war in dem Moment beendet.“

Seine Kälte sandte Leila einen Schauer über den Rücken. „Wie grausam. Sie haben ihr doch gestern erst ein Geschenk gekauft.“

Etwas Zynisches leuchtete in seinen Augen auf. „Glauben Sie mir, eine Frau wie Carmen macht sich keine falschen Hoffnungen. Sie wusste, dass es vorbei war, und es hat nichts damit zu tun, dass ich Sie getroffen habe.“

Leila verschränkte die Arme vor der Brust. Sie würde nicht noch einmal auf solch einen Mann hereinfallen. „Danke für die Einladung, aber leider muss ich ablehnen.“

Er runzelte die Stirn. „Sind Sie verheiratet?“ Sein Blick fiel auf ihre linke Hand, und als er sah, dass sie keinen Ring trug, leuchteten seine Augen auf.

„Das geht Sie nichts an“, erklärte sie frostig. „Und jetzt gehen Sie. Bitte!“

Einen kurzen Moment sah er sie mit großen Augen an, dann erwiderte er kühl: „Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Guten Abend, Miss Verughese.“

2. KAPITEL

Alix hatte schon halb den Platz überquert, als ihm bewusst wurde, was eben passiert war. Noch nie hatte eine Frau ihn so kühl und bestimmt abgewiesen. Als hätte er eine unsichtbare Grenze überschritten. Als wäre er … unter ihrer Würde.

Mit einem Fingerschnippen entließ er seine Bodyguards, als er das Hotel betrat. Er achtete nicht auf das Personal, das hinter ihm hereilte, oder den Liftboy, der sofort für ihn zur Stelle war. Zu sehr war er mit dem Gedanken beschäftigt, dass sie Nein gesagt hatte. Dabei hatte er die Affäre mit Carmen vor allem deshalb beendet, um sich Leila Verughese widmen zu können.

Als Carmen sich in seiner Suite vor ihm ausgezogen hatte, hatte er nichts empfunden außer Ungeduld, sie endlich loszuwerden. Dann war er zum Fenster gegangen und hatte die schlanke Silhouette in einem der Zimmer über der Parfümerie entdeckt. Leilas ausgeprägte Rundungen entsprachen nicht dem herrschenden Schönheitsideal, waren dafür aber umso reizvoller.

Er spürte ein Verlangen, das er lange Zeit unterdrückt hatte.

In seiner Suite angekommen, schleuderte er seinen Mantel zur Seite und ging wütend auf und ab.

Wie konnte sie es wagen, ihn abblitzen zu lassen? Er wollte sie. Diese exotische Prinzessin, die Parfüm verkaufte.

Aber warum wollte er sie unbedingt?

Die Frage ließ ihm keine Ruhe. Noch nie hatte er eine Frau so sehr gewollt, eine Frau, die anders zu sein schien als alle, die er bisher gekannt hatte.

Mit achtzehn war Alix, damals noch sehr naiv, von einem wunderschönen Körper verführt worden, in einem Akt voller Unschuld, wie er geglaubt hatte.

Bis er eines Tages in ihrem Zimmer im College gesehen hatte, wie einer seiner eigenen Bodyguards zwischen ihren blassen Schenkeln lag. Ein Anblick, der ihn noch Jahre später verhöhnte.

Als ob die vergiftete Ehe seiner Eltern ihn nicht schon gelehrt hatte, dass eine Beziehung nur Schmerz und Unglück brachte.

Seitdem hatte Alix sich in Bezug auf Frauen keine Gefühle mehr erlaubt. Frauen waren nur dazu da, Geliebte zu sein und ihn zu gesellschaftlichen Anlässen zu begleiten, bis es so weit war, sich eine Frau zu suchen, die seine Königin werden sollte.

Daran musste er jetzt denken, weil die Zeit bald kommen würde. Man hatte ihm bereits Kandidatinnen vorgestellt, Prinzessinnen aus unterschiedlichen Fürstentümern, die alle nicht besonders gut aussahen. Doch das war Alix egal. Seine Frau würde lediglich perfekt ihre Rolle spielen und ihm Erben schenken müssen.

Warum also ging ihm diese Leila Verughese unter die Haut?

Nein, so ist es nicht, redete er sich entschieden ein. Sie ist nur eine umwerfend schöne Frau, die mir kurzzeitig den Kopf verdreht hat, nichts weiter.

Doch gerade jetzt durfte er sich keine Ablenkung erlauben. Denn er hatte genug damit zu tun, dass er in ein paar Wochen wieder die Kontrolle über seinen Thron zurückgewinnen würde, worauf er sein ganzes Leben lang hingearbeitet hatte.

Trotzdem ging ihm diese Frau nicht aus dem Sinn und verleitete ihn zu unüberlegten Entscheidungen. Und so fand er sich schließlich am Fenster wieder, wo er über den Platz zu Leilas Laden schaute, der jetzt dunkel war, die Rollos heruntergezogen.

Enttäuscht stellte er fest, dass auch im ersten Stock kein Licht brannte. Vielleicht war sie ausgegangen? Mit einem Mann? Er verspannte sich bei dem Gedanken, doch mit Eifersucht hatte das sicher nichts zu tun.

Entschlossen zog er sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer seines persönlichen Assistenten. „Finden Sie alles über eine Frau namens Leila Verughese heraus“, verlangte er. „Ihr gehört die Parfümerie an der Place Vendôme in Paris.“

Alix beendete das Gespräch und sagte sich, dass sie wahrscheinlich nur mit ihm spielte. Doch es war ihm egal. Denn er würde sich nie wieder von einer Frau zum Narren machen lassen, so wie damals. Spiel hin oder her – er wollte sie haben und sein drängendes Verlangen befriedigen, ehe sein Leben unwiderruflich nur noch aus Pflicht und Verantwortung bestehen würde.

Zwei Tage lang beobachtete Leila, wie Alix ins Hotel zurückkam oder es verließ. Jedes Mal, wenn sein Wagen vorbeifuhr, verspannte sie sich, als wartete sie darauf, dass er aussteigen und zu ihr kommen würde, um sie noch einmal zum Essen einzuladen.

Als nun ihr Telefon klingelte, zuckte sie zusammen und fluchte leise, ehe sie das Gespräch annahm. Es war das Hotel. Leila wurde gebeten, eine Auswahl an Parfüms für einen der Gäste vorbeizubringen.

Sie erklärte sich einverstanden, spürte aber sofort, dass sie nervös wurde. Eigentlich lächerlich, denn es war durchaus üblich, dass Hotelgäste um so etwas baten, nachdem sie ihren Laden entdeckt hatten.

Als sie schließlich mit ihrem Trolley, in dem sich die ausgewählten Parfüms befanden, im Hotel ankam, wurde sie von dem Manager in den obersten Stock begleitet.

Das gleiche Stockwerk, in dem sich Alix Saint Croix’ Suite befand.

Panik stieg in ihr auf, doch als der Manager sie oben in die entgegengesetzte Richtung führte, war sie erleichtert.

Schließlich öffnete er eine Tür und meinte: „Ihre Kunden werden gleich hier sein. Bitte bereiten Sie schon mal alles vor.“

Leila bedankte sich mit einem Lächeln. Sobald sie allein war, öffnete sie ihren Koffer und nahm ein paar Fläschchen heraus, froh, sich ablenken zu können. Da hörte sie auch schon, wie die Tür hinter ihr geöffnet wurde. In der Erwartung, dass eine Frau eintreten würde, drehte sie sich lächelnd um.

Ihr Lächeln verschwand, als sie sah, dass Alix Saint Croix hereinkam und die Tür leise hinter sich schloss. Er war also in eine andere Suite umgezogen. Oh Gott! Leila spürte, dass ihr Herz viel zu schnell schlug. Er trug eine dunkle Hose und ein weißes Hemd, die Ärmel aufgerollt. Das Leuchten in seinen Augen wirkte wie das eines Raubtieres, das seine Beute aufgespürt hatte.

Er trat einen Schritt vor und deutete mit dem Kopf auf ihren Koffer, der geöffnet auf einem Beistelltisch lag. „Haben Sie auch Düfte für Männer mitgebracht?“

Leila gab sich kühl, obwohl sie sich nicht so fühlte. „Ich mag es nicht, in einen Hinterhalt gelockt zu werden“, stellte sie frostig klar. „Aber da ich nun mal hier bin … ja, ich habe auch Parfüms für Männer dabei.“

Ein verhaltenes Lächeln umspielte seinen Mund. „Man sagte mir, dass Sie regelmäßig Besuche hier machen. Fühlen Sie sich von allen Kunden in einen Hinterhalt gelockt?“

Leila wurde rot. „Natürlich nicht.“ Sie spürte, dass sie noch nervöser wurde. „Warum sagen Sie nicht einfach, was Sie wollen? Sie sind doch sicher ein beschäftigter Mann.“

Er trat näher. „Ganz im Gegenteil. Ich habe alle Zeit der Welt.“

Leila ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten wäre sie davongestürmt. Stattdessen zwang sie sich zu einem Lächeln. „Dann nehmen Sie bitte Platz.“

Sie setzte sich auf einen Stuhl, der neben dem Sofa stand, und als Alix an ihr vorbeiging, fing sie wieder seinen Duft auf. Sie malte sich aus, wie sie seinen nackten Körper nach seinen geheimen Düften erkunden würde, um sie dann in einem ganz eigenen Parfüm einfangen zu können.

Ohne ihn anzusehen, fragte sie: „Haben Sie einen bestimmten Duft im Sinn? Was gefällt Ihnen denn üblicherweise?“

„Keine Ahnung“, gab er trocken zurück. „Man schickt mir immer eine Auswahl, und ich nehme das, was mir gerade zusagt. Aber es sollte nicht zu schwer sein.“

Leila warf ihm einen scharfen Blick zu. Seine Miene wirkte ausdruckslos, doch das Leuchten in seinen Augen machte sie nervös.

Instinktiv griff sie nach einem Fläschchen, zog den Stöpsel heraus und schnupperte daran, ehe sie ihm einen Duftstreifen hinhielt, den sie in das Fläschchen gesteckt hatte. „Was halten Sie davon, Monsieur Saint Croix?“

„Bitte“, sagte er und zwinkerte ihr zu. „Nennen Sie mich Alix.“

Leila weigerte sich, auf seinen ungenierten Flirt einzugehen. Als er den Streifen nahm, zog sie schnell ihre Hand zurück.

Er hielt ihren Blick fest, während er daran schnupperte. Kurz leuchtete etwas in seinen Augen auf, und sie spürte, dass ihr Körper mit Hitze darauf reagierte.

„Gefällt mir“, meinte er nachdenklich. „Was ist das?“

„Es ist Fougère – eine Duftkomponente, die aus einem Zusammenspiel von Lavendel, Eichenmoos und Cumarin besteht. Ein Derivat der Tonkabohne. Eine gute Basis, um einen Duft zu kreieren, wenn sie Ihnen gefällt.“

Er gab ihr den Streifen zurück und hob eine Braue. „Tonkabohne?“

Leila nickte und nahm ein anderes Fläschchen. „Ein weicher, waldiger Duft.“ Allmählich entspannte sie sich ein wenig, konzentrierte sich auf ihre Arbeit und reichte Alix einen weiteren Streifen. „Probieren Sie das einmal.“

Wieder ließ er sie nicht aus den Augen, als er daran roch. „Das hier duftet … exotischer?“

„Es ist Adlerholz, sehr selten. Ein unverwechselbarer Duft. Entweder lieben ihn die Kunden, oder sie hassen ihn.“

Seine Mundwinkel hoben sich ein wenig. „Mir gefällt er. Was sagt das über mich aus?“

Sie zuckte die Schultern, darum bemüht, sich professionell zu geben. „Nur, dass Sie auf komplexere Düfte ansprechen. Was mich nicht überrascht, da ein König sicher etwas Ausgefalleneres bevorzugt.“

Als er jetzt sprach, klang seine Stimme schärfer. „Ein König im Exil, um genau zu sein. Macht das einen Unterschied?“

Leila antwortete genauso kühl, während sie ihm eine weitere Probe reichte. „Sicher nicht. Sie sind trotzdem ein König, oder nicht?“

Er schnaubte und nahm den neuen Streifen entgegen.

Leila fragte sich, wie lange er dieses Spiel noch weiter treiben wollte. Als ob jemand wie er wirklich Zeit für eine persönliche Parfümberatung hätte …

Sie sah, wie er an dem Streifen roch und sofort zurückschreckte. Als er das Gesicht verzog, musste sie sich ein Lächeln verkneifen.

„Was ist das denn?“, fragte er entgeistert.

„Ein Extrakt aus Narzisse“, erklärte sie und begann, die Fläschchen einzupacken. Sie wollte weg von diesem Mann. „Wenn Ihnen einer der Düfte gefällt, kann ich ihn für Sie zusammenmischen.“

„Gerne. Aber ich möchte, dass Sie noch etwas hinzufügen, das nur zu mir passt.“

Leila verspannte sich bei dem Gedanken, schloss ihren Koffer und sah Alix an. „Da werde ich Sie leider enttäuschen müssen. Ein Parfüm ist ein so persönlicher …“

„Und ich möchte, dass Sie es mir heute Abend persönlich liefern“, fiel er ihr ins Wort.

Abrupt stand Leila auf. „Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie mir ein Geschäft anbieten, aber ich fürchte …“

Er stand ebenfalls auf. „Wollen Sie mir ernsthaft erzählen, dass Sie es ablehnen, für das Königshaus der Insel Saint Croix ein Parfüm zu kreieren?“

Ihr Mund wurde trocken, weil sie sich viel zu nahe waren. Alix’ Worte erinnerten sie an die schrille Stimme ihrer Mutter, die rief: Bist du verrückt geworden? Was war nur los? Wollte sie wirklich das lukrativste Angebot ablehnen, das sie seit Jahren bekommen hatte, nur weil sie diese verwirrende Anspannung zwischen ihnen nicht aushielt? Zweifellos wäre dieses Geschäft mit einem König die beste Werbung für sie.

„Natürlich nicht“, entgegnete sie gepresst. „So eine Gelegenheit würde ich mir nicht entgehen lassen. Ich werde eine Auswahl von Düften zusammenstellen und sie später zum Hotel bringen. Sie können dann Bescheid geben, welchen Sie bevorzugen.“

Sein Blick wirkte verhangen. „Nein, nur ein Duft, Leila. Und ich möchte, dass Sie ihn mir persönlich bringen. Sagen wir um sieben heute Abend?“

Ihr Name aus seinem Mund fühlte sich seltsam intim an, als habe er sie gerade berührt. Leila versuchte, sich zusammenzureißen, und sagte sich, dass Alix sie wohl kaum kidnappen würde. Er musste es auch nicht, und genau das war das Problem. Denn sie befürchtete, dass ihre Abwehr Risse bekommen würde, wenn sie noch öfter mit ihm zusammentraf.

Um ihm nicht zu zeigen, wie leicht er sie verwirren konnte, bückte sie sich und schloss ihren Koffer. Doch ehe sie ihn anheben konnte, griff er danach.

Leila richtete sich auf, die Wangen gerötet. Er streckte die andere Hand aus. „Nach Ihnen.“

Obwohl es ihr peinlich war, bestand er darauf, sie bis in die Lobby zu begleiten, seine Bodyguards diskret hinter ihnen. Unten gab er einem der Männer den Koffer und wies ihn an, ihn in Leilas Laden zu bringen. Erst wollte sie protestieren, ließ es dann aber.

Ehe sie gehen konnte, fragte er: „Um welche Zeit soll ich Ricardo schicken, damit er Sie zum Hotel begleitet?“

Sie drehte sich zu ihm um. Wollte klarstellen, dass sie allein in der Lage war, den Platz zu überqueren, doch sein Blick hielt sie zurück. „Fünf vor sieben.“

Er deutete eine Verbeugung an. „Bis dann, Leila.“

Zurück in seiner Suite stand Alix lange am Fenster und sah zu dem kleinen Laden hinüber. Leilas Weigerung machte ihn neugierig. Obwohl er wusste, dass sie vermutlich nur mit ihm spielte, würde er sich darauf einlassen. Denn er wollte sie.

Als er daran dachte, was ihm sein Sicherheitsteam über sie erzählt hatte, rührte sich sein schlechtes Gewissen.

Leilas Familie war in Indien sehr angesehen und wohlhabend gewesen. Seit mehreren Generationen Parfümeure, hatten sie Maharadschas und die Reichen der Gesellschaft beliefert. Über Deepika Verughese, Leilas Mutter, war nur wenig bekannt. Nachdem sie mit ihrer Familie gebrochen hatte, war sie nach Frankreich gekommen, wo sie eine Tochter zur Welt gebracht hatte. Leila. Von einem Vater wurde nichts erwähnt.

Über Leila war nichts Negatives zu berichten. Sie hatte keine Schlagzeilen gemacht.

Als sein Handy in der Hosentasche vibrierte, zog er es heraus. Ohne auf das Display zu sehen, nahm er das Gespräch an. „Ja?“

Es war Andres, sein engster Berater. Alix war froh um die Ablenkung, die ihn wieder dazu brachte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Er wandte sich vom Fenster ab. „Wie laufen die Vorbereitungen für das Referendum?“

In zwei Wochen sollte die Insel Saint Croix darüber entscheiden, ob sie Alix als König zurückhaben wollten. Für ihn selbst war es noch zu gefährlich, in sein Land zurückzukehren, deshalb musste er auf loyale Politiker zählen und die Menschen, die hart dafür gearbeitet hatten, die Monarchie wieder einzurichten. Endlich kam das Ziel in Sicht, aber es war ein schwieriger Balanceakt, ohne Garantie, dass sie gewinnen würden.

Die führende Partei auf der Insel Saint Croix war rücksichtslos, und nur die Tatsache, dass sie widerstrebend zugestimmt hatten, internationale Beobachter ins Land zu lassen, hatte den Prozess vor dem vorzeitigen Scheitern gerettet.

„Die Umfragen sehen positiv für dich aus“, erklärte Andres aufgeregt. „Obwohl das Militär immer noch arrogant genug ist zu glauben, dass sie alles unter Kontrolle haben.“

Alix hörte ihm zu, als er das wiederholte, was er bereits wusste. Wenn er endlich wieder auf dem Thron saß, hätte er die Möglichkeit, sich für den brutalen Tod seines jüngeren Bruders zu rächen.

Ein verlegenes Räuspern drang nun durchs Handy, ehe Andres fragte: „Stimmt es, dass deine Affäre mit Carmen Desanto beendet ist? Es stand heute in den Zeitungen.“

Alix’ Mund wurde schmal. Nur weil Andres einer seiner ältesten und vertrauenswürdigsten Freunde war, zog er in Erwägung, überhaupt darauf einzugehen. „Was soll die Frage?“

„Nun, der Zeitpunkt ist sehr … ungünstig. Je mehr du mit Angelegenheiten beschäftigt scheinst, die nichts mit Politik zu tun haben, desto besser. Damit das Regime von Saint Croix sich in falscher Sicherheit wiegt. Selbst wenn ihnen Gerüchte zu Ohren kommen, dass du Unterstützung aus dem Ausland erhältst, könnten entsprechende Fotos in den Zeitungen …“

Er musste den Satz nicht beenden. Alix sollte als der anrüchige, nicht bedrohliche König im Exil erscheinen. Trotzdem gefiel es ihm nicht, auf diese Weise herumkommandiert zu werden.

„Nun, auch wenn eine Frau wie Carmen gut ins Bild passte“, meinte er mit hartem Unterton, „war ich nicht bereit, ihr dummes Geschwätz noch länger zu ertragen.“

Das Bild einer anderen Frau erschien vor Alix’ geistigem Auge. Einer Frau, der er gerne zuhörte, da sie sich nicht in geistlosem Geplauder erging. Dafür war sie viel zu intelligent.

Andres stieß einen theatralischen Seufzer aus. „Ich will damit nur sagen, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, deinem Ruf als begehrter Junggeselle gerecht zu werden, der bei den Schönheiten der Welt eine Schneise der Zerstörung legt.“

Bis jetzt war Alix nur daran interessiert gewesen, Leila zu erobern, doch plötzlich sah er das Ganze in einem anderen Licht. Es wäre tatsächlich sinnvoll, wenn er ….

Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Keine Sorge, Andres. Mir fällt sicher etwas ein, um die Medien glücklich zu machen.“

Als es um eine Minute nach sieben an seiner Tür klopfte, wollte Alix nicht zugeben, dass sein Herz vor Freude schneller schlug. Daran erinnert zu werden, dass Leila ihn auf eine bisher unbekannte Weise ansprach, gefiel ihm nicht. Er redete sich ein, dass es nur Lust war, die er kontrollieren konnte.

Er öffnete die Tür. Leila war draußen, ihre Miene wirkte ein wenig aufgebracht. Ricardo stand hinter ihr. Alix nickte seinem Bodyguard zu, der sich sofort zurückzog.

Dann trat er einen Schritt nach hinten und hielt ihr die Tür auf. „Kommen Sie doch herein.“

Ihm fiel auf, dass Leila sich nicht umgezogen hatte. Sie trug immer noch den dunklen Hosenanzug, die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Obwohl sie kein Make-up aufgelegt hatte, wirkten ihre Züge wie gemalt. Die hellolivfarbene Haut, die gerade Nase, der volle Mund und die erstaunlich grünen Augen.

Im Wohnzimmer drehte sie sich zu ihm um und hielt ihm eine glänzende Tragetasche hin. „Ihr Parfüm, Monsieur Saint Croix.“

Er unterdrückte einen Fluch. „Leila, ich hatte Sie gebeten, mich Alix zu nennen.“

Ihre Augen funkelten. „Das wäre nicht angebracht. Sie sind ein Kunde.“

„Ein Kunde, der eine beträchtliche Summe für ein eigens hergestelltes Parfüm bezahlt.“

Sie schloss den Mund, und Reue leuchtete in ihrem Blick auf. Wieder einmal war Alix fasziniert von dem Spiel verräterischer Emotionen. Er selbst zeigte seit Jahren keine Gefühle mehr. Und die Frauen, mit denen er sonst zu tun hatte, wussten vermutlich nicht einmal, was Emotionen waren.

„Also gut, Alix.“

Das Blut rauschte ihm durch die Adern, als sie seinen Namen sagte. Er biss die Zähne zusammen, um seine Erregung zu bezwingen. „Das war doch nicht so schwer, oder?“, fragte er schließlich, griff nach der Tasche und bat Leila, sich zu setzen. „Machen Sie es sich bequem. Möchten Sie einen Drink?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein danke. Ich sollte jetzt wieder gehen und …“

„Mochten Sie denn nicht wissen, ob mir der Duft gefällt?“

Sie schwieg einen Moment. „Natürlich“, gab sie zurück. „Aber Sie können ja Bescheid geben lassen, wenn er Ihnen nicht gefällt.“

Alix trat näher. „Warum sind Sie so nervös in meiner Gegenwart?“

Leila schluckte. „Ich bin nicht nervös.“

Er trat noch näher. „Lügnerin. Sie würden am liebsten aus dem Fenster springen, um von mir wegzukommen.“

Sie hob eine Braue. „Sie sind es nicht gewohnt, dass man so reagiert, nicht wahr?“

Alix verzog den Mund. „Normalerweise nicht, nein.“

Noch einmal bedeutete er ihr, sich zu setzen. Als sie endlich seiner Bitte nachkam, entspannte er sich ein wenig.

Er stellte die Tasche mit dem Parfüm ab, goss sich einen Drink ein und sagte über die Schulter: „Wollen Sie wirklich nichts trinken?“

Ihre Blicke trafen sich. „Na schön“, meinte sie heiser. „Bringen Sie mir ein kleines Glas.“

Es war verrückt. Alix hätte am liebsten gejubelt, weil sie immer noch da war, wobei er die Frauen sonst nicht schnell genug loswerden konnte. „Bourbon?“

Sie hob die Schultern. „Ich habe noch nie Bourbon getrunken.“

Ihr Eingeständnis hatte etwas sehr Entwaffnendes. Alix kam mit den Drinks und setzte sich auf einen Sessel. Er gab ihr das Glas und hielt seines hoch. „Santé, Leila.“

Sie stieß mit ihm an, ehe sie vorsichtig an ihrem Glas nippte. Als er wissen wollte, ob ihr der Bourbon schmeckte, nickte sie.

Einen Moment war es still, ehe sie auf die Tasche deutete. „Sie sollten ausprobieren, ob Ihnen das Parfüm gefällt.“

Alix stellte sein Glas ab, öffnete die Schachtel und nahm eine schwere, wunderschöne Glasflasche heraus, die einen schwarzen Stöpsel mit dezentem Goldrand hatte.

„Es ist ziemlich schwer“, erklärte Leila. „Sie brauchen nur einen Hauch davon.“

Alix sprühte sich ein bisschen auf sein Handgelenk. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Duft so unmittelbar seine Sinne ansprach. Sofort fühlte er sich zurückversetzt in seine Heimat, mit dem durchdringenden Geruch des Meeres. Aber er roch auch Erde und den Duft der exotischen Blumen, die auf der Insel Saint Croix wuchsen. Selbst eine orientalische Note konnte er ausmachen, die ihn an seine maurischen Vorfahren erinnerte.

Der Duft weckte eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten in ihm – er und sein jüngerer Bruder, wie sie sorglos am Strand spielten. Er konnte es praktisch vor sich sehen.

„Was ist da drin?“, fragte er.

Besorgt sah Leila ihn an. „Gefällt es Ihnen nicht?“

Gefallen war ein viel zu schwaches Wort für das, was dieser Duft in ihm auslöste. Abrupt stand Alix auf. Er fühlte sich plötzlich bloßgestellt. Dieu! War sie eine Hexe? Er ging zum Fenster und roch noch einmal an seiner Hand.

Der anfängliche Schock verflüchtigte sich langsam, als der Duft sich entfaltete. Der Duft, das war er selbst. All das, was tief in ihm vergraben lag und niemand sehen konnte. Trotzdem hatte diese Frau es eingefangen, obwohl sie sich erst zweimal gesehen hatten.

3. KAPITEL

Leila stand auf. Was sollte sie tun? Sie hatte noch nie erlebt, dass jemand so stark auf einen Duft reagierte.

„Ich habe ein bisschen über die Insel recherchiert, um zu sehen, welche Blumen dort wachsen“, erklärte sie. „Dann habe ich versucht, den Duft so gut wie möglich mit dem einzufangen, was mir im Laden zur Verfügung stand. Am Ende entschied ich mich noch für Zitrus und Calone, weil mich das immer an eine Meeresbrise erinnert.“

Alix Saint Croix’ imposante Gestalt ragte vor dem Fenster auf, hinter dem herbstliche Dunkelheit lag. Als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war sie fasziniert gewesen – und verwirrt. Seitdem riet ihr eine innere Stimme, so schnell wie möglich davonzulaufen. Doch jetzt stand sie wie angewurzelt da.

„Wenn es Ihnen nicht gefällt …“

„Es gefällt mir.“

Er klang scharf … beinahe wütend, was Leila völlig durcheinanderbrachte.

„Wirklich?“, fragte sie zögernd. „Sie klingen nicht sehr erfreut.“

Er drehte sich um, sah sie eindringlich an und schüttelte den Kopf, als versuchte er, wieder klar zu denken. „Ich war nur ein wenig überrascht“, erklärte er schließlich. „Diesen Duft hatte ich nicht erwartet.“

Leila winkte ab. „Ein eigens hergestellter Duft hat immer eine stärkere Wirkung als ein gekauftes Parfüm.“

„Ist das so?“ Er kam zurück zur Couch, und Leila konnte den Blick nicht von ihm abwenden.

„Wenn es zu stark ist, kann ich …“

„Nein“, schnitt er ihr das Wort ab. „Ich will nicht, dass Sie etwas daran verändern.“

Als es an der Tür klopfte, zuckte Leila zusammen, ganz gefangen vom Anblick dieses Mannes.

„Ich war so frei, ein Dinner für zwei zu bestellen“, sagte Alix. „Falls Sie mir Gesellschaft leisten würden?“

Leila war hin- und hergerissen. Sie wollte wieder davonlaufen – und gleichzeitig bleiben. Schließlich hatte er viel Geld bezahlt. Also sollte sie höflich sein.

Höflich? höhnte eine Stimme in ihrem Kopf. Höflichkeit ist sicher nicht das richtige Wort für das, was du für diesen Mann empfindest.

Sie ignorierte die Stimme und sagte so kühl wie möglich: „Ich will aber nicht zu aufdringlich sein.“

Spott lag in seinem Blick. „Das sind Sie ganz sicher nicht.“

Nachdem die Angestellten, die das Dinner gebracht hatten, wieder gegangen waren, führte Alix sie in das Speisezimmer, das genauso luxuriös eingerichtet war wie die anderen Räume.

Als ihr Blick im Vorbeigehen kurz in ein Schlafzimmer fiel, wäre sie beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert, weil sie daran denken musste, wie die Blondine sich in diesem Raum vor ihm ausgezogen hatte.

Als sie sich schließlich gegenübersaßen, betrachtete sie all die Speisen, die zwischen ihnen auf dem Tisch standen. Davon konnte ja eine ganze Armee satt werden!

Alix musste ihren erstaunten Blick aufgefangen haben, denn er sagte: „Ich wusste nicht, ob Sie Vegetarierin sind, deshalb habe ich verschiedene Speisen bestellt.“

„Ich bin tatsächlich Vegetarierin“, entgegnete sie mit einem trockenen Lächeln. „Aber manchmal esse ich auch Fisch.“

Er machte ihr einen Teller mit Tapas und Reisbällchen zurecht. Bei dem köstlichen Duft lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie hatte seit dem Vormittag nichts mehr gegessen, weil sie viel zu aufgeregt gewesen war, Alix wiederzusehen.

Er reichte ihr den Teller und nahm dann eine Flasche Weißwein aus einem Eiskübel. Da Leila es nicht gewohnt war, viel Alkohol zu trinken, hob sie die Hand.

„Für mich keinen Wein, danke.“

Er goss ihr ein Glas Wasser und sich selbst Wein ein und fragte nebenher: „Woher stammen Ihre Eltern?“

Unweigerlich verspannte sich Leila. Ihren Vater kannte sie nur von Fotos aus der Zeitung. „Meine Mutter hat mich allein großgezogen. Sie kam aus Indien.“

„Kam?“

Leila nickte und starrte auf ihr Essen. „Sie ist vor ein paar Jahren gestorben.“

„Das tut mir leid. Es muss schwer gewesen sein, nur Sie beide allein.“

Seine aufrichtige Anteilnahme überraschte sie. „Ja, es war … nicht einfach.“

Eine Weile aßen sie schweigend, ehe er fragte: „Sind Sie hier geboren?“

Leila griff nach ihrem Wasser. „Ja. Meine Mutter ist hierhergezogen, als sie schwanger war. Mein Vater stammte aus Frankreich.“

„Stammte?“

Leila bedauerte sofort, dass ihr die Worte entschlüpft waren. Aber jetzt war es zu spät. „Er ist schon vor langer Zeit gestorben. Ich habe ihn nie kennengelernt.“

Sie war erleichtert, dass Alix nichts dazu sagte. Vielmehr sah er sie nachdenklich an, während sie weiteraßen und sie von ihrem Geschäft und den Problemen damit erzählte. Er meinte, sie könnte den Laden auch verkaufen, aber das wollte sie auf keinen Fall. Die Parfümerie war ihr Erbe, ihre einzige Sicherheit.

Schließlich legte sie ihre Serviette zur Seite. „Ich sollte jetzt gehen. Danke für das Essen. Es war wirklich köstlich.“

Sie sah, wie ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. Beinahe erwartete sie, dass er sie zurückhalten wollte. Nein, sie erwartete es nicht, sie hoffte es insgeheim, wie ihr sogleich klar wurde.

Doch er tat nichts dergleichen. Stattdessen stand er auf. „Danke, dass Sie mir Gesellschaft geleistet haben.“

Dass er sie so einfach gehen ließ, enttäuschte sie, was ihr gar nicht gefiel.

Dann aber sagte er: „Ich habe Karten für die Oper morgen Abend. Würden Sie mich begleiten?“

Die Einladung traf sie völlig unvorbereitet. Unwillkürlich musste sie an ihre letzte, katastrophale Verabredung denken, doch Alix stellte Pierre Gascon hundert Mal in den Schatten.

Aber war das ein Wunder? Als ob irgendjemand sich mit diesem Mann messen könnte, der so sexy war! Leila hatte noch nie ein so großes Verlangen gespürt wie jetzt. Und genau deshalb sagte sie: „Ich glaube, das wäre keine gute Idee.“ Feigling, flüsterte eine innere Stimme.

Fragend hob er eine Braue. „Und warum nicht? Sie sind Single, und wir sind beide erwachsen. Ich biete Ihnen nur an, einen angenehmen Abend zu verbringen, mehr nicht.“

Jetzt kam Leila sich dumm vor. Sie hatte an Sex gedacht, er hingegen nicht. „Ich … spiele einfach nicht in der gleichen Liga wie Sie, Monsieur Saint Croix.“

„Ich heiße Alix, wie oft muss ich Sie denn noch daran erinnern?“ Er kam näher. „Und jetzt sagen Sie mir noch einmal, warum das keine gute Idee wäre.“

Sie fühlte sich in die Enge getrieben – und sie war wütend. Wütend auf ihn, aber auch auf sich selbst. „Ich bin Ladenbesitzerin.“

„Und?“

„Und Sie …“

„Ja?“

„Sie sind … ein König.“

Alix legte den Kopf schräg. „Sie sind Parfümeurin, richtig? Ein sehr angesehener Beruf.“

Leila klang verbittert. „Um Parfümeurin zu sein, muss man auch Parfüms machen“, wehrte sie ab.

„Was Sie zweifellos tun werden, wenn Ihr Geschäft wieder schwarze Zahlen schreibt.“

Seine aufmunternden Worte freuten sie, doch sie schob dieses Gefühl beiseite. „Haben Sie denn nichts Wichtigeres zu tun?“, fragte sie stattdessen.

Er sah sie an. „Wissen Sie denn nicht, dass vorgetäuschtes Desinteresse der sicherste Weg ist, das Interesse eines Mannes zu wecken?“

Sie lief rot an. „Ich täusche kein Desinteresse vor. Mir ist nur nicht klar, warum Sie so sehr darauf bestehen. Und um ehrlich zu sein, wäre es mir lieber, wenn Sie mich einfach in Ruhe ließen.“

„Ist das so?“ Er kam noch einen Schritt näher. „Nun, ich könnte Sie jetzt gehen lassen, und Sie würden mich nie mehr wiedersehen.“ Er hielt kurz inne. „Wenn es wirklich das ist, was Sie wollen. Aber das glaube ich nicht.“

Oh Gott. Er hatte gemerkt, dass sie eben enttäuscht gewesen war. Sie war noch nie gut darin gewesen, ihre Gefühle zu verstecken.

Bei Pierre hatte sie dieses drängende Verlangen nicht gespürt. Er war subtiler gewesen. Und manipulativ. Alix hingegen war direkt, ein Umstand, der sie seltsamerweise beruhigte. Es gab keine Spielchen oder falsche Versicherungen, dass er mehr von ihr wollte.

Als sie weiterhin schwieg, wurde sein Blick hart. Leila verspürte Panik. Sie merkte, dass er sie gehen lassen würde, wenn sie ihn darum bat. Aber wollte sie das wirklich? Nur weil sie schlechte Erfahrungen gemacht hatte?

Sie war noch nie in der Oper gewesen und hörte sich plötzlich fragen: „Wir gehen also nur in die Oper?“

Sein Blick wurde weicher, aber dass er einen Punkt für sich verbuchen konnte, zeigte er nicht.

„Ja, wir gehen nur in die Oper. Wenn Sie morgen ein bisschen früher schließen könnten, hole ich Sie um fünf ab.“

Tief atmete sie durch. „Na gut. Ich nehme Ihre Einladung an.“

Alix griff nach ihrer Hand und hauchte einen Kuss darauf. „Ich freue mich, Leila. Bis morgen.“

Um drei am nächsten Nachmittag waren ungewöhnlich viele Kunden im Laden, sodass Leila den stämmigen Mann, der an der Tür stand, nicht gleich bemerkte. Es war Ricardo, Alix’ Bodyguard, der eine weiße Schachtel in den Händen hielt.

Sie ging zu ihm, und er reichte ihr die Schachtel mit den Worten: „Ein Geschenk von Monsieur Saint Croix.“

Vorsichtig nahm Leila den Karton an sich und warf einen Blick zu den Kunden hinüber, die mit den Parfüms beschäftigt waren, die sie für sie ausgesucht hatte. Dann sah sie wieder Ricardo an, von einem unguten Gefühl erfasst. „Könnten Sie einen Augenblick warten?“

Schnell verschwand sie in dem kleinen Hinterzimmer und öffnete die Schachtel. Sie schnappte nach Luft, als sie das Seidenpapier zurückschlug und das schönste Kleid entdeckte, das sie je gesehen hatte.

Es war hellgrün, hatte nur einen Träger und ein enges Oberteil. Der Rock bestand aus einer Wolke von zartem Chiffon und fiel bis zum Boden. Auch die passenden Schuhe lagen in der Schachtel, und als sie die Unterwäsche entdeckte, wurde sie rot, zumal Alix sogar die richtige Größe gewusst hatte.

Am liebsten wäre sie sofort zu ihm marschiert, um die Verabredung abzusagen, aber sie bezwang ihre Wut. Wahrscheinlich ging er mit allen Frauen so um. Und er war arrogant genug zu glauben, dass sie wie all die anderen war.

„Was soll das heißen, sie will es nicht annehmen?“, fragte Alix entgeistert.

Verlegen trat Ricardo von einem Fuß auf den anderen. Er fühlte sich sichtlich unwohl. „Sie hat eine Nachricht in der Schachtel hinterlassen.“

Alix ignorierte, wie sehr ihn all das verwirrte. „Danke, Ricardo, das wäre dann alles.“

Anschließend entließ er auch die Männer, die sich zu einem Meeting bei ihm getroffen hatten. Sobald sie verschwunden waren, öffnete er die Schachtel und nahm den Zettel daraus hervor.

Danke, aber ich habe selbst etwas zum Anziehen.

Leila.

Alix musste lächeln. Er konnte sich nicht erinnern, dass eine Frau ihm je ein Geschenk zurückgegeben hätte.

Er stand auf und ging zum Fenster. Lange Zeit, vor allem seit seiner Flucht von der Insel vor vielen Jahren, hatte er sich wie ein eingesperrtes Tier gefühlt. Er war gezwungen gewesen, so zu tun, als ginge es ihm nicht darum, mit aller Macht seinen Thron zurückzuerobern. Manchmal sehnte er sich so sehr danach, wieder auf seiner Insel zu sein, dass er es kaum ertragen konnte.

Seufzend wanderte sein Blick zu dem kleinen Laden, und er sah, wie eine ihm bekannte Gestalt in der Parfümerie hin und her ging. Seine Sehnsucht verwandelte sich in Vorfreude.

Es würde nicht schwer sein, Leila zu verführen und alle Welt glauben zu machen, dass er nichts anderes im Kopf hatte als sein Vergnügen.

Leila betrachtete sich im Spiegel. War es doch falsch gewesen, Alix’ Geschenk zurückzugeben? Sie war noch nie in der Oper gewesen und wusste nur, dass man sich schick anziehen musste. Aber was genau trug man dort?

Das Parfüm, von dem sie ein wenig verwendet hatte, hätte sie jetzt am liebsten wieder abgewaschen. Es war nicht ihr üblicher Duft, leicht und blumig, sondern eine der sinnlichsten Kreationen ihrer Mutter, eine Duftnote, die sie schon immer fasziniert hatte.

Das Parfüm hieß Geheime Begierde. Kaum hatte sie ein wenig davon aufgesprüht, hörte sie die Stimme ihrer Mutter: „Dieser Duft ist für eine Frau, die weiß, was sie will, und es auch bekommt. Eines Tages bist du diese Frau, aber du wirst nicht so dumm sein wie deine Mutter.“

Auch wenn er zu ihr passte, fühlte Leila sich bloßgestellt. Als wäre es für jeden offensichtlich, dass sie versuchte, jemand zu sein, die sie nicht war.

Es klingelte an der Tür … zu spät, das Parfüm noch abzuwaschen.

Mit klopfendem Herzen machte sie sich auf den Weg nach unten. Sie schob die Erinnerungen an den anderen Mann beiseite, den sie an sich herangelassen hatte. Es schien fast so, als wäre sie ohne den Einfluss ihrer Mutter fest entschlossen gewesen zu beweisen, dass es doch Männer gab, denen man vertrauen konnte. Nun, der Schuss war spektakulär nach hinten losgegangen und hatte bewiesen, wie falsch sie lag.

Während sie den Laden durchquerte, zwang sie die Gedanken an die Vergangenheit beiseite. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Noch immer sehnte sie sich nach einer Erfahrung, die sich von der ihrer Mutter unterschied. Doch dafür war Alix wohl kaum zu haben. Und genau aus diesem Grund war sie bei ihm so sicher wie in Abrahams Schoß.

Tief atmete sie ein und öffnete die Tür. Alix stand vor ihr, die Dämmerung hüllte ihn ein. Unter seinem Mantel trug er einen klassischen schwarzen Tuxedo mit weißer Fliege. Leilas Mund wurde trocken, und das Gefühl der Sicherheit verflog.

„Sie sehen wunderschön aus.“

Schüchtern deutete sie auf ihr Outfit. „Ich wusste nicht genau … hoffentlich passt es.“

Alix sah ihr in die Augen. „Es ist umwerfend. Sie sehen aus wie eine Prinzessin.“

Leila errötete. Sie trug ein traditionelles indisches Salwar Kameez. Die Tunika war aus grüner und goldener Seide gefertigt, die schmale Hose ebenfalls grün. Dazu goldene Riemchensandaletten und um die Schultern ein leichter Chiffonschal. Die Haare hatte sie zu einem Knoten hochgesteckt. Reich verzierte Ohrringe, die ihrer Mutter gehört hatten, baumelten an ihren Ohren – ein Talisman, der sie vor dem Gefühlsaufruhr beschützen sollte, den sie in der Nähe dieses Mannes stets verspürte.

Draußen hielt der Chauffeur ihr die Tür auf, und Leila stieg ein, während Alix auf der anderen Seite in den Wagen schlüpfte.

Er nahm ihre Hand. „Sie sehen sehr außergewöhnlich aus. Keine andere Frau wird das Gleiche tragen wie Sie.“

Leila verzog den Mund zu einem trockenen Lächeln. Es gefiel ihr viel zu sehr, dass er ihre Hand umfasst hielt. „Genau davor habe ich Angst.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie werden sich wie ein Paradiesvogel von den anderen abheben, und alle Frauen werden eifersüchtig auf Sie sein.“

Leila wollte ihm ihre Hand entziehen, doch er hielt sie fester, hob sie hoch und schnupperte an ihrem Handgelenk. Leilas Herz schlug schneller.

„Das ist nicht der Duft, den Sie sonst tragen, nicht wahr?“ Er sah sie an.

Sie fluchte im Stillen, weil er es bemerkt hatte, und entzog ihm die Hand. „Nein, es ist ein anderer, der besser für den Abend passt.“

„Er gefällt mir.“

Jetzt roch sie auch das Parfüm, das sie für ihn kreiert hatte, und sie stellte sich vor, wie ihre beiden Düfte sich vermischten. Der Gedanke machte ihr umso bewusster, wie nahe sie sich waren.

Schließlich wandte sie den Blick von Alix ab und merkte, dass sie die Stadt inzwischen hinter sich gelassen hatten. Dies war sicher nicht der Weg zur Oper.

Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Ich dachte, wir gehen in die Oper?“

„So ist es.“

„Aber wir fahren aus der Stadt heraus.“

Alix lächelte. „Ich habe gesagt, dass wir in die Oper gehen, aber ich habe nicht gesagt, wo.“

Panik machte sich in ihr breit. Es gefiel ihr nicht, dass er glaubte, einfach über sie bestimmen zu können. „Ich mag keine Überraschungen. Sagen Sie mir bitte, wohin wir fahren.“

„Wir sind auf dem Weg nach Venedig.“ Seine Stimme klang nun hart.

„Venedig?“ Leila kreischte beinahe. „Aber ich habe meinen Pass nicht dabei. Wir können doch nicht einfach …“

Wieder nahm Alix ihre Hand und sprach mit ihr in einem Ton, als müsste er ein wild gewordenes Pferd beruhigen. „Sie brauchen keinen Pass. Ich genieße diplomatische Immunität, und Sie sind meine Begleitung. Der Flug dauert eine Stunde und vierzig Minuten. Ich bringe Sie vor Mitternacht wieder zurück nach Paris. Das verspreche ich Ihnen.“

In Leilas Kopf drehte sich alles. „Der Flug?“

Alix nickte.

„Ich bin noch nie geflogen“, gestand sie.

Erstaunt sah er sie an. „Wie kann das sein?“

Sie hob die Schultern. „Meine Mutter und ich … wir sind nie viel gereist. Einmal waren wir in England, um ein Werk außerhalb von London zu besuchen, aber wir sind mit dem Zug gefahren. Meine Mutter hatte entsetzliche Angst vor dem Fliegen.“

„Na, dann … Möchten Sie lieber wieder nach Hause oder zum ersten Mal ein Flugzeug besteigen? Wir können sofort umdrehen, wenn Sie wollen.“

Leila spürte, wie er mit dem Daumen ihr Handgelenk streichelte, und ihre Haut fühlte sich heiß an, wo er sie berührte. Sollte sie ihrer Angst nachgeben? Nein, das wäre ein Rückschritt.

Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Ich würde gerne mit Ihnen fliegen.“

Sanft küsste er ihre Hand. „In Ordnung, dann fliegen wir.“

Leila wusste, dass sie eigentlich über etwas ganz anderes sprachen, doch ehe sie noch weiter nachdenken konnte, beugte Alix sich zu ihr und berührte mit seinem sinnlichen Mund ihre Lippen.

Leila war schon einmal geküsst worden – von Pierre. Aber dieser Kuss hier war anders, hart, fordernd.

Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, öffnete unweigerlich den Mund und spürte zum ersten Mal die elektrifizierende Berührung seiner Zunge. Und war verloren.

4. KAPITEL

Alix wäre beinahe explodiert, als er Leilas volle Lippen auf seinen spürte und merkte, wie sie schüchtern mit ihrer Zunge seine berührte. Sofort war er fast schmerzhaft erregt. Ihre Lippen zitterten, und er musste sich zwingen, behutsam vorzugehen.

Er zog sie näher, um ihre vollen Brüste enger an seinem Oberkörper zu spüren. In diesem Moment hätte er sich nicht einmal an seinen Namen erinnert. Er verlor sich in der Hitze und dem drängenden Verlangen, Leila auf seinen Schoß zu ziehen.

Als sie sich plötzlich zurückzog, hob er die Lider und sah in ihre geweiteten Augen. Sie hatte die Hände auf seine Brust gelegt und wollte ihn wegstoßen.

„Tu das nie wieder“, sagte sie. „Bitte!“

Alix war verunsichert. Er war es nicht gewohnt, dass Frauen ihn von sich stießen. Außerdem hatte er deutlich gespürt, dass Leila der Kuss gefallen hatte.

Er rückte von ihr ab und sah sie an. Ihre Wangen waren gerötet, sie atmete heftig und wich seinem Blick aus. Im Stillen verfluchte er sich. Warum war er nicht geschickter vorgegangen?

Sanft hob er ihr Kinn an, sodass sie ihn ansehen musste. Ihr Blick wirkte wachsam, und noch etwas lag darin, was er nicht benennen konnte. War er zu heftig gewesen?

„Hast du schlechte Erfahrungen mit einem früheren Liebhaber gemacht?“

Sie zog seine Hand zurück. „Das geht dich nichts an.“

Als sie seinem Blick wieder auswich, hätte er beinahe frustriert aufgestöhnt. In diesem Moment lenkte der Chauffeur den Wagen auf den kleinen Privatflughafen und hielt an.

Alix stieg aus und zog den Mantel fest um sich, um seine Erregung zu verdecken. Dann öffnete er galant Leilas Tür und half ihr beim Aussteigen. Als der Wind ihr eine Haarsträhne ins Gesicht blies, musste er sich zwingen, sich zurückzuhalten. Am liebsten hätte er diese atemberaubend schöne Frau sofort wieder geküsst!

Er griff nach ihrer Hand und führte Leila zu dem kleinen Privatjet, der auf sie wartete und den er immer für kurze Trips innerhalb Europas benutzte. Jetzt wurde ihm bewusst, wie selbstverständlich er all das nahm. Dabei war Leila noch nie geflogen.

Abrupt blieb er stehen. „Du hast doch keine Angst, oder?“

Ihr Blick ging von dem Flugzeug zurück zu ihm. „Es sieht ein bisschen klein aus.“

Er grinste. „Es ist so sicher wie jedes andere, glaub mir.“

Er schob sie die Gangway hoch, vorbei an einem Steward in Uniform. Drinnen setzte er sich ihr gegenüber hin, um sie beobachten zu können. Nachdem er zuerst sie und dann sich selbst angeschnallt hatte, rollte das Flugzeug über die Piste. Mit einem Dröhnen erhob es sich in den Abendhimmel.

Alix sah, wie Leila ihre Armlehnen umklammerte, und fragte: „Alles okay?“

Ihr Lächeln wirkte ein wenig zittrig. „Ich glaube schon.“ Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, als wollte sie einen Anflug von Übelkeit abwehren.

Dann war das Flugzeug hoch oben in der Luft. Leila entspannte sich allmählich, und ihr Gesicht nahm einen verwunderten Ausdruck an, als ihr bewusst wurde, dass sie direkt über Paris flogen, wo soeben alle Lichter angegangen waren.

Alix sah ebenfalls aus dem Fenster und entdeckte den leuchtenden Eiffelturm.

Leila fühlte sich wie im Traum. Kurz hatte sich ihr Magen gehoben, als das Flugzeug sich in Bewegung setzte, doch inzwischen hatte er sich wieder beruhigt. So hoch über der Stadt zu sein und all die Lichter zu sehen rührte sie fast zu Tränen. Und es lenkte sie davon ab, nicht an den wundervollen Kuss von eben zu denken. Und daran, wie schwer es ihr gefallen war, sich von Alix zu lösen.

Was sie schließlich wieder zur Vernunft gebracht hatte, war die Erkenntnis, dass sie von einem Experten geküsst wurde, der schon viel schönere Frauen als sie geküsst hatte.

„Warum hat deine Mutter das Fliegen so sehr gehasst?“

Seine Worte rissen sie aus ihren Gedanken. Sie sah zu Alix, der lässig dasaß, die langen Beine ausgestreckt. Obwohl sie sich bemühte, nicht an den Kuss zu denken, konnte sie nicht anders, als ihr Blick zu seinem sinnlichen Mund wanderte.

Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen, und versuchte, sich an seine Frage zu erinnern. „Meine Mutter ist nur einmal in ihrem Leben geflogen, als sie von Indien nach Frankreich gekommen ist. Es war traumatisch für sie.“

„Inwiefern?“

„Sie war in Ungnade gefallen, schwanger und unverheiratet, außerdem litt sie entsetzlich unter morgendlicher Übelkeit.“ Leila zuckte die Schultern. „Nach dieser Erfahrung wollte sie nie wieder ein Flugzeug besteigen.“

„Bist du nicht neugierig auf deine indischen Wurzeln und deine Familie dort?“

Eine an sich unschuldige Frage, doch nicht für Leila. Die Familie ihrer Mutter hatte sich von ihnen abgewandt und nie wieder versucht, Kontakt aufzunehmen. Nicht einmal, als sie in Paris bei einer Parfümmesse gewesen waren, wie damals die Zeitungen berichteten.

Leila versteckte ihre Gefühle hinter einer ausdruckslosen Maske und zwang sich zu einem Lächeln. „Leider hat die Familie meiner Mutter jede Verbindung zu uns abgebrochen … aber vielleicht besuche ich eines Tages das Land meiner Vorfahren.“

Wieder sah sie aus dem Fenster und hoffte, dass Alix nicht noch mehr persönliche Fragen stellen würde.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fragte er leise: „Warum hast du dich zurückgezogen, als ich dich geküsst habe, Leila? Du wolltest doch gar nicht, dass ich aufhöre.“

Leila erstarrte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Alix ihre kurze Unsicherheit bemerkt hatte. Nein, sie hatte nicht gewollt, dass er aufhörte, denn noch nie hatte sich ein Kuss so gut angefühlt. Und wenn er sie wieder küssen würde, wäre sie nicht in der Lage, sich ihm noch einmal zu entziehen.

Plötzlich verspürte sie den dringenden Wunsch, sich selbst zu schützen. Sie musste versuchen, Alix abzuweisen, denn ein Mann wie er, von königlichem Geblüt, wollte sicher nichts mit der unehelichen Tochter einer in Ungnade gefallenen indischen Mutter zu tun haben.

„Du hast mich vorhin gefragt, ob ich schlechte Erfahrungen mit einem Liebhaber gemacht habe …“

Alix setzte sich gerade hin. „Und du hast geantwortet, dass es mich nichts angeht.“

„So ist es“, entgegnete sie. „Aber nur so viel: Ja, ich habe schlechte Erfahrungen gemacht und möchte das nicht wiederholen.“

Alix erstarrte, weil er nicht glauben konnte, dass sie ihn mit einem anderen Mann verglich.

„Tut mir leid, aber deshalb kannst du nicht alle Männer verdammen.“

Leila atmete tief durch. „Wenn du es unbedingt wissen willst“, sagte sie, weil sie spürte, dass er sich von diesem Thema nicht abbringen ließ. „Meine Mutter hat es mit ihrer Fürsorge etwas übertrieben. Außerdem bin ich nicht so erfahren, wie du vielleicht glaubst …“

„Kann ich das Essen auftragen, Eure Majestät?“

Leila war froh, dass der Steward sie unterbrochen hatte, der ihnen nun verschiedene Speisen brachte. Und sie war dankbar, dass Alix nicht vorhatte, das Gespräch fortzuführen, nachdem sie wieder allein waren.

Als sie zu ihm herübersah, warf er ihr einen rätselhaften Blick zu und meinte: „Ich würde das Risotto empfehlen, es ist vegetarisch.“

Leila lächelte. „Klingt gut.“

Wenig später kam der junge Mann zurück und füllte ihre Champagnergläser, dann verschwand er wieder.

Alix hob sein Glas. „Auf neue Erfahrungen, Leila.“

Innerlich wand sie sich. Sicher ahnte er, was ihr Geheimnis war. Und obwohl sie ihm am liebsten gesagt hätte, dass die einzig neue Erfahrung, die sie mit ihm machen wollte, das Fliegen war, brachte sie die Worte nicht über die Lippen.

„Warum starren uns alle an?“

Ungläubig sah Alix zu Leila hinüber. Meinte sie diese Frage wirklich ernst? Merkte sie denn gar nicht, wie viel Aufsehen sie erregte, als sie aus dem Boot stieg und in den alten Palazzo am Canal Grande ging, in dem sich die Oper befand? Leila übertrumpfte alle, wie ein Juwel.

Kurz darauf saßen sie in einer Privatloge, rechts neben der Bühne, und Alix verzog den Mund. „Sie starren nicht uns an, sondern dich.“

Leila wurde rot. „Es sind meine Sachen, oder? Ich hätte …“

Er schüttelte den Kopf. „Es ist vor allem deine Schönheit. Ja, und dein ausgefallener Geschmack, mit dem du die Frauen beschämst, weil sie dich um dein Modebewusstsein beneiden.“

Leilas Wangen röteten sich noch mehr. „Das glaube ich nicht.“

„Ach, und warum nicht?“

„Sieh dich doch um! Ich habe noch nie so viele schöne Menschen gesehen wie hier. Und der Canal Grande und der Palazzo … alles ist einfach atemberaubend.“ Kurz senkte sie den Kopf, ehe sie Alix wieder ansah. „Danke … für diesen wunderschönen Abend.“

Alix konnte sich nicht erinnern, dass eine Frau sich jemals dafür bedankt hatte, dass er mit ihr ausgegangen war.

„Also bist du froh, dass du dich doch überwunden hast mitzukommen?“, fragte er unschuldig.

Als sie ihn aus ihren grünen Augen ansah, blieb Alix die Luft weg. Das war ihm noch bei keiner Frau passiert.

„Ja, ich bin froh“, entgegnete sie schließlich. „Aber lass dir das nicht zu Kopf steigen, hörst du?“

In diesem Moment wirkte Leila wie ein leuchtender Stern, mit ihren funkelnden Augen und dem leichten Lächeln, sodass er sich bezwingen musste, sie nicht wieder zu küssen.

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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