Mindys süßes Geheimnis

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Frisch geschieden, schwanger und kein Geld! Zum Glück bekommt Mindy einen Job als Sekretärin. Aber ausgerechnet in der Firma von Jason Mallory! In ihn war Mindy schon auf der High School verliebt. Doch damals wollte er nichts von ihr wissen…


  • Erscheinungstag 21.10.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753658
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Das darf doch nicht wahr sein!“

Eloise Vale nahm die Zeitung so hastig vom Tisch auf, dass sie beinahe ihre Kaffeetasse umgestoßen und deren Inhalt über den Artikel ausgeleert hätte, den sie gerade lesen wollte. Ein Artikel, in dem berichtet wurde, dass der so attraktive und überaus beliebte Bürgermeister von New York, Bill Harper – einst ihr Bill Harper, bis sie wieder zu Verstand gekommen war –, Budgetkürzungen in Betracht zog, um den Haushalt der Stadt zu sanieren. Budgetkürzungen, die auch vielen Wohltätigkeitsorganisationen den Garaus machen würden. Und ihre Organisation befand sich auf der Liste der Streichungen.

Eloise ignorierte den soeben geretteten Kaffe und las ungläubig den Artikel, woraufhin ihr Magen sich krampfhaft zusammenzog.

Da stand es schwarz auf weiß: Manhattan Multiples war ebenfalls von den Kürzungen betroffen. Der Bürgermeister hätte ihr genauso gut eine Pistole an die Schläfe setzen können. Oder auf ihr Herz.

„Wie kann er nur?“, fragte sie die in kühlem Pastellblau gehaltenen Wände ihres Büros in der Madison Avenue.

Ihr Büro war das Herz von Manhattan Multiples, einer Organisation, die sich für die Bedürfnisse von Frauen einsetzte, die einer Mehrlingsgeburt entgegensahen oder bereits Zwillinge, Drillinge oder noch mehr Kinder zur Welt gebracht hatten. Die Organisation war aus einer Selbsthilfegruppe entstanden, die Eloise gegründet hatte, und mit der Zeit zu einem Unternehmen herangewachsen, das drei Etagen eines zehnstöckigen Gebäudes einnahm. Außer Selbsthilfegruppen wurden Berufsberatung, Yoga, Geburtsvorbereitungs- und Meditationskurse sowie Kindertagesstätten angeboten. Es standen jederzeit Psychologen zur Verfügung, um die werdenden oder überforderten Mütter mit Rat zu unterstützen und mögliche Wege aus den Krisen aufzuzeigen.

Eloise kannte sich mit solchen Dingen gut aus. Sie hatte selbst schwierige Zeiten durchstehen müssen, als sie ihre drei Jungen bekommen hatte. Drei lebhafte Jungen, die jetzt in die Pubertät eintraten. Eine Phase, in der ihr aschblondes Haar wahrscheinlich so grau wie ihre Augen werden würde. Sie hatte damals keine Ahnung gehabt, wie sie mit drei Babys klarkommen sollte, hatte aus der Not eine Tugend gemacht und eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Dass daraus eine Organisation von diesem Umfang entstehen würde, hätte sie seinerzeit nie geglaubt. Heute war sie stolz darauf, jungen Müttern mit geschulten Personen zur Seite stehen zu können.

„Du willst uns also die staatliche Hilfe streichen?“ Eloise sah sich das Foto des Mannes an, den sie fast statt Walter geheiratet hätte. „Denk noch mal darüber nach, Billyboy. Wenn du glaubst, dass ich ohne Kampf kapituliere, dann irrst du dich gewaltig.“

Mit einem lauten Seufzer warf Eloise die Zeitung zur Seite und griff nach ihrer Kaffeetasse.

1. KAPITEL

Als Jason Mallory an diesem Morgen die Räume seines Investment- und Versicherungsbüro Mallory & Dixon betrat, gingen ihm viele Dinge durch den Kopf. So gewöhnliche Überlegungen wie die Frage, wo er den Abschnitt der Reinigung gelassen hatte, um das Jackett abholen zu können, das er am nächsten Tag anziehen wollte, bis hin zu den Bilanzzahlen seiner äußerst erfolgreichen Firma. Vor allem aber beschäftigte ihn die Tatsache, dass er so überraschend mit der Vergangenheit konfrontiert worden war.

Er fühlte sich genau elf Jahre in der Zeit zurückversetzt. In jene Zeit, als er noch auf der Highschool gewesen war. Damals war er ein Einzelgänger, ein Außenseiter gewesen, und seine Bücher, seine Ambitionen und Pläne waren alles gewesen, was er gehabt hatte. Er hatte etwas Besonderes werden wollen. Jemand, der Macht und Geld besaß. Eben ein Mann, den Mindy Conway bemerken würde. Sie war einer der Gründe, wenn nicht der Hauptgrund für seinen Ehrgeiz gewesen. Sie war sein Ansporn, ja das Ziel seiner Träume gewesen. Selbst dann noch, als sie die Stadt bereits verlassen hatte.

Während sie auf das Northwestern College ging, war er in New York geblieben und hatte zuerst das College und dann die Columbia-Universität besucht. Obwohl er wusste, dass er Mindy wahrscheinlich nie wiedersehen würde, hatte er unentwegt und fleißig auf sein Ziel hingearbeitet.

Nach einer Weile traf er dann Debra. Debra mit ihrem verführerischen Lächeln und einem atemberaubenden Hüftschwung. Warum sie sich ausgerechnet ihn ausgesucht hatte, war ihm immer noch ein Rätsel. Obwohl es ihm damals sehr geschmeichelt hatte, dass eine Frau wie sie ihn bemerkt hatte und ihn sogar heiraten wollte.

Zumindest hatte ihm das am Anfang geschmeichelt, nach der Hochzeit änderte sich das jedoch leider schnell. So plötzlich wie Debra in sein Leben getreten war, so abrupt zog sie sich auch wieder von ihm zurück. Und zwar körperlich wie emotional. Er hatte keine Ahnung, warum alles so gekommen war. Ein weiteres Rätsel, doch eines, das er gar nicht lösen wollte. Der Schmerz über ihr Verhalten war immer noch zu groß, und er nahm an, dass das immer so bleiben würde.

Doch jetzt war unerwartet das Mädchen aus seiner Vergangenheit aufgetaucht. Hier in seinem Büro.

Hier am Schreibtisch.

Mindy.

Mindy in Fleisch und Blut, und sie war noch hübscher, als er sie in Erinnerung hatte.

Mindy war kein Mädchen mehr, sondern eine Frau. Eine wunderschöne Frau mit langem schwarzem Haar und den schönsten himmelblauen Augen, die er je gesehen hatte.

Und er war nicht mehr der stille, introvertierte Einzelgänger, den niemand bemerkte. Er war Jason Mallory, einer der besten Börsenmakler der Wall Street. Man riss sich um seine Tipps und Ratschläge.

Allerdings wäre er im Moment lieber in dreitausend Meter Höhe mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen, als seiner Jugendliebe gegenüberzustehen. Es war eine Liebe gewesen, die leider nie erwidert worden war.

Jasons Kehle war im Moment so trocken, dass er keinen Ton hervorbringen konnte.

Auch Mindy war wie vom Donner gerührt. Du lieber Himmel! echote es immer und immer wieder in ihrem Kopf. Du lieber Himmel! Ihr Herz setzte für einen Moment aus, um dann wieder heftig zu schlagen. Fassungslos schaute sie den Mann an, der gerade das Büro betreten hatte.

Jason? Jason Mallory?

Es war ihr absolut nicht in den Sinn gekommen, dass das Mallory auf dem Logo an der Tür etwas mit Jason zu tun haben könnte, dem Jungen, von dem sie auf der Highschool vier Jahre lang geträumt hatte. Wie viele Stunden hatte sie damit verbracht, sich vorzustellen, dass das Meer der Schüler auf dem Schulflur sich teilen und Jason auf sie zukommen würde.

Aber ihr Traum war nie Wirklichkeit geworden. Und sie hatte nie den Mut gehabt, Jason anzusprechen, außer am letzten Tag der Highschool. Damals hatte sie sich ihr Jahrbuch unter den Arm geklemmt, war entschlossen auf ihn zugegangen und hatte ihn gebeten, etwas für sie ins Buch zu schreiben. Sie war so aufgeregt gewesen, dass sie Angst gehabt hatte zu stottern, aber irgendwie war es ihr dann doch gelungen, einen zusammenhängenden Satz herauszubekommen, und sie hatte sogar ein Lächeln zustande gebracht.

Ich wünsche dir alles Gute für dein weiteres Leben. Jason.

Das war alles, was er geschrieben hatte. Aber es reichte ihr. Sie hatte wochenlang mit dem offenen Buch neben sich auf dem Kissen geschlafen.

Selbst als sie auf das Northwestern College gegangen war, um Journalistin zu werden, hatte sie noch für Jason geschwärmt. Sie hatte ihn wie einen Star verehrt, den man nur von der Leinwand her kannte. Und auch später hatte sie sich immer wieder die berühmte Frage gestellt: Was wäre gewesen, wenn …

Nur in der ersten glücklichen Zeit mit Brad war das anders gewesen. Aber die war viel zu schnell zu Ende gewesen, und schon bald hatte sie sich wieder in Gedanken vorgestellt, was gewesen wäre, wenn Jason damals anders reagiert hätte. Wenn er sie eingeladen und sie zusammen ausgegangen wären. Hätten sie sich dann verliebt und sogar geheiratet? Was wäre gewesen, wenn sie ihre Ehe in einem Apartment wie ihrem begonnen hätten?

Du lieber Himmel, das Leben war schon komisch. Sie hätte nie geglaubt, dass sie Jason noch mal treffen würde. Doch hier stand er und sah noch besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte.

Jason glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Vielleicht hatte der Stress, dem er ständig ausgesetzt war, schließlich seinen Preis gefordert.

„Mindy?“

Sie konnte nicht denken, konnte keine Antwort formulieren. Ein atemloses „Jason?“ war alles, was sie herausbekam.

Er schluckte nervös und holte tief Luft. „Mindy, was machst du hier?“

Noch während Jason diese Frage stellte, ärgerte er sich über sich selbst. Er klang plötzlich wieder wie der schüchterne Junge auf der Highschool. Was war nur mit ihm los? Er gab für Finanzgenies aus dem ganzen Land Seminare und traf sich regelmäßig mit Managern der bedeutendsten Firmen. Selbst wenn Mindy jetzt tatsächlich vor ihm saß, gab es keinen Grund, seine Selbstsicherheit zu verlieren. Er war ein angesehener Mann, der von allen respektiert wurde. Das konnte auch Mindy nicht ändern.

Also fragte er, was am nächsten lag: „Bist du hier, um dich bei deinen Finanzen beraten zu lassen?“ Sein Beruf gab ihm Sicherheit. Da konnte ihm niemand etwas vormachen.

Aber warum saß sie dann an dem Schreibtisch, der normalerweise von den Assistentinnen besetzt war, die seine Partnerin einstellte und die nie länger als ein paar Monate blieben?

Mindy war nicht in der Lage, den Blick von Jasons Gesicht zu wenden. Du meine Güte, er sieht noch attraktiver als früher aus, dachte sie und ärgerte sich gleichzeitig, dass sie solche Gedanken hatte.

„Nein“, antwortete sie rasch, „ich arbeite hier.“

Jason runzelte die Stirn. Er war nur vier Tage auf Geschäftsreise gewesen. „Seit wann?“

„Seit jetzt.“ Klang das vielleicht zu frech, dachte sie beklommen und warf rasch einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Seit ungefähr zehn Minuten.“

Er runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“ Als er am Mittwochabend das Büro verließ, hatte noch eine junge rothaarige Frau von der Jobvermittlung hinter dem Schreibtisch gesessen. Besaß Mindy Crawford überhaupt ausreichende Qualifikationen für diese Arbeitsstelle?

Mindy wusste, dass sie die Schmetterlinge in den Griff bekommen musste, die in ihrem Bauch um ihre noch winzigen Zwillinge tanzten, wenn sie sich nicht vor Jason übergeben wollte. Schützend legte sie eine Hand auf ihren Bauch und hoffte, dass er diese mütterliche Geste nicht bemerken würde.

„Ms. Dixon hat mich eingestellt“, erklärte sie und versuchte, so professionell wie möglich zu klingen.

„Oh, hat sie das?“ Jason hob die Stimme, als er den Namen seiner Partnerin rief. „Nathalie?“

Die Anstrengung war unnötig. Seine Geschäftspartnerin und enge Freundin war bereits im Türrahmen erschienen. Um Nathalies Mund spielte ein amüsiertes Lächeln.

„Ich sehe, du hast unsere neue Assistentin bereits kennengelernt.“ Nathalies Blick glitt von Jasons gut geschnittenem Gesicht zu dem unglücklichen Ausdruck auf dem Gesicht ihrer neuen Angestellten hinüber. „Oh nein, Jason, du jagst doch unserer neuen Hilfe nicht bereits Angst ein, oder?“ Sie schenkte Mindy ein freundliches Lächeln. „Ich möchte nämlich, dass sie länger bei uns bleibt als die anderen.“

Als Antwort ergriff Jason Nathalies Arm, murmelte in Mindys Richtung eine kaum hörbare Entschuldigung und führte seine Partnerin aus dem Büro. Er schloss die Tür, bevor er sich Nathalie zuwandte. „Was zum Teufel soll das?“

Jason und Nathalie kannten sich schon sehr lange. Bereits auf der Columbia hatten sie zusammen Volkswirtschaft studiert. Nathalie hatte später als die meisten mit ihrem Studium begonnen, und wegen ihres Altersunterschiedes hatte sie Jason als jüngeren Bruder betrachtet, der hin und wieder emotionale Unterstützung brauchte. Sie war auf seiner Hochzeit gewesen und hatte ihn auch die schwierigen Jahre danach begleitet. Sie kannte ihn besser als jeder andere.

„Ich sorge dafür, dass unsere Firma optimal läuft, während du deine Vorhersagen vom Berge Sinai machst, mein Freund.“ Sie blickte ihn prüfend an, als ob sie von seinem Gesicht ablesen könnte, was hinter seinem Verhalten stand. „Wir haben beschlossen, unsere Aufgaben aufzuteilen, erinnerst du dich? Ich sollte mich um die Organisation des Büros und um unsere Kunden kümmern, während du Börse und Markt beobachtest, damit du auch weiterhin die Eingebungen hast, die unsere Firma so bekannt gemacht haben.“ Sie schaute über die Schulter zum vorderen Büro hinüber. „Mindy Richards scheint mir eine intelligente, fähige Frau zu sein, die eine Chance bekommen sollte, ihr Können unter Beweis zu stellen, bevor du sie in Grund und Boden stampfst.“

Richards? War Mindy verheiratet? Erst jetzt fiel ihm auf, dass er gar nicht auf ihre Hand geachtet hatte. Er war zu überrascht gewesen, um auf etwas anderes als auf ihr Gesicht zu schauen.

Natürlich war sie verheiratet. Was hatte er anderes erwartet? Wahrscheinlich hatte man sie sofort nach dem College vom Fleck weg geheiratet. Bei einer Frau wie Mindy hatten die Männer bestimmt Schlange gestanden. Obwohl er sich Mühe gab, konnte er das Gefühl des Verlustes nicht verdrängen, das plötzlich in ihm aufstieg. Erst als Nathalie ihn eindringlich anschaute, fand er seine Sprache wieder. „Wie konntest du sie einstellen, ohne mich zu fragen?“

„Ganz einfach. Ich habe dich noch nie gefragt. Und“, erinnerte sie ihn in diplomatischem Ton, „ich habe bisher auch noch nie etwas gesagt, wenn du sie wieder hinausgegrault hast. Aber ich schwöre dir, Jason, wenn du diese Frau hinausekelst, werden wir ein ernsthaftes Gespräch über dein Verhalten führen müssen.“ Ihre Stimme wurde etwas weicher. „Ich weiß, woher das kommt, aber es ist jetzt über ein Jahr her, dass …“

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Das hat nichts damit zu tun“, erklärte er schroff. Nathalie stand ihm näher als jeder andere Mensch, aber selbst ihr war es nicht erlaubt, eine bestimmte Grenze zu überschreiten.

„Es hat sehr viel mit dir zu tun. Mit dir und mit dem, wie du geworden bist.“

Jason spürte, wie er sich verschloss. Selbst wenn er wollte, er hätte es nicht über sich gebracht, über den Tod von Debra zu sprechen. Genauso wenig wie er über die unglückliche Ehe mit Debra reden konnte. „Hör auf damit, Nat.“

Sie seufzte. Eigensinnig wie sie war, wusste sie dennoch, wann sie aufhören musste, mit dem Kopf gegen eine Mauer zu rennen.

„Also gut. Für jetzt. Und auch nur, weil wir beide noch eine Menge Arbeit vor uns haben“, sagte sie, damit er nicht glaubte, er hätte gewonnen. „Aber ich möchte, dass du dich in der Nähe dieser Frau benimmst, hörst du? Sie braucht diesen Job.“

Warum? fragte er sich. Warum brauchte Mindy einen Job, der nichts mit ihrer eigentlichen Ausbildung zu tun hatte? Warum konnte ihr Ehemann nicht für sie sorgen, bis sie eine passende Anstellung fand, die ihrer Vorbildung entsprach? Das ergab doch keinen Sinn.

Jason schaute seine Partnerin an. „Warum?“

Nathalie sah ihn erstaunt an. „Seit wann interessiert dich das Privatleben deiner Angestellten?“

„Das ist nicht fair.“ Verflixt, so ein Ekel war er nun wirklich nicht. Verärgert steckte er die Hände in die Taschen seiner italienischen maßgeschneiderten Hose.

„Also gut, du hast recht, das war nicht fair von mir.“ Sie legte schwesterlich eine Hand auf seine Schulter. „Aber ich mache mir Sorgen um dich, Jason“, gestand sie. „Ich frage mich, was deine selbst auferlegte Einsamkeit dir noch antun wird.“

Er wusste, dass sie es gut meinte, aber er war nicht in der Stimmung für solch ein Gespräch. „Ich komme gerade von einer Tagung mit dreitausend Leuten zurück“, verteidigte er sich und schüttelte ihre Hand ab.

„Man kann auch inmitten vieler Menschen allein sein. Deine Gedanken können dich isolieren.“ Sie legte den Kopf leicht zur Seite und sah ihn einen Moment an. Dann schien ihr eine Erkenntnis zu kommen, und ihre Augen weiteten sich. „Du kennst sie, nicht wahr?“ Als er keine Antwort gab, fuhr sie fort: „Wer ist sie? Eine ehemalige Freundin von dir? Hattest du etwa eine geheime, leidenschaftliche Affäre mit ihr?“ Sie lächelte. „Oh, Jason, das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

„So war es nicht.“ Verdammt, wie kam sie nur auf derart wilde Vermutungen? Ob sie es nun gut meinte oder nicht, manchmal ging Nathalie ihm wirklich auf die Nerven.

„Ich kenne sie einfach nur.“

„Wie gut?“

„Wir sind zusammen auf die Highschool gegangen. Das ist alles“, betonte er und zog sein Jackett aus. Plötzlich kam es ihm im Büro viel zu warm vor.

Nathalie räusperte sich. „Also gut. Jetzt, da wir wissen, dass Mindy eine mysteriöse Bekanntschaft von dir ist …“

Warum musste Nathalie bloß unbedingt weiterbohren? Konnte sie nicht endlich Ruhe geben. „Es ist nichts Mysteriöses an unserer Bekanntschaft, Nathalie. Ich sagte dir doch …“

Sie schnitt ihm das Wort ab. „Oh, ich bin eher an dem interessiert, was du mir nicht sagst, Jason. Wenn man nur eine harmlose Schulbekanntschaft wiedertrifft, die einen vielleicht mal die Englischhausaufgaben abschreiben ließ, kommt man nicht so aus dem Gleichgewicht wie du im Moment. Da steckt mehr dahinter, darauf würde ich wetten.“

Sie warf ihm einen wissenden Blick zu, und das machte ihn noch wütender. Nathalie hatte Debra nie gemocht, und nach ihrem Tod hatte sie immer wieder versucht, ihn aus seiner Einsamkeit herauszureißen, obwohl er ihr oft genug zu verstehen gegeben hatte, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollte.

„Dann würdest du verlieren, Nathalie.“

„Ich verliere nie.“ Nathalie warf mit einer schwungvollen Kopfbewegung ihr Haar zurück, und ihre wundervolle dunkelrote Pracht fiel wie ein glänzender, seidiger Vorhang über ihre Schultern. „Ich erleide lediglich hin und wieder einen Rückschlag, den ich wiedergutmache, wenn ich nur ausdauernd genug bin.“ Das war ein großartiges Motto für eine Firma, die von der Börse lebte, und es war auch Nathalies Lebensmotto.

„Entschuldigen Sie, ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ Verlegen senkte Mindy die Hand. „Ich habe mehrere Male angeklopft. Doch Sie haben es wohl nicht gehört.“

Mindy hatte an ihrem Schreibtisch gesessen und so getan, als ob sie die lauter werdenden Stimmen nicht gehört hätte. Und sie hatte sich eingeredet, nicht zu ahnen, dass ihre Zukunft von dem Ausgang dieser Diskussion abhängen könnte. Aber es war ihr bewusst, und zwar nur allzu gut. Seit sie in New York angekommen war, hatte sie unzählige Vorstellungsgespräche geführt, und alle waren stets gut verlaufen, bis ihre Ehrlichkeit sie dazu veranlasst hatte, ihrem potenziellen Arbeitgeber zu gestehen, dass sie im dritten Monat schwanger war. Und zwar mit Zwillingen!

Und ich brauche diesen Job unbedingt, hatte sie jedes Mal in Gedanken hinzugefügt.

Zwar wusste sie, dass ihre Eltern sie sofort bei sich aufnehmen würden, aber das war nicht die Art, wie sie ihr neues Leben beginnen wollte. Sie wollte ihren Eltern nicht noch mehr schuldig sein. Es reichte schon, dass sie ihre Tochter emotional unterstützten und ihr Geld geliehen hatten, damit sie sich eine Wohnung anmieten konnte. Auch wenn das Apartment winzig war, es bedeutete ihr viel, endlich wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Und zu ihrer neuen Selbstständigkeit gehörte auch diese Anstellung.

Bis zu diesem Job hatte niemand Platz für eine schwangere Frau gehabt, von der man nicht wusste, ob sie nach der Geburt ihrer Kinder wieder zur Arbeit zurückkommen würde – ob sie es nun beteuerte oder nicht. Aber Nathalie Dixon hatte Verständnis für ihre Lage gezeigt und war bereit gewesen, ihr eine Chance zu geben. Und das bedeutete Mindy unglaublich viel. Die andere Frau war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen.

Es war jedoch offensichtlich, dass sie Jason, den Schwarm aus ihrer Vergangenheit, überzeugen musste, dass sie die Richtige für diese Stelle war. Seltsam, wie das Leben manchmal spielte.

Sie fragte sich, wie viel Nathalie ihm wohl gesagt hatte. Da Jasons Blick jedoch nicht zu ihrem Bauch wanderte, wusste er wahrscheinlich nichts über ihren Zustand. Und das war im Moment das Beste. Sie würde einen Kampf nach dem anderen ausfechten.

„Nein“, sagte Jason schroff und warf Nathalie kurz einen Blick zu, bevor er sich Mindy zuwandte. „Es ist alles in bester Ordnung. Wir besprechen nur, wie wir dich am schnellsten einarbeiten können.“

Sie lächelte erleichtert. Vielleicht würde ja doch alles gut werden. „Das hört sich prima an.“

Das werden wir sehen, fügte Jason schweigend hinzu, das werden wir sehen.

2. KAPITEL

Jason warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war fast siebzehn Uhr. Endlich. Den ganzen Tag über hatte er das Gefühl gehabt, die Minuten würden vorbeikriechen. Er war nicht in der Lage gewesen, sich länger als zehn, fünfzehn dieser ewig dauernden Minuten zu konzentrieren. Wie sehr er auch versuchte, alles andere auszuschalten, seine Gedanken wanderten doch immer wieder zu der Frau hinüber, die im vorderen Büro saß.

Sein Mangel an Selbstdisziplin überraschte und ärgerte ihn gleichzeitig. Es war Jahre her, dass er seine Gedanken so wenig unter Kontrolle hatte.

Selbst nach Debras Tod war es ihm gelungen, den Schmerz und die Schuldgefühle in den Griff zu bekommen und sie in eine Ecke seines Herzens zu verbannen, damit er arbeiten konnte.

Das war damals das Wichtigste gewesen – seine Arbeit. Sie war der Sinn seines Lebens und seine Rettung gewesen. Sehr zur Erleichterung der vielen Anleger, die seine Firma beriet und die sich auf sein Wissen und seine Fähigkeiten verließen. Ohne ihn wären viele in den stürmischen Zeiten, die an der Börse herrschten, verloren gegangen.

Im Moment nütze ich ihnen allerdings gar nichts, dachte er und ärgerte sich über sich selbst.

Mit einem Seufzer schloss er den Ordner mit den Berichten, die er ohne großen Erfolg in der letzten halben Stunde durchgearbeitet hatte. Dann erhob er sich und fuhr sich mit der Hand durch das Haar.

Die Julisonne schien durch das Fenster, und er sah sein Spiegelbild in der Glasscheibe. Er bezweifelte, dass ihm irgendjemand ansehen würde, was in ihm vorging, genauso wenig wie die Lehrer und Mitschüler auf der Highschool damals von seiner Leidenschaft für Mindy gewusst hatten. Er hatte früh gelernt, seine Gefühle zu verbergen.

Aber deswegen waren diese Gefühle weder damals noch heute weniger real und intensiv gewesen.

Ich muss aufhören, so emotional auf Mindy zu reagieren, rief er sich zur Vernunft. Allerdings wusste er im Moment noch nicht, wie ihm das gelingen sollte. Hinzu kam, dass sie wirklich gut war und sich sofort mit Feuereifer in die Arbeit gestürzt hatte. Im Gegenteil zu den vielen kurzfristigen Aushilfen, die bereits durch sein Büro marschiert waren, brauchte er ihr eine Sache niemals doppelt zu erklären. Sie tat auch nicht so, als würde er in irgendeiner unbekannten Sprache mit ihr reden. Die Sprache der Finanzwelt war vielen Menschen völlig unverständlich, doch wenn Mindy ihn mit ihren strahlend blauen Augen anschaute, merkte er, dass sie begriff, was er sagte. Und das machte sie nach seiner Vorstellung zu einer ganz besonderen Person.

Aber das hatte er auch schon vorher gewusst.

Jason massierte sich die Schläfen, in denen es bedrohlich zu pochen begonnen hatte. Was ich jetzt brauche, ist ein ordentlicher Drink, dachte er. Er trank nicht oft Alkohol, aber diese Situation verlangte geradezu nach einem Whiskey.

Als es an der Tür klopfte, zuckte er unwillkürlich zusammen. Nathalie klopfte nur äußerst selten an, sie kam normalerweise einfach herein. Der Gedanke, dass es einer seiner Mitarbeiter sein könnte, kam ihm erst gar nicht. Er wusste, dass sie es war.

Mindy.

„Komm herein.“

Und er hatte recht. Im nächsten Moment stand Mindy mit einem unsicheren Gesichtsausdruck im Türrahmen.

Er war es nicht gewohnt, sie so zu sehen. Die Mindy Conway, an die er sich erinnerte, war das Selbstvertrauen in Person gewesen. Strahlend und von sich selbst überzeugt.

Aber sie war nicht mehr Mindy Conway. Sie ist jetzt Mindy Richards, erinnerte er sich. Außerdem wirkte sie im Moment völlig verschüchtert und unsicher.

Was ist nur mit ihr geschehen? fragte er sich.

Mindy räusperte sich. Das letzte Mal, als er sie so verlegen gesehen hatte, hatte sie sich zwei verschiedenfarbige Schuhe angezogen und es erst bemerkt, als sie bereits im Klassenzimmer war.

„Es ist Büroschluss, und ich wollte …“

Die Worte hörten sich irgendwie falsch, irgendwie gestelzt an. Sie hatte plötzlich das Gefühl, sich im falschen Film zu befinden. Oder in einem Albtraum.

Mindy biss sich auf die Unterlippe und versuchte es erneut. Die Worte hörten sich immer noch seltsam an. Oder vielleicht war es nur die Situation. Hier stand sie nun und spielte Büro mit jemandem, den sie sich einst mit nur knapper Badehose bekleidet vorgestellt hatte. Schon auf der Highschool hatte sie Jasons breite Schultern und seine schmalen Hüften bewundert.

„Gibt es noch etwas, was ich für Sie tun kann, Mr. Mallory?“, erkundigte sie sich.

Autor

Marie Ferrarella
<p>Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...
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