Riskantes Spiel mit der Liebe

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Völlig aufgelöst steht sie vor ihm. Kate ist tatsächlich vor ihrer eigenen Hochzeit mit seinem alten Studienkollegen geflohen! Seth Bolton nimmt sich der aufgeregten Braut an - und schon nach kurzer Zeit entbrennt in ihm heiße Leidenschaft für Kate. Ihr Lächeln bezaubert ihn. Auch in ihrem Blick sieht er Begierde funkeln. Doch Seth weiß: Eine Beziehung mit Kate hat keine Zukunft. Sein Vater verlangt, dass er das Land verlässt, um für das Familienunternehmen zu arbeiten. Und Kate kann nicht mitkommen …


  • Erscheinungstag 27.11.2018
  • Bandnummer 2057
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724481
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wenn es etwas gab, wozu Seth Bolton heute Abend eigentlich überhaupt keine Lust hatte, dann war es die Hochzeit eines Typen, den er vom College kannte.

Vor allem deshalb, weil er Roger Caputo noch nie wirklich hatte leiden können. Auf dem College hatte Seth drei höllisch lange Monate mit Roger zusammengewohnt, weil Seths eigentlicher Zimmergenosse abgesprungen war und er die Miete sonst nicht hätte zahlen können, ohne seine Familie um Hilfe zu bitten. Dass Roger bereits kurz vor dem Abschluss stand und keinen anderen WG-Partner gefunden hatte, hätte Seth eine Warnung sein sollen.

Roger war kein wirklich schlechter Mensch, er war einfach nur ein Idiot. Verwöhnt, rücksichtslos, egoistisch – in seiner Person manifestierten sich sämtliche Vorurteile über privilegierte, weiße junge Männer.

Seth hatte keine Ahnung, wer so dumm sein konnte, Roger zu heiraten, aber anscheinend gab es da jemanden. Die Frage war, sollte er diese Frau bedauern oder nicht?

Er gab Gas und lenkte seine Maschine durch die kurvigen Black Hills. Die Hochzeit sollte um halb sechs beginnen, er war bereits spät dran und musste noch fünfzehn Meilen weit fahren.

Aus ihm unerfindlichen Gründen fand die Hochzeit in einem Resort tief in den Black Hills statt, vierzig Minuten von Rapid City entfernt.

Wieso suchten Leute sich solch einen abgelegenen Ort für ihre Hochzeit aus? Okay, die Antwort präsentierte sich ihm gerade. Die spätsommerliche Sonne stand bereits tief am Himmel und warf ihre leuchtenden Strahlen über die Berge. Die wirkten im Moment nicht schwarz, sondern waren in goldenes Licht getaucht.

Es sah schon toll aus, wobei er darauf jedoch kaum achten konnte, als er die nächste Kurve noch schneller durchfuhr. Roger musste schon eine bemerkenswerte Frau gefunden haben, wenn sie sich inmitten all dieser Schönheit an ihn binden wollte.

Vielleicht hatte der Idiot sich ja auch verändert. War ja möglich. Schließlich war Seth auch mal ein impulsiver, rastloser Jugendlicher gewesen, der ein Auto geklaut und einem erwachsenen Mann ins Gesicht geschlagen hatte, weil der es gewagt hatte, seiner Mutter das Herz zu brechen. Glücklicherweise hatte der Mann, Billy Bolton, seine Mutter dann doch geheiratet und Seth adoptiert. Aber so war er damals drauf gewesen.

Vielleicht bin ich immer noch ein wenig impulsiv, überlegte er, während er mit überhöhter Geschwindigkeit die Straße entlangraste. Und ja, rastlos war er auch immer noch. Schließlich hatte er gerade ein Jahr in Los Angeles verbracht. Inzwischen konnte er jedoch seine destruktiven Tendenzen besser kontrollieren.

Menschen konnten sich also ändern. Vielleicht war aus Roger ein netter, anständiger Kerl geworden.

Die Straße wand sich um einen Felsvorsprung, und Seth lehnte sich in die Kurve, während das schwere Motorrad zwischen seinen Beinen vibrierte. Es war ein brandneues Modell, das er jetzt noch einmal austestete. Es lief wie geschmiert, als er die nächste Kurve nahm und sich weit auf die Seite legte. Seth verspürte einen Anflug von Stolz, weil er dieses Motorrad mit entwickelt hatte.

Seinem Vater und dessen Brüdern Ben und Bobby Bolton gehörte die Firma Crazy Horse Choppers, die handgefertigte Motorräder in Rapid City hier in Süddakota herstellte. Die Firma war von deren Vater, Bruce Bolton, gegründet worden, aber erst die drei Bolton-Brüder hatten aus dem Einmannbetrieb ein florierendes Unternehmen mit sechzig Angestellten und einer Viertelmillion Dollar Gewinn gemacht.

Da Seth ohne Vater aufgewachsen war, hatte er nie damit gerechnet, Teil eines Familienbetriebes zu werden. Doch als Billy ihn vor zehn Jahren adoptiert hatte, war er von den Boltons mit offenen Armen aufgenommen worden.

Und jetzt? Jetzt war Seth ein vollwertiger Partner bei Crazy Horse Choppers.

Noch immer konnte er nicht fassen, was gestern passiert war. Sein Dad und seine Onkel hatten ihn ins Büro gebeten und ihm einen gleichberechtigten Anteil an der Firma angeboten. Und Seth war kein Trottel. Er hatte natürlich Ja gesagt.

Im Alter von fünfundzwanzig Jahren war er nun Millionär. Multimillionär. In Anbetracht der Tatsache, dass er und seine Mom früher manchmal auf die Wohlfahrt angewiesen waren, war das ein ziemlicher Schock.

Aber Seth wusste, dass es sich hier nicht nur um Vetternwirtschaft handelte – er arbeitete hart mit daran, Crazy Horse Choppers erfolgreich zu machen. Er war gerade von seinem einjährigen Aufenthalt in Los Angeles zurückgekehrt, wo er den Ausstellungsraum der Firma betrieben und sämtliche Promis davon zu überzeugen versucht hatte, dass ein Crazy Horse Chopper perfekt für ihr Image war. Und er hatte seinen Job mehr als gut gemacht. Rich McClaren mit einer Crazy-Horse-Maschine über den roten Teppich bei der Oscar-Verleihung fahren zu lassen, direkt, bevor er die Trophäe gewann? Das war Seths Idee gewesen. Die kostenlose Werbung hatte die Verkaufszahlen um acht Prozent in die Höhe schnellen lassen.

Selbst jetzt war er nicht einfach nur auf dem Weg zur Hochzeit eines alten Kumpels. Eine schnelle Internetsuche hatte ergeben, dass Roger Teilhaber einer Immobilienfirma war und somit zu den aufstrebenden Geschäftsleuten von Rapid City gehörte. Und nach einem Jahr in L. A. war auch Seth zurück in dieser Stadt. Vielleicht sogar dauerhaft. Also hatte er vor, ebenfalls zu der aufstrebenden Generation in Rapid City zu gehören.

Er raste durch eine Kurve, bemerkte aber etwas, was ihn die Geschwindigkeit drosseln ließ. An einem Aussichtspunkt stand eine Limousine, allerdings stimmte da irgendetwas nicht. Seth konnte nicht schnell genug bremsen, um direkt anzuhalten. Aber er wurde langsamer, um einen genaueren Blick riskieren zu können.

Da war definitiv irgendetwas nicht in Ordnung. Die Limousine parkte in einem merkwürdigen Winkel, die hintere Stoßstange ragte auf die Straße. Saß da jemand hinter dem Lenkrad? Draußen stand jedenfalls niemand, der die Aussicht genoss.

Er war schon spät dran, aber guten Gewissens konnte er nicht weiterfahren. Also wendete er und fuhr zurück. Ob sein Telefon hier draußen überhaupt Empfang hatte? Denn wenn das hier nicht irgendein verrückter Fotograf war, der Hochzeitsfotos schießen wollte, sondern ein Notfall …

Der Motor der Limousine lief noch, als Seth daneben parkte. Er erschrak, als er feststellte, dass der Vorderreifen auf der Beifahrerseite keinen richtigen Bodenkontakt mehr hatte. Der Fahrer hatte gerade noch rechtzeitig angehalten, ehe das Rad ganz über den Abhang ragte. Jetzt aufs Gaspedal zu treten würde garantiert den Tod bedeuten.

Er sprang von seiner Maschine und lief zur Fahrerseite. Er hatte sich nicht getäuscht, es saß jemand hinter dem Steuer. Eine Frau. In einem Hochzeitskleid.

Sie weinte nicht, aber ihre Augen waren weit aufgerissen, als sie in die Ferne starrte. Ihre Gesichtsfarbe sah ungesund aus, ein bläuliches Grau, und das Lenkrad umklammerte sie mit eisernem Griff. Sie sah aus, als hätte jemand ihren Hund erschossen. Oder ihre Hochzeit ruiniert.

Abgesehen von all dem war sie vermutlich die schönste Frau, die Seth je gesehen hatte.

Wie viele Bräute liefen in diesem Teil von Süddakota wohl herum? War das Rogers Braut? Wenn ja, was tat sie hier? Wo war Roger?

Er klopfte an die Scheibe auf der Fahrerseite. „Ma’am“, sagte er in einem, wie er hoffte, beruhigenden Tonfall. „Könnten Sie die Scheibe herunterlassen?“

Sie rührte sich nicht.

„Entschuldigen Sie? Ma’am?“ Dieses Mal versuchte er es mit der Autotür und, oh Wunder, stellte fest, dass sie nicht verriegelt war. Als er sie öffnete, fuhr die Frau zu ihm herum. Im selben Moment geriet die Limousine ins Schaukeln.

„Wo kommen Sie denn her?“

„Hallo“, sagte Seth und hielt die Tür fest, als könnte er damit verhindern, dass der Wagen den Abhang hinunterstürzte. „Ich stelle den Motor mal aus, okay?“

Sie blinzelte. „Was?“

Seth beugte sich in den Wagen und behielt dabei die Frau im Auge, falls sie ausrasten sollte. Zum Glück war die Automatik auf „Parken“ gestellt. „Ich bin Seth“, stellte er sich vor, als er den Zündschlüssel herauszog. „Wie heißen Sie?“

Seth hatte nicht damit gerechnet, dass sie laut auflachen würde, als hätte er gerade einen Witz gerissen. Offensichtlich war sie nicht ganz zurechnungsfähig. Denn genauso schnell, wie sie angefangen hatte zu lachen, erstarb das Lachen wieder und wurde von einem erstickten Schluchzen ersetzt.

„Ich bin mir nicht sicher.“

Ganz schlechtes Zeichen. Er musste sie aus dem Wagen herausbekommen. „Wollen Sie nicht mit mir reden? Da drüben ist eine Bank mit einer wunderschönen Aussicht auf den Sonnenuntergang.“ Er versuchte es klingen zu lassen, als wäre er nur wegen der Aussicht hier.

„Sie werden mir nicht sagen, dass ich heiraten soll, oder?“

Seth schüttelte den Kopf. „Sie haben sicherlich Ihre Gründe, warum Sie hier sind. Und ich wette, es sind gute Gründe.“

Sie blinzelte ihn noch einmal an und zog die Augenbrauen zusammen. Er merkte, dass sie langsam wieder zu sich kam.

„Sind Sie auch aus einem bestimmten Grund hier?“

Er schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. „Alles geschieht aus einem bestimmten Grund.“

Als sie diesmal anfing zu lachen, war er darauf vorbereitet. Er lachte mit ihr, als wären sie in einem Comedy-Club in L. A. und nicht an der Kante eines Aussichtspunktes in den Black Hills. Er streckte ihr eine Hand hin und verbeugte sich. „Seth Bolton, zu Ihren Diensten.“

Einen Moment lang starrte sie ihn einfach nur an, als wäre er ein Tyrannosaurus Rex. „Ich bilde Sie mir nicht nur ein, oder? Denn Sie sehen irgendwie perfekt aus, und ich habe gerade ein totales Chaos angerichtet.“

„Ich bin echt, glaube ich jedenfalls“, scherzte er und erntete ein kleines Lächeln. Er streckte ihr noch immer die Hand hin, das Bild eines perfekten Gentlemans. Nimm sie, dachte er. Er würde sich definitiv besser fühlen, sobald sie auf festem Boden neben ihm stand.

Sie legte ihre Hand in seine, und Seth musste sich beherrschen, die Frau nicht mit einem Ruck aus dem Auto zu ziehen – und in seine Arme. Stattdessen umschloss er ihre Hand ein wenig fester als nötig und wartete, bis sie die Füße nach draußen geschwungen hatte und ausgestiegen war. Die vielen Lagen ihres Hochzeitskleides bauschten sich um ihre Beine – Seide, Satin und Chiffon und all diese Stoffe, die auch seine Tante Stella für ihr Mode-Label verarbeitete.

Er nahm nicht an, dass dies eins von Stellas Kleidern war. Seine Tante kreierte nämlich klassische Kleider, die trügerisch schlicht wirkten.

An diesem Kleid war jedoch nichts Schlichtes. Die Braut sah ein bisschen aus wie ein Cupcake, an dem mit Glitzer und Streuseln nicht gespart worden war. Der Rock wirkte riesig mit unzähligen Stofflagen, Rüschen und Spitze. Wie hatte sie in diesem Monstrum überhaupt hinter das Lenkrad gepasst?

Ihr goldbraunes Haar war zu einer komplizierten Hochsteckfrisur aufgetürmt. Allerdings begann sie bereits sich aufzulösen und hatte Schlagseite bekommen. Perlen in Tropfenform hingen von ihren Ohren und um ihren Hals, aber am Finger der linken Hand steckte kein Ehering.

Wie sie wohl aussah, wenn sie nicht als Braut verkleidet war? Alles, was Seth sehen konnte, waren ihr Gesicht und die nackten Schultern. Und ihr Ausschnitt, der zugegebenermaßen umwerfend war. Er versuchte krampfhaft, nicht hinzustarren, trotzdem spannte sich sein Körper lustvoll an. Er fühlte sich instinktiv zu dieser Frau hingezogen und konnte nichts dagegen unternehmen.

Sie ist hinreißend, stellte er fest, als sie den Blick hob, um ihn anzuschauen. Sie besaß ein herzförmiges Gesicht und Augen in einem so tiefen Grünton, wie er es noch nie gesehen hatte. Es waren Augen, in denen ein Mann sich verlieren konnte, wenn er nicht vorsichtig war.

Doch Seth war vorsichtig. Immer.

Er wusste genau, was passierte, wenn ein Mann wegen einer Frau den Kopf verlor. Also, so viel stand fest: Er würde sich nicht in ihren Augen verlieren. Oder in irgendeinem anderen ihrer Körperteile. Sie mochte eine Göttin sein, aber sie hatte anscheinend einen richtig schlechten Tag erwischt, und er würde nichts tun, um das noch zu toppen.

Daher bemühte er sich, die intensive Anziehungskraft zu ignorieren.

Sie war nichts für ihn. Er sollte ihr nichts weiter als eine helfende Hand anbieten.

„Hallo.“ Er schenkte ihr noch ein Lächeln, eins, das schon so manches Herz gebrochen hatte. „Ich bin Seth“, wiederholte er, weil er nicht sicher war, dass sie ihn beim ersten Mal wahrgenommen hatte.

„Kate“, erwiderte sie mit zittriger Stimme. Sie hatte ihm ihre Hand noch nicht entzogen. Seth machte einen vorsichtigen Schritt zurück – weg von der Limousine – und atmete auf, als Kate ihm folgte. „Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich mit Nachnamen heiße. Ich glaube, ich habe nicht geheiratet. Eigentlich bin ich ziemlich sicher, dass ich noch vor dem Teil abgehauen bin.“

Schon so manches Mal hatte Seth Menschen erlebt, die nach Unfällen laufen, reden und absolut normal funktionieren konnten, obwohl sie unter Schock standen. Große Kerle, die von ihren Maschinen gestürzt waren, noch herumliefen und Witze rissen, obwohl ihnen der Arm ausgekugelt war. Erst später, wenn das Adrenalin verpufft war, spürten sie den Schmerz.

War es in diesem Fall genauso? War sie verletzt? So unauffällig wie möglich ließ er den Blick über sie gleiten, fand jedoch keine Verletzungen, also stand sie wohl nur unter einem mentalen Schock.

„Kate“, sagte er mit warmer, freundlicher Stimme. „Das ist ein hübscher Name. Wie sollte Ihr Nachname denn lauten?“

„Burroughs“, sagte sie fest. „Ich will nicht Kate Caputo sein. Das geht nicht.“

Seth atmete tief aus. Das beantwortete eine seiner Fragen.

Er hatte Rogers entlaufene Braut gefunden.

2. KAPITEL

Kate hatte das Gefühl, zu träumen. Alles wirkte so verschwommen, wurde aber langsam klarer. Wie viel Zeit war vergangen? Ein paar Stunden? Ein paar Tage? Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war …

Sie hatte in dem kleinen Raum gesessen, in dem die Braut sich fertigmachen konnte, und hatte in den Spiegel geschaut, während sie gegen die Übelkeit angekämpft hatte. Weil sie schwanger war und weil sie Roger heiraten sollte und … und …

„Ganz ruhig“, sagte eine kräftige männliche Stimme.

Sie blickte hinab und sah, dass ihre Hand von einem Mann gehalten wurde, der nicht Roger war und der nicht in dem Resort gewesen war, das sie wegen des spektakulären Sonnenuntergangs ausgesucht hatte. Nichts hier wirkte vertraut. Schon gar nicht dieser Mann. Sie würde sich nämlich an ihn erinnern. „Ich weiß nicht …“

Der Mann schlang einen Arm um ihre Taille, und obwohl sie nicht wusste, wer er war oder was hier los war, lehnte sie sich an ihn. Es fühlte sich richtig an, angenehm. Sicher. Wer auch immer er war, er bot ihr Sicherheit. Vielleicht wurde ja doch noch alles gut. Am liebsten hätte sie vor Erleichterung losgeheult.

„Ich halte Sie“, sagte er und klang so ruhig, obwohl ihre Welt gerade aus den Fugen geraten war. „Es ist alles in Ordnung.“

Darüber musste sie lachen. „Nein, ist es nicht.“

„Es ist nicht so schlimm, wie Sie denken, ehrlich. Roger wird drüber hinwegkommen und Sie auch.“

Sie war sich nicht sicher, ob sie das glauben sollte, aber er verstärkte den Griff um ihre Taille und führte sie zu einer Bank. Sie konnte sich nur noch auf diesen Mann konzentrieren, diesen Mann mit den dunklen Haaren, den dunklen Augen und der gebräunten Haut. Er trug eine Motorradjacke über einer Anzughose.

„Sie sind ganz kalt“, sagte er und nahm ihre Hand, um sie zwischen seinen zu reiben.

„Ja?“ Hm, jetzt, da sie darüber nachdachte, merkte sie, dass es frisch geworden war. So behutsam, wie er mit ihr sprach, klang er wie jemand, der versuchte, einen Vogel mit einem gebrochenen Flügel einzufangen.

Plötzlich begriff sie, was er gesagt hatte. „Sie … Sie kennen Roger?“

Der Mann … Hieß er Seth? Hatte er ihr diesen Namen genannt?

Seth nickte. „Ich habe mit ihm im College zusammengewohnt.“

Er stand auf und zog sich seine Lederjacke aus, und obwohl Kate einen schrecklichen Tag hatte, registrierte sie, wie fantastisch dieser fremde, mitfühlende Mann sein Oberhemd ausfüllte. Er trug sogar eine Krawatte, aber bei ihm sah das nicht einmal spießig aus, sondern fast ein wenig gefährlich.

„Offen gestanden denke ich, dass Sie die richtige Entscheidung getroffen haben“, fuhr er fort, während er ihr die Jacke um die Schultern legte. „Jedenfalls, wenn er sich nicht grundlegend geändert hat und zu einem besseren Menschen geworden ist.“

„Nein, ich denke nicht, dass das passiert ist“, erwiderte sie leise. Seine Jacke war warm und weich, und Kate fühlte sich gleich viel besser. Ihr war schon viel zu lange kalt gewesen. Es war gut zu wissen, dass es auf dieser Welt noch Wärme gab.

Erst im Nachhinein fiel ihr auf, was sie gesagt hatte. „So habe ich das nicht gemeint“, korrigierte sie sich schnell und spürte, dass sie rot wurde. Sie blinzelte. Seth schaute sie aufmerksam an, etwas, was sie gar nicht mehr gewöhnt war. Roger jedenfalls hörte ihr nie so zu.

Aber allein der Gedanke bereitete ihr ein schlechtes Gewissen. Sie hätte Roger heute heiraten sollen und hatte es nicht getan. Sie brauchte nicht noch Salz in die Wunde zu streuen, indem sie Roger beleidigte. „Ich meine, er ist kein schlechter Kerl. Er ist ein guter Fang.“ Auf dem Papier.

Auf dem Papier könnte man Roger als gut aussehend und gebildet beschreiben. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Auf dem Papier war er perfekt.

Sie konnte ein Stück Papier aber nicht heiraten.

Sie war kurz davor gewesen, einen Mann aus Fleisch und Blut zu heiraten, der sie nicht liebte. Davon war sie inzwischen überzeugt.

„Selbst wenn er sich irgendwie auf wundersame Weise in einen guten Fang verwandelt haben sollte, was ich bezweifle …“, sagte Seth und fischte etwas aus seiner Hosentasche, bevor er sich wieder zu ihr setzte, „… bedeutet das nicht, dass er ein guter Fang für Sie ist.“

Kate stockte fast der Atem, als Seth sich zu ihr beugte, ihr Kinn anhob und ihr in die Augen sah. Sie wusste, sie sollte sich jetzt schnellstens zurückziehen. Sie konnte nicht zulassen, dass dieser Fremde sie küsste. So eine Frau war sie nicht.

Sie war Kate Burroughs. Das einzige Kind von Joe und Kathleen Burroughs. Eine Maklerin, die für ihre Eltern bei Burroughs Realty, einer Immobilienfirma, arbeitete. Ach nein, jetzt war es ja Burroughs & Caputo.

Sie war keine Frau, die Aufsehen erregte. Sie tat immer das Richtige. Sie bekam gute Noten und verkaufte Häuser. Sie wurde nicht unverhofft schwanger. Und sie ließ definitiv nicht ihren Bräutigam am Altar sitzen, und unter keinen Umständen konnte sie sich zu einem Mann hingezogen fühlen, der nicht ihr Verlobter war.

Jedenfalls war sie gestern noch diese Frau gewesen. Ganz offensichtlich war sie es heute nicht mehr.

Er hatte so nette Augen. Tiefbraun und sanft, und trotzdem wirkte er auch ein wenig gefährlich. Für sie stellte er auf jeden Fall eine Gefahr dar, denn er würde sie küssen, und sie würde es zulassen, und das war etwas, was die Frau, die sie gestern noch gewesen war, niemals erlaubt hätte.

„Es wird alles gut“, sagte er leise. Und dann berührte er ihre Wangen. Mit einem Taschentuch.

Kate war gar nicht bewusst gewesen, dass sie weinte, bis Seth ihr die Tränen abwischte.

Als er fertig war, drückte er ihr das Taschentuch in die Hand und lehnte sich zurück. Auch wenn sie es kaum für möglich gehalten hatte, aber das Ganze wurde ihr noch peinlicher. Ehrlich, Kate? Ehrlich? Sie drehte hier völlig durch und wollte dann auch noch diesen Fremden küssen?

Sie hatte den Verstand verloren. Das war die einzig vernünftige Erklärung.

Erleichtert sah sie, dass Seth seinen Blick wieder auf die Landschaft richtete. Die Sonne stand bereits sehr tief, und um sie herum war alles in leuchtendes Rot und Orange getaucht.

„Von einer Hochzeit Reißaus zu nehmen …“, sagte er langsam, „… ist sicher nicht leicht gewesen. Sie fühlen sich bestimmt …“

„Wie eine Idiotin“, ergänzte sie verbittert.

„Verwirrt“, korrigierte Seth. „Sie versuchen sich einzureden, dass Sie zurückgehen sollten, aber Ihr Instinkt hat Sie dazu bewogen, die Flucht zu ergreifen. Und es ist immer eine gute Idee, auf sein Bauchgefühl zu hören.“

„Sie haben leicht reden. Ihre Eltern haben ja auch nicht Tausende von Dollar für eine Traumhochzeit ausgegeben und Hunderte von Gästen eingeladen, die sich alle wundern, wo zum Teufel Sie abgeblieben sind und was mit Ihnen nicht stimmt.“

Er schnaubte kurz, als hätte sie etwas Dummes gesagt, statt die Fakten darzulegen.

„Korrigieren Sie mich, wenn ich falschliege, aber Ihre Eltern müssen Roger ja auch nicht heiraten. Und auch keiner der Gäste. Sie können natürlich gute Miene zum bösen Spiel machen wegen all der Kosten für den Empfang, aber am Ende des Tages sind Sie diejenige, die mit ihm nach Hause gehen muss. Für den Rest Ihres Lebens.“

Sie erschauderte unwillkürlich. Seth legte ihr einen Arm um die Schultern, und schwach, wie sie war, lehnte sie sich an ihn.

Er fuhr fort: „Wenn er sich nicht geändert hat, dann wollen Sie nicht Ihr Leben lang an ihn gebunden sein.“

Sie schniefte und ließ den Tränen freien Lauf. Seth war warm, und er roch so gut. „Will ich auch nicht. Wirklich nicht.“

„Ihn am Altar sitzen zu lassen ist immer noch billiger und einfacher als eine Scheidung“, stellte er fest. „Es ist besser, sich jetzt blöd vorzukommen, als morgen früh aufzuwachen und genau zu wissen, dass Sie einen schrecklichen Fehler begangen haben. Außerdem, wenn Sie feststellen, dass Sie ihn doch hätten heiraten sollen, dann können Sie das immer noch tun. Wenn er Sie wirklich liebt, dann wird er es verstehen.“

Das war genau das, was sie hören wollte, denn es entsprach genau dem, was sie in ihrem Herzen fühlte. Sie hatte ein schreckliches Chaos für Roger und ihre Eltern angerichtet, und natürlich wollte sie weder ihn noch ihre Familien und Freunde beschämen.

Aber letztendlich war sie diejenige, die mit Roger leben musste. Und sie wusste, dass diese Ehe nicht bis an ihr Lebensende halten würde. Wie lange würden Roger und sie es miteinander aushalten? Ein Jahr? Drei Jahre? Die Scheidung – und es würde bestimmt dazu kommen – würde schrecklich werden. Vor allem wegen des Babys.

Sie verlor jegliches Zeitgefühl, während sie leise an Seths Schulter weinte und die Sonne unterging. Es war wirklich ein wunderbarer Spätsommerabend. Perfekt für eine Hochzeit.

Und wo war sie? Heiratete sie ihren Märchenprinzen? Feierte sie? Nein.

Sie saß auf einer Bank mit einem Mann zusammen, der einmal mit Roger zusammengewohnt hatte. Ein Mann, der verstand, dass Roger auf dem Papier sehr viel besser wirkte als in echt.

Ein Mann, der sie nicht für verrückt hielt, weil sie vor ihrer eigenen Trauung davongelaufen war.

„Ich bin schwanger“, verkündete sie, weil sie es bisher noch niemandem hatte erzählen können und weil diese drei kleinen Wörter ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatten.

Seth versteifte sich und meinte dann mit viel zu lässig klingender Stimme: „Oh?“

„Roger ist der Vater“, fuhr sie hastig fort. „Ich gehöre nicht zu denen, die ihren Verlobten betrügen würden.“ Ironischerweise gehörte sie aber zu denen, die ihren Verlobten vor dem Altar stehen ließen. Was sagte das über sie aus? „Es ist sein Kind, und ich sollte vermutlich zu ihm zurückkehren und ihn heiraten, weil wir ein Baby bekommen.“

Seth antwortete nicht, sprang aber auch nicht auf, um sie schnurstracks zurück zur Limousine zu bringen. Zurück ins Verderben.

Moment mal. Wie kam die Limousine hierher? Hatte sie die etwa geklaut?

Und war es Diebstahl, obwohl sie sie samt Fahrer für den gesamten Abend gemietet hatte?

„Jetzt mal ganz langsam“, sagte Seth schließlich. Sie konnte seine Stimme fast körperlich spüren, warm und beruhigend. „Auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben, aber Menschen bekommen ständig Babys, ohne verheiratet zu sein. Das heißt noch lange nicht, dass Sie Ihr Kind von Anfang an dem Verderben preisgeben.“

„Woher wollen Sie das wissen?“ Konnte er etwa Gedanken lesen?

Sein Arm schloss sich noch fester um ihre Schultern. „Weil ich es selbst erlebt habe, Kate. Ich passe auf, dass Ihnen nichts passiert, versprochen. Und jetzt …“, fuhr er fort, während sie noch nach Luft schnappte angesichts dieses ehrlich gemeinten Versprechens, etwas, was Roger niemals über die Lippen gekommen war, „… verraten Sie mir doch einmal, woher die Limousine kommt. Ach, und außerdem finde ich, dass wir uns duzen sollten.“

„Äh … in Ordnung.“ Sie richtete sich auf und wischte sich erneut die Tränen ab. Gleichzeitig konzentrierte sie sich auf den Wagen. „Stein vielleicht?“ Das hörte sich gut an. Stein-Limousinen. Das klang irgendwie vertraut.

„Ron Stein? Er ist ein toller Typ.“

Verwirrt starrte sie ihn an. „Du kennst den Mann mit der Limo?“ Sie wusste nicht einmal, wie Seth mit Nachnamen hieß, aber er kannte Roger und auch den Mann mit der Limousine. Gab es jemanden, den er nicht kannte?

„Er fährt auch Motorrad“, erwiderte Seth, als würde das alles erklären. „Ich versuche mal, ihn zu erreichen, um ihm zu sagen, wo sein Wagen ist. Aber du bleibst hier, okay?“

„Als wenn ich irgendwo hingehen könnte. Ich werde jedenfalls nicht nach Hause laufen.“ Sie wackelte mit den Zehen und stellte fest, dass sie nicht einmal Schuhe anhatte. Wo zum Teufel waren die denn geblieben?

Aber der Gedanke, nach Hause zu fahren, ließ sie zusammenzucken. Sie hatte ein Zuhause … zusammen mit Roger. Sie hatten es im letzten Jahr gekauft, nachdem sie endlich das Datum für die Hochzeit festgelegt hatten. Es war ein Zeichen ihrer Verbundenheit gewesen.

Autor

Sarah M Anderson
<p>Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
Mehr erfahren