Romana Exklusiv Band 250

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DIE RACHE DES GRIECHEN von GREEN, ABBY
Nicht einmal in seiner Traumvilla in Athen traut sich Kallie, dem griechischen Reeder Alexandros Kouros die Wahrheit zu sagen: Sie wollte seine Verlobung damals nicht zerrütten - sie wollte seine Liebe! Und keineswegs diese Scheinehe, zu der er sie nun zwingt …

VERFÜHRUNG UNTER SPANISCHEN STERNEN von HAMILTON, DIANA
Glück im Unglück. Der Job als Haushälterin kommt Izzy gerade recht. Doch als sie das Castillo der mächtigen Garcia-Familie erreicht, stockt ihr der Atem: Herrlich wäre es hier! Wenn Cayo Garcia ihr nur keine böse Absichten unterstellen würde - ohne sie wirklich zu kennen …

GESTÄNDNIS AUF DER JACHT von GRAHAM, LYNNE
Diese Frau hat ein Geheimnis - das spürt der italienische Millionär Sergio Torrente sofort, als er Kathy nachts in seinem Büro überrascht. Verbirgt sie etwas vor ihm? Um das herauszufinden, lädt er Kathy auf seine Luxusjacht ein. Und tappt womöglich in eine Liebesfalle …


  • Erscheinungstag 24.10.2014
  • Bandnummer 250
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740122
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Abby Green, Diana Hamilton, Lynne Graham

ROMANA EXKLUSIV BAND 250

ABBY GREEN

Die Rache des Griechen

Die Fotos in den Hochglanz-Magazinen präsentieren den griechischen Multimillionär Alexandros Kouros und die hinreißend schöne Kallie als heiß verliebtes Paar. Dabei hat er sie nur aus Rache zur Heirat gezwungen. Dass Kallie sein Leben zerstörte, soll sie ihm büßen! Bis sein brennendes Verlangen nach ihrem verführerischen Körper ein für alle Mal gestillt ist …

DIANA HAMILTON

Verführung unter spanischen Sternen

Wie konnte sein Onkel nur dieser Frau vertrauen? Im malerischen Ambiente seiner Villa in Cadiz will Cayo Garcia die junge, hübsche Izzy als Erbschleicherin enttarnen! Wenn er sie nun mit Luxus überschüttet, wird sie sich schnell verraten! Davon ist er überzeugt. Doch in einer heißen Liebesnacht macht der mächtige Tycoon eine folgenschwere Entdeckung …

LYNNE GRAHAM

Geständnis auf der Jacht

Jede Nacht nur einen Zug auf dem Schachbrett – Kathy weiß nicht, wer der anonyme Gegner in dem Büro ist, in dem sie putzt. Bis er sich ihr zu erkennen gibt: Es ist Sergio Torrente, der Boss des Unternehmens! Der will nun alles über Kathy wissen und lädt sie auf seine Luxusjacht ein. Aber wird Sergio sie überhaupt verstehen? Er kommt doch aus einer ganz anderen Welt …

PROLOG

„­Kallie, heute Abend musst du es ihm sagen. Sonst wird er nie erfahren, dass du ihn liebst. In zwei Tagen fährt er nach Hause. Du gehst nächstes Jahr aufs College oder arbeitest. Heute ist die letzte Gelegenheit, Alexandros deine Gefühle zu gestehen.“

Ihre ältere Cousine Eleni hielt ­Kallie an beiden Armen fest und sah sie mit blitzenden Augen an. Misstrauisch fragte ­Kallie sich, warum Eleni die Sache so wichtig war. Sofort meldete sich ihr schlechtes Gewissen, und sie kam sich gemein vor. War Eleni nicht ihre Vertraute, die sich seit Jahren ihre Schwärmereien für Alexandros anhörte? Sie versuchte nur, ihr zu helfen.

„Aber, Eleni, ich habe ihn seit zwei Jahren nicht mehr ge­sehen.“

Eindringlich schüttelte Eleni den Kopf. „Das spielt keine Rolle. Er hatte schon immer eine Schwäche für dich. Er ist noch genau derselbe wie früher. Der einzige Unterschied ist, dass er jetzt Geld wie Heu besitzt.“

­Kallie schluckte. Und viel erwachsener ist – er wird mich auslachen.

„­Kallie, du darfst jetzt nicht kneifen.“

Sie blickte ihre Cousine an. In Elenis Augen lag dieser ungeduldige Ausdruck, den sie schon immer ein wenig beängstigend gefunden hatte.

Mit wild pochendem Herzen nickte ­Kallie einmal. Über Elenis Kopf hinweg konnte sie das Objekt ihrer Zuneigung sehen. Alexandros Kouros. Fünfundzwanzig Jahre alt und unglaublich attraktiv. Nachtschwarze Haare, die manchmal bläulich schimmerten, fielen in sanften Wellen bis über seinen Kragen. Vielleicht ein kleines bisschen zu lang. Sein maskulines Gesicht berührte etwas tief in ­Kallies Innerem. Er schien ihre Blicke wie magisch anzuziehen und festzuhalten. Seine Größe von über eins neunzig und seine breiten muskulösen Schultern betonten seine sinnliche Männlichkeit.

Im Moment befanden sie sich in der palastartigen Familienvilla der Kouros’, die unmittelbar neben der ihrer Großmutter in den Bergen oberhalb Athens lag. Dort verbrachte ­Kallie immer ihre Sommerferien. Die jährliche Party der Kouros’ zum Ende des Sommers war ein gesellschaftliches Highlight. Kouros Shipping gehörte zu den größten Reedereien der Welt. Nach dem frühzeitigen Tod seines Vaters vor zwei Jahren hatte Alexandros die Geschäfte übernommen.

„­Kallie, er wird nie etwas anderes in dir sehen als eine gute Freundin, wenn du ihn nicht auf die richtige Spur bringst.“

„Ich weiß.“

Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so Kühnes getan. Normalerweise zog sie es vor, sich hinter einem Buch zu verstecken oder träumend in der Hängematte im Garten zu liegen. Sollte sie es wirklich wagen? Dann sah sie, wie Alexandros eine Flasche von einem Tisch nahm und durch die Terrassentür nach draußen verschwand. Eleni folgte ihrem Blick.

„Das ist deine Chance, Kall. Jetzt oder nie. Du wirst es dein Leben lang bereuen, wenn du nichts unternimmst. Wenn du ihm das nächste Mal begegnest, ist er verheiratet und hat drei Kinder!“

Bei dem Gedanken wurde ­Kallie ganz flau im Magen, was vielleicht auch an dem Wein lag, den Eleni ihr gegeben hatte, um ihr Mut einzuflößen. Noch einmal hob Eleni das Glas. ­Kallie schüttelte den Kopf, sie fühlte sich bereits ein wenig schwindelig. Allein der Anblick bereitete ihr Übelkeit. Es war das erste Mal, dass sie Alkohol trank.

„Geh, ­Kallie. Jetzt!“

Wie in einem Traum bewegte ­Kallie sich zwischen den Gästen hindurch und folgte Alexandros auf die Terrasse. Beinahe hätte sie kehrtgemacht, aber Eleni stand hinter ihr auf der Türschwelle. Es gab kein Zurück mehr.

Zunächst entdeckte sie ihn nirgends, weil die überhängenden Äste eines alten Baumes ihn verbargen. Dann sah sie ihn. Er hatte das Jackett ausgezogen und lehnte mit dem Rücken gegen eine Mauer.

Jetzt oder nie. Wenn ich es ihm jetzt nicht sage, wird er nie wissen, wie ich für ihn empfinde …

Wie ein Mantra klangen die Worte in ihrem Kopf. Mit angehaltenem Atem betrat sie die natürliche Laube aus Blättern. Die Geräusche der Party drangen leise zu ihnen hinüber, aber ­Kallie hörte sie nicht. Alexandros hatte ihr den Rücken zugewandt. Sie sah, wie er die Flasche zum Mund hob und trank. Dann musste sie ein Geräusch gemacht haben, denn er wirbelte herum.

„Wer ist da?“ Er spähte in die Dunkelheit, und ­Kallie trat einen Schritt vor. „­Kallie? Bist du das?“

Sie machte einen letzten Schritt. „Ja.“

Alexandros wandte sich ab. „Du solltest zurück zu den anderen gehen.“

Sein offensichtlicher Wunsch, alleine zu sein, verwirrte sie. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er schon den ganzen Abend über in einer seltsamen Stimmung gewesen war, als ob eine schwarze Wolke über ihm schwebte.

Doch jetzt war sie schon so weit gekommen. Sie stellte sich neben ihn. Unter ihnen funkelten die Lichter Athens. Ihr Herz klopfte so schnell, dass sie sich ganz benommen fühlte.

„Ich möchte gerne bleiben, wenn das in Ordnung ist.“

Er zuckte die Schultern und nahm noch einen Schluck aus der Flasche. Bevor er sie daran hindern konnte, hatte sie sie ihm aus der Hand genommen und ebenfalls getrunken. ­Kallie hustete und würgte, als die Flüssigkeit in ihrer Kehle brannte. Alexandros klopfte ihr auf den Rücken und zog sie neben sich auf die niedrige Mauer. Er lächelte schief.

„Was hast du erwartet? Wein?“

Tränen liefen ­Kallie über die Wangen. „Was ist das?“

„Ouzo.“

Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie nahe er ihr war. Unwillkürlich erschauerte sie.

Er griff nach seinem Jackett und legte es ihr um die Schultern. ­Kallie unterdrückte den Drang, die Augen zu schließen und tief seinen Duft einzuatmen, der in den Falten des Jacketts hing. Lange Minuten saßen sie schweigend und bewegungslos nebeneinander. Eine düstere Nachdenklichkeit ging von Alexandros aus. Die Luft um sie herum schien schwerer zu werden, die Anspannung zu steigen. Fieberhaft dachte ­Kallie darüber nach, was sie sagen könnte, um die Stille zu brechen. Plötzlich wandte Alexandros ihr den Kopf zu.

„­Kallie, warum bist du hergekommen? Du solltest wieder ins Haus gehen, es wird schon dunkel.“

Verletzt schaute sie ihn an. „Ich wollte … Es macht mir nichts aus, hier mit dir zu sitzen.“

Er stöhnte leise auf und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Tut mir leid. Ich bin nur heute Abend kein guter Gesellschafter.“

Sie legte eine Hand auf seinen Arm. „Möchtest du darüber reden?“

Lange sah er sie an. Sein Blick war so intensiv, dass er etwas Fremdes und Heißes in ihrem Unterleib weckte. Er schien einen inneren Kampf auszufechten, dann war es vorüber. ­Kallie hielt den Atem an, als er die Hand ausstreckte, eine ihrer Locken nahm und durch die Finger gleiten ließ.

„Deine Haut ist außergewöhnlich, weißt du das?“

­Kallie verzog das Gesicht und wand sich unter seinem Blick. „Sie ist schrecklich. Ich bekomme sofort einen Sonnenbrand. Und ich erröte so schnell.“

Außerdem bin ich viel zu dick.

Alexandros schüttelte den Kopf. „Nein, du ähnelst deiner Mutter. Eine typische englische Rose …“

„Mein Vater sagt immer, dass er sich genau deshalb in sie verliebt hat.“

Ein düsterer Ausdruck huschte über sein Gesicht, und er ließ die Haarsträhne los. In diesem Moment wusste ­Kallie, dass sie nicht den Mut hatte, ihm ihre Liebe zu gestehen. Sie sollte Alexandros alleine lassen, damit er gegen die Dämonen kämpfen konnte, die ihn so offensichtlich quälten.

„Ich gehe …“

Sie stand auf und taumelte, als der Boden unter ihr zu schwanken schien. Sofort legte Alexandros einen Arm um sie und zog sie an sich, um sie aufzufangen. Ihr Wunsch zu gehen löste sich in einem Blitz aus Hitze auf. Unter ihren Händen spürte sie seine Brust, stark und breit und warm. Sein Herz klopfte langsam und gleichmäßig. Sein Duft hüllte sie ein. ­Kallie sah auf und verlor sich in seinen dunklen unergründlichen Augen. Wirklichkeit, Raum und Zeit waren vergessen.

Vorsichtig tastend hob sie eine Hand und zeichnete die Umrisse von Alexandros’ Mund nach. An ihrer Handfläche spürte sie seinen warmen Atem.

„­Kallie – was tust du da?“

Sie schaute auf, und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich mutig, erfüllt von einer unbekannten, weiblichen Macht. Woher dieses Gefühl kam, wusste sie nicht, aber sie sagte schlicht: „Das.“

Und damit schloss sie die Augen und presste ihre weichen Lippen auf seine.

Einen Moment tat er gar nichts. ­Kallie hingegen durchfuhr ein süßes Verlangen, dessen Intensität sie erschreckte. Dann erwachte Hoffnung in ihrem Herzen. Er stieß sie nicht fort. Würde er den Kuss erwidern? Sie wollte ihn so sehr. Unsicher bewegte sie ihre Lippen auf seinen … und plötzlich kippte die Welt. Alexandros stand auf und schob sie von sich weg. ­Kallie war zu benommen, um zu reagieren, und wäre gefallen, hätte er sie nicht festgehalten. Das Jackett glitt von ihren Schultern zu Boden.

„Was, zur Hölle, hast du getan?“

Er ließ sie los, und es gelang ihr, aufrecht stehen zu bleiben. Sehnsucht brannte in ihrem Körper und flehte um Erfüllung.

Doch die Weise, auf die Alexandros sie jetzt ansah, voller Verachtung, Unglauben und Entsetzen, ließ sie sich nur noch schwach fühlen.

„Es tut mir leid … Ich weiß nicht, was …“ Sie schüttelte den Kopf und stolperte ein paar Schritte rückwärts.

Er legte die Hände wieder auf ihre Schultern und hielt sie auf. „Warum hast du mich geküsst?“

„Weil …“ Sie sah ihn an, wie er, vom Gegenlicht beleuchtet, vor ihr stand. So wunderschön. Sie musste es ihm sagen. Jetzt. „Weil … ich dich liebe, Alexandros.“

Abrupt versteifte er sich. „Was?“

„Ich … ich liebe dich.“

Der schockierte Ausdruck auf seinem Gesicht wich Verwirrung, dann Abscheu. Er zog seine Hände von ihren Schultern, so schnell, als habe er sich verbrannt.

„Ich weiß nicht, was du vorhast, ­Kallie, aber es gefällt mir nicht. Heute Abend gebe ich meine Verlobung bekannt. Wenn uns jemand gesehen hat … Verdammt! Geh einfach, ­Kallie.“

Sie hörte seine Worte, konnte aber den Sinn nicht erfassen. Verlobung? Mit wem?

Auf einmal verspürte sie den Wunsch, in hysterisches Gelächter auszubrechen. Dann kam sie sich sehr dumm vor. Sehr klein und sehr jung.

„Es tut mir leid, Alexandros, vergiss einfach alles. Vergiss, was passiert ist, vergiss mich.“ Sie wirbelte herum und lief die Treppe hinunter in den Garten, rannte fort von der Veranda, fort von allem. Sie hörte, wie er einmal ihren Namen rief, aber sie blieb nicht stehen, und er folgte ihr nicht.

Noch beim Laufen kamen die Tränen. Und als sie endlich anhielt und sich auf den Boden kauerte, weinte sie, bis sie nichts mehr sehen konnte. Sie weinte, weil sie so naiv gewesen war, so dumm und weil sie auf Eleni gehört hatte. Irgendeine verrückte Magie des Mondes oder Wahnsinn oder der Wein mussten von ihr Besitz ergriffen haben. Als ob jemand wie Alexandros Kouros sich überhaupt für sie interessierte, geschweige denn küssen wollte! Bei der Erinnerung, wie sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, zuckte sie zusammen. Er hatte sie ja praktisch von sich wegschieben müssen! Sie fuhr sich mit den Händen über die Wangen. Nie wieder würde sie Alkohol anrühren!

Unglücklich machte ­Kallie sich auf den Weg zurück zur Villa. Als sie an der offen stehenden Verandatür vorbeikam, musste sie einfach ins Innere spähen. Im Raum war es still. Die in Designerkleider gehüllten und juwelenbehangenen Gäste hatten ihre Gläser zum Toast erhoben. Auf die Verlobung von Alexandros Kouros und die atemberaubend attraktive Frau an seiner Seite. Pia Kyriapolous, das berühmte Model. Die beiden boten ein perfektes Bild.

Jemand berührte ihre Schulter, und sie wirbelte herum. Es war Eleni, die sie mitfühlend ansah.

„Oh, ­Kallie, es tut mir so leid …“

Etwas an der Art und Weise, wie sie das sagte, ließ ­Kallie ganz still werden. Plötzlich fielen ihr die Worte ihrer Cousine von vorhin wieder ein. Wenn du ihn das nächste Mal wiedersiehst, ist er verheiratet und hat drei Kinder … „Bitte sag mir, dass du nichts davon wusstest, Eleni.“

Eleni schaute sie trotzig an. „Ich habe dir einen Gefallen getan, ­Kallie. Hättest du es ihm gesagt, wenn du es gewusst hättest?“

Natürlich nicht!

Wieder tadelte sie sich wegen ihrer unglaublichen Naivität und ahnte, dass in diesem Moment etwas in ihrem Inneren starb … oder sie erwachsen wurde.

Elenis Miene weckte in ihr den Wunsch, sich zu beschützen. Sie zog sich in sich selbst zurück.

Es gelang ihr, den Kopf zu schütteln, wie sie es bei ihrer Cousine tausend Male zuvor gesehen hatte, und sie zuckte die Schultern. „Kein Problem, Eleni. Mit Pia kann ich ja wohl kaum konkurrieren, oder?“ Von irgendwoher zauberte sie sogar ein kleines Lachen. „Aber, wie du gesagt hast, habe ich es zumindest versucht!“

Und zum ersten Mal in ihrem Leben beschwor sie alles, was sie an erwachsener Gelassenheit aufbringen konnte, wandte sich um und ließ die Party, ihre Cousine und Alexandros hinter sich zurück.

Als ­Kallie am nächsten Morgen aufwachte, schien nichts von dem dumpfen Schmerz in ihrer Brust verschwunden zu sein. Einen Moment wollte sie glauben, dass der gestrige Tag nur ein böser Traum gewesen war, aber natürlich hatte sie nicht geträumt. Ihr einziger Trost war, dass Alexandros wahrscheinlich schon nach Athen gefahren war. Morgen würde sie nach England aufbrechen. Sie betete, dass Alexandros in der Stadt blieb, bis sie das Land verlassen hatte. Dann würde nie jemand erfahren, was passiert war. Außer ihnen beiden. Und Eleni. Die aber, dachte ­Kallie erleichtert, hatte die demütigende Szene nicht mit angesehen.

Als sie jedoch nach unten kam, umfingen sie Lärm, Verwirrung und helle Aufregung. Ihre Eltern hatten sich mit entrüsteten Mienen vor Alexandros aufgebaut. Gerade schrie ihr Vater ihn an und wedelte mit einer Zeitung vor seinem Gesicht herum.

„Wie konntest du das tun? Wir haben dir vertraut. Sie ist erst siebzehn! Kaum mehr als ein Kind. Reicht es dir nicht, eine der schönsten Frauen Athens zu heiraten? Musstest du dich auch noch an ­Kallie vergreifen?“

Ihre Eltern konnten sie nicht sehen, weil sie von Alexandros’ Rücken verdeckt wurde. „Pias Familie“, entgegnete Alexandros mit leiser scharfer Stimme, „hat überraschend wenig Verständnis dafür, dass ihre Tochter einen Mann heiratet, dessen Bild den gesamten Mittelteil der bekanntesten Klatschzeitung Griechenlands einnimmt. Zudem zeigen sie ebenfalls wenig Verständnis dafür, dass dieser Mann, und ich zitiere, ‚niemals in die Fußstapfen seines Vaters treten und die Geschäfte übernehmen wollte‘. Dank eurer Tochter wurde meine Verlobung heute Morgen gelöst.“

Ihre Mutter trat vor und versetzte Alexandros eine schallende Ohrfeige. „Du wusstest doch, dass sie schon immer in dich verliebt war. Du warst wie ein Sohn für uns.“

­Kallie wurde eiskalt. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, sie fühlte sich sterbenskrank. Dann musste sie irgendein Geräusch gemacht haben, denn alle drehten sich nach ihr um.

„Du …“

Ihr Vater fiel Alexandros ins Wort. „Kouros, verlass sofort dieses Haus. Du bist hier nicht länger willkommen.“

Alexandros wandte sich wieder ihrem Vater zu. „Glaub mir, ich will keinen von euch je wiedersehen. Vor allem sie nicht.“ Er warf ­Kallie einen so verächtlichen Blick zu, dass sie einen Schritt zurückwich. Dann ging er.

Einem plötzlichen Impuls folgend, lief ­Kallie ihm nach und ignorierte die Rufe ihrer Eltern. Alexandros hatte schon fast das Gartentor erreicht, das die Grundstücke der beiden Nachbarn voneinander trennte.

„Warte, Alexandros … warte!“

Er blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe mit ihm zusammengestoßen wäre. Dann wandte er sich um, griff nach ihren Armen und sah sie an. Auf einmal wirkte er nicht mehr wütend, nur noch traurig. ­Kallie war verwirrt. In ihrem Kopf drehte sich alles, während sie zu begreifen versuchte, was eigentlich passiert war.

„Ich dachte, wir wären Freunde, ­Kallie. Warum hast du das getan? Du hast alles ruiniert … und nur, weil ich dich abgewiesen habe?“ Er schüttelte den Kopf. „Du schienst der einzige Mensch zu sein, der nie etwas von mir erwartet hat. Ich habe dir vertraut, und du hast mich hereingelegt und alles ausgeplaudert.“

„Ich weiß nicht, was …“

Wieder schüttelte Alexandros den Kopf und brachte sie mit einem finsteren Blick zum Schweigen. Unwillkürlich musste er an den kühnen Ausdruck in ihren Augen denken, als sie ihn geküsst hatte. Ohne den leisesten Hauch eines Zweifels wusste er jetzt, dass er nie wirklich gewusst hatte, wer ­Kallie Demarchis war. Auch ihre Eltern, die für ihn wie eine zweite Familie geworden waren, hatte er nicht wirklich gekannt. Einfach so hatten sie ihn aus ihrem Haus und ihrem Leben verbannt. Er war ein Narr gewesen, ihnen zu vertrauen. Und er hatte ­Kallie für unschuldig gehalten, für unverdorben und … süß.

„In den letzten zwei Jahren bist du wirklich erwachsen geworden, ­Kallie. Jetzt bist du wie alle anderen. Bestimmt hast du von der Verlobung gehört und gedacht, du könntest es auch einmal versuchen? Aber siebzehn ist ein bisschen zu jung für meinen Geschmack. Und du besitzt auch definitiv nicht, was ich brauche.“

Er hielt ihr die Zeitung entgegen. „Oh, und ein Rat für das nächste Mal, wenn du einen Kuss an die Presse verkaufst. Falls du deine Identität geheim halten willst, ist es keine gute Idee, das Foto von deiner privaten E-Mail-Adresse aus zu senden. Du bist nichts weiter als ein kleines Flittchen, ­Kallie, und kein sonderlich intelligentes noch dazu.“

Mit offenem Mund sah sie ihm nach, wie er durch das Gartentor schritt. Die Worte waren ihr in der Kehle stecken geblieben. Ihre E-Mail-Adresse? Foto? Einen Kuss an die Presse verkauft? Wie in einem schrecklichen Albtraum gefangen, schaute sie auf die Zeitung, die zu ihren Füßen lag. Auf der aufgeschlagenen Seite war ein grobkörniges Schwarz-Weiß-Bild abgedruckt. Die eine Person auf dem Foto war unverkennbar. Alexandros. Und die Frau, die ihre Arme um seinen Nacken gelegt hatte und sich an ihn presste, war auf jeden Fall nicht Pia Kyriapolous. Darüber prangte eine grässliche Schlagzeile: „Der Bräutigam! Am Abend seiner Verlobung …!“

1. KAPITEL

Sieben Jahre später, Hotel Ritz, Paris

Alexandros Kouros langweilte sich. Bereits seit geraumer Zeit lastete diese Langeweile auf seinen Schultern, einer schwarzen Wolke gleich, die aus seinem tiefsten Inneren kam und alles verschlang. Vergessen war die Tatsache, dass er von Überfluss umgeben war. Ein Überfluss, dem er, einer der reichsten Männer der Welt, nicht entkommen konnte. Gedämpfte Stimmen drangen an sein Ohr. Er blendete sie aus. Sie umkreisten ihn seit Jahren.

So gut aussehend – so jung! Einer der erfolgreichsten Reeder seit Onassis … Noch mehr Geld … Begehrtester Junggeselle …

Jetzt vermehrte das konstante Flüstern nur seine Verdrossenheit. Wenige Menschen konnten sich ähnlicher Erfolge rühmen, die meisten konnten sie sich nicht einmal vorstellen. Harte Arbeit hatte zu diesem Ziel geführt, was das Ergebnis nur umso süßer hätte machen sollen. Aber war es das? Wieso empfand er so, wenn alles, was er sich wünschen konnte, zu seinen Füßen lag, wenn er nur mit einem Fingerschnipsen den Lauf der Geschäftswelt beeinflussen konnte? Wenn es nicht das war, was er wollte, was war es dann? Eine undeutliche Erinnerung, ein alter verblasster Traum regte sich in seinem Kopf. Ein Traum, der schon vor langer Zeit zu Staub zerfallen war.

Eine Berührung an seinem Arm, nicht zärtlich, sondern besitzergreifend, holte ihn in die Gegenwart zurück. Zurück zu der Frau an seiner Seite. Sie wurde für die schönste und begehrenswerteste Frau der Welt gehalten – und sie war die letzte in einer langen Reihe von ähnlichen Frauen, die seinen Arm, sein Bett geziert hatten.

„Liebling …“

Ein Hauch von Ärger breitete sich in ihm aus. Jedoch verbat es die Höflichkeit, die Frau einfach zu ignorieren. Er wandte sich zu ihr um und lächelte schmallippig. Das platinblonde Haar stach ihm ins Auge, was ihm mit einem Mal zu grell, zu aufdringlich vorkam. Er betrachtete das geschminkte Gesicht, sah den harten habgierigen Ausdruck in ihren Augen. Diamanten funkelten um ihren Hals. Binnen einer Sekunde fällte er eine Entscheidung. Er fand sie überhaupt nicht mehr attraktiv. Hatte er das eigentlich jemals?

Isabelle Zolanz wusste es noch nicht, aber ihre Zeit an seiner Seite war abgelaufen. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte er sich erleichtert. Die Freude, wieder frei zu sein, vertrieb bereits einen Teil seiner Langeweile. Er wollte keine weitere Minute mit ihr verbringen. Er beschloss, die Party sofort zu verlassen und zu Hause die Beziehung zu beenden.

Gerade als er den Mund öffnen wollte, erregte etwas, was er aus den Augenwinkeln wahrnahm, seine Aufmerksamkeit. Er wandte sich um. Auf der Türschwelle auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand eine Frau. Offensichtlich war sie eben eingetroffen, denn sie stand auf Zehenspitzen und sah sich suchend um. Für einen Sekundenbruchteil verschwand der Lärm der Unterhaltungen. Er konnte den Blick nicht von der Unbekannten abwenden. Gänsehaut überlief seinen Körper. Dann kehrten die Geräusche zurück.

Sie war atemberaubend. Allerdings auf eine Weise, die er nicht einordnen konnte. Sie war nicht hübsch wie ein Model. Durchschnittlich groß, aber perfekt proportioniert. Sein Kennerblick verriet ihm, dass alle Kurven an den richtigen Stellen saßen. Vielleicht ein bisschen üppiger als seine sonstigen Eroberungen. Ihr Körper schien ihn auf einer sehr elementaren Ebene zu rufen. Das schlichte schwarze Kleid mit dem V-förmigen Ausschnitt betonte ihre Taille und die Rundungen ihrer Brüste. Sie trug eine Halskette mit einem einzelnen Stein als Anhänger, der im Licht der Lampen funkelte.

Schockiert stellte er fest, dass er das starke Verlangen verspürte, zu ihr zu gehen, ihre Hand zu nehmen und sie nach draußen zu führen, um herauszufinden, ob ihre Haut sich wirklich so weich und seidig anfühlte, wie sie aussah. Der Drang war so stark, dass er sich bereits tatsächlich in ihre Richtung bewegte. Er wollte die Stelle berühren, an der der Anhänger auf ihrem Dekolleté ruhte. Und er wollte sie von den anderen Männern fortführen, die ihre Ankunft bereits ebenfalls bemerkt hatten.

Ihre Haut schimmerte hell, die Gesichtszüge waren sanft und klar. Hohe Wangenknochen, weit auseinanderstehende mandelförmige Augen, die er gerne aus der Nähe betrachtet hätte, um ihre Farbe zu sehen. Von honigfarbenen Strähnen durchzogenes blondes Haar fiel in leichten Wellen über ihre Schultern, ein zu einer Seite gekämmter Pony verbarg und enthüllte immer wieder die verführerischen Augen.

Sein Blick folgte ihr, als sie mit weiblicher Anmut durch den Raum ging. Der Schwung ihrer Hüften, die Bewegungen ihres gerundeten Pos ließen Alexandros ein leises Sehnen spüren. Tatsächlich war es mehr als ein Sehnen.

Jemand zog ihn am Arm. Beinahe hätte er die Hand, die jetzt dort ruhte, ungehalten abgeschüttelt. Erst dann fiel ihm wieder ein, wer er war und mit wem er hier war. Er war schockiert. Einen Moment war er wie gebannt gewesen und hatte alles um sich herum vergessen. Innerlich schüttelte er den Kopf. Definitiv ein Zeichen, dass es an der Zeit war, weiterzuziehen, wenn er in einem überfüllten Raum Verlangen nach einer völlig Unbekannten empfand.

Aber da war etwas an ihr. Etwas, das er nicht genau erfassen konnte, etwas Vertrautes, als würde er sie kennen oder hätte sie schon einmal gesehen …

Es kostete ihn größere Anstrengung, als er sich eingestehen wollte, den Blick abzuwenden und Isabelle anzuschauen. Er setzte ein sanftes Lächeln auf, als er sich wieder an seinen Wunsch zu gehen erinnerte.

„Verzeih mir“, murmelte er. „Ich habe morgen früh ein wichtiges Meeting. Hast du etwas dagegen, wenn wir aufbrechen?“

Isabelle drückte seinen Arm und erwiderte sein Lächeln in der falschen Annahme, er wolle mit ihr alleine sein. „Ganz und gar nicht, Liebling. Ich hole nur meinen Mantel.“

Alexandros sah ihr nach und verspürte keinerlei Reue oder Gewissensbisse. Eine Frau wie Isabelle Zolanz wusste genau, wie Männer wie er spielten. Natürlich würde sie enttäuscht sein, aber da in ihre Beziehung keine Gefühle investiert worden waren, würde sie nur den Verlust seines Geldes, seiner Großzügigkeit und des sozialen Status betrauern. An diese Art Affären war er gewöhnt. Er genoss die Aufregung der Jagd. Doch wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass in letzter Zeit jede Eroberung einen schalen Beigeschmack gehabt hatte. Um seine Ziele zu erreichen, hatte er sich nicht mehr sonderlich anstrengen müssen.

Unbewusst hielt er wieder Ausschau nach der anderen Frau. Sie war verschwunden. Er verzog das Gesicht. Vielleicht war es besser so. Er wusste nur zu gut, wie es war, sich ein perfektes Bild von einer wunderschönen Frau zu erschaffen. Unweigerlich folgte eine Enttäuschung.

War er schon bereit, wieder frei zu sein? Eine Geliebte zu behalten bot auch einen gewissen Schutz. Einen Aufschub vor den Bemühungen anderer, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er stieß ein knurrendes Geräusch aus. Tatsächlich brauchte er gerade jetzt dringend eine Frau. Doch als er Isabelle an der Garderobe erspähte, verwandelte sich sein Inneres zu Eis. Sie würde er bestimmt nicht fragen.

­Kallie bahnte sich nun einen Weg durch die Menschenmenge. Sie reckte den Kopf auf der Suche nach ihrem Onkel und fand ihn endlich in einer ruhigen Ecke. Sie küsste ihn auf die Wange. „Entschuldige, Alexei, ich bin bei der Arbeit aufgehalten worden.“

„Kein Problem, meine Liebe. Ich hole dir einen Drink.“

Er sprach rasch und wirkte ein wenig schreckhaft auf ­Kallie. Verstärkt wurde ihr Eindruck, als er hastig ein Glas Wasser von einem Tablett nahm, das ein Kellner gerade vorbeitrug, und es ihr praktisch in die Hände stieß. Er wich ihrem Blick aus und schaute abwesend über ihren Kopf hinweg. Er schien ausgesprochen nervös zu sein.

„Alexei …“

Plötzlich zog er sie hinter eine mannshohe Zimmerpflanze und schirmte sie dann gegen den Raum mit seinem Körper ab.

„Alexei …“, wiederholte ­Kallie jetzt ungeduldiger. Sie wusste, dass ihr Onkel zum Theatralischen neigte, aber das hier war lächerlich. Er benahm sich, als befänden sie sich in einem Agententhriller. Sie lächelte vielsagend und flüsterte verschwörerisch: „Verstecken wir uns vor deiner Geliebten?“

Mit gekränkter Miene sah er sie an. „­Kallie Demarchis, du weißt genau, dass ich nie eine andere Frau anschauen würde.“

Beruhigend legte sie eine Hand auf seinen Arm. „Ich mache doch nur Spaß. Aber du verhältst dich so seltsam. Meinst du, ich kann jetzt hinter der Pflanze hervorkommen?“

Für eine Sekunde erbleichte er, als er auf der anderen Seite des Raumes etwas zu entdecken schien. ­Kallie runzelte die Stirn; allmählich bekam sie Angst. „Was ist denn los?“

„­Kallie, da ist jemand … jemand ist hier, den du seit langer Zeit nicht mehr gesehen hast … jemand …“

„Wer?“, wollte sie leicht verärgert wissen.

Ihr Onkel wich der Frage aus. „Ich habe versucht, dich auf deinem Handy anzurufen, um dich aufzuhalten, aber ich konnte dich nicht erreichen, bevor …“

„Bevor was? Alexei, warum sollte ich nicht herkommen?“

Alexei schluckte nun ziemlich nervös. „Weil Alexandros Kouros hier ist.“

Alexandros Kouros.

Die Geräusche der Party wurden zu einem entfernten Summen. Nur noch vage war sie sich bewusst, dass ihr Onkel tatsächlich die Hände rang. Nur sehr langsam begriff sie den Sinn seiner Worte. Ihre Glieder erstarrten in eisiger Betäubtheit. Das Glas glitt ihr aus den Fingern, in letzter Sekunde fing ihr Onkel es auf. Wasser benetzte ihr Kleid. Zum Glück ist es nur Wasser, durchdrang der banale Gedanke ihren Schockzustand. Es wird keine Flecken geben.

Alexandros Kouros.

Das ist nur ein Name, dachte sie benommen. Nur der Name eines berühmten Mannes. Sehr reich. Sehr attraktiv. Einflussreich. Jemand, der sich nicht in ihren Kreisen bewegte. Zugleich der Name eines ihr unvergessenen Menschen, der einst einen großen Teil ihrer Vergangenheit eingenommen hatte.

Jemand, den sie in ihren schlimmsten Träumen nicht hätte wiedersehen wollen. Und jetzt war er irgendwo hier, vielleicht nur wenige Meter entfernt. Panik erfasste sie.

Ihr Onkel griff nach ihren Händen. Sie zwang sich, seinen Blick zu erwidern, alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen.

„­Kallie, mein Schatz. Es tut mir sehr leid. Wenn er dich sieht …“

Langsam nickte sie. Nicht für eine Sekunde wollte sie sich auch nur vorstellen, wie er auf sie reagierte.

Es bestürzte sie sehr, dass sie nicht einfach Neugier empfand und die Tatsache, dass er sich im selben Raum wie sie befand, mit einem Schulterzucken als Zufall abtun konnte. Sie war erstaunt über die Stärke ihrer eigenen Reaktion und darüber, wie dicht unter der Oberfläche noch immer die Gefühle schwelten.

Es war doch nur ein Kuss! Und doch hatte dieser Kuss zu so viel mehr geführt. Er hatte die Hochzeit des Jahrzehnts ruiniert. Er hatte die Frau, die Alexandros liebte, aus seinem Leben vertrieben.

Alexei wurde immer aufgeregter. „Die Sache ist die, ­Kallie … Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich dich nicht beunruhigen wollte, aber ich habe wieder angefangen, Geschäfte mit ihm zu machen. Das heißt, erst seit deine Eltern gestorben sind. Dein Vater wäre nie damit einverstanden gewesen, aber ich musste es tun, ­Kallie. Es gab sonst niemanden, an den ich mich wenden konnte, und als er mir einen Termin gegeben hat …“ Er lachte kurz auf und klang dabei wie ein kleiner Junge. „Einen Termin! Mir! Es scheint, als würde er die Vergangenheit endlich ruhen lassen wollen, zumindest in meinem Fall. Was hingegen deinen Vater angeht … nun, das ist eine andere Geschichte …“ Er verstummte und drückte ­Kallies Hände noch fester. „Aber wenn er dich sieht …“

„Alexei, es ist mir egal, ob du Geschäfte mit ihm machst. Wirklich. Ich werde gehen. Glaub mir, ich empfinde ebenso wenig den Wunsch, ihn zu sehen, wie er wahrscheinlich mich.“ Lügnerin. Du würdest ihn nur zu gerne wiedersehen …

Ihr Herz klopfte schneller bei dem Gedanken. Sie musste fort von hier. Flüchtig küsste sie ihren Onkel auf die Wange und drückte seine Hand. „Ich rufe dich morgen an, dann können wir über alles sprechen.“

Er nickte erleichtert. Zweifellos sah er seine Firma schon Konkurs anmelden, wenn Alexandros Kouros sie erblickte und entschied, späte Rache zu nehmen.

Mit gesenktem Kopf und ohne nach rechts und links zu schauen, strebte ­Kallie rasch durch die Gästeschar auf den Ausgang zu. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie sich in den letzten sieben Jahren sehr verändert hatte. Selbst wenn er sie sah, war es höchst unwahrscheinlich, dass er sie erkannte.

Als sie die Tür fast erreicht hatte, musste sie einer Kellnerin mit einem voll beladenen Tablett ausweichen und stolperte gegen den Rücken eines anderen Gastes. Beide wirbelten herum. Entsetzt sah ­Kallie sich einem großen Mann mit breiten Schultern gegenüber. Schwarze Locken, vielleicht etwas zu lang, fielen ihm auf den Kragen.

Später fragte sie sich immerzu, warum sie die Gefahr nicht früher gespürt hatte. Stattdessen hatte eine finstere Macht sie direkt in die Höhle des Löwen geleitet.

2. KAPITEL

­Kallie sah auf. Ihr Blick traf auf nur allzu bekannte dunkle ­Augen von unergründlicher Tiefe. Dazu ein unglaublich attraktives Gesicht. Ein Gesicht, das in ihrer Erinnerung stets lebendig geblieben war. Sie hatten den Mund zu einer automatischen Entschuldigung geöffnet, jedoch drang kein Wort über ihre Lippen.

„Alexandros Kouros …“ Sie war sich nicht einmal bewusst, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte. Warum musste sie mit ihm zusammenstoßen? Wie konnte das Schicksal nur so grausam sein?

„Kennen wir uns?“ Er hielt inne und wandte sich vollständig um.

Sie war es! Die Frau von vorhin … Er kannte sie …

„Es tut mir leid“, sagte sie und wandte sich um. Gerade, als sie nach einigen Schritten glaubte, wieder tief durchatmen zu können, umklammerte er ihren Arm mit festem Griff.

„­Kallie Demarchis?“, fragte er ungläubig.

Sie schloss die Augen. Das Schlimmste, was sie sich vorgestellt hatte, war eingetreten. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als weitergehen zu können. So fest sein Griff um ihren Arm auch war, schien es doch, als würden erregende kleine Feuer über ihre Haut tanzen. Endlich drehte sie sich zu ihm um; ihr blieb sowieso keine andere Wahl.

Sie hob das Kinn und sah auf. „Ja.“

Seine Miene war verschlossen, doch in den Tiefen seiner Augen flackerte etwas auf. Langsam und bedächtig ließ er seinen Blick über ihren Körper wandern.

„So, so. Die kleine ­Kallie Demarchis. Du bist erwachsen geworden.“

Er sprach nachdenklich, wie zu sich selbst. „Es sind deine Augen. Niemals wieder habe ich dieses Blau und dieses Grün gesehen. Ansonsten hätte ich dich sicherlich nicht erkannt. Da hat wohl jemand nachgeholfen. Ich erinnere mich, wie unsicher du immer warst – aber es war die Arbeit wert“, sagte er.

Erst als sein Blick auf ihre Brüste fiel, rang ­Kallie empört nach Luft. Endlich gelang es ihr, ihren Schock zu überwinden und ihm ihren Arm zu entwinden. „Wie kannst du es wagen? Ich habe nichts dergleichen vornehmen lassen. Es tut mir leid, dass ich mit dir zusammengestoßen bin, glaub mir. Ich bin sicher, du bist mehr als glücklich, mich zu entschuldigen.“

„Meinst du nicht eher, es tut dir leid, meine Verlobung platzen gelassen zu haben … Oder es tut dir leid, meinen Namen in die Klatschzeitungen gezerrt zu haben … Oder es tut dir leid, mich öffentlich gedemütigt zu haben, weil ich wie ein gemeiner Dieb aus deinem Haus geworfen wurde?“

So viel zu ihrer Hoffnung, er habe die Vergangenheit ver­gessen …

Sie errötete, ihre Augen blitzten auf. Vergeblich versuchte Alexandros seine wachsende Anspannung niederzuringen.

Sie war makellos … Und wie war es ihr gelungen, ihn so schnell und mühelos in eine Zeit zurückzuversetzen, von der er glaubte, sie für immer hinter sich gelassen zu haben?

Ihn schwindelte. Schwindelte, weil er nun der Frau gegenüberstand, die ihn bereits quer durch das Zimmer hinweg gefangen genommen hatte. Schwindelte beim Anblick ihrer Schönheit. Und auch, weil sie, wie er nun wusste, ­Kallie Demarchis war. Das Mädchen, das beinahe sein Leben ruiniert hätte. Allerdings war sie nicht länger ein Mädchen. Jetzt war sie eine Frau. Eine sehr sexy Frau. Eine Frau, die das Blut in seinen Adern zum Summen brachte und heißes Verlangen in seinen Lenden entzündete.

Noch einmal öffnete ­Kallie den Mund, um endlich etwas zu sagen, aber bevor sie dazu kam, erschien eine Vision in blond an Alexandros’ Seite und legte eine Hand mit rot lackierten Fingernägeln auf seinen Arm. Die klassische besitzergreifende Geste. Und wer kann es ihr verdenken? dachte ­Kallie. Schließlich ist er der mit Abstand attraktivste Mann auf dieser Party.

Schon als junger Mann hatte er sehr gut ausgesehen, aber jetzt war er einfach atemberaubend. Die Jahre ließen sein Gesicht reifer wirken, die Linien traten härter und klarer hervor. Nun strahlte er ein sexuelles Charisma aus, das nur durch Alter, Selbstvertrauen und Erfahrung zustande kam. Sein Haar jedoch besaß noch immer die Locken seiner Jugend, was ­Kallie innerlich gequält zusammenzucken ließ.

„Liebling“, durchbrach die fein akzentuierte Stimme der blonden Frau ­Kallies Überlegungen, „willst du mich nicht vorstellen?“

Alexandros konnte seinen Blick nicht von ­Kallie wenden. Wie vorhin schien er fast wie hypnotisiert zu sein. Die Welt um ihn herum war verschwunden. Er sah, dass auch ­Kallie nur mühsam die Fassung wahrte. Als ob sie beide vergessen hätten, dass sie sich an einem öffentlichen Ort befanden, umgeben von Menschen. Aber er musste sich um Isabelle kümmern. ­Kallie fand als Erste die Sprache wieder.

„Bitte entschuldigen Sie mich. Ich muss jemanden treffen, bevor er die Party verlässt. Es war … schön, dich wiederzusehen, Alexandros.“

Und damit war sie gegangen, verschmolzen mit der Menge. Nur hin und wieder konnte er noch ihren blonden Haarschopf ausmachen. Der Drang, ihr zu folgen, war überwältigend stark, das nagende Gefühl der Langeweile, das er vorhin verspürt hatte, verflogen. Es war, als habe er von irgendwoher eine Portion Energie erhalten. Und Verlangen. Die Art von Verlangen, die er seit langer Zeit nicht mehr gefühlt hatte. Jene elementare Art, die sein Inneres nach Erfüllung brennen ließ.

Zögerlich folgte er Isabelle zum Ausgang, während er in seinem Kopf bereits die ersten Pläne spann. Seit Jahren hatte er nicht mehr an ­Kallie gedacht. Auch als ihr Onkel ihn neulich aufgesucht hatte, war sie kaum mehr als ein flüchtiger Gedanke gewesen. Damals hatte er sich noch gratuliert, hatte geglaubt, das Treffen mit Alexei sei ein Zeichen, er habe nun endlich alles hinter sich gelassen … bis jetzt.

­Kallie Demarchis.

Er konnte nicht aufhören, den Namen in seinem Kopf zu wiederholen.

Wer hätte gedacht, dass sie heute Abend auf dieser Party sein würde? Wer hätte gedacht, dass sie die verlöschende Flamme seiner Leidenschaft neu entfachen würde? Und wer hätte gedacht, dass er je etwas wegen ihrer gemeinen Tat vor sieben Jahren unternehmen konnte? Sie war nie für ihre Handlungen verantwortlich gemacht worden. Alexandros war überrascht, wie intensiv er jetzt wieder die Gefühle von damals, Verrat und Wut, empfand. Es gefiel ihm gar nicht, sich selbst auf solch primitive Emotionen reduziert zu sehen.

Der Begegnung mit ­Kallie heute Abend lag ein so perfektes Timing zugrunde, er hätte beinahe laut aufgelacht. Die Möglichkeit, aus diesem Umstand seinen Vorteil zu ziehen, war grandios. Er würde jede Minute davon auskosten. Und auch sie, ­Kallie, würde er bis zur Neige genießen.

Zwei Tage später starrte ­Kallie auf das blinkende Licht an ihrem Telefon. Die Stimme ihrer Assistentin meldete sich noch einmal voller Ehrfurcht. „­Kallie, hast du verstanden? Alexandros Kouros möchte dich sprechen.“

Langsam begann ihr Herz wieder zu schlagen. Sie hatte die letzten achtundvierzig Stunden damit verbracht, sich einzureden, ihm gar nicht wirklich begegnet zu sein. Alles war vielmehr ein böser Traum gewesen. Sie versuchte zu sprechen, brachte aber keinen Laut über die Lippen. Mit letzter Kraft schüttelte sie die Erstarrung ab und sagte: „Vielen Dank, Cécile. Ich nehme den Anruf jetzt entgegen.“

Sie nahm den Telefonhörer ab, drückte auf den Knopf unter dem blinkenden Licht und atmete tief ein.

„Hallo?“

„­Kallie.“ Tief und autoritär klang seine Stimme nah an ihrem Ohr.

„Alexandros.“ Sie wunderte sich, wie gelassen sie sich anhörte, wo doch in ihrem Inneren helle Aufruhr herrschte. Die verräterische Sehnsucht, die sich bei ihrem Wiedersehen entzündet hatte, loderte wieder in ihr auf. Das machte ihr Angst.

„Was kann ich für dich tun, Alexandros? Ich bin sicher, du rufst nicht nur an, um Hallo zu sagen.“

„Es war schon ein Schock, dich vorgestern auf der Party zu sehen. Wie lange ist es jetzt her? Sechs Jahre?“

„Sieben.“ Ihre Antwort kam zu rasch. Sie umklammerte den Telefonhörer fester und hoffte inständig, es war ihm nicht aufgefallen. Offensichtlich nicht, denn seine nächsten Worte überraschten sie.

„Das mit deinen Eltern tut mir sehr leid …“

­Kallies Verwirrung wuchs. Dieser Mann war von ihrem Vater aus dem Haus gewiesen und von ihrer Mutter geohrfeigt worden. Er hatte ihr gesagt, er wolle sie nie wiedersehen. In das Schweigen hinein meinte er: „Trotz der Vergangenheit hat es mir sehr leidgetan, von ihrem Tod zu hören.“

„Danke.“ Dann wiederholte sie ihre ursprüngliche Frage. „Was kann ich für dich tun, Alexandros?“

Er gab keine Antwort. Doch gerade, als sie noch einmal fragen wollte, entgegnete er mit unglaublicher Ruhe: „Ich möchte, dass du mir heute Abend beim Essen Gesellschaft leistest.“

­Kallie zog den Hörer von ihrem Ohr und sah ihn verdutzt an. Alexandros plante etwas. Das stand für sie fest. Auf einer Liste von Menschen, die er zu einem Dinner einladen konnte, stand ihr Name unmittelbar neben Attila dem Hunnenkönig. Er flog um die Welt, machte Millionen-Dollar-Geschäfte, traf Staatsoberhäupter und hatte Verabredungen mit einer endlosen Reihe von Models und Schauspielerinnen, wie Isabelle Zolanz. Erst später war ihr nämlich aufgefallen, wer die Frau an seinem Arm gewesen war: die bekannte französische Schauspielerin. Mit Leuten, die er verachtete, traf er sich bestimmt nicht zum Essen.

„Irgendwie kann ich mir das nicht wirklich vorstellen, Alexandros.“

„Ich schon, ­Kallie. Wir können über alte Zeiten plaudern“, erwiderte er lässig.

Das musste einfach ein schlechter Scherz sein. Er spielte mit ihr.

„Alexandros, ich möchte nicht mit dir essen gehen. Du hast gesagt, du willst mich nie wiedersehen.“

„Ich habe meine Meinung geändert.“

„Warum?“

„Sagen wir, du schuldest mir zumindest das, meinst du nicht auch?“

­Kallie schloss die Augen. Was sollte sie darauf antworten? Hastig suchte sie nach einer Entschuldigung, aber wieder schien er ihre Gedanken gelesen zu haben.

„Ich hatte eine nette Unterhaltung mit deiner Assistentin. Sie war so überaus hilfreich, mich darüber zu informieren, wie leer dein Terminkalender für heute Abend ist.“

Innerlich verfluchte ­Kallie Cécile. Sie konnte keine Ausrede mehr vorbringen. Und sich noch länger zu weigern, mochte ein Gespräch nach sich ziehen, das sie auf keinen Fall führen wollte.

„Mir bleibt wohl keine andere Wahl“, erklärte sie steif. „Um sechs Uhr mache ich Feierabend. Wann wäre es dir recht?“

„Ich habe um acht Uhr einen Tisch im Hotel de Crillon am Place de la Concorde reserviert. Soll ich dich abholen … oder meinen Fahrer schicken?“

­Kallie dachte an ihre kleine gemütliche Wohnung im Maraisviertel und beeilte sich mit ihrer Antwort. „Nein, das ist nicht nötig. Wir können uns dort treffen.“

Fast spürte sie nun, wie er am anderen Ende der Leitung die Schultern zuckte. „Wie du willst. Also um acht. Ich warte auf dich an der Bar.“

3. KAPITEL

Alexandros legte den Hörer auf und erhob sich dann aus dem ledergepolsterten Stuhl. Er schlenderte zum Fenster hinüber und steckte die Hände tief in die Taschen seiner maßgeschneiderten italienischen Hose. Er rief sich die Erinnerung an vorgestern Nacht ins Gedächtnis. Der Schock, den er bei dem Wiedersehen mit ­Kallie empfunden hatte, war immer noch lebendig. Ebenso die Erkenntnis, wie sehr sie sich verändert hatte, sowie das Wissen um das Verlangen, das seinen Körper ergriffen hatte. Allein ihre Stimme zu hören, hatte es erneut entfacht.

Abwesend ließ er seinen Blick über den Eiffelturm in der Ferne schweifen. In Gedanken konzentrierte er sich auf ­Kallie. In seinem Kopf sah er, wie ihre blaugrünen Augen aufblitzten. Die sieben Jahre hätten ebenso gut sieben Sekunden sein können. Es war, als befände er sich wieder in der Vergangenheit. Seine Gefühle von damals erwachten. Dabei hatte er geglaubt, er habe sich unter Kontrolle. Offensichtlich ein Irrtum.

Zu jener Zeit war er so leichtgläubig gewesen. Wie hatte er ihr wahres Gesicht nicht erkennen können? Wie hatte er glauben können, ihre Familie stände ihm näher als seine eigene? Er ballte die Hände zu Fäusten, als ihm einfiel, wie rachsüchtig sie sich verhalten hatte. Und wie unvorbereitet ihn die Ereignisse getroffen hatten.

Vor seinen Augen hatte sie sich in eine verführerische Sirene verwandelt. Die Verwunderung, die er empfunden hatte, konnte er heute noch spüren. Tatsächlich war er so perplex gewesen, dass er sich ihrem Kuss nicht sofort entzogen hatte.

Indem sie das Foto und die Geschichte von ihrer eigenen E-Mail-Adresse aus verschickt hatte, hatte sie ihn doppelt verhöhnt und verspottet. Sie hatte Informationen an die Zeitung weitergegeben, die er nur ihr anvertraut hatte. All seine geheimen Träume und Wünsche – seine Sehnsüchte, die so gar nichts mit dem zu tun hatten, was von ihm erwartet wurde.

Er presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Die Geier, die bereits den Tod seines Vaters als mögliche Schwäche ausgemacht hatten, begannen, die Kreise enger zu ziehen. Alexandros unterdrückte einen Schauer. Beinahe hätten sie sich auf ihn gestürzt.

Jene Zeit damals war ein Wendepunkt gewesen. Nie wieder in seinem Leben würde er jemanden so nahe an sich heranlassen. Jetzt arbeitete er alleine. Er brauchte niemanden.

Wütend ballte Alexandros seine Hände zu Fäusten. Schluss damit! ­Kallie Demarchis würde bald lernen, was es bedeutete, Alexandros Kouros in die Quere zu kommen. Es war Zeit, ein wenig von der Realität kennenzulernen, die er so unfreiwillig zu schmecken bekommen hatte.

Seine Gedanken wandten sich den Plänen zu, die er seit ihrem Wiedersehen schmiedete. Er war kein Mann, dem es Spaß machte, Rache zu nehmen. Für ihn war ein solches Vorgehen lediglich eine Möglichkeit, die Schwäche eines Gegners auszunutzen. Diese Ansicht war ein Teil seines Erfolges. Damit war es ihm gelungen, die Kontrolle und den geschäftlichen Einfluss wiederzuerlangen und seinen Vater sogar noch zu überflügeln.

Als Alexei Demarchis ihn um Hilfe gebeten hatte, hatte Alexandros lange darüber nachgedacht, wie er reagieren sollte. Nun wusste er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Das Schicksal war auf seiner Seite.

Denn jetzt war er bereit, seine Einstellung zum Thema Rache zu überdenken – vor allem, wenn ein Plan so verführerisch vor ihm lag und in seinen Lenden ein Feuer brannte, wie er es nur selten erfahren hatte. Es war an der Zeit, die Gespenster der Vergangenheit endgültig zum Schweigen zu bringen und sich selbst ein kleines Vergnügen zu gönnen.

­Kallie blickte hinaus auf die Straßen von Paris. Normalerweise hätte sie kein Taxi genommen; die Metro genügte voll und ganz ihren Ansprüchen. Aber in letzter Sekunde war sie in der Agentur aufgehalten worden. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln würde sie es nicht mehr rechtzeitig ins Hotel de Crillon schaffen. Sie fühlte sich fahrig und nervös. Wie würde es sein, Alexandros wiederzusehen? Er wirkte größer als damals. Schlank und muskulös. Etwas zuckte lustvoll in ihrem Inneren zusammen. Hastig blendete sie die erotischen Bilder aus.

Er hatte nie geheiratet. Seit dem Debakel mit Pia Kyriapolous hatte es keine Gerüchte in dieser Hinsicht gegeben. Pia hingegen hatte sich rasch mit einem anderen Mann vermählt, womit sie zweifellos noch weiteres Salz in Alexandros’ Wunden gestreut hatte.

Rückblickend musste ­Kallie sich eingestehen, dass ihre aufkeimende sexuelle Entwicklung hoffnungslos von Alexandros bestimmt gewesen war. Aber natürlich hatte er das nicht bemerkt. In erotischer Hinsicht hatte er sie nie wahrgenommen. Nur deshalb, mit dem ermutigenden Befehl von Eleni im Rücken, war es möglich geworden, dass sie ihn in jener Nacht aufgesucht hatte. Jetzt schloss ­Kallie die Augen und schluckte. Heute war sie eine erwachsene Frau und besaß die Kontrolle über sich und ihre Gefühle.

Sie lächelte grimmig und öffnete die Augen. Sie hatte unreifes Begehren mit Liebe verwechselt. Und was Eleni anging … ­Kallie seufzte. Es hatte keinen Sinn, jetzt an ihre Cousine zu denken. Im Moment gab es nichts, was sie tun konnte. All das gehörte der Vergangenheit an.

Das Taxi hielt nun vor der Eingangstür des Hotels. Innerhalb weniger Sekunden wurde ihr abwechselnd heiß und kalt. Ein Portier trat an den Wagen und öffnete ihr die Tür. Die hohen Stöckelschuhe ließen ihre Schritte unsicher werden. Vorsichtig betrat sie das mit honigfarbenem Marmor ausgelegte Foyer.

Sie sah ihn sofort und verspürte den innigen Wunsch, sich umzudrehen und zu fliehen. Dann straffte sie die Schultern und ging weiter. Er saß auf einem hohen Stuhl an der Bar und schwenkte ein Glas mit einer dunklen Flüssigkeit in der Hand. Intensiv und eindringlich blickte er in sein Glas – als könne er dort Antworten auf drängende Fragen finden. ­Kallie blieb neben ihm stehen und versuchte, sich nicht von seiner Ausstrahlung überwältigen zu lassen.

„Alexandros …“, murmelte sie und verfluchte ihre Stimme, die ein wenig zitterte.

Er sah auf. Sein Blick aus tiefen dunklen Augen nahm sie gefangen. Mit einer anmutigen Bewegung stand Alexandros auf, seine Miene jedoch blieb ausdruckslos. Er streckte die Hand aus, um ihr den Mantel abzunehmen. Nur zögernd übergab ­Kallie ihm das Kleidungsstück, sorgsam darauf bedacht, seine Hand nicht zu berühren.

„Entschuldige meine Verspätung. Ich wurde in der Agentur aufgehalten.“

Er lächelte, aber das Lächeln erreichte nicht seine Augen. „Kein Problem. Wir nehmen einen Drink und gehen dann ins Restaurant.“

Er gab sich charmant und liebenswürdig, was sie ihm nicht für eine Sekunde abkaufte. Auf unsicheren Beinen folgte sie ihm zu einem Tisch. Sie war froh, dass sie sich für eine schlichte Seidenbluse und einen geraden schwarzen Rock entschieden und keinen Versuch unternommen hatte, ihn mit ihrer Kleidung zu beeindrucken. Als der Kellner an ihren Tisch trat, bestellte sie ein Mineralwasser.

Alexandros zog eine Augenbraue hoch und orderte einen Whiskey. „Heute Abend keinen Alkohol?“

Die unverhohlene Anspielung ließ sie erröten. Natürlich bezog er sich auf jene Nacht, als sie ihm die Flasche mit Ouzo quasi aus der Hand gerissen hatte. Hatte er denn gar nichts vergessen? Sie schüttelte den Kopf.

Sie würde ihm nicht sagen, dass sie seit jener Nacht keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt hatte. Die Möglichkeiten waren zahlreich gewesen, aber irgendwie hatte sie sich nie dazu überwinden können. Allein von dem Geruch wurde ihr übel.

„Ich bin sehr beschäftigt. Warum sagst du mir nicht einfach, was du von mir willst?“

„Alles zu seiner Zeit, ­Kallie.“ Er beugte sich vor, und ­Kallie musste gegen den Drang ankämpfen, sich gleichzeitig nach hinten zu lehnen. Allmählich bekam sie den Eindruck, sie befinde sich in einem größeren Spiel, von dessen Regeln sie keine Ahnung hatte. Gefangen wie eine Fliege in einem Spinnennetz. Und das gefiel ihr überhaupt nicht. Nicht, wenn Alexandros sie wie eine hungrige Spinne anlächelte.

„Sag mir“, meinte er gleichmütig, als der Kellner das Wasser brachte, „was hat dich nach Paris verschlagen? Bist du nicht in England aufs College gegangen?“

­Kallie nickte langsam, fest entschlossen, sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen. Trotzdem fiel ihr die Antwort überraschend leicht.

„Nach dem Tod meiner Eltern wollte ich aus London fort, und Paris habe ich schon immer geliebt. Während der Collegezeit habe ich ein Jahr hier verbracht und Französisch gelernt …“ Sie zuckte die Schultern. „Mit dem Geld aus meinem Erbe habe ich meine kleine Firma gegründet. Offensichtlich habe ich eine Marktlücke entdeckt, denn ich hatte rasch Erfolg. Englische Unternehmen beauftragten mich für ihre Präsentationen in Frankreich, französische für ihre in England.“

Alexandros dachte an seine Recherchen, die er vor zwei Tagen über ­Kallie eingeholt hatte. An die unzähligen Bilder, die sie auf verschiedenen Partys zeigten. Stets schien sie im Mittelpunkt zu stehen. Auch wenn sie durch die Kleidung, die sie heute trug, ein seriöses Bild zu vermitteln versuchte, konnte sie doch nicht die Kurven verbergen, die er auf der Party im Ritz bereits entdeckt hatte.

Trotz ihrer heutigen Abstinenz glaubte er nicht, dass sie keinen Alkohol trank. Er spürte, wie Wut in ihm aufstieg, und zwang sich, höflich zu blieben. Zumindest für eine Weile.

„Du hast weit mehr getan, als eine Marktlücke zu finden. Fachzeitschriften bringen Artikel über deine Firma. Letztes Jahr hast du den Preis für das beste neu gegründete kleine Unternehmen gewonnen.“

Seine Lobeshymne enthielt zu viel Spott, als dass ­Kallie tatsächlich Stolz über ihre Leistungen empfunden hätte. „Wie gesagt, wir hatten Glück mit dem Zeitpunkt. Durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal sind England und Frankreich näher aneinandergerückt. Viele Menschen nutzten das für ihre Geschäfte. Ich bin nur einer davon.“

„Ja, aber nicht alle tun das mit so viel Erfolg wie du. Offensichtlich verfügst du über die Demarchis-Gene.“

„Die sind nichts im Vergleich zu den Kouros-Genen“, erwiderte sie mit einem Lächeln und entspannte sich ein wenig. Sie wunderte sich über ihr eigenes Lächeln und schürzte rasch die Lippen. Sich zu entspannen bedeutete, gefährliches Terrain zu betreten.

„Vielleicht.“ Alexandros ließ seinen Blick auf ihrer sinnlichen Unterlippe ruhen. Auf ihr Lächeln war er nicht vorbereitet gewesen. Sein Kopf schien von einem ganz untypischen Nebel ergriffen zu werden, denn alles, woran er im Moment denken konnte, war, wie es sich wohl anfühlen würde, diesen wundervollen Mund mit seinem zu liebkosen und ihn sanft zu erkunden …

Erleichtert sah er, wie der Kellner des Restaurants jetzt auf ihn zueilte. „Mr Kouros, entschuldigen Sie bitte die Störung. Ihr Tisch wäre jetzt frei. Oder wünschen die Herrschaften noch einen Drink?“

Mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze, die ­Kallie erschauern ließ, erhob er sich. „Bitte nach Ihnen, Pierre.“

Er wartete, bis auch ­Kallie aufgestanden war, und musste dann die Hände zu Fäusten ballen, so plötzlich überfiel ihn das Bedürfnis, sie zu berühren. Er wollte eine Hand auf ihre Hüften legen, fühlen, wie sie sich bewegte, und spüren, wie der seidige Stoff über ihre Haut glitt. Er betrachtete ihr glänzendes Haar. Es ist länger als damals, dachte er. Die wilden Locken ihrer Jugend sind zu sanften Wellen gezähmt.

Das bohrende Gefühl der Langeweile war definitiv verschwunden. Seit langer Zeit war es das erste Mal, dass er sich auf die Zukunft freute.

„Gut?“

­Kallie reagierte mit äußerster Wachsamkeit auf Alexandros’ Frage. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und legte Gabel und Messer auf den leeren Teller vor sich.

„Es ist schon erstaunlich“, bemerkte sie. „Ganz gleich, wie gestresst ich bin, mein Appetit hat nie darunter gelitten. Aber daran wirst du dich ja sicher auch erinnern.“

Alexandros ließ seinen Blick über ihren Körper wandern, zumindest über den Teil, den er sehen konnte.

Ihr wurde ganz warm unter seinen Blicken. Warum nur hatte sie seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssen? Ihr fiel seine hässliche Bemerkung ein, dass sie eine Schönheitsoperation gehabt haben musste. Dann hob er glücklicherweise den Kopf und sah ihr in die Augen.

„Du scheinst immer noch ein wenig unsicher zu sein. Vielleicht warst du damals ein bisschen pausbäckig, aber welcher Teenager war das nicht?“

Pausbäckig …?

Ein Gefühl der Erniedrigung breitete sich in ihr aus, wenn sie an jenen Abend zurückdachte und daran, wie leidenschaftlich sie gewesen war. Wie ihr Körper nach seinem gebrannt hatte. Wie ihre eigenen Emotionen sie überwältigt hatten. Und wie sie sich für einen Augenblick vorgestellt hatte, er würde dasselbe für sie empfinden. Natürlich war das nicht der Fall gewesen. Er hatte nicht lange gebraucht, um zur Vernunft zu kommen. Am liebsten hätte sie jetzt die Augen geschlossen, damit sie ihn nicht mehr anzusehen brauchte.

„Alexandros, ist es denn nicht an der Zeit, mir zu sagen, warum …?“

Er ignorierte ihre Bitte und fiel ihr ins Wort. „Nein, ist es nicht.“

Sein harscher Tonfall ließ sie zusammenzucken, was er zu bemerken schien. Sie sah, wie angespannt seine Gesichtszüge waren, als versuche er, irgendetwas zu kontrollieren.

„Warum hast du diesem Käseblatt von unseren Gesprächen erzählt? Hat es dir nicht gereicht, das Foto weiterzugeben?“

­Kallie errötete bis in die Haarspitzen. Herausfinden zu müssen, wie sehr ihr eigenes Vertrauen missbraucht worden war, hatte sie zutiefst verletzt. Aber würde er verstehen, wie es war, ein Teenager zu sein, der gerade seine erste Liebe erlebte? Wie sie sich einfach jemandem anvertrauen musste, von dem sie glaubte, er würde Stillschweigen bewahren? Natürlich nicht. Der Alexandros, den sie vor langer Zeit gekannt hatte, hätte es vielleicht nachvollziehen können … aber dieser Mann hier nicht.

­Kallie war froh, Eleni nie verraten und die Wahrheit für sich behalten zu haben. Sie musste herausfinden, was Alexandros von ihr wollte. Denn dass er etwas wollte, stand absolut fest.

Sie legte einen eisernen Panzer um ihr Herz. Die Gespräche, die er erwähnt hatte, gehörten in eine andere Zeit. Eine Zeit der Unschuld. Aber, erinnerte sie sich, nach dem Tod seines Vaters hatte er die Leitung von Kouros Shipping übernommen und sich verändert. Unter seiner Leitung war die millionenschwere Firma zu einem Milliarden umsetzenden Imperium geworden. Er war nicht mehr der Mensch, den sie einst gekannt hatte, der ihr anvertraut hatte, er würde am liebsten Kunst studieren.

„Ich habe nicht … Es war nicht so, wie du denkst“, entgegnete sie kläglich.

Er beugte sich vor. „Ach, und wie war es dann, ­Kallie?“

Langsam näherten sie sich dem Ziel dieses Abendessens. ­Kallie verspürte Erleichterung in sich aufsteigen. Einen wütenden Alexandros, der sie hasste, konnte sie einschätzen. Mit ihm konnte sie umgehen.

„Es war nie meine Absicht, dich zu verletzen, Alexandros. Aber glaub, was du willst … deine Meinung steht ja seit jenem Tag fest.“

„Du hast mich nicht verletzt“, spottete er. „Aber mit deinem sorglosen grausamen Verhalten hast du eine Spur der Zerstörung hinter dir hergezogen. Dein Onkel Alexei …“

Er ließ den Satz unbeendet. Auf den abrupten Themenwechsel war sie nicht vorbereitet. Sofort kehrte ihre Wachsamkeit zurück. Unter dem Tisch ballte sie die Hände zu Fäusten.

„Was ist mit ihm?“

Gleichgültig zuckte Alexandros die Schultern. „Ich habe gehört, er steckt in Schwierigkeiten …“

Schuldgefühle stiegen in ­Kallie auf. Die Worte ihres Onkels von vor zwei Tagen fielen ihr wieder ein. Er hatte gesagt, er habe sich an Alexandros wenden müssen. Bislang hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben, ihn zu fragen, was er damit eigentlich gemeint hatte.

„Was für Schwierigkeiten?“, stieß sie hervor. In diesem Augenblick hasste sie Alexandros. Er genoss jeden Moment dieses Dinners. Ihre Nerven hingegen waren zum Zerreißen gespannt.

„Die Sorte, die sich leicht mit einer kleinen Finanzspritze von einigen Millionen Euros lösen lassen.“

­Kallie versuchte alles, um ihr Entsetzen zu verbergen. Plötzlich fühlte sie sich sehr verwundbar. Ganz offensichtlich war Alexandros auf irgendeine Art Rache aus.

„Du besitzt deinen Aktienanteil an der Firma deiner Eltern nicht mehr, oder?“, fragte er unvermittelt.

Woher wusste er das?

Vorsichtig schüttelte sie den Kopf.

„Konntest du nicht einmal abwarten, bis deine Eltern unter der Erde waren, bis du die Aktien zu Geld gemacht hast?“

Die Grausamkeit seiner Worte ließ sie nach Luft schnappen. So war es mitnichten gewesen. Sie hatte Alexei die Papiere gegeben, und er hatte sie verkauft. Von dem Erlös hatte ihr Onkel ihr einen kleinen Teil gegeben, mit dem sie dann ihre Firma gegründet hatte. Mit dem Rest hatte sie nichts zu tun haben wollen, Alexei hingegen hatte das Geld gut gebrauchen können.

­Kallie beugte sich vor – wobei sie sich nicht bewusst war, dass sie Alexandros damit einen herrlichen Einblick in ihre Bluse gewährte. Sie zitterte vor Wut über seine Ungerechtigkeit.

„Was ich mit meinen Aktienanteilen getan oder nicht getan habe, geht dich nichts an, Alexandros!“

Er zuckte nur die Schultern, als interessiere es ihn nicht wirklich. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte ihn geohrfeigt, damit endlich das selbstzufriedene Lächeln aus seinem Gesicht verschwand.

„Tatsache ist, dass sich dein Onkel an mich gewandt hat, damit ich ihm helfe – ihm einen Kredit gewähre, wenn du so willst.“

­Kallie sank in sich zusammen. Oh, Alexei, was hast du getan?

„Was willst du, Alexandros? Sicherlich hat das doch nichts mit dem zu tun, was vor vielen Jahren passiert ist?“

„Warum nicht, ­Kallie? Glaubst du, dass das, was du getan hast, vielleicht doch nicht so schlimm war? Dass die Zeit es abgeschwächt hat? Du hast versucht, mich zu verführen, und als du deinen Willen nicht durchsetzen konntest, hast du wild um dich geschlagen. Du allein hast meine Hochzeit verhindert.“

„Alexandros …“ Helle Panik hatte sich in ihre Stimme geschlichen. „Pia hat dich doch bestimmt alles erklären lassen. Ich bin sicher, du hast sie überzeugen können, dass nichts passiert ist. Wenn sie dich geliebt hat, dann …“

„Du bist wirklich unglaublich! Liebe? Es ging nie um Liebe, ­Kallie. Es war eine arrangierte Geschäftsbeziehung, um das Vermögen zweier Familien zu vereinen. Ich brauche ja nicht zu erwähnen, dass diese Verschmelzung nie stattgefunden hat, nachdem Pias Familie zu der Einschätzung gelangt ist, ich sei nicht in der Lage, meine Arbeit richtig zu erledigen. Dank deiner Enthüllungen!“

­Kallie war sprachlos. Sie hatte immer angenommen, er liebte Pia. Und obwohl sie nicht mit der Presse gesprochen und nichts mit dem verfluchten Foto zu tun hatte, fühlte sie sich schuldig. Schließlich hatte sie versucht, Alexandros zu verführen, obwohl der nur mit ihr hatte befreundet sein wollen.

Ihre eigene Verletzlichkeit und ihre Schwäche für diesen Mann versetzten sie in Wut. Sie öffnete den Mund, um ihre Unschuld zu verteidigen, und hielt dann inne. Eleni. Es gab nichts, was sie sagen konnte. Wütend über die Ausweglosigkeit der Situation legte sie die Serviette hin und wollte aufstehen. Über den Tisch hinweg ergriff Alexandros ihre Hand.

Ihre weiche Haut, den fliehenden Puls zu fühlen, berührte etwas in Alexandros’ Innerem und umwölkte für eine Sekunde seine Gedanken. Er durfte seine Selbstkontrolle nicht verlieren und nicht vergessen, warum er hier war.

„Ich bin noch nicht fertig mit dir, ­Kallie. Tatsächlich habe ich noch gar nicht angefangen.“

Sie entzog ihm ihre Hand. „Es gibt nichts, was anfangen könnte, Alexandros. Ich werde jetzt gehen.“

Seine Stimme klang leise und drohend. „Nein, das wirst du nicht. Wenn du aufstehst, werde ich dich über meine Schulter legen und aus dem Restaurant tragen. Glaub nicht, dass ich es nicht tun würde. Also, wir können uns hier unterhalten oder einen kleinen Skandal verursachen, den Paparazzi einige reizvolle Motive bieten und die Angelegenheit in meinem Apartment besprechen.“

Langsam ließ ­Kallie sich wieder auf den Stuhl sinken. Auf keinen Fall wollte sie mit ihm alleine sein. Und sie wusste, dass seine Worte keine leeren Drohungen waren.

Als sie wieder Platz genommen hatte, fuhr er so lässig fort, als sprächen sie über das Wetter. „Wie ich schon sagte, braucht dein Onkel dringend einen Kredit. Geld, um Demarchis Shipping wortwörtlich über Wasser zu halten. Das bringt mich in eine interessante Position, meinst du nicht auch?“ Aber er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. „Ich war durchaus bereit, Geschäfte mit Alexei zu machen, weil das auch meinen Interessen nützt, aber jetzt haben die Dinge eine faszinierende Wendung genommen. Ich brauche ja nicht erst darauf hinzuweisen, dass es für mich absolut gleichgültig ist, ob ich ihm helfe oder nicht. Doch für ihn würde es einen sehr großen Unterschied bedeuten.“

Die Linien in seinem Gesicht waren hart geworden. Die Zeit und die Umstände hatten diesen Mann in eine Kombination aus Rücksichtslosigkeit und Kälte verwandelt. Und sie selbst, ging es ihr durch den Kopf, war an diesen Veränderungen nicht unschuldig.

„Alexei ist ein zäher alter Knochen, aber mittlerweile hat er alle anderen Hilfsquellen ausgeschöpft. Ich bin, wie er mir selbst gesagt hat, seine letzte Hoffnung.“

„Wieso weiß ich davon nichts? Wieso hat niemand aus meiner Familie mir etwas davon gesagt?“

Plötzlich wirkte sie nur noch jung und verloren. Ihre großen Augen schimmerten in diesem faszinierenden Blau und Grün. Etwas regte sich in Alexandros’ Brust, das er gleich wieder zum Schweigen brachte.

„Wer weiß? Weil du deine Aktien so schnell verkauft hast, weil du nach Paris gezogen und England den Rücken gekehrt hast, dachten Alexei und deine Familie vielleicht, du hättest kein Interesse mehr an ihren Problemen.“

Gegen ihren Willen empfand sie das vertraute Gefühl von Trauer. Sie blickte ihn mit schmerzerfüllten Augen an und antwortete, ohne nachzudenken. „So war es nicht. Es ist nur einfach zu viel geworden. Nach der Beerdigung war das Geschäft das Einzige, worüber sie redeten. Alles deutet darauf hin, dass sich mein Vater das Leben genommen und das meiner Mutter mit in den Tod gerissen hat. Darüber wollte niemand sprechen.“ Ihre Stimme brach, und sie blinzelte die Tränen zurück, in der Hoffnung, er würde ihre Verletzlichkeit nicht bemerken.

Erst als sie glaubte, sich wieder unter Kontrolle zu haben, hob sie den Kopf. Auf seinem Gesicht lag ein angespannter Ausdruck, der gleich darauf verschwand. Stattdessen hatte er wieder seine undurchsichtige Miene aufgesetzt. Sie presste die Lippen fest aufeinander.

Vielleicht bildete er sich nur ein, dass ihre Züge weicher geworden waren, doch Alexandros spürte, wie sein Plan ins Wanken geriet. Die Sache verlief nicht, wie er sie sich vorgestellt hatte. Er wollte die Hand ausstrecken und mit dem Daumen über ihre Wangen streicheln. Schon wieder verlor er sein Ziel aus den Augen. Am liebsten hätte er aufgehört zu reden und sie in sein Bett geführt. Die Schnelligkeit, mit der diese Frau seine Sinne überwältigte, entsetzte ihn.

­Kallies Wut über diese unfaire Situation entbrannte erneut. Alles, was sie getan hatte, war, diesem Mann vor langer Zeit ihr Herz und ihre Seele zu offenbaren. Und er hatte ihre Gefühle mit Füßen getreten. Noch bevor die Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt war. „Schau, Alexandros. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern, ebenso wenig wie du mit all deinem Geld. Vielleicht habe ich die Dinge … angestoßen. Ich habe versucht, meinen Eltern alles zu erklären, aber sie wollten nicht auf mich hören.“

Er hob eine Hand und sah sie höhnisch an. „Ach, bitte. Es ist ein bisschen spät, mir zu sagen, du hättest meine Ehre verteidigt, wenn du zuvor so kaltblütig das Foto arrangiert und die E-Mail an die Presse verfasst hast. Aber“, er brachte ihren Protest mit einem einzigen Blick zum Verstummen, „es gibt einen Ausweg. Ich helfe Alexei, und wir lassen die Vergangenheit endgültig hinter uns.“

„Welchen?“

„Dich, ­Kallie.“

Bevor sie die Worte wirklich begreifen und sie ihre Wut darüber entladen konnte, fragte er unvermittelt: „Kennst du meinen Onkel Dimitri?“

Sie nickte, obwohl sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Worauf wollte er jetzt wieder hinaus?

„Er ist vor einem Monat gestorben.“

„Ich habe gar nicht gewusst, dass er krank war. Es tut mir sehr leid“, entgegnete sie unbeholfen.

Er zuckte nur die Schultern und verbarg die Tatsache, dass er Dimitri wie einen Vater geliebt hatte. Vor langer Zeit hätte er ­Kallie so etwas anvertraut, aber jetzt nicht mehr.

„Sein Tod kam überraschend. Das ist einer der Gründe, warum ich dich heute Abend hergebeten habe.“

Zusammen mit dem brennenden Verlangen, das dich mittlerweile so fest umschlungen hält, dass du alle zwei Sekunden deine Sitzposition ändern musst.

Ein Kellner trat an den Tisch und räumte das Geschirr ab. ­Kallie lehnte ein Dessert ab und bestellte nur einen Kaffee. Alexandros orderte etwas Alkoholisches. Er wartete, bis sein Drink serviert wurde, und richtete dann seinen Blick wieder fest auf die Frau ihm gegenüber. Er würde es ihr nicht leicht machen.

„Ich muss es zugeben, die Begegnung mit dir war ein Schock für mich, aber das Timing ist perfekt.“

Wachsam sah sie ihn an. „Timing? Wofür?“

Er musterte sie eindringlich und zwang sich, ihr in die Augen zu sehen, den Kopf nicht zu senken, nicht auf den weichen Ansatz ihrer Brüste zu schauen und nicht auf den Anhänger, der dort auf dieser zarten Haut ruhte. Haut, die so weich aussah und … Er biss die Zähne zusammen.

Denk an deine Ziele. Konzentrier dich aufs Geschäftliche. Hier geht es nur ums Geschäft. Und um Rache. Sonst nichts.

Alexandros richtete seine Aufmerksamkeit auf das, was vor ihm lag, und verbannte ­Kallies erblühte Reize aus seinen Gedanken. Dafür ist später noch Zeit, schwor er sich.

„Ich brauche eine Ehefrau. Und du, ­Kallie, schuldest mir etwas.“

4. KAPITEL

„Wie bitte?“

„Ja, ­Kallie. Es ist an der Zeit, dass du Wiedergutmachung für das leistest, was du mir vor sieben Jahren angetan hast. Ich wette, du hast nicht damit gerechnet, jemals für deine Taten bezahlen zu müssen. Und ich muss zugeben, dass auch ich glücklich und zufrieden damit war, dich nie wiederzusehen. Aber dir so überraschend zu begegnen und dann auch noch in dieser …“, er suchte nach den richtigen Worten, „… fatalen Situation, in der ich mich gegenwärtig befinde, war schon ein sehr großer Zufall.“

Ein Albtraum. Sie war in einem Albtraum gefangen. Das konnte alles nicht wahr sein. Plötzlich war um sie her nur noch Rauschen. ­Kallie blickte sich um. Sie sah speisende Menschen. Liebende, die einander an den Händen hielten. Männer, die Geschäftsessen abhielten. Sie wirkten so real. Schlagartig kehrte die Gegenwart zurück. Jemand rief ihren Namen.

„Hier, trink das.“

Alexandros hielt ihr ein Glas mit einer dunklen Flüssigkeit entgegen. Sein Drink. Heftig schüttelte sie den Kopf und schob seine Hand beiseite.

„Was ist los mit dir?“, fragte er in barschem Tonfall.

Noch einmal schüttelte sie den Kopf, seine Frage ignorierend. „Warum, um alles in der Welt, willst du mich heiraten, Alexandros?“ Ihre Hand kribbelte immer noch von seiner Berührung. „Warum solltest du das wollen?“

Er stellte das Glas ab und lächelte grimmig. „Keine Sorge, ­Kallie. Ich will dich gar nicht heiraten. Als mein Onkel Dimitri gestorben ist, hat er mir seinen Anteil von Kouros Shipping hinterlassen. Das ist der letzte Teil, der sich noch nicht unter meiner Kontrolle befindet.“

Ausdruckslos blickte sie ihn an. Sie stand unter Schock.

„Das war zu erwarten. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, was er mir vererben wird. Allerdings gab es in seinem Testament auch eine Überraschung. Dimitri verfügte über einen speziellen Humor. Er wusste, wie ich zum Thema Heirat stehe. Ich hatte niemals vor zu heiraten“, beantwortete er ­Kallies fragenden Blick. „Die Frau, die ich heiraten würde, existiert nicht.“

Seine Worte bohrten sich wie ein Messer in ihr Herz. War es allein ihre Schuld, dass er so empfand?

„In seinem Letzten Willen hat er eine Klausel eingefügt, dass ich binnen sechs Monaten heiraten muss, um das Erbe anzutreten.“ Alexandros’ Mundwinkel zuckten. „Er wusste genau, dass ich sonst niemals dieser törichten romantischen Anwandlung nachgeben würde.“

Verzweifelt suchte ­Kallie nach Worten, um endlich die in ihr wirbelnden Gefühle zum Schweigen zu bringen. „Aber es kann doch nicht so schlimm sein, wenn du seinen Anteil nicht bekommst? So groß ist er doch nicht, oder?“

„Das nicht, aber Dimitris Aktienpaket nimmt eine Schlüsselstellung ein. Er hat in seinem Letzten Willen verfügt, dass sein Anteil, wenn ich nicht binnen sechs Monaten heirate, an Stakis Shipping geht.“

­Kallie musste hörbar schlucken. Stakis Shipping war der Todfeind der Familie Kouros. Schwarzmarktgeschäfte, Gerüchte über Drogenhandel und Prostitution. Sie waren das schwarze Schaf unter den Reedereien, und die einzige Familie, die mächtig genug war, um Kouros Shipping zu übernehmen. Wenn das, was Alexandros behauptete, wahr war, wäre es, als würde man ihnen Kouros Shipping auf einem Silbertablett präsentieren.

„In seinem Bestreben, mich glücklich verheiratet zu sehen, hat mein Onkel mich bei einer Weigerung dem beruflichen Selbstmord ausgeliefert.“

„Ist es wirklich so schlimm?“

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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Diana Hamilton gehört zu den populären britischen Autorinnen für Liebesromane. Seit 1986 wurden über 50 Romane von ihr veröffentlicht. Bereits als Kind trainierte Diana Hamilton ihre Fantasie. Gern wäre das Stadtkind auf dem Land geboren, deshalb verwandelte sie den Baum im Garten des Nachbarn in einen Wald, aus einem Mauerloch...
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<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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