The Kavanaghs of Silver Glen - Luxus und Leidenschaft - 7-teilige Serie

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Südstaaten-Familiensaga über die Besitzer eines Luxusresorts in den Bergen von North Carolina.

EINE NACHT MIT DIR IST NICHT GENUG!
Wildes blondes Haar, geheimnisvolle Augen und eine unbeschwerte, fröhliche Art: Vom ersten Moment an ist Liam Kavanagh von der hübschen Zoe fasziniert. Wie ein Wirbelwind fegt Zoe in Liams Leben und erobert seine Gefühle im Sturm. Ist sie die Traumfrau, nach der er schon so lange sucht? Liams Herz schreit Ja, doch sein Verstand mahnt ihn zur Vorsicht! Irgendetwas scheint Zoe vor ihm zu verbergen …

NACHHILFE IN LEIDENSCHAFT
Mia weiß nicht mehr weiter: Job verloren, verlassen. Wovon soll sie jetzt leben? Schweren Herzens kehrt sie nach Silver Glen zurück - und läuft Dylan Kavanagh über den Weg. Dass er sie nach all der Zeit sofort erkennt, ist die erste Überraschung. Die zweite, was für ein attraktiver Traummann aus dem jungen Rebellen geworden ist! Die dritte Überraschung: Dylan bietet ihr einen Job an! Und plötzlich gibt er ihr Nachhilfe - in dem Fach, in dem sie bis jetzt immer gescheitert ist: Liebe und Leidenschaft …

WEIHNACHTEN IM BETT DES MILLIARDÄRS
Der Unternehmer Aiden Kavanagh ist verwirrt: Was macht seine unvergessene College-Liebe Emma in seiner abgeschiedenen Heimatstadt Silver Glen? Plötzlich kreuzen sich ständig ihre Wege. Obwohl zehn Jahre und eine bittere Trennung hinter ihnen liegen, ergreift die Leidenschaft für Emma erneut Besitz von Aiden. Aber warum gibt sie sich seinen Zärtlichkeiten jetzt so bereitwillig hin? Schließlich wollte sie damals einen anderen heiraten. Kann Aiden es wagen, Emma wieder in sein Herz zu lassen?

ZU EINEM MILLIARDÄR SAGT MAN NICHT NEIN
So etwas passiert nur in Las Vegas: Nachdem er sie vor einem zudringlichen Kerl gerettet hat, erlebt Gavin mit der schönen Cassidy eine unvergessliche Nacht voller Leidenschaft und Ekstase. Als er am nächsten Morgen aufwacht, ist das Bett neben ihm leer. Cassidy ist verschwunden. Doch sechs Wochen später steht Cass überraschend vor seiner Tür - und behauptet Unglaubliches …

UNSERE LIEBE KENNT KEIN LIMIT

Conor Kavanagh geht immer ans Limit - sei es beim Skifahren, Bergsteigen oder in der Partnerschaft. Das hat Ellie schon damals nicht verstanden. Und ihn verlassen, weil sie die ständige Angst nicht ertragen konnte. Vierzehn Jahre ist es her, dass der Millionär seine Jugendliebe gesehen hat, und direkt sprühen erneut die Funken zwischen ihnen. Sich wieder auf Ellie einzulassen, hieße, sich von Grund auf zu ändern - doch sein freies Leben scheint ihm wichtiger als Ellies Liebe …

TAUSEND KÜSSE FÜR DEN BOSS
Libby braucht den Job! Sie muss den arroganten Patrick Kavanagh davon überzeugen, dass sie die Richtige ist: elegant genug für die Rezeption in seinem Luxusresort, sportlich genug, um die Hotelgäste bei ihren anstrengenden Outdoor-Ausflügen zu begleiten. Und Patrick gibt ihr eine einzige Chance. Bloß auf eines ist Libby nicht vorbereitet: Als sie zum ersten Mal mit ihm allein in der Wildnis unterwegs ist, küsst er sie heiß - unter tausend Sternen. Doch dann öffnet er die Augen, und Libby glaubt, darin immer noch Zweifel zu lesen …

WENN DAS BEGEHREN NEU ERWACHT ?
Lila Baxter ist verzweifelt: Plötzlich soll die erfolgreiche Karrierefrau für das Baby ihrer Schwester sorgen. Ausgerechnet ihr verboten attraktiver Exfreund James Kavanagh steht ihr dabei zur Seite. Der Millionär ist ein passionierter Zimmermann und übernimmt kurzerhand den Umbau ihres Hauses. Die unverhoffte Nähe weckt in Lila wieder eine brennende Sehnsucht nach ihm, doch sie weiß genau: Seine konservativen Vorstellungen von einer Beziehung wird sie niemals teilen. Aber dann überrascht James sie, und das nicht nur mit heißen Küssen …


  • Erscheinungstag 24.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735975
  • Seitenanzahl 1008
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Janice Maynard

The Kavanaghs of Silver Glen - Luxus und Leidenschaft - 7-teilige Serie

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2014 by Janice Maynard
Originaltitel: „A Not-So-Innocent Seduction“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1920 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Ute Augstein

Abbildungen: Nejron Photo / Fotolia, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733721589

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Zoe Chamberlain schaffte es gerade noch, den VW-Bus an den Straßenrand zu lenken, bevor der Motor mitten in der malerischen Landschaft den Geist aufgab. Eigentlich überraschte das Zoe nicht sonderlich, denn der Motor war bereits dreimal generalüberholt worden. Trotzdem wollte sie sich um keinen Preis von ihrem geliebten Kleinbus trennen.

Denn Bessie – wie Zoe ihr in Himmelblau und Weiß lackiertes Gefährt, dessen Türen mit Gänseblümchen bemalt waren, liebevoll nannte – war eine der wenigen Konstanten in ihrem bewegten Leben. Und offenbar wollte Bessie ihre Besitzerin nun auf ihre Art dazu ermuntern, den nächsten Halt in Silver Glen, North Carolina, einzulegen.

Zoe stieg aus, gähnte, streckte sich und genoss dabei den freundlichen Sonnenschein und die erfrischende Kühle des Aprilmorgens. In dem Tal zu ihren Füßen lag ein bezauberndes Städtchen, das von hier oben aus betrachtet wie ein Postkartenmotiv wirkte.

Bedauerlicherweise gab es in dem idyllischen Flecken kein Taxi-Unternehmen, wie sie mit einem Blick auf ihr Smartphone feststellte. Die einzige Beförderungsmöglichkeit bot die Silver Beeches Lodge an, ein teures Hotel, in dessen Leistungen ein Shuttle-Service zum Flughafen enthalten war. Allerdings bezweifelte Zoe nicht, dass man für sie eine Ausnahme machen und sie auch von hier abholen würde.

Durch ihr Leben „on the road“ traf Zoe jeden Tag auf die unterschiedlichsten Menschen – und kam mit allen zurecht. Mit ihrem charmanten Lächeln hatte sie bisher noch jeden für sich gewinnen können.

Da war sie also wieder einmal. Eine neue Stadt. Ein paar Probleme, mit denen sie fertigwerden würde. Tief in ihrem Herzen wusste sie, dass sie nicht ewig so weitermachen konnte. Sie war es langsam leid, ständig unterwegs zu sein. Ihre überstandene Krankheit hatte sie mehr geschwächt, als sie ursprünglich angenommen hatte. Allmählich verblasste der Reiz, jede Woche an einen neuen Ort zu reisen, und sie spürte, dass sie sich mehr und mehr danach sehnte, endlich irgendwo Wurzeln zu schlagen.

Bisher hatte sie immer ihre Abenteuerlust als Ausrede für ihre Feigheit vorgeschoben. Ja, klar, sie hatte viel von der Welt gesehen – und natürlich erweiterte es den Horizont, wenn man reiste. Doch immer wieder holte ihre Vergangenheit sie ein – wenn es nicht hier geschah, dann möglicherweise an ihrem nächsten Halt.

Vielleicht war es endlich an der Zeit, sich ihren Dämonen zu stellen. Aber sie fühlte sich immer noch nicht bereit dafür. Erst wollte sie sich ein wenig ausruhen und wieder auf die Beine kommen, bevor sie sich an diese große Veränderung heranwagte.

Das kleine Städtchen schien so viel Frieden auszustrahlen – und im Augenblick wünschte sie sich nichts mehr als ein friedliches Leben. Vielleicht fand sie das ja in Silver Glen.

Seufzend tätschelte sie Bessies Kotflügel. „Tja, altes Mädchen. Ich schätze, hier hänge ich wohl erst einmal fest. Ich lasse dich so schnell wie möglich abschleppen. In der Zwischenzeit kannst du ja die herrliche Aussicht genießen.“

Liam Kavanaghs Blick wurde magisch von der schlanken Blondine angezogen, die in die Lobby trat. Auch ohne ihre Gitarrentasche und den knöchellangen Hippie-Rock, der sie wie ein Blumenkind aus den Sechzigerjahren wirken ließ, wäre sie ein absoluter Eyecatcher gewesen. Ihr federnder Gang und das fröhliche Lächeln strahlten eine ansteckende Unbeschwertheit aus, der man sich kaum entziehen konnte.

Das gut ausgebildete Personal der Silver Beeches Lodge wusste, wie man Gäste höflich und mit Wertschätzung empfing. Schon oft hatte Liam die Angestellten dabei beobachtet. Er selbst begrüßte so gut wie nie Besucher, es sei denn, es handelte sich um gute Freunde.

Diese Frau hier hingegen sah er heute zum ersten Mal. Trotzdem schienen seine Beine plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln, und ehe er sichs versah, hatte er die schöne Fremde abgefangen, bevor sein Concierge Pierre sich nach ihren Wünschen erkundigen konnte.

„Willkommen in der Silver Beeches Lodge. Was kann ich für Sie tun?“

Die Frau schob die große Schultertasche aus Bast ein Stück höher und lächelte ihn gewinnend an. Unwillkürlich erinnerte ihn der Anblick ihrer Augen an das Himmelblau eines herrlichen Sommertages. „Ich würde gern ein Zimmer mieten.“

Liam versuchte, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Die Preise für ein Zimmer begannen bei achthundert Dollar, und dieses betörende Geschöpf schien dem Anschein nach kaum in der Lage zu sein, sich so viel Luxus leisten zu können. Doch aus Erfahrung wusste Liam, dass ein erster Eindruck auch täuschen konnte. „Haben Sie denn reserviert?“, erkundigte er sich.

„Ja, online vor einer Stunde. Ist das ein Problem?“, fragte sie missbilligend – zu Recht, wie er sich beschämt eingestand, denn seine Frage musste ziemlich misstrauisch geklungen haben.

„Natürlich nicht“, entgegnete er rasch. „Ich dachte nur, ich wüsste über unsere heutigen Anreisen Bescheid. Da habe ich Ihre kurzfristige Reservierung wohl übersehen.“ Er gab ihr einen Wink, ihm zu folgen. „Herzlich willkommen. Marjorie am Empfangstresen wird sich um Sie kümmern. Bitte lassen Sie es mich wissen, falls Sie noch etwas benötigen. Ihre Zufriedenheit ist unser höchstes Ziel.“

„Das ist ja einfach wunderbar“, erwiderte sie lächelnd, und Liam spürte, wie seine Haut vor Erregung zu kribbeln begann.

Machte sie sich etwa über ihn lustig? Es wäre nicht das erste Mal, dass man ihn wegen seiner Ernsthaftigkeit aufzog. „So ist nun einmal unsere Philosophie“, erwiderte er steif und ärgerte sich selbst über seinen beleidigten Tonfall. Doch seitdem sein Vater vor zwanzig Jahren spurlos verschwunden war, hatte er die Position des Familienoberhauptes eingenommen. Das hohe Maß an Verantwortung und der Schmerz über das spurlose Verschwinden seines Dads hatten ihn nicht unbedingt zu einem unbeschwerten Menschen gemacht.

Rasch nickte er der Blondine zu und entschuldigte sich, sobald Marjorie die Begrüßung übernommen hatte. Anschließend durchquerte er die Lobby und gesellte sich zu Pierre, der wie jeden Tag einen schwarzen Smoking trug. „Nicht unbedingt der Typ Frau, der normalerweise bei uns logiert“, bemerkte er.

Bewundernd schürzte Pierre die Lippen. Er war in den Sechzigern und arbeitete schon seit seiner Jugend für die Kavanaghs. Sein Reich führte er mit eiserner Hand. „Hübsch“, sagte er.

Abwesend nickte Liam. Das Alter der Blondine war schwer zu schätzen. Ihr blasser Teint ließ sie ziemlich jung wirken, doch in ihrem Blick erkannte er, dass sie schon eine Menge vom Leben gesehen hatte. Eigentlich wusste er nicht, warum sie ihn so in den Bann zog – vielleicht, weil sie genau das Gegenteil der modisch gestylten Frauen war, die normalerweise in das Silver Beeches eincheckten.

Ob Rock- oder Filmstar, Politiker oder Adliger – sie alle wussten gleichermaßen zu schätzen, dass in der Silver Beeches Lodge nicht nur Wert auf Luxus, sondern auch auf die Privatsphäre der exklusiven Gäste gelegt wurde.

Als der Hotelpage mit dem einzigen Koffer der Blondine die Lobby betrat, reichte Marjorie ihr gerade die Schlüsselkarte und deutete auf die Fahrstühle. Nachdem der Page und die blonde Frau gegangen waren, kam Marjorie hinter dem Empfangstresen hervor und gesellte sich zu Liam und Pierre.

„Gibt es ein Problem?“, fragte Liam leise.

Marjorie schüttelte den Kopf. „Das kann man eigentlich nicht behaupten. Aber ich dachte, Sie würden es trotzdem gern wissen. Sie hat eine Suite für sechs Wochen gebucht.“

Erstaunt starrten beide Männer die grauhaarige Empfangsdame an. Liam erholte sich als Erster von seiner Überraschung. „Und wie sieht es mit der Bezahlung aus?“

„Alles bestens“, erwiderte Marjorie. „Sie hat eine Platinkarte ohne Limit. Aber ist das nicht seltsam? Wer bucht denn schon so kurzfristig ein Zimmer für sechs Wochen? Das ist ja wohl mehr als spontan, finden Sie nicht?“

Liam bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, obwohl innerlich all seine Alarmglocken schrillten. Doch er wollte sein Personal nicht beunruhigen. „Sie hat bestimmt ihre Gründe dafür.“

Entschlossen streckte Pierre das Kinn vor. „Ich behalte sie im Auge, Sir, und falls mir etwas auffällt, werde ich Sie umgehend darüber informieren.“

In diesem Moment kam Liams Mutter, Maeve Kavanagh, aus dem ehemaligen Dienstbotentrakt des Hotelgebäudes auf sie zu. Um ihren Hals baumelte eine Lesebrille, und ihr Haarknoten war leicht verrutscht. Sie war eine vor Lebenslust sprühende Sechzigjährige mit einem untrüglichen Instinkt dafür, wenn etwas nicht so lief, wie es sollte. „Ihr drei seht ja aus, als hättet ihr in eine Zitrone gebissen. Was ist denn los?“

Liam küsste sie auf die Wange. „Gar nichts. Wir haben einen neuen Gast und spekulieren darüber, woher die Frau kommt und was sie hier tut.“

„Das gehört sich nicht“, sagte Maeve streng. „Ihr wisst doch, dass ich Tratsch nicht ausstehen kann.“

„Ja, Ma’am“, erwiderte Liam ironisch lächelnd. „Ich weiß.“ Seiner Miene zum Trotz war er jedoch alles andere als amüsiert, denn es gab nichts, was er mehr verabscheute als Geheimnisse und Unregelmäßigkeiten. Das geheime zweite Leben seines Vaters hätte um ein Haar die gesamte Familie zerstört und war der Grund dafür, dass Reggie Kavanagh viel zu früh gestorben war.

Aus diesem Grund verabscheute Liam Menschen, die etwas zu verheimlichen hatten – auch, wenn sie so attraktiv waren wie die geheimnisvolle Blondine. „Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet. Ich muss noch ein paar Telefonate führen“, sagte er und ging den Flur entlang zu seinem Büro. Vermutlich ziehe ich nur voreilige Schlüsse, ermahnte er sich im Stillen. Ihr neuer Gast konnte unzählige Gründe für den überraschenden Besuch haben.

Allerdings wollte ihm kein einziger einfallen.

Auf dem Weg zu ihrem Zimmer löcherte Zoe den Hotelpagen mit ihren Fragen. „Und wer ist dieser attraktive Mann gewesen, der aussieht wie der junge Harrison Ford?“

Der Junge grinste. „Das ist Mr. Kavanagh, Liam Kavanagh. Seiner Familie gehört das Silver Beeches. Na ja, und der größte Teil der Stadt.“

„Arbeitet er etwa selbst für seinen Lebensunterhalt?“, fragte Zoe überrascht.

Höflich ließ ihr der Page den Vortritt aus dem Fahrstuhl, als sie die obere Etage erreicht hatten. „Alle Kavanaghs arbeiten. Man hat sie so erzogen – obwohl sie wirklich steinreich sind. Mr. Liam leitet das Hotel gemeinsam mit seiner Mutter.“

Im Zimmer angelangt, reichte Zoe dem Jugendlichen ein großzügiges Trinkgeld, das er freudestrahlend entgegennahm. „Vielen Dank für deine Hilfe“, sagte sie.

Schüchtern verbeugte er sich. „Wenn Sie etwas benötigen sollten, brauchen Sie nur beim Empfang anzurufen. Der ist rund um die Uhr besetzt. In der Schreibtischschublade finden Sie eine Liste mit den Restaurants und Sehenswürdigkeiten der Region. Willkommen in Silver Glen.“

Als sie schließlich allein in ihrer komfortablen Unterkunft war, öffnete Zoe den Kleiderschrank und war erstaunt darüber, wie wenig Platz ihre Sachen in Anspruch nahmen. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, wie wichtig es sein konnte, mit wenig Gepäck zu reisen. Sorgfältig räumte sie ihre Habseligkeiten ein und fragte sich, ob dieser Ordnungssinn, den sie einfach nicht loswurde, möglicherweise immer noch auf den Einfluss ihrer Eltern zurückzuführen war.

Im Bus befanden sich noch ein paar Sachen, aber nichts davon benötigte sie dringend. Aufmerksam sah sie sich in ihrem Zimmer um. In den Bergen von North Carolina hätte man wohl eher einen Landhausstil erwartet, aber das Silver Beeches war außerordentlich elegant eingerichtet.

Das hatte man schon an der Lobby mit ihrem erlesenen Marmorfußboden, den glitzernden Kristallleuchtern, wertvollen Orientteppichen und unzähligen Vasen mit frischen Schnittblumen gesehen. In wenigen Augenblicken war Zoe klar geworden, dass Bessie eine gute Wahl getroffen hatte. Dieses wundervolle Hotel war ein friedlicher Ort, an dem Zoe sich endlich ausruhen konnte – ganz unabhängig davon, dass sie dieser Aufenthalt ein kleines Vermögen kostete. Da sie normalerweise recht bescheiden lebte, hatte das allerdings keine nennenswerten Auswirkungen auf ihr Bankkonto. Außerdem war der letzte Winter so anstrengend gewesen, dass sie sich wirklich eine kleine Auszeit verdient hatte.

Barfuß ging sie über den weichen, elfenbeinfarbenen Teppich zu ihrer Gitarrentasche und packte das Instrument aus. Die gemütliche Fensterbank war mit dunkelrotem Samt bezogen und lud förmlich dazu ein, sich dorthin zu setzen und die Aussicht zu genießen. Die arme alte Bessie hätte es nie bis zum Hotel geschafft, stellte Zoe fest, als sie aus dem Fenster sah. Das Silver Beeches schien förmlich an der Bergflanke zu kleben, sodass sich den Gästen ein atemberaubender Blick über das Tal bot.

Zoe machte es sich im Schneidersitz bequem und stützte den Kopf auf das Instrument, das sie bereits so viele Meilen begleitete. Abwesend strich sie über die Saiten und spielte eine kleine Melodie, die sich in ihre Gedanken geschlichen hatte. Vorhin hatte sie sich wirklich zurückhalten müssen, um dem Pagen wegen des Hotelbesitzers keine Löcher in den Bauch zu fragen. Es bestand kein Grund, den Jungen in Schwierigkeiten zu bringen, nur weil sie sich einsam fühlte.

Die Begegnung mit Liam Kavanagh hatte sie so stark beeindruckt, als sei sie einem Filmstar begegnet. Beim Anblick seines attraktiven, männlichen Gesichts hatte sie sich ungemein weiblich und zart gefühlt. Selbst jetzt noch geriet sie ins Schwärmen, als sie ihn sich vorstellte. Dieser Mann war ein wahr gewordener Traum. Seufzend sah sie zum Fenster hinaus.

Es dämmerte bereits, und die Schatten des herannahenden Abends legten sich sanft über das Tal. Ihr Magen machte sich bemerkbar − und plötzlich fiel ihr wieder ein, dass ihr heutiges Mittagessen aus einer Orange und einer Cola bestanden hatte. Am liebsten wäre sie in die Stadt auf Erkundungstour gegangen, aber da Bessie leider ausfiel, war sie ans Hotel gebunden. Also rief sie beim Zimmer-Service an und bestellte ein großzügiges Abendessen sowie Tiramisu zum Nachtisch. Da sie immer noch gut sieben Kilo untergewichtig war, würden die zusätzlichen Kalorien ihr ganz bestimmt nicht schaden.

Die vergangene Woche hatte sie in Asheville verbracht, wo sie in einem kleinen Café in der Innenstadt gespielt hatte. Die reizvolle Stadt zog Musiker und Künstler gleichermaßen in den Bann, und Zoe hatte ihren besonderen Charme genossen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sich ein Haus gekauft, um sich dort niederzulassen. Doch als sie eines Abends ein bekanntes Gesicht auf der Straße gesehen hatte, hatte sie gewusst, dass es an der Zeit war, weiterzureisen. Die Philosophie der Verschwiegenheit der Silver Beeches Lodge kam Zoe sehr entgegen. Niemand würde wissen, dass sie hier war, und mit etwas Glück – und wenn sie sich in der Stadt nicht zu erkennen gab – würde sie vielleicht sogar länger als sechs Wochen bleiben können.

Nachdem sie ihr opulentes Abendessen beendet hatte, fühlte sie sich satt und ein wenig schuldig. Rasch zog sie sich ihre Yogahose und ein Sportoberteil an und sah auf dem Plan des Hotels nach, wo sich der Fitnessraum befand − im Keller des Gebäudes. Sie warf sich eine leichte Jacke über die Schulter, griff nach dem Zimmerschlüssel und einer Flasche Wasser und machte sich auf den Weg nach unten.

Liam gab alles, als er die Gewichte ein letztes Mal stemmte, bevor er sein Work-out beendete und sich das Gesicht mit einem Handtuch abtrocknete. Zu seinem Bedauern stellte er fest, dass sein Fitnesstraining keineswegs dazu beigetragen hatte, das brennende Verlangen, das in ihm erwacht war, zu bezwingen.

Sein Körper schien sich mit einem Mal nur noch nach Sex zu sehnen. Es war schon viel zu lange her seit dem letzten Mal, und die Blondine, die heute Nachmittag eingecheckt hatte, war genau der Typ Frau, der ihn schwach werden ließ. Seidenweiches, schulterlanges Haar, der Körper schlank und doch weiblich.

Wenn sie tatsächlich für sechs Wochen blieb, würde er sich vorsehen müssen. Nur weil er sich von Ms. Zoe Chamberlain angezogen fühlte, bedeutete das noch lange nicht, dass sie seine Gefühle erwiderte. Außerdem hatte sie etwas zu verbergen und kam deshalb ohnehin nicht für Liam infrage. Ihm war schließlich bewusst, was es bedeutete, sich auf eine Lügnerin einzulassen.

Auf gar keinen Fall wollte er einer Betrügerin auf den Leim gehen. Dafür würde er notfalls unzählige kalte Duschen in Kauf nehmen, um das Verlangen zu bändigen, das von ihm Besitz ergriffen hatte. Zoes scheinbare Unschuld war mehr als gefährlich. Im zarten Alter von sechzehn Jahren hatte er auf die harte Tour lernen müssen, dass sich hinter einem hübschen Gesicht viele hässliche Charakterzüge verbergen konnten. Eher würde er sich eine Hand abschneiden, als seine Mutter und seine Geschwister wieder auf so einen Höllentrip zu schicken. Als Oberhaupt der Familie schuldete er seinen Angehörigen unbedingte Loyalität und durfte es sich nicht erlauben, diese durch ein flüchtiges Abenteuer zu gefährden.

Außerdem war es ja auch gut möglich, dass Zoe verheiratet war. Zwar konnte er sich nicht vorstellen, dass ein Ehemann seine attraktive, junge Frau sechs Wochen allein in den Urlaub schickte, aber man konnte nie wissen. Im Silver Beeches hatten sie schon die seltsamsten Beziehungen zu Gesicht bekommen.

Nachdem er geduscht und sich angezogen hatte, trat er wieder in den Fitnessraum und blieb wie erstarrt stehen, als er Zoe Chamberlain voller Elan auf einem Laufband trainieren sah. Sie trug Kopfhörer und um ein Handgelenk ein pinkfarbenes Band, an dem ein iPod befestigt war, und ihr Pferdeschwanz wippte zum Takt der Musik, die nur sie hören konnte.

Außer ihnen beiden befand sich niemand sonst im Fitnessraum, und Liam wollte sie auf keinen Fall erschrecken. Deshalb ging er in einem weiten Bogen zur Ausgangstür. Trotz seiner guten Vorsätze fühlte er sich auf einmal wie ein pubertierender Jugendlicher, der zum ersten Mal eine nackte Frau sieht. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und seine Erregung machte sich unmissverständlich bemerkbar – untrügliche Zeichen dafür, dass Lust anscheinend doch stärker zu sein schien als der Verstand.

Doch noch bevor er sich unbemerkt aus dem Raum stehlen konnte, hatte Zoe ihn gesehen und sprang vom Laufband. „Hallo, Mr. Kavanagh“, sagte sie und kam auf ihn zu, nachdem sie das Gerät ausgeschaltet und die Kopfhörer abgenommen hatte.

Bewundernd betrachtete er die geschmeidigen Bewegungen ihres Körpers. „Sie wissen, wer ich bin?“, fragte er erstaunt und versuchte vergeblich, den Blick nur auf ihr Gesicht zu richten. Das eng anliegende Top ihres Trainingsoutfits betonte ihre verführerischen Kurven auf eine atemberaubend sinnliche Weise, und Liam schluckte hart, als er sich vorstellte, wie sie wohl nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht aussehen mochte.

Sie nickte und wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. „Ich habe den Pagen ausgequetscht. Das tut mir leid. Sie wissen doch – neugierige Katzen verbrennen sich die Tatzen.“

Natürlich fühlte Liam sich geschmeichelt, weil sie sich nach ihm erkundigt hatte. Das war ein gutes Omen für den Fall, dass er sie wirklich verführen wollte. Was er natürlich nicht tun würde. Wahrscheinlich nicht. Verlegen strich er sich durchs Haar und ahnte, dass Ms. Chamberlain ihm seine Gedanken ansah. „Ach, das ist schon okay. Ich hoffe, Sie sind zufrieden mit Ihrem Zimmer?“

„Machen Sie Scherze?“, fragte sie und klang aufrichtig erstaunt. „Es ist traumhaft. Das ganze Hotel ist einfach wundervoll.“

„Vielen Dank. Meine Familie hat es nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut. Seitdem haben wir regelmäßig Neuerungen vorgenommen.“ Obwohl es ihm eigentlich nie Schwierigkeiten bereitete, mit Frauen zu sprechen, spürte er mit einem Mal, wie seine Handflächen zu schwitzen begannen. Dabei war sie bestimmt nicht die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Normalerweise waren die Menschen eingeschüchtert von seiner Gegenwart – und nicht umgekehrt. Obwohl er nicht wusste, was Zoe eigentlich wollte, war er sich beinahe sicher, dass sie nicht an der ausführlichen Geschichte des Silver Beeches interessiert war. „Ich gehe dann besser mal wieder hoch.“

Neugierig sah sie ihn an. „Haben Sie Ihr Angebot ernst gemeint?“

„Wie bitte? Ich verstehe nicht ganz“, erkundigte er sich leicht verwirrt.

„Als Sie gesagt haben, dass Sie alles tun würden, damit ich mich wohlfühle. Ich frage mich, ob das nur eine belanglose Floskel oder ernst gemeint war.“

Plötzlich wurde ihm ziemlich warm. Baggerte sie ihn etwa gerade an, oder war sie nur etwas exzentrisch? „Natürlich habe ich das so gemeint. Woran haben Sie denn gedacht?“

An dich! hätte Zoe am liebsten geantwortet, aber vermutlich wäre das ziemlich platt gewesen. Doch dieser Mann war trotz seiner Ernsthaftigkeit unwahrscheinlich sexy und hatte ihre Neugierde geweckt. Es war ziemlich schwierig, schlau aus ihm zu werden. Auf der einen Seite schien er an ihr interessiert zu sein, auf der anderen Seite vermittelte er aber durch seine Körpersprache, dass er ihr gegenüber wachsam war. Vielleicht hielt er sie für zu gewöhnlich, um in seinem Luxushotel abzusteigen.

Falls das der Fall sein sollte, würde sie ihn nicht eines Besseren belehren – schließlich war sie eine Meisterin darin, Geheimnisse für sich zu behalten. Und es war nicht auszuschließen, dass Liam selbst ein paar hatte. War es überhaupt möglich, dass zwei so zurückhaltende Menschen einander jemals vertrauen konnten?

Ihr abenteuerlicher Lebensstil der vergangenen Jahre hatte keinen Raum für eine ernsthafte Beziehung gelassen. Und da sie kein Freund von One-Night-Stands war, verbrachte sie die meisten Nächte allein. Normalerweise gelang es ihr, sich selbst davon zu überzeugen, dass Einsamkeit besser war, als bei einem Kerl zu landen, der sich als mieser Typ entpuppte.

Doch in Liam Kavanaghs Nähe begann sie plötzlich zu spüren, wie lange es her war, seit sie eine leidenschaftliche Nacht mit einem Mann verbracht hatte – schließlich war sie eine gesunde, junge Frau mit ganz natürlichen Bedürfnissen. Und Liams Pheromone durchbrachen ohne nennenswerte Anstrengung ihre Verteidigungslinien. Vermutlich war er – im Gegensatz zu ihr – ein wahnsinnig erfahrener Liebhaber. Die Art Mann, die eine Frau niemals vergaß.

Ein wenig erschreckend fand sie allerdings die Tatsache, dass er so ganz anders war als all die anderen Männer, von denen sie sich bisher angezogen gefühlt hatte. Sollte sich etwa ihr ganzes Leben ändern? Würde es ihr gelingen, sich gleichzeitig ihrer komplizierten Vergangenheit und der sinnlichen Ausstrahlung eines derart faszinierenden Mannes zu stellen? Er wirkte nicht gerade wie ein unkomplizierter Mensch.

Gerührt von Liams etwas steifer, dennoch ritterlicher Art, lächelte sie herzlich. „Ich bin noch nie in Silver Glen gewesen“, erwiderte sie. „Warum laden Sie mich nicht zu einem Drink in der Bar ein und erzählen mir, welche Sehenswürdigkeiten ich unbedingt besuchen muss?“ Sie verstand sich aufs Flirten. Wenn man bedachte, dass sie die meiste Zeit über wie eine Nonne lebte, fiel es ihr erstaunlich leicht.

Er schien ihren Vorschlag ein wenig befremdlich zu finden, erholte sich jedoch offenbar rasch von seinem Erstaunen, denn er musterte sie unbefangen von Kopf bis Fuß, bevor er antwortete. „Das könnte ich machen.“

„Vermutlich sollte ich vorher fragen, ob es eine Ms. Kavanagh gibt.“

Als er nickte, wäre sie am liebsten im Boden versunken.

„Ja“, entgegnete er. „Meine Mutter. Aber sie geht immer früh zu Bett, weswegen ich nicht annehme, dass sie uns Gesellschaft leistet.“

„Sie haben ja doch Sinn für Humor“, stellte sie erfreut fest – nicht weniger erfreut war sie natürlich über Liams Geständnis, unverheiratet zu sein. Da nicht alle Ehemänner ihre Ringe trugen, war sie sich nicht sicher gewesen. „Und ich hatte schon befürchtet, dass Sie völlig humorlos auf die Welt gekommen sind.“

„Und ich fürchte, dass man Sie als Kind nicht oft genug übers Knie gelegt hat“, erwiderte er lächelnd.

„Sie könnten gar nicht mehr danebenliegen“, erwiderte sie leicht beklommen. „Ich gehe jetzt duschen. Wollen wir uns in einer halben Stunde in der Lobby treffen?“

Bedächtig nickte er, und sie betrachtete fasziniert seine strahlend blauen Augen, die einen sexy Kontrast zu dem dichten, rabenschwarzen Haar bildeten. Erst auf den zweiten Blick war das irische Erbe, auf das sein Name hindeutete, zu erkennen.

„Ich werde da sein, Ms. Chamberlain. Und ich werde uns ein paar besondere Horsd’œuvres an die Bar kommen lassen.“

„Nicht nötig, ich habe schon zu Abend gegessen“, erklärte sie.

„Glauben Sie mir, die mögen Sie bestimmt“, versprach er. „Sie sind ganz leicht.“

„Kommen alle Gäste in den Genuss dieser persönlichen Betreuung?“

„Nur die, die danach fragen“, antwortete er knapp. „Bis gleich.“

Da Zoe keine Kleidung zum Wechseln in den Fitnessraum mitgebracht hatte, beschloss sie, auf ihrem Zimmer zu duschen und ein wenig in dem Luxus zu schwelgen, der sich ihr dort bot. Anschließend entschied sie sich für ein verführerisches schwarzes, ärmelloses Strickkleid, das ihre Kurven überaus vorteilhaft in Szene setzte. Sie fühlte sich rundum wohl darin. Und Selbstvertrauen war das A und O für die sinnliche Ausstrahlung einer Frau, wie sie aus eigener Erfahrung wusste. Auf der Bühne hatte sie darüber hinaus gelernt, sich immer gut gelaunt zu zeigen, auch wenn es manchmal in ihr ganz anders ausgesehen hatte.

Abschließend wählte sie kleine goldene Ohrstecker und schlüpfte in schwarze, hochhackige Sandalen. Als sie fertig war, betrachtete sie sich seufzend im Spiegel. Wie lange war es schon her, seit sie eine richtige Verabredung mit einem Mann gehabt hatte? Die meiste Zeit über war sie die Background-Musik im Leben eines anderes gewesen – und hatte es auch so gewollt. Doch heute Abend freute sie sich darauf, sich von Liam Kavanagh verwöhnen zu lassen – und möglicherweise hinter seine unnahbare Maske blicken zu können.

Sorgfältig tupfte sie ein wenig Parfum hinter die Ohren und an die Handgelenke, bevor sie eine filigrane Halskette aus Gold anlegte, die verführerisch auf ihrem Dekolleté im Licht schimmerte. Weit, weit weg in einem Bankfach lag eine große Sammlung teuren Schmucks … Perlen, Diamanten, Halbedelsteine. Doch solange sie die Rolle der Weltenbummlerin spielte, würde sie darauf verzichten. Nicht, dass es sie störte. Allerdings hätte sie heute Abend gern ihre Weiblichkeit mit etwas auffälligerem Geschmeide unterstrichen.

Sie atmete tief durch, steckte die Schlüsselkarte und ihr Telefon in eine kleine Tasche und ging zur Tür. Liam Kavanagh war sicher schon in der Bar, und sie hatte nicht vor, ihn warten zu lassen.

2. KAPITEL

Liam, der sich gerade mit der Barkeeperin unterhalten hatte, stockte der Atem, als er Zoe eintreten sah. Alle Gäste drehten sich nach der Blondine um, die gar nicht zu bemerken schien, was für einen aufsehenerregenden Anblick sie bot. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und strahlten pure Lebensfreude aus.

Er winkte Zoe diskret zu, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und hoffte inständig, dass sein Lächeln nichts von der Erregung preisgab, die ihn gerade durchflutete und dafür sorgte, dass seine Hose etwas enger saß. Dabei hatte er schon zahlreiche Geliebte gehabt und führte nicht zum ersten Mal eine Frau aus. Doch die Intensität der Empfindungen, die Zoe in ihm wachrief, überraschte ihn.

Für ihr Kleid hätte sie eigentlich einen Waffenschein benötigt. Das weiche Material schmiegte sich wie eine zweite Haut an Zoes sinnlich geformten Körper. Unwillkürlich ertappte er sich dabei, wie er überlegte, ob sie überhaupt etwas darunter trug.

„Hallo, Liam“, begrüßte sie ihn mit samtweicher Stimme. „Darf ich Sie so nennen?“

„Sie haben es ja gerade getan.“

Leise lachend setzte sie sich neben ihn an den kleinen Ecktisch. Liam war froh darüber, dass die Bar an diesem Abend so gut besucht war. Auf diese Weise konnte er Zoe gefahrlos besser kennenlernen – bevor er sie später küsste, was unweigerlich geschehen würde.

Aufmerksam sah sie sich um. „Sehr nett. Sie und Ihre Familie haben wirklich einen ausgezeichneten Geschmack.“

„Vielen Dank. Ich gehe davon aus, dass es Ihnen auch nichts ausmacht, wenn ich Sie Zoe nenne?“

„Natürlich nicht.“

„Wir haben uns gerade erst kennengelernt, und manche Menschen mögen es lieber ein wenig förmlicher.“

„Ich nicht. Gesellschaftliche Konventionen behindern doch nur.“

„Wobei denn?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich. Vielleicht dabei, Freundschaften zu schließen?“

Während er einen Schluck Wein trank, versuchte er, die Botschaft zwischen den Zeilen zu lesen – falls es überhaupt eine gab. Bevor er etwas erwidern konnte, servierte der Kellner eine Platte mit Appetithäppchen. Liam wählte einen der Happen aus und hielt ihn Zoe hin. Eine Melonenspalte, umwickelt mit hauchfeinem Schinken, auf einem Cocktail-Stäbchen. „Unser Küchenchef ist ein wahrer Künstler. Versuchen Sie mal.“

Zu seiner Überraschung beugte sie sich vor, öffnete leicht den Mund und gestattete Liam, sie zu füttern. „Wundervoll“, stieß sie schließlich hervor, nachdem sie die Delikatesse genossen hatte. „Danke.“

Fasziniert betrachtete Liam ihre rosafarben schimmernden Lippen. Die unschuldige Sinnlichkeit ihres Entgegenkommens ließ ihn unruhig hin und her rutschen.

Lächelnd lehnte sie sich wieder zurück, und ihr gold glänzendes Haar umspielte verlockend ihre Schultern. Liam wusste nicht, ob sie sich absichtlich so verführerisch gab oder ob er nur übermäßig empfänglich für ihre erotische Ausstrahlung war.

In diesem Augenblick trat seine Mutter zu ihnen an den Tisch. „Ich hoffe, ich störe nicht. Bitte stell mich doch dieser entzückenden Dame vor“, sagte sie.

Sofort eilte ein Kellner mit einem dritten Stuhl zu ihnen, und Liam erhob sich höflich, bis seine Mutter sich gesetzt hatte. Maeve Kavanagh hatte noch nie der Versuchung widerstehen können, sich in seine Frauengeschichten einzumischen. Weil er sie liebte, tolerierte er ihr Verhalten, hoffte allerdings inständig, dass sie nach dem ersten Eindruck wieder gehen würde. „Zoe Chamberlain, darf ich Sie mit meiner Mutter, Maeve Kavanagh, bekannt machen?“

Die beiden Frauen schüttelten einander die Hand, und Zoe lächelte. „Sehr angenehm. Aber so jung, wie Sie sind, können Sie doch unmöglich Liams Mutter sein! Nach seiner Beschreibung habe ich Sie mir anders vorgestellt.“

Maeve warf ihm einen missbilligenden Blick zu, und Liam spürte, wie er errötete. „Mein Erstgeborener hatte schon immer einen seltsamen Sinn für Humor.“ Sie nahm sich eines der Häppchen. „Was hat Sie nach Silver Glen verschlagen, Ms. Chamberlain? Sind Sie beruflich oder zur Erholung hier?“

„Bitte nennen Sie mich doch Zoe. Und um ehrlich zu sein, ist weder das eine noch das andere der Grund für meinen Aufenthalt. Ich hatte im März eine schlimme Lungenentzündung und würde mich gern in Ihrem wundervollen Hotel erholen.“

„Dann sind Sie bei uns genau richtig. Wir verwöhnen Sie so sehr, dass Sie gar nicht mehr nach Hause wollen.“

Die Erkrankung erklärte also, warum Zoe so zerbrechlich wirkte. „Und wo genau sind Sie zu Hause, Zoe?“, fragte Liam und beugte sich interessiert vor.

Zum ersten Mal schien ihre gute Laune zu verschwinden, und für einen Moment wirkte sie bedrückt. Doch sie erholte sich rasch. „Ich bin in Connecticut geboren, bin aber schon seit Jahren nicht mehr dort gewesen.“

„Das ist aber keine richtige Antwort.“

„Ist das hier etwa ein Verhör?“, fragte sie verärgert.

In diesem Augenblick machte sich Maeves Handy bemerkbar, und seine Mutter sah aufs Display. „Die Pflicht ruft“, sagte sie und stand seufzend auf, bevor sie Liam auf die Schulter klopfte. „Und bitte versuch, unseren Gast nicht zu sehr zu verärgern, Sohn. Ich würde die junge Dame gern noch eine Weile unter unserem Dach beherbergen.“

Schweigend warteten sie, bis Maeve gegangen war, und Liam starrte schlecht gelaunt auf das Platzdeckchen vor ihm. „Ich wollte mich nur höflich mit Ihnen unterhalten – das ist doch kein Verhör.“

„Bisher war das Gespräch ja ziemlich einseitig“, entgegnete sie. „Ich glaube zu spüren, dass Sie etwas beunruhigt. Gibt es was, worüber Sie sprechen wollen?“

„Nein.“ Ja. „Bitte nehmen Sie mich ins Kreuzverhör, wenn Sie das wünschen. Meine Familie hat keine Geheimnisse. Da können Sie jeden in der Stadt fragen.“

„Okay, ich nehme Sie beim Wort. Haben Sie Geschwister?“

„Mehr, als ich zählen kann. Das war in Irland so üblich. Meine Mutter müsste eigentlich heilig gesprochen werden.“

„Und Ihr Vater?“

„Ist gestorben, als ich sechzehn war“, erwiderte er knapp.

„Das tut mir leid“, sagte sie leise.

„Ist schon lange her“, sagte er und aß eins von den Horsd’œuvres, während er hoffte, dass sie das Thema nicht weiter vertiefte – was sie auch nicht tat.

„Wollten Sie eigentlich schon immer ein Hotel leiten?“, erkundigte sie sich.

„Nein, eigentlich wollte ich Football-Profi werden.“

Erstaunt sah sie ihn an und lachte.

„Was ist denn daran so witzig?“

„Sie scheinen mir einfach nicht der Typ dafür zu sein, das ist alles.“

„Ich kann Ihnen versichern, Zoe, dass ich im College und an der Uni sehr viel gespielt habe.“

„Ich zweifle ja auch nicht an Ihren sportlichen Fähigkeiten oder daran, dass Sie hart im Nehmen sind. Aber Sie scheinen mir ein wenig zu kopflastig für die raue Welt eines Profisportlers zu sein.“

„Bildung ist nichts anderes als Kleidung und Benehmen. Nach dem Tod meines Vaters musste ich eine neue Richtung einschlagen. Als ich meinen Wirtschaftsabschluss gemacht hatte, bin ich zu meiner Mutter zurückgekehrt, um ihr zu helfen.“

„Hatten Sie denn wirklich keine andere Wahl?“

„Man hat mich nicht dazu gezwungen, falls Sie das meinen. Aber als ältester Sohn habe ich gewisse Verpflichtungen. Meine Geschwister waren damals noch viel zu jung. Also − entweder ich oder niemand.“

„Ich verstehe“, erwiderte sie nachdenklich.

„Und was haben Sie auf dem College gemacht?“, erkundigte er sich.

„Ich bin vier Semester aufs Vassar College gegangen.“

Dieses College zählte zu den amerikanischen Elite-Hochschulen, wie Liam wusste, und wurde nicht selten im gleichen Atemzug mit Harvard, Princeton und Yale genannt.

„Weil ich keine Ahnung hatte, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, bin ich schließlich dem Friedenskorps beigetreten“, erklärte Zoe weiter.

„Im Ernst?“ Immer mehr bekam er den Eindruck, dass sie wirklich so etwas wie ein Blumenkind war.

„Es war wundervoll“, sagte sie. „Und es hat mir die Augen geöffnet. Ich war damals jung und naiv und hatte ja gar keine Ahnung, wie arm die Dritte Welt wirklich ist.“

„Sind Ihre Eltern denn damit einverstanden gewesen, dass Sie Ihr Studium abgebrochen haben?“

„Ich habe sie, ehrlich gesagt, nicht danach gefragt.“

Je mehr sie von sich preisgab, umso mehr wollte er von ihr erfahren. Allerdings wollte er sich nicht wieder den Vorwurf einhandeln, sie einem Verhör zu unterziehen. Schließlich war sie ein Gast des Hotels, und nicht nur deswegen musste er ihre Wünsche respektieren.

„Möchten Sie noch etwas trinken?“, fragte er stattdessen.

„Ich hätte gern einen Daiquiri.“ Neugierig sah sie ihn an. „Warum verbringen Sie eigentlich den Abend mit mir?“

Nachdem Liam bei einem jungen Kellner die Bestellung aufgegeben hatte, wandte er sich wieder an Zoe. „Ist Ihnen in den Sinn gekommen, dass ich Ihre Gesellschaft schätzen könnte?“

Zum ersten Mal, seitdem er sie kannte, wirkte sie ein wenig verlegen und sah für einen kurzen Moment zur Seite. Er nutzte die Gelegenheit, um ungestört ihr Profil zu betrachten und die winzige Delle an ihrer zierlichen Nase zu bemerken.

Offenbar war ihr sein Blick nicht entgangen. Nervös spielte sie mit der Gabel auf dem Tisch herum. „Habe ich etwas im Gesicht?“, fragte sie.

„Verzeihen Sie. Ich habe mich nur gefragt, ob Sie sich schon einmal die Nase gebrochen haben.“

„Ist es wirklich so schlimm?“

„Überhaupt nicht. Sie haben das Gesicht einer griechischen Göttin – da fällt es eben ein ganz klein wenig auf, das ist alles. Und Ihr Kinn wirkt sehr eigensinnig.“

„Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment nehmen soll.“

„Ich versuche nur, gesellschaftliche Konventionen zu umgehen.“

Jetzt musste sie doch lächeln. „Die Runde geht an Sie.“

Ihre Drinks wurden serviert, und Liam beobachtete Zoe dabei, wie sie genüsslich an ihrem Cocktail nippte. Zu gern hätte er noch mehr über sie erfahren – beispielsweise, wie sie sich den sechswöchigen Aufenthalt in seinem Hotel leisten konnte –, aber er verkniff sich weitere Fragen. Ein Mann konnte eine Frau begehren, ohne mehr über sie zu wissen, als wie sie sich bewegte und nach welchem Parfum sie duftete. Dabei ging es lediglich um pure Lust. Trotzdem umgab Zoe etwas Geheimnisvolles, das ihn zur Vorsicht mahnte.

Vielleicht würde sie sich ihm öffnen, wenn er geduldig blieb. Vor zwei Jahrzehnten hatte er einer anderen Frau blindlings vertraut – und war dabei betrogen worden. Diese bittere Lektion wollte er nicht wiederholen. Es war ein gefährliches Spiel, das wusste er, denn seine Hormone spielten in Zoes Gegenwart einfach verrückt.

Zoe genoss den Abend in vollen Zügen. Sie trug ein elegantes Kleid, unterhielt sich mit einem weltgewandten, äußerst attraktiven Mann und fühlte sich wie eine begehrenswerte Frau.

Liam war wirklich faszinierend. Auf der einen Seite gebildet, auf der anderen glaubte sie, gelegentlich einen wesentlich weniger geschliffenen Liam erkennen zu können, wenn sie ihm in die Augen sah.

Er schien nicht darauf aus zu sein, den Abend frühzeitig zu beenden, weswegen sie auch noch dasaßen, als der Besucherstrom in die Bar allmählich verebbte. Aufmerksam betrachtete Zoe die unterschiedlichen Gäste. Sie liebte es, andere zu beobachten und sich selbst ganz im Hintergrund zu halten.

Liam hatte mittlerweile die Krawatte abgelegt und die beiden obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet. Ein dunkler Bartschatten war auf seinem Kinn zu sehen, und Zoe fragte sich, wie sexy dieser Mann wohl nackt aussehen mochte.

Augenblicklich spürte sie das Verlangen zwischen ihren Schenkeln. Vielleicht, dachte Zoe, hatte Bessie sich diesmal geirrt und Silver Glen, North Carolina, war doch nicht der sichere Hafen, nach dem Zoe gesucht hatte.

Noch nie war sie einem Mann wie Liam begegnet, der so eine überwältigende Wirkung auf sie hatte. Sie wusste, dass sie bereit sein würde, ihr ganzes Leben für ihn auf den Kopf zu stellen, um ihr Verlangen nach ihm zu stillen. Dabei war es für sie völlig untypisch, sich Hals über Kopf auf eine wilde Affäre einzulassen. Doch ihre Krankheit im vergangenen Winter hatte sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass Zoe einige Dinge anders sah.

Dem Tode nah, hatte sie in einem seltsamen Krankenhaus in Albuquerque in New Mexico gelegen. Niemand hatte gewusst, dass sie dort war, weswegen sie auch keinen Besuch bekommen hatte. Niemand hätte es erfahren, wenn sie dort gestorben wäre.

Als sie daran zurückdachte, zitterte sie unwillkürlich. So lange schon war sie auf der Flucht, dass sie völlig verlernt hatte, sich zu entspannen und das Leben zu genießen. Sie hatte versucht, sich einzureden, dass sie nicht viel zum Glücklichsein brauchte und es eine Tugend war, mit leichtem Gepäck zu reisen. Doch was hatte sie nach ihren siebenundzwanzig Jahren auf dieser Welt eigentlich vorzuweisen?

Allein der Gedanke an Veränderung erschreckte sie zutiefst.

Liam griff über den Tisch nach ihrer Hand. „Geht es Ihnen gut, Zoe? Sie sind kreideweiß geworden. Und Sie zittern. Es ist schon spät. Wahrscheinlich sollten Sie nach Ihrer schweren Krankheit schon längst im Bett sein.“

Bildete sie sich das bloß ein, oder verstärkte sich der Druck seiner Finger unmerklich, als er das Wort Bett aussprach?

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Es geht mir gut. Vielleicht hat gerade jemand schlecht über mich geredet.“

„Sind Sie etwa abergläubisch?“

„Nicht mehr als jeder andere auch. Aber ich habe gehört, dass die Iren ziemlich viel für Volksmärchen übrighaben. Allerdings scheinen Sie mir kein Mann zu sein, der an Elfen und Feen glaubt.“

Traurig sah er sie an und zog seine Hand zurück. „Leider weiß ich aus erster Hand, welches Leid entstehen kann, wenn man den Blick für die Realität verliert. Ich kann also von mir behaupten, nicht abergläubisch zu sein.“

Der Gegenstand ihres Gesprächs hatte ihn offensichtlich aufgewühlt, doch Zoe konnte seine Bemerkung nicht einfach so im Raum stehen lassen. „Und ich habe erlebt, was Schreckliches geschieht, wenn man die Magie des Augenblicks nicht wahrhaben will. Vielleicht liegt die Wahrheit ja irgendwo dazwischen.“

Einen Moment lang sahen sie einander in die Augen. Ihr harmloser Flirt schien sich plötzlich in etwas Ernsthafteres verwandelt zu haben.

Liam schüttelte den Kopf. „Ich schätze, wir sollten erst mal nicht weiter über dieses Thema sprechen“, sagte er bedauernd. Ich wollte Ihnen ja eigentlich erzählen, was Sie sich auf jeden Fall in Silver Glen ansehen sollten.“

„Stimmt.“ Sie sah auf die Uhr. „Aber es ist schon so spät. Können wir vielleicht morgen darüber reden? Ich bin auf einmal schrecklich müde“, schlug sie vor und stand auf.

Liam folgte ihrem Beispiel. „Ich begleite Sie noch zu Ihrem Zimmer.“

„Das ist nicht nötig.“

„Nur eine weitere der Annehmlichkeiten unseres Hauses“, scherzte er, und kurz darauf verließen sie die Bar und durchquerten die verlassene Lobby. Lediglich ein müde aussehender Empfangschef saß an der Rezeption und winkte ihnen halbherzig zu, als sie an ihm vorbeigingen. Die Beleuchtung war gedämpft, und die späte Stunde schien die gesamte Hotelanlage in Schweigen gehüllt zu haben.

Im Fahrstuhl lehnte Zoe sich gegenüber von Liam an die spiegelverkleidete Wand der Kabine. In Gedanken versunken, betrachtete ihr Begleiter den Teppich zu seinen Füßen. Es dauerte nicht lang und der Fahrstuhl hatte die Etage erreicht, in der ihr Zimmer lag.

„Gute Nacht“, sagte sie und ging davon aus, dass Liam gleich weiterfahren würde, doch er begleitete sie den Flur entlang.

„Vielleicht sollte ich nachsehen, ob Monster unter Ihrem Bett sind“, schlug er im Flüsterton vor, um die anderen Gäste nicht zu wecken.

Zoe sah kurz zu ihm und fragte sich, ob er erwartete, dass sie ihn mit auf ihr Zimmer nahm. „Ich schätze, ein Hotel wie das Ihre hat einen hauseigenen Geisterjäger“, entgegnete sie. „Aber vielen Dank für das Angebot.“

Als sie an der Tür angelangt waren, zog sie die Schlüsselkarte aus ihrer Handtasche hervor. „Der Abend hat mir sehr viel Spaß gemacht“, sagte sie schlicht. „Vielen Dank, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben.“

Sie berührten einander nicht, schließlich stand Liam wenigstens drei Fuß von ihr entfernt, doch das Verlangen in seinem Blick elektrisierte sie förmlich. Sie spürte, wie ihre Nippel unter dem dünnen Material ihres Kleides ganz hart wurden.

Auch Liam schien es zu bemerken und trat einen Schritt zurück. „Es ist mir ein großes Vergnügen gewesen“, erwiderte er heiser.

Das beidseitige Begehren schien zwischen ihnen die Luft in Brand zu setzen. Obwohl Zoe nicht an Vorsehung glaubte, wusste sie plötzlich, dass sie hier in den Bergen North Carolinas auf den Mann ihrer Träume getroffen war. „Gute Nacht, Liam“, sagte sie leise und wünschte sich, sie hätte den Mut aufbringen können, ihn zu küssen.

Er nickte ihr zu. „Gute Nacht, Zoe“, sagte er und ging.

3. KAPITEL

An Schlaf war in dieser Nacht kaum zu denken, denn Liams Körper blieb fest im Griff des brennenden Verlangens, das Zoe in ihm entfacht hatte. In den paar Stunden, in dem es ihm schließlich gelang, die Augen zu schließen und ein bisschen zu dösen, träumte er von Zoe. Als um sieben Uhr morgens der Alarm seines Weckers erklang, drückte er aufstöhnend die Schlummertaste. Normalerweise war er eine Lerche, doch heute würde er mehr als eine Tasse Kaffee benötigen, um wieder in die Spur zu kommen.

Seine Träume waren ziemlich plastisch und überaus erotisch gewesen. Meist war in ihnen eine lächelnde, nackte Zoe vorgekommen. Er glaubte immer noch, spüren zu können, wie sich ihr warmer Körper in seiner Vorstellung an seinen geschmiegt hatte.

Als der Alarm zum zweiten Mal erklang, gab Liam schließlich nach und ging eine gute Stunde später in die Lobby herunter. Wochentags war nicht mit vielen Neuzugängen zu rechnen, weswegen er Zeit hatte, sich mit Marjorie und Pierre zu besprechen. Gegen zehn Uhr erreichte er endlich sein Büro und setzte sich an den Schreibtisch.

Nachdem er seinen Laptop aufgeklappt hatte, starrte er geistesabwesend aus dem Fenster in den farbenprächtigen Garten und stellte bewundernd fest, dass der Gärtner sich dieses Jahr wieder einmal selbst übertroffen hatte.

Normalerweise beruhigte ihn der Anblick der Natur, doch heute Morgen wurde er nur noch aufgekratzter. Leise fluchend versuchte er, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er war ein erwachsener Mann und würde sein Verhalten doch nicht nach einem bestimmten Körperteil richten, oder? Schließlich waren es nur erotische Träume gewesen, und er war Liam Kavanagh, das Oberhaupt der Familie. Auf seinen Schultern lastete eine große Verantwortung, und er konnte es sich nicht erlauben, sich einfach auf eine leidenschaftliche Affäre mit einer Fremden einzulassen.

Plötzlich klingelte sein Telefon. „Silver Beeches Lodge. Sie sprechen mit Liam Kavanagh. Was kann ich für Sie tun?“, meldete er sich.

„Hey, Buddy“, hörte er eine bekannte Stimme am anderen Ende der Leitung. „Hast du mal ein paar Minuten Zeit, um in meinen Laden zu kommen?“

„Worum geht es denn, Gary?“, fragte er seinen alten Schulfreund, den Besitzer der Werkstatt Silver Chassis. Maeve hatte ihren Kindern von klein auf beigebracht, dass man einen Menschen nicht nach seinem Reichtum beurteilte.

Der talentierteste Automechaniker des Städtchens senkte die Stimme. „Das erzähle ich dir lieber persönlich. Ich glaube, du solltest dir das ansehen.“

Kurze Zeit darauf fuhr Liam in die Stadt und parkte seinen Wagen in der Straße hinter Garys Werkstatt. Dann machte er sich auf die Suche nach seinem Freund. Fündig wurde er im Innenraum der Werkstatt, wo der Mechaniker in der Grube hockte und einen alten VW-Bus von unten begutachtete.

„Warte kurz!“, rief Gary ihm zu und kletterte unter dem Wagen hervor. „Das ist es, was ich dir zeigen wollte.“

„Ich verstehe nicht ganz“, antwortete Liam.

„Heute Morgen ist mir der Wagen von einem Abschlepp-Service gebracht worden. Die Besitzerin hat mich angerufen und mir freie Bahn gegeben, den Motor auszutauschen und alles andere, was nötig ist.“

„Und?“

„Die Besitzerin ist ein Hotelgast von euch.“

Ungläubig schüttelte Liam den Kopf. „Doch nicht etwa Zoe Chamberlain?“

„Woher weißt du das?“

„Hab nur gut geraten. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, kam sie mir wie ein Blumenkind vor. Sie ist zwar ein bisschen exzentrisch, aber ich verstehe trotzdem nicht, warum du so besorgt bist.“

Nachdenklich rieb Gary sich das Kinn und verteilte dabei versehentlich etwas Schmierfett unter seinem Mund. „Schau mal hier.“ Er öffnete die Kofferraumtür des Busses. „Ms. Chamberlain hat offenbar auch hier drin geschlafen – regelmäßig, wie es aussieht. Vielleicht bin ich ja verrückt, aber wie kann sich diese Frau das Silver Beeches leisten? Sie hat mir die Nummer einer Platinkarte ohne Limit gegeben. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass ich mich auf den Auftrag einlasse und hinterher auf meinen Kosten sitzen bleibe.“

„Glaubst du, sie hat die Karte gestohlen?“

„Tja, was denkst du denn?“

„Gar nichts“, erwiderte Liam frustriert. Konnte es wirklich möglich sein, dass er einer Hochstaplerin aufgesessen war?

„Wie lange bleibt sie denn bei euch?“

„Sie hat für sechs Wochen gebucht.“

„Mann, da stimmt doch was nicht!“

Liam warf einen letzten Blick in den Bus, bevor er die Tür wieder schloss. „Bestell die Teile ruhig. Falls es Probleme geben sollte, komme ich für die Kosten auf. In der Zwischenzeit kannst du ihr ja erzählen, dass die Reparatur wenigstens eine Woche in Anspruch nimmt. Ich stelle ihr einen Wagen zur Verfügung. Dadurch gewinnen wir ein bisschen Zeit, um die Kreditkarte zu überprüfen.“

Dankbar klopfte Gary ihm auf die Schulter. „Vielen Dank, Liam. Tut mir leid, dass ich dich deswegen gestört habe, aber ich dachte, das würde dich auch interessieren.“

„Nur gut, dass du so wachsam bist“, erwiderte Liam. „Ich halte dich auf dem Laufenden.“

Zoe schlief aus und verbrachte anschließend einen gemütlichen Morgen im Bett. Seit Langem fühlte sie sich zum ersten Mal wieder richtig sicher. Das reichhaltige Frühstück hatte sie sich vom Zimmer-Service bringen lassen, und sie genoss dabei den sagenhaften Blick aus der obersten Etage des Hotels.

Allein um Bessie machte sie sich im Augenblick Sorgen. Der Mechaniker hatte ihr heute Morgen mitgeteilt, dass die Reparatur des Wagens einige Tage dauern würde – was bedeutete, dass sie so lange hier gestrandet war, denn sie hatte keine Lust, sich zum Flughafen bringen zu lassen und dort einen Mietwagen zu nehmen.

Vielleicht konnte sie ja mit jemandem in die Stadt mitfahren. Sie brannte darauf, den Ort zu erkunden, der zumindest von hier aus sehr malerisch wirkte. Sie wollte ihren Aufenthalt dafür nutzen, wieder richtig zu Kräften zu kommen – sich auszuruhen und ordentlich zu essen. Beides war bisher viel zu kurz gekommen, weil sie ständig auf Achse gewesen war.

Gegen Mittag fühlte sie sich munter genug, um zu duschen und anschließend den eleganten Speisesaal in der unteren Etage aufzusuchen. Die Kleidung der Gäste reichte von Jeans bis Anzughose, und Zoe fühlte sich wohl in ihrer schwarzen Hose und dem Seidentop, für das sie sich heute entschieden hatte.

Genüsslich widmete sie sich ihrem Mittagessen, und als sie gerade dabei war, ihr Dessert und einen Kaffee zu sich zu nehmen, betrat Liam den Saal. Selbstsicher ging er von Tisch zu Tisch, wechselte einige höfliche Worte mit den Gästen, die sich offensichtlich sehr über seine Aufmerksamkeit freuten. Heute war er mit einem dunkelblauen Sportjackett, einer Kakihose, einem weißen Hemd sowie einer geschmackvollen Krawatte bekleidet – doch das eher konservative Outfit konnte nicht über seinen sportlichen Körperbau hinwegtäuschen. Der große, schlanke Mann – der knapp einen Meter neunzig groß sein mochte und Zoe somit um rund fünfzehn Zentimeter überragte – sah einfach zum Anbeißen sexy aus.

Als er schließlich an ihrem Tisch angelangt war, lächelte sie und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr Pulsschlag sich beschleunigte. „Sie hätten das Zeug zum Politiker. Sie wissen schon, Händeschütteln, Babys küssen und so weiter“, sagte sie.

Ohne sie um Erlaubnis zu bitten, zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich. Sein Lächeln ließ ihn mit einem Mal sehr viel unbeschwerter wirken. „Das glaube ich nicht, denn zum Lügen bin ich nicht geboren“, erwiderte er fröhlich. „Ich bin ganz glücklich mit dem, was ich tue.“

„Wirklich?“

Schlagartig verschwand seine Erheiterung. „Was meinen Sie damit?“

Zoe zuckte mit den Schultern. „Haben Sie denn nie Lust gehabt, einfach alles hinter sich zu lassen und wegzufahren – irgendwohin? Was Neues zu sehen?“

„Leben Sie etwa so?“, fragte er und klang etwas ungehalten.

„Reisen erweitert den Horizont“, erklärte sie, etwas verstört über seine scharfe Bemerkung.

„Mir ist aufgefallen, dass Sie ein Talent dafür haben, ausweichend zu antworten. Vielleicht sollten Sie in die Politik einsteigen.“

„Irre ich mich, oder haben wir gerade unseren ersten Streit?“, erkundigte Zoe sich.

„Ach, was“, erwiderte er versöhnlich. „Dafür habe ich heute viel zu gute Laune. Die Sonne scheint, die Aktienkurse steigen, das Hotel ist voll belegt. Ich kann mich nicht beschweren.“ Er hob eine Hand, woraufhin ihm ein Kellner eine Tasse schwarzen Kaffees brachte. „Gary hat mir heute erzählt, dass Ihr Wagen in der Reparatur ist. Deswegen habe ich Ihnen das hier mitgebracht.“ Er legte ein Schlüsselbund auf den Tisch.

Misstrauisch sah Zoe ihn an. „Gehört das etwa auch zum Service des Hauses?“

Entspannt lehnte Liam sich zurück. „Erwarten Sie keinen rasanten Sportwagen. Es ist bloß ein alter Nissan, den wir für Notfälle da haben.“

„Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie bei jedem Gast so zuvorkommend sind.“

„Da wären Sie sicher überrascht. Aber ich gestehe, dass ich bei Ihnen einen Hintergedanken habe.“

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Und welchen?“

„Ich muss meiner Mutter beweisen, dass ich doch ein Gentleman bin. Und wer weiß – vielleicht bringen Sie mich ja auch dazu, mich ein- oder zweimal vor meinen Pflichten im Hotel zu drücken“, entgegnete er und lächelte dabei so charmant, dass Zoe glaubte, dahinschmelzen zu müssen.

„Das kann ich mir bei Ihnen nur schwer vorstellen“, erwiderte sie. Entgegen ihrer Gewohnheit, Menschen auf Abstand zu halten, hatte Liam Kavanagh etwas an sich, das sie ihre Vorsicht vergessen ließ.

„Die Berge sind im Frühling so schön, dass selbst ein Workaholic wie ich gern mal eine Pause macht“, erklärte Liam.

Sie griff nach den Schlüsseln und steckte sie in ihre Handtasche. „Vielen Dank für den Wagen. Ich werde auf ihn aufpassen.“

Er betrachtete sie dabei und wirkte wie eine Katze, die eine Maus beobachtete. „Da bin ich mir sicher“, entgegnete er rätselhaft. „Haben Sie denn schon etwas für Ihren Aufenthalt bei uns geplant, oder sind Sie eher von der spontanen Sorte?“

„Bei Ihnen klingt das ja beinahe so, als sei das etwas Schlimmes.“

„Sie müssen mich für furchtbar langweilig halten, was?“, fragte er.

„Keineswegs. Ich bewundere Ihre Arbeitsmoral.“

„Papperlapapp“, stieß er hervor. „Ich wette, Sie haben noch nicht einmal einen Tagesplaner.“

Verwirrt sah sie ihn an. Er schien nicht so recht zu wissen, was er von ihr halten sollte. Auf der einen Seite schien er sie attraktiv zu finden, auf der anderen viele Aspekte an ihr misstrauisch zu beäugen. Allerdings hatte Zoe langsam die Nase voll davon, ständig von anderen für ihre Lebensweise kritisiert zu werden. Letztendlich siegte ihr Stolz über die erotische Anziehungskraft ihres Gegenübers.

„Ich denke, Mr. Kavanagh“, sagte sie förmlich, „dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass wir zwei völlig unterschiedliche Menschen sind. Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir uns für die Dauer meines Aufenthalts aus dem Weg gehen.“

Zerknirscht beobachtete Liam, wie die attraktive Blondine den Speisesaal verließ. Ihr Hüftschwung war in Hosen nicht weniger verführerisch als in dem luftigen Rock, den sie bei ihrer Anreise getragen hatte. Eigentlich war er in den Speisesaal gekommen, weil er vorgehabt hatte, Zoe etwas besser kennenzulernen. Stattdessen war es ihm in Rekordzeit gelungen, sie gegen sich aufzubringen.

War sie möglicherweise so gereizt, weil auch sie die Anziehungskraft spürte, die zwischen ihnen herrschte? Oder hatte sie recht und sie waren wirklich zu verschieden?

Kurz darauf fing Pierre ihn in der Lobby ab. Der Concierge sah besorgt aus. „Es ist ein Mann hier gewesen, der sich nach Ms. Chamberlain erkundigt hat, Mr. Kavanagh“, erklärte er. „Ich habe ein komisches Gefühl bei dem Kerl. Könnte von der Polizei sein – oder ein Privatdetektiv.“

„Hat er sich denn ausgewiesen?“, fragte Liam alarmiert.

„Nein, Sir. Er hat nur gesagt, dass er nach dem Aufenthaltsort von Ms. Chamberlain sucht, mehr nicht. Er hat sie allerdings Zoe Henshaw genannt.“

„Was haben Sie ihm gesagt?“

„Dass wir keinen Gast mit diesem Namen haben“, erwiderte Pierre ein wenig schuldbewusst. „Jetzt ist er wieder weg, aber ich frage mich, ob ich Ms. Chamberlain Bescheid geben soll.“

„Das mache ich schon“, versprach Liam. „Sie haben das Richtige getan. Unsere Gäste haben ein Recht auf ihre Privatsphäre. Halten Sie die Augen offen und informieren Sie mich, wenn der Mann wieder hier auftaucht.“

Besorgt kehrte Liam schließlich in sein Büro zurück. Wer war Zoe Chamberlain wirklich? Und warum hatte er das Gefühl, sie beschützen zu müssen? Hatte er seine Lektion denn immer noch nicht gelernt? Frauen kamen gut ohne seine Hilfe zurecht – und sein Versuch, den edlen Ritter zu spielen, war vermutlich bestenfalls unwillkommen.

Zwanzig Minuten darauf erhielt er von der Kreditkartengesellschaft telefonisch die Auskunft, dass Zoes Karte nicht als gestohlen gemeldet worden und das Limit tatsächlich unbegrenzt sei.

Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, trommelte er ungeduldig mit den Fingern auf die Schreibtischunterlage. Vielleicht war Zoe Chamberlain einfach nur eine wohlhabende Frau, die ungestört ein paar Wochen in den Bergen verbringen wollte.

Doch diese Erklärung stellte ihn nicht zufrieden.

Auch die Google-Suche nach „Zoe Chamberlain“ und „Zoe Henshaw“ brachten keinen brauchbaren Treffer. Was bedeuten konnte, dass die schöne Blondine ihn möglicherweise belogen hatte, wie Liam enttäuscht und gleichzeitig verärgert überlegte. Das Silver Beeches war sein Revier – und hier geschah nichts ohne sein Wissen. Gab ihm das allerdings das Recht, hinter Zoe herzuschnüffeln? Und warum war er so versessen darauf, Antworten auf seine Fragen zu finden?

Sechs Wochen waren eine ziemlich lange Zeit, um im Dunkeln zu tappen.

4. KAPITEL

Zoe verliebte sich sofort in den kleinen silberfarbenen Nissan, der bereits hundertfünfzigtausend Meilen auf dem Buckel und beinahe genauso viel Charakter wie Bessie hatte.

Bewaffnet mit einer Stadtkarte, die sie Pierre verdankte, sowie einer Baseball-Kappe und einer dunklen Sonnenbrille, nahm sie den Wagen dankend von dem Hotelpagen vor der Eingangstür entgegen.

Falls Pierre sich über ihre Verkleidung gewundert hatte, dann hatte er sich nichts davon anmerken lassen.

Zufrieden erkundete sie das kleine Städtchen und gelangte schließlich zu dem Musikladen namens Silver Bells, den sie aufsuchen wollte. Musik war schon immer ihr Fels in der Brandung des Lebens gewesen. Eine Stunde lang diskutierte sie mit dem Inhaber – der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Willie Nelson hatte – über die Vorzüge eines neuen Sets Gitarrensaiten für ihr Instrument und verließ den Laden schließlich mit drei neuen Sätzen.

Als es Zeit für das Mittagessen wurde, entdeckte sie das Silver Dollar, ein uriges Lokal, in dem es ausgezeichnete Burger gab. Sie hatte gerade ihre Mahlzeit beendet, als ein Mann neben ihrem Tisch stehen blieb und sie ansprach.

„Willkommen im Silver Dollar“, sagte er. „Weil ich Sie noch nie in der Stadt gesehen habe, gehe ich davon aus, dass Sie hier zu Gast sind.“

Überrascht sah Zoe auf und blickte in die gleichen blauen Augen, die sie von Liam kannte. „Wegen der Ähnlichkeit zu Liam vermute ich, dass Sie ein Kavanagh sind“, entgegnete sie.

Der Fremde lächelte. „Dylan. Zu Ihren Diensten. Mir gehört dieser Laden – oder besser: Ich gehöre ihm, um bei der Wahrheit zu bleiben.“

„Ich bin Zoe Chamberlain.“

„Gefällt Ihnen Silver Glen?“

„Ich bin noch nicht lange hier, aber ich finde es toll. Bei Ihrem Bruder in der Lodge fühle ich mich bestens aufgehoben.“

In diesem Augenblick trat die Kellnerin an ihren Tisch und sagte leise etwas zu Dylan. „Tut mir leid, aber ich muss jetzt weiter“, erklärte er schließlich bedauernd. „War nett, Sie kennengelernt zu haben, Ms. Zoe.“

„Warten Sie“, rief sie aus, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

„Möchten Sie noch ein Root Beer?“, erkundigte der Inhaber sich höflich.

„Nein, ich habe mich nur gefragt, ob Sie vielleicht eine Musikerin gebrauchen könnten. Ich kann singen und spiele Gitarre. Es macht mir Spaß, also bräuchten Sie mir auch nichts zu bezahlen. Was meinen Sie?“

Stirnrunzelnd sah er sie an. „Machen Sie denn nicht gerade Urlaub?“

„Eigentlich erhole ich mich nur. Ich werde wohl eine ganze Weile hierbleiben, und es wäre toll, wenn ich was zu tun hätte. Ich bin auch wirklich gut“, versicherte sie, als sie Dylans Zweifel bemerkte.

Dylan lächelte. Überrascht bemerkte Zoe, dass er zwar auch attraktiv war, aber längst nicht so sexy auf sie wirkte wie sein Bruder. „Wissen Sie was?“, sagte er. „Ich schaue mal in meinem Terminkalender nach und rufe Sie dann im Hotel an. Einverstanden?“

Damit musste sie sich wohl oder übel zufriedengeben. „Ich freue mich darauf, von Ihnen zu hören“, stimmte sie lächelnd zu.

Es überraschte Liam ein wenig, seinen Bruder zur Dinner-Zeit im Hotel zu sehen. Er und Maeve saßen an einem Fenstertisch, als Dylan sich zu ihnen gesellte.

„Du liebe Güte!“, rief Maeve. „Das Ende der Welt naht! Mein Zweitgeborener wirft sich in Schale und kommt freiwillig hier hoch, ohne dass man ihn dazu zwingen muss.“

Dylan küsste ihre Wange. „Ich habe gehört, dass heute Rippchen auf der Karte stehen. Du weißt doch, dass ich die liebe.“

„Du verlässt deine Bar doch sonst nie“, meinte Liam zweifelnd. „Also, sag schon, kleiner Bruder: Warum nimmst du dieses Opfer auf dich?“

„Ich habe heute einen eurer Gäste getroffen“, erklärte Dylan, nachdem er sich gesetzt hatte.

„Wen denn?“

„Zoe Chamberlain.“

Liam versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und nur mühsam widerstand er der Versuchung, seinem Bruder zu raten, sich zurückzuhalten, weil die Lady schon vergeben war. Lächerlich, dachte er kurz darauf. „Und wo?“

„Sie hat in der Bar gegessen, und wir sind ein bisschen ins Gespräch gekommen.“

„Und weiter?“

„Sie hat mich gefragt, ob sie bei mir auftreten kann. Sie singt und spielt Gitarre.“

Alle am Tisch schwiegen.

„Und warum?“, fragte Maeve, als sie sich ein wenig erholt hatte.

„Keine Ahnung“, gestand Dylan achselzuckend. „Sie hat gesagt, ihr sei sonst langweilig. Sie will auch nichts dafür haben.“

„Und was hast du ihr gesagt?“

„Dass ich erst in meinen Kalender schauen muss und mich später bei ihr melde. Ich wollte euch erst um eure Meinung bitten. Ich habe mich bei Pierre schlaugemacht, und er hat gesagt, sie hätte für sechs Wochen ein Zimmer bei euch gebucht.“

„Ich wüsste nicht, was dagegenspricht“, sagte Maeve. „Ich schätze, sie hat schwere Zeiten hinter sich.“

Verwirrt sahen ihre Söhne sie an. „Sie hat sich für sechs Wochen hier eingemietet, Mom“, wandte Dylan ein.

„Dylan Matthew Kavanagh“, entgegnete seine Mutter streng. „So etwas möchte ich nie wieder von dir hören. Ich habe dir etwas Besseres beigebracht. Nur weil man Geld hat, bedeutet das noch lange nicht, dass man kein schweres Leben haben kann. Das arme Mädchen reist ganz allein. Wir dürfen ihr auf keinen Fall Steine in den Weg legen – das ist das Mindeste, was sie verdient. Das spüre ich.“

„Ja, Mom“, entgegnete Dylan zerknirscht.

„Du hast natürlich recht, Mom“, stimmte Liam zu, der bei ihrer Standpauke ebenfalls unwillkürlich zusammengezuckt war. Mahnend sah er zu seinem Bruder. „Und du sagst mir bitte Bescheid, wenn sie bei dir spielt.“

„Klar doch.“

Kurz darauf entschuldigte Liam sich, denn er wusste, dass Dylan und Maeve sich eine Menge zu erzählen haben würden. Schließlich hatte sein jüngerer Bruder sich schon eine Weile lang nicht mehr im Hotel blicken lassen.

Eigentlich hatte er vorgehabt, in sein Büro zu gehen, um noch einen Stapel Papiere durchzuarbeiten, bevor er schlafen ging. Aber seine Füße trugen ihn in den mondbeschienenen Innenhof des Hotels. Obwohl es tagsüber bereits sehr warm gewesen war, wurde Liam von kühler Nachtluft umfangen, als er hinaustrat. In den Bergen sanken die Temperaturen abends gewöhnlich ziemlich stark.

Unwillkürlich begann er die Fenster am Gebäude abzuzählen, bis er endlich Zoes Zimmer ausfindig gemacht hatte. Die Vorhänge waren zugezogen, kein Licht drang nach außen. Vielleicht war sie schon im Bett – dabei war es noch nicht einmal zehn Uhr.

Gedankenverloren schlenderte Liam durch die parkähnliche Anlage, und der Kies unter seinen Füßen knirschte leise. Der Duft unzähliger Blumen erfüllte die Luft und erinnerte Liam an Zoe. Wäre er ein Poet gewesen, dann hätte er behauptet, dass sie einer kostbaren Blüte glich – schön und anmutig. Doch um ehrlich zu sein, waren seine Gefühle ihr gegenüber geprägt von ziemlich weltlichem Verlangen. Ja, es gab nichts daran zu deuteln – er wollte Zoe Chamberlain in sein Bett bekommen. Sobald er sich das eingestanden hatte, strömte ein weiterer Schub pulsierenden Verlangens durch seinen Körper. Dabei schrie sein Verstand unaufhörlich, dass er sich in Acht nehmen musste. Schließlich war er keine sechzehn mehr und schwärmte für eine Frau, die, wie sich später herausstellte, die heimliche Geliebte seines Vaters gewesen war. Er kannte Zoe überhaupt nicht und durfte seine Verantwortung nicht vergessen, nur um sein brennendes Verlangen nach einer Fremden zu stillen.

Wie sie wohl nackt aussehen mochte? Ihre porzellanfarbene Haut war bestimmt am ganzen Körper zart und weich. Und ihre Brüste? Ob deren Spitzen wohl wie rosafarbene Rosenknospen aufblühten, wenn sie erregt war?

Er setzte sich auf eine schmuckvoll verzierte Steinbank, stützte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn auf die Hände. Normalerweise nahm die Arbeit im Hotel ihn voll und ganz in Anspruch. Obwohl er sehr gern draußen war, ließen ihm seine beruflichen Pflichten kaum Zeit dafür.

Gelegentlich bedauerte er es, die Verantwortung für den Familienbetrieb tragen zu müssen, aber diese Gefühle wurden von einem Mann verursacht, der kaum mehr als ein Geist der Vergangenheit war. Wenn Reggie Kavanagh noch gelebt hätte, wäre Liams Leben völlig anders verlaufen. Dann würde er vielleicht auf der anderen Seite der Welt wohnen und eine eigene Familie haben. Würde ausbrechen und mit den Zirkusleuten durchs Land ziehen … zur See fahren … Suaheli lernen … herausfinden, wer Liam Kavanagh wirklich war.

Doch Spekulationen darüber, was hätte sein können, führten zu nichts. Schließlich hatte ihn niemand zu dem gezwungen, was er tat. Unzufrieden mit sich, weil er sich dazu hatte hinreißen lassen, in Selbstmitleid zu baden, stand er hastig auf – und rannte ihn eine Frau hinein, die gerade um die Kurve des Pfades kam.

Reflexartig hielt er sie fest, um sie vor einem Sturz zu bewahren. „Zoe? Sind Sie das?“

5. KAPITEL

Erschreckt schnappte Zoe nach Luft, bis sie endlich erkannte, wer der Mann war, der sie im Halbdunkel so mühelos in den Armen hielt. Liam.

„Sie haben mich fast zu Tode erschreckt“, sagte sie vorwurfsvoll. „Ich habe schon gedacht, Sie wären ein Geist oder ein Sittenstrolch.“

„Davon gibt es sehr viele in Silver Glen.“

„Sie nehmen mich doch auf den Arm?“

„Vielleicht ein bisschen.“ Er ließ sie los. „Haben Sie was dagegen, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?“

Tief atmete sie ein, als Begierde sie durchflutete. So gewöhnlich und doch so machtvoll. Sie schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Ich wollte nur ein wenig frische Luft schnappen. Sie gehen wohl besser voran, denn ich habe keine Ahnung, wo ich hinmuss.“

Er blickte auf ihre Füße. „Was haben Sie denn für Schuhe an? Sind die für etwas raueres Gelände geeignet?“

Zoe trug dieselben Sachen wie heute Nachmittag bei ihrer Sightseeing-Tour – mit der Ausnahme, dass sie die Baseball-Kappe auf dem Zimmer gelassen hatte und ihr Haar offen über ihre Schultern fiel. „Alles bestens.“

„Perfekt.“

Einige Minuten lang gingen sie schweigend nebeneinanderher.

„Wohin gehen wir?“, fragte Zoe schließlich, als sie das leise Murmeln von Wasser in der Ferne vernahm.

Selbst im Dunkeln konnte man sehen, dass er lächelte. „Zum Wasserfall.“

Kurz darauf wurde jede weitere Unterhaltung unmöglich, weil das Rauschen so laut war, dass man kein Wort mehr verstehen konnte. Plötzlich fasste Liam sie an den Arm. „Wir gehen nicht weiter!“, sagte er so dicht an ihrem Ohr, dass sie seinen Atem wie eine zärtliche Berührung an der Wange spürte. „Es geht hier ziemlich steil herunter.“

Das Mondlicht übergoss das Wasser mit einem silbernen Schimmer. Zoe genoss den faszinierenden Anblick, während sie Schulter an Schulter mit Liam einfach nur dastand und den majestätischen Wasserfall betrachtete. Unwillkürlich begann Zoe zu frösteln, und ohne zu zögern legte Liam ihr sein Jackett über die Schultern.

Das Material war warm und weich und duftete herrlich nach Liams Aftershave. Zoe zog die Aufschläge zusammen und genoss das wohlige Gefühl der Geborgenheit, während sie den ungebändigten Kräften der Natur zusah.

Als es schließlich noch kühler wurde, kehrten sie wieder in den Hotelgarten zurück. „Lassen Sie die Jacke an“, riet er Zoe, die sie ihm wiedergeben wollte. „Sonst erkälten Sie sich noch. Möchten Sie noch etwas in meiner Suite mit mir trinken?“

„Und Ihre Briefmarkensammlung ansehen?“, fragte sie ironisch.

„Zieht die Masche denn immer noch? Außerdem würde ich nie versuchen, einen Hotelgast so plump zu verführen.“

„Und wenn ich mich gern verführen lassen würde?“, fragte sie leise.

Sie standen dicht beieinander, und sie spürte, wie er sich plötzlich anspannte. „Das ist nicht witzig, Zoe“, sagte er ernst.

„Hören Sie mich etwa lachen?“, erwiderte sie und schmiegte sich sacht an ihn, bevor sie sich beide aufeinander zubewegten und ihre Lippen sich trafen. Zunächst etwas unbeholfen, denn die Dunkelheit machte es etwas schwer, sich zu orientieren, aber dann … Liams Lippen waren einfach unglaublich. Fest, warm, voller Selbstvertrauen sein Kuss. Zoe schmolz förmlich unter Liams Berührung dahin, obwohl sie wusste, dass es Wahnsinn war, sich darauf einzulassen.

Endlich schaffte sie es, ein Stück wegzurücken. „Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht“, gab sie zu.

Aus seinem durchdringenden Blick wurde sie nicht schlau, doch sie spürte, dass er innerlich aufgewühlt war.

„Bedeutet das Ja?“, fragte er.

„Ich denke schon.“ Sie hakte sich bei ihm unter. „Oder ist es etwa ungehörig, wenn man uns zu so später Stunde zusammen sieht?“

„So spät ist es auch wieder nicht“, entgegnete er leise lachend. „Und wir nehmen den Fahrstuhl für die Angestellten.“ Kurz darauf öffnete er eine schmale Seitentür und führte Zoe in einen schwach beleuchteten Korridor.

Sie gab ihm das Jackett zurück. „Das gefällt mir. Klingt so geheimnisvoll.“

Nach einer kurzen Fahrt erreichten sie die Etage, in der sich nicht nur Zoes Zimmer, sondern auch das von Liam befand. Seine Suite war modern, männlich und luxuriös eingerichtet und hätte Zoe sicherlich eingeschüchtert, wenn sie nicht selbst in einer wohlhabenden Umgebung aufgewachsen wäre. Der weiche Teppich schien sie verführen zu wollen, einfach die Schuhe abzustreifen und die nackten Zehen in die wunderbar samtige Oberfläche zu graben, doch sie widerstand der Versuchung.

„Setzen Sie sich doch. Ich mache uns einen Kaffee“, schlug er vor.

Statt sich hinzusetzen, folgte sie ihm in die Küche.

„Sie sind wohl nicht daran gewöhnt, Anweisungen zu befolgen, oder?“, erkundigte er sich amüsiert.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich neugierig bin“, erwiderte sie und bestaunte die modern eingerichtete Küche, während Liam den Kaffee zubereitete.

„Schöne Küche“, sagte sie schließlich und setzte sich auf einen Stuhl. „Kochen Sie gern?“

Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu, während er die Kühlschranktür aufzog. „Eigentlich ja. Aber leider ist es bequemer, unten zu essen. Eine schlechte Angewohnheit, ich weiß.“

„Ich kann ja mal was für Sie kochen“, schlug sie impulsiv vor. „Wenn Sie wollen.“

„Das wäre sehr schön“, sagte er, ohne sich anmerken zu lassen, was er wirklich davon hielt.

Fasziniert betrachtete Zoe seine schlanken, langen Finger und erschauerte wohlig. Er sah aus wie ein Star, der gerade von einem Fotoshooting für ein Hochglanzmagazin kam. Sexy, mit verführerischem Bartschatten und unwiderstehlichem Schlafzimmerblick.

„Ach, vergessen Sie es wieder“, sagte sie hastig. „Mit Ihrem Fünfsternekoch kann ich nicht mithalten.“

„Oh, ich denke schon“, entgegnete er und zog eine Augenbraue hoch.

Es bestand kein Zweifel, dass Liam sie ebenfalls begehrte. Sie schluckte hart, bevor sie heiser antwortete. „Ist es endlich so weit?“

„Was denn?“ Jetzt klang er leicht verwirrt.

„Der Kaffee.“

„Ach, der … ja.“

„Es ist kein Wunder, dass Sie nie ausspannen, wenn Sie im Hotel wohnen“, erklärte Zoe, während sie Liam dabei zusah, wie er die Getränke zubereitete.

Achselzuckend stellte er schließlich einen Becher dampfenden Kaffees vor sie. „Die Angestellten versuchen, mich so gut wie nie zu stören, wenn ich freihabe.“

„Das entscheidende Wort ist dabei wohl versuchen“, meinte Zoe und empfand plötzlich Mitleid mit ihm. Liam war ein ebenso einsamer Wolf wie sie. Die meiste Zeit waren sie von Menschen umgeben und im Grunde ihres Herzens trotzdem allein. Der einzige Unterschied war, dass Liam noch seine Familie in der Nähe hatte.

Sie musste wohl eine ganze Weile schweigend in Gedanken versunken dagesessen haben, denn als sie wieder aufblickte, bemerkte sie Liams fragenden Blick.

„Langweile ich Sie etwa?“, erkundigte er sich.

„Entschuldigen Sie. Ich habe nur nachgedacht.“

„Und worüber?“, fragte er ohne Umschweife, wie es seine Art zu sein schien.

„Oh, über dies und das.“

„Darf ich Sie etwas fragen, Zoe?“

„Ja. Was denn?“

„Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?“

„Ich singe“, entgegnete sie schlicht und hielt Liams durchdringendem Blick stand. „In Bars, Nachtclubs und Cafés.“

Glücklicherweise verkniff er sich die Frage, wie sie sich damit einen sechswöchigen Aufenthalt in seinem Hotel leisten konnte. „Ich gehe dann besser mal“, sagte sie. Es gefiel ihr, die geheimnisvolle Fremde zu sein, und sie hatte nicht vor, etwas daran zu ändern.

„Verzeihen Sie bitte.“ Er errötete leicht. „Ich hatte Ihnen versprochen, Sie nicht weiter mit Fragen zu löchern. Das war eben unhöflich von mir.“

„Ach, wahrscheinlich würde jeder gern von seinem Blind Date wissen, welchen Beruf es hat. Machen Sie sich keinen Kopf, nur weil ich ein bisschen schrullig bin.“

„Schrullig, aber wunderschön.“

Sein Kompliment berührte sie zutiefst, und seinem Blick sah sie an, dass er durchaus gewillt zu sein schien, einige ihrer Schrullen in Kauf zu nehmen. „Ich versichere Ihnen, dass ich harmlos bin“, stieß sie leise hervor.

„Das wird sich noch herausstellen“, entgegnete er unumwunden.

„Danke für den Kaffee“, sagte sie und stand auf.

„Warum die Eile?“ Liam erhob sich ebenfalls. „Ich habe Ihnen doch noch nicht einmal meine Briefmarkensammlung gezeigt.“

„Was wollen Sie von mir, Liam?“

Er fasste zärtlich in ihr Haar und streichelte sanft ihren Nacken. „Was wollen Sie denn, Zoe?“

Plötzlich erschauerte sie und bekam trotz der Wärme in der Suite eine Gänsehaut. „Es ist nur Vermeidungstaktik, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.“

„Aber Ihnen gehe ich nicht aus dem Weg“, widersprach er und zog sie dichter an sich heran. „Sie sind mein Gast, und mit Freuden erfülle ich Ihnen all Ihre Wünsche – wirklich alle.“

Die Luft zwischen ihnen schien mit einem Mal vor Verlangen zu vibrieren, und die Wärme seines Körpers zog Zoe magisch an. „Die Sache mit dem Service sollten Sie nicht überstrapazieren. Sonst nimmt man Ihnen noch einen von Ihren Sternen weg“, antwortete sie heiser.

Wieder streichelte er sanft über ihren Nacken, und Zoe erschauerte wohlig. „Sie wissen wohl immer alles besser, oder?“, stieß sie hervor. Es schien ihm nichts auszumachen, dass sie sich sträubte. Ganz im Gegenteil – ihr Widerstand schien seinen Jagdtrieb nur noch anzustacheln. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, aber plötzlich hatte er sie mit dem Rücken gegen den großen Kühlschrank gedrängt und zog sie an seinen Körper heran.

„Ich habe für sechs Wochen gebucht“, sagte sie und genoss das erregende Gefühl, das sie durchströmte, als Liam zärtlich ihren Hals küsste. „Vielleicht sollten wir unsere Optionen sorgfältig abwägen.“

Jetzt spürte sie die verführerische Berührung seiner Zunge an ihrem Mundwinkel, seinen warmen Atem wie ein süßes Versprechen an ihrer Wange.

„Und wie viele Optionen sehen vor, dass ich dich mit in mein Bett nehme?“, fragte er heiser.

Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, ihre Knie versagten ihr den Dienst. Selbst schuld, dachte sie, warum hatte sie auch eben im Garten mit diesem gefährlichen Flirt begonnen? Und wenn sie verführt werden wollte? Das hatte sie ihn doch gefragt, oder nicht? Sie konnte es Liam nicht verdenken, dass er jetzt glaubte, sie sei wild darauf, sich die Sachen vom Leib zu reißen, und dass sie eine von den Frauen war, die …

Doch der romantische Mondschein und die prickelnde Atmosphäre konnten eine Frau schon einmal dazu bewegen, ihre Grenzen etwas weiter zu stecken, oder nicht? Allerdings meldete sich auch unverzüglich ihre Vorsicht zu Wort. Wenn es jetzt zwischen ihnen beiden noch weiterging, dann würde Liam früher oder später mehr über sie erfahren wollen. Und es gab Dinge, die sie noch nicht mit einem anderen Menschen teilen wollte.

Seufzend genoss sie die lustvollen Empfindungen, die sie durchströmten, als Liam zärtlich die empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr küsste. Der Mann hatte sie noch nicht einmal richtig geküsst, und trotzdem war sie wie Wachs unter seinen Händen. „Wäre es sehr unhöflich, wenn ich dir jetzt sage, dass ich meine Meinung geändert habe?“, stieß sie heiser hervor.

„Nicht unhöflich“, erwiderte er rau. „Nur schrecklich frustrierend.“

Besänftigend tätschelte sie seine Wange. „Sei nicht traurig, Liam. Du kannst es als Kompliment auffassen, dass es überhaupt so weit zwischen uns gekommen ist. Normalerweise bin ich nicht so leicht zu begeistern.“

Er ging einen Schritt zurück und sah einfach hinreißend aus mit den zerzausten Haaren, während er sich die Schläfen rieb. „Ich verstehe. Kein Sex.“

„Kein Sex – heute“, erwiderte sie.

„Können wir uns dann vielleicht küssen? Wild und leidenschaftlich, versteht sich.“

Das konnte doch nicht schaden, oder? „Natürlich“, entgegnete sie, als sei seine Frage kein bisschen ungewöhnlich. „Soll ich anfangen?“

6. KAPITEL

Liam wusste augenblicklich, dass er entweder masochistisch veranlagt oder der glücklichste Mann der Welt war. In diesem Moment hätte es ihn nicht einmal gekümmert, wenn Zoe mehr Geheimnisse als die Sphinx gehabt hätte. Er räusperte sich. „Das wäre mir eine große Freude. Tu dir keinen Zwang an.“

„Ich habe aber seit über einem Jahr niemanden mehr geküsst“, gestand sie und sah ihn aus ihren großen, blauen Augen leicht verunsichert an. „Um ehrlich zu sein, hatte ich schon seit vier Jahren keinen Sex mehr.“

Machte sie etwa Scherze? Ungläubig starrte er sie an.

„Du glaubst mir nicht“, sagte sie traurig.

„Ich würde dir ja gern glauben“, erwiderte er schuldbewusst. „Aber hast du schon mal in den Spiegel gesehen? Männer übersehen normalerweise Frauen wie dich nicht.“

„Du wärst überrascht, wenn du wüsstest, wie gut ich mich tarnen kann, wenn ich das möchte. Aber ich verstehe schon. Du kennst mich schließlich nicht – und auch wenn du gern mit mir schlafen würdest, glaubst du, dass es ein Fehler wäre. Schließlich hast du die Verantwortung für deine Familie und dieses Hotel.“

Ihm gefiel ganz und gar nicht, in welche Richtung dieses Gespräch ging. Unbehaglich trat er von einem Fuß auf den anderen. „Du schläfst in deinem Bus“, sagte er schließlich.

„Wow“, stieß sie hervor, und er wusste nicht, ob sie beschämt oder verärgert war. „Erstattet dir etwa jeder in der Stadt Bericht? Bist du so was wie der Pate?“

„Mein Freund Gary ist alleinerziehender Vater und muss deshalb wissen, worauf er sich finanziell einlässt. Er hat mich gefragt, ob du dir meiner Meinung nach die Reparatur leisten kannst, bevor er die teuren Ersatzteile bestellt.“

„Und was hast du ihm gesagt?“

„Dass ich zur Not die Rechnung begleichen würde“, erwiderte Liam. Mittlerweile war er sich ziemlich sicher, so gut wie gar keine Chance mehr zu haben, mit Zoe Chamberlain ins Bett zu gehen.

„Ich checke morgen früh aus“, erwiderte Zoe kühl. „Gute Nacht, Liam.“

Bevor er sichs versah, hatte sie schon beinahe die Eingangstür erreicht.

„Jetzt warte doch, verdammt noch mal“, rief er und lief ihr nach. „Das ist doch lächerlich! Meinetwegen kannst du sauer auf Gary sein, aber nicht auf mich. Und es ist ja nicht so, dass Gary persönliche Informationen über dich preisgegeben hätte.“

„Wo ich schlafe, ist meiner Meinung nach eine ziemlich persönliche Information“, entgegnete sie wütend.

„Ach, komm schon, Zoe“, sagte er. „Du brauchst mir nichts zu erklären. Ich schätze, dass reiche Leute eben manchmal seltsame Dinge tun. Ich kenne selbst ein paar, die ihr Geld in der Matratze verstecken.“

„Willst du damit etwa auch noch andeuten, ich sei nicht ganz dicht?“, fragte sie entgeistert. „Das ist ja wirklich unglaublich.“

„Aber du hast doch versprochen, mich zu küssen“, erwiderte er ratlos. Zoe sah trotz ihrer Wut einfach hinreißend aus, und noch nie hatte er sich mehr danach gesehnt, mit jemandem zu schlafen. „Bitte, gib mir noch eine Chance“, flehte er, obwohl er wusste, dass es sicherlich für sie beide das Beste wäre, wenn sie jetzt ging. „Ich habe dir wirklich nicht hinterherschnüffeln wollen, das schwöre ich.“

„Du bist eigentlich nicht der Typ Mann, der um etwas bitten sollte“, antwortete sie. „Passt irgendwie nicht zu dir.“

„Dann bitte ich eben nicht“, erwiderte er leise. „Sondern ich mache einfach das hier.“ Er zog sie in seine Arme und presste verlangend die Lippen auf ihre. Eine Welle heißer Begierde erfasste ihn.

Hätte sie sich zur Wehr gesetzt, hätte er sie natürlich sofort freigegeben. Maeve Kavanagh hatte ihre Jungs ziemlich streng erzogen. Doch zu Liams Glück gab Zoe sich seufzend seinem Kuss hin. Ihr Einlenken ließ sein Verlangen nur noch heftiger werden, und er schloss sie fester in die Arme.

„Ruhig Blut, mein Großer“, sagte sie. „Du hast mich ja schon überzeugt.“

„Dann küss mich“, stieß er erregt hervor.

Ihre Lippen kamen ihm so sanft vor wie der Morgennebel, der im Winter die Berge in einen zauberhaften Schleier hüllte. Und sie schmeckten köstlicher als der erlesenste Wein. Verlangend streichelte er ihren Rücken, bis er es schließlich wagte, seine Hand unter ihr Shirt zu schieben. Er spürte ihre Zerbrechlichkeit, und der Gedanke daran, dass sie so schwer erkrankt gewesen war, stimmte ihn unendlich traurig.

„Es tut mir leid“, sagte er und hoffte, dass sie bemerkte, wie ernst es ihm war. Voller Leidenschaft streichelte er ihre schlanke Hüfte, und erregt stellte er sich vor, wie es wohl wäre, sie jetzt auszuziehen und ihren vollendeten, nackten Körper zu erkunden. „Warum sagst du eigentlich nichts?“, beschwerte er sich kurz darauf, als Zoe immer noch schwieg.

Sie neigte den Kopf nach hinten und sah ihm in die Augen. „Du weißt nicht, wie man nett mit einer Frau spricht, habe ich recht?“

„Eigentlich ziehe ich es vor, zu handeln. Worte können manchmal ganz schön verwirrend sein.“ Er zog sie dichter an sich heran und ließ sie spüren, wie sehr sie sein Verlangen entfacht hatte. Sie umschlang seinen Nacken und seufzte leise, als er unter ihr Kinn fasste. Er musste sie sofort ein weiteres Mal küssen, sonst verlor er noch den Verstand.

„Oh, Liam.“ Sie seufzte leise. „Das ist einfach wundervoll.“

„Ich finde, wir schlagen uns beide ganz gut“, erwiderte er und begann, eine ihrer vor Erregung hart gewordenen Brustspitzen unter ihrem Shirt zu streicheln.

Zoe schlang ein Bein um seine Hüfte. „Hör bloß nicht auf.“

„Das habe ich auch nicht vor“, antwortete er, bevor er sie auf den Arm nahm und zum weichen Sofa aus schwarzem Leder hinübertrug. Er setzte sich und zog Zoe auf seinen Schoß.

Zufrieden schmiegte sie den Kopf an seine Schulter. „Das ist das beste Hotel, in dem ich jemals gewesen bin.“

„Das klingt ja ziemlich verrucht“, antwortete er und war überrascht von der Intensität der zärtlichen Gefühle, die er auf einmal für sie empfand. „Du weißt schon, dass wir das hier besser nicht tun sollten, oder?“

„Ich weiß.“ Sie seufzte. „Wir haben uns ja gerade erst kennengelernt.“

„Es ist aber nicht so, dass ich nicht will. Du bist die attraktivste und verführerischste Frau, die ich jemals kennengelernt habe.“

„Wirklich?“ Überrascht sah sie ihn an.

„Wirklich“, erwiderte er und stand auf, nachdem er Zoe aufgeholfen hatte. Er musste unbedingt dafür sorgen, dass sie ihm nicht so erregend nah war. „Wenn du noch länger hierbleibst, dann wissen wir beide, was geschieht. Es fällt mir zwar unendlich schwer, das zuzugeben, aber das Timing ist schlecht. Das hast du ja auch gesagt.“

Wütend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Auch wenn du mir nicht glaubst, aber ich habe nicht gelogen, als ich gesagt habe, dass das letzte Mal schon vier Jahre her ist.“

„Und warum dann ausgerechnet ich?“, erkundigte er sich.

Schulterzuckend sah sie ihn an. „Ich weiß es nicht. Du hast irgendwas an dir. Ich kann nur daran denken, mit dir ins Bett zu gehen. Dein Bruder sieht dir ziemlich ähnlich, aber er hat nicht diese Wirkung auf mich.“

„Dylan hat gesagt, dass du bei ihm in der Bar spielen willst.“

„Ja.“

„Und warum?“

„Weil ich Musik liebe. Ist das so schwer zu verstehen?“

Er wusste, dass sie nicht mehr über sich verraten wollte. „Heute ist ein Mann hier gewesen“, sagte er ernst. „Er hat nach dir gesucht – oder vielmehr nach einer Zoe Henshaw. Pierre und ich gehen davon aus, dass du diese Frau bist.“

Schlagartig wich jegliche Farbe aus ihrem Gesicht, und Zoe sank kraftlos auf das Sofa. „Wer?“, stieß sie tonlos hervor.

„Ich weiß es nicht. Pierre hat mit ihm geredet.“

„Und was hat er ihm gesagt?“

„Dass wir keinen Gast mit diesem Namen haben. Wir nehmen die Privatsphäre in unserem Haus sehr ernst, Zoe. Du bist sicher, solange du im Silver Beeches bist“, beteuerte er ihr. „Sprich mit mir. Ich werde dein Vertrauen nicht enttäuschen.“

Zoe sah ihm an, wie ernst ihm sein Versprechen war, doch sie wagte trotzdem nicht, ihre Tarnung fallen zu lassen. „Danke“, entgegnete sie. „Aber es geht mir gut.“

„Weißt du denn, wer das gewesen sein könnte?“

„Nein.“ Erschreckt stellte sie fest, wie leicht es ihr fiel, zu lügen. Allerdings hatte sie nur auf diese Weise die vergangenen anderthalb Jahre in Sicherheit leben können. „Trotzdem danke, dass du mir Bescheid gesagt hast.“

Mühsam erhob sie sich und ging zur Tür. Es war töricht von ihr gewesen, zu glauben, sich eine Beziehung mit Liam Kavanagh leisten zu können – gleichgültig, wie verführerisch die Vorstellung auch war. „Der Wasserfall hat mir wirklich gefallen“, sagte sie und legte die Hand auf die Türklinke.

„Gern geschehen“, erwiderte Liam, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Offenbar hatte er dieses Mal nicht vor, sie aufzuhalten.

„Gute Nacht“, sagte Zoe und verließ die Suite. Als sie im Korridor stand, lehnte sie den Kopf gegen die Wand. Ihr Herz schien wie wild in ihrer Brust zu hämmern, und nur mühsam unterdrückte sie den Drang, zu fliehen – obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, einfach den Nissan zu nehmen und das Weite zu suchen. Doch so tief wollte selbst Zoe nicht sinken.

Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und floh stattdessen in die friedliche Abgeschiedenheit ihres Zimmers. Morgen war auch noch Zeit, einen Plan zu schmieden.

7. KAPITEL

Zoes Nerven schienen blank zu liegen. Normalerweise war sie nicht so nervös vor einem Auftritt. Für gewöhnlich brauchten die Gorillas ihres Vaters aber einige Wochen, bis sie Zoes aktuellstes Versteck ausfindig machten. Es war also seltsam, dass man sie jetzt so schnell gefunden hatte. Glücklicherweise hatte Pierre den Mann fortgeschickt. Fürs Erste war sie hier also sicher.

Möglicherweise war sie auch ein wenig aufgeregt, weil sie vor einer guten Stunde von einem Hotelpagen eine Nachricht erhalten hatte:

Liebe Zoe,

wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich gern heute Abend in den Silver Dollar Saloon begleiten. Wollen wir uns um halb sieben in der Lobby treffen? Bitte ruf einfach bei der Rezeption an, um mir eine Nachricht zu hinterlassen. Liam

Vorhin hatte sie den Zettel in die Schublade ihres Nachtschranks gesteckt und zog ihn jetzt wieder hervor, um ihn noch einmal zu lesen. Liams Handschrift war ordentlich und unverkennbar männlich.

Völlig aus dem Häuschen war sie gewesen, als Dylan sie heute gebeten hatte, bei ihm aufzutreten. Nach seinem zurückhaltenden Verhalten in der Bar gestern hatte sie sich wenig Hoffnung gemacht, wieder von ihm zu hören.

Fünf Minuten vor halb sieben ging sie nach unten in die Lobby, wo Liam bereits auf sie wartete. Zwar trug er keine Jeans, er hatte jedoch etwas legerere Kleidung angelegt als normalerweise auf der Arbeit. Ein hellblaues Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, das seine gebräunte Haut und die breiten Schultern vorteilhaft zur Geltung brachte. Dazu trug er eine leichte Kakihose und Freizeitschuhe aus Leder. Als er Zoe bemerkte, sagte er etwas zu Pierre, mit dem er sich unterhalten hatte, und kam ihr entgegen. „Zoe, du siehst einfach zauberhaft aus.“

Liam war überwältigt, als er Zoe sah. Seit ihrem letzten Treffen waren sie sich einen ganzen Tag lang nicht begegnet, doch ihr Anblick übertraf seine kühnsten Fantasien nun noch bei Weitem. Ihr seidig schimmerndes Haar umrahmte das faszinierende Gesicht, das gleichzeitig unschuldig wirkte und trotzdem einer Sexgöttin würdig gewesen wäre. Er war sich nicht sicher, wie das sein konnte, aber die Wirkung war in jedem Fall über alle Maßen erregend.

Figurbetonte dunkle Jeans unterstrichen ihre langen, schlanken Beine, und ein dunkler Ledergürtel mit türkisfarbener Schnalle war um ihre zierliche Hüfte geschlungen. Dazu trug sie ein eng anliegendes rotes Seidentop, das ihre Brüste verführerisch in Szene setzte, und farblich dazu passende Stilettos, deren Absätze so hoch waren, dass Zoe beinahe so groß wirkte wie Liam.

Sofort wusste er, dass er noch nie einer attraktiveren oder sinnlicheren Frau begegnet war. „Können wir los?“, fragte er heiser.

Sie lächelte. „Ja.“

Am Ellbogen führte er sie nach draußen. Dort stand bereits sein silberfarbenes 1962er Jaguarcabriolet bereit. Nachdem Liam seiner Begleiterin die Tür aufgehalten hatte, verstaute er die Gitarrentasche im Kofferraum und setzte sich hinter das Lenkrad. „Ich lasse das Verdeck besser oben, weil du heute noch singen musst. Aber wir sollten unbedingt mal einen Ausflug mit offenem Verdeck durch die Berge machen.“

„Klingt toll.“

Kaum vorzustellen, dass sie sich gestern Nacht um ein Haar geliebt hätten. Obwohl Zoe so zurückhaltend schien, ahnte Liam, dass sie ihn ebenfalls begehrte. Vielleicht waren einfach Geduld und taktisches Vorgehen gefordert, damit Zoe ihre Bedenken in den Wind schlug. Er war fest entschlossen, alles zu tun, was nötig sein mochte, um Zoe in sein Bett zu bekommen – ehrlich gesagt konnte er kaum noch an etwas anderes denken.

Während der Autofahrt durch die Berge beschloss er, lieber nichts zu sagen, denn Zoe wirkte ziemlich angespannt. Vermutlich konzentrierte sie sich bereits auf den bevorstehenden Auftritt. Außerdem hätte Liam sowieso nicht in Worte fassen können, was ihm gerade durch den Kopf ging. Zweifellos würde sie die Flucht ergreifen, wenn sie wüsste, worauf er aus war.

Beinahe hätte er eine Leitplanke gerammt, als seine Beifahrerin die Beine übereinanderschlug und dabei versehentlich einer ihrer sexy roten Schuhe vom Fuß streifte. Fasziniert stellte Liam fest, dass ihre Nägel in demselben verführerischen Rot lackiert waren. Obwohl er sich im Grunde nie besonders viel aus Füßen gemacht hatte, konnte er plötzlich an nichts anderes mehr denken als daran, wie es wohl wäre, diese zarten, schlanken Zehen mit den Lippen zu umschließen …

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sie verlegen den Schuh wieder überstreifte. „Es ist sehr nett von deinem Bruder, dass er mich heute Abend in seiner Bar auftreten lässt. Er kann ja gar nicht wissen, ob ich wirklich singen kann.“

Natürlich konnte Zoe nicht ahnen, dass Liam und sein Bruder noch am Abend zuvor miteinander telefoniert hatten. Liam hatte Dylan kurz Zoes Lage geschildert und ihn gebeten, ihr einen Auftritt zu ermöglichen. Auf diese Weise hoffte Liam, etwas mehr über seinen mysteriösen Gast herausfinden zu können. Glücklicherweise hatte sein Bruder sich sofort einverstanden erklärt. Natürlich hütete Liam sich, Zoe gegenüber etwas davon zu erwähnen.

„Hast du denn übertrieben, als du ihm gesagt hast, du könntest singen?“

„Nein.“

Beruhigend tätschelte er eins ihrer Knie, zog jedoch hastig die Hand zurück, als er das Gefühl hatte, sich die Fingerspitzen zu verbrennen. „Dann brauchst du dir auch keine Sorgen zu machen“, erklärte er. „Und selbst wenn du die schlechteste Sängerin der Welt sein solltest, bin ich sicher, dass das Publikum im Silver Dollar nachsichtig mit dir ist – bei den sexy Jeans, die du anhast.“

Nachdenklich sah sie ihn an. „Meinst du etwa, sie sind zu eng?“, fragte sie besorgt. „Seitdem ich hier bin, habe ich mehr gegessen als sonst und bestimmt schon ein, zwei Pfund zugenommen.“

„Die Jeans sitzen perfekt.“ Mehr gab es nicht zu sagen. Kurz darauf lenkte er den Wagen auf den Parkplatz vor den Saloon und hielt neben dem Auto seines Bruders. „Möchtest du gleich reingehen, oder wollen wir lieber noch einen Moment warten?“

„Ich bin ganz schön aufgeregt“, erwiderte Zoe nervös. „Aber das ist immer so, bevor man vor wildfremden Menschen singt.“

Zärtlich streichelte er mit dem Handrücken ihre Wange und glaubte gleichzeitig, vor Verlangen vergehen zu müssen. „Willst du damit etwa andeuten, dass ich dich nervös mache, Zoe?“, fragte er hoffnungsvoll, denn das würde bedeuten, dass sie sich auch zu ihm hingezogen fühlte.

„Kein Kommentar“, entgegnete sie verzagt.

„Du hast ja gefragt, ob du hier auftreten kannst“, erklärte er.

„Und jetzt würde ich es gern schnell hinter mich bringen.“

„Dann lass uns meinen Bruder suchen.“

Das Silver Dollar war bereits gut besucht. Die Kellnerin begrüßte Liam mit einem Kuss auf die Lippen. „Wo hast du denn so lange gesteckt, Süßer? Ich habe dich vermisst.“

Deliah war zwanzig Jahre älter als er und hatte wenigstens dreißig Pfund Übergewicht, doch ihre offene, freundliche Art zog Männer an wie Honig die Bienen. Liam drückte sanft ihren Arm. „Benimm dich, Dee. Darf ich dich mit meiner Freundin Zoe bekannt machen? Sie singt heute Abend hier mit Dylan.“

Die Bardame trat einen Schritt zurück und musterte Zoe von Kopf bis Fuß. „Wo hast du bloß diese wunderschöne Frau aufgegabelt, Liam?“, fragte sie schließlich kopfschüttelnd, bevor sie sich an Zoe wandte. „Du kannst mich Dee nennen, Schätzchen.“

In diesem Moment trat Dylan zu ihnen und führte sie zu einem Tisch im hinteren Teil, den er für sie reserviert hatte und der zumindest ein bisschen Privatsphäre in der überfüllten Bar bot. Ein leicht ramponiert wirkender Kunstbaum diente als eine Art Barriere zwischen ihrem Tisch und dem übrigen Gastraum.

Obwohl Liam ihm einen drohenden Blick zuwarf, setzte Dylan sich neben Zoe und schob ihr ein Blatt Papier zu. „Kennen Sie ein paar von denen?“

Lächelnd blickte sie von der Liste zu Dylan. „Also, eigentlich alle.“

„Prima“, erwiderte Dylan fröhlich. „Dann esst jetzt erst mal was, und anschließend gehen wir kurz den Ablauf durch. Der Auftritt würde dann so gegen halb neun beginnen. Ist das in Ordnung für Sie?“

„Perfekt!“, sagte Zoe begeistert.

Zu Liams Erleichterung stand Dylan wieder auf und ließ seinen Bruder mit Zoe allein. „Ich kann die Chicken Wings und die Jalapeños mit Käsefüllung empfehlen“, sagte Liam und fragte sich insgeheim, wie viel Zeit noch vergehen müsste, bis er endlich wieder mit Zoe allein sein konnte. Nackt.

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, beobachteten sie die Gäste. Zoe deutete auf einen großen Mann, der nichts weiter als rote Hosenträger und abgewetzte Malerhosen trug. „Wer ist der Typ?“, fragte sie.

Liam trank einen Schluck von seinem Importbier und lachte leise. „Big Tom. Die meiste Zeit des Jahres betreibt er die Sägemühle vor der Stadt, aber von Thanksgiving bis Weihnachten arbeitet er in einer Mall in Asheville als Santa Claus.“

„Ich habe so eine Ahnung, weshalb.“

Fest entschlossen, ihr Gespräch in etwas persönlichere Bahnen zu lenken, streichelte Liam ihre Hand. „Es tut mir leid, dass wir uns gestern Abend gestritten haben.“

Rasch zog Zoe ihre Hand fort und senkte den Blick. „Ist schon okay.“

„Nein, ist es nicht. Du hast ein Recht auf deine Geheimnisse, aber ich hoffe, du findest bald heraus, dass du mir trauen kannst.“

„Vertrauen beruht immer auf Gegenseitigkeit.“

„Das stimmt. Aber du machst es mir nicht gerade leicht. Chamberlain ist nicht dein richtiger Name, stimmt’s?“

Verärgert sah sie ihn an. „Doch, das ist er. Aber es ist mein Mittelname, den ich für alles verwende. Soweit ich weiß, ist das kein Verbrechen.“

„Zoe, ich will dir doch nichts tun, sondern dir helfen. Wer ist der Mann, der nach dir sucht?“

„Das weiß ich nicht“, erklärte sie trotzig.

Liam wusste, dass sie log, doch er hatte nicht vor, ihr in Dylans Bar eine Szene zu machen. Besonders nicht vor ihrem Auftritt, der in Kürze beginnen würde.

Obwohl es ihm schwerfiel, schluckte er seinen Ärger hinunter und beschloss, die Angelegenheit erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Kurz darauf wurde ihr Essen serviert und brachte ihn auf andere Gedanken.

Nach dem Dinner kam Dylan wie vereinbart an ihren Tisch, um Zoe zu der kurzen Besprechung des Ablaufs abzuholen.

„Dein Büro ja ziemlich klein, da bleibe ich wohl besser hier“, sagte Liam und sah seinen Bruder bedeutungsvoll dabei an.

„Klar“, stimmte Dylan zu. „Wir brauchen auch nicht lange.“

Als die beiden weg waren, sah Liam sich im Gastraum auf der Suche nach dem Mann um, auf den Pierres Beschreibung passen mochte. Nach einer Weile lehnte er sich entspannt zurück. Niemand würde Zoe in dieser Menschenmenge etwas anhaben können. Während er ein paar Pommes aß, überflog er die Nachrichten auf seinem Smartphone.

Lächelnd blickte er auf, als sich kurz darauf jemand neben ihn setzte. Sein Lächeln erstarb jedoch, als er bemerkte, um wen es sich handelte. Gary. Und der Mechaniker wirkte ziemlich ernst.

„Ist sie hier?“, fragte sein Freund.

Liam nickte. „In Dylans Büro. Die beiden wollen heute Abend zusammen auftreten. Was gibt es denn?“

„Wenn ich das bloß wüsste.“

„Mann, jetzt erzähl schon. Sie kann jeden Moment zurück sein.“

Gary rutschte näher an ihn heran und senkte die Stimme. „Sie hat heute Morgen angerufen und mich gefragt, ob ich ihren Bus in Braun lackieren könnte – wenn ich mit den Reparaturen fertig bin.“

„Und?“

„Aber die Lackierung, die sie gerade draufhat, ist noch brandneu. Kein Kratzer, keine Delle, nichts. Sie will sich doch vor irgendwem verstecken.“

„Meinst du nicht, dass du dich mit deinen Vermutungen ein bisschen zu weit aus dem Fenster lehnst?“, fragte Liam beklommen und weigerte sich, zu glauben, dass sein Freund recht haben könnte.

Doch Gary schüttelte den Kopf. „Da ist noch was. Während der Reparaturen bin ich zufällig auf ein Geheimfach gestoßen …“ Er schwieg, während die Kellnerin ihnen Getränke brachte.

„Und, verdammt noch mal?“, erkundigte Liam sich angespannt. „Was hast du gefunden?“

„Geld“, erwiderte Gary. „Einen Haufen Geld. Alles in Scheinen.“

Du liebe Güte. „Und wie viel?“

„Keine Ahnung. Ich habe es nicht angerührt. Auf keinen Fall möchte ich meine Fingerabdrücke draufhaben. Aber ich würde schätzen, wenigstens fünfzigtausend.“ Besorgt sah er Liam an. „Meinst du, wir sollten die Cops verständigen?“

Nachdenklich strich Liam sich über das Gesicht und überlegte fieberhaft. „Nein. Bisher haben wir noch keinen Beweis dafür, dass es nicht ihr gehört.“ Doch in seinem Inneren war bereits jegliche Hoffnung erstorben. So gern hatte er glauben wollen, dass man Zoe trauen konnte – und jetzt das.

„Aber wer versteckt schon so viel Bargeld in seinem Auto?“

„Das weiß ich nicht“, erwiderte Liam grimmig. „Aber ich finde es heraus.“

„Sie singen einfach fantastisch“, sagte Dylan und stützte die Hände auf seiner Gitarre ab, die an einem Gurt um seinen Hals hing. „Wie kann ich Sie dazu überreden, dauerhaft bei mir aufzutreten?“

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich bleibe nie länger als ein paar Wochen an ein und demselben Ort.“

„Und warum nicht?“

Seine einfache Frage traf sie völlig unvorbereitet. Ja, warum eigentlich nicht? Schließlich hatte sie sich aus freien Stücken zu dieser Lebensweise entschlossen – allein Feigheit und Angst trieben sie immer weiter auf ihrer rastlosen Reise. „Ich schätze, ich will einfach keine Wurzeln schlagen.“

„Niemand kann für immer davonlaufen“, entgegnete Dylan, den ihre Antwort offensichtlich nicht überzeugt hatte. „Vertrauen Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche.“

„Wer sagt denn, dass ich davonlaufe?“

„Machen Sie das etwa nicht?“, fragte er, und in seinem Blick erkannte sie Mitgefühl.

Gerührt schluckte sie ein paar Tränen herunter. „Ich glaube, ich weiß gar nicht mehr, wie das geht – Wurzeln schlagen“, gestand sie schließlich. „Ich schließe nicht so leicht Freundschaften.“

„Und trotzdem treten Sie ständig vor Publikum auf. Ist das nicht ein Widerspruch an sich?“

„Das ist etwas völlig anderes.“

Dylan sah auf die Uhr. „Es ist so weit. Na, Schmetterlinge im Bauch?“

„Massenweise.“

Aufmunternd klopfte er ihr auf die Schulter. „Ich kenne meine Stammgäste. Sie werden Sie lieben. Kommen Sie, Ms. Zoe Chamberlain, lassen Sie uns ein bisschen Musik machen.“

Während sie aufstand, wischte sie sich die feuchten Hände an den Jeans ab. „Ich bin bereit. Auf geht’s.“

8. KAPITEL

Die Bühne im Silver Dollar war klein, aber Liams Bruder hatte keine Kosten gescheut und für eine professionelle Beleuchtungsanlage und ein hervorragendes Soundsystem gesorgt. Als Zoe vor Dylan auf die Bühne trat, war ein bewunderndes Raunen im Publikum zu hören.

Selbst Liam, der schließlich wusste, wie Zoe heute Abend aussah, atmete überwältigt ein, als er sie sah. Sie strahlte förmlich, und ihr fröhliches Lächeln schien auf die Gäste überzuspringen. Zudem schien sie jedem das Gefühl zu vermitteln, sie sänge nur für ihn.

Dylan und Zoe setzten sich nebeneinander auf zwei Stühle, doch Liam würdigte seinen Bruder kaum eines Blickes. Den anderen männlichen Gästen erging es ähnlich.

In weichen Wellen fiel Zoes offenes Haar anmutig über ihre Schultern. Ihre Wangen waren leicht gerötet, ihre blauen Augen strahlten, und ihr schlanker Körper vibrierte förmlich vor Energie. Sie schlang die Knöchel hinter die Querleiste des Stuhls, und mit einem Mal erinnerte Liam sich wieder daran, wie sie gemeinsam in seiner Küche gesessen hatten.

Nachdem Dylan die Gäste begrüßt hatte, stellte er Zoe vor und begann zu spielen. Augenblicklich verstummten die Gäste und hörten wie gebannt zu.

Schon oft hatte Liam seinen Bruder singen und spielen gehört, und er war wirklich ein guter Musiker. Er hatte das irische Talent geerbt, in seinen Liedern anrührende Geschichten zu erzählen.

Doch neben Zoe trat Dylans Talent völlig in den Hintergrund. Liam war wie in den Bann geschlagen und musste fortwährend daran denken, wie er Zoe zum ersten Mal begegnet war und was er bereits da für sie empfunden hatte. Wie im Traum lauschte er den Balladen und fröhlichen Liedern und wusste später nicht, wie lange der Auftritt gedauert hatte.

Niemand stand in dieser Zeit auf oder verließ die Bar. Dylans glückliches Lächeln verriet Liam, dass sein Bruder völlig in seinem Element war. Doch der Ausdruck purer Verzückung und Freude in Zoes Gesicht ließ keinen Zweifel daran offen, dass sie ihr Herz, ihre Seele in ihren Gesang legte.

Als der letzte Ton verklungen war, war außer einigen Seufzern und beschämten Schluchzern nichts zu hören. Es schien, als hätte Zoe einen Zauber gewoben, dem alle Anwesenden hoffnungslos verfallen waren.

Was hatte sie eben gesungen? Kümmer dich nicht um mich, verlieb dich nicht in mich? dachte Liam. Dabei hatte sie in seine Richtung gesehen, als ob sie ihm damit etwas hatte mitteilen wollen. Doch sie wusste nicht, dass es bereits zu spät war, denn er begehrte sie mit einer zuvor nie gespürten Intensität. Falls Zoe in Schwierigkeiten steckte, dann würde er ihr eben helfen. Er war wild dazu entschlossen, ihrer Begegnung zu einem Happy End zu verhelfen. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass Zoe eine Diebin war – er würde zu ihr stehen. Sicher hatte sie Gründe für ihr Handeln gehabt.

Vielleicht beging er damit einen Fehler. Nein, sehr wahrscheinlich sogar – aber er war bereit, die Konsequenzen zu tragen und alles zu tun, was nötig war, um Zoe für sich zu gewinnen.

Allmählich kehrte das Publikum aus seinem tranceartigen Zustand zurück und begann, laut und andauernd Beifall zu spenden, bis Dylan und Zoe noch einen fröhlichen Klassiker von Billy Ray Cyrus als Zugabe spielten.

Anschließend umarmte sein Bruder Zoe, die mit einem Mal sehr müde wirkte. Plötzlich fiel Liam wieder ein, dass sie noch vor Kurzem sehr krank gewesen war. Mühsam bahnte er sich einen Weg zur Bühne und reichte ihr eine Flasche Mineralwasser.

„Trink mal was“, raunte er ihr zu. „Du hast dich heute Abend ein wenig überanstrengt.“

Nachdem sie die Flasche geleert hatte, hob er Zoe von der Bühne.

„Danke“, sagte sie, wich dabei jedoch seinem Blick aus und machte Anstalten, zu gehen.

Liam hielt sie jedoch auf, indem er einen Arm um ihre Taille schlang. „Jetzt atme mal richtig durch, Süße. Das ist ein Wahnsinnsauftritt gewesen.“

Erschöpft lehnte sie den Kopf gegen seine Schulter. „Das war wirklich ein großartiges Publikum.“

„Bist du bereit, nach Hause zu fahren?“, fragte er, bevor er sich auf die Zunge beißen konnte. Das Silver Beeches war sein Zuhause und nicht das von Zoe.

Sie schien seinen Fauxpas jedoch nicht bemerkt zu haben. „Auf jeden Fall. Aber es ist wirklich ein toller Abend gewesen.“

Kurz darauf verließen sie in Begleitung von Dylan die Bar und gingen zu Liams Wagen. „Sie sind ein echter Star, Zoe. Ich hoffe sehr, dass Sie noch einen Auftritt bei mir planen – aber diesmal nur gegen Bezahlung“, sagte Dylan.

„Das könnten Sie sich bestimmt nicht leisten“, erwiderte sie leise lachend, bevor sie in den Jaguar stieg.

Liam drehte sich zu seinem Bruder um. „Ruf mich morgen früh bitte an“, sagte er leise. „Ich brauche deinen Rat in einer Angelegenheit.“

„Nichts lieber als das“, erwiderte sein Bruder vergnügt.

„Gute Nacht.“ Liam setzte sich hinter das Steuer.

Zoe beugte sich über ihn, um sich ebenfalls von Dylan zu verabschieden, wobei sie Liam leicht mit ihren Brüsten streifte und mit ihrem Haar sein Kinn kitzelte. „Vielen Dank, dass Sie mich singen lassen haben.“

Dylan beugte sich zu ihnen hinab. „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite gewesen. Jetzt fahrt aber nach Hause, Kinder! Es ist schon spät.“

„Oh, Mann, du bist wirklich unmöglich“, schimpfte Liam gutmütig und ließ die Fensterscheibe hochfahren, woraufhin sein Bruder gezwungen war, rasch einen Schritt zurückzutreten.

Leise lachend lehnte Zoe sich in ihrem Sitz zurück, während Liam den Wagen vom Parkplatz herunterfuhr. „Das war echt gemein. Aber lustig.“

„Mein Bruder kann nicht anders – immer muss er mich aufziehen. Ich bin froh, dass er dich gut leiden kann.“

„Ich habe den Eindruck, dass er mit allen gut auskommt. Die Bar ist heute Abend ja ziemlich gut besucht gewesen. Wahrscheinlich kennt er jeden hier in der Stadt.“

„Das ist eben Dylan.“

Schweigend setzten sie die Fahrt fort. Zu gern hätte Liam auf einem Parkplatz in den Bergen haltgemacht, der bei den Teenagern ein beliebter Treffpunkt für wildes Fummeln war. Zwar war die Vorstellung ziemlich verführerisch, doch für das, was er mit Zoe vorhatte, wünschte Liam sich ein etwas privateres Ambiente. Außerdem beschäftigte ihn Garys Entdeckung. Es konnte hundert Gründe für die große Summe Bargeld geben, die Zoe in ihrem Bus versteckt hatte. Leider waren alle davon ziemlich beängstigend.

Zu gern hätte er offen mit ihr geredet und sie davon überzeugt, dass sie zueinandergehörten – und wenn es nur für den Augenblick war. Und falls es wirklich dazu kommen sollte, dass sie miteinander schliefen, würde ihm noch genügend Zeit bleiben, um nach befriedigenden Antworten zu suchen. Allerdings wirkte Zoe im Augenblick völlig erschöpft, und er wusste, dass sie besser früh ins Bett ging, um sich von dem anstrengenden Auftritt zu erholen.

Nach ihrer Ankunft im Hotel trug Liam die Gitarrentasche und begleitete Zoe bis in ihre Etage. Immer noch schweigend verließen sie die Fahrstuhlkabine und betraten den ruhigen Korridor.

„Danke, dass du mich heute Abend begleitet hast“, sagte Zoe und streckte die Hand nach ihrer Gitarre aus.

Zur Hölle mit seinen guten Vorsätzen. Rasch setzte er die Tasche ab und zog Zoe in seine Arme. „Dein Gesang hat mich völlig verzaubert. Ein Kuss – das ist alles, was ich brauche.“

Das war gelogen, wie sie sehr wohl wusste. Denn was er wirklich von ihr wollte, würde die ganze Nacht in Anspruch nehmen. Zärtlich streichelte er ihr Haar und atmete ihren verführerischen Duft ein, bevor er sich zu ihr hinunterbeugte und ihre Lippen sinnlich mit seinen berührte. „Du warst einfach umwerfend“, sagte er leise.

Zoe stellte sich auf die Zehenspitzen und umschlang seinen Nacken, um den Kuss zu erwidern. „Wie süß von dir, dass du das sagst.“

„Ich bin aber ganz und gar nicht süß.“ Um ihr das zu beweisen, begann er, ihre Zungenspitze mit lustvollen Bissen zu verwöhnen. Zoes leises Aufstöhnen durchfuhr ihn wie ein wohliger Schauer, und seine Erregung wuchs ins Unermessliche. Nur mühsam gelang es ihm, der Versuchung zu widerstehen, sie auf der Stelle gegen die Wand zu pressen und zu lieben.

„Komm mit in mein Zimmer“, stieß sie heiser hervor.

Unwillkürlich erstarrte er und fragte sich, ob das eine Falle oder eine Art von Test sein mochte. „Ich kann nicht“, erwiderte er schließlich. „Nicht jetzt. Nicht heute Abend.“ Erregt streichelte er ihren sexy Po, dessen sinnliche Rundungen sich so deutlich unter den figurbetonten Jeans abzeichneten. „Ich warne dich. Wenn ich mit dir allein bin, möchte ich bestimmt nicht reden. Es gibt nur eins, was ich mit dir machen will.“

„Damit habe ich kein Problem, Mr. Kavanagh“, entgegnete sie und sah ihn aus ihren geheimnisvoll blauen Augen an.

Lust hatte bereits seinen Verstand auf wundervolle Weise vernebelt, und jetzt endlich war er so dicht davor, das zu bekommen, wonach er sich schon bei ihrem ersten Treffen gesehnt hatte. Was tat es denn schon zur Sache, dass sie nur für kurze Zeit hier sein würde? Was kümmerte es ihn, dass sie verschlossen war und es vorzog, in ihrem VW-Bus zu schlafen, Unmengen von Bargeld versteckte und offenbar auf der Flucht war?

Er wollte sie – begehrte sie – und bei Gott, er würde sie auch bekommen.

Also nahm er ihre Hand, hob die Gitarrentasche auf und zog Zoe zu ihrem Zimmer. Es dauerte einen Augenblick, bis sie den Schlüssel aus ihrer Tasche hervorgeholt hatte, und er verschwieg ihr lieber, dass er über einen Generalschlüssel verfügte, der ihm Zugang zu jedem beliebigen Zimmer verschaffte.

Nachdem sie eingetreten waren, stellte er das Instrument auf den Boden und musste alle Kraft zusammennehmen, um nicht wild vor Verlangen über Zoe herzufallen. Ihr rotes Top war ein wenig zerknittert, ihr Haar reizend zerzaust.

„Du bist bestimmt völlig erschöpft und möchtest sicher erst einmal duschen“, schlug er vor und bemühte sich, ganz der Gentleman zu sein, den seine Mutter aus ihm hatte machen wollen.

„Klar“, erwiderte Zoe. „Aber die Dusche ist groß genug für zwei.“

Zitternd vor Erregung sah er sie an. „Ich möchte, dass du dir ganz sicher bist, Zoe. Kein Rückzieher in letzter Sekunde. Es ist völlig okay, wenn du nicht willst − aber dann sag es jetzt.“

„Ich glaube, ich habe dich eben in meine Suite gebeten“, entgegnete sie. „Für mich sieht das nach einem ziemlich deutlichen Ja aus.“

„Wir kennen uns aber eigentlich gar nicht“, wandte er ein.

„Das macht mir nichts aus.“

„Du weißt ja nicht einmal, ob du mir vertrauen kannst.“

„Das ist umgekehrt genauso – aber hier geht es um Sex.“

„Und wenn einer von uns mehr will?“

„Müssen wir uns deswegen jetzt Gedanken machen?“

Obwohl sein Verstand lautstark protestierte, beschloss Liam, nicht auf ihn zu hören. „Ich schätze, nicht.“

Sie knöpfte ihr Top auf und warf es auf den Boden. Ihre sinnlichen Brüste wurden von einem verführerisch knapp geschnittenen BH aus roter Spitze bedeckt. Auf ihrer hellen Haut schien die Farbe wie Feuer zu glühen. „Der Letzte hat verloren!“, stieß sie lachend hervor und lief ins Badezimmer.

Verwirrt blieb Liam einen Moment lang stehen, und als er die Benommenheit abschüttelte und ihr folgte, stand sie bereits völlig nackt unter der Dusche. Glitzernde Wassertropfen benetzten ihre aufgerichteten rosafarbenen Brustwarzen.

Obwohl sie sich so selbstbewusst gab, bemerkte Liam in ihrem Blick eine gewisse Unsicherheit – beinahe so, als wisse sie selbst nicht genau, warum sie das tat. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, streifte er sich hastig die Sachen herunter, kaum in der Lage, seine immer drängender werdende Erregung im Zaum zu halten. Endlich stand er, lediglich mit einer Unterhose bekleidet, erregt atmend vor der Duschkabine.

Fasziniert hatte Zoe ihn die ganze Zeit über beobachtet. „Willst du da etwa die ganze Nacht lang stehen bleiben?“, erkundigte sie sich. „Ich könnte ein bisschen Hilfe bei den Stellen gebrauchen, an die ich nicht so gut herankomme.“

Zur Hölle mit der Selbstbeherrschung! Jetzt streifte er auch noch die Boxershorts herunter. Dass Zoe dabei gebannt seine Erektion betrachtete, schluckte und sich sinnlich mit der Zungenspitze über die Lippen fuhr, steigerte seine Erregung nur noch.

Als er in die Dusche trat, machte Zoe ein wenig Platz und rückte an die Wand auf der gegenüberliegenden Seite. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, nahm Liam ihr das Stück Sandelholzseife aus der Hand und begann, sie damit zärtlich vom Hals bis zum Bauchnabel einzuseifen.

Genießerisch schloss Zoe die Augen, den Mund leicht geöffnet. Er hörte sie erregt atmen. Jetzt, da sein Ziel in so greifbarer Nähe lag, konnte Liam sich wieder Zeit nehmen und die Situation in vollen Zügen auskosten. „Fühlt sich das gut an?“, erkundigte er sich und klang ganz ruhig dabei. In seinem Inneren sah es allerdings ganz anders aus, und er hatte das Gefühl, sein Herzschlag habe sich verdoppelt.

Bewegungslos verharrte sie, wobei sie ihn mit einem ihrer nackten Schenkel berührte. „Ja“, erwiderte sie heiser.

Bewundernd betrachtete er die sinnlichen Rundungen und ließ den Blick nach unten zu ihrer verheißungsvollen Mitte schweifen. Die kurzen, erregend verführerischen Löckchen bildeten die Form eines Herzens. Behutsam fuhr er die Kontur mit einer Fingerspitze nach. „Das gefällt mir, süße Zoe. Ich schätze, du sammelst Herzen, überall, wo du hinreist.“

„Mach dich nicht über mich lustig“, entgegnete sie leise, öffnete die Augen und sah ihn so flehend an, dass er ihr alles gegeben hätte, worum sie ihn in diesem Moment gebeten hätte.

Mit einer Hand deutete er eine Drehbewegung an. „Dreh dich mal um. Ich bin noch nicht fertig.“

Aufreizend langsam kam sie seiner Aufforderung nach, bevor sie sich mit beiden Händen flach an der feuchten Wand abstützte und leicht den Kopf senkte. Behutsam schob er ihr das feuchte Haar über die Schultern und schluckte schwer. Obwohl das eigentlich ein Spiel sein sollte, überfluteten ihn nie gekannte Empfindungen, die wesentlich mehr als nur pure Lust waren.

Ihr graziler Nacken ließ sie so zart wirken, und ihr schlanker Körper war genau an den richtigen Stellen weiblich gerundet.

Er nahm einen Duschschwamm und seifte ihren Rücken ein. Falls er Zoes leise Seufzer richtig deutete, gefiel ihr, was er tat. Es dauerte nicht lange, und er verzichtete auf den Schwamm, um mit den bloßen Händen die feuchte, zarte Haut zu verwöhnen und sie mit den Fingerspitzen zu massieren.

Unfähig, der Versuchung zu widerstehen, presste er sich schließlich zwischen Zoes Schenkel und küsste ihren Nacken. „Ich weiß nicht, was ich in meinem Leben Gutes getan habe, um so etwas wie diesen Moment zu verdienen“, stieß er heiser hervor. „Aber ich würde immer wieder durchs Feuer gehen, um das hier zu erleben.“

Verführerisch lächelnd sah sie sich zu ihm um, was zur Folge hatte, dass sein Blutdruck vermutlich gefährlich hohe Werte erreichte.

„Dabei hast du mich bis jetzt noch nicht einmal geliebt“, widersprach sie.

„Ist das etwa eine Beschwerde? Ich dachte immer, Frauen mögen ein langes Vorspiel.“

„Ich will damit nur sagen, dass du dich nicht abmühen musst. Ich gehöre ganz dir, Liam.“

Fünf einfache Worte, die verführerisch, sinnlich und erregend waren: Ich gehöre ganz dir, Liam. Meinte sie es wirklich so? Wusste sie eigentlich, wie sehr er sie begehrte – ohne Rücksicht auf die möglichen Konsequenzen?

Wildes, leidenschaftliches Verlangen erfasste ihn. „Dreh dich um, Frau, und nimm die Hände über den Kopf.“

9. KAPITEL

Als Zoe den Ausdruck in Liams Augen sah, wusste sie, dass Lust und Leidenschaft die Herrschaft über diesen sinnlichen Moment ergriffen hatten. Sein Blick war dunkel vor Verlangen, und mit seinen breiten Schultern und dem muskulösen Oberkörper wirkte dieser ansonsten so kultivierte Mann durch und durch wie ein Krieger aus vergangenen Zeiten.

Erregt atmete sie aus. Sie fühlte sich leicht schwindelig. Möglicherweise hätte sie das warme Wasser und die feuchte Luft dafür verantwortlich machen können, aber sie wusste, dass es ganz allein an Liams verheißungsvollem Blick lag.

Langsam befolgte sie seinen Wunsch, bis ihre Handrücken die Marmorwände der Dusche berührten. „Nimm dir, was du willst“, erwiderte sie und fragte sich gleichzeitig, wie sie Liams Lust so sehr steigern konnte, dass er seine wilde und hemmungslose Seite offenbarte.

Sofort begann er, ihre harten Brustspitzen mit Daumen und Zeigefinger zu umfassen. Ein glutheißes Verlangen durchströmte ihren Körper augenblicklich bis zwischen ihre Schenkel, und die Feuchtigkeit, die sie dort auf einmal spürte, war keinesfalls auf den hohen Wassergehalt ihrer Umgebung zurückzuführen.

Sie senkte den Blick und genoss den Anblick Liams muskulöser Beine, seiner schmalen Hüfte und dem offensichtlich hohen Grad seiner Erregung. Als sie kurz darauf spürte, wie er mit eingeseiften Händen ihre Brüste umfasste, stöhnte sie lustvoll auf.

„Du hast mich völlig verzaubert, süße Zoe“, wisperte er heiser und presste seine Stirn auf ihre.

„Ich glaube, mehr halte ich nicht mehr aus“, gestand sie ehrlich. „Ich bin kurz davor, einen erstklassigen Höhepunkt zu erleben.“

„Soll ich mich geschmeichelt fühlen?“, fragte er leise, und sie konnte seinen warmen Atem an ihrem Ohr fühlen, während er ihre Arme aufreizend langsam streichelte, sodass sie vor Lust beinahe laut aufgeschrien hätte. Dann umfasste er ihre Handgelenke und presste sich fest an sie.

Sie hatte das Gefühl, als ob ihre Knie ihr jeden Moment den Dienst versagen könnten. Deshalb schloss sie die Augen und schrie flehentlich auf. Liam erstickte ihren Schrei mit einem fordernden Kuss.

„Wo willst du hin, Zoe? Ich brauch dich hier. Bleib bei mir.“

Irgendwie gelang es ihr, die Augen zu öffnen und schwach zu lächeln. „Willst du das wirklich wissen?“

„Oh, ja!“, stieß er hervor. „Sag es mir, böses Mädchen.“

Sie neigte leicht den Kopf zur Seite, damit Liam die empfindliche Haut ihres Halses mit süßen Bissen verwöhnen konnte. „Ich habe mir vorgestellt, dass du ein Wikinger auf Raubzug bist und ich deine Kriegsbeute.“

Plötzlich verharrte Liam, und sie spürte lediglich sein pulsierendes Verlangen an ihrem Bauch. „Und hast du versucht, mir Widerstand zu leisten?“, fragte er.

„Ich habe es versucht“, erklärte sie, schlang einen Schenkel um seine Hüfte und genoss hingebungsvoll das erregende Gefühl seiner Erektion an ihrer empfindsamsten Stelle. „Aber du hast so gut nach Wein und leckerem Essen gerochen. Da habe ich beschlossen, dass mir keine Wahl bleibt, als mich dir zu unterwerfen.“

Überrascht lachte er auf. „Und ich dachte, ich sei der mit dem irischen Talent fürs Geschichtenerzählen.“

„Du beflügelst eben meine Fantasie, Liam Kavanagh.“

„Mach weiter damit. Ich finde es sehr inspirierend.“ Er küsste ihre Schläfen und anschließend behutsam ihre Lider. Die unaussprechliche Zärtlichkeit seiner Küsse stand in einem faszinierenden Gegensatz zu der Entschlossenheit, mit der er Zoe gegen die Wand presste.

Erregt biss sie sich auf die Lippen. „Ich schätze, du wärst stark genug, mich hochzuheben und an Ort und Stelle zu lieben – aber das ist wohl ein bisschen gefährlich bei all dem feuchten Marmor.“

„Haben wir denn eine Alternative?“, erkundigte er sich, während er an ihrem Ohrläppchen zu knabbern begann.

Zoe war kaum noch in der Lage, zusammenhängend zu denken. Aber da Liam offenbar Gefallen an ihrer kleinen Geschichte gefunden hatte, würde sie einfach bei der Szenerie bleiben, die sie ihm geschildert hatte. „Deine Sklaven haben ein Bett für dich hergerichtet – mit Decken aus Samt und seidenen Laken.“

„Klingt ja ganz gemütlich“, erwiderte er so trocken, dass sie am liebsten losgelacht hätte. Es fiel ihr schwer, der Rolle treu zu bleiben, die sie spielte.

„Leg dich einfach auf den Rücken und befiehl mir, zu tun, was immer du wünschst“, entgegnete sie.

Liam hob sie so hastig auf den Arm, dass sie beinahe auf dem feuchten Boden ausgerutscht wären, bevor er nach einem Handtuch griff und etwas zu hektisch ihre Brüste damit abrieb. „Ach, auch egal, ob wir nass sind“, sagte er atemlos. „Was meinst du mit ‚was immer du wünschst‘?“, fragte er nach, als er sie ins Schlafzimmer trug.

Sie schlang die Arme um seinen Nacken. „Ich muss dich doch schmecken.“

„Wie? Im Ernst?“, erkundigte er sich überrascht und setzte sie auf dem Bett ab, bevor er sich über sie legte.

„Du machst ja den ganzen Plot kaputt“, beschwerte sie sich und schob ihn von sich herunter, damit er sich auf den Rücken rollte. „Ich müsste oben liegen.“

„Also, ich bezweifle ja, dass die Wikinger ihre Frauen oben liegen ließen.“

„Für Sex wahrscheinlich nicht. Aber bestimmt haben sie es sich gemütlich gemacht, während die Frauen …“

„Sie geschmeckt haben?“, erkundigte er sich, sinnlich lächelnd, sodass sich Zoes Begierde nur noch steigerte. „Ich verspreche, zu kooperieren.“

Jetzt hatte sie ihn endlich da, wo sie ihn haben wollte – und um ein Haar hätte sie den Mut verloren. Was wusste sie schon darüber, einen Mann wie Liam zufriedenzustellen? Die beiden Liebhaber, die sie bisher gehabt hatte, hatten eindeutig nicht in Liams Liga gespielt und waren nur darauf aus gewesen, ihr eigenes Verlangen zu befriedigen.

Lang ausgestreckt legte sie sich neben ihn und stützte sich auf einem Ellbogen ab, bevor sie begann, ihn langsam und sanft von unten nach oben zu streicheln. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mir damit gedroht hast, mich auspeitschen zu lassen, falls ich dir kein Vergnügen bereite“, sagte sie heiser und beobachtete fasziniert Liams unmissverständliche Reaktion auf ihre Berührung.

„Ich würde niemals eine so schöne Frau wie dich auspeitschen lassen.“ Leise stöhnte er auf. „Es wäre eine Schande, diese makellose Haut zu verschandeln.“

„Dann lässt du mich vielleicht in Ketten in dein Verlies werfen?“

„Wikinger hatten keine Verliese. Die sind immer nur auf hoher See gewesen.“

Abrupt setzte sie sich auf. „Also, wessen Geschichte ist das hier eigentlich?“

Beruhigend winkte er ab und schloss lächelnd die Augen. „Entschuldige, Scheherazade. Bitte, mach weiter.“

Scherzhaft boxte sie ihn gegen seinen beeindruckenden Bizeps. „Jetzt will ich kein Wort mehr von dir hören. Bleib einfach still liegen.“ Dann beugte sich zu ihm hinunter und nahm ihn in den Mund.

„Himmelherrgott“, sagte er heiser. Offenbar hatte er ihre Ermahnung doch nicht so ernst genommen.

Genüsslich verwöhnte sie ihn mit der Zunge und beobachtete fasziniert, wie er hilflos die Finger in das Laken schlug, als sie seine Lust zusätzlich behutsam mit den Zähnen steigerte. Plötzlich fühlte sie eine machtvolle, weibliche Energie in sich und sehnte sich danach, diesen Mann auf ewig an sich zu binden. Warum musste sie auch gerade etwas so sehr in Versuchung führen, was sie niemals haben durfte? Sie hatte keine Ahnung, was es bedeutete, sesshaft zu werden und in einer liebevollen Beziehung zu leben. Bisher war sie immer erfolglos ihrem Glück hinterhergerannt – und stets schien es eine Spur schneller zu sein als sie.

Doch dann unterdrückte sie die traurigen Gedanken und konzentrierte sich ganz darauf, Liam Vergnügen zu bereiten. Sein attraktiver Körper strahlte Männlichkeit und Stärke aus, und Zoe genoss diesen herrlichen Anblick.

Als sie merkte, dass es um seine Beherrschung geschehen war, zog sie sich ein Stück von ihm zurück. „Bist du zufrieden mit mir, mein Wikinger?“

Mühsam rang Liam nach Luft. Mit ihrer Stimme hatte Zoe ihn vorhin dahinschmelzen lassen, mit ihren Lippen hatte sie ihm eben beinahe den Verstand geraubt. Er fühlte sich leicht benommen von der unglaublich sinnlichen Erfahrung, mit der sie ihn verzaubert hatte.

„Hast du noch ein paar Geschichten, die du gern erzählen willst?“, fragte er und setzte sich auf, um sie anzusehen.

„Nein, eigentlich nicht“, erwiderte sie unbeschwert und schien gar nicht zu bemerken, dass ihr nackter Körper ihn bereits wieder in seinen Bann geschlagen hatte und seine Erregung erneut aufzuflammen begann.

Wortlos drehte er sie auf den Rücken. „Bereite dich darauf vor, jetzt wild und leidenschaftlich von mir genommen zu werden, kleine Gefangene“, sagte er − und erinnerte sich in letzter Sekunde an etwas ziemlich Wichtiges. „Oh, nein.“ Ratlos sah er zu Zoe. „Kondome?“, fragte er.

Sie deutete in Richtung Bad. „In meinem Kosmetikkoffer. Ich hoffe nur, dass sie noch nicht abgelaufen sind.“

In Rekordzeit stürmte er ins Badezimmer, schützte sich und war wieder bei Zoe im Bett − die noch genau dort lag, wo er sie eben zurückgelassen hatte, die Arme lang ausgestreckt über den Kopf. Ihr feuchtes Haar war teilweise getrocknet und hatte sich leicht gewellt. So sah Zoe aus, als hätte sie die letzten vierundzwanzig Stunden im Bett zugebracht. Ein Bein angewinkelt, spielte sie gedankenverloren mit den Zehen im Laken.

Als sie seine Schritte hörte, öffnete sie die Augen und lächelte ihn an. „Wo bleibst du denn? Ich warte schon eine Ewigkeit, Liam.“

Doch er blieb neben dem Bett stehen und betrachtete stumm vor Bewunderung ihren wunderschönen Körper. Wäre er ein Dichter gewesen, dann hätte er ihr zu Ehren bestimmt ein Sonett geschrieben. „Das Warten hat ein Ende“, sagte er. „Willst du mich, Zoe?“

Sinnlich rekelte sie sich auf den Laken. „Ja“, erwiderte sie. „Ich schwöre, das tue ich.“

„Das ist gut – ich will dich nämlich auch“, entgegnete er, bevor er sich neben sie legte und sie in aller Ruhe zu erkunden begann.

Ihr zarter, schlanker Körper stand in einem krassen Gegensatz zu ihrer starken Persönlichkeit. Sacht schmiegte er eine Wange an ihren Bauch. Zoe atmete tief ein, als er sie schließlich dort berührte, wo sie es sich am meisten ersehnte.

Vorsichtig begann er, sie mit langsamen Bewegungen seiner Finger zu verwöhnen. Sie gab minutenlang keinen Laut von sich. Prüfend sah er zu ihr hoch und bemerkte, dass sie die Augen geschlossen hatte und sich leicht auf die Lippen biss. Er schien also alles richtig zu machen. Kurz darauf stöhnte Zoe auf und erzitterte.

„Das war noch nicht alles“, versprach er und schob ihre Schenkel auseinander. Einen Augenblick darauf wurde er fest von ihrer verführerischen, warmen Weiblichkeit umschlossen. „Zoe“, rief er heiser, „was hast du bloß mit mir gemacht?“

Anstatt ihm zu antworten, wölbte sie sich ihm einladend weiter entgegen. „Also, ich wäre dann bereit für die zweite Runde“, sagte sie. „Ich wollte nur, dass du es weißt.“

„Ich freue mich immer über Feedback“, entgegnete er überrascht, denn Humor beim Sex war etwas völlig Neues für ihn. Doch in Zoe schienen sich einfach alle schönen Seiten des Lebens miteinander zu vereinen. Zärtlichkeit. Kreativität. Lachen. Verlangen.

Unendlich langsam bewegte er sich in ihr und blieb auch bei diesem Rhythmus, als sie sich lustvoll stöhnend unter ihm wand und ihn anflehte, schneller zu werden. Der Anblick ihres schönen, vor Erregung zart geröteten Gesichts brannte sich in seine Erinnerung ein, und am liebsten hätte er sie stundenlang auf diese Weise geliebt.

Jede Zelle seines Körpers vibrierte vor pulsierender Lebendigkeit, seine Sinne waren wacher, die Eindrücke klarer als je zuvor. Der Duft ihrer warmen Haut vermengte sich mit dem der frisch gewaschenen Laken und dem erregenden Geruch ihrer Körper.

Fordernd schlang sie ihre Schenkel um seine Hüfte und die Arme um seinen Nacken, um ihn dichter an sich heranzuziehen. Ihr erregtes Aufstöhnen klang wie wunderbare Musik in seinen Ohren, als sie den Höhepunkt erreichte – erst einmal, dann ein zweites Mal, während er sich wie im Rausch zwischen ihren wundervollen Schenkeln bewegte.

Kurz darauf war er nicht länger in der Lage, sich zu beherrschen und wurde förmlich auf den Gipfel der Lust katapultiert – wie berauscht von der überwältigenden Erfahrung, als der Strom wilden Verlangens ihn mit sich riss. Anschließend sank er erschöpft auf Zoe.

Zoe blinzelte einige Male, als sich das Universum um sie zu drehen schien. Drei Höhepunkte in einer Stunde? Liam Kavanagh wusste offenbar bestens über den weiblichen Körper Bescheid.

Süß lastete sein Gewicht auf ihrem Körper, und sie fühlte sich wie berauscht von Lust und Leidenschaft und hätte vor Glück die ganze Welt umarmen können.

Vorsichtig stieß sie ihn an. „Hey, atmest du noch?“

„Nein“, erwiderte er und zuckte kaum merklich zusammen.

Zufrieden lächelte sie und ahnte, dass sie bestimmt aussah wie ein verliebter Teenager. Doch das war nicht weiter schlimm, da Liam ihr Gesicht nicht sehen konnte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie nach dem Ort gesucht, an dem sie glücklich sein konnte – und hatte jetzt herausgefunden, dass dieses Glück bei einem Menschen zu finden war.

Wenn Liam sie ansah – auch wenn sie nicht im Bett waren –, hatte sie Schmetterlinge im Bauch. Sie war sich ziemlich sicher, dass er sie so mochte, wie sie wirklich war. Eine Frau, die ihn zum Lachen bringen konnte.

Sie schuldete ihm einige Erklärungen, denn eine Beziehung konnte ja schlecht auf Ausreden und Halbwahrheiten aufbauen.

Eine ganze Weile später rollte Liam sich auf den Rücken und streckte sich. „Ich hatte das Gefühl, in einer anderen Dimension zu sein“, gestand er.

Lachend streichelte sie seinen muskulösen Arm. „Jetzt trag mal nicht so dick auf – so gut bin ich auch wieder nicht.“

Er stützte sich auf einem Ellbogen ab, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Du bist nicht nur gut, du bist einfach unglaublich“, erklärte er.

Mit dem zerzausten Haar und dem verführerischen Bartschatten kam er ihr wie die personifizierte Einladung zu einer weiteren Sünde vor. Sie spürte, wie sie errötete. „Ach, Quatsch. Ich bin total aus der Übung und habe nicht gerade viel Erfahrung.“

Liam strich eine Strähne ihres Haares aus ihrem Gesicht und streichelte dabei wie beiläufig zärtlich über ihre Lippen. „Das merkt man nicht, aber wenn du das sagst …“

Lachend schob sie seine Hand beiseite. „Na, hast du dich schon wieder erholt? Immerhin bist du um einiges älter als ich.“

„Hey“, protestierte er, als sie sich rittlings auf ihn setzte. „Pass auf, kleine Gefangene, oder ich denke darüber nach, dich übers Knie zu legen.“

Sie presste die Hände auf seine Brust. „Oh, jetzt habe ich aber Angst“, sagte sie, als sie seine Erektion zwischen ihren Schenkeln spürte.

„Und?“ Liam lächelte selbstzufrieden. „Ist das schnell genug für dich?“

„Vielleicht“, erwiderte sie, darum bemüht, sich nicht ihre Überraschung und vor allem ihre eigene wieder entfachte Lust anmerken zu lassen. Sie täuschte ein Gähnen vor. „Solange der Hauptteil auch nicht so schnell wieder vorbei ist.“

Er zog sie an seine Brust und begann, sie zu küssen. „Das ist offenbar die einzige Möglichkeit, dich zum Schweigen zu bringen.“

Kurz darauf hieß sie ihn ein weiteres Mal voller Verlangen in sich willkommen. Ein Strom heißer Begierde riss sie mit sich zu neuen Ufern berauschender Ekstase.

10. KAPITEL

Liam verlor jegliches Zeitgefühl. Wenn eine Frau wie Zoe sich erst einmal dazu entschlossen hatte, einen Mann mit in ihr Bett zu nehmen, dann durfte dieser dem Allmächtigen für die Gnade danken, in die Fänge eines so sinnlichen und verführerischen Wesens geraten zu sein. Lediglich ein Narr hätte sich diese Gelegenheit entgehen lassen, und Liam hielt sich für klüger als die meisten Männer.

Dabei ging es nicht nur um den Sex – obwohl der unbestreitbar phänomenal war. Nein, Zoe liebte mit aller Leidenschaft und gab ebenso viel, wie sie nahm – was sie zugleich jedoch auch sehr verletzlich machte.

Woher konnte sie wissen, dass Liam sie nicht nur ausnutzte? Oder vielleicht störte sie das nicht – weil sie ihn ausnutzte.

Noch schlief sie jedenfalls zärtlich an ihn gekuschelt, und er genoss das Gefühl ihrer samtigen Haut an seinem Körper. Behutsam streichelte er ihr seidiges Haar und atmete tief den dezenten Duft ihres Shampoos ein. Jetzt, da sein Körper sich allmählich wieder von den Auswirkungen ihres leidenschaftlichen Liebesspiels erholte, kehrten die Fragen zurück. Wer war Zoe Chamberlain?

Natürlich hatte sie ein Recht darauf, ihre Geheimnisse zu wahren, aber seit der überwältigenden Liebesnacht verzehrte er sich danach, mehr über sie zu erfahren.

Als Zoe kurz darauf erwachte, sah sie ihn unerwartet misstrauisch an, beinahe so, als müsse sie sich vor ihm in Acht nehmen.

Womit sie, wie er bestürzt erkannte, auch recht hatte. Denn insgeheim hatte er vorgehabt, ihr gleich nach dem Aufwachen wieder seine Fragen zu stellen, wenn sie vielleicht noch nicht so auf der Hut vor ihm war. War sein Verhalten wirklich so vorhersehbar? Unzufrieden mit sich selbst, stand er auf und bemühte sich, sich nichts von seiner aufgewühlten Stimmung anmerken zu lassen.

„Ich habe morgen früh eine Konferenz“, sagte er, während er Slip und Hose aufhob. „Ich lasse dich jetzt besser schlafen.“

Sie setzte sich auf und beobachtete ihn dabei, wie er sich anzog. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Was meinst du damit?“

„Na ja, ich dachte, dass du über Nacht bleibst.“

Einen Augenblick lang schwieg er und tat so, als suche er nach einer verloren gegangenen Socke, dann schüttelte er den Kopf. „Ich habe Verpflichtungen. Wenn ich nicht in meiner Suite erreichbar bin, macht man sich noch Sorgen.“

„Oh, ich verstehe“, erwiderte sie sarkastisch. „Das wäre wirklich eine Tragödie.“

Wieder einmal machte sie sich über ihn lustig – als ob Verlässlichkeit und Beständigkeit etwas Komisches wären. Nach dieser fantastischen Nacht taten ihm ihre ironischen Worte besonders weh.

Schulterzuckend knöpfte er sein Hemd zu. „Nicht jeder von uns hat die Freiheit, ohne Verpflichtungen durch die Welt zu tingeln.“ Sofort bereute er seine Worte. „Tut mir leid, Zoe“, sagte er hastig. „Das war unfair.“

Doch sie gab sich völlig unbeeindruckt und lächelte ihn nichtssagend an. „Du hast ein Recht auf deine Meinung. Ich bin sprunghaft und selbstsüchtig – im Gegensatz zu dir. Du erlaubst dir keinen Spaß. Wahrscheinlich war es schon sehr anrüchig für dich, mit jemandem wie mir zu schlafen. Wer weiß – vielleicht führe ich dich ja auf den Pfad der Verdammnis.“

„Hey, ich habe mich doch entschuldigt!“

„Ja, aber nur dafür, dass du es gesagt hast − und nicht dafür, dass du es denkst. Bitte geh jetzt.“

Unsicher trat er einen Schritt dichter an das Bett heran und fragte sich, warum zur Hölle er sich angezogen hatte, obwohl er sich liebend gern wieder zu Zoe unter die Decke gekuschelt hätte.

Doch Zoe hob abwehrend eine Hand. „Stopp. Oder ich rufe den Hotelbesitzer und lasse dich rauswerfen. Oh, ich habe ganz vergessen – das bist ja du.“

„Meine Güte“, entgegnete er und verschränkte die Arme. „Du hast ja ein Temperament. Bist du dir sicher, dass du nicht in Wahrheit rothaarig bist?“

„Wenigstens habe ich Gefühle“, erwiderte sie, und ihre Stimme klang verdächtig tränenerstickt. „Du stolzierst bloß herausgeputzt wie ein Gockel durch dein Hotel und erwartest, dass alle nach deiner Pfeife tanzen. Das muss doch furchtbar langweilig sein. Du tust mir echt leid.“

Unwillkürlich verspürte er den Drang, sie in seine Arme zu ziehen und so lange zu küssen, bis sie alles um sich herum vergaßen. Doch wenigstens einer von ihnen beiden musste sich wie ein Erwachsener benehmen. „Du hast deine Meinung sehr deutlich gesagt. Vielleicht ist mein Bruder ja mehr nach deinem Geschmack.“

„Vielleicht.“

Mittlerweile waren sie ziemlich laut geworden, und wenn sie so weitermachten, würden die anderen Hotelgäste auf der Etage aufwachen.

Fluchend drehte er sich um und verließ das Zimmer. Obwohl er den dringenden Wunsch verspürte, die Tür zuzuknallen, zog er sie leise hinter sich ins Schloss.

Zoe weinte sich in den Schlaf. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, hatte sie nicht nur geschwollene Augen, sondern auch heftige Kopfschmerzen, wodurch sie sich noch elender fühlte.

Doch bereits am späten Vormittag beschloss sie, nicht länger in Selbstmitleid zu versinken. Es war wunderschönes Wetter, und auf keinen Fall wollte sie diesen sturen Mistkerl glauben lassen, dass sie sich seinetwegen schlecht fühlte. Außer den überwältigenden Erinnerungen daran, wie er sie voller Leidenschaft und Verlangen berührt und geliebt hatte, würde ihr eben nichts bleiben. Na und?

Eigentlich hätte sie sich das ja denken können, bevor sie mit einem Mann ins Bett gegangen war, der so eine niedrige Meinung von ihr hatte. Und wenn er sich keine Zeit nahm, um den Augenblick im Leben wertzuschätzen, dann hatte er eben Pech gehabt – und Zoe nicht verdient. Das Leben war zu kurz, um es nicht auszukosten.

Nachdem sie in die Stadt gefahren war, erkundigte sie sich zunächst in der Werkstatt nach den Fortschritten bei Bessies Reparatur. Allerdings war der Inhaber nicht da, sondern lediglich ein junger Auszubildender, der schamlos mit Zoe zu flirten versuchte, während er ihr mitteilte, dass sich an Bessies Zustand nichts verändert hatte.

Nach einem kleinen Lunch in einem Imbiss ging sie zu ihrem geliehenen Wagen zurück, der gegenüber vom Silver Dollar parkte. Zwar würde die Bar nicht vor vier Uhr öffnen, aber vielleicht war Dylan schon da. Plötzlich verspürte sie den dringenden Wunsch, mit Liams jüngerem Bruder zu sprechen.

Da es keine Klingel gab, klopfte sie so lange gegen die Tür, bis Dylan etwas verschlafen öffnete. „Ich hätte wohl erwähnen sollen, dass ich kein Morgenmensch bin. Wenn Sie noch mal für mich singen wollen, sollten Sie sich das besser merken“, begrüßte er sie missmutig.

Ohne auf seine Einladung zu warten, drängelte sie sich an ihm vorbei. „Wow. Noch so ein charmanter Kavanagh. Liegt das etwa an den Genen?“

Dylan ging zum Tresen und winkte sie zu sich. „Wenn Sie schon mal hier sind, können Sie sich ja auch setzen.“

„War gestern Abend noch viel los?“, erkundigte Zoe sich, nachdem sie seiner Aufforderung gefolgt war.

Dylan grinste. „Ein paar Jungs sind nach Ladenschluss noch dageblieben, um eine Runde zu pokern. Danach habe ich gleich hier unten auf dem Sofa geschlafen.“

„Und? Haben Sie gewonnen?“

„Ich gewinne immer“, erklärte er selbstbewusst und klang mit einem Mal so wie sein Bruder. „Wollen Sie auch eine Limo?“

„Gern. Wissen Sie eigentlich, dass Ihr Bruder ein selbstgerechter, arroganter Mistkerl ist?“, platzte Zoe heraus.

„Oh, so ist das also“, erwiderte Dylan. „Ich verstehe. Liam kann nichts dafür, dass er so ist, wie er ist. Anstatt mit sechzehn Jahren Videospiele zu spielen und Sport zu treiben, hat er gelernt, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam mit meiner Mom das Hotel zu führen. Wir anderen hatten den Luxus, das aus unserem Leben zu machen, was wir wollten. Aber an Liam ist das Hotel hängen geblieben.“

„Er behauptet, die Arbeit mache ihm Spaß.“

„Und ich bin mir sicher, dass das stimmt. Aber er hat für uns ziemlich viel aufgegeben. Wenn er die nervtötende Angewohnheit hat, alles besser zu wissen, dann liegt das daran, dass er wirklich meistens recht hat.“

„Ich hätte mir ja denken können, dass Sie auf seiner Seite sind.“

Ungerührt schenkte Dylan sich eine Tasse Kaffee ein und sah Zoe schließlich nachdenklich an. „Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wenn Sie ihn aus seinem Büro rauslocken, während Sie hier sind. Behaupten Sie einfach, dass Sie gern wandern gehen.“

„Tue ich das denn?“

„Es gibt viele Wanderwege hier in der Gegend und ein paar schöne Wasserfälle.“

„Hm“, sagte sie leise und sah auf die Uhr. „Ich glaube, ich fahre jetzt besser ins Hotel zurück. Ich muss unbedingt in den Fitnessraum, bevor ich heute Abend wieder so viel esse, weil es so gut schmeckt.“

Inzwischen hatte Dylan den Kaffee ausgetrunken und spülte die Tasse aus. „Es zwingt Sie ja niemand mit vorgehaltener Kanone, den Nachtisch zu essen.“

„Das stimmt, aber ich möchte nicht die Gefühle des Küchenchefs verletzen.“

„Wenn Sie dann besser schlafen können“, erwiderte er lachend. „Ach, übrigens: Sie haben gestern Abend mächtig Eindruck gemacht. Ein paar von den Jungs waren ziemlich enttäuscht, als Sie mit Liam weggefahren sind.“

„Quatsch. Sie wollen nur nett zu mir sein.“ Hastig zog sie die Füße hoch, als Dylan einen Besen ergriff und begann, Erdnussschalen unter ihrem Barhocker wegzukehren.

„Kein Stück“, erwiderte er. „Sagen Sie einfach Bescheid, wenn Sie wieder hier auftreten wollen. Und versuchen Sie, meinem Bruder zu verzeihen, was auch immer er Ihnen angetan hat. Manchmal sind wir Männer eben planlos.“

„Das ist mir nicht entgangen.“

„Und beherzigen Sie meinen Rat: Wenn Sie ihn zum Wandern bewegen, vergisst er vielleicht mal, ständig Superman zu spielen.“

Unwillkürlich musste sie lächeln. „Ist er das denn für Sie? Superman?“

„Darauf können Sie Gift nehmen. Aber wehe, Sie verraten ihm, dass ich das gesagt habe! Ich würde es sowieso leugnen. Wir bemühen uns darum, ihn nicht zu eingebildet werden zu lassen.“

Sie sprang von dem Barhocker herunter und vermied es, in die Erdnussschalen zu treten. „Danke für den Ratschlag. Was schulde ich Ihnen dafür und für die Limo?“

Gähnend stützte Dylan sich auf dem Besenstiel ab. „Geht aufs Haus.“

Während der Rückfahrt zum Hotel beschäftigte Zoe die Frage, ob sie Liam aufsuchen oder ihm besser aus dem Weg gehen sollte. Als sie um die letzte Kurve bog, wurde die Frage von allein beantwortet, denn der Hotelbesitzer stand in einem maßgeschneiderten Anzug und einem schneeweißen Hemd auf der Veranda des Silver Beeches. Widerwillig musste sie einräumen, dass er wirklich zu jeder Tageszeit wie aus dem Ei gepellt wirkte.

Allerdings war es ihr in der vergangenen Nacht gelungen, ihn ein paarmal aus der Reserve zu locken. Der Gedanke daran ließ sie wohlig erschauern. Einen Augenblick lang dachte sie darüber nach, einfach zu wenden und wieder in die Stadt zurückzufahren. Allerdings wäre ihr beschämender Rückzug sicherlich nicht unbemerkt geblieben.

Stattdessen parkte sie kurz darauf den Nissan, holte tief Luft und erinnerte sich daran, dass sie schließlich eine Frau von Welt war. Wenn sie die Fassung wahrte, würde auch Liam Kavanagh sie nicht aus der Ruhe bringen können.

„Ich habe dich heute Mittag nicht im Speisesaal gesehen“, sagte er, als sie aus dem Wagen stieg.

„Ich bin draußen gewesen“, erklärte sie scheinbar unbekümmert, während sie die Autoschlüssel in ihrer Tasche verstaute und auf Liam zuging.

„Wo denn?“, erkundigte er sich misstrauisch.

Einen Schritt vor ihm blieb sie stehen. Er wirkte wie ein Richter, der eine Antwort von ihr erwartete. „Ist das denn wichtig?“, fragte sie und versuchte, nicht zu bemerken, wie wundervoll Liam duftete.

„Natürlich nicht“, erklärte er missmutig, denn außer einigen Hotelgästen befand sich auch der Page in Hörweite. „Ich habe mich nur gefragt, ob dein Tag schön gewesen ist.“

„Hast du nicht auch Interesse daran, wie ich meine Nächte verbringe?“

Beschämt senkte er den Blick. „Deine Nächte gehen mich nichts an.“

Jetzt ging sie an ihm vorbei und streifte dabei mit einer Hand seinen Unterarm. „Ich bin ziemlich sauer, dass du so früh gegangen bist“, flüsterte sie ihm im Vorbeigehen zu. „Ich würde gern mit dir sprechen. Um vier bin ich zum Tee im Salon. Willst du mir nicht Gesellschaft leisten?“

11. KAPITEL

Liam mochte keinen Tee. Außerdem ging er absichtlich erst zehn Minuten nach vier Uhr in den Salon − einfach nur, um Zoe zu demonstrieren, dass sie ihm keine Vorschriften zu machen hatte. Zu seinem Missfallen musste er beim Eintreten feststellen, dass sie bereits von einigen Bewunderern umringt war. Da er wenig Lust verspürte, sich in die Menge einzureihen, machte er erst seine Runde, um mit den Gästen zu plaudern und sicherzustellen, dass man seine Gegenwart auch bemerkte.

Wenigstens zweimal nahm Zoe mit ihm Sichtkontakt auf, bevor sie sich von ihren Fans verabschiedete und Liam mit einem Fingerzeichen bedeutete, zu ihr zu kommen. Trotzdem ließ er sich noch einige Minuten Zeit, bevor er zu ihrem Tisch herüberging und vor der Frau stehen blieb, der es stets so mühelos gelang, ihn um den Verstand zu bringen.

Sie saß auf einem kostbaren, antiken Zweisitzer aus rotem Samt und klopfte einladend auf den freien Platz neben sich. In ihrem gestreiften kurzen Baumwollrock und dem blaugrünen ärmellosen Top, unter dem sich ihre Brüste abzeichneten, wirkte sie atemberaubend sexy.

Seufzend setzte er sich neben sie und lehnte sich zurück. „Ich vermute, du willst über gestern Nacht sprechen.“

Doch sie schüttelte den Kopf. „Überhaupt nicht. Ich neige nicht dazu, Fehler auszudiskutieren.“

„Fehler?“, fragte er empört.

Ungerührt zupfte Zoe einen Fussel von ihrem Rock. „Wenn ich kein Fehler gewesen wäre, wärst du ja wohl über Nacht geblieben. Ich habe verstanden, und es ist okay.“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass du es nicht verstanden hast“, widersprach er. „Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich es verstehe.“

„Es tut mir leid, dass ich dich wütend gemacht habe“, sagte sie leise und sah ihn von der Seite an.

„Ich mache mir einfach Sorgen um dich“, gestand er.

„Das brauchst du aber nicht. Ich kann sehr gut auf mich allein aufpassen“, entgegnete sie angespannt und erweckte den Anschein, als könne sie jederzeit aufspringen und die Flucht ergreifen.

„Du kannst mir vertrauen.“

„Ist das denn die Voraussetzung für guten Sex?“

„Das würden die meisten wohl behaupten.“

„Ich bin aber nicht wie die meisten.“

„Nein, das stimmt, aber ich vermute, dass du in Schwierigkeiten steckst. Und wenn wir beide zusammen sind, würde ich gern Bescheid wissen − für den Fall, dass ich dich beschützen muss.“

„Ah“, sagte sie und lächelte kaum merklich. „Der Höhlenmann lässt grüßen, das gefällt mir. Aber ich komme, wie gesagt, gut allein zurecht.“

„Okay. Und wenn ich dich aber beschützen will? Wärst du damit einverstanden?“

Mütterlich tätschelte sie sein Knie. „Damit kann ich leben – solange du mir versprichst, dass ich dich immer wieder aufheitern darf.“

„Meinst du damit etwa, was ich hoffe?“

„Nur in deinen Träumen.“

Diese Wortgefechte mit ihr gefielen ihm. Keine Frau hatte bisher so mit ihm gesprochen wie Zoe – und vielleicht zog gerade das ihn magisch in ihren Bann. „Sind wir jetzt fertig?“, fragte er.

Anmutig hob sie eine Tasse aus zartem chinesischem Porzellan an die Lippen und trank einen Schluck Tee. „Ich habe mir heute Wanderschuhe gekauft.“

„Ach, ja?“, fragte er, etwas verwundert wegen des plötzlichen Themenwechsels.

„Für einen reichen Mann arbeitest du viel zu viel.“

„Das ist doch kein Verbrechen, oder?“

„Die meisten Menschen mit deinem Bankkonto würden um die Welt reisen und es sich gut gehen lassen.“

„Dafür ist auch später noch Zeit“, erwiderte er schulterzuckend. Beispielsweise dann, wenn das Hotel und seine Mutter ihn nicht mehr benötigten.

„Ich glaube, du kannst einfach den Gedanken nicht ertragen, dass du entbehrlich bist“, behauptete sie und stellte die Tasse wieder ab.

„Niemand ist unentbehrlich“, antwortete er peinlich berührt. „Aber mir gefällt die Vorstellung, wichtig zu sein.“

„Natürlich. Trotzdem brauchst du einen Ausgleich, mein Lieber.“

Zu gern hätte er sie jetzt geküsst, aber das ging natürlich nicht vor den Augen der anderen Gäste. „Hast du nicht was von Wanderschuhen gesagt?“

„Ja. Sie würden dir gefallen.“

„Ich schätze, jetzt kommst du gleich auf mein Angebot zurück, dich herumzuführen?“

Unschuldig lächelnd sah sie ihn an. „Das wäre wirklich toll … falls du nicht zu beschäftigt bist, natürlich.“

„Ich schätze, ich kann mir Zeit für dich nehmen.“ Die Vorstellung erschien ihm äußerst reizvoll. Und der Frühling war seine liebste Jahreszeit in den Bergen. „Wie wäre es mit morgen früh, um neun Uhr in der Lobby? Ich lasse den Chefkoch ein Picknick für uns zusammenstellen.“

„Das wäre einfach wundervoll“, erklärte sie begeistert.

Ihr Lächeln wärmte ihn wie ein Bad in der Sonne. „Ich freu mich drauf“, erwiderte er.

Bedauernd sah Zoe zu, wie Liam aufstand und ging. Nachdem sie sich sorgfältig die Lippen mit einer Damastserviette abgetupft hatte und sich gerade erheben wollte, trat Liams Mutter an ihren Tisch.

„Ms. Chamberlain, wie schön, Sie zu sehen. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns einen Moment unterhalten?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Zoe und winkte halbherzig einladend. Plötzlich fühlte sie sich, als sei sie mit einer Hand in der Keksdose erwischt worden.

„Mir ist aufgefallen, dass mein Sohn eine Menge Zeit mit Ihnen verbringt“, sagte Maeve, nachdem sie sich gesetzt hatte.

„Ja, Ma’am“, antwortete Zoe.

„Ich bin eine überzeugte Vertreterin der Ansicht, dass man unschuldig ist, bis die Schuld bewiesen ist“, erklärte Liams Mutter.

Beinahe hätte Zoe sich an ihrem Tee verschluckt. „Ich glaube, ich verstehe nicht …“, begann sie.

„Ich möchte Ihnen Folgendes damit begreiflich machen“, erläuterte Maeve. „Sie sind eine recht unkonventionelle Frau. Doch als Gast in unserem Haus behandeln wir Sie mit größtem Respekt. Trotzdem möchte ich Sie warnen.“

„Und wovor, Ma’am?“

Ernst sah Maeve ihr in die Augen. „Spielen Sie nicht mit den Gefühlen von Liam – oder ich sehe mich verpflichtet, etwas dagegen zu unternehmen. Die meisten Männer lassen sich von Schönheit blenden. Wenn Sie wirklich sind, was Sie vorgeben zu sein – ein nettes Mädchen, das gern in der Welt herumreist –, dann sei es eben so. Doch falls Sie vorhaben, meinen Sohn für Ihre Ziele auszunutzen, dann bekommen Sie es mit mir zu tun.“

Verblüfft starrte Zoe sie an. So offen und direkt hatte noch nie jemand mit ihr gesprochen, und sicher hätte sich eine andere Frau angegriffen gefühlt. Zoe hingegen konnte an nichts anderes denken als daran, dass sich Liam glücklich schätzen konnte, eine derart starke Frau zur Mutter zu haben.

Natürlich wäre Maeve eine grauenhafte Schwiegermutter – Moment mal, unterbrach sie ihren Gedankengang, wie kam sie denn jetzt darauf? „Ich schwöre Ihnen, dass Sie von mir nichts zu befürchten haben, Mrs. Kavanagh. Ich bin nur auf der Durchreise. Ihr Sohn ist ein wunderbarer Mann, aber wir haben nur wenig miteinander gemein.“

„Weil Sie glauben, dass Liam so verantwortungsbewusst und ernst ist?“, erkundigte Maeve sich. „Ich sollte Ihnen besser ein wenig von unserer Familiengeschichte berichten. Haben Sie einen Moment Zeit?“

„Aber sicher“, entgegnete Zoe.

„Die Kavanaghs sind in den 1920er-Jahren in dieses Land gekommen“, begann Maeve zu erzählen und seufzte nachdenklich. „Das waren schwere Zeiten, aber glücklicherweise hat einer unserer Vorfahren zu Beginn der großen Wirtschaftskrise hier irgendwo in den Bergen eine Silbermine gefunden.“

„Das klingt ja beinahe wie ein Märchen.“

„Ja, nicht wahr? Bei einem Erdbeben wurde die Mine dann zwar verschüttet, hatte aber bis dahin so viel abgeworfen, dass der Reichtum der Kavanaghs begründet worden war.“

„War die Mine denn erschöpft?“

„Das weiß niemand. Aber mein verstorbener Mann Reggie war ganz versessen darauf, sie wiederzufinden. Dazu angestachelt hatte ihn eine junge Irin, die vorgab, eine entfernte Cousine zu sein und ein Buch über die Geschichte der Kavanaghs zu schreiben“, sagte Maeve bedrückt. „Sie war wirklich reizend – und mein Mann leider ziemlich leicht in Versuchung zu führen. Es kam, wie es kommen musste: Sie haben eine Affäre miteinander angefangen.“

„Oh, das tut mir schrecklich leid“, entgegnete Zoe bestürzt.

Doch Maeve zuckte mit den Schultern. „Selbst Liam war ganz hingerissen von dieser Frau – bis er herausfand, was wirklich vor sich ging. Reggie hingegen ließ sich immer mehr von ihr dazu drängen, endlich die Mine zu finden. Und an einem Wintertag, als Liam in der Highschool war, unternahm Reggie einen Ausflug, von dem er nie wieder zurückkehrte.“

„Was ist mit der Frau geschehen?“, fragte Zoe.

„Sie ist nach Irland zurückgegangen. Ich habe Nachforschungen anstellen lassen und herausgefunden, dass sie in einer heruntergekommenen Mietswohnung bei Dublin lebt und als Kassiererin arbeitet. Ich bin mir sicher, dass sie damals gehofft hatte, durch das Silber der Kavanaghs ihrem langweiligen Leben entkommen zu können.“

„Wie schrecklich.“

„Ach, das ist schon lange her. Aber wenn jemand einfach spurlos verschwindet, kann man nicht so Abschied von ihm nehmen, wie wenn man genau weiß, dass er gestorben ist. Es hat lange gedauert, bis Reggie offiziell für tot erklärt worden ist. Seitdem sind meine Kinder und dieses Hotel mein Lebensinhalt.“

„Ja, Liam hat mir erzählt, dass Sie sich alle sehr gut verstehen.“

„Liam hat der Verlust seines Vaters besonders hart getroffen, und aus einem verbitterten Teenager wurde schnell ein verantwortungsbewusster junger Mann. Er war wild entschlossen, völlig anders zu sein als sein Vater, der aus reiner Selbstsucht die Familie im Stich gelassen hat. Ich habe manchmal Angst, dass er sein eigenes Leben dafür aufgegeben hat, nur um mir einen Gefallen zu tun.“

„Er liebt seine Arbeit – und er liebt Sie“, sagte Zoe überzeugt.

Gerührt sah Maeve sie an. „Vielen Dank. Es fällt mir manchmal schwer, die Dinge objektiv zu betrachten, weil ich so dicht dran bin. Erzählen Sie mir doch auch etwas von Ihrer Familie, Zoe.“

Die Frage kam völlig unerwartet, und Zoe sah verlegen auf ihre Teetasse. Ihre Verwandtschaft war nicht annähernd so liebevoll und freundlich wie Liams, und Zoe verspürte nicht die geringste Lust, über die Leichen in ihrem Keller zu sprechen.

„Meine Eltern leben im Nordosten der Staaten. Bedauerlicherweise stehen wir uns nicht sehr nah.“

„Sind Sie Einzelkind?“

„Ja, Ma’am.“

„Jetzt hören Sie bitte auf, mich so zu nennen“, sagte Liams Mutter. „Sagen Sie doch einfach Maeve zu mir.“

„Es ist mir eine Ehre.“

„Wissen Sie, Zoe …“ Sie stockte einen Moment. „Ich habe keine Töchter, nur Söhne. Aber ich finde, dass Sie eine außergewöhnliche junge Frau sind, und ich würde Sie gern besser kennenlernen.“

Gefahr. Gefahr. Gefahr. Wenn Zoe sich näher mit der Familie Kavanagh einließ, würde es ihr noch schwerer fallen, wieder zu gehen – was sie letztendlich tun würde. Was sie immer tat.

Trotzdem war sie Maeve noch eine Antwort schuldig. „Das möchte ich auch“, erklärte Zoe und stellte überrascht fest, wie ernst sie das meinte. „Und machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin wirklich keine Gefahr für Ihren Sohn.“

12. KAPITEL

Liams Herzschlag beschleunigte sich, als er Zoe am kommenden Morgen aus dem Fahrstuhl treten sah. Während sie durch die Lobby auf ihn zuging, erkannte er beunruhigt, dass er möglicherweise im Begriff war, etwas Unvernünftiges zu tun. Das war normalerweise überhaupt nicht seine Art.

Jeder Mann, an dem sie vorbeikam, drehte sich nach Zoe um. Sie trug ihre brandneuen Wanderstiefel zu kurzen Shorts, die ihre endlos langen, schlanken Beine vorteilhaft betonten. Liam spürte, wie sich sein Verlangen wieder zu regen begann. Aus solchen Beinen wurden Männerträume gewebt.

Als Liam endlich den Blick weiter nach oben richten konnte, war er ebenfalls hingerissen. Zoes karierte Bluse war in der Taille geknotet und gab den Blick auf einen sensationell sexy Bauchnabel frei. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Sie setzte sich eine dunkel getönte Sonnenbrille auf. „Guten Morgen, Liam“, begrüßte sie ihn. „Können wir los?“

Nur gut, dass er gerade hinter dem Empfangstresen stand, so konnte er unbemerkt seine Fassung wiedererlangen. Sein Mund schien mit einem Mal völlig trocken. „Ja. Hast du dich auch mit Sonnenschutz eingecremt?“

Sie nickte. „Oben und unten und überall dazwischen auch.“

Unwillkürlich musste er sich jedes verführerische Detail ihres nackten Körpers vorstellen. Na, großartig. „Gut.“ Offenbar hatte sich seine Fähigkeit, intelligente Gespräche zu führen, urplötzlich darauf reduziert, nur noch einsilbige Wörter hervorzubringen.

Ohne noch etwas zu sagen, führte er Zoe nach draußen vor die Tür, wo bereits sein Jaguar parkte. Nachdem der Picknickkorb im Wagen verstaut war, drehte er sich zu seiner Begleiterin um. „Bereit?“

„Auf geht’s!“, erwiderte sie lächelnd.

Die nächste halbe Stunde war die beste Zeit, die er seit Langem verbracht hatte – wenn man einmal von der Nacht in Zoes Bett absah. Er steuerte den schnittigen Sportwagen rasant die kurvigen Bergstraßen entlang, sodass Zoe vor Vergnügen lachte.

Ihre Begeisterung war einfach ansteckend und das Wetter perfekt für diesen Ausflug. Kleine Schäfchenwolken schmückten den blauen Himmel, die Temperatur war angenehm warm, und eine leichte Brise sorgte für das genau richtige Maß an Abkühlung. Die erhabene Berglandschaft bot einen hervorragenden Hintergrund für einen traumhaften Tag. „Ich dachte, ich zeige dir heute Rooster’s Rest.“

„Wie idyllisch. Klingt, als sei es ziemlich hoch.“

Unwillkürlich sah er auf ihre nackten, langen Beine. „Das kann man wohl sagen.“

Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und sah ihn an. Obwohl Liam nicht wagte, den Blick von der kurvenreichen Straße abzuwenden, spürte er doch, wie Verlangen zwischen ihnen aufzuflammen begann – und ihn Erregung durchflutete. Plötzlich kam ihm seine Hose etwas enger vor als noch kurz zuvor, und sein Atem beschleunigte sich. Natürlich freute er sich auf den Ausflug mit ihr, aber er hatte vor, Zoe zu einem privateren und wesentlich luxuriöseren Treffen zu überreden – und zwar ziemlich bald.

Als sie den Parkplatz erreicht hatten, an dem der Wanderweg begann, den Liam ausgewählt hatte, stieg Zoe aus dem Wagen und streckte sich. Weit unter ihnen schien Silver Glen im Sonnenschein träge vor sich hinzuschlummern.

„Jetzt bummel mal nicht so rum! Lass uns losgehen“, sagte Zoe energiegeladen.

Nachdem Liam sich den Picknickkorb, an dem zwei Ledergurte befestigt waren, auf den Rücken gesetzt hatte, folgte er ihrer Aufforderung. „In Ordnung, Ms. Ungeduld. Wollen wir mal sehen, was du so draufhast.“

In Wahrheit hatte Zoe so ihre Zweifel, dass sie mit Liam Schritt halten konnte. Im Anzug machte er schon eine ausgezeichnete Figur, aber heute trug er Trekking-Sachen, die wahrscheinlich ein kleines Vermögen gekostet hatten, und hätte damit gut als Cover-Motiv für das Backpacker Magazine durchgehen können. Breite Schultern, muskulöse Waden und eingetragene Stiefel, denen man ansah, dass Liam ein geübter Bergwanderer war.

Er wirkte wie ein Mann, der mit bloßen Händen einen Grizzlybären bezwingen konnte, und Zoe zweifelte keine Sekunde daran, dass Liam Kavanagh ein ganzer Kerl war.

Obwohl sie den Verdacht hegte, dass er schon langsamer lief, als er es normalerweise tat, damit sie Schritt halten konnte, war sie bereits nach einer halben Stunde völlig außer Atem. „Stopp!“, rief sie erschöpft und stützte die Arme in der Taille ab. „Deine Beine sind länger als meine.“

„Tut mir leid.“

Doch er wirkte keineswegs so, als täte es das wirklich. Irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck kam ihr seltsam vor, aber sie wusste nicht zu sagen, was es war. „Was ist los?“

„Nichts“, erwiderte er angespannt.

„Lügner.“

Seine plötzliche Bewegung überraschte sie. Ohne dass sie wusste, wie ihr geschah, war er bei ihr und hatte sie mit dem Rücken gegen einen Baum gedrängt, wobei er sich fest an sie presste, sodass sie seine Erregung deutlich spüren konnte. „Das hier ist nicht in Ordnung mit mir“, erklärte er und sah sie an, sein Blick dunkel vor Verlangen.

Die Baumrinde drückte sich durch den leichten Stoff ihrer Bluse, doch um nichts auf der Welt hätte Zoe sich jetzt dort fortbewegen wollen. „Hast du etwa dein gutes Benehmen zusammen mit deinen italienischen Designer-Anzügen im Hotel zurückgelassen?“

„Verdammt sollst du sein“, stieß er heiser hervor und presste begierig die Lippen auf ihre, um sie mit nahezu verzweifelter Leidenschaft zu küssen.

Sein Verlangen war so brennend, dass es augenblicklich auf Zoe übersprang. Auf solch eine Sehnsucht hatte sie so lange gewartet, doch jetzt war sie von der Intensität völlig überwältigt. Hastig streifte Liam den Picknickkorb von den Schultern. Dann umfasste er Zoes Gesicht und küsste sie ein weiteres Mal lustvoll. Ihre Zungen trafen sich zu einem erotischen Tanz.

Wie benommen fasste sie in sein Haar. Vor Erregung atmete sie schwer. „Bitte sag jetzt, dass du Kondome dabeihast.“

Seine Antwort kam so undeutlich bei ihr an, dass sie nicht wusste, ob es Ja oder Nein heißen sollte. Erregt erschauerte Zoe, als Liam unter ihren BH fasste und ihre harten Brustspitzen massierte.

„Im Ernst, Liam“, sagte sie drängend. „Hast du welche dabei?“ Nicht mehr lange und es würde keinen Weg zurück mehr für sie beide geben. Sie war so erregt, dass sie vermutlich sofort den Höhepunkt erreichen würde, sobald sie Liam in sich spürte.

Mühsam zog er sich ein Stück von ihr zurück. „Du bringst mich noch um den Verstand“, stieß er schwer atmend hervor und runzelte die Stirn. „Wir wollten doch eigentlich wandern gehen.“

In diesem Augenblick hörten sie Gelächter, und kurz darauf kam eine große Gruppe Jugendlicher um die Kurve gebogen. Zoe blieb gerade noch genügend Zeit, ihre Bluse zurechtzurücken.

Kurz darauf war die lärmende Meute hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.

„Du liebe Güte.“ Liam rieb sich den Nasenrücken.

„Meinst du, sie haben gesehen, was wir gerade gemacht haben?“

„Oh, ja“, erwiderte er lächelnd.

„Und was tun wir jetzt? Ich möchte ihnen auf keinen Fall begegnen. Das wäre mir echt zu peinlich.“

„Wie wäre es, wenn wir uns einen ruhigen Platz für unser Picknick suchen?“

„Ein wundervoller Vorschlag, Mr. Kavanagh.“ Nachdem Zoe das Gefühl hatte, dass ihre Beine sie wieder tragen konnten, richtete sie sich von dem Baumstamm auf. „Ich gehöre ganz dir.“

„Jetzt noch nicht, aber bald.“

Liam fuhr besonders umsichtig zu ihrem nächsten Ziel, das sich zwar etwas weiter weg befand, aber da sie die Wanderung abgebrochen hatten, blieb ihnen noch genügend Zeit für ein entspanntes Picknick. Er warf einen Seitenblick auf Zoe, die ungewöhnlich still neben ihm saß.

„Alles okay?“, erkundigte er sich.

Sie nickte. „Ja, ich genieße nur den Tag.“

Zu gern hätte er gewusst, was sie dachte, aber Frauen waren nun einmal komplizierte Geschöpfe, und Zoe war ein ganz besonders schwieriger Fall. Eben gerade bei dem Baum hätte sie sich ohne Weiteres von ihm lieben lassen, aber jetzt schien sie mit ihren Gedanken Millionen Meilen entfernt.

Endlich entdeckte er das Hinweisschild, nach dem er gesucht hatte, und Zoe sah neugierig zu ihm herüber, als er von der Straße abbog.

„Wo fahren wir denn hin?“, fragte sie.

„Ein Freund von mir vermietet während der Sommermonate Blockhäuser. Ich habe einen Schlüssel, und in der Nebensaison darf ich sie nach Lust und Laune benutzen. Es gibt zwar keinen Strom dort, aber an einem schönen Tag wie heute wird uns das wohl nicht weiter stören.“

Nachdem sie einige Hundert Meter einen Kiesweg entlanggefahren waren, erreichten sie ein Metalltor. Liam schloss es auf, steuerte den Jaguar auf das Grundstück und verriegelte das Schwingtor anschließend wieder. Nach der nächsten Kurve kamen die Blockhütten in Sicht.

„Die sind ja niedlich!“, rief Zoe begeistert, als sie aus dem Wagen stieg.

Verlangend sah er ihr zu, wie sie sich umschaute, und unterdrückte die brennende Begierde, die ihn durchströmte. Nur mühsam gelang es ihm, an sich zu halten und nicht gleich an Ort und Stelle über Zoe herzufallen.

„Diese hat eine überdachte Veranda. Wollen wir dort zu Mittag essen?“, schlug er vor und deutete auf eine Hütte unweit ihres Parkplatzes.

Sie nickte. „Perfekt.“

Da es keine Außenmöbel gab, legten sie die Picknickdecke auf den Holzboden und breiteten den Inhalt des Korbes darauf aus. Der Meisterkoch des Hotels hatte sich selbst übertroffen, und zu den kulinarischen Köstlichkeiten genossen sie einen Champagner.

Während sie die Beine über den Rand baumeln ließen, saßen sie auf dem Verandaboden und ließen es sich schmecken. Liam freute sich, zu sehen, dass Zoe so einen gesunden Appetit hatte. Er würde erst beruhigt sein, dass sie sich wieder völlig von ihrer Krankheit erholt hatte, wenn sie ein paar Pfund zunahm.

Obwohl er wusste, dass er gefährliches Terrain betrat, hoffte er, dass Zoe vom guten Essen und Champagner so weit beschwichtigt war, dass er einen erneuten Vorstoß wagen konnte. „Möchtest du über deine Eltern reden?“, fragte er leise. „Ich würde dein Vertrauen auch niemals missbrauchen.“ Falls ihre Beziehung sich vertiefte, durfte es keine Geheimnisse zwischen ihnen geben.

Zwar sah sie ihn nicht an, aber er bemerkte, wie angespannt sie mit einem Mal wirkte. Nachdenklich nippte sie an ihrem Champagnerkelch, und ihr Blick schweifte in die Ferne.

„Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann“, entgegnete sie schließlich. „Sonst hätte ich auch nicht mit dir geschlafen. Aber da gibt es wirklich nicht viel zu erzählen. Meine Mutter ist nur der Schatten einer Frau, die alles tut, um meinem Vater zu gefallen.“

„Ist er denn gewalttätig?“

„Kommt ganz darauf an, wie man das Wort definiert. Seelische Grausamkeit? Ja, man kann wohl sagen, dass er einen echten Kontrollzwang hat.“

„Dann hat es ihm bestimmt nicht gefallen, als ihm klar wurde, dass du dich nicht kontrollieren lässt?“

„Genau. Nachdem ich das College geschmissen hatte, ist er zwar stinksauer gewesen, aber er konnte nicht viel tun, weil ich so weit weg war. Seit ich das Friedenskorps verlassen habe, bin ich ständig auf Reisen. Ich habe in Rom gekellnert, Englischunterricht in Südamerika gegeben und in Thailand Wäsche gewaschen. Eben alles, um meine Abenteuer finanzieren zu können.“

„Du bist eine ziemlich vielseitige Frau.“ Er fragte sich trotzdem, wie die Platinkarte und das Geld in ihrem Bus zu dieser Geschichte passten. „Bist du seitdem mal wieder nach Hause zurückgekehrt?“

„Ja, weil ich ein schlechtes Gewissen wegen meiner Mutter hatte.“

„Was ist passiert?“

„Mein Vater wollte mich dazu zwingen, für seine Firma zu arbeiten. Zwar war ich nach wie vor eine große Enttäuschung für ihn, denn er hatte sich eigentlich einen Sohn gewünscht, aber wahrscheinlich hat er gedacht: besser eine Tochter als gar keinen Erben.“

„Und? Hast du getan, was er wollte?“

„Nein“, erwiderte sie.

„Was für eine Firma hat dein Vater denn?“

„Er kauft andere Firmen auf, ohne Rücksicht auf Verluste oder Umweltpolitik. Es geht nur darum, Mitbewerber geschäftsunfähig zu machen. Du kannst dir vorstellen, dass so etwas für mich nie infrage gekommen wäre.“

„Das hat er bestimmt nicht besonders gut aufgefasst.“

„Oh, das kann man wohl sagen! Es wurde zu Hause einfach unerträglich. Meine Mutter hat zwischen uns gestanden und ist schließlich deswegen krank geworden. Sie hatte leider nie eine Alternative − sie stammt aus schlechten Verhältnissen, und mein Vater war ihr Ticket in eine bessere Welt.“

„Was hast du getan?“

„Ich bin wieder abgehauen. Da habe ich dann mit meiner Karriere als Sängerin begonnen, wenn man es so bezeichnen kann. Es hat so viele Orte in den USA gegeben, an denen ich noch nicht gewesen war, also bin ich dorthin gefahren, wohin der Wind mich geweht hat.“

„Ist das nicht ziemlich einsam?“

„Mensch zu sein bedeutet eben auch, einsam zu sein“, erwiderte sie schulterzuckend. „Nur selten findet man eine verwandte Seele. Aber man kann sagen, dass die Vorteile überwiegen. Meine Mom und ich haben immer noch Kontakt zueinander. Ich habe ihr ein Handy gekauft, das sie vor meinem Dad versteckt. Wir telefonieren und schreiben uns, wenn er nicht in der Stadt ist.“

„Das tut mir leid, Zoe.“

„Ich habe es wirklich noch mal versucht – vergangene Weihnachten. Meine Mom hat mich angefleht, nach Hause zu kommen, und ich habe mich so allein gefühlt, dass ich es getan habe.“

„Und?“

„Zuerst hat es danach ausgesehen, als herrsche Waffenstillstand. Mein Vater hat sich vorbildlich verhalten, und meine Mutter war total glücklich. Es gab Partys und Abendessen, die meisten davon waren geschäftlich, aber wenigstens etwas. Am Heiligabend hat mein Vater mich zu sich ins Büro gerufen. Ich dachte, er würde mich umarmen oder sich dafür bedanken, dass ich meiner Mutter den Gefallen getan hatte.“ Verbittert schwieg sie.

„Das war aber nicht der Grund?“, erkundigte Liam sich bestürzt. Er wusste, dass er die Frage gestellt hatte und die Geschichte bis zum Ende hören musste, auch wenn ihm Zoe wahnsinnig leidtat.

„Er hat mich ins Gesicht geschlagen. Ziemlich heftig. Ich war so schockiert, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich tun sollte. Er hat mir gesagt, wie satt er mein kindisches Verhalten und meinen Egoismus hätte. Dass es an der Zeit sei, endlich erwachsen zu werde, anstatt sich hinter Koffern zu verstecken.“

Am liebsten hätte Liam etwas Tröstendes gesagt, aber ihm fiel nichts ein, und er fürchtete, dass Zoe dann nicht weitererzählen würde. „Und weiter?“, erkundigte er sich sanft.

„Er hat gesagt, dass er einen Freund bei der Polizei hat. Wenn ich nicht täte, was er wolle, würde er mich wegen Diebstahls anzeigen. Er würde behaupten, ich hätte seinen Safe im Büro ausgeraubt, und dann würde ich ins Gefängnis kommen.“

„Verdammt!“ Liam war so wütend, dass er kaum noch Luft bekam.

„Ich bin dann nach unten gegangen und habe versucht, meiner Mom zu erklären, warum ich nicht über Weihnachten bleiben könne“, sagte sie und schien in Gedanken weit weg. „Ich habe ihr aber nichts davon erzählt, dass mein Vater mich erpressen wollte. Sie hat so sehr geweint, dass es mir beinahe das Herz gebrochen hat. Als mein Vater telefoniert hat, habe ich eine Tasche gepackt und mich aus dem Haus geschlichen.“

„Hat er denn nicht versucht, dich aufzuhalten?“

„Zuerst nicht. Aber dann ab März hatte ich das Gefühl, dass man mich verfolgt. Deswegen habe ich mich immer wieder verstecken müssen.“

„Hast du dir das vielleicht eingebildet?“, fragte er, doch dann erinnerte er sich an den geheimnisvollen Mann, von dem Pierre berichtet hatte.

Sie schüttelte den Kopf. „Letzte Woche in Asheville habe ich den Kerl wiedergesehen. Zwei Mal. Er ist mir zu Fuß auf der Straße gefolgt. Deswegen habe ich mich wieder hinter das Steuer gesetzt und bin schließlich in Silver Glen gelandet.“

„Dann sind dein Verfolger und der Mann, der sich bei Pierre nach dir erkundigt hat, ein und dieselbe Person?“

„Davon gehe ich aus. Und er wird wiederkommen, weswegen ich nicht die ganzen sechs Wochen hierbleiben kann. Auf gar keinen Fall kann ich nach Hause gehen und mich verhaften lassen – oder deine Familie in diese hässliche Sache verwickeln.“

„Deswegen hast du Gary gebeten, deinen Bus umzulackieren.“

Misstrauisch sah sie ihn an. „Du und dieser Gary, ihr erzählt euch wohl alles, oder?“

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich.

„Spielt doch sowieso keine Rolle, oder?“, erwiderte sie verbittert und leerte ihr Glas. Ihr Gesichtsausdruck war so verschlossen, dass Liam keine Ahnung hatte, was in ihr vorging.

„Tja“, sagte sie nach einer Weile. „Jetzt habe ich uns aber gründlich die Stimmung vermiest, hm?“

13. KAPITEL

Zoe fühlte sich plötzlich völlig kraftlos. Wieder einmal hatte sie – wie bei ihrem Krankenhausaufenthalt – das Gefühl, das Leben sei wirklich ungerecht zu ihr. Dieser Tag hatte so unbeschwert und fröhlich begonnen, dass die Erinnerungen an ihre Vergangenheit jetzt besonders schmerzhaft waren.

Sie machte Liam keine Vorwürfe, weil er sie danach gefragt hatte – er versuchte nur, sie zu verstehen. Das Problem war, dass sie sich selbst kaum verstand. Aber Liam bedeutete ihr viel, und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Bedürfnis, jemanden an sich heranzulassen.

Rasch stand sie auf und wischte sich ein paar Krümel von den Händen. „Ich muss mal kurz verschwinden.“

„Sieh dich vor den Schlangen vor“, erwiderte er – und schien es völlig ernst zu meinen.

Sie beherzigte seinen Rat, und etwas später wanderte sie ein wenig auf dem Grundstück herum. Die Landschaft war wunderschön. Sie überlegte, ob sie sich vielleicht hier vor ihrem Vater verstecken konnte, verwarf den Gedanken jedoch rasch wieder. Ihr Verfolger würde sich nicht lange in die Irre führen lassen, weswegen sie Silver Glen verlassen musste. Es war absolut naiv von ihr gewesen, zu denken, sie könne sechs Wochen hierbleiben. Obwohl sie Liam liebte, wusste sie, dass es für sie keine gemeinsame Zukunft gab. Sie würde nie eine Familie haben können, wenn sie nicht wollte, dass man sie aufspürte – die Vorstellung von einem gemeinsamen Leben mit Liam würde nie mehr als ein schöner Traum sein.

Dabei bestand kein Zweifel daran, dass er sie begehrte und liebte. Doch Zoe war ein Kind der Straße und Liam fest in Silver Glen verwurzelt.

Als sie zur Veranda zurückkehrte, ging sie gar nicht erst die Stufen hoch. „Würde es dir was ausmachen, wenn wir wieder zurückfahren?“, fragte sie.

Während Zoes Abwesenheit fühlte sich Liam hin- und hergerissen. Trübte sein Verlangen nach Zoe seinen gesunden Menschenverstand? Wie ließ sich bloß das viele Geld in ihrem Bus erklären? Brauchte sie es, um ihre Kreditkartenrechnung zu begleichen?

Ein hässlicher Verdacht keimte in ihm auf. Hatte sie Liam möglicherweise nur diese Geschichte aufgetischt, um ihn auf ihre Seite zu ziehen? Damit er, falls sich wieder jemand nach ihr erkundigen würde, nicht verriet, wo sie sich befand?

Jetzt stand sie vor der Veranda und wartete auf seine Antwort. „Klar doch“, erwiderte er. „Aber wenn du Lust hast, können wir vorher noch mal kurz auf den Hügel dort hinten klettern. Auf der anderen Seite gibt es einen wunderschönen See.“

„Kann ja nicht schaden“, entgegnete sie nach einigem Zögern.

Liam ging zu ihr und berührte sacht ihren Arm. „Ich habe eine Idee“, sagte er und gab ihr einen Wink, ihm zu folgen. „Morgen muss ich nach New York“, erklärte er, während sie nebeneinander hergingen. „Ich halte dort eine Rede über Gastfreundschaft im einundzwanzigsten Jahrhundert. Ich würde mich freuen, wenn du mich begleiten würdest.“

„Warum?“, fragte Zoe.

Er seufzte. „Weil ich einfach gern noch etwas Zeit mit dir verbringen möchte, deshalb.“

„Und wie lange wären wir fort?“

„Drei Tage. Du kannst dir mit mir ein Zimmer teilen oder ein eigenes haben. Das kannst du selbst entscheiden.“

Abrupt blieb sie stehen. „Ich verliebe mich nicht in dich, Liam.“

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
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