Wahre Liebe ist kein Stunt - 5 Stuntmen finden ihr Glück

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EIN CHARMANTER PLAYBOY von REBECCA WINTERS
Bei Dreharbeiten in Los Angeles hat sie Riley Garrow kennengelernt, seitdem sehnt sich Annabelle nach dem Playboy. In Turin gibt sie sich seinen Küssen hin – und erlebt eine Überraschung: Er macht ihr einen Heiratsantrag. Nur von Liebe spricht er nicht ...

NUR DU WECKST DIESE SEHNSUCHT von AIMEE CARSON
Kate braucht dringend einen Mann – natürlich nur für eine einzige Nacht! Da kommt ihr Memphis James, der beste Freund ihres Bruders, gerade recht. Wenn sie mit einem attraktiven Begleiter wie ihm zum Klassentreffen erscheint, wird sie dem nervtötenden Mitleid entgehen, das sie seit ihrer Scheidung verfolgt. Doch schnell merkt sie, dass ihre Wahl ein Fehler war. Wie konnte sie die Gefahr vergessen, die von Memphis ausgeht? Seine pure Männlichkeit, seine Augen wie Karamellbonbons … Obwohl Kate der Liebe abgeschworen hat, weckt Memphis’ Nähe ungewollt süße Sehnsucht in ihr …

MIT VOLLGAS INS GLÜCK von MYRNA TEMTE
Wie eine Amazone braust das Stuntgirl Emma auf ihrem Motorrad ins Dorf Sunshine Gap und erobert im Sturm den attraktiven Cal. Sie soll hier bei einem Film mitwirken, doch eine kühne Fahrt endet für sie mit einem Beinbruch. Cal pflegt sie liebevoll und träumt schon von der Hochzeit. Aber davon will sie nichts wissen!

WER BIST DU WIRKLICH, GELIEBTER? von VICKI LEWIS THOMPSON
Eigentlich sollte Kate den ihr unbekannten Trauzeugen ihrer Zwillingsschwester nur vom Flughafen abholen. Dass sie im Hotel mit Harry im Bett landet, war nicht geplant – aber trotzdem wahnsinnig schön. Doch dann stellt sich heraus: Ihr Liebhaber ist gar nicht Harry …

BIS ZUM LETZTEN KUSS von ANNIE WEST
Die Paparazzi überschlagen sich, als Supermodel Poppy Graham den Hotelerben und Extremsportler Orsino Chatsfield heiratet. Doch das Blitzlichtgewitter ist kaum erloschen, da steht ihre Ehe schon vor dem Aus. Orsino macht weiter mit seinen gefährlichen Stunts, als müsse er sich etwas beweisen … Tiefenttäuscht verlässt Poppy ihn. Aber fünf Jahre später bekommt sie einen alarmierenden Anruf: Ihr Noch-Ehemann ist wieder ein Risiko eingegangen. Und diesmal hat er verloren. Schafft sie es, ihm ein letztes Mal zu verzeihen, oder wird es ein Abschied für immer?


  • Erscheinungstag 19.10.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751528054
  • Seitenanzahl 800
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Ein charmanter Playboy erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2003 by Rebecca Winters
Originaltitel: „Rush To The Altar“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA
Band 1567 - 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Sabine Buchheim

Umschlagsmotive: Todor Tsvetkov_Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733744731

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

„Früher sah er auf düstere, elegante Weise gut aus. Jetzt ist er schön wie die Sünde, aber Sie werden sich bestimmt nicht mit einem Mann anlegen wollen, der mit seinen Dämonen kämpft! Ich kümmere mich um ihn, bevor ich die Station verlasse.“

Riley Garrow lag in seinem Krankenhausbett in St. Steven und zählte die Minuten bis zu Bart Adams’ Ankunft.

Manche Freunde und Kollegen von Riley – und von seinem verstorbenen Vater – waren in den vergangenen zwei Monaten bei ihm gewesen. Nichtsdestotrotz hatte der treue Bart, der engste Freund und Vertraute seines Vaters, während der Rekonvaleszenz Rileys Verbindung zur Außenwelt dargestellt.

Allerdings drang nun Schwester Francescas Stimme und nicht die von Bart vom Flur herein. Riley hegte den starken Verdacht, dass die Oberschwester von ihm gehört werden wollte.

Sie lagen in einem ständigen Willenskampf miteinander. Ihre Ausbildung in der Psychiatrie hatte sie nicht im Entferntesten auf Rileys Weigerung vorbereitet, sein Innerstes zu erforschen – den „Kern“, wie sie es formulierte, in dem sein wahres Ich steckte. Der Mensch, den er der Welt zeige, sei lediglich eine Fassade, hinter der eine verwundete Seele um Hilfe schreie.

Er liebte es, sie anzustacheln, wenn sie mit ihrem Psychokram begann. Da er sonst während der endlosen langweiligen Stunden nichts zu tun hatte, war es für ihn die Krönung des Tages, wenn er sie provozieren konnte.

„Oh, oh“, pflegte er zu sagen und dabei vorwurfsvoll den Finger zu erheben. „Beherrschung, Schwester. Beherrschung. Vergessen Sie nicht Ihre Vorbildfunktion für die niedlichen jungen Novizinnen in Ihrer Obhut.“

An diesem Punkt der Unterhaltung wurde ihr sanftes Gesicht stets abweisend, während sie sich bemühte, ruhig und gefasst zu bleiben. „Sie sind absolut unmöglich!“ Mit diesen gemurmelten Worten verließ sie regelmäßig genervt das Zimmer.

„Das haben schon etliche Frauen behauptet, die mein Bett gewärmt haben“, rief er ihr dann hinterher, um gleich darauf in Lachen auszubrechen.

Bevor sie die Tagschicht beendete, wies sie die Nachtschwestern persönlich ein, sofern diese neu auf der Station waren. Nach acht Wochen und mehreren plastischen Operationen, bei denen Haut von seinem Bein um sein rechtes Auge und die Wange verpflanzt wurde, kannte er mittlerweile sämtliche Dienstpläne.

Leider bestand das Personal, das ihn pflegte, ausschließlich aus Laienschwestern eines Ordens. Dafür hatte zweifellos Schwester Francesca gesorgt. Gewiss rissen sich in Santa Monica, Kalifornien, die wenigsten Frauen darum, Keuschheit und Gehorsam zu geloben.

Riley starrte die vier sterilen weißen Wände seines Gefängnisses an. „Sechzig Tage ohne eine richtige Frau … Kein Wunder, dass ich es kaum erwarten kann, von hier zu verschwinden.“

„Ihr Protest wurde zur Kenntnis genommen.“ Schwester Francesca rauschte herein wie die Fröhlichkeit in Person. „Wie es scheint, hat der Himmel Ihre Gebete endlich erhört, Mr. Garrow.“

Er lächelte sie an. „Ich dachte, der Himmel würde nicht auf ‚unmögliche‘ Männer hören.“

„In Ihrem Fall wurde eine Ausnahme gemacht – allein schon all den Schwestern von St. Steven zuliebe, die auf die Knie sinken, bevor sie Ihr Zimmer betreten und nachdem sie es wieder verlassen haben.“

„Alle?“ Er zog eine Braue hoch. „Ist Übertreibung nicht auch eine Sünde, Schwester?“

Sie fühlte seinen Puls. „Da Dr. Diazzo Sie bei der Abendvisite gründlich untersucht hat, ist er zu dem Schluss gelangt, dass Sie morgen früh entlassen werden sollen.“

Riley schloss die Augen.

„Ich dachte, Sie würden sich über die Nachricht freuen.“

Er machte sie wieder auf. „Ich weiß, Sie sind zur Buße verpflichtet, wenn Sie lügen, daher muss ich annehmen, dass Sie die Wahrheit sagen. Ausnahmsweise bin ich froh, dass Sie meine Ruhe gestört haben.“

„Und ich bin ausnahmsweise überwältigt von diesem Geständnis.“

„Lassen Sie sich nicht vom Stolz leiten, Schwester, sonst müssen Sie nach der Vesper ein paar zusätzliche Rosenkränze beten. Verraten Sie mir eines: Werden Sie morgen früh hier sein, um sich zu vergewissern, dass ich Ihre heiligen Hallen nie wieder betrete?“

„Leider nicht. Nachdem die Last Ihrer Pflege von meinen Schultern genommen wurde, werde ich mich mit einigen anderen Schwestern davon erholen.“

„Und wo verbringt eine Nonne ihren wohlverdienten Urlaub?“

„Das geht Sie nichts an.“

„Sie können es mir erzählen. Ich bin so verschwiegen wie ein Heiliger.“

„Nun gut, wenn es Sie davon abhält, die anderen Schwestern zu belästigen … Ich kehre für eine Weile ins Kloster zum Guten Hirten zurück, um meinen Seelenfrieden zu stärken und zu lernen. Das habe ich bitter nötig, nachdem ich acht anstrengende Wochen lang für Sie verantwortlich war.“

Riley lächelte viel sagend. „Gerüchten zufolge sind Sie eine Anhängerin von Thomas von Aquin. Er wäre stolz auf Sie und Ihre Hingabe. Sie arbeiten in einem Hospital und dienen den Kranken. Sie predigen den Heiden Reinheit und Frieden.“

„Das wundert mich nicht. Ähnlich wie er haben Sie sicher während Ihrer vergeudeten Jugend genug Straßenraufereien erlebt.“

„Würde es Sie überraschen, dass ich sogar einmal im Gefängnis gesessen habe?“

Sie notierte seine Blutdruckwerte. „Bei Ihnen überrascht mich gar nichts mehr. Leider enden hier auch schon die Ähnlichkeiten zwischen Ihnen und Franz von Assisi, Mr. Garrow. Seine Haft führte zu einer geistigen Wandlung.“

„Woher wollen Sie wissen, dass es bei mir nicht genauso war?“ Er hob mahnend den Finger. „Frieden“, fügte er scherzhaft hinzu. „Ich hingegen neige eher zu Franz von Assisi. Sie dürfen das Buch nicht nach dem Umschlag beurteilen.“

„Dieser Umschlag hat Sie in solche Schwierigkeiten gebracht.“

Wenn er sich nicht irrte, spiegelte sich in ihren Augen ein kummervoller Ausdruck wider. Für einen flüchtigen Moment erinnerten sie ihn an Mitras, wenn sie sich um ihn gesorgt hatte.

„Ich gehe nach Hause, nicht in den Tod, Schwester. Sie werden mir keine Beichte entlocken, aber ich habe ein Geschenk für Sie.“

„Eine Nonne nimmt keine …“

„Ersparen Sie mir den Vortrag“, unterbrach er sie ungerührt. „Ich schwöre, dieses Geschenk werden Sie nicht ablehnen.“

Sie tat, als hätte sie ihn nicht gehört, und stellte einen Krug frisches Eiswasser auf den Nachttisch – obwohl sie vor Neugier sicher fast platzte, davon war er überzeugt.

„Wollen Sie nicht einmal fragen, worum es sich handelt?“

„Muss ich Sie daran erinnern, dass es nur dann ein echtes Geschenk ist, wenn die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut?“

„Ich strebe nicht nach Perfektion. Sie hingegen sind der Vollkommenheit so nahe, dass Sie sich nicht einmal eine so harmlose Schwäche wie Neugier gönnen. Deshalb will ich Ihnen verraten, dass ich zu Ehren von Schwester Francesca Ihrem Kloster Geld gestiftet habe.“

Sie neigte den Kopf.

„Es ist Ihnen zwar nicht gelungen, mich dazu zu bewegen, meine Seele zu entblößen, aber Sie haben mir gezeigt, dass es Engel auf der Welt gibt. Danke, dass Sie mich daran gehindert haben, zu resignieren, als ich am tiefsten Punkt war. Dafür haben Sie sich einen festen Platz im Herzen eines Sünders erworben.“

Sie wandte sich ab, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sah – ein weiteres Zeichen von Schwäche, das sie unbedingt verbergen wollte. Als sie den Medikamentenwagen zur Tür schob, sagte sie: „Seit Sie eingeliefert wurden, habe ich für Sie gebetet, Mr. Garrow, und das werde ich auch künftig tun.“

„Ein sehr tröstlicher Gedanke. Mit Ihnen als Fürsprecherin besteht vielleicht doch noch Hoffnung für mich. Passen Sie auf sich auf, Schwester.“

„Gott segne Sie“, flüsterte sie, bevor sie das Zimmer verließ.

Kaum war sie gegangen, kam Bart herein. „Entschuldige, dass ich so spät komme, aber ich glaube, du wirst mir verzeihen, wenn du siehst, was ich dir mitgebracht habe. Ich habe meine alten Sachen im Wohnwagen durchstöbert, um das hier für dich zu finden. Es wurde veröffentlicht, als du mit deinem Vater in Brasilien gearbeitet hast.“ Er reichte Riley eine Ausgabe der „International Motorcycle World“.

Das Oktoberheft des letzten Jahres zeigte auf der Titelseite eine Frau mit einem blonden Zopf unter dem Helm. Sie fuhr auf einem Motorrad über das morastige Feld eines Farmers. Auf dem Rücksitz war eine Arzttasche festgeschnallt. Die Schlagzeile lautete: Sogar eine moderne amerikanische Tierärztin benutzt noch eine alte Danelli-Strada-100-Rennmaschine, weil diese Motorräder für die Ewigkeit gebaut sind.

„Nur zu, lies den Artikel, während ich uns etwas zu trinken aus dem Automaten hole.“

„Danke, Bart.“

Das Magazin war in dem Monat gedruckt worden, als sein Vater bei dem verunglückt war, was er am liebsten gemacht hatte. Mit einer Begeisterung, die er seit langem nicht mehr verspürt hatte, schlug er die Zeitschrift auf. Unter einem der Fotos stand: Die Kinder im kalifornischen Prunedale nennen sie „die verrückte Tierärztin“, wenn sie auf ihrem zuverlässigen Motorrad durch die Gegend braust.

Verwundert las er, dass zwei Männer das Unternehmen gegründet hatten: Luca Danelli und Ernesto Strada. Bislang hatte Riley geglaubt, „Strada“ bedeute, dass es sich um eine Straßenmaschine handele, da es das italienische Wort für Straße war.

Die Story schilderte das faszinierende Leben der beiden, angefangen bei ihrer Kindheit in Italien über den Zweiten Weltkrieg, bis hin zur Verwirklichung ihres Traums von einem Motorradimperium in Mailand.

Riley und sein Vater hatten für ihre Stunts stets Danelli-Stradas benutzt, bis zum allgemeinen Entsetzen der Motorradwelt die Produktion plötzlich eingestellt worden war. Sein Vater hatte stets darauf beharrt, dass er nur einer Strada vertrauen könne. Er hatte nie begriffen, warum man sie vom Markt genommen hatte.

„Hör zu“, sagte Riley, als Bart zurückkam. „Nach Ernesto Stradas Tod verlor Luca Danelli das Interesse, stoppte die Fertigung und zog sich aus der Szene zurück.“ Er ließ die Zeitung sinken. „Das war also der Grund.“

Der ältere Mann öffnete eine der Coladosen und reichte sie ihm. „Lies weiter.“

Nachdem er die Büchse in einem Zug geleert hatte, fuhr Riley fort:

Die International Motorcycle World hat Informationen, dass in dem neuen Turiner Firmensitz wieder Danelli-Maschinen produziert werden. Diese Mitteilung stammt vom Geschäftsführer Nicco Tescotti, der unserem Chefreporter Colin Grimes ein Exklusivinterview gewährt hat.

Weltweit begrüßen Rennfahrer begeistert das Comeback der lang vermissten Marke. Der brandneue Prototyp Danelli NT-1 zaubert bereits bessere Rundenzeiten auf die Strecke als alle seine Konkurrenten. Es wird eng an der Spitze, denn Luca Danelli ist zurück. Tescotti zufolge wird die Firma am Markt bleiben.

Aufregung hatte Riley erfasst. Möglicherweise waren Schwester Francescas Gebete für ihn doch nicht vergeblich gewesen.

Bart lächelte ihn an. „Ich dachte mir, der Artikel würde dich vielleicht aufmuntern.“

„Vielleicht?“ wiederholte Riley. „Heute ist mein Glückstag.“

„Inwiefern?“

„Ich habe gerade erfahren, dass ich morgen entlassen werde.“

„Das ist die beste Nachricht, seit mir der plastische Chirurg sagte, er könne dein Gesicht wie neu herrichten.“

Nun, nicht unbedingt wie neu, doch Riley konnte mit den geringfügigen Veränderungen leben und wollte sich nicht beklagen.

„Durch diesen Bericht weiß ich, welche Richtung ich nach der Entlassung einschlagen werde. Es war ein Wink des Schicksals, dass du das Magazin mitgebracht hast.“

„Mir ist schon seit Jahren klar, dass du eigentlich eine eigene Karriere anstrebst, aber du konntest nichts tun, solange dein Vater dich brauchte.“

Wenn Bart das erkannt hatte, wusste er mehr, als Riley vermutet hatte.

„Außerdem weiß ich, dass du vergangenes Jahr nur deshalb als Stuntman in Hollywood gearbeitet hast, um mit den Gagen seine Schulden zu bezahlen. Da du nun dein Ziel erreicht hast, bin ich gespannt, was du mit dem Rest deines Lebens anfangen wirst. Ich dachte mir, die Meldung über Luca Danelli könnte dich inspirieren. Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich in Italien schon immer zu Hause gefühlt.“

Riley nickte. „Es war für viele Jahre meine Heimat. Jetzt habe ich einen Grund mehr zurückzukehren.“ Zumal er noch eine weitere Schuld begleichen musste …

„Dad sagte immer, du seist der beste Freund, den ein Mann sich nur wünschen könne. Er wusste, wovon er sprach. Danke, dass du für mich da gewesen bist, Bart.“

Die Augen des älteren Mannes glänzten verdächtig. „Ich hatte nie eine Frau oder eine Familie. Du hast diese Lücke gefüllt.“

„Bis Mitra mich eines Besseren belehrte, dachte ich, du seist mein Onkel.“ Lachend umarmte er seinen Besucher. „Wir bleiben in Verbindung – Ehrenwort.“

„Das wollte ich hören.“

„Dir hat keines der Drehbücher gefallen, die ich dir geschickt habe?“ donnerte D. L.

Annabelle Lassiter – Ann, für ihre Angehörigen und engsten Freunde – begegnete ruhig dem fassungslosen Blick ihres Managers. Sie hatten sich zum Lunch bei Pierre’s getroffen. „Tut mir leid, D. L., aber ich will mich eben nicht auf einen bestimmten Rollentyp festlegen lassen. Außerdem finde ich, keines der Bücher ist das Papier wert, auf dem es gedruckt ist.“

Er zog die dichten roten Brauen zusammen. „Hör zu, falls du dir in dieser Stadt einen Namen machen willst, solltest du nicht zu wählerisch sein. Du magst zwar eine langbeinige, hinreißende Blondine mit einem gewissen Naturtalent sein, aber ein erfolgreicher Film mit Cory Sieverts garantiert dir nicht lebenslang Aufträge. Du musst auch deine Rechnungen bezahlen, Süße.“

„Das ist mir klar, trotzdem weigere ich mich, in einem Streifen mitzuspielen, dessen Zielgruppe sexbesessene Achtzehnjährige sind – und in diesem Stil sind sämtliche Skripts gehalten.“ Sie deutete angewidert auf die vier Bücher, die sie auf den Tisch gelegt hatte.

„So etwas verkauft sich eben heutzutage.“

„Es ist abstoßend, D. L. Ich will etwas Vernünftiges wie ‚Königin für tausend Tage‘.“

Er seufzte. „Einen solchen Leckerbissen gibt es alle zehn Jahre nur einmal, und selbst dann bringen diese historischen Schinken nicht immer das große Geld für die Studios. Vergiss nicht, du bist bereits achtundzwanzig, für eine Schauspielerin ist da die beste Zeit vorbei.“

„Vielen Dank.“ Sie wusste, dass er recht hatte, aber welche Frau wollte so etwas hören?

„Ich bin dein Agent. Du bezahlst mich, damit ich dir zu deinem Besten solche Dinge sage. Dir bleibt nichts anderes übrig, als deinen Namen und dein wunderschönes Gesicht im Bewusstsein des Publikums zu verankern, sonst fällt für dich der Vorhang.“

„Vielleicht sollte ich nach England gehen und versuchen, am Theater zu spielen.“ Das war Colin Grimes Idee gewesen. Ihre Beziehung war nicht so einfach, da er in London lebte und sie in Los Angeles.

D. L. wirkte schockiert. „Du wärst du, wenn du das tun würdest. Immerhin hast du hier bereits einen Fuß in der Tür. Bevor du ruinierst, was wir für dich erreicht haben, will ich dir etwas verraten. Es ist zwar noch in der Planung, doch ich kann dir eine Rolle darin versprechen.“

„Worum handelt es sich?“

„Ich bin mit ein paar Drehbuchautoren befreundet, die an einem Katastrophenfilm arbeiten. Momentan ist es noch streng geheim. Du wärst perfekt für eine der älteren weiblichen Hauptrollen. Ich muss ihnen nur mitteilen, dass du daran interessiert bist. Es wird der größte Kassenschlager der Saison. Danach hast du die nötige Publicity, um dir die Projekte aussuchen zu können.“

„Nein danke, D. L. Das ist nicht die Art von Schauspielerei, von der ich schon als Teenager geträumt habe. Offen gestanden, würde ich mich schämen, mein Gesicht in einem solchen Machwerk zu zeigen.“

Er betrachtete sie prüfend. „Was ist aus der Frau geworden, die an Fernsehwettbewerben wie ‚Wer will einen Millionär heiraten?‘ teilgenommen hat? Oder an der Wohltätigkeitsgala ‚Wer will einen Prinzen heiraten?‘ Den deine Zwillingsschwester dann an deiner Stelle trösten musste? Behauptest du tatsächlich, du seist darüber erhaben?“

D. L. schaffte es immer, sie dort zu treffen, wo es am meisten wehtat.

„Nun ja, es hat Zeiten gegeben, da hätte ich in meiner Verzweiflung alles probiert, um von einem Hollywood-Produzenten bemerkt zu werden, aber inzwischen habe ich mich geändert.“

„Du hast dich wirklich geändert.“ Er stand wütend auf und warf ein paar Geldscheine auf den Tisch. „Wenn du erst wieder jeden Cent zweimal umdrehen musst, brauchst du mich nicht anzurufen.“

„D. L.?“ rief sie, bevor er mit den abgelehnten Drehbüchern unterm Arm hinausmarschierte. „Ich weiß zu schätzen, was du für meine Karriere getan hast. Bitte, sei nicht so böse auf mich, dass du mich vorzeitig abschreibst.“

Er sah sie lange an. „Ich hätte dich für ehrgeiziger gehalten.“

„Dachtest du, ich wäre imstande, meine Seele zu verkaufen?“ Die Erkenntnis schmerzte. „Es tut weh, dass ich diesen Eindruck erweckt habe. Daran bin ich selbst schuld.“

„Da hast du verdammt recht! Wenn ich wieder ins Büro komme, erwarten mich dort mindestens vierzig Nachrichten, die meine Sekretärin seit neun Uhr entgegengenommen hat, und zwar alles von zweitklassigen Schauspielerinnen, die durchs Feuer gehen würden, um dahin zu kommen, wo du jetzt bist.“

„Ich weiß.“ Früher einmal war sie eine von ihnen gewesen. „Danke für den köstlichen Lunch. Das nächste Mal zahle ich.“

„Es gibt vielleicht kein nächstes Mal.“

„Ich möchte lediglich ein vernünftiges Drehbuch.“

D. L. murmelte etwas Unverständliches, bevor er zum Ausgang eilte.

Ann verließ gleich nach ihm das Restaurant und fuhr zu ihrem Apartment. Dort angekommen, lief sie in die Küche, um ihre Schwester anzurufen. Die blinkende rote Lampe am Anrufbeantworter bewog sie allerdings, zuvor die Nachrichten abzuhören.

„Ann?“ Es war Colin. „Warum reagierst du nicht auf meine Anrufe? Was ist los? Melde dich – meinethalben auch mitten in der Nacht –, sonst nehme ich die nächste Maschine nach L. A. und finde selbst heraus, was los ist!“

Sie ahnte, dass er den Hörer am liebsten auf die Gabel geschmettert hätte. Momentan wollte sie sich jedoch nicht mit ihm befassen und lauschte stattdessen den Klagen von zwei mit ihr befreundeten Kolleginnen. Dann wählte sie die Nummer ihrer Schwester.

Der Zeitunterschied zwischen Hollywood und Turin betrug neun Stunden. In Italien war es demnach Viertel vor zehn Uhr abends. Sie bezweifelte, dass ihre Schwester bereits im Bett lag – es sei denn, die kleine Anna war ausnahmsweise brav und Nicco wollte mit seiner Frau allein sein. Das wollte er eigentlich immer.

Ann hatte nie ein verliebteres Paar gesehen.

Seit sie vor einem Monat von der Taufe ihrer bezaubernden Nichte zurückgekehrt war, hatte Ann eine leichte Unzufriedenheit mit ihrem Leben verspürt. Die Drehbücher, die D. L. ihr zur Ansicht geschickt hatte, waren nicht geeignet gewesen, die sonderbare Leere in ihrem Innern zu beseitigen. Das Gefühl machte ihr fast Angst, denn es erinnerte sie an ihre Empfindungen nach dem Tod ihres Vaters vor etlichen Jahren.

Sie schloss die Augen. D. L. hatte recht. Sie hatte sich in den vergangenen Monaten verändert. Sie war rastlos und launisch gewesen. Unfähig, sich zu konzentrieren.

In Wahrheit sehnte sie sich danach, Anna in ihren Armen zu halten und sich von ihr trösten zu lassen. Als sich das winzige Bündel zum ersten Mal Schutz suchend an sie geschmiegt hatte, war sie förmlich dahingeschmolzen. Es hatte ihr das Herz zerrissen, die Kleine verlassen zu müssen, als es Zeit wurde, nach Hause zu fliegen.

Colin hatte den Taufgottesdienst zusammen mit ihr besucht. Anschließend hatte er ihr vorgeworfen, sich mehr um das Baby als um ihn zu kümmern.

„Ann?“, rief ihre Schwester, die bereits nach dem vierten Läuten am Apparat war. „Nicco und ich haben gerade von dir geredet. Wir wollen doch wissen, ob du den Vertrag für den neuen Film schon unterschrieben hast.“

Ann biss sich auf die Lippe. „Nein, noch nicht. Callie? Hättest du gern für ein paar Wochen einen Babysitter, damit du und Nicco verreisen könnt?“, fragte sie nervös. „Ihr möchtet sicher ein bisschen Zeit allein miteinander verbringen. Ich verspreche, sie wie mein eigenes Kind zu lieben und mit meinem Leben zu beschützen.“

Einen Moment lang herrschte Schweigen. „Solange Anna noch so klein ist, wollen wir keine Minute mit ihr versäumen. Du brauchst doch nicht ihren Babysitter zu spielen, wenn du uns besuchen möchtest.“ Ihre Schwester klang gekränkt. Callie hatte schon immer ein Herz aus Gold gehabt. „Im Palast ist stets eine Suite für dich vorbereitet. Du könntest ewig hier wohnen, wenn du willst. Ich würde mich darüber freuen. Du bist meine einzige Verwandte“, fügte sie ernst hinzu.

Oh ja. Genau darin lag das Problem. Callie war ihre einzige Angehörige, und sie waren durch den Atlantik getrennt. Tränen brannten ihr in den Augen. „Danke“, flüsterte sie. „Ich habe nicht vor, auf Dauer bei euch zu leben, aber momentan bin ich ohne Engagement und …“

„Und zwischen dir und Colin läuft es nicht richtig“, folgerte Callie.

Als eineiige Zwillinge besaßen sie einen besonderen Draht zueinander.

„Hör zu, Annabelle Lassiter, du nimmst die nächste Maschine nach Turin. Klein Anna vermisst dich schrecklich. Wir alle tun das.“

„Sobald ich aufgelegt habe, kümmere ich mich um die Reservierung.“ Sie packte den Hörer fester. „Bist du sicher, dass Nicco nichts dagegen hat? Er steht vermutlich unter enormem Stress, seit Luca Danelli tot ist. Bestimmt wünscht er keine weiteren Belastungen.“

„Sei nicht albern. Er hat von Anfang an Lucas Arbeit neben seiner eigenen gemacht. Lucas Tod ist zwar bedauerlich, doch wir hatten damit gerechnet. Außerdem hat Nicco dir immer versichert, dass du bei uns ein Zuhause hast. Mein Mann sagt nichts, was er nicht auch meint.“

„Er liebt dich so sehr, dass er nie etwas tun würde, was dich kränken könnte.“

„Sehr richtig“, meldete sich zu Anns Überraschung nun auch Nicco zu Wort. „Es gibt allerdings noch einen anderen Grund, und den kennst du. Ohne dich hätte ich Callie nie getroffen. Durch dich habe ich mein Glück gefunden. Ich liebe dich, Ann. Wir beide lieben dich. Wenn du uns die Flugnummer und die Ankunftszeit mitteilst, holen wir dich ab.“

Inzwischen strömten ihr die Tränen über die Wangen. „Ich liebe euch auch. Danke, Nicco. Bis bald.“

Die Jahrmarktsatmosphäre weckte so viele Kindheitserinnerungen in Riley, dass es ihm schwer fiel, nicht an eine Zeitreise zu glauben. Vor seiner Abreise aus Los Angeles hatte er den genauen Aufenthaltsort von Riminis Wanderzirkus ausfindig gemacht. Da die Schausteller in der zweiten Septemberhälfte in Rom gastierten, hatte er einen Flug dorthin gebucht.

Dieser Teil war leicht gewesen. Weitaus schwieriger würde es sein, Mitra aufzuspüren.

Der Zirkus, in dem Rileys Vater fast fünfzehn Jahre lang aufgetreten war, hatte einen neuen Direktor. Obwohl einige der alten Artisten noch dabei waren, schien keiner zu wissen, was aus der Zigeunerin geworden war, die einst mit ihnen gereist war und den Leuten aus Teeblättern die Zukunft vorhergesagt hatte.

Mitra hatte allerdings noch weitaus mehr als das getan. Sie war für Riley eine Ersatzmutter gewesen, ohne dass es ihm damals bewusst geworden war.

Endlich erfuhr er, dass ein anderer Zigeuner mit einer Bärennummer ins Programm aufgenommen worden war. Er ging zum Wohnwagen des älteren Mannes und sprach ihn auf Romani an und brach so das Eis.

Mitra hatte den Zirkus vor einem Jahr verlassen, um sich ihrer Sippe in Perugia, nördlich von Rom, anzuschließen. Der Zigeuner hatte keine Ahnung, ob sie noch lebte.

Nachdem er sich für die Informationen bedankt hatte, brach Riley in die idyllische Stadt am Tiber auf, in der er seine erste Schulbildung erhalten hatte. Das verdankte er allein Mitra, die erkannt hatte, dass sein Vater wieder trank, nachdem seine dritte Frau ihn verlassen hatte.

Obwohl Mitra die Schule mied, hatte sie erklärt, Riley sei ein Gadja, ein Außenseiter, und Gadjas gehörten ins Klassenzimmer.

Nun begriff er, warum sie ausgerechnet diese Stadt gewählt hatte. Vor vielen Jahren waren ihre Vorfahren in die alte etruskische Siedlung gekommen, aus der sich Perugia entwickelt hatte. Die Menschen, die Riley beherbergt und beköstigt hatten, während sein Vater mit seiner Sucht gekämpft hatte, waren Mitglieder von Mitras weit verzweigter Familie gewesen.

Anfangs hatte er sich gegen die Schule gesträubt und war mehrfach in ernste Schwierigkeiten geraten. Im Nachhinein erkannte er jedoch, dass sie ihm einen enormen Gefallen erwiesen hatte. Er hatte Geschichte und Mathematik gelernt – und natürlich auch fließend Italienisch.

Ohne Geld hätte er allerdings nichts von alldem erreicht, und sein Vater hatte keines. Demnach hatte ein anderer für seinen Lebensunterhalt gesorgt, vermutlich unter erheblichen persönlichen Opfern. Nur ein Mensch hatte Riley genug geliebt, um das zu tun.

Als er seine alten Lieblingsplätze besuchte, erkannte ihn einer der Männer wieder und wies ihm den Weg zu Mitras Wohnung. Erfreut, dass sie noch lebte, klopfte er an ihre Tür.

„Wer ist da?“, rief eine tiefe Stimme auf Romani.

Er antwortete in der gleichen Sprache. „Dein Gadja-Kind.“

Gleich darauf öffnete Mitra die Tür. Sie war eine mittelgroße Frau von Ende siebzig. Um das inzwischen ergraute Haar hatte sie wie einst einen dunkelroten Schal gewunden, aber ihre dunklen Augen funkelten so lebhaft wie immer. Sie betrachtete ihn mit jener Eindringlichkeit, die ihm früher stets ein schlechtes Gewissen verursacht hatte.

„Du …“, wisperte sie, als würde sie einen Geist sehen.

Riley lächelte. „Du erinnerst dich also.“ Er reichte ihr einen Strauß Lavendelblüten, die er mitgebracht hatte.

Sie presste sie an die Brust. „Wer könnte je ein so schönes Gesicht vergessen? Jetzt bist du ein schöner Mann.“ Mit der freien Hand berührte sie seine Wange, wo die Haut verpflanzt worden war. „Ich habe dich in den Teeblättern gesehen. Ich sah Feuer. Das Leben war schwer für dich.“

„Mein Vater ist letztes Jahr gestoben.“

Sie nickte. „Ich weiß. Komm herein.“

Trotz der bescheidenen Einrichtung wirkte ihr Heim behaglich. Sie hatte das Wohnzimmer in dem gleichen lebhaften Rotton dekoriert, den sie auch in ihrem Wohnwagen bevorzugt hatte.

„Setz dich.“

Riley gehorchte, während sie die Blumen in eine Vase auf dem kleinen Esstisch stellte. Dann sank sie auf den handbemalten schwarzen Schaukelstuhl, den er einst als Kind bewundert hatte. „Warum besuchst du nach all der Zeit eine alte Frau?“

„Eigentlich wollte ich viel früher kommen, aber die Umstände haben es verhindert.“

„Das Leben mit deinem Vater hat dir einiges abverlangt.“

„Lass uns nicht über mich reden. Du siehst gut aus.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Du warst schon immer ein guter Lügner. Siehst du dort das Foto von uns? Damals habe ich mich gut gefühlt.“

Riley blickte zu dem gerahmten Bild auf dem Regal hinüber. Als die Aufnahme gemacht wurde, war er sechs Jahre alt gewesen, und Mitra hatte schwarzes Haar gehabt. Bei dem Gedanken, dass sie das Foto aufbewahrt hatte, wurde ihm die Kehle eng.

„Ich habe für dich vom zweiten bis zum siebzehnten Lebensjahr gesorgt. Dann hat dein Vater beim Zirkus gekündigt und dich mitgenommen. Er hätte dich bei mir lassen sollen.“

Ihre Worte verrieten, welchen Verlust es für Mitra bedeutet hatte, die nie verheiratet gewesen war und eigene Kinder gehabt hatte.

„Mein Vater brauchte mich und war eifersüchtig auf meine Beziehung zu dir. Aber auch wenn er mich Tausende von Meilen fortgebracht hat, habe ich dich stets vermisst. Hast du die Karten bekommen, die ich dir an den Zirkus geschickt habe?“

Sie wies auf einen lackierten schwarzen Korb neben dem Foto. Riley stand auf und warf einen Blick hinein. Offenbar hatte sie alle aufgehoben.

„Warum hast du nicht einen deiner Verwandten gebeten, für dich zu antworten? Ich habe regelmäßig eine Adresse genannt, unter der du mich hättest erreichen können.“

„Ich wollte deinem Vater keine neuen Gründe liefern, dir das Leben schwer zu machen.“

Mitra hatte alles verstanden.

„Wenn er nicht getrunken hat, war er ganz in Ordnung.“

„Du hattest Besseres verdient“, erwiderte sie mürrisch.

Riley atmete tief durch, bevor er einen Umschlag aus der Jackentasche nahm. In dem Kuvert befanden sich fünftausend Euro. Er legte es neben das Bild.

„Was ist das?“

Er schaute sie an. „Ich weiß, was du getan hast. Die Mutterliebe, die du mir geschenkt hast, kann man mit Geld nicht bezahlen. Es ist ein kleiner Beweis meiner Zuneigung für dich.“

Genau wie Schwester Francesca wandte sie den Kopf ab, um ihre Gefühle zu verbergen. Ob disziplinierte Nonne oder unerschütterliche Zigeunerin, die Herzen beider Frauen waren größer als ihre Körper. Und Riley war der Glückliche, dem ihre Güte zuteil geworden war.

„Du hast einmal gesagt, dass du dir nur eines wünschst, und zwar täglich frische Lavendelblüten für deinen tsara. Diese Wohnung ist nicht so aufregend wie der Zigeunerwagen, in dem ich gespielt habe. Es fehlen Blumen. Jetzt kannst du dir so viele kaufen, wie du möchtest.“

Nach langem Schweigen blickte sie ihn ernst an. „Du bist in großer Eile und schlägst einen Weg ein, der noch gefährlicher ist als der vorherige.“

Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Hast du auch meinen Tod in den Teeblättern gelesen?“

„Ohne eine Frau in deinem Leben bist du hier bereits tot!“ Sie schlug sich mit der Faust auf die Brust.

„Es hat viele Frauen für mich gegeben.“

„Meinst du, das wüsste ich nicht? Aber es waren stets die falschen für meinen Gadja.“

„Mit einer Ausnahme“, protestierte er. „Leider stellte sich heraus, dass sie mich nicht wollte.“

„Heißt das, sie hatte zu viel Selbstachtung, um sich deinetwegen wie eine streunende Katze mit einer anderen zu streiten? Kluges Mädchen!“

„Ein fairer Kampf hat durchaus etwas für sich.“ Er lächelte viel sagend.

„Lach nur. Vergiss nicht, dass ich diejenige war, die dich aus dem schmutzigen Gefängnis holen musste, nachdem die Polizei euch drei eingesperrt hatte.“

„Ich konnte mich stets auf dich verlassen, Mitra. Es gab eigentlich nur ein Problem: Du warst zu alt für mich, sonst hätte ich dich geheiratet“, neckte er sie.

Sie machte eine abwehrende Geste. „Du hast dich noch immer nicht von deiner Vergangenheit befreit. Geh!“

Mitra meinte stets, was sie sagte. Es hatte sich nichts an ihr geändert, außer dass sie seit der letzten Begegnung zwölf Jahre älter geworden war. Er neigte leicht den Kopf. „Ich gehe, aber ich kehre zurück.“

„Komm nicht wieder – es sei denn, du hast die Nachrichten, die ich hören will.“

Riley wurde ernst. „Das ist leider der einzige Wunsch, den ich dir möglicherweise nicht erfüllen kann.“

2. KAPITEL

Seit Anns letztem Besuch in Turin hatte sich einiges verändert. So spannte sich beispielsweise ein neues Schild zwischen den beiden Torpfosten vor dem bewaldeten Anwesen, auf dem Callie mit ihrem Mann lebte und arbeitete.

„Valentino Tier- und Vogelgehege“.

Weiter unten an einem der Pfeiler war eine weitere Hinweistafel angebracht. Auf Italienisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch hieß es dort:

Dieses Gehege ist für die Öffentlichkeit von Montag bis Samstag zwischen 7.00 Uhr früh bis 7.00 abends geöffnet. Bleiben Sie auf den ausgeschilderten Wegen. Berühren oder füttern Sie nicht die Tiere.

Bitte bringen Sie alle ausgesetzten Tiere oder Vögel, die krank oder verletzt sind, zu uns ins Hospital. Die Klinik ist durchgehend geöffnet.

Bei ihrer Ankunft am Vorabend hatte Ann – wie stets nach langen Flügen – unter heftiger Migräne gelitten und war sofort ins Bett gegangen. Heute Nachmittag fühlte sie sich jedoch viel besser und schob die zehn Wochen alte Anna in ihrem Kinderwagen durch den Park. Chloe, die Mopsdame ihrer Schwester, und Niccos Boxer Valentino hatten sich ihnen angeschlossen.

Die vier bummelten den Privatweg auf der Rückseite des kleinen Barockpalais entlang, der zu einem bewachten Tor an der Straße führte. Von dort aus umrundeten sie das Grundstück, bis sie zum öffentlichen Eingang gelangten. Den Schildern folgend, steuerte Ann auf das im achtzehnten Jahrhundert gebaute Jagdhaus des einstigen Fürstensitzes zu. Es war in ein Hospital mit Stallungen und Gehegen verwandelt worden. Ihre Schwester war hier als Tierärztin tätig.

Sobald einer der Patienten besonderer Pflege bedurfte, brachte Callie ihn im Westflügel des Palastes unter. Nicco hatte dort einige Räume in behagliche Boxen unterteilen lassen, in denen die kranken oder verletzten Geschöpfe bequem versorgt werden konnten.

Callie bemühte sich rührend um jedes Tier und jeden Vogel. Sobald sie genesen waren, wurden sie in dem weitläufigen Reservat freigelassen, das Prinz Enzo, Niccos jüngerer Bruder und Erbe des Hauses Tescotti der Allgemeinheit gestiftet hatte. Das Gelände mit mächtigen alten Bäumen, dichtem Strauchwerk und kristallklaren Teichen war für ein solches Projekt wie geschaffen.

Obwohl D. L. sie wegen ihrer Bereitschaft verspottet hatte, alles zu tun, um von einem Talentsucher entdeckt zu werden, bedauerte Ann nicht im Mindesten, an der Wer-will-einen-Prinzen-heiraten?-Gala teilgenommen zu haben.

Wegen eines plötzlichen Notfalls hatte sie ihre Schwester bitten müssen, an ihrer Stelle nach Italien zu reisen, und am Ende hatte Callie den ältesten Tescotti-Sohn geheiratet, der bereits vor Jahren auf alle Titel verzichtet hatte, um ein normales Leben zu führen. Callie und Nicco waren nun ein überirdisch glückliches, berufstätiges Ehepaar mit einer süßen Tochter und zwei verhätschelten Hunden.

Ann wünschte sich das gleiche Glück. Nachdem sie den vergangenen Abend mit ihnen verbracht hatte, war ihr klar geworden, dass sie sich von Colin trennen musste. Er besaß zwar viele Vorzüge, aber das Feuer war einfach nicht vorhanden. Es wäre grausam, die Beziehung fortzusetzen. Um ihrer beider willen war es Zeit, die Sache zu beenden.

Nur ein Mann hatte ihr bislang das Gefühl vermittelt, in Flammen zu stehen, und das allein durch einen Blick aus silbergrauen Augen. Allerdings gehörte er zu den Männern, die das Verlangen jeder Frau weckten. Sie hatte instinktiv erkannt, dass ein Schürzenjäger nicht zum Ehemann taugte.

Ann mochte in ihrem Leben viele Fehler gemacht haben, aber sich mit einem leibhaftigen Don Juan einzulassen gehörte nicht dazu. Gott sei Dank!

Sie blieb stehen und überlegte, wie sie Colin möglichst schmerzlos den Laufpass geben könnte. Valentino nutzte die Gelegenheit und lief voraus. Er wusste genau, wo er seine Herrin finden würde. Chloe folgte ihm wie immer auf Schritt und Tritt.

„Komm, Anna, wir müssen uns beeilen, wenn wir die beiden einholen wollen.“

Auf halbem Weg zum Jagdhaus bemerkte sie einen dunklen Kopf, der um den dicken Stamm einer Kastanie spähte. Er gehörte einem ungefähr elfjährigen Jungen mit dunklem Teint und schwarzen Locken. Der Kleine wirkte viel zu mager für das alte weiße T-Shirt und die weite Hose. Seine ernsten dunklen Augen waren fast zu groß für das schmale Gesicht.

„Buon Giorno“, rief Ann in ihrem besten Italienisch.

Seit der Hochzeit ihrer Schwester hatte sie in ihrer Freizeit Sprachunterricht genommen. Wenn Callie bereits nach so kurzer Zeit fließend Italienisch sprach, wollte sie das ebenfalls können.

Bevor sie den Jungen erreichte, war er in der anderen Richtung weggerannt und verschwunden. Als sie zu Anna zurückkehren wollte, entdeckte sie am Fuß des Baumstamms einen kleinen schwarzen Deckelkorb.

Neugierig hob sie ihn hoch und öffnete die Klappe, um hineinzuschauen. Soweit sie es erkennen konnte, lag darin ein Eichhörnchenbaby. Es verhielt sich jedoch so reglos, dass sie nicht beurteilen konnte, ob es lebte oder nicht.

War der Junge allein zur Klinik gekommen, in der Hoffnung, dass jemand es retten könnte? Suchend blickte sie sich um. Außer Vogelgezwitscher und umhersummende Insekten gab es weit und breit jedoch kein Lebenszeichen. Mit dem Korb unter dem Arm ging sie zurück zum Kinderwagen und schob ihn zur Klinik.

Statt durch den Haupteingang ins Wartezimmer zu gehen, benutzte sie die Seitentür fürs Personal. Dahinter gelangte man durch einen Flur ins Sprechzimmer.

„Da seid ihr ja“, begrüßte sie die Hunde, die bereits ungeduldig auf Einlass warteten.

Die Schwingtür zum Behandlungsraum hatte ein Fenster. Durch die Scheibe sah Ann Callie am Waschbecken stehen. Sie klopfte gegen das Glas.

Als ihre Schwester sie erblickte, kam sie lächelnd heraus. „All meine Lieblinge!“ Sie kraulte die Hunde hinter den Ohren und küsste ihr schlafendes Baby. Dann hob sie den Kopf und schaute Ann an. „Was hast du da unter dem Arm?“

Mit einer kurzen Bemerkung über den Jungen reichte sie ihrer Schwester den Korb. „Offenbar war er zu schüchtern, um selbst in die Klinik zu kommen. Hoffentlich ist es nicht zu spät für das Eichhörnchen.“

„Ich werde es gleich untersuchen.“

„Während du dich darum kümmerst, gehen wir nach Hause, und ich bereite das Dinner vor. Sagtest du nicht, dass Hühnchen im Kühlschrank sei?“

„Ja. Nicco liebt es gebraten mit Karotten und Kartoffeln.“

„Moms altes Rezept?“

Callie nickte.

„Das ist schnell erledigt.“

„Steck Anna in die Babywippe, damit sie dir zusehen kann. Ich müsste rechtzeitig zu Hause sein, um sie zu füttern.“

Nachdem Ann die Klinik verlassen hatte, schob sie den Kinderwagen zum Palais zurück. Die Hunde rannten voraus. Kurz vor den Stufen zum Westflügel meinte sie, eine Bewegung wahrzunehmen. Sie ahnte, dass der Junge ihnen gefolgt war. Vermutlich hatte er beobachtet, wie sie den Korb zum Hospital gebracht hatte.

Sie verspürte einen leichten Stich im Herzen. Das Eichhörnchen konnte nicht sein Haustier sein, dazu war es noch zu jung. Zweifellos träumte er davon, es großzuziehen, bis es ihm überallhin folgte.

Durch Callie hatte sie gelernt, dass Menschen Bindungen zu allen möglichen Wildtieren wie Leguanen oder Springmäusen entwickelten. Ein Eichhörnchen war bei weitem nicht so abwegig, insbesondere nicht für einen Jungen, der im Wald spielte.

Da Ann und Callie auf einer Farm aufgewachsen waren, hatten sie von Küken bis zu Kälbern und Fohlen alles gehabt. Aber sobald mit einem Jungtier etwas nicht stimmte, hatte Callie es heilen wollen.

Ann war in dieser Hinsicht eher zimperlich. Am liebsten verbrachte sie ihre Zeit mit dem Hund in ihrem Zimmer. Dort spielte sie ihm kleine Szenen vor, die sie sich selbst ausgedacht hatte. Er war ein besseres Publikum als jeder Mensch, denn er saß andächtig da und verfolgte schwanzwedelnd jede ihrer Bewegungen.

Guter alter Jasper. Zuerst war er gestorben, dann ihr Dad und schließlich ihre Mom. Das Zuhause, das sie und ihre Schwester so geliebt hatten, war verloren.

Seufzend betrat sie mit Anna das Gebäude und machte sich an die Vorbereitungen fürs Abendessen. Dabei wurde ihr schmerzlich bewusst, dass dies Callies Zuhause war, Callies und Niccos. Sie, Ann, musste sich endlich ein eigenes schaffen.

Das Problem war nur, die richtigen Bestandteile zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammenzubringen – und das war ihr bislang nicht gelungen. Vielleicht würde es nie passieren.

Mit jedem Tag rückte ihr dreißigster Geburtstag näher, in ihrem Leben gab es keinen Mann, den sie sich als Vater ihrer Kinder wünschte, und ihre kurze Karriere war ernstlich gefährdet – kurz, sie, Ann, musste unbedingt etwas an ihrer Situation ändern.

Wenn sie sparsam war, konnte sie noch drei Jahre von der Gage ihres letzten Films leben. Damit hatte sie Zeit, sich einen Job zu suchen. Vielleicht konnte sie unterrichten, ihren Abschluss in Englisch und ihre Schauspielerfahrung nutzen.

Gleich morgen früh wollte sie sich an den Computer in Callies Büro setzen, um sich im Internet zu informieren.

In einem Vorort von Turin fand Riley einen Gebäudekomplex, in dem sich auch die Danelli-Fabrik befinden musste. Er war sich dessen jedoch nicht sicher, bis er den Namenszug auf der Glastür des Haupthauses las.

Die Tore waren verschlossen, und der Parkplatz wirkte verlassen. Das wunderte ihn nicht. Es war nachmittags und zehn nach fünf Uhr. Eigentlich hatte er früher hier sein wollen, aber nachdem seine Maschine aus Rom gelandet war, hatte er lange auf den Mietwagen warten müssen. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich ein Hotel zu suchen und am Morgen zurückzukommen.

Er kehrte zum Auto zurück und fuhr ziellos auf dem Gelände umher, in der Hoffnung, einen Arbeiter oder Nachtwächter zu treffen, der ihm sagen könnte, wann die günstigste Zeit wäre, um mit dem Besitzer zu sprechen.

Luca Danelli stand nicht im Telefonbuch. Riley hatte nur den Namen der Firma und eine Nummer gefunden, unter der sich ein Anrufbeantworter meldete. Natürlich hätte er eine Nachricht hinterlassen und darauf vertrauen können, dass tatsächlich jemand zurückrufen würde. Für das, was Riley im Sinn hatte, brauchte er jedoch ein Gegenüber.

Enttäuscht, weil ihm niemand begegnet war, wollte er das Areal auf dem gleichen Weg verlassen, den er gekommen war. In diesem Moment sah er etwas Rotes in der Nähe aufleuchten und trat auf die Bremse.

Ein großer muskulöser Mann in schwarzem Helm, Handschuhen und Lederjacke schob soeben ein Motorrad aus einer Tür, die als „privat“ gekennzeichnet war. Riley traute seinen Augen kaum, als er die feuerrote Maschine erblickte. Es war eine NT-1, jenes Rennmodell, das sämtliche Rekorde gebrochen hatte, wenn man den Berichten in dem Magazin glauben durfte, das Bart ihm gegeben hatte.

Riley stellte den Motor ab, nahm die „International Motorcycle World“ vom Beifahrersitz und stieg aus.

Der Mann mit dem Helm hatte ihn entdeckt und klappte das Visier hoch. „Die Fabrik ist geschlossen. Was kann ich für Sie tun, Signore?“ Sein Italienisch und seine Haltung verrieten eine außergewöhnlich gute Erziehung.

Rileys Neugier war geweckt. Wer immer dieser Mann sein mochte, er strahlte unerschütterliche Selbstsicherheit aus. Jemanden wie ihn hatte Riley noch nie getroffen. Er spürte instinktiv, dass sein Gegenüber gefährliche Situationen schätzte und stets als Sieger daraus hervorging.

„Mein Name ist Riley Garrow“, erklärte er in fließendem Italienisch. „Ich bin soeben aus den Staaten eingetroffen und wollte mich bei Signore Danelli nach einem Job erkundigen. Ich bin direkt vom Flughafen hergekommen, weil ich hoffte, er würde noch arbeiten.“

„Bedaure, aber die Danellis haben ihn vor einer Woche beerdigt.“ Der Kummer in der Stimme des Fremden verriet, dass die beiden Männer einander sehr nahe gestanden hatten.

Rileys Zuversicht verschwand. „Das wusste ich nicht. In den Nachrichten wurde nichts darüber gemeldet.“

„Die Familie hat die Medien gebeten, Stillschweigen zu wahren, bis der einzige Sohn, der bei einem Flugzeugabsturz verletzt wurde, sich erholt hat und mit der Wahrheit konfrontiert werden kann.“

„Das tut mir leid für die Angehörigen – und für mich.“ Riley seufzte. „Ich wollte schon seit Jahren den Mann kennen lernen, dessen Genie wir die Stradas verdanken. Mein Vater hat mich auf einer Danelli das Fahren gelehrt. Er hat sich bis zu seinem Tod geweigert, auf eine andere Maschine zu steigen, und den Tag verflucht, als die Produktion eingestellt wurde.“ Er deutete auf das Magazin. „Als ich las, dass Signore Danelli in Turin eine neue Fabrik eröffnet hat, bin ich in Los Angeles ins nächste Flugzeug gestiegen.“

Der andere Mann sah ihn prüfend an. „Wer war Ihr Vater?“

„Sie kennen ihn nicht. Sein Name war Rocky Garrow.“

„Rocky … wie ‚die menschliche Rakete‘?“

„Sie haben von ihm gehört?“, fragte Riley verblüfft.

„Natürlich. Ihr Familienname kam mir gleich bekannt vor. Wenn ich nicht irre, war Ihr Vater der Star im Rimini-Wanderzirkus, der in jedem Frühjahr in Turin gastierte. Als Junge konnte ich es kaum erwarten, seine Motorrad-Stunts über all die Fässer zu erleben. In seinem glänzenden silberfarbenen Anzug glich er tatsächlich einer Rakete.“

Riley lächelte wehmütig. Er hatte diesen Anzug zusammen mit den anderen Kostümen Bart zur Aufbewahrung überlassen. „Als ich alt genug war, um zu erkennen, dass er nicht unsterblich ist, habe ich ihn nicht mehr sehen wollen.“ Es gab so vieles, was er nicht hatte sehen wollen …

„Das verstehe ich. Er ist im vergangenen Jahr bei einem Stunt über den Iguassú-Fällen in Brasilien tödlich verunglückt, nicht wahr? Mein aufrichtiges Beileid. Er war zum Teil der Grund, weshalb ich mich überhaupt in Motorräder verliebt habe.“

Bei dieser Eröffnung verspürte Riley eine sonderbare Bindung zu diesem Mann. Er konnte kaum glauben, dass dieser Mann die Auftritte seines Vaters verfolgt hatte. Der Fremde schien in den Dreißigern zu sein, nur ein paar Jahre älter als Riley. Er hatte als Junge im Publikum gesessen, während Riley besorgt hinter der Zeltklappe gehofft hatte, sein Vater möge den nächsten Sprung überleben.

„Seine Zeit war abgelaufen. Er starb auf seiner alten Danelli, während er das tat, was ihn allein glücklich machen konnte.“

„Wenn wir uns nur alle so von dieser Welt verabschieden könnten. Es ist mir ein Vergnügen, den Sohn des Mannes zu treffen, der mir die aufregendsten Momente meiner Jugend beschert hat. Ich bin Nicco Tescotti.“ Er streifte den Handschuh ab und schüttelte Riley die Hand.

Nicco Tescotti?

„Dem Artikel zufolge sind Sie der Geschäftsführer. Ich schätze, seit dem Tod von Signore Danelli haben Sie in der Firma das Sagen. Es war mir eine Ehre, aber ein schlechter Zeitpunkt für Sie, da Sie eine so schwere Verantwortung tragen. Bitte, verzeihen Sie die Störung.“ Er wandte sich zum Gehen.

„Fahren Sie genauso gut wie Ihr Vater?“

Riley drehte sich um. „Besser.“

Sie lächelten einander an.

„Haben Sie schon zu Abend gegessen?“

„Wieso?“ Riley war viel zu aufgeregt, um an Hunger zu denken.

„Ich bespreche wichtige Geschäfte gern bei einem guten Essen. Falls Sie also keine anderen Pläne haben, folgen Sie mir am besten nach Hause. Dort können wir in Ruhe reden.“

„Ich möchte nicht stören.“

„Keine Sorge. Meine Frau liebt Motorräder genauso sehr wie Sie und ich.“

Riley meinte zu träumen. „Das klingt nach einer bemerkenswerten Frau, aber vielleicht mag sie nicht überrascht werden.“

„Meistens überrascht sie mich.“

„Inwiefern?“

„Sie ist Tierärztin. Wenn ich nach Hause komme, hat sie häufig ein Tierbaby aus der Klinik mitgebracht, das wir die ganze Nacht pflegen müssen. Und dann wäre da noch unsere Tochter Anna, sie ist zweieinhalb Monate. Bei Morgengrauen verlangt sie lautstark nach ihrem Frühstück und weckt damit die Hunde. Ich fürchte, wir führen keine besonders konventionelle Ehe.“ Er stieg auf die Maschine. „Aber mir gefällt es“, fügte er so nachdrücklich hinzu, dass Riley erkannte, wie glücklich Nicco Tescotti war. „Sollten wir getrennt werden, fragen Sie einfach nach dem ‚Valentino Tier- und Vogelgehege‘. Der Wachmann am Tor wird Ihnen den Weg weisen.“ Nachdem er den Motor gestartet hatte, klappte er das Visier herunter.

Riley lief zu seinem Mietwagen. Er erkannte einen Rennprofi, wenn er einen sah. Obwohl sie nicht auf der Bahn waren, steuerte dieser das Motorrad mit einer solchen Präzision und Sicherheit, wie es nur eine Hand voll Spitzenleute vermochten.

Dass Riley ausgerechnet dem neuen Chef des Unternehmens über den Weg gelaufen war, der ihn dann auch noch zu einem Bewerbungsgespräch nach Hause eingeladen hatte, war ein schier unglaublicher Glücksfall. „Beten Sie weiter, Schwester“, flüsterte er, während er Nicco folgte.

Sie fuhren am Fluss entlang in die Stadt. Nach mehreren Meilen – sie hatten gerade eine üppige Parklandschaft hinter sich gelassen – bremste Nicco ab und blinkte, bevor er in eine Privatstraße einbog, an deren Tor ein Wachposten stand. Riley tat es ihm nach, und der Mann nickte ihm zu.

Hinter der dichten Hecke umfing ihn eine seltsam feierliche Atmosphäre wie in einer Kathedrale. Zwischen hohen Bäumen und Sträuchern wand sich der Pfad tiefer und tiefer durchs Unterholz. Riley traute seinen Augen kaum, als er hinter dem dichten Blattwerk einen kleinen Barockpalast erspähte.

Nicco hielt vor dem Eingang zum Westflügel an, wo bereits einige Wagen parkten. Er stieg vom Motorrad.

Hier lebte er also?

Als Riley den Mietwagen verließ, kamen zwei Hunde angerannt, um ihren Herrn zu begrüßen. Ein rehbrauner Boxer mit weißen Pfoten sprang an Nicco hoch. Der andere Hund war ein Mops. Er hielt sich in einiger Entfernung und kläffte wie wild, bis Nicco den Helm abnahm und ähnlich schwarzes Haar wie Riley enthüllte. Dann erst stürmte der Mops auf ihn zu.

Nicco stimmte in Rileys Lachen ein, während er beide Tiere hinter den Ohren kraulte. Riley ging zu ihnen.

„Der große Junge hier heißt Valentino. Strecken Sie die Hand aus, und er gibt Ihnen fünf.“

Riley kauerte sich auf die Fersen und folgte Niccos Aufforderung. Der Boxer hatte beinahe etwas Menschliches, als er die Pfote gegen Rileys Hand schlug. Beide Männer lachten noch lauter.

Der Mops umkreiste Riley weiter mit aufgeregtem Gebell.

„Chloe hingegen ist eine eigenwillige Lady, die meinen Helm hasst und Fremden misstraut. Nach einer Weile wird Sie Ihnen vielleicht erlauben, ihr den Kopf zu tätscheln, aber wetten würde ich nicht darauf.“

Inzwischen war dem Mops die Luft knapp geworden, und er hatte sich hechelnd gesetzt. In seiner Jugend hatte Riley oft mit streunenden Hunden Freundschaft geschlossen. Einem Impuls folgend, legte er die Hand auf den Boden und begann, die Finger in Richtung der Mopsdame krabbeln zu lassen.

Sie stieß einen erschrockenen Laut aus, dann sank sie auf den Bauch und kroch auf ihn zu. Riley machte weiter, bis die flache Hundeschnauze seine Finger berührte. Chloe stupste ihn mehrmals an, bevor sie sich einladend auf den Rücken drehte.

Triumphierend streichelte ihr Riley den Bauch. Dabei bemerkte er, dass ihr an beiden Vorderpfoten jeweils eine Zehe fehlte.

„Der Mann mit dem gewissen Etwas“, meinte Nicco bewundernd. „Chloe gehört meiner Frau. Schade, dass sie es nicht mit ansehen kann.“

„Ich sehe es, und kann es dennoch nicht glauben“, ertönte in diesem Moment eine Frauenstimme.

Riley hob den Kopf – und erlebte den Schock seines Lebens, als er in die hinreißenden grünen Augen der einzigen Frau blickte, die ihm je einen Korb gegeben hatte. Sein verletzter Stolz hatte es nie verwunden, dass sie ihn ohne Zögern oder ein Wort der Entschuldigung zurückgewiesen hatte.

Annabelle Lassiter stand wirklich und leibhaftig vor ihm! Sie war ihm vor knapp einem Jahr bei den Dreharbeiten zu Cory Sieverts letztem Kassenschlager begegnet. Damals war keine Rede davon gewesen, dass die atemberaubende Blondine verheiratet wäre.

Was, zum Teufel, war hier los?

Nicco hatte erwähnt, dass seine Frau Tierärztin sei, Motorräder liebe und sie eine gemeinsame fast drei Monate alte Tochter namens Anna hätten. Demzufolge musste sie bereits schwanger gewesen sein, als sie Riley vor der gesamten Filmcrew zum Narren gemacht hatte. Die peinliche Erfahrung schmerzte noch immer.

Hatte sie Tiermedizin studiert, bevor sie ins Schauspielfach gewechselt war? Wie und wo hatte sie Nicco Tescotti kennengelernt? Ausgerechnet den Mann, dem Riley sich so verbunden fühlte? Warum lebten sie auf diesem fürstlichen Anwesen?

Von den widersprüchlichsten Emotionen überwältigt – ganz zu schweigen von den unbeantworteten Fragen –, stand er auf.

„Riley Garrow, darf ich Ihnen meine Frau …“

„Wir sind uns bereits begegnet“, warf er ein.

„So?“ Sichtlich verwirrt schmiegte sie sich an ihren Mann.

Ärger erfasste Riley.

Sie gab vor, sich nicht mehr an den Zwischenfall im Studio zu erinnern, aber er wusste es besser. Zwischen ihnen hatte eine starke Anziehungskraft geherrscht, eine Art Zauber, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Sie hatte es ebenfalls gespürt und es nicht verbergen können, trotzdem hatte sie nicht ihren Gefühlen entsprechend gehandelt.

Wäre er nicht durch die Explosion während eines anderen Drehs im Krankenhaus gelandet, hätte er einen Weg gefunden, sie wieder zu treffen und zu erobern. Damals hatte er geglaubt, sie hätte nur deshalb so reagiert, weil ihre Empfindungen sie erschreckt hätten. Wenn sie auch nur annähernd das Gleiche gefühlt hatte wie er, wäre das verständlich. Auch sie hatte seine Welt auf den Kopf gestellt.

Falls sie damals mit Niccos Kind schwanger gewesen war, erklärte dies ihre Furcht. Warum, verdammt, hatte sie ihm nicht rundheraus erklärt, dass sie mit einem anderen Mann zusammenlebte oder gar verheiratet war?

Dieser Tag steckte voller Überraschungen, sowohl guten als auch schlechten. Momentan brillierte sie als Schauspielerin. Sie sprach sogar ein ganz ordentliches Italienisch. Zweifellos hoffte sie, er möge es nicht auf eine offene Konfrontation ankommen lassen.

Aus Rücksicht auf ihren Ehemann beschloss Riley, auf das Spiel einzugehen, bis sich ihm eine Gelegenheit bot, sie zur Rede zu stellen. „Wenn Sie mich nicht wiedererkennen, habe ich mich wohl geirrt. Mit Ihrem Zopf erinnern Sie mich jedoch an jemanden, dem ich einmal begegnet bin.“

Am Set hatte sie keinen Zopf getragen. Das lange Haar war ihr offen über den Rücken gefallen, hatte das Sonnenlicht reflektiert und ihm den Atem geraubt.

„Wäre es möglich, dass Sie an die Frau auf der Titelseite der ‚International Motorcycle World‘ denken?“, erkundigte Nicco sich.

„Natürlich – die verrückte Tierärztin aus Prunedale!“

„Meine F...

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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