Wedding Girls - Vier Freundinnen. Drei Hochzeiten. Zwei Geheimnisse. - 5-teilige Serie

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Vier Freundinnen. Drei Hochzeiten. Zwei Geheimnisse. Und eine unvergessliche Nacht!

GLAUB AN MICH UND MEINE LIEBE
Amber glaubt an die Liebe. Bis heute gehört ihr Herz Parker Robinson, dem Helden ihrer Kindertage. Und auf einmal ist er wieder da: sexy und aufregend wie eh und je, aber auch genauso bindungslos und zynisch

SAG DOCH EINFACH NOCH MAL JA!
"Überrascht, mich zu sehen?" Gerade noch hat Reese sich verzückt in ihrem perlenbestickten Brautkleid vorm Spiegel gedreht, da taucht plötzlich ihr Exmann Mason auf. Reese ist fassungslos. Warum ist er hier? Was will er nach zehn Jahren von ihr? Und wieso ausgerechnet jetzt, so kurz vor ihrer Hochzeit? Nicht genug, dass Mason noch immer verboten gut aussieht, mit ihm sind auch sofort all die Gefühle von damals wieder da: Wut, Kummer - und diese verzehrende Leidenschaft, stärker denn je. Und auf einmal steht Reese vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens.

HOLST DU MIR DIE STERNE VOM HIMMEL?
Heiraten? Nichts für Cassie! Sie hat sich ganz ihrer Karriere als Astronomin verschrieben und ist für keinerlei romantische Träumereien zu haben. Doch dann wird sie auf einer Party von Samuel Tucker zum Tanz aufgefordert - und ihr Leben steht Kopf! Eigentlich ist ein sexy Footballer wie er ja gar nicht ihr Typ! Aber als sie eng an seinen muskulösen Körper geschmiegt übers Parkett gleitet, den Kopf an seine breite Schulter gelehnt, fühlt sie sich plötzlich wie berauscht. Und zum allerersten Mal im Leben verzehrt sie sich danach, dass ein Mann ihr die Sterne vom Himmel holt.

(K)EIN MANN ZUM HEIRATEN?
Es war die wildeste Nacht ihres Lebens! Gina hat die aufregenden Stunden mit dem sexy Geschäftsmann Carter Price nie vergessen. Als sie ihn jetzt Jahre später überraschend wiedertrifft, knistert es erneut heiß. Und obwohl Gina sonst vorsichtig ist, nimmt sie spontan die Einladung in Carters Hotelsuite an. Denn was kann besser dieses sinnliche Feuer löschen, das noch immer in ihr brennt, als Sex? Schließlich weiß sie diesmal, auf wen sie sich einlässt! Hauptsache, sie verwechselt Leidenschaft kein zweites Mal mit Liebe. Denn dafür ist Carter nicht der Richtige, oder?

EINMAL LIEBE UND ZURÜCK?
Marnie sucht ein Abenteuer - prickelnd und gewagt! Etwas, das ihr der seriöse New Yorker Anwalt Dylan Brookes garantiert nicht bieten kann. Als sie ihn jetzt bei einer Hochzeitsfeier trifft, behauptet er doch tatsächlich: "Leidenschaft wird oft überbewertet." Nur warum küsst er sie schon kurz darauf so wild und verlangend, dass ihr der Atem stockt? Ehe Marnie sich versieht, steckt sie mitten in einer ungeahnt heißen Affäre. Doch kaum will sie mehr als nur unverbindlichen Sex, macht ausgerechnet der sonst so verbindliche Dylan plötzlich einen Rückzieher …


  • Erscheinungstag 16.03.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776947
  • Seitenanzahl 629
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Aimee Carson, Amy Andrews, Heidi Rice, Kimberly Lang

Wedding Girls - Vier Freundinnen. Drei Hochzeiten. Zwei Geheimnisse. - 5-teilige Serie

Aimee Carson

Glaub an mich und meine Liebe

IMPRESSUM

JULIA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: 040/60 09 09-361
Fax: 040/60 09 09-469
E-Mail: info@cora.de

© 2013 by Aimee Carson
Originaltitel: „The Wedding Dress Diaries“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN HEAT
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 377 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: SAS

Fotos: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733706272

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“, fragte die Brünette mit der beeindruckenden Oberweite den Mann in dem schicken Restaurant in Manhattan.

Amber hätte sich fast den Hals verrenkt, als sie den Typen am anderen Ende des Tresens erblickte.

Parker Robinson.

Blinzelnd verarbeitete Amber den Anblick erst einmal, der Geräuschpegel von Reeses Verlobungsparty blendete sich plötzlich vollständig aus.

Als Parker nicht reagierte, wiederholte die Barfrau ihre Frage. „Kann ich Ihnen vielleicht einen Drink bringen?“

Endlich hatte sie Parkers Aufmerksamkeit geweckt, und jäh erschien ein sexy Lächeln auf seinen Lippen, so schnell, wie ein Revolverheld seinen Colt aus dem Halter zog. Vermutlich war er sich dessen nicht einmal bewusst, es war mehr ein Reflex, so wie andere Leute „Ja, bitte“ oder „Nein, danke“ sagten oder eine Entschuldigung murmelten, wenn sie jemanden unabsichtlich abrempelten.

„Nun … sicher können Sie das“, antwortete er.

Die Brünette warf sich in die Brust, offensichtlich sehr zufrieden über das Lächeln, und Amber musste sich zusammennehmen, um nicht die Augen zu verdrehen. Reese hatte also nicht übertrieben. Seit der Pubertät schien sich nicht viel an der Einstellung ihres Halbbruders gegenüber Frauen geändert zu haben. Dieses Grinsen hatte sie oft genug gesehen, und sie wusste, was es mit dem weiblichen Geschlecht anstellte. Die Frauen mochten Parker, und er wusste es.

Ein maßloses Selbstbewusstsein, das bei Parker Robinson aber irgendwie eher süß wirkte als wütend machte.

Sein in der Teenagerzeit sonnengebleichtes Haar war nachgedunkelt und jetzt eher hellbraun, mit einigen goldenen Strähnen wie Souvenirs aus der Kindheit. Noch immer stand es ihm wirr in alle Richtungen ab, ein Lausbuben-Look, der bestens zu ihm passte. Es reizte, an den Strähnen zu zupfen, und vor Jahren hatte Amber genau das tun wollen … ihn beim Schopf packen und für einen Kuss an sich ziehen. Wie oft hatte sie sich vorgestellt, er würde ihr das Küssen beibringen! Nun, sein Haar hatte sich vielleicht nicht verändert, sein Gesicht aber schon. Die Jahre hatten markante Züge herausgearbeitet, Wangenknochen und Kinn waren jetzt schärfer, männlicher. Er vereinte Jugend und Männlichkeit mit einer beneidenswerten Mühelosigkeit, und die Kombination des frechen Bengels im Körper des Mannes war unwiderstehlich.

Ihre Blicke trafen sich über den Tresen hinweg, und Ambers Magen ging auf Talfahrt. An den leuchtend grünen Augen hatte die Zeit nichts geändert. Mit hämmerndem Puls wurde ihr zu spät bewusst, dass sie ihn anstarrte und er sie dabei ertappt hatte.

„Sind Sie eine Freundin von Reese?“, fragte er.

Amber war stolz auf sich, dass sie nicht laut herausprustete. Schon erstaunlich. Von sieben bis zwölf hatte sie jeden Sommer mit diesem Typen in den Hamptons verbracht, hatte von acht bis fünfzehn für ihn geschwärmt, und er … er erinnerte sich nicht einmal an sie. Allerdings musste sie zu seiner Verteidigung wohl anführen, dass sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, als sie in der sechsten Klasse gewesen war.

In Jeans und einer Lederjacke von der Farbe zerlassener Butter, nahm Parker sein Glas auf und kam zu ihr herüber, mit einer geschmeidigen Lässigkeit, von der die meisten nur träumen konnten. Bei Parker, dem Teenager, war es auffallend gewesen.

Bei Parker, dem Mann, war es atemberaubend.

Er setzte sich auf den Barhocker neben ihr und stützte den Ellbogen auf den Tresen. Räusperte sich und sah mit leicht gebeugtem Kopf von unten in ihr Gesicht – vermutlich ein völlig entsetztes Gesicht –, so als frage er sich, ob sie vielleicht etwas beschränkt war, da sie überhaupt nicht reagierte.

Nun, Parker so nah neben sich sitzen zu haben, hatte ihren Verstand auch ausgeschaltet.

„Sind Sie eine Freundin von Reese und Dylan?“, wiederholte er seine Frage.

Seit fünfzehn Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und jetzt saß er nah genug neben ihr, dass sie ihn berühren könnte. Amber nahm das Glas auf und nippte an ihrem Wein. Sie konnte nur hoffen, dass sie gelassener aussah, als sie sich fühlte, und nickte knapp. „Ich kenne Reese schon eine halbe Ewigkeit.“ Dich auch. „Warum sollte ich sonst auf ihrer Verlobungsparty sein, wenn ich sie nicht kenne?“

„Sie könnten sich ja auch eingeschlichen haben, um sich gratis an Getränken und Büfett gütlich zu halten.“

Irgendwie war es surreal, dieses Gespräch mit ihrem Jungmädchenschwarm zu führen, der sie nicht erkannte. Und sie war froh darüber.

„Ist das der Grund für Ihre Anwesenheit?“, fragte sie lächelnd. „Das kostenlose Büfett?“

Parker schnaubte bitter. „Wäre es doch nur so.“

Er wollte nicht hier sein, das war offensichtlich und passte zu dem, was Reese Amber erzählt hatte. Der Mann wollte nichts mit der Michaels-Familie zu tun haben. Sie konnte es ihm auch nicht verübeln. Aber seit Beginn der Verlobungsvorbereitungen war seine Halbschwester fest entschlossen, ihn wieder zurückzuholen, zwar nicht unbedingt in den Schoß der Familie, aber zumindest in Reichweite.

Jetzt legte er den Kopf schief, studierte sie mit fast kindlicher Neugier. „Kennen wir uns?“, fragte er, und Amber blieb das Herz stehen. „Ich bin mir fast sicher, dass wir uns schon mal getroffen haben.“

Nachdenklich schürzte er die Lippen. Amber wünschte, sie hätte keine so genaue Erinnerung an seinen Mund. Das mussten die umwerfendsten Lippen der Welt sein. Voll. Sinnlich. Wie geschaffen zum Küssen. Ziemlich ausgebufft, dass einer Zwölfjährigen so etwas aufgefallen war, oder?

Sie kostete es aus, Parker gegenüber endlich einmal im Vorteil zu sein, und lächelte ihn an. „Möglich.“

„Ein Name wäre sicher hilfreich.“

Als Erwiderung ließ Amber nur ein nachdenkliches „Hmm“ hören, als müsse sie ernsthaft überlegen, ob sie ihm ihren Namen sagen wollte. Und plötzlich wurde ihr klar, dass das erste Treffen mit Parker, vor dem ihr so gegraust hatte, eigentlich richtig Spaß machte. „Das wäre doch viel zu einfach.“

Parkers Lächeln jagte ihren Puls in die Höhe. „Also gut.“ Seine Augen blitzten, als er sich für ein längeres Gespräch bequemer hinsetzte. „Ich habe den Köder geschluckt.“

Gott, sie wünschte, es wäre so.

„Kenne ich Sie über die Arbeit?“

Amber musste sich das Grinsen verkneifen. „Vielleicht.“ Das Lachen war dennoch in ihrer Stimme zu hören. „Zuerst habe ich als Schneiderin gearbeitet, aber inzwischen führe ich meinen eigenen Brautmodenladen.“

Er zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. Seine Grimasse brachte sie zum Lachen. Parker Robinson war offensichtlich beleidigt über die Unterstellung, er könnte etwas mit Brautmoden zu tun haben. „Also, auf jeden Fall nicht durch Ihre Arbeit. Vielleicht durch meine?“

Sie stellte sich ahnungslos und fragte: „Was tun Sie denn?“

Er kniff die Augen zusammen. „Ich gehöre zur Mordkommission beim 57. Revier. Haben Sie vielleicht schon mal eine Zeugenaussage bei mir gemacht?“

„Vielleicht wurde ich ja in einem Mordfall verdächtigt.“ Sie hielt ihre Stimme so neutral wie möglich.

Er verdrehte die Augen, brummte „Ja, klar“, und plötzlich wurde Amber sentimental. Sie erinnerte sich noch aus ihrer Kindheit an diesen Gesichtsausdruck, und ein kleiner Teil von ihr freute sich, dass Parker sich scheinbar nicht zu sehr verändert hatte.

„Sehe ich zu unschuldig aus?“, fragte sie.

„Nein“, antwortete er unverblümt. „Aber ich erinnere mich an alle meine Spezis.“ Seine Züge wurden hart, er lachte trocken. „Und doch, irgendwie sehen Sie dafür zu sanftmütig aus. Trotzdem …“ Er nahm einen Schluck von seinem Drink, setzte das Glas dann wieder vorsichtig ab, und sein Tonfall wurde distanziert. „Glauben Sie mir, niemand ist so unschuldig, wie er aussieht.“

Der wache grüne Blick lag wieder auf ihr. Aufmerksam. Interessiert. „Haben wir vielleicht die gleiche Schule besucht?“

Wortlos schüttelte sie den Kopf.

„Oder sind wir uns auf einer Party begegnet?“

Sie genoss es, dass seine Neugier noch immer nicht befriedigt war, und nippte an ihrem Wein. „Raten Sie ruhig weiter.“

Nachdenklich verengte er die Augen. „Ich bin mir sicher, dass wir nicht miteinander geschlafen haben“, redete er weiter und schickte ihren Magen damit bis in die Kniekehlen.

Nur in ihren Teenagerträumen.

„Sie sind attraktiv, aber definitiv nicht mein Typ.“

„Für welchen Typ halten Sie mich denn?“

Er ließ den Blick langsam und gründlich über sie wandern, entfachte damit Hitze an Stellen, die normalerweise … nun, an denen normalerweise keine Hitze zu spüren war. Ihr Kleid war schlicht-elegant, auf jeden Fall nichts Verführerisches oder zu Freizügiges. Nichts, das signalisieren würde „Ich bin zu haben“.

Ironisch hob er eine Augenbraue. „Sie haben einen Brautmodenladen, demnach glauben Sie an die Institution Ehe.“

„Sie etwa nicht?“ Sie betonte es als Frage, obwohl sie die Antwort kannte.

Und wie erwartet kam ein bitteres Schnauben über die wunderschönen Lippen. „Nein, ganz bestimmt nicht.“

Das konnte sie ihm nicht verübeln. Denn sie erinnerte sich noch gut an den Tag, als sie ihn unten bei den Docks gefunden hatte, am Boden zerstört von den Worten seiner Mutter.

Du warst ein Fehler.

Amber war mit der Gewissheit aufgewachsen, dass ihre Eltern sich innig liebten, genau wie sie sie innig geliebt hatten. Ihr Vater war gestorben, als sie noch ein Kind gewesen war, und ihre Mutter hatte nie wieder geheiratet, weil sie über den Verlust des geliebten Mannes nie hinweggekommen war. Außerdem verdiente Amber sich ihren Lebensunterhalt damit, indem sie mit jedem Tag, mit jeder Kundin bewies, dass die Liebe existierte.

Parker jedoch …

Nun, Parkers Erfahrungen standen in krassem Kontrast dazu. Der Junge, der Amber den ersten Einblick in die romantische – wenn auch unerwiderte – Liebe gegeben hatte, war zu einem Mann herangewachsen, der nur Spott und Häme für die Liebe übrig hatte.

„Hochzeiten sind Ihr Geschäft, da müssen Sie an die Ehe glauben“, meinte er.

„Und daraus folgern Sie, dass ich nicht Ihr Typ bin? Wegen des Kleids, das ich trage, und wegen der Art, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene?“

Er lehnte sich ein wenig zurück und musterte sie, und als er wieder sprach, fehlte der spöttisch-provozierende Ton, doch seine Augen schienen ihr bis in die Seele sehen zu können. „Nein, nicht deshalb.“ Er schüttelte den Kopf, seine Miene war nachdenklich. Zum ersten Mal sah er sie wirklich an, dann zuckte er mit den Schultern. „Es ist das Schimmern in Ihrem Blick. Sie glauben noch immer.“

Ihre Lungen hatten Mühe, ihren Dienst zu vollrichten. Glauben? Woran? An die Liebe?

An das Leben?

Der Gedanke verflüchtigte sich, als Parker näher rückte und der Duft seiner Lederjacke die Luft zwischen ihnen füllte.

„Ich komme nicht drauf, wer Sie sind.“ Sein Blick ließ sie nicht los. „Können Sie einem armen Mann nicht einen kleinen Tipp geben?“

„Na gut.“ Nachdem sie Parker, den Teenager, jahrelang angehimmelt hatte, wollte sie es möglichst lange auskosten, dass Parker, der Mann, sie wie eine begehrenswerte Frau ansah. „Sie haben einmal Ihren Mund auf meinen gepresst.“

„Faszinierend.“ Seine Stimme glitt wie Seide über ihre Haut. „Ich muss sagen, ich kann mich nur zu meinem Geschmack beglückwünschen.“

Seine funkelnden Augen fachten eine Glut an, die Amber längst gelöscht geglaubt hatte – jene Glut eines jungen Mädchens, das die ersten erotischen Reaktionen ihres Körpers erlebte, ohne das volle Ausmaß dessen, was sie fühlte, zu verstehen.

Das herausfordernde Lächeln hätte ausgereicht, um den Weihnachtsbaum am Rockefeller Center zu erhellen. „Habe ich es bis zur zweiten Base geschafft?“

Ihr Lächeln wirkte gezwungen, weil sie sich zusammennehmen musste. „Nein, leider nur bis zur ersten.“

Technisch gesehen auch nur die halbe Strecke bis zur ersten Base, aber sie hatte zu viel Spaß daran, ihn zappeln zu lassen, bevor sie den genauen Hergang schilderte.

„Mit oder ohne Zunge?“

„Ohne.“

„Da habe ich wohl was verpasst“, sagte er und ließ die Lippen leicht offen stehen, als hätte er vor, das Verpasste nachzuholen.

Amber sah seine Zungenspitze. Der Anblick jagte Adrenalin durch ihre Adern. Die feinen Härchen an ihren Armen richteten sich auf, ihre Wangen begannen zu brennen. „Was erste Küsse anbelangt, hätte es sehr viel besser sein können“, fügte sie noch an.

Vor allem hätte es ein echter Kuss sein können.

Parkers beleidigte Miene war regelrecht komisch. „Es hätte besser … Moment. Erster Kuss?“ Er musterte sie kritisch. „Das muss entweder eine Ewigkeit her sein, oder Sie verwechseln mich mit jemandem.“

„Nein, ich verwechsle Sie nicht.“ Da er sie inzwischen ansah, als würde er an ihrem Verstand zweifeln, beendete Amber das Spiel und lächelte ihn offen an. „Ich bin mehr oder weniger im Haus Ihrer Mutter aufgewachsen. Meine Mom war die persönliche Assistentin Ihrer Mutter“, klärte sie ihn auf. „Also im Grunde genommen ein hochtrabender Titel für das Mädchen für alles.“

Für zwei Sekunden blieb es still, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit – und Parker sah sie noch immer verständnislos an.

„Ich bin Amber Davis.“

„Amber Davis“, wiederholte er langsam, als müsse er den Namen aus einem Grab von Erinnerungen wieder hervorziehen. Als dann der Groschen endlich fiel, zuckte er zurück und reckte steif die Schultern. „Sie sind die, die fast ertrunken wäre!“

2. KAPITEL

Fünfzehn Jahre zuvor

The Hamptons, Long Island, New York

Schwimm, schwimm, schwimm …

Amber hielt die Augen fest auf das Dock gerichtet, in ihrem Kopf lief das Wort wie ein Mantra unablässig ab. Ihr Paddelbrett hatte sie längst aus den Augen verloren, die Strömung von Sag Harbor hatte es abgetrieben. Oh Mann, würde sie sich was anhören müssen!

Mom bringt mich um, wenn ich ertrinke.

Erneut wallte Panik in ihr auf. Wie sollte sie denn Parker heiraten können, wenn sie jetzt starb? Und das im stolzen Alter von zwölf. Mist, sie war ja noch nicht einmal geküsst worden! Sie hätte beim Flaschendrehen auf Nancy Krugers Party letzte Woche mitspielen sollen. Dann wäre sie bei Jimmy Stevens gelandet, besser bekannt als „Schlangenzunge“, aber dann müsste sie jetzt zumindest nicht mit jungfräulichen Lippen ertrinken.

Das langweilige Ende eines mickrig kurzen Lebens.

Bisher war alles langweilig gewesen, alles bis auf Parker.

Parker.

Was machte es schon, wenn er in der elften Klasse war und sie erst in der sechsten? Seit sie acht war, liebte sie ihn. Kurzfristig war er durch Justin Timberlake von ’N Sync ersetzt worden, aber natürlich war ihr klar, wie schlecht die Chancen dafür standen. Außerdem war Parker viel süßer. Sie wollte ihn so unbedingt heiraten, dass sie schon vor Ewigkeiten ihr Hochzeitskleid ausgesucht hatte.

Dumm, dumm, dumm …

Sich wegzuschleichen und dann die Rettungsweste zu vergessen. Aber sie wollte doch so unbedingt besser paddeln lernen. Um Parker zu beeindrucken. Letzten Sommer hatte er ihr beigebracht, wie man auf dem Brett stand und wendete. Aber in diesem Sommer war er mehr daran interessiert, Susie Frances zu küssen. Er half ihr auch nicht mehr dabei, Köder auf die Angelhaken zu spießen oder Krebse zu fangen.

Die Strömung hier war stark, und das blöde Dock entfernte sich immer weiter. Das Wasser war kalt, und mit jeder Minute drang die Kälte ihr tiefer in die Knochen, ganz gleich, wie tapfer Amber auch schwamm. Ihre Arme und Beine wurden immer schwerer, und das Zähneklappern ließ sich nicht mehr kontrollieren.

Ein Schluchzer stieg aus ihrer Kehle empor, aber sie wehrte sich gegen die Angst. Für einen Moment schloss sie die Augen.

Gib auf, gib auf, gib auf …

Das Denken war so anstrengend. Sie wusste, sie musste etwas tun, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, was. Schwimmen? Reese suchen?

„Amber!“

Es rüttelte sie wach, als sie ihren Namen hörte. Sie war dabei zu ertrinken. Oder war sie etwa schon im Himmel? Denn es war Parker, der nach ihr rief.

Die Stimme kam näher, der Tonfall klang immer aufgeregter. „Amber!“

Mit letzter Kraft wandte sie den Kopf und sah Parker auf sich zukommen. Er stand auf seinem Brett und paddelte wie wahnsinnig. Sie holte Luft, schluckte Wasser. Das Salz brannte in ihrer Kehle, sie hustete und würgte. Und dann ging sie unter. Das kalte Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen, und für einen Moment hörte sie auf zu kämpfen. Es war so friedlich und still, und es war schön, sich nicht mehr anstrengen zu müssen, um den Kopf über Wasser zu halten. Sie war so müde …

Leicht und sanft trieb sie dahin … bis ein Arm sich um ihren Oberkörper legte und sie hochzog. Nur vage nahm sie wahr, dass sie jetzt auf etwas Hartem lag, aber sie konnte sich nicht rühren. Es war noch zu anstrengend, überhaupt Atem zu holen.

Doch dann lagen plötzlich warme Lippen auf ihren, und Luft füllte ihre Lungen. Ein Hustenanfall schüttelte sie, sie drehte sich auf den Bauch und würgte einen Schwall Salzwasser hervor. Immer wieder verlor sie das Bewusstsein. In den Momenten, wenn die Ohnmacht kurz wich, merkte sie, dass Parker das Brett auf den Strand zulenkte, und dann spürte sie auch, dass er sie auf den Sand zog.

Jetzt begann das Zittern erst richtig. Wasser tropfte von Parkers Nase, als er sie an seine Brust zog, tiefe Falten standen auf seiner Stirn. Amber starrte benommen zu ihm auf, ihr Herz hämmerte wild, denn er hielt sie fest umarmt.

Sie blinzelte, ihr Kopf klärte sich … und dann traf es sie.

Parker hatte sie geküsst!

Ihr Herz flatterte wie ein Kolibri im Käfig. Na schön, er hatte wohl eher Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht, aber trotzdem …

Da lohnte sich das Ertrinken ja fast!

Nass sah sein blondes Haar braun aus, Sommersprossen zogen sich über seinen Nasenrücken, und dichte Wimpern umrahmten die hübschesten grünen Augen, die die Welt je gesehen hatte. Augen, die seltsame Dinge mit ihrem Magen anstellten, jedes Mal, wenn sie auf ihre trafen. Wenn er sie früher angesehen hatte, dann hatte Geduld in diesen Augen gestanden, und wenn sie wirklich Glück hatte, manchmal sogar ein wenig Zuneigung. Doch jetzt, da Parker älter geworden war, blickte er sie oft irritiert, ja fast ärgerlich an. Dabei war es doch nicht ihre Schuld, dass seine Mutter ihm aufgetragen hatte, auf sie und Reese aufzupassen, wenn Ambers Mom anderes zu tun hatte.

„Sag bloß nichts meiner Mom“, krächzte sie.

„Komm schon, Amber.“ Parker runzelte die Stirn. „Du wärst fast ertrunken.“

„Stimmt gar nicht.“

Er verdrehte die Augen in der für ihn typisch sarkastischen „Ja, klar“-Art. „Und wenn du krank wirst? Sie muss es wissen.“

Dann würde sie den ganzen Sommer Hausarrest bekommen. Schon seit Monaten freute sie sich auf die Ferien. Als Tochter von Mrs Michaels’ persönlicher Assistentin war Amber praktisch bei den Michaels aufgewachsen. Aber Parker besuchte seine Mutter nicht mehr in der Stadt, daher war der Sommer in den Hamptons die einzige Gelegenheit, zu der sie ihn noch zu sehen bekam.

Ihr Griff wurde fester, als sich die Panik anmeldete. „Wenn du es ihr sagst, dann … dann …“

Sie begann zu stottern, während sie krampfhaft nach einer wirkungsvollen Drohung suchte. Und dann schoss ihr etwas in den Kopf – die Erinnerung daran, wie sie bei den Docks zufällig auf Parker getroffen war, mit rot geränderten Augen und verdächtig schnüffelnd. Er hatte sie angeblafft – natürlich! –, sich übers Gesicht gewischt und ihr befohlen, sich zu verziehen. Und wie jedes Mal, wenn sie diesen Ausdruck in seinem Gesicht sah, hatte sich ihr Herz vor Mitgefühl und Schmerz zusammengezogen. Denn die einzige Person auf dieser Welt, die Parker so traurig machen konnte, war seine Mutter. Es war lange her, seit Amber ihn das letzte Mal so gesehen hatte. In letzter Zeit wurde er eher wütend.

Sie richtete sich auf. „Ich sage Susie Frances, dass ich dich gesehen habe, wie du wie ein kleines Baby heulst.“

Seine Augen blitzten auf. „Ich habe nicht geheult. Mir ist Salzwasser in die Augen gekommen, mehr nicht.“

Beide wussten, dass es gelogen war. Amber konzentrierte sich darauf, nicht wegzusehen, denn das hier war wirklich wichtig.

„Abgemacht“, sagte er schließlich und hielt ihr gleich darauf den Zeigefinger vors Gesicht. „Aber dafür hörst du damit auf, mir ständig nachzuspionieren.“

Es war ihm also aufgefallen. Plötzlich wünschte sie, die Strömung hätte sie auf den Meeresboden gezogen. „Abgemacht“, ahmte sie ihn nach. Doch dann verließ die Courage sie. „Ob wir das Brett noch finden?“, fragte sie kleinlaut.

Parker fuhr sich mit der Hand durchs Haar, machte es noch wirrer als sonst. „Das Brett kannst du vergessen.“

Das alles war so absolut unfair. Amber sah aufs Wasser hinaus und blinzelte angestrengt die Tränen zurück. Parker sollte sie nicht heulen sehen. Sie wischte sich mit der Hand über die Augen und schnüffelte. Außerdem bibberte sie vor Kälte. Als sie das Rascheln von Stoff hinter sich hörte, drehte sie sich wieder zu Parker um.

Er hatte sein Kapuzenshirt ausgezogen und stülpte es ihr über den Kopf. „Mach dir deshalb keine Gedanken, Ace“, brummte er.

Ihr wurde leicht ums Herz, weil er sich um sie kümmerte und sich Sorgen um sie machte. Und sie liebte den Spitznamen, den er ihr gegeben hatte. Sie schob die Arme in die nassen Ärmel und sog tief den Duft ein, der in dem Sweatshirt hing.

„Ich sag einfach, ich hab’s verloren.“ Der schöne Mund wurde schmal, seine Miene düster. „Meine Mom kann mich so oder so nicht ausstehen.“

Parker klammerte die Finger um sein Whiskeyglas.

Amber Davis.

Ihre Identität aufzudecken, war ein Schock für sein System. Sein Hirn wurde überflutet von Erinnerungen an seine Kindheit. Er bemühte sich, die schöne Frau zu ignorieren, die ihm als Mädchen auf Schritt und Tritt gefolgt war und andächtig bei jedem Wort an seinen Lippen gehangen hatte, die jede seiner Bewegung beobachtet hatte … und die ihn im Moment der schlimmsten Erniedrigung gesehen hatte.

Du warst ein Fehler.

Er kippte den restlichen Drink herunter und konzentrierte sich auf den Plan für heute Abend. Seiner Mutter aus dem Weg gehen, Reese absagen und dann nichts wie weg hier.

Amber sah ihn forschend an. „Erinnerst du dich noch, wie …“

Er ließ sie die Frage nicht zu Ende bringen. „Ja“, brummte er, ohne den Blick von dem leeren Glas in seiner Hand zu heben. „Ich erinnere mich.“

Die ganze Zeit über spürte er Ambers Blick auf sich, aber er brauchte einen Moment – mehrere –, um sich zu sammeln, bevor er die Frau wieder ansehen konnte, die ihn vor Jahren wie ein Baby hatte heulen sehen.

Dem Himmel sei Dank für Handys!

Parker sah auf die Nummer auf dem Display, als sein Handy vibrierte. Mit einem „Was gibt’s, Robby Boy?“, nahm er den Anruf an.

„Wieso bist du nicht in Rosies Bar?“

Nirgendwo wäre er jetzt lieber. Die Bar war der Treffpunkt für das 57. Revier. Er ließ den Blick über die eleganten Gäste in dem schicken Restaurant mit der Panoramaaussicht über ganz Manhattan gleiten. Der einzige Lichtblick war die hübsche Rothaarige, die viel zu süß und daher vollkommen verkehrt für ihn war. Doch einem kleinen Flirt hatte er nicht widerstehen können.

Und war das nicht ein kapitaler Fehler gewesen?

„Ich bin beschäftigt“, antwortete er seinem Partner und warf einen flüchtigen Blick auf Amber.

Schimmernde helle Haut, ein sinnlicher Mund und Augen von der gleichen Farbe wie Ahornsirup.

Sie war ein stilles Kind gewesen. Ein Lamm unter Wölfen im Michaels-Haushalt, das eindeutig an seinen Beschützerinstinkt appelliert hatte. Teilweise hatte es wohl daran gelegen, dass ihm eingedrillt worden war, auf Reese und Amber aufzupassen, wenn Ambers Mutter es nicht gerade tat. Außerdem hatte er selbst genau gewusst, wie es sich anfühlte, ein Außenseiter im Michaels-Haushalt zu sein.

Amber hatte sich zu einer Schönheit gemausert, doch die offene Unschuld, die sie als Kind gezeigt hatte, war ihr erhalten geblieben. Das sah er in ihrem Gesicht, in den ehrlichen Augen. Parker konnte sich nicht daran erinnern, wie es war, unschuldig zu sein.

Schon seit Langem glaubte er nicht mehr an Unschuld.

Die Augen jetzt auf Amber gerichtet, unterhielt er sich mit Rob am anderen Ende der Leitung. „Glaub mir, ich würde jetzt auch lieber ein Bier mit meinem Partner in Rosies Bar trinken, als hier in diesem schnieken Restaurant zu sitzen.“

„Dann setz dich in Bewegung und komm her.“

„Geht nicht, Robby Boy. Ich muss hier erst etwas erledigen.“

Eine lange Pause folgte, dann fragte Rob: „Das hat doch nicht mit dem Miller-Fall zu tun, oder?“

Parker hatte das Gefühl, gevierteilt zu werden „Nein, ich mache diesen Job schon lange genug. Mich kann nichts mehr schockieren.“

Sein Partner machte sich inzwischen Sorgen, dass der Fall ihn mitgenommen haben könnte, und glaubte, Parker würde langsam ausbrennen bei all dem Mist, mit dem sie sich Tag für Tag herumschlagen mussten. Parker jedoch beunruhigte es wesentlich mehr, dass es ihn nicht berührte. Der letzte Fall hatte eine so kranke Wendung genommen, wie es sich die meisten Menschen nicht einmal vorstellen konnten, und trotzdem hatte er nichts gefühlt. Absolut nichts, null, nada, niente.

Die Dunkelheit und Leere um sein Herz breiteten sich aus, und Parker weigerte sich zuzugeben, dass genau das ihn halb zu Tode ängstigte.

Am anderen Ende räusperte Rob sich. „Mir gefällt es auch nicht, dass unser Hauptverdächtiger ein Teenager ist, vor allem, da seine Eltern absolut unterste Schublade sind.“

Er schnaubte zustimmend. „Ja, manchmal kann Familie die Hölle sein.“

Bei seinen Worten zog Amber die Augenbrauen in die Höhe und runzelte die Stirn.

Parker verabschiedete sich von Rob und richtete sich dann mit einem Seufzer an sie. „Möchtest du einen Kommentar dazu abgeben?“

„Ich frage mich nur, ob du schon mit deiner Schwester gesprochen hast.“

„Ich hatte noch keine Gelegenheit dazu.“

„Du hast noch keine Gelegenheit dazu gesucht.“

Wie auf Kommando ertönte eine weibliche Stimme hinter ihm. Er drehte sich zu Reese um. In einem schwingenden Cocktailkleid, das blonde Haar zu einem eleganten Chignon gedreht, kam sie über das Parkett auf ihn zu.

„Benimm dich und sei nett“, wisperte Amber.

„Ich bin immer nett.“

Als Reese näher kam, ließ er das Handy in seine Tasche gleiten und wappnete sich für die bevorstehende Konfrontation. Denn Konfrontation schien die letzte Lösung zu sein, damit Reese ihn in Ruhe ließ. E-Mails hatten keine Wirkung gezeigt, Anrufe auch nicht. Scheinbar akzeptierte sie ein Nein nur, wenn es persönlich überbracht wurde.

Du weißt, wie man höflich ist.

Aber als Reese ihn umarmen wollte, bekam er tatsächlich Panik. Echte Panik! Als Meister der Ablenkung verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und schob eine Schulter vor. Glücklicherweise interpretierte Reese seine Körpersprache völlig richtig und gab ihr Vorhaben auf.

Er verzichtete lieber auf Zuneigungsbeweise in der Öffentlichkeit.

„Ich freue mich wirklich, dass du gekommen bist, Parker.“ Reese lächelte vorsichtig. „Ich hoffe, das heißt, dass du es dir wegen der Hochzeit noch einmal überlegt hast.“

Nur mit Mühe schaffte er es, nicht „Nein, wieso?“ zu knurren. Jetzt, da sie ihren angeblichen Traummann heiratete, war für Reese alles nur noch Friede, Freude, Eierkuchen. Ihr Beharren darauf, dass sie eine echte Familie wären, wurde immer massiver. Dabei lebten sie in der gleichen Stadt und hatten sich seit zig Jahren nicht mehr gesehen.

Zugegeben, das lag mehr an ihm, trotzdem …

„Ich bin nur gekommen, um persönlich mit dir zu reden“, sagte er.

„Und um alte Freunde wiederzusehen?“, erwiderte Reese und sah neugierig zu Amber. „Habt ihr schon einen Termin ausgemacht, wann Amber deine Maße für den Smoking nehmen kann?“

Parker musste seine Überraschung verbergen, als auch er zu Amber blickte. Sie studierte ihn unverblümt, und ein Prickeln lief über seinen Rücken. Amber soll meinen Smoking schneidern?

Verlockende Vorstellung, aber nicht genug, um ihm eine Zusage abzuringen.

„Komm schon, Reese.“ Er spielte den Diplomaten, obwohl er alles andere als ein Diplomat war. „Kannst du dir mich in einem solchen Aufzug vorstellen?“

Wie oft muss ich noch ablehnen? Er gehörte nicht zur Michaels-Familie, hatte sich dort nie willkommen gefühlt. Und mit zweiunddreißig würde er jetzt nicht damit anfangen, sich den Anschein zu geben.

„Wir wollen dich dabeihaben“, sagte Reese. „Du bist mein Bruder.“

„Halbbruder“, berichtigte er sofort, auch wenn er wusste, dass er sich unnötig gemein anhörte. „Mit Betonung auf dem ‚halb‘.“

Amber berührte kurz seine Hand und sah ihn vorwurfsvoll an. Die Warnung ignorierte er und konzentrierte sich stattdessen auf die sanfte Wärme ihrer Finger. Reese betrachtete ihn forschend, so als versuche sie noch immer, ihn zu verstehen. Dabei kannte sie ihn doch schon ewig.

Na, dann viel Erfolg. Er selbst versuchte es ja auch noch immer.

„Hör zu, ich bin glücklich, dass du glücklich bist und dass du und dein Verlobter den Bund für die Ewigkeit schließen wollt. Ich persönlich glaube zwar nicht an diese ganze Ehesache, aber soll ruhig jeder mit seiner eigenen Selbsttäuschung glücklich werden.“

„Parker“, sagte sie leise, und er hasste den besorgten Ausdruck in ihren Augen. „Liebe ist keine Selbsttäuschung.“

„So? Wenn ich mich recht entsinne“, er musterte seine Schwester, „hast du schon einen Versuch mit dem ‚Bis dass der Tod euch scheidet‘ hinter dir.“

Ambers Finger klammerten sich jetzt fest um sein Handgelenk, lösten damit einen Kurzschluss in seinem Kopf aus, was bewirkte, dass sein Hirn sich ganz andere Gründe ausdachte, weshalb sie sich so an ihn klammern könnte.

Nicht dein Typ, Robinson. Denk dran.

Unauffällig zog er seinen Arm zurück. „Wie hieß dein Ex noch? Mason, richtig?“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er seine Schwester an.

Zwar zog bei der Erwähnung ihres Exmanns ein Hauch Rot auf Reeses Wangen, aber sie ging nicht weiter darauf ein. „Gast auf einer Hochzeit zu sein, liefert nicht den Beweis, dass du die Institution Ehe unterstützt.“

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Ihm war gleich, ob es in alle Richtungen abstand. „Reese …“

„Bitte …“, sagte sie, ihre Miene das Bild der Ernsthaftigkeit. „Du gehörst zur Familie.“

Alles in ihm verspannte sich. Was ihn betraf, so hatte seine Familie an dem Tag aufgehört zu existieren, an dem sein Vater gestorben war. Seither war die Leere, die mit dem Du warst ein Fehler seiner Mutter begonnen hatte, über die Jahre immer ausufernder und tiefer geworden. Seit jenem Tag fühlte er sich völlig taub, wie abgestorben. Nichts berührte ihn mehr. Als würde ein schwarzes Loch alles langsam verschlingen.

Amber stellte sich um, und wie von allein wanderten seine Augen zu ihr. Sie rückte näher, bis ihre Schultern sich streiften. Eine irritierende Berührung. Dabei starrte sie ihn eindringlich an, warnte ihn mit dem Blick: Wage es nicht, ihr das Herz zu brechen.

Reese hatte es nicht verdient. Nicht wirklich.

Es hatte ihn Jahre gekostet, bis er zu dieser Einsicht gekommen war. Seine Schwester war nicht verantwortlich dafür, wie unterschiedlich ihre Mutter sie behandelt hatte. Dass Reese im Michaels-Haushalt immer die kostbare Prinzessin gewesen war, lag schließlich an den Eltern, nicht an ihr. Sie hatte nichts davon geahnt, sie war die über alles geliebte Tochter, umsorgt und verwöhnt von Mom und Dad. Und sollte es mit Kindern nicht auch genauso sein?

Doch Parker Robinson war kein Heuchler. Er würde ihr die Enttäuschung nicht ersparen können, dass er an ihrem großen Tag nicht kam.

„Ich habe es dir doch schon gesagt. Dylan wird sich einen anderen fünften Trauzeugen suchen müssen.“

Damit stand er auf und ging zu den Aufzügen.

„Er wird nie zusagen“, seufzte Reese.

Amber hasste es, die Freundin so enttäuscht zu sehen. Es war ihr wichtig, ihrer Freundin aus Kindheitstagen dabei zu helfen, ihr den großen Tag, von dem sie immer geträumt hatte, perfekt zu machen – einschließlich der Wiedervereinigung mit ihren drei Mitbewohnerinnen aus der Collegezeit. Sie hatte miterlebt, wie hart Reese darum gekämpft hatte, die Ehe mit Mason aufrechtzuerhalten, hatte gesehen, wie völlig am Boden zerstört sie gewesen war, als es zur Scheidung gekommen war. Es hatte ihr wehgetan, die Freundin so leiden zu sehen. Reese hatte es verdient, mit Dylan glücklich zu werden.

„Er wird schon noch Ja sagen“, setzte sie zuversichtlich an. „Weil er genau weiß, dass er dir wichtig ist.“

„Dir liegt auch viel an ihm.“ Reese musterte Amber wissend.

Ihr Magen zog sich zusammen. „Das ist schon lange her.“

„Und jetzt seid ihr beide erwachsen.“ Reeses Ton wurde bedeutungsschwanger.

Amber schüttelte nur den Kopf. „Jede, die sich mit Parker einlässt, ist selbst schuld und hat es nicht anders verdient.“ Sie sah zu dem Mann, der beim Aufzug wartete. „Außerdem jage ich den Kerlen nicht nach.“

„Nein“, Reese seufzte. „Du lehnst dich lässig zurück und siehst zu, wie das Leben an dir vorbeizieht.“

„Hey“, begehrte Amber auf. „Wenn es so weit ist, wird die Liebe schon kommen.“

Wenn sie dem Richtigen begegnete, würde sich alles von selbst ergeben. Und bis dahin würde sie anderen dabei helfen, den perfekten Tag zu planen.

„Vielleicht solltest du dich aktiver daran beteiligen, das zu bekommen, was du willst.“

„Hör zu, ich werde mit Parker über die Hochzeit reden“, wechselte Amber das Thema und umarmte die Freundin. „Geh du zu Dylan zurück und genieße die Party, einverstanden?“

Mit klopfendem Herzen ging Amber zu Parker. Aber mal ehrlich, wer war sie denn, dass sie Parker Robinson zu irgendetwas überreden wollte?

Die Lifttüren schlossen sich bereits wieder. Amber beschleunigte ihre Schritte und schlüpfte im letzten Moment noch zu Parker in die Aufzugskabine.

Spannung hing in der Luft, ließ die Kabine noch schrumpfen. Parker warf Amber einen Seitenblick zu.

„Hat Reese dich geschickt, damit du mir ins Gewissen redest?“

„Nein“, antwortete sie ehrlich. Sie musste vorsichtig taktieren, um das Gespräch überhaupt in Gang zu setzen. Zwei Minuten im Lift würden Jahre des Grolls nicht ausräumen können. „Ich hatte gehofft, du könntest mich nach Hause bringen.“

Verdutzt starrte er sie an. „Ist das jetzt eine Anmache?“ Verführerisch klang sein Ton keineswegs. Die Vorstellung schien ihn eher zu amüsieren.

Sie sah ihn angewidert an, obwohl sie gar nicht so angewidert war. Warum fand er die Idee so lustig? „Nein. Fährst du mich trotzdem nach Hause?“

„Wo wohnst du?“, fragte er.

„In einem Loft über meinem Laden. Gleich hinter der Manhattan Brigde.“

„Ich dachte, Reese kauft nur auf der Fifth Avenue ein.“

Vor Stolz schwoll ihr Herz auf. Die Hochzeit von Reese und Dylan war eines der gesellschaftlichen Ereignisse des Jahres. Die Michaels und die Brookes waren zwei der einflussreichsten Familien der Stadt. Dass Amber das Brautkleid für Reese entwarf und nähte, würde ihren Laden berühmt machen. Sie würde der Freundin ewig dankbar sein.

„Reese hat sich geändert“, sagte sie, als sie im Erdgeschoss aus dem Aufzug stiegen. Sie wusste das besser als jeder andere.

Sie durchquerten die Lobby, und Parker hielt die Tür für Amber auf. Sie trat in den geschäftigen New Yorker Abend. Passanten eilten vorbei, der Verkehr floss zügig. Es roch nach Regen.

„Ehrlich gesagt ist es mir gleich, ob sie sich geändert hat.“ Parker gab dem Pagen den Parkschein und sah dann kritisch zu Amber. „Ich bin nicht einmal sicher, ob diese Sache zwischen ihr und Dylan überhaupt echt ist.“

„Du bist einfach nur ein Zyniker, sobald es um Beziehungen geht“, erwiderte sie abschätzig. „Jeder kann sehen, dass sie das perfekte Paar sind.“

„So oder so … ich komme trotzdem nicht zur Hochzeit.“

Amber presste die Nägel in die Handballen. Sie war entschlossen, Parkers Meinung bis zum Ende der Fahrt zu ändern.

Ganz gleich, was auch immer dafür nötig sein mochte.

3. KAPITEL

„Was ist das denn?“, fragte Amber verblüfft, als der Page mit Parkers Wagen vorfuhr.

„Das …“, Parker lächelte stolz, „ist ein 1967 Ford Mustang Fastback mit acht Zylindern und einer Vierlitermaschine.“

Amber starrte ihn an.

„Das Baby ist stark und schnell und genauso knallhart wie ich“, fuhr er fort, weil er im Voraus ahnte, wie sie darauf reagieren würde. Ihm gefiel es nämlich, wenn sie die Augen verdrehte. Und er machte den Spaß, den er hatte, dafür verantwortlich, dass er den nächsten Satz nachschob. „Der Wagen gehörte meinem Vater.“

Prompt wandelte sich Verständnislosigkeit in Verstehen, und Parkers Brust zog sich zusammen. Das schwarze Loch drückte auf sein Herz.

Amber streckte den Arm aus, als wollte sie seine Hand berühren. „Tut mir leid, ich wusste nicht …“

„Nicht.“ Er wich zurück, ohne zu wissen, was er tat und woher der barsche Ton plötzlich kam. Er wusste nur, dass er nicht hören wollte, was sie als Nächstes sagen würde. Und er könnte es nicht ertragen, wenn sie ihm tröstend die Hand auf den Arm legen würde.

Sie stiegen ein, und Parker war dankbar, dass er sich aufs Fahren konzentrieren konnte. Es hatte sich eingeregnet. Konstanter Nieselregen fiel auf die Windschutzscheibe. Das rhythmische Quietschen der Scheibenwischer war der einzige Laut, der den Fond füllte. Das Schweigen war unangenehm und ließ die Fahrt länger erscheinen, als sie in Wirklichkeit war. Er war froh, als sie in die Gegend kamen, in der Amber wohnte, und er nach der Richtung fragen musste.

Als er in ihrer Straße parkte und den Motor abstellte, regnete es stärker. Er zog seine Jacke aus und warf sie auf den Rücksitz. Dabei bemerkte er, wie Amber auf seine Brust starrte. Dass ihm plötzlich scharfe Lust in die Lenden fuhr, überrumpelte ihn.

„Ich bringe dich noch bis zur Tür“, sagte er. Es war die Einleitung, um sich zu verabschieden.

„Nicht nötig. Wir müssen nicht beide nass werden.“ Sie drehte sich zu ihm. „Parker, wegen der Hochzeit …“

Sein Magen verkrampfte sich, er konnte nicht länger still sitzen, sprang regelrecht aus dem Wagen, kam ums Auto herum und zog die Beifahrertür auf. „Wir müssen noch ein Stück laufen.“

Hinter ihr warf Parker die Wagentür mit Wucht wieder zu.

Amber runzelte die Stirn. „Es ist doch nicht so weit, da können wir auch …“

Er nahm ihren Arm. „Wir sollten uns beeilen, bevor der Regen noch heftiger wird.“

Während er sie über den Bürgersteig führte, musterte er sie aus den Augenwinkeln. Sie hatte eine gute Figur, schlank, mit Kurven an den richtigen Stellen – wie gemacht, um das Interesse eines Mannes zu erregen.

„Parker“, jetzt klang sie ungeduldig, „wir sollten …“

Der Himmel öffnete seine Schleusen und schickte eine wahre Sintflut zur Erde. Beide spurteten los, dennoch lief ihnen das Wasser aus den Haaren, als sie unter der Markise ankamen. Parker drehte sich zu Amber und versuchte zu ignorieren, wie fantastisch sie aussah, wenn sie nass war.

„Das letzte Mal, als ich dich so durchweicht gesehen habe, hattest du gerade versucht, dich zu ertränken“, meinte er.

Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Parker kam ihr zuvor.

„Etwas wollte ich dich schon immer fragen.“ Echte Neugier stand in seinen Augen. „Hast du das damals alles nur inszeniert, damit ich Mund-zu-Mund-Beatmung bei dir mache?“

Schockierte Entrüstung blitzte in ihrer Miene auf. „Ich …“ Sie blinzelte, setzte erneut an. „Du …“

„Hey …“ Bisher hatte alles, was er sagte, sie mehr oder weniger mundtot gemacht, und das war gut so. So hatte er es auch geplant. „Du bist mir ständig nachgelaufen. Ich meine, ich konnte dich nie loswerden.“ Ein Lächeln zog auf seine Lippen, als eine Erinnerung zurückkehrte. „Du hast mich sogar beobachtet, als ich mit Susie Frances rumgemacht habe.“

„Ich hatte gar nicht vor, dir und Susie nachzuspionieren“, sagte sie.

„Belüg dich ruhig weiter. Davon kann dich keiner abhalten. Also, was ist? Hast du?“

Amber blinzelte. „Was?“

„Die Sache absichtlich inszeniert.“

„Du hast mich durchschaut“, gab sie ironisch zurück. „Und dass ich Salzwasser hochgewürgt habe, gehörte natürlich mit zu meinem perfiden Plan, dich zu verführen.“

„Komm schon, gib’s zu. Du hast dir doch nichts sehnlicher gewünscht als einen Kuss von mir. Du wolltest, dass ich dich zurückküsse. Das war echt peinlich, das kann ich dir sagen.“

Ihre Wangen waren hochrot. „Ich kann dir versichern, ich habe nicht geplant zu ertrinken, nur damit du deine Lippen auf meine presst. Und das war auch besser so, denn es wäre eine schreckliche Enttäuschung gewesen.“

„Du wiederholst dich.“

„Weil es stimmt.“

„Wirklich erstaunlich.“ Es zuckte um seine Lippen. „Da werden meine Fähigkeiten beim Küssen aufgrund eines einzelnen Falls von Mund-zu-Mund-Beatmung beurteilt … nachdem du versuchst hast, dich … nun, umzubringen.“

„Tut mir leid“, sie hob bedauernd die Schultern, „aber ich hatte ja keine Vergleichsmöglichkeiten.“

Am liebsten hätte Parker ihr diesen Ausdruck vom Gesicht geküsst. Ein Impuls, der nur von einem Anfall geistiger Umnachtung herrühren konnte. „Nun, in dem Fall“, er trat auf sie zu und hasste es, wie rau seine Stimme klang, „gibt es ein ganz simples Mittel, um das Problem zu beheben.“

Er fasste sie bei den Armen. Sie hatte eine Gänsehaut. Wegen des kalten Regens? Oder seinetwegen?

Eigentlich egal. Er würde es schnell hinter sich bringen, würde sie mit seiner Finesse überrumpeln und hoffentlich von den Füßen hauen. Oder zumindest die Erinnerung an diesen lächerlichen Zehn-Sekunden-Moment von Mund-zu-Mund-Beatmung durch die an einen Kuss ersetzen, der es wert war, beurteilt zu werden. Hier ging es schließlich um seinen Stolz.

Doch kaum berührten seine Lippen ihren Mund, da stieß sie einen Seufzer aus, der ihn völlig umwarf. Sie legte den Kopf in den Nacken und öffnete ihre Lippen unter seinen, als hätte sie den ganzen Abend genau darauf gewartet. Und er … er nahm die Einladung gern an und setzte sein ganzes Können ein.

Ihm stockte der Atem, als er ihren weichen Körper an seinem wahrnahm. Ohne wirklich zu wissen, was er tat, schob er die Hände in ihr Haar und drehte ihren Kopf leicht zur Seite, damit er besseren Zugang zu ihrem Mund hatte. Sie schmeckte so süß, genau wie Ahornsirup, an den ihn schon ihre Augen erinnert hatten.

Nur für einen Moment konnte er die Tatsache verdrängen, dass sie einfach zu süß schmeckte. Dass sie die Art Frau war, die mehr erwarten würde, als er zu geben hatte.

Und dass sie die eine Person auf der Welt war, die wusste, wie schwach er einmal gewesen war.

Der Gedanke traf ihn wie ein Blitz. Er wollte sich zurückziehen, doch ihre sanfte Hand an seinem Nacken ließ ihn nicht weit kommen. Er schaffte nur wenige Zentimeter Abstand, und noch immer spürte er ihren warmen Atem auf seinen feuchten Lippen.

Mit einer Pulsrate, die viel höher war, als es von einem simplen Kuss her möglich sein sollte, starrte er in ihre goldbraunen Augen. Und als sie mit den Lippen flüchtig und leicht über seine Lippen strich, da wusste Parker nicht, was er mit dem Moment anfangen sollte. Diese sachte, kaum spürbare Berührung hatte eine größere Wirkung auf ihn, als jede körperliche Vereinigung es haben könnte.

Eine seltsame Wärme kroch in seine Brust. Es war ein fremdes Gefühl, eines, mit dem er nicht umgehen konnte.

Süß. Zärtlich. Das war nichts für ihn. Nicht in seinen Beziehungen, nicht bei seiner Arbeit, nicht für sein Leben. Und doch konnte er sich aus einem unerfindlichen Grund nicht zurückziehen. Zwar kam keine Reaktion von ihm darauf, aber er konnte sich auch nicht rühren. Als wäre er irgend so ein blödes Reh, gefangen auf den Gleisen in den Lichtkegeln eines herandonnernden Güterzugs.

Als Amber sich endlich zurücklehnte, sah er, dass ihr Hals jetzt genauso rot war wie ihr Gesicht. Ihre Finger streichelten seinen Nacken, spielten mit seinem Haar und jagten ihm damit eine Gänsehaut über den Rücken. Eine verdammte Gänsehaut! Nicht zu fassen!

Um sie herum prasselte der Regen auf den Bürgersteig, strömte vom Vordach herunter und schloss sie ein in einen trockenen Kokon.

„Nun …“ Parker räusperte sich. „Ich würde behaupten, das Thema Kuss ist damit endgültig abgehandelt.“

Nur hatte sich damit eine ganz neue Grube voller Probleme aufgetan. Noch immer starrte er Amber an. Ein Tropfen löste sich aus ihrem Haar, lief über ihre Wange hinunter zu ihrem Mund, und er musste den Impuls bekämpfen, dem Weg des Tropfens nicht mit der Zunge zu folgen. Und als wäre seine Lust auf sie nicht schon schlimm genug, verlieh ihr die Strähne, die an ihrer Schläfe klebte, auch noch eine Verletzlichkeit, die noch viel größere Wirkung auf ihn hatte.

Er bräuchte nur die Hand auszustrecken, um ihr die nassen Haare aus der Stirn zu streichen. Nicht, dass er vorhatte, das zu tun – oder es etwa tun wollte.

Nein, nicht die Spur.

Verdammt.

„Du scheinst dir ja sehr sicher zu sein“, sagte sie jetzt leise.

„Bin ich.“

„Und nach meiner Meinung wird nicht gefragt?“

Schweigend hob er nur eine Augenbraue und wartete.

„Ja, das Thema ist definitiv abgehandelt“, meinte sie schließlich.

Ihr Lächeln weckte in ihm den überwältigenden Wunsch, sie noch einmal zu küssen.

Parker arbeitete in einer düsteren Welt, angefüllt mit Bitterkeit, Gewalt und Tod, und sie lebte in Helligkeit und Freude und glaubte an das „Für immer“. Er ertrug den Gedanken nicht, dass er das verderben würde. Denn das würde er. Jede Frau, die er verlassen hatte, war danach zynischer, hatte ein weiteres Stück Unschuld verloren und war nicht mehr so offen.

Amber würde er das nicht antun.

„Pass auf dich auf, Ace.“

Damit gab er sie frei, drehte sich um und ging hinaus in die Nacht und den Regen, bevor sie etwas sagen würde, das sie beide bereuten.

Konzentrier dich, konzentrier dich, konzentrier dich.

Amber hielt sich an ihrer Handtasche fest, während sie die Stufen zu Rosies Bar hinaufstieg. Sie hoffte, dass Parker hier sein würde. Nachdem sie ausgezogen war, um Parkers Meinung zur Hochzeit seiner Schwester zu ändern, und so glorreich von ihrer Mission abgelenkt worden war, hatte es sie drei Tage gekostet, um sich von dem Kuss zu erholen und genügend Mut zu sammeln, um Parker wieder unter die Augen zu treten.

Jetzt holte sie einmal tief Luft, stieß die Tür auf und stand inmitten des Chaos’ einer lauten Sportkneipe. Entschlossen wand sie sich ihren Weg durch die Menge und hielt nach Parker Ausschau.

Da! Sie entdeckte den braunen Schopf mit den goldenen Strähnen. In ausgewaschener Jeans, T-Shirt und Lederjacke saß Parker zusammen mit einem dunkelhaarigen Mann in blauer Kapitänsjacke und weißem Hemd, ohne Krawatte, an einem Tisch.

Als sie näher kam, bemerkte er sie. „Amber! Was machst du denn hier?“

Der Mann neben Parker sah ihn neugierig an, dann bot er Amber die Hand. „Rob Winston“, stellte er sich breit lächelnd vor. „Ignorieren Sie meinen Partner hier einfach“, riet er ihr mit dem typischen Südstaatensingsang. „Seine Mama hat nicht genug mit ihm geschmust, als er noch ein Kind war.“

Amber schockierten die Worte, doch Parker zeigte nicht die geringste Reaktion. Allerdings merkte sie an seinen versteinerten Zügen und der Tatsache, dass er sie nicht ansah, dass Rob nicht einmal ahnte, wie nah er der Wahrheit gekommen war.

„Jetzt werd mal nicht gleich hysterisch, Robin“, schnaubte Parker, auch wenn er scheinbar nicht verärgert war.

„Und du sei nicht immer so ein Miesepeter“, gab Rob gutmütig zurück.

Offenbar gehörte dieses Gefrotzel zwischen den beiden zur Tagesordnung.

„Also …“ Rob deutete auf den freien Stuhl, damit Amber sich setzen sollte, doch sie zögerte. „… jetzt erzählen Sie doch mal, woher Sie meinen Partner hier kennen.“

„Wir sind zusammen aufgewachsen“, antwortete sie.

Sofort war Robs Interesse geweckt. Er setzte sich gerader hin und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Ich wette, Sie könnten so einige Geschichten erzählen. Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns.“ Wieder winkte er zu dem Stuhl.

Lächelnd nahm sie die Einladung an, wobei sie allerdings ganz bewusst nicht zu Parker schaute. Robs freundliche Offenheit und Neugier erleichterten es ihr, nicht auf Parkers mürrisches Gesicht zu achten.

„Die Wette haben Sie schon gewonnen, Rob.“ Sie warf einen Seitenblick auf Parker, der sie jetzt durchdringend anstarrte. Die Hitze, die er damit in ihr entfachte, drang bis in ihr Innerstes und ließ ihre nächsten Worte leicht heiser klingen. „Ich wüsste da ein paar wirklich amüsante Episoden zu berichten …“

Parkers Blick jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

„War er schon immer so verdammt stur?“, fragte Rob.

Amber lächelte. „Auf jeden Fall.“

„Wenn der Mann sich einmal festgebissen hat ….“ Rob deutete mit dem Kopf auf seinen Partner. „Einmal hat er einen Verdächtigen über zehn Blocks verfolgt und ihn dann in der Gasse hinter einem Pfandhaus gestellt – und das, nachdem der Typ ihm einen Eimer rosaroter Farbe über den Kopf gestülpt hat.“

Als sie sich vorstellte, wie Parker über und über mit pinker Farbe beschmiert durch die Straßen sprintete, lachte Amber hell auf. „Mir hat er mal einen ganzen Sommer lang versucht beizubringen, wie man Krebse fängt.“ Ihre Lippen verzogen sich zerknirscht. „Ich hab jedes Mal entsetzt geschrien und immer wieder die Hände zurückgezogen, doch er hat geduldig und ganz ruhig auf mich eingeredet, bis ich es konnte.“

Und er war wie ein Wahnsinniger gepaddelt, um sie vor dem Ertrinken zu retten. Da hatte er auch nicht aufgegeben.

„Sie sollten einen Drink vor sich stehen haben – dann können wir in Ruhe Schlachtgeschichten austauschen. Sagen Sie, war er damals auch ein solcher Schürzenjäger?“

Verschwörerisch lehnte Amber sich vor, Parkers gerunzelte Stirn ignorierte sie. „Mit siebzehn hatte er drei Mädels gleichzeitig.“

„Daran erinnere ich mich gar nicht.“

Sie hielt den Blick starr auf Rob gerichtet, so als hätte sie Parkers Kommentar nicht gehört. „Leslie Campbell, Sharon Howell und Susie Frances.“ Sie hoffte nur, dass niemand nach dem Grund fragte, weshalb sie sich erinnerte und Parker nicht. „Einmal habe ich ihn sogar dabei erwischt, wie er …“

„Hey Leute“, Parker unterbrach sie, „ich sitze mit am Tisch.“ Er warf seinem Partner einen vernichtenden Blick zu. „Warum machst du dich nicht nützlich und gehst die Kellnerin suchen?“

„Ich …“ Rob sah ihn an, räusperte sich und lachte dann leise. Offensichtlich fand er Parkers Miene höchst amüsant. „… ich gehe besser die Kellnerin suchen.“ Er nickte Amber knapp zu. „Nett, Sie kennengelernt zu haben.“

Stumm lächelnd blickte sie ihm nach, wie er die Bar ansteuerte, und vermied es tunlichst, in Parkers Richtung zu sehen.

„Warum bist du hier, Amber?“

Um sich in eine bessere Ausgangsposition zu bringen, setzte sie sich auf. So, wie Parker sich da lässig auf dem Stuhl lümmelte, waren sie jetzt immerhin auf Augenhöhe. Unter dem Tisch stieß sie dabei gegen seinen Fuß, und ein Glitzern leuchtete in seinen Augen auf – was Amber in Erinnerung rief, wie gründlich er sie geküsst hatte. „Du weißt, warum ich hier bin.“

„Wir machen nicht da weiter, wo wir aufgehört haben.“

Bezog er sich jetzt damit auf den Kuss oder darauf, dass sie ihn überzeugen wollte, zur Hochzeit zu kommen?

Und warum wäre dann der erste Gedanke eine größere Enttäuschung?

Alle Überlegungen verflüchtigten sich, als er sich die Jacke auszog und sie hinter sich auf die Stuhllehne hängte. Fasziniert verfolgte Amber das Muskelspiel unter dem langärmeligen T-Shirt, das seine breite Brust und seine Muskeln so verlockend betonte. Vernünftig zu denken wurde immer anstrengender …

„Du musst im Laden vorbeikommen, damit ich Maß nehmen kann“, brachte sie immerhin hervor.

Parker ließ nur ein Knurren hören. „Ich komme nicht zu der Hochzeit.“

„Du musst.“

Sein Blick durchbohrte sie. „Müssen muss ich gar nichts.“

„Bitte, Parker.“ Amber wurde ernst. „Ich weiß, dir bedeutet es nichts, aber für Reese ist es wirklich wichtig.“

Sie merkte, wie er auf Distanz ging, als sie seine Schwester erwähnte, aber sie erkannte auch seinen inneren Konflikt. Er wollte kommen und wollte es auch wieder nicht. Plötzlich schien es unerlässlich, dass er das bisschen Familienzusammenhalt akzeptierte. Oder wenigstens den Zusammenhalt mit seiner Schwester. Wenn er das nicht tat, dann würde er nicht nur seiner Familie gegenüber Distanz wahren, sondern auch gegenüber dem Leben.

„Ich bin beschäftigt, Amber. Ich bin hier mit meinen Freunden zusammen.“

„Und darum lasse ich dich auch sofort in Ruhe, sobald du die Einladung annimmst und deine Schwester damit glücklich machst.“

Das Zucken um seine Mundwinkel war eher abfällig als amüsiert. Aber das hier war wirklich wichtig. Sogar noch wichtiger als eine Hochzeit.

Da er nicht nachgab, verschränkte Amber die Arme vor der Brust und wandte die gleiche Taktik an, die schon einmal gewirkt hatte, damals, als er sie vor dem Ertrinken gerettet hatte. „Wenn du die Einladung zu Reeses Hochzeit nicht annimmst“, sagte sie mit so übertrieben harmloser Miene, dass er genau wusste, was gleich kommen würde, „dann werde ich Robs Einladung annehmen.“

„Das würdest du nicht wagen.“

„Natürlich, warum denn nicht?“ Sie lächelte schmal. Sie beide wussten schließlich, dass sie genügend Geschichten erzählen konnte. Bei seinen Kollegen würde Parker nie wieder ein Bein auf den Boden bekommen. „Rob wird es bestimmt interessieren, dass du früher ’N Sync gehört hast.“

„Mit zwölf“, knurrte er entsetzt.

„Du warst aber schon siebzehn, als du dir von Susie Frances die Zehnägel hast lackieren lassen.“

„Das war ein Witz.“ Nervös sah er sich um, als würde ihm jetzt erst bewusst, dass sein Ruf auf dem Spiel stehen könnte. „Und außerdem“, das sexy Grinsen kehrte zurück, „… es hat sich gelohnt, ihr den Gefallen zu tun.“

Amber wollte wirklich nicht wissen, wie Susie es ihm damals gedankt hatte. Zeit für die schweren Geschütze – oder zu gehen. Sie lehnte sich näher zu ihm und lächelte strahlend. „Ich könnte Rob auch von dem einen Mal erzählen, als ich unabsichtlich ins Bad geplatzt bin und du gerade …“

„Genug! Verflucht noch mal …“ Sein Fluch erstarb, als er sich mit der Hand durchs Haar fuhr und es noch mehr durcheinanderbrachte als sonst. „Na gut, ich mach’s.“

Das wirre Haar, seine augenscheinliche Verlegenheit und die Zusage rührten Amber zutiefst. Der Duft seiner Lederjacke hüllte sie ein, und der Drang, ihn zu berühren, wurde übermächtig. Sie wollte schon die Hand ausstrecken, doch er musste ihr Vorhaben geahnt haben, denn sein Blick verdunkelte sich, und er lehnte sich in den Stuhl zurück.

„Du hast deinen Kuss schon bekommen“, sagte er trocken. „Mehr hast du nicht zu erwarten. Um es klar und deutlich auszudrücken …“ Er hob herausfordernd eine Augenbraue. „Von jetzt an behältst du deine Finger bei dir.“

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, teils wegen seiner Anspielung auf den Kuss, teils, weil er es für nötig hielt, sie daran zu erinnern, dass sie nicht sein Typ war. Vermutlich war jede Frau sein Typ, nur eben nicht sie. Parker Robinson schien es sich zur Gewohnheit gemacht zu haben, mit doppeldeutigen Anspielungen von allem abzulenken, worüber er nicht reden wollte – Emotionen, Gedanken, Gefühle, seine Vergangenheit.

Sie dachte wieder daran, wie er sie an sich gepresst hatte, meinte wieder seinen Atem an ihren Lippen zu fühlen … und seinen rasenden Puls. Sie wusste genau, dass sie der Grund dafür gewesen war. Er hatte es genossen, sie zu küssen, eine solche Reaktion konnte man nicht vortäuschen. Und er war noch immer interessiert, das sah sie in seinem Blick, erkannte es an seiner Haltung. Trotzdem war er entschlossen, sie nicht mehr anzurühren.

Bei jedem anderen hätte es sie nicht gestört. Bei Parker jedoch ärgerte es sie.

„Ich muss Maß für deinen Smoking nehmen.“ Sie war stolz auf sich, dass sie so gelassen und ruhig klang. „Da lässt es sich nicht vermeiden, dass ich dich anfasse.“

Sie zwang sich, den Blick auf ihn zu richten, und so registrierte sie auch die wilden Emotionen in seinem Gesicht: Ärger. Abneigung. Und eine ganze Menge Lust.

Lust.

Langsam stieß sie die Luft aus. Sie musste sich in Erinnerung rufen, dass sie sich grundsätzlich nicht auf lockere Abenteuer einließ, ganz gleich, wie sehr sie sich zu jemandem hingezogen fühlte. Vor allem verführte sie niemals, absolut niemals einen Mann. Und sie würde nicht einmal im Traum daran denken, einen Mann zu verführen, der überall um sich herum große Warnschilder aufgestellt hatte – schon gar nicht bei dem Mann, der ihr gegenübersaß. Er hatte nicht nur Stoppzeichen aufgestellt, sondern gleich die ganze Straße abgesperrt.

Nur … schon ihr ganzes Leben hatte sie Parker gewollt. Das Gefühl war so stark, dass sie ernsthaft mit dem Gedanken spielte, ob sie nicht für ihn eine Ausnahme von der Regel machen sollte.

„Na schön“, brummte er mürrisch. „Aber ich arbeite meist bis spät in die Nacht. Es kann also dauern, bevor ich in deinem Laden auftauche.“

Bilder stürzten auf sie ein, Bilder von ihnen beiden in ihrem Laden, allein, spät in der Nacht. Und alles, was sie hörte, waren Reeses Worte: „Vielleicht solltest du dich aktiver daran beteiligen, das zu bekommen, was du willst.“

Wenn einer es wert war, dass sie die Initiative ergriff und ihn verführte, dann Parker Robinson.

Sie schluckte hart und räusperte sich. „Späte Termine sind bei mir nicht ungewöhnlich. Sag einfach Bescheid, wann du kommen kannst.“

Parker griff nach seiner Bierflasche. „Morgen Abend, halb zehn.“ Er nahm einen Schluck und fixierte Amber grimmig. „Du nimmst meine Maße, und ich verschwinde wieder.“

Seine schmalen Lippen und sein Tonfall besagten deutlich, dass die Sache für ihn damit erledigt war.

Doch für Amber fing sie gerade erst an.

4. KAPITEL

Am nächsten Abend um halb zehn zog Parker die Tür zu Ambers Brautmodenladen auf. Die Glocke über der Tür klingelte viel zu fröhlich für den Tag, den er hinter sich hatte. Der Miller-Fall war vorerst in einer Sackgasse gelandet und hatte damit die Leere in seinem Innern noch verstärkt. Taub und benommen hatte er sich durch den Tag geschleppt. Aber vielleicht hatte diese Taubheit auch schon vor Monaten angefangen.

Oder vor Jahren.

Er lockerte die verspannten Schultern und sah sich um. Das musste man dem Mädchen lassen, sie wusste, wie man einen Laden aufzog. Klasse bis ins Detail. Überall Parkett, endlose Reihen von Brautkleidern, Schleiern, Brautsträußen und Dekorationen aus Kunstblumen, Poster von Fotomodellen und unzählige Schüsseln mit … Rosenblättern!

Parker konnte es nicht verhindern, es schüttelte ihn.

„Keine Sorge“, hörte er Ambers Stimme hinter sich. „Niemand wird erfahren, dass du hier warst.“

Er drehte sich um – und Ambers Anblick warf ihn regelrecht von den Füßen. Wie war es möglich, dass eine schlaksige Teenagergöre sich in eine solche Schönheit verwandelt hatte? Das dunkelrote Haar floss ihr über die Schultern. Sie trug enge Jeans und ein Röhrentop, das sich um ihre Brüste schmiegte. Die lockere Seidenbluse mit den langen Ärmeln flatterte ihr luftig um Taille und Hüften. Sie sah jung und unschuldig und gleichzeitig sexy aus.

Und er … Mit dem Fall, an dem er gerade arbeitete, fühlte er sich alt und hart und verbittert. Er hatte die Nase voll von der gesamten Menschheit.

Amber schob den Riegel vor die Tür und drehte sich dann zu Parker um, ohne ein Wort zu sagen.

„Bist du so weit?“, fragte sie.

Was soll das denn heißen? „Ja, sicher.“

Er war schließlich kein Anfänger und weigerte sich, sich von einer halben Portion einschüchtern zu lassen, der er vor Jahren am Strand beigebracht hatte, wie man Krebse fing.

Während Parker Amber den Korridor hinunter folgte, ignorierte er ganz bewusst das verführerische Schwingen ihrer Hüften bei jedem Schritt. Es wurde leichter, als sie in einen großen Raum trat, in dem zwei Sofas, ein Sessel und ein niedriger Couchtisch standen – was wohl so eine Art Wohnzimmer darstellen sollte. Die Möbel waren in entsprechender Entfernung vor einem Podest mit Spiegelwänden zu drei Seiten postiert. Er war sicher, dass das Arrangement bei Tageslicht durchaus Sinn ergab, wenn man sich in einem Kleid von allen Seiten betrachten wollte. Doch im Moment schien ihm das Ganze eine fast … erotische Note zu besitzen, vor allem, da sie beide allein waren.

Verdammt, auf was habe ich mich da eingelassen?

„Zieh Jacke und Schuhe aus“, ordnete Amber an und deutete zu der Sitzgruppe.

Parker warf die Jacke über die Sessellehne und kickte sich die Schuhe von den Füßen.

„Äh …“ Ihr Blick blieb auf seiner Waffe und den Handschellen liegen. „Das Halfter auch.“

Aus irgendeinem Grund zögerte er.

„Was denn?“ Sie stemmte die Hand in die Hüfte. „Du hast nichts dagegen, Jacke und Schuhe auszuziehen, zögerst aber bei deiner Waffe?“

„Vielleicht gibt sie mir ja Sicherheit.“ Er grinste schmal. Offensichtlich wartete Amber darauf, dass noch etwas folgte, und so sagte er seinen Standardspruch auf. „Die meisten haben Respekt vor der Polizeimarke, aber meine Smith & Wesson respektiert wirklich jeder.“

„Hast du dich darum für diesen Beruf entschieden?“ Sie bedeutete ihm, sich auf das Podest vor die Spiegel zu stellen. „Wegen des Respekts?“

Die Leere in seiner Brust weitete sich sprunghaft aus. Verdammt. Er hatte nur einen Witz machen wollen, doch sie ging gleich zu den ernsten Themen über.

„Wie lange dauert so etwas?“ Er stellte sich auf das Podest.

Sie holte ein Maßband, kam zu ihm, und sein Magen zog sich zusammen. „Ich muss Maß nehmen für ein Hemd, eine Hose und ein Jackett“, antwortete sie.

Das war keine klare Antwort auf seine Frage. Er lehnte sich ein Stück zurück und sah argwöhnisch auf sie hinunter, die Brauen so fest zusammengezogen, dass es aussah, als würden sie eine Linie bilden.

„Entspann dich“, sagte Amber, doch etwas an ihrem Ton machte ihm genau das unmöglich. „Es wird schon nicht wehtun.“

Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem kleinen Grinsen, und er hoffte, dass sie sich allein auf das Ausmessen bezog. Mit völlig unschuldiger Miene, aber einem wissenden Glitzern in den Augen, legte sie das Maßband um seinen Nacken – und somit gezwungenermaßen auch ihre Arme. Sein Herz schlug härter.

Ihr Lächeln machte ihn wirklich nervös. „Ich wollte dich noch etwas fragen“, sagte sie, während sie Maß nahm. Ihre Finger strichen über die Haut direkt unterhalb seines Adamsapfels.

Die flüchtige Berührung jagte ihm ein Prickeln über den Rücken. Wie konnte das überhaupt sein, wo sie doch nur seinen Hals berührte, und dann auch noch unabsichtlich?

„Gehst du zu der Dinnerparty, die deine Mutter in zwei Wochen gibt?“

Das war immerhin eine Frage, die er beantworten konnte, ohne seine Worte sorgsam abwägen zu müssen. Das Denken war nämlich deutlich schwieriger, seit sie so nah bei ihm stand. „Nein.“

Das klang harscher, als er beabsichtigt hatte, aber ihre Finger hatten ein dumpfes Pochen in seinem Körper in Gang gesetzt. Wie lange konnte es denn dauern, Maß zu nehmen? Schließlich peilte sie hier ja kein genaues Ziel mit einer Atomrakete an, oder? Eine ungefähre Zahl musste doch wohl reichen.

„Warum nicht?“ Sie ließ die Hände sinken und ging zu dem Laptop, der auf dem Kaffeetisch stand.

„Weil ich meiner Mutter nichts zu sagen habe. Aber wenn ich mich auf der Party blicken lasse, muss ich mit ihr reden.“

„Wann habt ihr beide zum letzten Mal miteinander gesprochen?“

Das Loch in seinem Herzen schien jetzt doppelt so groß zu sein. „Sie hat mich auf meinem Handy angerufen – an dem Tag, als mein Vater starb.“ Noch heute spürte er die Verzweiflung, die Einsamkeit. „Ich habe den Anruf nicht angenommen.“

Amber drehte sich um und kam wieder näher. Für einen Moment musterte sie ihn schweigend. Der fragende Blick, das Thema und ihre Haut, die aussah, als würde sie nach Sahne schmecken, machten die Situation äußerst unbehaglich für ihn.

Er starrte auf ihr Spiegelbild.

„Du solltest mit ihr reden“, sagte sie leise.

„Ich wüsste nicht, worüber.“

Es war nur eine kurze Pause, doch er ahnte, dass sie noch mehr sagen wollte. Als sie dann aber weitersprach, waren es nicht die Worte, die er erwartet hatte.

„Ich werde jetzt deine Ärmellänge ausmessen.“

Mit wesentlich mehr Sorgfalt, als er für nötig hielt, maß sie von seinem Nacken den Rücken hinunter, von Schulter zu Schulter, von den Schultern zu den Handgelenken. Das T-Shirt, das er trug, bot keinen Schutz vor ihren Fingern, die über seine nackten Arme glitten. Er musste sich zusammenreißen, um nicht auf die Berührung zu reagieren.

Die schlichte Berührung von Haut auf Haut sollte nicht erregend sein.

„Das hast du absichtlich gemacht“, knurrte er.

Trotz seines heiseren Tons blieb sie völlig ungerührt. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Unschuldig sah sie ihn an. „Jetzt heb die Arme an.“

„Warum?“ Ungemütlich verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.

Sie verdrehte die Augen. „Kein Grund, misstrauisch zu werden. Ich muss deinen Brustumfang messen.“

Etwas an ihrer ganzen Haltung und dem Leuchten in ihren Augen warnte ihn, dass er hier besser vorsichtig sein sollte. Er musste sich den nächsten Schritt genau überlegen – und das lag nicht an dem Gespräch über seine Familie. Die Atmosphäre war wie elektrisch aufgeladen. Die Luft vibrierte regelrecht. Dass sie nicht beide glühten, wunderte Parker. Denn Amber spürte es auch, das las er in ihren Augen.

„Arme“, sagte sie knapp und trat vor ihn.

Mit einem scharfen Blick in ihr viel zu nahes Gesicht befolgte er die Anweisung und hob die Arme, als würde er sich ergeben. Was er keineswegs vorhatte.

Amber schlang die Arme um ihn, und für einen Augenblick hörte die Welt auf, sich zu drehen.

Er konnte nicht mehr atmen.

Er konnte nicht mehr denken.

Wenn er sich auch nur ein winziges Stück vorlehnte, würde er ihre weichen Formen an seiner harten Brust fühlen. Sie schaute ihn mit ihren wunderschönen großen Augen an, und ihr Gesicht glühte wirklich, so als würde sie von innen heraus strahlen, mit einem Licht, das die Dunkelheit in seinem Innern vertreiben konnte.

Woher war der Gedanke jetzt gekommen?

Die Arme um seinen Torso geschlungen, blickte sie zu ihm auf. Was dann über ihre Lippen kam, überraschte ihn. „Du hast deine Jacke ausgezogen.“

Ihr Ton ließ vermuten, dass sie etwas Tiefergehendes meinte als die brillante Feststellung offensichtlicher Fakten. Er blieb reglos stehen. „Das hattest du mir doch gesagt.“

Sie wirkte genauso verständnislos, wie er sich fühlte. „Ja, sicher, aber …“ Sie verhaspelte sich. „Du riechst noch immer nach Leder.“

Die unterschiedlichsten Emotionen spiegelten sich in ihrem Gesicht.

„Aber vielleicht ist das ja dein typischer Geruch“, fuhr sie nachdenklich fort.

Es stand deutlich lesbar auf ihrem Gesicht.

„Versuchst du etwa, mich zu verführen, Amber?“, fragte er leise. Manchmal war Angriff die beste Verteidigung.

Sie blinzelte, als müsste sie sich aus tiefer Nachdenklichkeit zurückholen, und fuhr mit dem Ausmessen fort. „Ja.“

Offensichtlich hatte sie kein Problem damit, ihre Karten offen auf den Tisch zu legen. Parker neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Jetzt, da sie es offen angesprochen hatten, ging es ihm besser. Damit konnte er umgehen. Er war mit ihrer Jungmädchenschwärmerei fertig geworden, da konnte er jetzt auch mit der Sehnsucht der Erwachsenen umgehen. Er fühlte sich stark genug dazu.

Er durfte nur nicht in ihr Gesicht sehen. Oder auf ihre Lippen. Oder ihren Busen …

Mit angehaltener Luft ließ Parker es über sich ergehen, dass sie seinen Hüftumfang ausmaß. Ihre Finger lagen jetzt kurz unterhalb seines Bauchnabels, viel zu nah an … empfindsameren Teilen seines Körpers.

„Du solltest bei der Dinnerparty deiner Mutter auftauchen, um dich Reese zu zeigen.“ Konzentriert auf ihre Arbeit, kaute sie an ihrer Lippe.

Was bei Parker sofort das Verlangen aufflammen ließ, mit der Zunge über die feuchte Stelle zu fahren. Alles in seinem Kopf drehte sich, in seinem Schritt begann es zu schwellen, und es dauerte einen Moment, bevor er ihrem Gedankengang folgen konnte.

„Warum?“, knurrte er krächzend.

Na, geht doch! Ich kann also noch sprechen. Zumindest so ungefähr.

„Weil sie deine Familie ist“, sagte Amber überzeugt. „Wir alle brauchen Familie.“

Obwohl er sich so unwohl fühlte, stieß er ein trockenes Lachen aus. Sie bildete sich also wirklich ein, sie könnte ihn verführen und über seine Familie reden? Sie glaubte wirklich noch an Wunder.

Und dann kniete sie plötzlich vor ihm … Großer Gott!

Im Spiegel sah er das Bild, sie vor ihm auf den Knien, ihr Kopf auf seiner Schoßhöhe. Sein Puls schnellte so rasant nach oben, dass er glaubte, er würde ihm aus dem Kopf schießen. Amber war Freude und Hoffnung und Licht, und das Verlangen, sich in ihr zu verlieren, ein wenig von ihrem Glauben für sich zu beanspruchen, wurde so überwältigend, dass es fast um ihn geschehen war.

Seine Lippen bewegten sich, strengten sich an, Worte zu formen. „Nichts von dem, was du da treibst, wird Wirkung bei mir zeigen, Ace.“ Er war enorm stolz auf sich, dass er tatsächlich noch sprechen konnte.

„Ich nehme nur deine Maße.“

Ein sarkastisches Schnauben stieg aus seiner Kehle. Als sie dann die Länge von seiner Hüfte bis zu seiner Ferse maß, konnte er endlich die Luft aus den Lungen lassen, erleichtert, dass das durchaus auszuhalten war. Er wurde sogar so übermütig, dass er sich schon zu seiner Selbstbeherrschung gratulierte, als sie die Zahlen im Computer speicherte.

Dann erkannte er, wie verfrüht sein Urteil gewesen war.

„Jetzt deine Schrittlänge.“ Sie kniete wieder vor ihm. „Spreiz bitte die Beine ein wenig.“

Schweißperlen traten ihm auf die Oberlippe, als die erotischen Bilder auf ihn einstürzten. Er war noch beschäftigt damit, die Hitze niederzukämpfen, als Amber auch schon das Maßband an der Innenseite seines Schenkels ansetzte. Seine Brust schloss sich komplett, drückte auf sein Herz, hinderte es daran, seinen Dienst zu tun. Als ihre Fingerknöchel dann auch noch flüchtig seine Hoden streiften, erstarrte er zu Stein.

Vergeblich bemühte er sich, sie mit seinem strengen Blick zur Vernunft zu bringen. „Heißt Schrittlänge ausmessen auch, dass du mich unsittlich anfassen darfst?“

Mit großen Augen sah sie zu ihm auf, doch unter all der Unschuld meinte er vorgetäuschte Harmlosigkeit zu entdecken. Und Unsicherheit.

„Entschuldige“, sagte sie und zog das Maßband auf der anderen Seite vom Schritt bis zur Ferse.

Böse runzelte er die Stirn. „Sieht nicht danach aus, als würde es dir leidtun.“

Sie schluckte und räusperte sich. „Stell dich bitte wieder normal hin.“

„Ich stehe normal.“

„Mir scheinst du irgendwie gebeugt zu stehen“, erwiderte sie kritisch.

Natürlich. Weil er sich krampfhaft bemühte, den Zustand seiner männlichen Anatomie zu verheimlichen!

„Jetzt noch das letzte Maß“, kündigte sie an.

Mit einer Hand hielt sie das Maßband an seinem Rücken fest, mit der anderen Hand griff sie zwischen seine Beine und zog es über seinen Hintern.

„Du misst meinen Hintern aus?“, brachte er heiser hervor.

„Ich brauche die genaue Länge deines Schritts.“

Seines Schritts? Das musste irgendein Witz sein, nur verstand er ihn nicht. Wie sollte er auch, wenn ihre Hand jetzt langsam das Band zwischen seinen Beinen hervorzog.

Und in diesem Moment wusste Parker, dass er verloren war.

Er rührte sich nicht, als ihre Finger in gefährliche Nähe zu seiner Erektion kamen. Amber zog das Maßband über seine Frontseite hinauf bis zu seinem Bauchnabel, und er hatte das Gefühl, als würde sie seine Nerven mit einer Rasierklinge bearbeiten und seine Eingeweide verknoten. Und dann, als es fast vorbei war, fuhr sie auch noch mit den Fingerknöcheln der Länge nach über seinen harten Schaft.

Lust explodierte in ihm wie eine Supernova und riss ihn aus der Betäubung.

„Herrgott, Amber.“ Die Augen schmal wie Schlitze, packte er ihr Handgelenk mit eisernem Griff. Alles in ihm pulsierte. „Sind diese Maße überhaupt nötig?“

Sie sah ihn verwirrt an. „Natürlich. Es soll doch perfekt sitzen, da muss man alle Informationen sammeln.“

„Man kann auch zu viel davon bekommen.“ Sein Griff wurde noch fester.

So wie jetzt zu viele Informationen auf ihn einprasselten: Ihre Haut war warm, ihr Puls hämmerte an seinen Fingern, und auf ihrer Miene spiegelte sich unverhohlen pures Verlangen, gemischt mit noch etwas anderem. Er hätte ihr Handgelenk loslassen und sie von sich schieben sollen, doch das Leuchten in ihren Augen hypnotisierte ihn. Sie sah ihn an, als hätte er mehr verdient als nur Sex.

Das Bedürfnis, selbst ein wenig von dieser Hoffnung zu erhalten, um vielleicht für eine kurze Zeit das schwarze Loch in seinem Herzen zu füllen, war einfach zu groß.

„Na schön, du hast gewonnen“, murmelte er und zog sie auf die Füße, den Blick unentwegt auf ihren Mund gerichtet.

Mit seinen grünen Augen hielt er ihren Blick gefangen, und seine Stimme klang rau und heiser. „Aber dir ist klar, dass das alles ist, was du bekommst, oder?“

Seine unverblümten Worte sowie der Beweis seiner Erregung an ihrem Schoß raubten ihr vorübergehend die Sprache. Die Sehnsucht, von ihm umarmt zu werden, wurde immer mächtiger. Doch Parker rührte sich nicht, sondern wartete geduldig auf ihre Antwort. Er würde keinen Schritt weitergehen, bevor nicht klar war, dass sie genau verstanden hatte, was er meinte.

Sie war noch nie einem Mann nachgelaufen, hatte noch nie die Initiative ergriffen und sich genommen, was sie wollte. Aber sie wollte das hier. Mit einer Intensität, die viel zu groß war, um unterdrückt zu werden.

„Vollkommen klar“, sagte sie also.

Er hob die freie Hand an ihre Wange und beugte langsam den Kopf.

Gott, es war so unfair.

Er war stark und selbstsicher. Sie dagegen bebte vor Verlangen, ihre Knie zitterten. Dabei war sie eine erwachsene Frau mit Erfahrung, doch das hier … das fühlte sich völlig anders an.

Vermutlich war das kein Wunder, schließlich wartete sie seit ihrer Jugend auf diesen Moment. Nein, sogar noch länger, noch bevor sie überhaupt geahnt hatte, wonach genau ihr junger Körper sich sehnte.

Ganz deutlich erinnerte Amber sich an die zufälligen Berührungen von Haut auf Haut, wenn Parker vorsichtig einen Krebs in ihre Hand gesetzt hatte. Erinnerte sich an das Hämmern ihres Herzens, wenn sie nachts wirr geträumt hatte, unscharfe, verschwommene Bilder.

Flüchtig strich seine Zunge über ihre Unterlippe. Ein leises Stöhnen entschlüpfte ihrer Kehle. Sie öffnete die Lippen, und endlich gab er nach und erfüllte ihren Wunsch. Die eine Hand in seinem T-Shirt, versuchte sie, die andere aus seinem Griff zu befreien.

„Langsam, Ace“, murmelte er an ihrem Mund.

Als Kind hatte sie sich immer wie etwas Besonderes gefühlt, wenn er diesen Spitznamen benutzt hatte. Natürlich war sie für ihn nichts Besonderes gewesen, das wusste sie. Aber es war die Art, wie er ihn aussprach, so als wäre sie die Einzige auf der Welt, die ihm etwas bedeutete. Und als er sie jetzt küsste und an ihrem Hals knabberte, empfand sie das gleiche Gefühl.

„Kein Grund zur Eile“, raunte er an ihrem Hals.

Und ob es Grund zur Eile gab!

Lange Sommer, angefüllt mit unschuldiger Sehnsucht. Jahre von Wunschträumen und Luftschlössern. Ein uferloses Becken mentalen Vorspiels.

„Bitte …“, murmelte sie und wand die Hand aus seinem Griff.

Er gab sie frei, und sofort krallte sie die Finger in sein T-Shirt und schob es hektisch hoch. Doch da er die Arme nicht schnell genug hob, gab sie ihr Vorhaben vorerst auf und drückte ihre Lippen auf seine bloße Brust. Er schmeckte nach Salz und nach Leder, als wäre der Geruch seiner Jacke in seine Haut eingezogen. Mit der Zunge fuhr sie über seine Haut, stellte sich albernerweise vor, sie könnte diesen Moment einatmen und für immer in sich bewahren. Parker murmelte etwas, das sie nicht richtig verstand, etwas davon, dass sie sich Zeit lassen sollten, aber sie ignorierte ihn schlicht. Zuerst fuhr sie mit der Nase über seine harte Brustwarze, dann mit der Zunge und schließlich kratzte sie leicht mit den Zähnen darüber.

Er sog scharf die Luft ein.

Sie stellte das Denken ein, als er den Saum seines T-Shirts ergriff. Der Anblick seiner breiten Schultern und der ausgeprägten Muskeln raubte ihr den Atem.

Sie zögerte keine Sekunde, legte die Hände auf seine nackte Brust und schob ihn gegen die Spiegelwand zurück.

„Herrgott, Amber“, zischelte er.

Den Blick auf die feinen Härchen auf seinem Bauch gerichtet, fingerte sie fiebrig an seinem Gürtel, zog den Reißverschluss seiner Jeans herunter und schob die Hose unzeremoniös an seinen Beinen herab. Der Anblick der schmalen Hüften, muskulösen Schenkel und seiner eindeutigen Erregung ließ ihren Atem schneller gehen. Auf einmal konnte sie sich nicht mehr bewegen.

Da schien auch Parker zu begreifen, wie dringend die Sache war.

Seine Hände und Lippen und Zähne waren plötzlich überall. Mit wenigen geschickten Handgriffen zog er sie aus. Befreit stöhnte Amber auf. Endlich. Endlich spürte sie Haut auf Haut.

Als Parker eine Hand zwischen ihre Schenkel schob, verlor Amber jegliches Zeitgefühl. Der Anschlag auf ihre Sinne fuhr wie ein Schock durch ihren Körper, sie riss den Kopf zurück, rang nach Luft.

Auf seinem Gesicht konnte sie jetzt den Hunger sehen, seine Finger wurden mutiger. Das Verlangen wuchs, wurde so stark, dass ihr Tränen hinter den Lidern brannten. Sie schloss die Augen. „Parker …“ Es war mehr ein erstickter Laut der Lust als ein echtes Wort.

Und es war wie der Startschuss für Parker. Er presste die Lippen wieder auf ihren Mund, rieb sich an ihr. Heiß, fiebrig, verlangend. Amber hatte Mühe, ihre Motorik zu kontrollieren, um den Kuss zu erwidern. Doch Parker schien es nicht zu stören, er bewegte die Hüften, saugte an ihren Lippen. Als er sich von ihr zurückzog, verspannte sich jede Faser in ihrem Körper vor Enttäuschung. Dann sah sie, dass er sich nur bückte, um ein Kondompäckchen aus seiner Jeanstasche zu holen und sich den Schutz überzustreifen.

Fasziniert sah Amber dabei zu, ihr Mund jäh staubtrocken. Fast befürchtete sie, es könnte alles nur ein Traum sein, aus dem sie jederzeit aufwachen würde.

Parker stellte sich mit dem Rücken an die Spiegelwand, zog Amber an sich und hob sie hoch. Sie war überrascht, verstand nicht, was er vorhatte, bis er es aussprach.

„Schling deine Beine um mich.“

Oh Gott. Ja.

Sie betete, dass ihre Muskel mitmachen würden und hielt sich verkrampft an ihm fest, während er in sie eindrang. Sie riss die Augen auf, musste sich erst an das Vergnügen gewöhnen, das drohte, sie vor Wonne zu zerreißen. Eine Möglichkeit, die durchaus gegeben war, als er Stück für Stück immer tiefer in sie eindrang und sich schließlich in ihr zu bewegen begann.

Die Hitze wollte sie verbrennen. Parker packte sie fest an den Hüften und stieß so tief wie möglich in sie. Um dann reglos zu verharren.

Es war ein unglaubliches Gefühl.

„Amber“, stöhnte er. Langsam ließ er sich am Spiegel herabgleiten, bis er auf dem Boden und sie auf seinem Schoß saß. Sie krallte die Finger in seine Schultern, und er begann sich in ihr zu bewegen, langsam, kraftvoll, meisterhaft.

„Ich brauche …“, murmelte er mit geschlossenen Augen und lehnte die Stirn an ihre.

Er küsste sie wieder, passte den Rhythmus seiner Zunge dem seiner Hüften an. Es schien, als bräuchte er alles von ihr – und alles gleichzeitig. Dabei erhöhte er das Tempo nicht, aber die Intensität. Bis raue, heisere Laute aus seiner Kehle stiegen.

Nichts in ihrem Leben war bisher so unglaublich köstlich gewesen. Dieses Gefühl des puren, durch nichts getrübten Verlangens, das auf Gegenseitigkeit beruhte.

„Ich kann nicht …“, keuchte er.

Amber beugte sich zurück, bog den Rücken durch, um ihm näher zu kommen und mehr nehmen zu können. Was Parker die nächste Bemerkung entrang.

„Aber ich muss …“

Mit dieser kaum verständlichen Warnung wurde der Rhythmus schneller, heftiger, feuriger. Längst waren die Bewegungen bei beiden nicht mehr koordiniert. Fiebrig suchten und fanden sie den Mund des anderen. In Amber begann sich die Feder mehr und mehr zu spannen, bis sie fürchtete, sie müsse für ewig auf dem schmalen Grad über der Klippe balancieren, ohne jemals den wunderbar erlösenden Sprung zu schaffen.

Doch dann umfasste Parker ihre Schultern, bäumte sich auf, und mit einer letzten mächtigen Bewegung kam ihr Name rau über seine Lippen.

Es war dieser Aufschrei, der sie über die Klippe stieß. Die Erlösung riss sie mit sich und ließ ein buntes Feuerwerk hinter ihren geschlossenen Lidern explodieren.

Amber erkannte den Geruch von Leder und Sex, als ihr Atem sich endlich so weit beruhigt hatte, dass sie wieder denken konnte. Schritt für Schritt nahm sie wieder Dinge wahr. Ihre Wange lag an Parkers harter Brust. Sie konnte hören, wie sein Puls sich verlangsamte. Sie hatten es immerhin geschafft, bis auf den dicken Teppich vor dem Couchtisch zu kommen. Ihre erhitzten Körper kühlten allmählich ab, sie lag halb auf ihm, die Hände auf seinen Schultern.

Seine Hände jedoch hielt er ruhig an seinen Seiten auf dem Boden.

Schließlich hob er Amber von sich. Ein Druck legte sich auf ihre Brust. „Ich sollte meine Sachen einsammeln“, sagte er, die Stimme matt vor Erschöpfung.

Amber presste kurz die Augen zusammen. Sie wusste, Parker zog sich nicht nur physisch zurück, sondern auch geistig.

Aber dir ist klar, dass das alles ist, was du bekommst, oder?

Nach der ersten Runde, noch während Amber matt und erschöpft gewesen war, hatte er sie beide auf den Teppich gerollt, sie unter sich geschoben und von vorn begonnen.

Niemand hatte sie sich je so sinnlich fühlen lassen. Niemand hatte ihrem Körper je so viel Vergnügen geschenkt.

Aber mehr wollte er nicht.

Ihr Blick fiel auf sein Waffenhalfter, das auf dem Sofa lag, und ein Plan formte sich in ihrem Kopf. Ihm würde es nicht gefallen. Gut möglich, dass er sie danach hassen würde. Aber der Wunsch, dass dieser sture Mann endlich irgendjemanden an sich heranließ, selbst wenn es seine Schwester und nicht sie sein sollte, schaltete alle anderen Überlegungen aus – auch das dringende Bedürfnis, aus der Gegenwart des Mannes zu fliehen, den sie so schamlos verführt hatte.

Die Brust eng und die Nerven zum Zerreißen gespannt, griff sie nach dem Halfter, und als Parker sich nach seiner Hose streckte …

… ließ sie die Handschelle um sein Handgelenk schnappen.

5. KAPITEL

Parkers Aufmerksamkeit galt sofort dem metallenen Klicken an seinem Gelenk. Er rollte sich auf den Rücken zurück und starrte Amber an. Ihr Haar war völlig zerzaust, ihre Lippen rot und geschwollen von seinen Küssen. Schuldgefühle stürzten auf ihn ein. Zum Schluss war es vielleicht ein bisschen wild zugegangen.

„Na schön.“ Seine Stimme klang rau wie Sandpapier. „Ich gehe davon aus, dass du damit noch eine Runde einläuten willst?“

Ihr verlegenes Lächeln und die Röte, die ihre Wangen bedeckte, zusätzlich zu der Tatsache, dass ihr Blick unstet umherhuschte … er konnte nicht anders, er grinste.

„Nur, um das klarzustellen, Ace …“ Er streckte die Beine aus, stützte sich auf die Ellbogen. „Eine Frau, die Handschellen einsetzt, darf eigentlich nicht nervös sein.“

Sie starrte ihn einen Moment lang an, sah eigentlich überallhin, nur nicht auf seinen Schoß. Schön, es war sicherlich nicht der einzige Teil seines Körpers, der sich auf dieses Spielchen freute, aber der einzige, der die Vorfreude auch deutlich ausdrücken konnte.

Dann nahm sie seine Boxershorts in die Hand. Parker sah mit gerunzelter Stirn zu, wie sie ihm die Unterhose über die Füße stülpte und bis zu den Waden hinaufzog.

„Nur zu deiner Information: Wenn Handschellen als Spielzeuge hinzugenommen werden, zieht man sich normalerweise aus, nicht an.“

Sie hörte nicht auf ihn, sondern zog die Shorts nur noch höher.

Sein Interesse war geweckt.

„Also gut, du hast es geschafft, mich wirklich neugierig zu machen“, raunte er. Er hob sogar die Hüften an, damit sie die Boxershorts bis an ihren angestammten Platz ziehen konnte. „Das ist dein Ankleide-Fetisch, richtig?“ Er lächelte sie an, während ihm bei der Vorstellung ein Prickeln über den Rücken lief und seine Erregung noch erhöhte. „Damit müsste ich gut umgehen können.“

„Bisher ist mir nicht bekannt, dass ich irgendeinen Fetisch hätte“, erwiderte sie. „Es stört einfach nur meine Konzentration, wenn du komplett nackt bist.“ Sie ergriff das andere Ende der Handschellen, zog die Kettenglieder um das schmiedeeiserne Bein des Tischs und ließ die zweite Schelle an Parkers anderem Handgelenk einschnappen.

Seine hilflose Lage faszinierte ihn völlig. Das war schon irgendwie … wirklich heiß. „Das ist ja einer der Vorteile, wenn man nackt ist. Man ist nicht mehr fähig, an irgendetwas anderes zu denken.“ Bewundernd ließ er den Blick über ihren Körper wandern, schließlich hatte er ihre Brüste und Hüften direkt vor sich.

Er sollte sie nicht auch noch ermutigen. Er dürfte nicht so schwach sein. Er sollte sich nicht nach dem berauschenden Licht sehnen, das aus ihrer Miene strahlte, aus ihren Augen … aus ihrem Inneren.

Aber er brauchte noch ein bisschen mehr davon.

Verlangen flammte auf, und seine Stimme verriet die Richtung seiner Gedanken. „Du brauchst noch ein wenig Übung, und ich bin genau der Richtige, um …“

Sie griff nach ihrer Bluse und schlüpfte hinein. Prompt verstummte Parker. Während es bei ihr seine Nacktheit war, die sie unkonzentriert machte, hatte er scheinbar das gleiche Problem, wenn sie sich anzog.

Als sie jedoch ihren Slip anzog, fand er die Sprache wieder. „Was, zum Teufel, treibst du da?“

Für einen Moment musterte sie ihn wortlos, dann sagte sie: „Du bist ganz offensichtlich kein Mann, der gerne schmust.“

Die Bemerkung traf ihn wie ein Schlag. „Schmusen?“ Er spie das Wort regelrecht aus. Die Richtung, die die Sache einschlug, behagte ihm ganz und gar nicht.

„Und wenn es etwas gibt, das Parker Robinson dringend braucht, dann ist es eine gehörige Portion Zärtlichkeit“, fuhr sie fort, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

Jetzt begann sein Herz heftiger zu pochen – aus Ärger. Er musste absolut lächerlich aussehen, wie er hier lag, die Hände an ein Tischbein gefesselt, den Mund vor Verblüffung offen. Als er endlich die Sprache wiederfand, klang seine Stimme rau. „Amber …“

„Wir werden uns unterhalten, Parker.“

Die Höflichkeit verbot es ihm, den Fluch, der sich in seinem Kopf formte, laut auszusprechen.

Amber setzte sich neben ihn und richtete den Blick auf ihn. „Warum hast du den Anruf deiner Mutter am Todestag deines Vaters nicht angenommen?“

Das war wie ein schneller Doppelschwinger, der ihn mitten in die Brust traf. Sein Mund stand noch weiter auf, bis er sich zusammenriss und die Lippen grimmig zusammenpresste.

„Verdammt, Amber.“ Mühsam rappelte er sich auf einen Ellbogen auf. „Wir sind doch kein Paar.“ Er war mehr als frustriert – und konnte sich nicht einmal mit der Hand durchs Haar fahren. „Mach mich los. Ich will nicht …“

Sanft legte sie die Hand an seine Wange, ihr Daumen berührte seinen Mundwinkel, und Parker erstarrte, unfähig, irgendetwas anderes zu tun, als wie ein Idiot zu blinzeln.

Dabei wollte er fluchen und wüten und toben. Das Verständnis in ihren Augen ging ihm gegen den Strich, die Tatsache, dass er hier festsaß, machte ihn wütend. Doch als er in ihr Gesicht sah, brachte er nicht mehr zustande als ein schwaches Rasseln an den Handschellen.

„Warum?“, wiederholte sie ihre Frage.

Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Die süße kleine Amber wollte die Wahrheit hören? Also sollte die süße kleine Amber auch die Wahrheit zu hören bekommen!

„Du hast mir an dem Tag doch nachspioniert. Du hast doch gehört, was sie gesagt hat.“

„Etwas habe ich mitbekommen, ja.“

Da er nicht wusste, was genau sie verpasst hatte, beschloss er, ihr einfach alles zu sagen. „Meinen Vater zu heiraten, war ein Fehler.“ Die nächsten Worte kamen heftiger heraus, als er beabsichtigt hatte. „Ich war ein Fehler.“ Die Worte hallten im Raum wider. „Ich habe alles verkörpert, was meine Mutter falsch gemacht hat, alles, was sie bereut hat.“

Es ist unwichtig.

Dieses Mantra hatte ihm in der Vergangenheit immer gut gedient. Schon als Kind hatte er gelernt, nur an der Oberfläche zu existieren und den Rest sicher in verschiedenen Schubladen zu verstauen. Denn der Rest war das, was einen einholte und einem den Boden unter den Füßen wegriss.

Sei höflich, aber lass niemanden sehen, dass du dich nach Wärme sehnst. Ein wenig Zuneigung von Zeit zu Zeit wäre zwar nett gewesen, aber Umarmungen waren nicht lebensnotwendig. Mit ungefähr zehn hatte Parker es aufgegeben, sich danach zu sehnen.

Weil es unwichtig war.

Oder zumindest hatte er sich das eingeredet.

Bis zu dem Sommer, als er es noch einmal versucht hatte. Da war er siebzehn gewesen. Doch die Jahre als Flegel, der nur beachtet wurde, wenn er Probleme machte, hatten ihren Tribut verlangt. Vielleicht hatte seine Mutter zu dem Zeitpunkt schon keine Zuneigung mehr für ihn empfinden können, selbst wenn sie es gewollt hätte.

„Sie hasste den Job meines Vaters“, sagte er, „und hatte nur Verachtung dafür übrig, wie er sein Geld verdiente.“ Und Parker hatte sie dafür verachtet, weil sie ein solcher Snob war.

„Und darum hast du den gleichen Beruf gewählt, nicht wahr?“ Noch immer hielt Amber die Hand an seiner Wange und strich über seine Lippen.

Sein Mund zuckte unter ihrer Berührung. „Anfangs vielleicht“, wiegelte er ab, obwohl er wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Außerdem wurde diese verkrampfte Haltung langsam unbequem, also legte er sich wieder zurück. „Aber inzwischen …“

Aktuell war alles eher öde und trist. Richtigen Spaß hatte er schon lange nicht mehr. Dabei hatte es mal eine Zeit gegeben, in der es ihn enorm befriedigt hatte, den Opfern und ihren Familien Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

„Du warst schon immer gut darin, auf andere aufzupassen und sie zu beschützen“, sagte sie.

Er stieß ein ungläubiges Lachen aus und drehte den Kopf zu ihr. Noch immer lag ihre Hand an seiner Wange, und seltsamerweise begann diese tröstende Berührung ihm langsam zu gefallen. „Auf wen habe ich denn aufgepasst?“

„Auf Reese“, antwortete sie sofort. „Zumindest, als wir noch Kinder waren.“

Sie sah ihn an, mit dem gleichen Leuchten, das schon in ihren Augen gestanden hatte, als sie noch ein Kind gewesen war. Er kapierte es einfach nicht. Was hatte sie damals in ihm gesehen? Was sah sie heute in ihm?

„Und du hast dich um mich gekümmert …“

Parker brachte es nicht fertig, über jenen Sommer zu reden, als er das Haus seiner Mutter verlassen hatte und nie wieder zurückgekommen war. Als Siebzehnjähriger war er zu cool gewesen, um zuzugeben, dass er Reese und Amber vermisste. Und als Erwachsener war es zu spät und hätte keinen Unterschied mehr gemacht, die Wahrheit zu gestehen.

Er schnaubte. „Das sagst du nur, weil ich dich vor dem Ertrinken gerettet habe.“

Endlich nahm sie die Hand von seiner Wange und lächelte. Nein, ihm fehlte die Berührung nicht. Überhaupt nicht. Verdammt.

„Dein Vater hat dich geliebt.“

War dieser Frau denn nichts an seiner Geschichte heilig? Sein Vater war nicht der Typ für Umarmungen gewesen und hatte seine Gefühle auch nicht mit Worten ausgedrückt. Aber er hatte es den Sohn auf andere Weise wissen lassen.

„Nur ist er dann gestorben.“ Er hasste es, wie bitter die Worte klangen, versuchte, die Atmosphäre mit einem Lächeln zu lockern – und versagte kläglich.

Trauer zog auf Ambers Miene. Der Wunsch, das Lächeln auf ihre Lippen zurückzubringen, wurde übermächtig. Und dann, plötzlich kroch sie über ihn, um sich an seine Seite zu legen. Er rührte sich nicht, auch nicht, als sie ihren Arm unter seine gefesselten Arme schob, um seine Brust zu umschlingen.

Der jähe Trost, den er dabei empfing, warf ihn komplett aus der Bahn. Er brauchte einen Moment, bevor er reagieren konnte. „Weißt du, ich bin nicht der Typ fürs ‚Kuscheln danach‘“, meinte er trocken.

„Darum habe ich dich ja auch nicht gebeten.“

„Umarmungen zählen nicht, wenn sie nicht freiwillig erfolgen.“

„Ich weiß“, sagte sie und drückte ihn leicht. „Darum bekommst du diese ja auch gänzlich umsonst.“

Er war wie gelähmt, hatte nicht die geringste Ahnung, was er jetzt anfangen sollte. Das Schweigen dehnte sich, während sie hier eng umschlungen auf dem Boden lagen. Er gezwungenermaßen, sie aus freien Stücken.

Es war noch intimer als Sex. Der absolute Hammer!

Etwas in Parkers Innerem verlagerte sich, nur ein winziges Stückchen, aber es reichte aus, dass er den Gedanken aussprach, der ihn schon seit Wochen beschäftigte. „Viele haben es noch schlimmer als ich“, sagte er leise.

Dabei wusste er nicht einmal, warum er es hatte aussprechen müssen. Außer natürlich, dass es die Wahrheit war. Vielleicht war es ihre tröstende Umarmung, die ihm die Worte entlockt hatte.

„Wer? Wer hat es noch schlimmer?“

Da er ihr nicht in die Augen sehen wollte, starrte er nach oben an die Decke auf den Lüster. „Ich arbeite momentan an diesem Fall …“ Die dunkle Wolke um sein Herz wurde dichter. Nach dem Tod seines Vaters hätte er das nicht mehr für möglich gehalten. Aber jetzt wartete die Wolke nur darauf, endlich ihren sauren Platzregen abgeben zu können.

„Unser Hauptverdächtiger ist ein Siebzehnjähriger, und seine Eltern …“ Er wollte nicht wiederholen, was sie über ihren Sohn gesagt hatten. „Die Familie sollte zu einem halten, ganz gleich, was auch kommt“, sagte er stattdessen heiser.

Jetzt fasste die Frau sein Gesicht auch noch mit beiden Händen!

Sie drehte seinen Kopf zu sich und blickte ihn mit klaren Augen ernsthaft an. „Ja, so sollte es sein.“

Parker starrte in ihre goldbraunen Augen und biss die Zähne zusammen.

Schon seit Längerem nagte dieser Fall an ihm und entzog seinem so oder so schon fahlen Leben auch noch den Rest an Farbe. Er wehrte sich gegen den Drang, sich in Ambers warme Hände zu schmiegen. Aber der Wunsch war definitiv da. Er erinnerte sich an ihre entsetzte Miene, als sie damals das Gespräch mit seiner Mutter zufällig mit angehört hatte, und an ihre tröstende Hand auf seiner Schulter.

Nicht dass er ihr Mitgefühl damals gewollt hätte, im Gegenteil. Er hatte die Geste von einer Zwölfjährigen gehasst, da er dieses Verständnis nicht einmal von der eigenen Mutter bekommen konnte.

An jenem Tag war etwas in ihm gestorben, und er hatte etwas Lebensnotwendiges verloren. Und er sollte verdammt sein, wenn er wüsste, wie er es zurückbekommen könnte. Im Grunde war er sich sogar sicher, dass er es gar nicht zurückhaben wollte.

Er blendete Ambers schönes Gesicht aus, indem er einfach die Augen schloss und sich darauf konzentrierte, ruhig und regelmäßig zu atmen. Sie hielt weiter sein Gesicht fest, ihr süßer Duft hüllte ihn ein, und ihre seidigen langen Beine hatten sich um seine geschlungen, doch es war die Wärme ihres Körpers, die ihn wirklich gefangen hielt. Erstaunlicherweise dachte er überhaupt nicht an Sex, wenn er ihre seidige Haut jetzt spürte, sondern eher an den gegenseitigen Austausch von Körperwärme. Es war erfrischend schlicht. Und irgendwie nett.

Wie ein Moment Sommersonne an einem dunklen Wintertag.

Nur dass dieses fremde Gefühl von Trost und Zufriedenheit – dieses Glücksgefühl – ihn halb zu Tode ängstigte.

Parker hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verging, während er die Schlacht mit den beiden gegensätzlichen Gefühlen in sich kämpfte: Sollte er Amber wegstoßen oder näher an sich ziehen? Vielleicht sollte er etwas Produktives tun, wie zum Beispiel sich den Schädel an der Wand einschlagen?

„Ja, du hast recht. Familien sollten immer zusammenhalten“, wiederholte sie, und er hob die Lider. „Ganz gleich, was auch passiert.“ Sie sah ihn an, und ihr Blick wärmte ihn auf Arten, die er sich nie hätte vorstellen können. „Weshalb du zu der Dinnerparty gehen solltest“, fuhr sie fort.

Dieses Mal machte Parker sich nicht die Mühe, das Stöhnen zu unterdrücken.

„Um Reese zur Seite zu stehen.“

Ohne Vorwarnung machte sie sich von ihm los, und sofort vermisste er ihre Wärme.

Vermisste dieses kleine bisschen … Sicherheit. Ein anderes Wort fiel ihm nicht dafür ein.

„Du solltest wirklich hingehen, Parker“, wiederholte sie.

Sie setzte sich auf und zog ihre Jeans an. Die Schuhe folgten, und noch immer weigerte er sich, in Panik auszubrechen, weil es danach aussah, als wollte sie gehen. Denn das wäre wirklich dumm.

„Warum?“, fragte er.

„Weil deine Schwester dich liebt“, behauptete sie und stand auf.

Etwas in ihm wehrte sich dagegen, das anzuerkennen, und nicht nur, weil Reese selbst es ihm nie gesagt hatte.

„Und wenn du es nicht für Reese tun kannst …“, Ambers Stimme wurde eine ganze Oktave tiefer, drang ihm bis ins Mark, „… dann tu es für mich.“

Dieses Mal klang seine Frage geradezu barsch. „Warum?“

Mit hämmerndem Herzen sah sie ihn an. „Tue es für die schlaksige Teenagergöre, die damals vor all den Jahren etwas Besonderes in dir gesehen hat.“ Sie zögerte. Doch ihre Unsicherheit war eigentlich komplett bedeutungslos im Vergleich zu dem, was Parker hatte durchmachen müssen. Er musste die Wahrheit hören, er hatte es verdient. Also fuhr sie fort: „Tu es für die Frau, die heute auf dem besten Wege ist, sich in dich zu verlieben.“

Verweigerung, Erschöpfung und ein massiver Anteil an Verwirrung lagen in seinen Augen, bevor er die Lider senkte. „Mist“, murmelte er.

Sie hatte gar nicht vorgehabt, so viel preiszugeben. Aber plötzlich war es ihr wirklich wichtig erschienen, die Worte auszusprechen, die Parker – da war sie ziemlich sicher – noch nie in seinem Leben gehört hatte. Nicht nur seinetwegen, auch um ihrer selbst willen. Sie würde endlich für das kämpfen, was sie wollte. Und sie wollte diesen Mann in ihrem Leben haben. Nicht den Jungen, von dem sie damals besessen gewesen war, sondern den Mann, zu dem er geworden war.

Als er endlich wieder die Augen öffnete, ohne dass eine Regung von seinem Gesicht abzulesen gewesen wäre, legte Amber den Schlüssel für die Handschellen neben ihm auf den Boden. Sie sah ihn an und sprach die Worte aus, die er hören musste.

„Ich habe mich in dich verliebt, Parker Robinson. Und ich weiß, du verdienst es, geliebt zu werden.“

6. KAPITEL

Warum, warum, warum?

Zwei Wochen später war die Dinnerparty bei den Michaels.

Zwei Wochen, in denen Amber sich ständig gefragt hatte, ob es richtig gewesen war, Parker mit den Schlüsseln für die Handschellen allein zurückzulassen. Natürlich hatte er sich befreit. Sie hatte später noch einmal nachgesehen, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Ein Teil von ihr gratulierte sich zu ihrem würdigen Abgang. Sie hatte die Initiative ergriffen und den Mann, von dem sie schon seit Jahren träumte, verführt, hatte ihm offen gestanden, was sie für ihn fühlte, und war dann mit hocherhobenem Kopf gegangen.

Der andere Teil kannte die Wahrheit.

Feigling, Feigling, Feigling.

Sie hatte nicht genügend Mumm gehabt, um zu bleiben und sich den Konsequenzen ihres Geständnisses zu stellen.

Wirklich großartig, Amber.

Ihr Blick lag auf dem Pärchen, das über den Anzug des Bräutigams diskutierte. Smoking oder Frack? Amber lächelte – ein bisschen neidisch. Als der zukünftige Bräutigam sich vorlehnte und seiner Verlobten einen Kuss aufs Haar drückte, wurde ihr Blick verhangen. Eine so schlichte Geste und doch so voller Zärtlichkeit.

Für manche Menschen waren solche Zuneigungsbeweise eben völlig natürlich.

Ihr Handy klingelte. Dankbar für die Ablenkung, drehte sie dem Paar den Rücken zu und nahm den Anruf an.

„Amber“, sagte Reese, „du kommst doch heute Abend, oder?“

„Ja, sicher“, erwiderte sie und fuhr dann ohne nachzudenken fort: „Hast du etwas von Parker gehört?“

Du lieber Himmel! Würde sie sich denn auf ewig wie das zwölfjährige Mädchen anhören, das Parker Robinson angehimmelt hatte?

„Nein.“ Reese seufzte. „Aber immerhin hat er zugestimmt, zur Hochzeit zu kommen. Das verdanke ich dir.“

„Keine Ursache“, murmelte Amber. Sie konnte Reese unmöglich sagen, dass er nur wegen ihrer Drohung zugesagt hatte, seinem Partner peinliche Geschichten aus der Jugend zu erzählen. Vielleicht war Parker wirklich so oberflächlich. Doch tief in ihrem Innern wusste sie, dass er es nicht war.

Nur nützte das nichts, wenn Parker selbst es nicht wusste.

Sie lenkte ihre Gedanken auf das Wesentliche zurück. „Dein Kleid kommt nächste Woche. Ich melde mich dann bei dir, damit wir einen Termin für die erste Anprobe ausmachen können.“

„Oh, toll!“

Reeses Begeisterung wärmte ihr das Herz. Amber wusste, dass Parker seine Zweifel an der Hochzeit seiner Schwester hatte, aber sie selbst beneidete Reese und Dylan. Es schien alles so perfekt und unbeschwert zwischen ihnen, genauso wie Amber sich die Liebe immer vorgestellt hatte.

Das Klingeln der Türglocke kündigte einen weiteren Kunden an. Sie beendete das Gespräch, steckte das Handy zurück in die Tasche, drehte sich mit einem stillen Seufzer um … und sah Parker in der Tür stehen.

In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Sich erneut in Parker zu verlieben, war leicht gewesen, jetzt aber etwas dafür zu tun … das würde richtig schwer werden.

Nach dem ersten Schock über sein unerwartetes Auftauchen konnte sie ihn sich genauer ansehen. Er trug Jeans und seine Lederjacke, dieses Mal jedoch zu einem Hemd. Amber war sicher, dass es auch nach Leder riechen würde. Schließlich hatte sie genug Zeit in seinen Armen verbracht.

Als das Paar sich verabschiedete, winkte Amber ihnen nach.

„Sie mieten einen Smoking“, brachte sie heraus und nickte dem Paar nach.

„Hast du bei ihm auch den Schritt ausmessen müssen?“

„Bei ihm war das nicht nötig.“ Trotz allem musste sie sich das Grinsen verkneifen. „Nur bei dir.“

Es zuckte um seine Mundwinkel. „Dachte ich mir.“

Fünf Herzschläge später brach Parker das drückende Schweigen.

„Also …“ Parker lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. Wie konnte eine so simple Geste so sexy wirken? „Was ist das für eine Frau, die einen Mann mit Handschellen an einen Tisch fesselt und dann einfach geht?“

„Ich habe dir den Schlüssel doch in Reichweite gelegt. Ich wusste, mit etwas Anstrengung würdest du dich selbst befreien können.“

„Keine zwei Minuten später war ich zur Tür hinaus.“

Ganz offensichtlich war er stolz auf seine Fähigkeiten. Sie hob betont eine Augenbraue und legte den Kopf leicht schief. „Zehn. Es hat zehn Minuten gedauert.“ Auf seinen vernichtenden Blick hin erklärte sie: „Vom Fenster aus konnte ich deinen Wagen sehen.“

Der zufriedene Ausdruck auf seinem Gesicht war fast komisch. „Hast du dir etwa Sorgen gemacht, ich könnte nicht freikommen, Ace?“

Er tat es schon wieder – wählte den Weg des geringsten Widerstands und zog alles ins Lächerliche. Als ob es nichts Wichtigeres zu besprechen gäbe als die Zeit, die er gebraucht hatte, um an sein Halfter und die Schlüssel zu kommen – auch wenn das wahrscheinlich nicht unbedingt einfach gewesen war.

„Ich denke, wir haben doch schon festgestellt, dass ich mir Sorgen um dich mache, oder?“, erwiderte sie.

Das Grinsen auf seinem Gesicht erstarb. „Verdammt, Amber.“ Seine Stimme klang tief und rau, er rieb sich den Nacken, bevor er sie wieder ansah. „Ich habe heute gute Neuigkeiten erhalten, also bin ich für meine Verhältnisse richtig gut gelaunt. Und du warst schließlich diejenige, die mich überredet hat, heute Abend zu der Party meiner Mutter zu gehen.“

Ihr Herz machte einen freudigen Hüpfer. Jetzt war ihr auch klar, warum er ein Hemd trug.

„Ich glaube zwar nicht, dass ich schon bereit dafür bin …“ Er wirkte steif und verspannt, so als wappne er sich für den Kampf.

Mindestens eine Million Fragen stürzten auf Amber ein. Sie würde mit der leichtesten anfangen. „Was sind die guten Neuigkeiten?“

„Der Teenager, von dem ich dir erzählt hatte … der Hauptverdächtige in meinem aktuellen Fall. Er ist unschuldig. Der Verdacht gegen ihn konnte ausgeräumt werden.“ Das leichte Schulterzucken sagte mehr als tausend Worte. „Ich weiß zwar nicht, ob ihm das mit seinen Eltern helfen wird, aber zumindest bekommt er eine zweite Chance.“ Die Erleichterung stand Parker ins Gesicht geschrieben.

Und das war genau der Grund, warum Amber sich in diesem Moment erneut Hals über Kopf in ihn verliebte. Er war immer bemüht, den Anschein zu wahren, als stünde er über so banalen Dingen wie Emotionen. Er gab vor, dass ihn nichts berührte, dass er weder Sympathie noch Zuneigung fühlte, geschweige denn Hoffnungen hegte. Das Problem war nicht, dass er kein Herz hatte, sondern dass da ein zu großes Herz in seiner Brust schlug, und es hatte so viel mitgemacht und hinter sich, dass automatisch der Selbstschutzmechanismus eingesetzt und es eingemauert hatte.

Sein Entschluss, zu der Party zu gehen, war ein ermutigendes Zeichen, doch es bestand auch das reale Risiko, dass sich dieser Selbstschutz nie ganz ausschalten lassen würde.

„Ich bin auf jeden Fall froh, dass du hingehst“, sagte sie. „Und ich weiß, Reese wird sich sehr darüber freuen.“

Erst nach einem langen Moment senkten sich die dichten dunklen Wimpern über die blitzenden grünen Augen. „Ich gehe nicht nur für Reese hin.“

„Nicht?“ Zwei endlos dauernde Herzschläge wartete sie darauf, dass er antworten würde.

Autor

Amy Andrews
<p>Amy war ein Kind, das immer eine Geschichte im Kopf hat. Ihr Lieblingsfach war English und sie liebte es Geschichten zu schreiben. Sollte sie einen Aufsatz mit nur 100 Worten schreiben – schrieb Amy 1.000 Worte. Anstatt nur eine Seite bei dem Thema „ Beschreibt auf einer Seite eure Sommerferien“...
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