Wer ist der Vater?

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Darbys Suche nach dem Vater der mutterlosen Sissy gestaltet sich außerordentlich brisant. Denn der Zufall beschert ihr den Cabriofahrer Christian Drake als Verbündeten - einen atemberaubend gut aussehenden Abenteurer. Schon im ersten Motel knistert zwischen ihnen die Erotik pur ...


  • Erscheinungstag 20.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754662
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Darby Simms atmete tief aus und blies dabei den Tüll des Schleiers hoch, der ihr in die Augen hing, doch das blöde Ding fiel sofort wieder schlaff herab. Dieser Kopfschmuck war hoffnungslos, absolut hoffnungslos. Er sah schmuddelig aus, und wenn Darby sich bewegte, hätte sie schwören können, den schwachen Geruch von Mottenkugeln wahrzunehmen.

Sie verzog das Gesicht und rief sich innerlich zur Ordnung. Es war nun mal nichts mit einem schönen Brautkleid und einem langen Spitzenschleier, von dem sie immer geträumt hatte. Für solche Extravaganzen war keine Zeit gewesen, da die Hochzeit in weniger als zwei Wochen arrangiert worden war.

Sie sah sich in dem Raum um, der in Pink und Gold gehalten war. Neben einem Plüschsofa stand ein Schrank. Neugierig öffnete sie ihn und stieß einen erfreuten Laut aus, als sie eine Stereoanlage und einen Fernsehapparat entdeckte.

Wie der Innenausstatter dieses Zimmers auf die Idee verfallen war, hier einen Fernseher aufzustellen, war Darby ein Rätsel. Waren Bräute vor der Trauung nicht normalerweise so aufgeregt und hektisch, dass sie nichts weniger interessierte als Fernsehen?

Dennoch war Darby dafür dankbar. Gerade jetzt brauchte sie Ablenkung. Seit über einer Stunde war sie nun schon angezogen und fertig. Aber wie ihre zukünftige Schwiegermutter, Ida Fitch, nicht müde wurde, ihr minütlich mitzuteilen, war der Bräutigam noch nicht eingetroffen. Darby schaltete den Apparat ein. In diesem Augenblick kreiste Chaunceys Privatjet immer noch über dem San Francisco International Airport und wartete auf die Landeerlaubnis.

Darby seufzte. Wenn sie vorher gewusst hätte, wie lange es noch bis zur Trauung dauern würde, hätte sie Jeans und T-Shirt anbehalten und sich eine Pizza bestellt. So aber war sie in diese alberne Aufmachung eingezwängt, die aus Schichten kratzigen Tülls und einem mit Stäbchen verstärkten Satinmieder bestand.

Nicht zum ersten Mal verfluchte sie die Tatsache, dass sie zugestimmt hatte, diese schreckliche Kreation zu tragen. Aber Ida hatte nicht locker gelassen, und da hatte sie nicht den Nerv gehabt, Nein zu sagen.

Darby setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und begann, durch die Kanäle zu zappen. Angesichts des vielfältigen Angebotes hob sich ihre Stimmung ein wenig.

„Schau mal, Sissy. Die haben Kabelfernsehen“, bemerkte sie und blickte auf das Kind, das auf einer rosafarbenen Decke auf dem Fußboden lag. Sissy – eigentlich Sharece Nashton, Erbin des Nashton-Porzellan-Konzerns und Darbys Pflegekind – war ebenfalls in Unmengen von Rüschen gehüllt. Doch das Baby nahm sowohl die Bekleidung als auch das Fernsehen gelassen hin und lutschte weiter an seiner Faust. Eigentlich wirkte es total gelangweilt.

„Du könntest ruhig ein bisschen mehr Begeisterung aufbringen“, meinte Darby scherzhaft und wedelte mit der Fernbedienung in Sissys Richtung. „Schließlich tue ich das für dich, Kind.“ Dann fügte sie ernster hinzu: „Für dich und für mich. Ich kann dich doch nicht irgendwelchen Fremden überlassen, oder?“

Sie bückte sich und nahm das Baby auf den Arm, wobei sie fast von Liebe überwältigt wurde. In wenigen Wochen war das Kind zum Mittelpunkt in ihrem Leben geworden, und sie konnte sich nicht mehr vorstellen, wie es ohne die Kleine wäre.

„Wir sind eine Familie, Sissy“, flüsterte sie dem Baby ins Ohr. „Und wir sorgen schon dafür, dass es funktioniert.“

Gerade wollte sie die Fernbedienung aufs Kissen werfen, als ihre Aufmerksamkeit auf den Bildschirm gelenkt wurde.

Der Sender zeigte ein Foto von ihr.

Von ihr und Sissy.

„Was, um alles in der Welt …?“ Sie drehte die Lautstärke auf, als eine perfekt geschminkte Frau vor der Kamera auftauchte und zu sprechen begann.

Und jetzt die Story der Woche auf dem Klatschkanal!“

Dann wurde ein altes Schulfoto von Darby gezeigt.

„O nein!“ Sie stöhnte auf, als sie sich mit der schrecklichen Frisur und der Kleidung sah, die vor zehn Jahren ein Hit gewesen war.

Die, die sie kennen, nennen Darby Simms: das Mädchen mit dem goldenen Händchen. Sie wurde in Mayfield, Iowa, als einziges Kind von Maude und Henry Simms geboren …“

„Woher haben die das?“, murmelte Darby. Sie hatte diesem Sender kein Interview gegeben – sie hatte sogar noch nie von dieser Sendung gehört.

Aber während Aufnahmen aus einem alten Fotoalbum gezeigt wurden, dämmerte Darby, aus welcher Quelle das Material stammen musste. Tante Mavis. Sie war Darbys einzige noch lebende Verwandte und wohnte in einem Altersheim in Iowa. Sie war blind und litt unter ihrer Isolation. Da Darby sie nur drei oder vier Mal im Jahr besuchen konnte, hatte sie wahrscheinlich dem Drängen der Reporter nachgegeben und geredet.

“… Nach dem tragischen Tod ihrer Eltern, als sie dreizehn war, gewann sie ein Stipendium an dem exklusiven Westwood Internat in Connecticut. Dort lernte sie Eloise Nashton kennen, die Erbin des Nashton-Konzerns.“

Darby blinzelte, als ein Foto von Eloise – jung und schön – eingeblendet wurde.

Die beiden blieben enge Freundinnen, bis der Tod sie auseinander riss.“

Eine verschneite Berglandschaft wurde gezeigt, die Spur einer Lawine und das Blaulicht eines Schweizer Unfallwagens.

Instinktiv drückte Darby Sissy an sich. Sie hatte einen Kloß im Hals.

Wer hätte gedacht, dass eine solche Tragödie zu einem neuen Leben, einer neuen Liebe führen könnte“?

Ein Bild von Darbys Apartmenthaus in New York wurde eingeblendet.

Es war hier, im Herzen von Long Island, wo die Geschichte eigentlich beginnt. Noch vor sechs Wochen hatte Darby Simms keine Ahnung, dass sie so bald heiraten würde.“

„Das kann man wohl sagen“, flüsterte Darby.

Sie arbeitete als Assistentin von Ricardo Yvonne, dem exklusiven Modedesigner. Ansonsten war sie ungebunden, bis sie eines Nachts ein schreiendes Bündel auf ihrer Türschwelle fand.“

Darby runzelte die Stirn. Tatsächlich war es vier Uhr nachmittags gewesen, und das Baby war von Eloises Haushälterin gebracht worden. Die Frau hatte ihr erzählt, dass Eloise gestorben sei und Darby als Testamentsvollstreckerin eingesetzt habe. Eloises gesamter Besitz – einschließlich des Millionenkonzerns – ging an Sharece und sollte so lange von Darby verwaltet werden, bis sie das Kind seinem leiblichen Vater zuführen konnte.

Wer hätte gedacht, dass ein Baby und zugleich Erbe eines immensen Vermögens Darby Simms mit dem Mann ihrer Träume, Chauncey LeRoy Fitch, zusammenbringen würde“?

Darby verzog das Gesicht. Chauncey den Mann ihrer Träume zu nennen grenzte an Phantasterei. Aber schließlich konnte nicht einmal der Klatschkanal wissen, dass Eloise gestorben war, bevor sie ihr Testament zu Ende geschrieben hatte. Sonst wäre Darby nicht gezwungen gewesen, den Amateurdetektiv zu spielen, um herauszufinden, wer Sissys Vater war. Glücklicherweise hatte Eloise Tagebuch geführt, und Darby hatte sich alle Kandidaten, die als Vater in Frage kamen, notiert und nachgeforscht, wo sie lebten.

Zum Glück war schon der erste Mann, den sie aufgesucht hatte, ein Volltreffer gewesen. Chauncey Fitch hatte sofort zugegeben, der Vater des Kindes zu sein.

Doch inzwischen hatte Darby bereits zu sehr an Sissy gehangen. Als sie Zweifel daran geäußert hatte, ob es gut für die Kleine wäre, von einer Kinderfrau aufgezogen zu werden, weil Chauncey so häufig von zu Hause fort war, hatte er ihr eine Heirat vorgeschlagen. Dann könnte sie weiter für Sissy sorgen.

Es folgte eine stürmische Werbung und eine Märchenhochzeit.“

Darby verdrehte die Augen. Was anschließend stattgefunden hatte, war ein Treffen mit Chaunceys Anwälten gewesen, um einen Ehevertrag aufzusetzen, und ein Besuch bei seiner Mutter – die schon alles bis ins letzte Detail geplant hatte.

Darby schaltete den Fernseher aus, und es wurde still im Raum. Sissy blickte auf. Als sie sah, dass sie Darbys volle Aufmerksamkeit hatte, strahlte sie.

„Du findest das Ganze lustig, was, Sissy?“

Die Kleine warf die Arme in die Luft und gluckste.

„Das kannst du auch nur, weil du dieses scheußliche Outfit nicht tragen musst.“ Und weil du keinen Wildfremden heiraten sollst, fügte Darby im Stillen hinzu.

Doch sofort verdrängte sie diesen Gedanken wieder. Es hatte keinen Sinn, sich mit Zweifeln zu quälen. Sie hatte Zeit genug gehabt, alle Aspekte abzuwägen, und ihre Entscheidung stand fest. Sie würde diese Sache durchziehen, diesen …

Diesen Zirkus!

Darby musste unwillkürlich lächeln. Anders konnte man diese Trauungszeremonie wirklich nicht nennen. Sie und Chauncey würden im Garten des Hochzeitsforums unter einem gestreiften Sonnenzelt heiraten.

„Und ich trage ein Clownskostüm“, murmelte sie.

Wie auf ein Stichwort hin gluckste Sissy und griff nach dem Tüll auf ihrem Kopf. Darby revanchierte sich, indem sie Sissys Bauch kitzelte. In dem Augenblick flog die Tür auf, und Ida rauschte herein. Hinter ihr tauchte Chaunceys Tante Patty auf, die Wangen vor Aufregung gerötet.

„Er ist da! Er ist da!“, rief Tante Patty, bevor Ida etwas sagen konnte. Sie war etwas außer Atem, weil sie offenbar vom Foyer hergerannt war, wo sie Wache gehalten hatte.

Ida warf Patty einen warnenden Blick zu. „Wir müssen uns beeilen, die nächste Trauung soll schon um fünf stattfinden, also müssen wir in einer Stunde hier raus sein.“

Hier raus sein? So viel also zu einer feierlichen Atmosphäre, zu lebenslangen Erinnerungen, zu …

Erneut verdrängte Darby ihr instinktives Unbehagen.

Ida nahm Darby das Baby ab und griff nach der Wickeltasche. Dann bedeutete sie Darby mit einer gebieterischen Geste, ihr zu folgen. „Komm schon, Mädchen.“

Darby zögerte. Jetzt, da der Augenblick gekommen war, ihrem zukünftigen Ehemann gegenüberzutreten, konnte sie nicht die Begeisterung aufbringen, die sie eigentlich empfinden sollte.

„Darby“, befahl Ida ärgerlich.

Darby unterdrückte einen Seufzer, stand auf und ließ es geduldig über sich ergehen, dass Patty ihr Kleid aufbauschte und an ihrem Schleier herumzupfte. Erneut umwehte sie der Geruch von Mottenkugeln.

Dann verließen sie den Umkleideraum, schritten einen langen Korridor hinunter bis zu den Fenstertüren, die sich zum Garten hin öffneten. Auf dem Weg waren breite Bahnen elfenbeinfarbenen Satins ausgerollt worden. An den Rosensträuchern und winterharten Blütenstauden vorbei, zwischen den Reihen der Gäste hindurch, bis zu dem Altar im Festzelt.

„Du wartest hier mit Darby“, ordnete Ida an und reichte Patty das Baby. „Ich gebe das Signal für das Orchester und die Brautjungfern.“

Es waren zwölf Brautjungfern – eine protzige Zahl, fand Darby, zumal sie keine der jungen Frauen persönlich kannte. Anscheinend hatte Ida sämtliche Brautjungfernkleider von ihrer eigenen Hochzeit aufbewahrt und darauf bestanden, dass sie alle getragen wurden.

„Sobald der Hochzeitsmarsch erklingt, ist das das Zeichen für deinen Auftritt.“

Ja, ja, dachte Darby sarkastisch, aber nach außen hin lächelte sie. Auch wenn das Lächeln sich etwas steif und unbeholfen anfühlte.

Patty schniefte und suchte nach dem Taschentuch, das sie sich in den Gürtel gesteckt hatte.

„Ich bin so glücklich“, stammelte sie zwischen Seufzern. „Du hast uns alle so glücklich gemacht.“

Impulsiv umarmte sie Darby. „Seit dieser Mumpsinfektion vor vielen Jahren, die Chauncey zeugungsunfähig gemacht hat, hatte ich nicht mehr geglaubt, dass er heiraten würde. Und jetzt bist du da und siehst über diese Kleinigkeit hinweg. Darüber hinaus schenkst du mir mehr, als ich je zu hoffen gewagt habe – eine kleine Großnichte.“ Dann eilte sie durch die Türen nach draußen.

Und ließ Darby wie betäubt zurück. Wie versteinert.

Während sie auf ihr Signal wartete, ging ihr immer wieder ein einziges Wort durch den Kopf.

Zeugungsunfähig … zeugungsunfähig … zeugungsunfähig …

Christian Drake fluchte, als das Lenkrad seines 57er Studebaker scharf nach rechts zog und er dann jenes verräterische flatternde Geräusch hörte, das nur eines bedeuten konnte: Er hatte einen platten Reifen.

Er manövrierte den Wagen an den Straßenrand und schwang sich über die geschlossene Fahrertür seines Cabrios. In dem Augenblick kam eine Limousine angerast und blieb mit quietschenden Bremsen direkt hinter ihm stehen.

„Hey!“, rief er dem großen blonden Mann zu, der aus dem Fond stieg. „Finden Sie nicht, dass Sie ein bisschen zu dicht aufgefahren sind?“

Der Fremde ließ sich nicht aufhalten. „Ich bin spät dran“, rief er und zeigte auf das Gebäude, vor dem sie standen.

Erst jetzt bemerkte Christian das unauffällige handgemalte Holzschild mitten auf dem Rasen. Heiratsforum. Dann glitt sein Blick zu dem Chauffeur, der soeben aus der Limousine gestiegen war und gelassen eine riesige rote Schleife auf der Motorhaube befestigte.

Das reichte, um Christian in hektische Betriebsamkeit zu stürzen. Alles, was mit Heiraten zu tun hatte, war für ihn ein rotes Tuch. Egal, um wessen Hochzeit es ging. Der bloße Gedanke daran ließ ihn erschauern.

Er nahm den Wagenheber und den Ersatzreifen aus dem Kofferraum. Seine Bewegungen waren schnell und verrieten Erfahrung. Während er seinen Wagen aufbockte, musste er insgeheim einräumen, dass seine Reaktion wahrscheinlich übertrieben war, aber das war ihm gleichgültig. Seine erste und einzige Ehe war eine totale Katastrophe gewesen. Zugegeben, er war damals erst achtzehn gewesen, und seine Schulfreundin hatte ihn reingelegt, indem sie ihm erzählt hatte, sie wäre schwanger – ein Detail, das sich bald als unwahr herausgestellt hatte.

Es war sicher schön, eine Frau in den Armen zu halten, aber trotzdem wartete ein Albtraum auf den Mann, der dumm genug war, sich auf Dauer einfangen zu lassen: Trübseligkeit, Strumpfhosen über der Stange des Duschvorhangs und die Tatsache, dass sich alles nur um Babys und „niedliche“ Haustiere drehte. Ein paar Wochen solchen Wahnsinns reichten aus, um selbst den hartgesottensten Mann verrückt zu machen – und ganz besonders einen Mann, der die letzten zwei Jahre fern von aller Zivilisation im Regenwald des Amazonas verbracht hatte.

Während er den Reifen wechselte, verzog er das Gesicht. Nachdem er zwei Jahre lang Hitze, Feuchtigkeit, Insekten und verschiedene Nagetiere über sich hatte ergehen lassen – er hatte den Bau einer Brücke über einen Nebenfluss des Amazonas geleitet –, hatte er sich geschworen, ein paar Monate zu pausieren und in seinem alten Prachtschlitten durch das Land zu fahren, wo auch immer es ihn hinziehen mochte. Und jetzt, weniger als fünfzig Meilen von seiner ersten Etappe entfernt, saß er schon fest.

Christian zuckte zusammen, als die ersten Takte des Hochzeitsmarsches erklangen und ihn an eine Braut erinnerten, die mehr an seinem Scheckbuch interessiert gewesen war als daran, mit ihm zusammen eine gemeinsame Zukunft aufzubauen.

Er musste hier weg. Sofort.

Sie musste hier weg. Sofort.

Darby hörte die ersten Takte des Hochzeitsmarsches, und automatisch machte sie einen Schritt vorwärts. Ebenso automatisch bedankte sie sich bei einer älteren Angestellten des Instituts, die ihr ein riesiges Bouquet aus Kamelien, Rosen und Efeu reichte. Wie aus weiter Ferne nahm sie die zwei Dutzend Tauben wahr, die plötzlich aufflogen, und das entzückte Raunen des Publikums, als es einen ersten Blick auf die Braut erhaschte.

Was jedoch ihre Aufmerksamkeit fesselte, war Patty Fitch mit dem Baby auf dem Arm.

Zeugungsunfähig. Chauncey Fitch war zeugungsunfähig. Er hatte Mumps gehabt.

Ein hysterisches Kichern stieg in ihr auf, aber sie unterdrückte es und blickte den Mann an, den sie heiraten sollte.

Kein Wunder, dass er dieser arrangierten Ehe so gelassen entgegensah. Kein Wunder, dass er sie nie geküsst hatte – und auch nicht die Rede auf gewisse delikate Themen gebracht hatte. Kein Wunder, dass er ihren Fragen nach weiteren Kindern ausgewichen war. Er hatte nicht vorgehabt, mit ihr Kinder zu zeugen. Niemals. Und Darby war davon ausgegangen, wenn sie sich besser kennen würden, dass er und sie vielleicht … dass sie …

Heißen Sex haben würden? spottete eine innere Stimme.

Er hatte die Wahrheit gesagt, als er ihr erzählt hatte, dass er nur eine Mutter für sein Kind wolle und eine Gastgeberin für seine …

Sein Kind. Seines?

Dieser gemeine, verlogene, miese … Schuft. Na komm, gib’s schon zu, dachte sie. Er ist ein Schuft. Er will weder dich noch das Kind. Was er will, ist das Nashton-Vermögen.

Die Erkenntnis traf Darby wie ein Donnerschlag, als sie bereits den halben Weg zum Altar zurückgelegt hatte.

Kein Wunder, dass Chauncey keinerlei Anstalten unternommen hatte, sich mit Sissy zu beschäftigen. Er hatte behauptet, Überstunden machen zu müssen, damit er für die Hochzeit freibekomme, aber wenn Darby jetzt darüber nachdachte, hatte er mehr Zeit damit verbracht, sich mit den Zahlen auf Sissys Konto vertraut zu machen als mit dem Baby selbst. Selbst seine Mutter war dem Kind gegenüber immer steif und reserviert gewesen. Wahrscheinlich war sie in diese schmutzige Angelegenheit eingeweiht. Wenn seine Tante nicht gewesen wäre, hätte Darby vielleicht nie die Wahrheit erfahren.

Verdammter Schuft! Wie konnte er es wagen, mit Sissys Leben zu spielen? Und mit Darbys!

Wütend funkelte sie Chauncey an, der gönnerhaft lächelte. Als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, wirkte er irritiert und zog fragend die Augenbrauen hoch.

Darbys Zorn wuchs mit jedem Schritt, den sie in Richtung Altar machte – und ihre Geschwindigkeit wuchs ebenfalls. Was als feierliches Schreiten begonnen hatte, wurde jetzt fast zum Laufen, und die Musiker kämpften darum, sich dem Tempo der Braut anzupassen.

Schließlich blieb sie an Chaunceys Seite stehen. Als sie diesen Mann anschaute, der sie angelogen und mit Sissys Zukunft gespielt hatte, der bereit gewesen war, für Geld ein Leben lang zu lügen, konnte sie ihren Zorn kaum noch bezähmen.

Chauncey ergriff Darbys Hand.

„Liebes Brautpaar“, begann der Pastor.

„Du Bastard“, zischte Darby.

Dem Geistlichen blieb buchstäblich der Mund offen stehen.

Chauncey wurde rot.

„Du hast mich angelogen, Chauncey.“

Er blickte sich rasch um und zischte ihr zu: „Nicht jetzt. Was auch immer es ist, es kann warten.“

„Mumps.“

Mit diesem einen Wort erregte sie bei diesem Mann mehr Aufmerksamkeit als vorher in einer ganzen Woche.

„Darby, ich kann alles erklären.“

Er versuchte nicht einmal abzustreiten, dass er sie angelogen hatte!

„Du bist nicht Sissys Vater.“

Chauncey schüttelte den Kopf.

„Dann haben wir nichts mehr zu bereden.“ Darby warf ihm den Strauß in die Arme.

Dem Geistlichen fielen fast die Augen aus dem Kopf.

„Es tut mir leid, Pastor, aber die Trauung wird nicht stattfinden.“

2. KAPITEL

Darby riss sich den Kopfschmuck vom Haar. Hinter ihr schnappten die Gäste hörbar nach Luft. „Adieu, Chauncey.“

Sie raffte den kratzigen Tüllrock und wirbelte herum. Sissy. Die Gäste begannen schon zu tuscheln und rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Darby wusste, dass sie nur Sekunden Zeit hatte, um zu entkommen. Wenn sie nicht schnell genug war, würde sie jemand aufhalten und eine Erklärung von ihr verlangen oder sie zwingen, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Sie musste hier weg!

Hastig lief sie auf Patty Fitch zu, riss ihr das Baby aus den Armen, dann bückte sie sich und packte die Wickeltasche. Dabei dankte sie dem Himmel für die Eingebung, ihre Börse und ein paar notwendige Dinge in dem Windelbeutel zu verstauen.

„Tut mir leid, Patty“, stieß Darby atemlos hervor. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, die Frau näher kennen zu lernen, aber Patty schien wirklich einen Narren an Sissy gefressen zu haben. „Ich weiß, wie sehr Sie sich eine Großnichte wünschen, aber ich kann das nicht tun. Es wäre ein schrecklicher Fehler.“ Während sie den Rückzug antrat, rief sie in Idas Richtung: „Ich sorge dafür, dass Sie das Kleid zurückbekommen, das verspreche ich.“

Dann rannte sie weiter, wich den Händen aus, die sie aufhalten wollten. Sie stürmte an den Angestellten des Hochzeitsinstituts vorbei, die sie fassungslos anstarrten, lief immer weiter und schließlich durch das Portal ins Freie.

Als sie den breiten Säulengang erreicht hatte, blieb sie stehen und rang nach Atem. Sie hatte kein Auto. Was nun?

Sie hatte kein Auto!

Und dabei würden ihr die Fitches bestimmt gleich auf den Fersen sein – oder schlimmer noch, die Leute von der Presse und vom Fernsehen, die eingeladen worden waren, um über die Trauungszeremonie zu berichten.

Vergeblich suchte sie nach einem Ausweg. Da stand nur die Limousine, die von Chaunceys Chauffeur poliert wurde, und …

Und ein schlanker, dunkelhaariger Fremder, der einen Autoreifen in den Kofferraum seines Oldtimer-Cabrios warf.

Ohne weiter nachzudenken, rannte Darby zu dem Fremden hinüber. Er bückte sich gerade, um den Wagenheber hochzunehmen. Entschlossen warf sie die Wickeltasche auf den Rücksitz.

Als die Beifahrertür ins Schloss fiel, richtete der Mann sich verblüfft auf und schlug den Kofferraumdeckel zu. „Hey! Was machen Sie da?“

„Steigen Sie ein“, befahl Darby und blickte gehetzt über die Schulter.

Die Eingangstür des Forums wurde aufgestoßen, und Chauncey stürzte heraus. „Darby! Darby, komm zurück! Ich kann dir alles erklären.“

Der Blick des Fremden flog von Darby zu Sissy und dann zu Chauncey. „Was, zum Teufel …“

„Fahren Sie schnell los!“, flehte Darby. „Bitte, steigen Sie einfach ein, und geben Sie Gas.“

Ihre offensichtliche Verzweiflung ließ ihn anscheinend nicht unberührt, denn er schwang sich hinters Lenkrad. „Wohin fahren wir?“

„Egal.“

Chauncey kam näher. Nur wenige Meter lagen noch zwischen ihnen.

Der Fremde warf einen Blick auf den Bräutigam, griff nach dem Zündschlüssel und startete den Motor. „In Ordnung. Was immer Sie wünschen.“

Dann fuhr er mit quietschenden Reifen los, und man hörte nur noch Chaunceys Rufe: „Darby! Komm zurück!“

Christian verstand selbst nicht, warum er so spontan gehandelt hatte. Er war eigentlich immer besonnen und sehr reserviert – vermutlich eine Folgeerscheinung seines Jobs, denn wenn man Brücken in Entwicklungsländern baute, konnte man sich keinen Leichtsinn leisten. Normalerweise hätte er keinen Fremden in seinem Wagen mitgenommen.

Aber dies war keine normale Situation. Ein Blick auf die Frau neben ihm machte ihn da ganz sicher.

Ihre feinen Züge waren angespannt, ihre Lippen zusammengepresst. Sie hielt das Baby so fest, dass es protestierte. Dennoch wartete Christian, bis sie ein ganzes Stück vom Hochzeitsforum entfernt waren, bevor er fragte: „Was wollen Sie überhaupt von mir?“

Die Frau schaute von Zeit zu Zeit über die Schulter zurück, als ob sie insgeheim erwartete, von einer Flottille Polizeiwagen überholt zu werden.

„Fahren Sie einfach weiter.“

„Welche Richtung?“

„Egal“, meinte sie, um sich gleich darauf zu korrigieren. „Nach Osten. Auf die Schnellstraße Richtung Osten.“

Christian zuckte die Schultern, aber da sich ihr Wunsch mit seinen ursprünglichen Plänen deckte, erhob er keine Einwände. Stattdessen tat er sein Bestes, den Wagen durch den dichten Stadtverkehr zu manövrieren, bis er den Zubringer zur Schnellstraße erreichte. Dann, als der Wind durch ihr Haar blies und sie schneller fahren konnten, sah er sie wieder an.

Die Situation war so unmöglich, dass es ans Komische grenzte. Er war gerade die Geisel einer Braut und eines Babys geworden. Der Rücksitz seines Wagens war vollgestopft mit einem Schleier, der sich im Wind bauschte, während das Baby ihn mit weit geöffneten dunklen Augen anstarrte, als wäre er ein Alien.

„Wem gehört das Kind?“, fragte er, nachdem er zu dem Schluss gelangt war, dass er sich zumindest erkundigen müsse, ob er hier zum Komplizen einer Kindesentführung wurde.

„Mir.“

„Sind Sie sicher?“

Wütend blickte sie ihn an. „Ja, ich bin sicher.“

Das schien ihr so ernst zu sein, dass er das Thema fallen ließ.

„Und Sie erwarten bestimmt nicht, dass ich Sie nach San Francisco zurückbringe, oder?“, fragte er, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten.

„Nein.“

Er überlegte. Wohin wollte sie eigentlich? Wer war sie? Und warum rannte sie von ihrer eigenen Hochzeit weg, um bei einem Fremden Schutz zu suchen?

„Geht hier irgendetwas Illegales vor?“, fragte er.

Wieder sah sie ihn verärgert an, ihre Augen funkelten. Ihm fiel die ungewöhnliche Farbe auf. Er hatte noch nie so blassgrüne Augen gesehen. Ihr Haar war blond, die Sonne hatte einige Strähnen gebleicht. Es war kurz und lud förmlich dazu ein, es zu zerzausen.

„Nein.“

Er betrachtete sie genauer, ihre entschlossene Miene, ihre zarten Züge und ihr schön geschnittenes Gesicht. Der Wind wehte durch ihr Haar, und unwillkürlich musste er an ein kleines Mädchen denken, das sich als Erwachsene verkleidet hatte. Sein Blick wanderte hinunter zu ihren nackten Schultern und dem trägerlosen Oberteil ihres Kleides. Nein, Irrtum. Sie war kein kleines Mädchen mehr. Ihr Körper hatte absolut nichts Kindliches und die richtigen Kurven an den richtigen Stellen.

Er schwieg eine Weile, bevor er sagte: „Ich glaube, Sie schulden mir eine Erklärung.“

Sie presste die Lippen zusammen.

„Immerhin könnte ich mich in Gefahr befinden.“

Verdutzt sah sie ihn an.

„Woher soll ich wissen, dass Sie keine Schwerverbrecherin sind oder eine Bankräuberin auf der Flucht.“

Sie musste lächeln. „Ich kann Ihnen versichern, dass hier nichts derart Aufregendes passiert.“

„So? Und was dann?“, drängte er. „Erzählen Sie mir nicht, dass Sie ein entlaufener Sträfling sind.“

Verächtlich verzog sie den Mund. „Das könnte die Sache schon eher treffen.“

Er spürte, dass sie im Begriff war, sich ihm anzuvertrauen.

Autor

Lisa Bingham
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