Wie verführt man einen König?
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Prinz Cassius de Leon saß in seiner Limousine und betrachtete die vier Frauen, die voller Spannung draußen standen und warteten, welche von ihnen er für diese Nacht erwählen würde. Er hatte eine rauschende Party hinter sich, und wie immer ließ er sich Zeit für seine Entscheidung. Cassius, der Zweite in der Thronfolge von Aveiras, wählte seine Gespielinnen unter verschiedenen Aspekten aus.
Würde sich die hübsche Brünette mit dem heißen Blick als leidenschaftlich oder schüchtern entpuppen? Könnte der kurvige Rotschopf mit dem ansteckenden Lachen ihm ohne Diskussion die Führung im Bett überlassen? Vermutlich war die blonde Amazone ziemlich anspruchsvoll, aber stand ihm heute Nacht danach der Sinn? Oder sollte er sich lieber für die andere Blondine entscheiden, deren raue Stimme ihm so gut gefiel?
Es war eine schwierige Entscheidung. Er mochte es gar nicht, jemanden enttäuschen zu müssen. Aber vielleicht … war das ja auch gar nicht nötig. Er konnte alle vier haben. Und Energie hatte er definitiv genug.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und eine Fee stieg ein. Nein, keine Fee, aber eine kleine, äußerst zierliche junge Frau, die das womöglich kürzeste Minikleid in der Geschichte der Mode trug. Ihre Haut war extrem zart, und ihr Haar, das fast bis zur Hüfte reichte, glänzte silbrig blond. Als sie ihn jetzt erwartungsvoll ansah, bemerkte er, dass ihre Lider schwer waren von grellblauem Lidschatten, ihre Wimpern wirkten wie Spinnenbeine, da sie äußerst unfachmännisch viel zu viel Mascara aufgetragen hatte. Ihre Augen selbst waren grau. Und so riesig, dass sie gar nicht zu dem schmalen Körper zu passen schienen.
Noch einmal schaute er genauer hin. Sie schien noch ein Teenager zu sein.
Wie zum Teufel konnte es ein Mädchen in diesem Alter wagen, sich einfach zu ihm in den Wagen zu setzen? Warum hatten seine Bodyguards nicht besser aufgepasst?
„Eure Hoheit“, begann das Mädchen ernst. „Entschuldigen Sie bitte. Ich weiß, es ist ungehörig, hier einfach einzudringen, aber es ist … ähm … äußerst wichtig, dass Sie mich heute Nacht mitnehmen.“
„Was?“ Fassungslos sah er sie an.
„Bitte, es ist dringend.“ Nervös schaute sie aus dem Wagenfenster nach draußen.
Sein Ruf, ein notorischer Frauenheld zu sein, eilte ihm voraus. Und jeder wusste auch, dass er niemals Nein sagte zu einer Gelegenheit, die Vergnügen versprach. Aber das galt nicht für Minderjährige. Wenn dieses Mädchen glaubte, er werde sich an ihr vergreifen, war sein Ruf schlimmer als gedacht.
Dein Vater wird stolz auf dich sein.
Sofort verdrängte Cassius diesen Gedanken wieder.
„Wie alt bist du überhaupt?“, erkundigte er sich streng.
„Zwanzig.“ Ihre grauen Augen blitzten. „Ich bin kein Kind mehr.“
Er seufzte. „Natürlich bist du noch ein Kind. Und ich bin nicht pervers. Also raus aus dem Wagen, Kleine. Da draußen warten erwachsene Frauen auf mich.“
Stirnrunzelnd griff die Elfe in ihre kleine silberne Umhängetasche, zog eine Brille heraus, putzte die Gläser mit ihrem Kleiderstoff und setzte sie auf.
„Hören Sie“, sagte sie ernst. „Sie sollen nichts mit mir anstellen. Es geht nur darum, dass die anderen es glauben.“
Cassius wusste, dass er die Wagentür öffnen und einen seiner Leibwächter anweisen sollte, die Kleine loszuwerden. Es war ihm selbst schleierhaft, warum er nicht genau das tat. Zumal die Schönheiten da draußen nur auf einen Fingerzeig von ihm warteten.
Doch er war neugierig geworden, und die Kühnheit des Mädchens reizte ihn. Es gehörte schon Mut dazu, einfach in die Limousine des Prinzen von Aveiras zu klettern und selbstverständlich davon auszugehen, dass er sie nicht sofort hochkant wieder hinauswarf.
Also streckte er die Beine aus und schob die Hände in die Hosentaschen. „Vermutlich wirst du mir erzählen, warum es dir so wichtig ist, dass jeder glaubt, ich hätte plötzlich mein Herz für Teenager entdeckt?“
Sie runzelte die Stirn. „Ich bin kein Teenager“, beharrte sie. „Aber egal – meine Eltern wollen mich mit einem widerlichen, gewalttätigen Mann verheiraten. Aber wenn er Wind davon bekommt, dass ich die Nacht mit Prinz Cassius verbracht habe, geht er davon aus, dass ich keine Jungfrau mehr bin. Dann wird er sein Interesse an mir verlieren.“
Cassius wartete ab, doch sie gab nicht mehr preis. Er hatte schon den Mund geöffnet, um ihre Bitte abzulehnen, als sie hastig hinzufügte: „Der Mann ist Stefano Castelli.“
Cassius schloss den Mund wieder.
Stefano Castelli war das Oberhaupt einer der ältesten aristokratischen Familien des Landes. Vor ein paar Jahren war seine Frau gestorben, und der Fünfzigjährige machte keinen Hehl daraus, dass er sich auf dem Markt nach einer Frau umsah, die ihm einen Erben gebären könnte. Seine Ehe war kinderlos geblieben. Es gab Gerüchte über seine … ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben. Der Mann war ein Monster, und es war unvorstellbar, ihm dieses Mädchen zum Fraß vorzuwerfen.
„Wie heißt du?“, erkundigte er sich interessiert. Wenn sie tatsächlich mit Stefano Castelli verheiratet werden sollte, musste sie ebenfalls aus der Aristokratie stammen.
„Inara Donati.“ Mit großen Augen sah sie ihn an. „Werden Sie mir helfen?“, flehte sie.
Von einer Familie Donati hatte er noch nie gehört, doch das königliche Protokoll mit all den Namen der wichtigsten Familien von Aveiras hatte ihn auch nie sonderlich interessiert.
Vielleicht gehörten die Donatis auch zu den Neureichen, die unbedingt in den Adelsstand einheiraten wollten, um ihren gesellschaftlichen Status zu verbessern.
Wie auch immer – wenn es stimmte, was sie sagte, war es annähernd kriminell, was Stefano Castelli vorhatte.
Cassius setzte sich selten für andere ein, und schließlich war er auch selbst kein unbeschriebenes Blatt, was sein Sexleben anging. Aber die Vorstellung, dass dieses Mädchen in die Hände von Castelli geriet, behagte ihm gar nicht.
„Erzähl mir erst mal mehr“, forderte er. „Zum Beispiel dein wahres Alter.“
Verwirrt sah sie ihn an. „Ich weiß nicht, was …“
„Na los.“
Sie zog eine Grimasse. „Na gut. Ich bin sechzehn.“
Es war nicht illegal, in diesem Alter zu heiraten. Zumindest, wenn man die Erlaubnis der Eltern – in diesem Fall wohl besser: die Aufforderung der Eltern – hatte.
„Verstehe. Und warum wollen deine Eltern unbedingt, dass du Castelli heiratest?“
„Weil die Castellis eine alte Adelsfamilie sind und meine Eltern gern Teil der Aristokratie werden möchten.“ Inara wedelte mit ihrer Tasche. „Reicht das an Informationen?“
„Gibt es keine anderen Familienmitglieder, von denen du dir helfen lassen könntest? Oder Freunde?“ Die Frage war absolut vernünftig, aber er befürchtete, die Antwort schon zu kennen.
Und tatsächlich schüttelte sie den Kopf. „Ich bin Einzelkind, und niemand lehnt sich gegen meinen Vater auf.“
Eine schwierige Situation. Noch dazu, weil ihre Eltern für sie verantwortlich waren, bis sie achtzehn wurde.
Aber du könntest ihr helfen, wisperte eine kleine Stimme in seinem Kopf. Niemand wird einem Prinzen eine Bitte verweigern. Und vielleicht ist das endlich eine Gelegenheit, deinem Vater zu zeigen, aus welchem Holz du geschnitzt bist.
Es interessierte Cassius eigentlich nicht, was sein Vater von ihm hielt. Aber er war es leid, dass der König immer darauf herumritt, wie sein Sohn sich benahm. Cassius sah das anders. Sein Bruder war der Thronfolger, er würde irgendwann das Land regieren. Wen also kümmerte es, wie Cassius sein Leben verbrachte?
Doch dieses Mädchen hatte sich an ihn gewandt, und jetzt sah sie ihn an, als wäre er ihr Retter aus größter Not. Diese Rolle war völlig neu für ihn. Seine Familie machte ihm immer wieder klar, welch eine Enttäuschung er für sie war, und seine wechselnden Freundinnen wollten nur eine leidenschaftliche Nacht mit ihm verbringen.
Niemand hatte ihn jemals so angesehen, als wäre von ihm Hilfe zu erwarten.
Es gefiel ihm.
Sie war noch minderjährig und musste tun, was ihre Eltern verlangten. Selbst wenn er sie in Sicherheit bringen konnte, würde er ihre Eltern nicht aufhalten können, wenn sie die Herausgabe ihrer Tochter forderten. Auch die königliche Familie stand nicht über dem Gesetz.
Er könnte sich an die Polizei wenden, einen Anwalt einschalten – aber die Prüfung der Rechtslage würde Zeit kosten. Zeit, die dieses Mädchen nicht hatte.
Natürlich könnte er auch den König um Hilfe bitten, aber sein Vater stand seinen Aktivitäten nie besonders wohlwollend gegenüber. Und wenn er ehrlich war, wollte er sich nicht an ihn wenden, sondern dieses Mädchen auf eigene Faust retten.
Die Frage war nur, wie? Optimal wäre es, wenn es ihm irgendwie gelingen könnte, ihr offizieller Beschützer zu werden. Doch das war unmöglich, solange ihre Eltern die Vormundschaft hatten.
Stirnrunzelnd sah das Mädchen ihn an. „Es ist ganz einfach“, beschwor sie ihn. „Sie müssen mich nur ein paar Stunden mitnehmen, dann wird alle Welt denken …“
„Oh nein, so einfach ist das nicht. Mir ist egal, was die Leute über mich reden. Aber ich werde auf gar keinen Fall den Eindruck erwecken, minderjährige Mädchen zu verführen“, blieb er hart.
Sie biss sich auf die Lippe. „Oh. Daran hatte ich nicht gedacht.“
„Logisch“, erwiderte er trocken. „Außerdem bezweifle ich, dass es Stefano Castelli wichtig ist, eine Jungfrau zu heiraten. Er will einen Erben, das ist alles, was ihn interessiert.“
Zwischen ihren Augenbrauen tauchte eine schmale Sorgenfalte auf. Sie wirkte besorgt – nein, mehr als das: erschrocken.
„Und was soll ich stattdessen tun?“ Sie wirkte ehrlich verzweifelt. „Vielleicht sollte ich das Land verlassen. Oder …“
„Und wo willst du hin?“, unterbrach er sie vorsichtig. „Ich nehme an, du hast nicht einmal einen Pass, oder? Und vermutlich auch kein Geld. Und selbst wenn du es ins Ausland schaffen würdest – die Polizei würde dich aufgreifen und dich postwendend zu deiner Familie zurückbringen.“
Sie senkte den Blick und atmete hörbar ein. Es war unschwer zu erkennen, dass sie mit den Tränen kämpfte. „Dann habe ich wohl keine Wahl“, stellte sie mit zitternder Stimme fest. „Entschuldigen Sie bitte, Hoheit, dass ich Sie belästigt habe.“
Doch Cassius hatte inzwischen eine Entscheidung getroffen. Inara war in Gefahr, und sie war am Boden zerstört. Und immerhin hatte sie ihn um Hilfe gebeten. Nicht seinen Bruder, den ehrenvollen Thronfolger, der immer die richtigen Entscheidungen traf, sondern ihn.
Für sie war er nicht der zügellose, missratene Zweitgeborene. Sie sah in ihm nicht den sorglosen, egozentrischen Playboy-Prinzen.
In ihren Augen war er ein Held – ihr Retter.
Und genau deshalb konnte er ihre Hoffnung nicht enttäuschen.
„Warte“, sagte er, während er fieberhaft überlegte, wie er ihr helfen könnte.
Ihm fiel nur ein Weg ein, der funktionieren konnte. Eine einzige Möglichkeit, um sie davor zu bewahren, ein Monster zu heiraten und gleichzeitig ihre Eltern nicht zu enttäuschen.
Er musste sie selbst heiraten.
Die Entscheidung erschreckte ihn selbst, und seine Eltern wären entsetzt. Zweifellos würde er einen Skandal heraufbeschwören. Aber das konnte ihn nicht davon abhalten. Immerhin war er nie der Prinz gewesen, den sie sich gewünscht hatten, und er hatte schon vor langer Zeit aufgehört, es zu versuchen.
Stattdessen würde er nun für dieses Mädchen ein Held sein.
Und was ihre Eltern betraf, so wären sie vermutlich glücklich, dass Inara einen Prinzen heiraten würde statt irgendeinen minderwertigen Adligen.
Er würde ihr den Schutz seines Namens anbieten, zwei Jahre lang würde sie seine Schutzbefohlene sein. Und dann, wenn sie achtzehn war, konnten sie sich scheiden lassen, und sie wäre den Fängen ihrer Eltern für immer entkommen.
Es war eine ungewöhnliche Entscheidung, aber die Hauptsache war, dass sie in Sicherheit war. Er würde sie beschützen.
Mit großen Augen sah sie ihn erwartungsvoll an. Und er enttäuschte sie nicht.
„Ich kann dir helfen“, begann er und sah sie direkt an. „Aber ich befürchte, mein Vorschlag wird dir nicht gefallen.“
„Es kann nicht schlimmer werden, als Stefano Castelli heiraten zu müssen.“
„Kommt darauf an. Wie fändest du es, stattdessen mich zu heiraten?“
„Seine Hoheit ist angekommen, Eure Hoheit.“
Inara sah von der Tastatur auf. Sie schrieb gerade eine E-Mail an eine Kollegin in Helsinki. „Was? Jetzt schon?“ Verwundert sah sie ihren Butler an.
Henri hatte sich längst daran gewöhnt, dass sie kein Zeitgefühl hatte. Dezent neigte er den Kopf. „Er wartet im Lavendelzimmer auf Sie.“
Inaras Herzschlag beschleunigte sich. Sie wusste, dass ihr Ehemann Ordnung liebte, und das Lavendelzimmer war nicht sonderlich aufgeräumt. Henri und seine Frau Joan kümmerten sich zwar um Inaras Wohntrakt, aber mit dem königlichen Standard konnte er nicht mithalten.
Hastig erhob sie sich und spürte, wie sie errötete. Wann immer Cassius sie besuchte, war sie aufgeregt. Auch fünf Jahre nach ihrer Hochzeit liebte sie ihn noch wie am ersten Tag, während er ihre Anwesenheit kaum zu bemerken schien.
Nein, das stimmte so nicht, korrigierte sie sich. Er besuchte sie regelmäßig und hatte sie von dem Skandal, den ihre Eheschließung verursacht hatte, weitgehend abgeschirmt. Und in den vergangenen Jahren hatte er dafür gesorgt, dass es ihr an nichts fehlte. „Die vergessene Frau des Prinzen“ nannte die Presse sie, doch das war ihr egal.
Mit seiner Macht und seinem guten Namen hatte er sie damals vor ihren Eltern beschützt. Er hatte ihr erlaubt, die Schule zu beenden und Mathematik zu studieren. Zwar überließ er sie die meiste Zeit sich selbst, doch gelegentlich hatten sie sich zum Dinner und zum Lunch getroffen, hier und da zusammen gefrühstückt.
Sie hatte seine Besuche geliebt, die seltenen Momente, in denen sie ihn ganz für sich allein hatte.
Doch dann hatte sich alles verändert. Seine gesamte Familie war bei einem Unfall ums Leben gekommen, von einem Tag auf den anderen war er König geworden. Und bald darauf hatte er seine Besuche bei ihr eingestellt.
„Ich befürchte, im Lavendelzimmer stehen noch tausend Teetassen, und ich …“
„Machen Sie sich keine Sorgen, Eure Hoheit“, beschwichtigte Henri sie in der ihm üblichen väterlichen Art. „Es ist alles aufgeräumt.“
Dankbar lächelte Inara ihn an, dann fuhr sie sich mit der Hand durchs Haar und überlegte, ob sie es aufstecken sollte. Doch Henri schüttelte den Kopf.
Den König ließ niemand warten.
Also ging Inara den weitläufigen Flur hinunter, der sich über die Länge des ganzen Hauses erstreckte. Als Cassius den Thron bestiegen hatte, war sie hier hinausgezogen. Das Landhaus war der traditionelle Urlaubssitz der jeweiligen Königin von Aveiras. Es lag inmitten von Feldern und Wäldern, und Inara liebte die Abgeschiedenheit dieses Ortes.
Hier konnte sie nicht nur der Hektik der Hauptstadt entfliehen, sondern auch den Paparazzi.
Seit seiner Krönung hatte Cassius sie nur wenige Male hier besucht. Meistens fuhr sie in die Stadt, wenn es galt, ihn zu Empfängen oder zu Benefizveranstaltungen zu begleiten. Deshalb fragte sie sich, warum er gekommen war.
Die Tür zum Lavendelzimmer stand offen, und sie sah Cassius am Kamin stehen. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, und sie nutzte die Gelegenheit, seine breiten Schultern in dem dunklen, maßgeschneiderten Anzug zu betrachten. Selbst in einem so unspektakulären Moment wie diesem dominierte er sofort den gesamten Raum.
Ihr Herz machte einen Satz, und ihr Magen zog sich zusammen. Es war immer dasselbe – in seiner Gegenwart wurde sie nervös und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Und sie konnte nicht aufhören, ihn anzusehen.
Sie versuchte, ihre Reaktion auf ihn zu verbergen. Schließlich war sie kein sechzehnjähriger Teenager mehr. Aber sie befürchtete, dass er sie durchschaute. Immerhin war er einige Jahre älter als sie und hatte ziemlich viel Erfahrung mit Frauen. Doch sie war ihm dankbar, dass er diese Tatsache mit keiner Silbe erwähnte. Und sie wusste es auch zu schätzen, dass er ihre Unsicherheit, die sie jedes Mal überfiel, wenn sie ihm begegnete, geflissentlich übersah.
Sie trat ein, atmete tief durch und setzte zu einer Begrüßung an.
„Wie geht es dir, Inara?“, kam er ihr jedoch zuvor. Noch immer hatte er ihr den Rücken zugekehrt und schien das Aquarellgemälde eines wogenden Lavendelfeldes zu begutachten, das dem Raum seinen Namen gegeben hatte.
Seine Stimme war klangvoll und tief, und sie schien sanft über Inaras Haut zu streichen wie eine kühlende Sommerbrise.
„Oh … ähm … gut.“ Verwirrt strich sie ihren Rock glatt. „Ich habe heute mit Professor Koskinen in Helsinki telefoniert, es ging um eine Theorie, an der ich gerade arbeite. Sie ist wirklich interessant, ich habe …“
„Davon bin ich überzeugt“, unterbrach er sie, ohne den Blick von dem Bild abzuwenden. „Aber ich befürchte, dass ich nicht hier bin, um irgendwelche Theorien mit dir zu diskutieren.“
Hör auf zu plappern und benimm dich wie ein normaler Mensch.
Schlagartig verblasste ihre Freude, ihn zu sehen. „Also gibt es einen besonderen Grund für deinen Besuch?“
Langsam wandte er sich zu ihr um, und einmal mehr stockte ihr der Atem. Cassius de Leon, König von Aveiras, war der schönste Mann, den sie jemals gesehen hatte. Mit seinen breiten Schultern und dem durchtrainierten Körper wirkte er wie ein Ritter aus dem Mittelalter. Sein Haar war nahezu pechschwarz, und seine bernsteinfarbenen Augen leuchteten golden. Er war von einer düsteren, ausgesprochen maskulinen Schönheit, gepaart mit natürlicher Autorität.
Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte ihm sein charmantes Lächeln die Türen zu den Herzen und Schlafzimmern der Frauen in ganz Europa und darüber hinaus geöffnet. Mittlerweile trat dieses gewinnende Lächeln nur noch selten auf sein Gesicht. Stattdessen strahlte er eine eiserne, kühle Stärke aus, mit der er jeglichen Widerspruch seines Gegenübers im Keim erstickte.
Der Playboy von einst war verschwunden und hatte einem strengen, unnachgiebigen Herrscher Platz gemacht.
Und dieser König war ihr Ehemann.
Abwartend sah sie ihn an, mehr als gespannt auf seine Antwort.
„Ganz einfach“, erklärte er. „Ich bin hier, weil ich mich scheiden lassen will.“
Eigentlich hatte Cassius erwartet, seine Frau werde in der ihr eigenen, immer leicht abwesenden Weise nicken und sagen, eine Scheidung sei in Ordnung. Dann hätte sie ihm einen Tee anbieten und ihn in ein Gespräch über irgendwelche Belanglosigkeiten verwickeln sollen. Bei seinem letzten Besuch vor einem halben Jahr hatte sie über schwarze Löcher geredet, und innerhalb weniger Minuten hatte er den Faden verloren.
Um ehrlich zu sein, hatte das eventuell auch daran gelegen, dass sie eine hauchdünne weiße Bluse getragen hatte, unter der sich ihr Spitzen-BH abzeichnete. Dadurch war er ziemlich abgelenkt gewesen.
Ein Grund mehr – wenn er denn noch einen weiteren Grund gebraucht hätte –, um sich scheiden zu lassen.
Doch entgegen seiner Erwartung nickte Inara nicht. Ihr zarter Teint, der ihn immer an eine Elfe erinnerte, wurde blass, und schockiert öffnete sie ihre vollen, rosigen Lippen.
„Du willst … die Scheidung?“ Ihre klare Stimme klang plötzlich rau.
Es hörte sich an, als hätte er ihr ein Messer in die Brust gerammt, und er wusste nicht, wie er mit ihrer Reaktion umgehen sollte. Sie hatten vereinbart, sich scheiden zu lassen, sobald sie volljährig und nicht mehr von ihren Eltern abhängig war. Aber dann waren seine Eltern und sein Bruder verunglückt, und er hatte den Thron besteigen müssen. In diesem Moment hatte er überhaupt nicht an eine Scheidung gedacht, und es wäre zudem ein fatales Zeichen an sein Volk gewesen, das sich von ihm Stabilität und Sicherheit erhoffte.
Doch seitdem waren drei Jahre vergangen, das Land hatte sich gefestigt, und nun war der Zeitpunkt gekommen, seinen Untertanen einen Erben zu präsentieren. In diesem Punkt waren seine Minister unnachgiebig, und er wusste, dass sie recht hatten. Cassius war der einzig Überlebende des Königshauses. Er musste für den Fortbestand der Linie sorgen.
Dafür brauchte er eine Frau an seiner Seite, die ihn auf wichtigen Staatsbesuchen begleitete, ihre königlichen Pflichten versah und mit derselben Autorität, Würde und Eleganz auftrat, wie es seine Mutter über all die Jahre getan hatte.
Als er Inara geheiratet hatte, war er selbst noch ein anderer gewesen – jung, ohne Verpflichtungen und mit der verrückten Idee, eine junge Frau aus den Fängen ihrer Eltern retten zu können. Gleichzeitig hatte er seinem Vater damit beweisen wollen, dass er nicht so selbstsüchtig war, wie der König glaubte.
Fassungslos stand Inara vor ihm, ihre grauen Augen weit aufgerissen, die Hände unwillkürlich zu Fäusten geballt. Auch dieses Mal trug sie ein dünnes weißes Baumwollkleid, durch das er ihre Unterwäsche ebenso sehen konnte wie letztes Mal.
Er sollte gar nicht so genau hinsehen. Die Zeiten, in denen er sich nahm, wonach ihm der Sinn stand, waren aus und vorbei. Sie waren mit seiner Familie gestorben.
Inaras Haar war mit einem einfachen Gummiband zu einem nachlässigen Knoten aufgesteckt, einige ihrer silberblonden Strähnen hatten sich daraus gelöst und fielen ihr über die Schultern. Über ihre linke Wange lief ein blauer Streifen, als wenn sie sich aus Versehen mit einem Stift angemalt hätte. Ob sie heute überhaupt schon einmal in den Spiegel gesehen hatte?
Definitiv keine geeignete Königin.
Das hatte auch nicht zur Debatte gestanden, als er sie geheiratet hatte, um sie vor ihren Eltern zu schützen.
„Aber ich …“, begann sie. „Ähm, ich meine … darf ich fragen, warum?“
Natürlich stellte sie Fragen, damit hatte er gerechnet.
Gelassen sah er sie an. „Um ehrlich zu sein, wird es Zeit für einen Erben. Außerdem braucht Aveiras eine Königin, die ein aktives Interesse an unserem Land hat und mich als König unterstützt.“
„Oh“, brachte Inara heraus. „Ich verstehe.“
Seltsamerweise war sie noch immer vollkommen blass. Sie hatten nie geplant, diese Ehe bestehen zu lassen. Zudem lebte sie nicht gern in der Stadt. Und sie wollte auch nicht Königin sein. Also müsste sie doch eigentlich froh sein über diese Nachricht, oder?
„Du kannst hier wohnen bleiben, wenn du möchtest“, bot er an und sah sich um. Obwohl der Raum peinlich sauber gehalten war, herrschte hier ein fröhliches Durcheinander. Das Sommerhaus der Königin war wunderschön. Doch ihn erinnerte es schmerzlich an seine Mutter. Deshalb würde er es Inara sofort überlassen.
Noch immer sagte sie nichts, sondern sah ihn so an, als hätte er sie verletzt.
„Dein Leben wird sich nicht großartig verändern“, betonte er mit sanfter Stimme, denn er begann, sich Sorgen um sie zu machen. „Du kannst weiterhin hier wohnen und studieren. Und du musst nicht mehr nach Katara kommen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Du wirst frei sein, Kleines. So, wie du es dir immer gewünscht hast.“
Doch der fassungslose Ausdruck verschwand nicht, und er bemerkte, wie sie ihre Fäuste öffnete und erneut anspannte.
Ganz offensichtlich war es keine gute Nachricht für sie, auch wenn er nicht verstand, warum. Als er ihr vor fünf Jahren angeboten hatte, sie zu heiraten und so vor den Plänen ihrer Eltern zu schützen, war sie wachsam gewesen – und das zu Recht. Schließlich hatte sie nicht vorgehabt, der einen Ehe durch eine andere zu entkommen.
Seine Eltern waren entsetzt gewesen, und die Mehrheit des Volkes ebenso. Sie hatten in ihm nicht den Beschützer gesehen, wie er es sich vorgestellt hatte. Seine Heirat war ein Skandal gewesen. Was bedeutete ein verzweifelter Teenager denn schon im Angesicht der Krone?
Und nun gab es seit drei Jahren keinen Grund mehr dafür, diese Ehe aufrechtzuerhalten. Er hätte die Scheidung viel eher in die Wege leiten sollen.
„Wenn du dir Sorgen machst, was mit dir geschehen wird, dann …“
„Nein, ich mache mir um mich keine Sorgen“, entgegnete sie gepresst.
Fragend sah Cassius sie an. „Was ist los, Inara?“
Er konnte spüren, wie aufgewühlt sie war. Dabei kannte er sie eigentlich nur fröhlich, sprühend vor Energie und interessiert. Sie war zweifellos intelligent, und dass sie nebenbei einige sonderbare Angewohnheiten hatte, amüsierte ihn. Er genoss es, ihre Fortschritte zu sehen, wenn er sie besuchte.
Ihr schien es immer egal gewesen zu sein, dass er ein Prinz und schließlich ein König war. Seine Meinung hatte sie stets interessiert, und zwar als Mensch, nicht als Herrscher. Es gefiel ihm, dass sie ihren eigenen Standpunkt hatte und mutig genug war, mit ihm zu streiten. Fast niemand wagte es mehr, ihm zu widersprechen, seit er den Thron bestiegen hatte.