Wiedersehen unter den Sternen der Toskana

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Ein mächtiger Sturm tobt über Cornwall, als Cordelia einen Fremden vor dem Ertrinken rettet. Luca Baresi bringt ihr überschaubares Leben durcheinander und zeigt ihr sinnlich, wie heiß die Leidenschaft sein kann. Mit süßen Folgen, wie sie nach seiner Abreise herausfindet! Im Internet sucht Cordelia seinen Namen - und erfährt schockiert, dass ihr Liebhaber mit den meergrünen Augen ein italienischer Milliardär ist. Aber nichts hat sie auf seine Verachtung vorbereitet, als sie ihn in der Toskana aufsucht. Er glaubt, sie sei skrupellos auf sein Geld aus!
  • Erscheinungstag 03.05.2024
  • Bandnummer 212020
  • ISBN / Artikelnummer 9783963692277
  • Laufzeit 04:52:00
  • Audio Format mp3-Download
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Wo bin ich?“

Cordelia drehte sich um und starrte den Mann an, der im Bett lag. Seit drei Tagen hatte er kein Wort gesprochen. Die meiste Zeit über hatte er geschlafen, so wie Dr. Greenway es vorausgesagt hatte. Ab und zu hatte er die Augen geöffnet und sich umgesehen, dabei aber den Eindruck gemacht, als würde er seine Umgebung nicht wirklich wahrnehmen.

„Sorgen Sie für genügend Flüssigkeit“, hatte der Arzt geraten. „Im Krankenhaus kann man auch nicht mehr für ihn tun als hier. Eher sogar weniger. Sie wissen ja, wie überarbeitet man dort ist. Es gibt einfach zu wenig Personal, vor allem, weil die Hälfte des Krankenhauses wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Man würde sich dort kaum um den Mann kümmern können. Er muss stark wie ein Ochse sein, nach dem, was er durchgemacht hat. Eigentlich hätte es ihn schlimmer treffen müssen.“

Also hatte Cordelia ihn in einem der freien Schlafräume in dem weitläufigen Haus untergebracht, in dem sie mit ihrem Vater lebte. Abwechselnd hatten sie nach ihm gesehen und sich auf den Arzt verlassen, der zweimal am Tag kam und ihnen versicherte, dass eine plötzliche Verschlechterung nicht zu erwarten sei. Wenn er zu trinken bekam, wurde er aufgesetzt, und in den letzten vierundzwanzig Stunden hatte er es geschafft, zwei leichte Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Ihr Vater hatte ihm das Badezimmer gezeigt und ihm ein paar seiner eigenen Sachen angezogen.

Er hatte zwar Fortschritte gemacht, war aber immer noch nicht richtig bei sich gewesen. Bis jetzt.

Sie sah ihn an, und ihr Herz schlug schneller.

Luca. So hieß der Mann. Luca Baresi. Das wusste sie, weil sie seine Geldbörse in seiner Hosentasche gefunden hatte. Sie hatte nach einem Namen gesucht und einer Kontaktnummer, damit sie seine Familie benachrichtigen konnte.

Doch mehr als seinen Namen hatte sie nicht herausfinden können. Wahrscheinlich war sein Handy in den Tiefen des Meeres verschwunden, sollte er eines dabeigehabt haben. Der Inhalt seiner Geldbörse war viel zu durchnässt, um einen Hinweis liefern zu können.

„Nun?“

Cordelia zuckte zusammen und ging zu ihm. Er hatte sich gegen das Kissen gelehnt und sah sie mit schräg gelegtem Kopf fragend an.

Sein bemerkenswert attraktives Äußeres zu bewundern, wenn er schlief, war eine Sache. Aber wenn er sie mit seinen grünen Augen beinahe durchbohrte, fühlte es sich ganz anders an.

„Sie sind im Haus meines Vaters.“ Sie blieb neben dem Bett stehen und setzte sich dann vorsichtig auf die Kante.

Seine Augen sind so grün wie das Meer, wenn die Sonne scheint, dachte sie verwirrt. Und seine bronzefarbene Haut deutete darauf hin, dass er nicht von der Küste Cornwalls stammte. Selbst die Männer, die sie kannte, alle Fischer wie ihr Vater und von der Sonne gebräunt, wirkten blass im Vergleich zu ihm.

„Was mache ich im Haus Ihres Vaters, und warum trage ich diese Sachen?“

„Erinnern Sie sich denn an nichts?“

„Ich weiß, dass ich auf meinem Boot war.“ Er runzelte die Stirn. „In der einen Minute schien die Sonne, und in der nächsten war der Himmel schon schwarz.“

Cordelia nickte mitfühlend und bemerkte, wie tief seine Stimme klang. Tief und verstörend.

„So ist das Wetter hier“, murmelte sie. „Besonders im Sommer. Wie aus heiterem Himmel kann plötzlich ein Sturm aufkommen.“ Sie sah auf seine Hand, mit der er sein Schlüsselbein massierte. Er versuchte immer noch zu begreifen, das zeigte seine gerunzelte Stirn. Verständlich, wenn man bedachte, was er durchgemacht hatte. Er sieht wirklich gut aus, dachte sie. Mit den dunklen Haaren, der olivfarbenen Haut und den Gesichtszügen, die wie gemeißelt waren.

Aber vielleicht war sie mit ihren vierundzwanzig Jahren und mit einem so vorhersehbaren Leben, wie sie es führte, auch nur sehr leicht zu beeindrucken, wenn jemand halbwegs anständig aussah.

Allerdings war dieser Mann weit davon entfernt, als halbwegs anständig durchzugehen. Barry hatte halbwegs anständig ausgesehen. Sie war acht Monate mit ihm gegangen, bevor sie sich eingestehen musste, dass die Sache zu nichts führte, vor allem nicht ins Bett. Wobei er zunehmend deutlicher gemacht hatte, dass dies genau seine Absicht war, allerdings ohne ihr vorher den Hof zu machen. Das höchste der Gefühle waren ein paar Wiesenblumen oder hin und wieder ein Kinobesuch oder ein Abend im Pub gewesen, um sie für sich zu gewinnen.

„Offenbar ist Ihnen genau das passiert.“ Sie räusperte sich und rutschte hin und her, weil er sie so eindringlich ansah. „Vor drei Tagen. Sie hätten sich die Wettervorhersage ansehen sollen, bevor Sie beschlossen, mit dem Boot hinauszufahren. Die meisten hier machen das. Die Leute wissen, wie unberechenbar das Wetter in dieser Gegend ist. Aber Sie sind nicht von hier, oder?“

„Was machen Sie hier?“

„Wie bitte?“

„Sind Sie eine Krankenschwester?“

„Nein. Ich … nein, bin ich nicht. Vermutlich fragen Sie sich, warum Sie hier sind und nicht in einem Krankenhaus. Aber das Krankenhaus hier im Ort ist sehr klein. Und Dr. Greenway hielt es nicht für nötig, Sie mit der Ambulanz ins nächst größere zu bringen, das nämlich ziemlich weit entfernt ist. Er meinte, Sie würden sich auch hier gut erholen. Er war hier, nachdem ich Sie gefunden habe.“

„Sie haben mich gefunden?“

„Zufällig habe ich zu der Zeit gerade aus meinem Schlafzimmerfenster geschaut.“

Sie starrte ins Leere und dachte darüber nach, wie es sein musste, dort draußen zu leben … in der großen, bösen Welt … wo Abenteuer lauerten und man Menschen traf, die nicht mit einem zur Schule gegangen waren. Wo Aufregendes hinter halb geöffneten Türen wartete und Trauer und Verlust nicht länger ihre treuen Begleiter waren …

Sie wurde rot. Obwohl er kein Wort gesagt hatte, hatte sie das seltsame Gefühl, dass er wusste, was ihr durch den Kopf gegangen war, auch wenn das natürlich nicht sein konnte.

„Ihr Boot war nur ein kleiner Fleck in der Ferne, der im Sturm hin und her geschüttelt wurde.“

„Und dann haben Sie …“

„Dad war nicht da“, sagte sie. „Und ich bin auf dem Meer genauso sicher wie jeder andere hier.“ Sie sah, dass seine Augenbrauen nach oben gingen, und abwehrend presste sie die Lippen aufeinander. Sie wusste nichts über diesen Fremden, der im Bett lag, doch eines war ihr klar: Mit seinem umwerfenden Aussehen und seinem Selbstvertrauen mangelte es ihm sicher nicht an weiblicher Gesellschaft. Und diese weibliche Gesellschaft wäre bestimmt nicht in der Lage, auf hoher See bei stürmischem Wetter ein Boot zu lenken.

„Tatsächlich?“

„Wahrscheinlich sogar besser.“ Sie zuckte die Schultern. „Mit achtzehn habe ich mein Kapitänspatent bekommen, und ich verfüge über sämtliche Qualifikationen, die man braucht, um auf dem Meer zu fischen. Ich weiß alles darüber, wie man auf dem Meer überlebt, auch, was zu tun ist, wenn auf hoher See ein Feuer ausbricht. Und meine Erste-Hilfe-Fähigkeiten sind ausgezeichnet.“

„Also haben Sie mich gerettet, weil ich so dumm war, mich hinter das Steuer eines Boots zu stellen, ohne zuerst den Wetterbericht zu checken. Wie haben Sie das denn geschafft?“

„Indem ich das schnellste und stärkste Boot meines Vaters genommen habe und hinausgefahren bin. Mir ist gar nicht in den Sinn gekommen, jemanden um Hilfe zu bitten, weil ich wusste, dass ich sofort hinausmuss, sollte jemand auf dem Boot in Schwierigkeiten sein.“

„Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mit dem Boot hinausgefahren bin und ein Sturm aufkam, aber danach …“

„Sie standen neben sich, ich weiß. Sie waren im Wasser und haben sich seitlich an Ihr Boot geklammert, als ich bei Ihnen ankam. Halb bewusstlos.“

„Und trotzdem haben Sie es geschafft, mich in Ihr Boot zu hieven.“

Cordelia dachte an all diese Ein-Meter-fünfzig-Püppchen, die immer die Aufmerksamkeit der Jungs auf sich zogen, die sofort in den Beschützermodus schalteten, wenn eines dieser zarten Pflänzchen in der Nähe war.

Sie hatte sich immer gewünscht, auch so klein und zart zu sein. Stattdessen war sie groß und kräftig. Konnte schwimmen wie ein Fisch und beim Segeln mit den Besten mithalten.

„Ganz weg waren Sie nicht“, murmelte sie. „Sie haben es allein geschafft. Aber Sie sicher an Land zu bringen, war weit schwieriger, weil der Sturm noch einen Gang zugelegt hatte und die Wellen hoch genug waren, dass sie uns beide hätten mitreißen können.“

„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Warum sind Sie hier?“

Verwirrt sah Cordelia ihn an. „Das habe ich Ihnen doch gesagt. Ich arbeite hier. Zusammen mit meinem Vater. Er besitzt acht Boote und ist Fischer, aber er vermietet auch Boote, um sein Einkommen aufzubessern.“

„Ein herausforderndes Leben für eine junge Frau.“ Neugier lag in seinem Blick.

Jetzt wusste sie, worauf er hinauswollte. Wollte er wissen, warum sie ausgerechnet hier lebte, statt irgendwo in einer Stadt? Mit einem Freund, Partys und all dem, was junge Frauen in ihrem Alter so machten? Fast alle ihre Freundinnen waren verschwunden, um auf die Universität zu gehen. Und alle, die zurückkamen, hatten ohne Ausnahme einen Freund im Schlepptau. Sie hatten geheiratet und innerhalb eines Jahres ihr erstes Kind bekommen.

Für sie selbst war all das nicht infrage gekommen. Deshalb schien ihr die Welt dort draußen auch so voller Möglichkeiten. Die für sie außer Reichweite lagen, aber trotzdem sehnte sie sich danach.

Sie entschloss sich, seine Bemerkung zu ignorieren, denn ihr Leben ging ihn nichts an, und sie würde ihm sicher nicht sagen, dass er einen Nerv getroffen hatte.

„Das Meer kann sehr herausfordernd sein. Aber auch sehr lohnend.“

Ihre Worte wurden mit einem kurzen, aber vielsagenden Schweigen aufgenommen.

„Ich sollte mich vorstellen“, sagte er schließlich.

„Nicht nötig.“

„Wie das?“

„Ich weiß, wer Sie sind.“

„Sie wissen, wer ich bin …?“

Cordelia merkte, dass er sich versteifte und seine Miene sich verschloss. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was ihm durch den Kopf ging, lächelte sie, um die plötzliche Anspannung aufzulösen.

„Luca. Luca Baresi. Tut mir leid, aber als ich Sie hierhergebracht und der Arzt Sie untersucht hatte, habe ich nach irgendetwas gesucht, das auf Ihre Identität hindeutet, damit ich Ihren Lieben Bescheid geben kann, wo Sie sind.“

„Sie haben meine Sachen durchsucht.“

„Es gab nicht viel, was ich hätte durchsuchen können“, erklärte Cordelia hastig. „Glauben Sie mir, es war das Letzte, was ich tun wollte, aber Sie wären sicher nicht begeistert gewesen, wenn ich nicht wenigstens versucht hätte, jemandem Bescheid zu geben. Aber alles war völlig durchnässt und damit unleserlich. Nur Ihr Ausweis steckte in einer Plastikhülle, sodass ich Ihren Namen herausfinden konnte. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen das Telefon, dann können Sie Ihre … Familie anrufen. Sie ist bestimmt krank vor Sorge um Sie. Wo leben Sie denn?“

„Ich bin nicht von hier.“

„Weiter aus dem Inland?“ Sie nickte gedankenverloren. „Viele Leute kommen in den Sommermonaten von London hierher, und etliche haben einen Zweitwohnsitz in den gefragteren Städten. Sie können es nicht aushalten, zu weit weg von Pubs oder eleganten Restaurants zu sein.“

„Sie mögen so etwas nicht?“

„Es ist mir egal“, entgegnete sie. „Tourismus ist zwar gut, wenn es darum geht, Boote zu vermieten, aber ich bin so ziemlich die Einzige hier, die so denkt. Falls Sie nicht allzu weit weg wohnen, kann mein Dad Sie vielleicht mit dem Auto zu Ihrer Frau und Ihren Kindern bringen.“

„Frau und Kinder? Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich verheiratet bin?“

„Ich …“ Ihr Herz flatterte, und sie spürte, dass sie rot wurde. „Ich habe nur gedacht …“

„Sind Sie verheiratet?“

„Nein.“

„Komischerweise habe ich angenommen, Sie wären verheiratet.“

„Warum?“ Ihre Haut prickelte. Sie sah ihm in die Augen und konnte den Blick nicht mehr abwenden. Doch der Gedanke, dass er sie vielleicht für eine Hinterwäldlerin hielt, die hingerissen war von seinem guten Aussehen, gefiel ihr gar nicht.

Deshalb sah sie an ihm vorbei aus dem Fenster auf die Wolken, den grauen Himmel und den Nieselregen, der immer noch fiel, seit sie ihn gerettet hatte. Der Sommer hatte sich vorübergehend verabschiedet, und sie wusste nicht, wann er wiederkommen würde.

„Sie sind jung“, meinte er gedehnt. „Und Sie sind attraktiv. Wie kann es sein, dass Sie noch nicht von einem der hiesigen Junggesellen weggeschnappt wurden? Vielleicht sind Sie gerade erst zurück von der Uni und müssen sich erst wieder zu Hause zurechtfinden?“

„Nicht jeder hat die Möglichkeit, zur Universität zu gehen, Mr. Baresi.“ Mit kühlem Blick sah sie ihn aus violetten Augen an.

Sie hatte Pläne gehabt. Träume. Doch das Leben und das Schicksal hatten ihr im Weg gestanden, sodass sie ihre Träume nicht in die Tat hatte umsetzen können.

Cordelia fragte sich, ob es anders gewesen wäre, wäre ihre Mutter nicht gestorben, als sie selbst noch Kind war. Bei einem ihrer seltenen Einkaufsbummel in London war ihre Mutter von einem viel zu schnellen Auto überfahren worden. Danach hatte ihr Vater so viele Türen geschlossen. Er war wie besessen davon gewesen, dass seine Tochter das sichere Dorf nicht verließ. Wenn sie sich doch in eine der größeren Städte gewagt hatte, hatte er am Fenster auf sie gewartet, selbst als sie mit einer Gruppe unter Aufsicht von Eltern unterwegs gewesen war. Schulausflüge waren zu einem Albtraum geworden, weil sie wusste, dass er zu Hause gegen seine Angst ankämpfte. Ein Skiausflug mit vierzehn war nicht infrage gekommen. Ihr Vater hatte es ihr zwar erlaubt, doch er war so besorgt gewesen, dass sie die Gelegenheit hatte sausen lassen.

Sie hatte gelernt, ihren Vater zu unterstützen, mit dem Ergebnis, dass sie auch seinen Schmerz mittragen musste. Seine Angst war eine ständige Erinnerung an das, was sie verloren hatten.

Trotzdem hatte die Universität sie gereizt.

Als sie mit siebzehn eine Bestätigung der Uni in Exeter, ihre erste Wahl, bekommen hatte, versicherte sie ihrem Vater, dass es nur einen Katzensprung entfernt sei, doch dann brach ihr Leben zusammen, als ihr Zwillingsbruder starb. Alex war ihr Fels gewesen. Er hatte sie verstanden und ihr Kraft gegeben nach dem Tod ihrer Mutter. Er hatte sie unterstützt und bestärkt, weil die Angst ihres Vaters sich immer um sie zu drehen schien. Alex, so glaubte er, könne auf sich selbst aufpassen.

Alex hatte nicht davon geträumt, zur Universität zu gehen. Er hatte immer vorgehabt, den Familienbetrieb zu übernehmen. Das Fischen hatte ihm im Blut gelegen. Es sollte nicht sein. Als er starb, waren all ihre Träume ausgelöscht worden, und sie hatte sich damit abgefunden, die Arbeit ihres Bruders fortzuführen. Manchmal fühlte es sich so an, als ob sich ein Verlust nach dem anderen bei ihr aufgehäuft hatte, ein Gewicht, das sie kaum tragen konnte, zumal es niemanden gab, dem sie sich anvertrauen konnte. Die sorglosen Freuden der Jugend hatte es für sie nicht gegeben.

Es verging nicht ein Tag, an dem Cordelia nicht an die Zukunft dachte, die zu Staub zerfallen war, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Aber sie hatte sich in die Arbeit gestürzt und bewiesen, dass sie eine ausgezeichnete Seefahrerin war. Das Meer war zu ihrem Zufluchtsort geworden. Es brachte ihr Frieden. Draußen auf hoher See konnte sie ihre Gedanken schweifen lassen und sich überlegen, wie es wohl wäre, sich die Welt anzusehen. Sie konnte schwimmen wie ein Fisch und dadurch allem wunderbar entfliehen.

Was würde dieser olivenhäutige Fremde wohl denken, wenn ich mich ihm anvertraue? dachte sie.

„Von irgendeinem Junggesellen aus dem Ort weggeschnappt zu werden war nie mein Ziel“, sagte sie schnell.

Langsam verzog sich Lucas Mund zu einem Lächeln, das ein Feuer in ihr entzündete. Ihre Nerven flatterten, und das plötzliche Pochen zwischen ihren Beinen schockierte sie zutiefst.

Jeder Gedanke verflog, als sie ihn für ein paar panische Sekunden ansah, völlig überrumpelt von Gefühlen, die ihr bisher fremd waren.

Er rutschte höher im Bett, und ihr fielen seine breiten Schultern auf, die sie vorher wohl nur unbewusst wahrgenommen hatte.

Hastig stand sie auf und war sich plötzlich ihres Aussehens bewusst.

Verwaschene Jeans, verwaschener grauer Pulli, die taillenlangen blonden Haare zu einem seitlichen Pferdeschwanz gebunden. Wie zuvor trug sie auch jetzt kein Make-up, ihre Haut war gebräunt von der Sonne, die heiß herunterbrannte, falls sie sich entschied, sich einmal zu zeigen. Sie lief barfuß, wie immer, wenn sie im Haus war, und versteckte ihre Hände hinter dem Rücken. Arbeitshände.

„Wo wollen Sie hin?“

„Ich muss arbeiten und bin nur gekommen, um nach Ihnen zu sehen und Ihnen neues Wasser einzuschenken.“

„Sie sprachen von einem Telefon.“

„Wie bitte?“ Rückwärts ging sie zur Tür und fragte sich, warum sie so nervös war. Das passierte ihr sonst nie beim anderen Geschlecht.

„Da mein Handy verschwunden ist, muss ich Ihr Festnetztelefon benutzen, um mich … mit meinem Vater in Verbindung zu setzen.“

Cordelia zuckte zusammen. „Wie gesagt, ich konnte nichts in Ihrer Geldbörse finden. Ihr Dad muss krank vor Sorge sein.“

„Nicht unbedingt.“

Ein paar lange Sekunden sahen sie sich schweigend an.

Sie ist umwerfend, dachte Luca gedankenverloren. Es schien fast unmöglich, zu glauben, dass sie sich dessen nicht bewusst war. Sie war groß und hatte, soweit er das beurteilen konnte, einen sehnigen, durchtrainierten Körper. Was ihn eigentlich hätte abschrecken sollen, weil er sich sonst von schlanken, sehr weiblichen Frauen angezogen fühlte. Sie hatte lange Beine und volle Brüste, die er unter dem formlosen grauen Pulli nur erahnen konnte. Er hatte noch nie eine Frau gesehen, die so erfolgreich ihre weiblichen Merkmale versteckte. Und er fragte sich, ob das absichtlich geschah.

Sein Blick wanderte über ihr oval geschnittenes Gesicht. Sie hatte volle Lippen, eine kurze, gerade Nase, und ihre Augen waren von einem Violett, das er noch nie gesehen hatte. Aber ihre Haare …

Luca dachte an die perfekt gepflegten, eleganten Frauen, die in seinem Leben kamen und gingen. Diese Frau hier war ganz anders, was sich allein schon an ihren Haaren zeigte. Sie waren zu einem nachlässigen Pferdeschwanz gebunden und leuchteten in verschiedenen Blondtönen bis zu hellem Braun. Vermutlich, weil sie ständig draußen ist, dachte er. Was immer sie auch auf hoher See tun mochte. Fischen und Dummköpfe retten, die hinausfuhren, ohne sich vorher den Wetterbericht anzusehen.

Er verdrängte die abwegigen Gedanken, die ihm plötzlich durch den Kopf schossen. Wie sie wohl unter ihrer arbeitsähnlichen Kleidung aussehen würde und wie ihr Körper sich unter seinen forschenden Händen anfühlen mochte.

So etwas kam aus den verschiedensten Gründen nicht infrage.

„Ich werde das Telefonat natürlich bezahlen.“

„Warum sollten Sie?“, fragte Cordelia verwirrt. Glaubte er, dass sie ihm seinen Aufenthalt hier in Rechnung stellen würden? Dass sie Geld von ihm wollten? „Wir sind nicht so, dass wir Sie für ein Telefongespräch bezahlen lassen“, meinte sie gereizt. „Ich habe Sie gerettet, aber nicht hierher gebracht, damit Sie für Ihren Aufenthalt bezahlen.“

„Ich muss nach Italien anrufen“, sagte Luca.

„Italien?“ Er war Italiener. Das hätte sie allein durch seinen Namen schon selbst herausfinden müssen, hatte es aber nicht, weil in diesen Ort kaum Touristen kamen. Und trotzdem war dieser umwerfende Italiener jetzt da, im Haus ihres Vaters. Italien! Wie aufregend.

„Ich lebe dort.“ Unter verhangenen Lidern beobachtete er sie, um herauszufinden, ob sie irgendwelche Bezüge herstellte. In Italien würde man seinen Namen schnell zuordnen können. Selbst in diesem Land hatten schon viele von den Baresis gehört, wenn vielleicht auch nur in Verbindung mit Wein. Das Haus Baresi war sehr bekannt, genauso wie der sagenhafte Reichtum seiner aristokratischen Familie. Luca hatte viele gesellschaftliche Kontakte, doch Normalsterbliche gehörten nicht dazu. Er selbst hatte das nicht entschieden, es war einfach so. Auch wenn es Momente gab, in denen er sich danach sehnte, diesen Kreis zu verlassen, ohne einen Blick zurückzuwerfen, verwarf er solche sehnsüchtigen Gedanken schnell, weil er wusste, wo sein Platz war.

Seine Freunde und seine große Familie, sie alle waren ähnlich privilegiert wie er. Soweit er wusste, war der einzige einfache Bürger, der je diese starren Mauern durchbrochen hatte, seine Mutter, doch diese Geschichte hatte kein glückliches Ende gefunden.

Deshalb vermied er es auch, daran zu denken.

„Toskana“, erklärte er. „Waren Sie schon einmal dort?“

„Ich komme nicht oft aus Cornwall heraus“, gestand Cordelia und verzog das Gesicht, als er sie ungläubig ansah.

Ihr wurde bewusst, wie wenig Menschen sie kannte. Ihr Leben war so vorhersehbar, aber sie war ja noch jung. Vierundzwanzig. Deshalb sollte sie alles Neue genießen, was ihr Leben verändern könnte. Jeder hier im Dorf kannte ihre Vorgeschichte. Und doch drängte es sie, sich jemand Fremdem anzuvertrauen, einem Menschen, der an einem fernen, unbekannten Ort lebte, den sie wohl nie besuchen würde, jedenfalls nicht in nächster Zeit.

„Warum denn nicht?“

Er sah sie an, und sie erwiderte seinen Blick, plötzlich überwältigt von all dem, was in ihrem Leben passiert war und was sie an diesen Ort band. Als wäre sie in einem Käfig gefangen. Wie in aller Welt sollte sie all das in ein paar Sätzen unterbringen? Vergiss es, dachte sie. Es war eine dumme Idee. Sie kannte diesen Mann kaum und wusste nicht einmal, wo sie anfangen sollte, um seine einfache Frage zu beantworten.

Er streckte sich, warf die Decke zu Seite und schwang die Beine aus dem Bett. „Ich muss mich bewegen“, sagte er und ging zum Schrank, weil er dort seine Kleider vermutete. „Und wieder meine eigenen Sachen anziehen.“

Cordelia nickte stumm. Zu Anfang hatte er nur humpeln können und sich bei ihrem Vater eingehängt, wenn er zum Bad musste. Auch als er wieder an Kraft gewonnen hatte, hatte er sich nur langsam bewegt. Jetzt wirkten seine Bewegungen viel sicherer und zeigten, dass er auf dem besten Weg war, bald wiederhergestellt zu sein.

Mit offenem Mund starrte sie ihn an, als er völlig unbefangen anfing, sich auszuziehen.

Schnell wandte sie den Blick ab. Ihr Mund war plötzlich trocken, und sie spürte, dass sie rot wurde.

„Sie können jetzt wieder hinschauen“, sagte er ein paar Minuten später amüsiert.

Langsam drehte sie sich zu ihm um, ihre Wangen immer noch rot vor Verlegenheit. Ihre Körpersprache verriet deutlich ihr Unbehagen. Luca hatte so etwas noch nie gesehen. Hatte es je eine Frau in seinem Leben gegeben, die sich beim Anblick seines halbnackten Körpers gewünscht hatte, die Erde möge sich auftun, um sie zu verschlingen? Sie war schön, aber konnte sie wirklich so unschuldig sein, wie sie tat? Und warum kam sie nie von hier fort?

„Wie alt sind Sie?“, fragte er abrupt, weil seine Neugier geweckt war.

„Vierundzwanzig. Warum?“

Luca zuckte die Schultern. „Sie sagten, dass Sie selten von hier wegkommen.“

„Es ist ein herrliches Fleckchen Erde. Sie wären überrascht, wie viele Leute, die am Meer leben, sich selten weit fortbewegen.“

Jedenfalls nicht sie. Und trotzdem hatte sie das Gefühl, sich verteidigen zu müssen.

Luca beließ es bei dieser nichtssagenden Antwort und sah sich um. Er hatte keine Erinnerung daran, dass er in dieses Haus gebracht worden war. Hatte er überhaupt einmal einen Blick aus dem Fenster geworfen? Wahrscheinlich nicht. Das holte er jetzt nach und entdeckte ein grenzenloses graues Meer, eine Straße, an der Büsche wuchsen und die sanft abfiel und wohl zum Meer führte. Alles war in eine feine Wolke aus Nieselregen getaucht. Ein Überbleibsel des Sturms, der sein Boot zum Kentern gebracht hatte.

Danach sah er sich zum ersten Mal richtig in dem Raum um.

Nur selten schenkte er seiner Umgebung Beachtung, zumindest nicht in dem Anwesen, in dem er lebte, oder in einem seiner anderen Besitztümer. Er wusste, wie luxuriös sie waren. Aber ein Leben in Reichtum hatte ihn immun dagegen gemacht. Auch den Häusern seiner Freunde oder Verwandten schenkte er kaum Beachtung. Sie waren alle ähnlich, manche größer, ein paar wenige noch luxuriöser. Die Häuser oder Apartments, in denen seine Freundinnen lebten, die er über die Jahre gehabt hatte, waren sehr teuer, dank ihrer reichen Eltern. So war sein Leben nun einmal.

Der Raum, in dem er jetzt stand, war alles andere als luxuriös. Er war groß, und der abgewetzte Perserteppich auf dem Holzboden tat sich schwer, dem Ganzen einen Anstrich von Luxus zu geben. Die Möbel waren alt, aber sehr gut erhalten, die Wände hätten einen neuen Anstrich nötig gehabt. Doch das Bett war unglaublich bequem, und er musste einräumen, dass dieser Raum etwas verführerisch Gemütliches hatte.

„Führen Sie mich herum?“, hörte er sich fragen. „Ich muss meine Beine bewegen, weil ich das Gefühl habe, zu lange auf einem Fleck gelegen zu haben.“

„Was ist mit dem Anruf?“

Autor

Cathy Williams
<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
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