Küsse zwischen Feuer und Eis

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Ein verhängnisvoller Fehler: Die junge Lehrerin Alice hat sich allein auf eine abgelegene Skipiste am Montblanc gewagt – und wird von einem Schneesturm überrascht! Ein schwaches Licht in der Ferne verspricht Rettung, und als sie zögernd an die Tür des Luxus-Chalets klopft, öffnet ihr ein Traummann. Der italienische Unternehmer Mateo Ricci nimmt sie auf, wärmt sie zärtlich – und mit jeder Berührung wächst ihr Verlangen! Vor dem eisigen Sturm ist Alice in Mateos starken Armen sicher. Aber das Feuer der Leidenschaft bringt ihr Herz in allerhöchste Gefahr …


  • Erscheinungstag 18.02.2025
  • Bandnummer 2689
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534635
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Allmählich fragte sich Alice, ob dies der Tag wäre, an dem sie endlich dem Großen Typen dort oben begegnen würde, von dem ihr Dad jeden Sonntag predigte.

Ihr Gesicht brannte vor Kälte, und trotz der dicken Skikleidung fror sie in dem Schneesturm erbärmlich. Sie konnte kaum etwas erkennen.

Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, seit sie das Chalet verlassen hatte, in dem sie mit ihren drei Freundinnen wohnte. In ihrer Eile hatte sie ihre Smartwatch vergessen, und ihr Mobiltelefon steckte so tief in der Tasche einer der unteren Schichten, dass sie nicht herankam.

Natürlich hätte sie die Hütte nie verlassen sollen, doch zu dem Zeitpunkt hatte sie einfach frische Luft gebraucht.

Bea hatte stolz ihren Verlobungsring gezeigt – eine unerwartete Ankündigung, die sie sich für einen besonderen Moment aufgespart hatte. Dann stießen sie mit Champagner darauf an, und die anderen beiden bestürmten sie mit Fragen und sprachen aufgeregt über Brautjungfernkleider.

Sie hingegen saß da und drehte lächelnd das Glas zwischen den Fingern, während sie sich an ihre geplatzte Verlobung vor acht Monaten erinnerte. Sie hatte alle Punkte auf ihrer Checkliste für den idealen festen Partner abgehakt, und dennoch war Simon einfach nicht der Richtige gewesen. War letztendlich nicht gewesen, was sie sich gewünscht hatte.

Sie war diejenige gewesen, die den Mut zur Trennung aufgebracht hatte. Noch immer war die Wunde nicht ganz verheilt, und plötzlich hatte es wieder wehgetan, während ihre Freundinnen sich von der Aufregung über eine bevorstehende Hochzeit mitreißen ließen.

Da es sie innerlich zerrissen hatte, war sie aufgestanden und hatte erklärt, eine kleine Verschnaufpause zu brauchen. Dass alle sie so aufgewühlt erlebt und sich für ihre Gedankenlosigkeit bei ihr entschuldigt hatten, hatte alles nur noch schlimmer gemacht.

Also befand sie sich nun hier. Sie glitt nicht mehr dahin, sondern kam auf ihren Skiern nur langsam voran, weil sie daran denken musste, dass sie vielleicht bald ihrem Schöpfer gegenübertreten würde.

Sie hatte unbeschreibliche Angst.

Inzwischen war niemand mehr zu sehen. Um den Massen zu entfliehen, hatte sie sich auf die gefährlicheren Pisten begeben. Und als der Schneesturm aufkam, war sie auf einmal allein gewesen.

Und nun suchte sie verzweifelt nach irgendeinem Schild oder einem markanten Punkt, um den Weg zurück in die Zivilisation zu finden, was in dem Schneegestöber allerdings unmöglich war. Panik stieg in ihr auf, doch Alice wusste aus Erfahrung, dass sie sie ausblenden musste.

Ein Schneesturm war die schlimmste Situation auf einem Berg. Man konnte nichts sehen, und der Schnee und die hohe Luftfeuchtigkeit führten schnell zu Unterkühlung. Das waren die grundlegenden Fakten, die man ihnen als Schulkindern vor über zehn Jahren vor ihrer ersten Klassenreise an den Montblanc eingebläut hatte. Und die sie in diesem Skigebiet vor weniger als vier Jahren ihren Anfängern vermittelt hatte, als sie vor dem Studium sechs Monate als Skilehrerin jobbte.

Niemand, der bei Verstand war, wollte in einem Schneesturm auf einem Berg sein – und doch war sie hier. Alice blieb stehen, schob ihre Skibrille hoch und blickte in das dichte Schneegestöber. Für einen Moment wurde sie von einer Welle der Angst erfasst, weil die Welt so bedrohlich, so fremd wirkte.

Geh immer bergab, dann bist du bald in Sicherheit – so lautete die Faustregel.

Aber wenn sie aus diesem Abenteuer etwas lernen sollte, hob sie sich etwaige Gefühlsausbrüche besser für später auf, wenn sie wohlbehalten in ihrem gemütlichen Wohnzimmer saß, am besten mit einem Becher Eis in Reichweite.

Nachdem Alice tief durchgeatmet hatte, kämpfte sie sich weiter vorwärts. Sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, bis sie endlich etwas entdeckte – ein schwaches Licht, das die Schneewand durchdrang. Vielleicht war es nur eine optische Täuschung, ihr Gehirn, das ihr einen Streich spielte, doch inzwischen war es ihr egal. Sie würde einfach in die Richtung gehen müssen, denn sie hatte keine andere Wahl mehr.

Mateo bereitete gerade in der Küche sein Abendessen zu, als er ein Geräusch wahrnahm, das die leise Jazzmusik im Hintergrund nur leicht übertönte. Das Tosen des Schneesturms draußen war hier im Chalet dank der Dreifachverglasung kaum zu hören. Er hielt inne, drehte die Musik ab und lauschte.

Hier auf der abgelegenen und herrlich einsamen Seite des Montblanc kam kein Skifahrer auf eine Tasse Kaffee vorbei. Die Pisten hier waren trügerisch und nur für Profis geeignet und daher meistens so leer, dass er fast immer allein lief.

Unter anderem deshalb hatte er das Chalet vor einigen Jahren gekauft. Er hatte kein Problem mit den vielen Touristen … solange sie nicht in seine Nähe kamen.

Er hoffte also, dass das Geräusch vor der Tür nur wie ein Klopfen klang und eigentlich von dem Schneesturm herrührte. Dass es nicht irgendein Idiot wäre, der sich in diesem Schneesturm verirrt hätte, der seine Geduld überstrapazierte, denn das konnte er jetzt nicht gebrauchen. Vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt, aber nicht hier, nicht jetzt.

Er hatte sich sieben Tage freigeschaufelt. Dies war seine einzige Auszeit von seiner anstrengenden Tätigkeit als Chef zahlreicher Unternehmen und seinem Leben auf der Überholspur. Er war jetzt zwei Tage hier und wollte in den restlichen fünf Tagen auf keinen Fall von irgendeinem Lebensmüden gestört werden.

Hier und nur hier konnte er fast an seine Vergangenheit anknüpfen, die er schon lange hinter sich gelassen hatte. Ihm war wichtig, nie seine Anfänge zu vergessen. Er war in diesem Teil der Welt aufgewachsen – nicht auf dieser Seite des Bergs, sondern in einem kleinen Ort in der Nähe der weniger exklusiven Urlaubsorte, in einem kleinen Haus mit jungen Eltern, die gegen schlechte Bezahlung in einem Billighotel gearbeitet hatten. In der Hochsaison waren sie auf Trinkgeld angewiesen gewesen, und in der Nebensaison hatten sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Sie hatten keinen falschen Stolz gehabt.

Vielleicht hätte sich nie etwas daran geändert, wenn er nicht mit zwölf Jahren seine Mutter verloren hätte. An die traurigen Jahre danach erinnerte er sich nur undeutlich. Und als Teenager war ihm dann klar geworden, dass sein immer noch junger Vater ohne seine Frau, seinen Fels in der Brandung, nicht mehr zurechtkam.

Dieser ging seinem Job im Hotel noch einige Jahre nach, trank allerdings immer mehr und nahm Drogen, was sich natürlich auf seine Arbeitsfähigkeit auswirkte. Und schließlich war er ganz unten gewesen und hatte sich nicht einmal mehr um sich selbst, geschweige denn um seinen Sohn kümmern können.

Deshalb verließ Mateo mit sechzehn die Schule, um Geld zu verdienen und die Rechnungen bezahlen zu können. Gleichzeitig las und lernte er so viel wie möglich, um später nicht arm und von anderen abhängig sein zu müssen. Schon damals wusste er, dass er sehr intelligent war, und wollte sein Potenzial nicht verschenken.

Zuerst jobbte er in einem Boxverein im Ort. Aus Spaß hatte er als Amateur selbst geboxt und dabei einen enormen Ehrgeiz entwickelt. Tagsüber arbeitete er und lernte abends und nachts. Er war clever und nutzte seine Begabung für Mathematik, um sich selbst Programmieren beizubringen.

Und von dort hatte er es bis hierher geschafft. Vom Siebzehnjährigen, der für seinen Trainer eine Website entwickelt hatte, zum Achtzehnjährigen, der für jemand anders die Website entwickelt und dann mehr gewollt hatte, als nur für andere zu arbeiten, mehr, als nur von der Hand in den Mund zu leben.

Er hatte gespart und war zum Jäger geworden, der Typ, der genau wusste, wo er das nächste große Start-up fand. Der Typ, bei dem sich alles in Gold verwandelte, was er anfasste. Mit Ende zwanzig war er unbesiegbar gewesen. Gewinnen war zu seinem erklärten Ziel geworden, und sein Erfolg hatte ihm den Reichtum beschert, von dem die meisten Menschen nur träumen konnten.

Abgesehen davon wusste er, dass man leicht vergessen konnte, woher man kam, und somit die Lektionen zu vergessen riskierte, die man auf diesem Weg gelernt hatte. Man konnte in kürzester Zeit wieder ganz tief fallen. Man brauchte nur etwas zu faul und etwas zu selbstgefällig zu sein.

Hier auf dem Berg zu sein erinnerte Mateo daran. Sein Vater lebte nicht mehr hier. Er selbst wohnte in London und besaß weitere Domizile in New York, Hongkong und Dubai, doch dieses stille Fleckchen erinnerte ihn an sein früheres Ich.

Und dass nun irgendein Clown in sein Heiligtum eindringen könnte, erfüllte ihn mit grimmiger Wut. Als es wieder klopfte, wurde ihm bewusst, dass er diesen Idioten schlecht wegschicken konnte. Oder diese Idioten – Typen, die ihr Leben aufs Spiel setzten und sich der jugendlichen Illusion hingaben, dass immer jemand wie durch ein Wunder auftauchen und ihnen den Hintern retten würde.

Mateo schaltete den Herd aus und ging barfuß zur Tür, um zu öffnen.

Alice wollte gerade zum dritten Mal an die Tür klopfen, als diese ohne Vorwarnung aufgerissen wurde. Prompt stolperte sie auf ihren Skiern nach vorn und sank vor Erschöpfung und Erleichterung zu Boden. Sie hatte gar nicht wahrgenommen, wer dort stand, spürte nur, wie derjenige sie auffing und dann aufrecht hielt.

Es handelte sich um einen großen Mann, der sie nun aus zusammengekniffenen Augen anfunkelte. Er war mindestens eins fünfundachtzig groß und überragte sie um Haupteslänge. Sie blinzelte, und ihr stockte der Atem, denn mit seinen markanten Zügen, den grünen Augen und dem fast schwarzen kurzen Haar war er geradezu sündhaft schön. Er trug einen alten Pullover und eine ausgewaschene Jogginghose und machte keinen Hehl aus seinem Missmut.

„Verdammt, was haben Sie hier zu suchen?“

„Ich …“

„Kommen Sie rein. Ich kann Sie ja schlecht im Schneesturm vor meiner Tür zusammenbrechen lassen!“

„Ich …“

„Nehmen Sie Ihre Skier mit. Und bevor Sie sich dafür entschuldigen, dass Sie hier reinplatzen – dass eine Fremde hier auftaucht, hat mir gerade noch gefehlt!“

Durchdringend blickte er sie an. Alice, die normalerweise ein sonniges Gemüt hatte, spürte Ärger in sich aufsteigen. Dies war wirklich nicht ihr Tag, weil sie ständig von ihren Emotionen überwältigt wurde. Sie wich einen Schritt zurück und verschränkte die Arme, während sie die bittere Kälte zu ignorieren versuchte.

„Und?“, fragte der Mann mit finsterer Miene. „Sie lassen die ganze Kälte rein.“

„Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich reinkommen möchte!“ Sie fröstelte.

„Was, zum Teufel, wollen Sie damit sagen?“

„Ihr Benehmen gefällt mir nicht. Ich kann nicht allzu weit von … von der Zivilisation entfernt sein, wenn Sie hier wohnen. Und wenn Sie mir die richtige Richtung weisen, würde ich das Risiko eingehen.“

„Seien Sie nicht albern!“ Er betrachtete sie noch grimmiger, bevor er an ihr vorbei in den Schnee blickte. „Aber … wenn Sie es wirklich riskieren wollen. In etwa acht Kilometern treffen Sie vielleicht auf den nächsten größeren Ort. Wenn Sie ihn verfehlen, verbringen Sie allerdings eine sehr kalte Nacht am Berg. Und trotz Ihrer Idiotie erlaubt mir mein Gewissen nicht, Sie Ihres Weges zu schicken. Also, wenn Sie nicht freiwillig reinkommen, bin ich gezwungen, Sie reinzutragen.“

„Das würden Sie nicht wagen!“

„Wollen Sie es drauf ankommen lassen?“ Unvermittelt wandte er sich ab.

Schnell löste Alice ihre Skier und betrat hinter ihm die Hütte, wobei sie die Tür hinter sich zuknallte. Erleichtert seufzte sie auf, weil es herrlich warm war.

Dann blickte sie sich um. Die Hütte war gemütlich, aber auf subtile Art sehr luxuriös. Die Wände waren holzvertäfelt, auf dem Parkett lag ein heller Teppich, der offenbar aus Seide gefertigt war. Zwei Schwarz-Weiß-Fotos an der Wand waren von dem Fotografen signiert und kamen ihr irgendwie bekannt vor. Während sie sich ihrer äußeren Schichten entledigte, verschwand der Mann in einem Raum auf der rechten Seite. Als sie ihm folgte, fand sie sich in einer perfekt ausgestatteten Küche wieder, in der es köstlich duftete.

Sie räusperte sich. Das Blut stieg ihr ins Gesicht, als er zu ihr herumwirbelte. Das Licht im Flur war ihm nicht gerecht geworden. Ihr wurde der Mund trocken, als sie sein überwältigend attraktives Gesicht betrachtete. Ihr Herz klopfte schneller, und sie versuchte verzweifelt, sich ihren Zorn über seine Arroganz ins Gedächtnis zu rufen. War sie hier allein mit diesem Mann? Sollte sie sich Sorgen machen? Was, wenn er gefährlich war? Seltsamerweise hatte sie keine Angst, aber sie war ja auch vollkommen erschöpft, sodass ihr Verstand wahrscheinlich nicht richtig funktionierte.

„Sie sind nass“, holte seine tiefe Stimme sie aus ihren Gedanken.

„Weil ich stundenlang durch den Schneesturm gegangen bin. Okay, vielleicht keine Stunden, aber lange genug.“

„Darauf komme ich noch zu sprechen, wenn Sie Ihre Sachen ausgezogen haben.“

„Das geht nicht. Ich habe meinen Koffer vergessen.“

„Finden Sie das Ganze etwa lustig?“

„Nein.“ Alice hatte keine Ahnung, was in sie gefahren war, denn normalerweise war sie nicht sarkastisch und schon gar nicht unhöflich. „Und … ich sollte mich wohl bei Ihnen bedanken, weil Sie mich in Ihr Haus gelassen haben.“

„Ich hatte ja keine andere Wahl.“

„Sind Sie … allein hier?“ Wieder schoss ihr das Blut in die Wangen, als er amüsiert lächelnd die Brauen hochzog und plötzlich richtig verführerisch wirkte.

„Ich fürchte, ja“, erwiderte er lässig. „Es sind keine Anstandswauwaus in Gestalt einer Ehefrau und Kindern hier. Aber bevor Sie ohnmächtig werden, kann ich Ihnen versichern, dass Sie sich vor mir nicht zu fürchten brauchen. Keine Frau könnte mich weniger interessieren als eine, die sich in einen Schneesturm hinauswagt, weil sie es als Herausforderung betrachtet. Folgen Sie mir.“

„Folgen?“

„Sie müssen sich Sachen von mir leihen.“

Alice lachte ungläubig. „Glauben Sie wirklich, ich würde in Ihre Sachen passen?“

„Lassen Sie sich etwas einfallen.“ Als er vor ihr stehen blieb, stieg ihr sein herber, maskuliner Duft in die Nase. „Die nassen Sachen anzubehalten ist keine Option.“

„Nein.“ Sie schnaubte. „Ich schätze, wenn ich hier krank im Bett liege, mache ich Ihnen noch mehr Probleme, als wenn ich mich im Schneesturm verlaufe.“

„Das haben Sie gesagt.“

„Das ist nicht besonders nett!“

„Ich bin lieber ehrlich als nett.“

„Das hätte ich nie gedacht.“ Sie begegnete seinem gleichgültigen Blick und seufzte schließlich. „Entschuldigung. Ich bin sehr unhöflich, und das ist überhaupt nicht meine Art. Natürlich leihe ich mir Sachen von Ihnen. Ich möchte nicht krank werden, nur weil ich zu stolz bin, um Ihre Hilfe anzunehmen.“ Dann lächelte sie ihn an.

Warum reagierte sie so auf ihn? Als hätte er etwas tief in ihr angesprochen, von dessen Existenz sie nichts geahnt hatte, und verwirrende Gefühle in ihr geweckt? Verdammt, er war ein Fremder!

Auch bei ihrer Trennung von Simon war sie ruhig geblieben. Sie hatten miteinander geredet. Natürlich war sie aufgewühlt gewesen, doch sie hatte zu keinem Zeitpunkt die Beherrschung verloren. Das lag ihr einfach nicht im Blut. Sie war in einem Pfarrhaus aufgewachsen und hatte schon als Kind gelernt, anderen Menschen gegenüber achtsam und freundlich zu sein.

Im Laufe der Jahre waren sehr viele Menschen mit ihrem Kummer zu ihrem Vater gekommen, der der netteste Mensch der Welt war. Wenn er gerade beschäftigt gewesen war, hatte sie ihnen geduldig zugehört und dabei auch jede Menge Klatsch und Tratsch über sich ergehen lassen müssen.

Sie war von Natur aus gelassen. Aus dem Chalet zu fliehen, um nachzudenken, war impulsiv gewesen. Aber vielleicht hatte das Gespräch über die Verlobung und die bevorstehende Hochzeit ihrer Freundin ein Bedauern in ihr aufleben lassen, das ihr vorher gar nicht bewusst gewesen war.

Jedenfalls konnte sie ihre Reaktion auf diesen Typen überhaupt nicht nachvollziehen. Lag es daran, dass er so attraktiv, so arrogant war? Ganz anders als alle Männer, denen sie bisher begegnet war? Hatte sie sich so sehr mit Normalität umgeben, dass er sie auf eine Art beunruhigte, mit der sie nicht umgehen konnte?

„Ich finde, wir sollten uns einander vorstellen“, verkündete er nun schroff, bevor er die Hände in die Taschen seiner Jogginghose schob und den Kopf zur Seite neigte.

Eine Frau kritisierte sein Benehmen, obwohl er sie vor einem Schneesturm gerettet hatte? Normalerweise versuchten die Frauen, ihm zu gefallen. Mateo war sprachlos.

Noch ärgerlicher war für ihn, dass diese Frau eine Anziehungskraft auf ihn ausübte, die seinen Unmut über ihre Anwesenheit an seinem Zufluchtsort in den Hintergrund treten ließ. Sie war ihm in die Küche gefolgt, und als er sich umgedreht hatte, hatte sie ihre Skikleidung ausgezogen, und sein Blick war auf ihre vollen Brüste und ihre schmale Taille gefallen. Außerdem hatte sie ihre Mütze abgenommen, und beim Anblick ihrer langen kupferfarbenen Locken stockte ihm der Atem.

Er lief Gefahr, sie anzustarren, und das war ihm fremd und völlig inakzeptabel. Bei Frauen mochte er keine Überraschungen. Normalerweise stand er auf langbeinige Blondinen, die nicht mehr verlangten, als er zu bieten bereit war – unverbindlichen Spaß.

Momentan gönnte er sich jedoch eine Atempause von Beziehungen aller Art. Umso mehr irritierte ihn seine Faszination für eine Frau, die überhaupt nicht seinem Typ entsprach und ihn nun argwöhnisch betrachtete.

„Ich bin Mateo. Und Sie?“

„Alice. Alice Reynolds.“

„Gut. Nun, da wir das geklärt haben, hole ich Ihnen trockene Sachen und zeige Ihnen das Bad …“ Mateo blieb stehen und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, während Alice ihn mit ihren großen, leicht schräg stehenden braunen Augen ansah und etwas in ihm weckte, das keine Daseinsberechtigung in seiner toughen Persönlichkeit hatte.

„Mir ist klar, dass es Sie ein bisschen beunruhigen muss, mit einem Fremden an einem unbekannten Ort festzusitzen. Aber Sie sind hier sicher. In der Hinsicht müssen Sie mir einfach vertrauen. Sie haben mir nicht erzählt, was Sie in diesem Teil der Welt machen oder mit wem Sie unterwegs sind. Aber ich habe hier sehr guten Empfang, und wenn Sie mir Ihr Telefon geben, kann ich Sie ins WLAN einwählen, damit Sie benachrichtigen können, wer auch immer gerade eine Suchmannschaft losschickt.“

„Oh! Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen! Ja, bitte, das wäre toll.“

Ihr strahlendes Lächeln brachte ihn aus der Fassung, doch er ließ es sich nicht anmerken. Nachdem sie ihm ihr Telefon überreicht hatte, loggte er es ins WLAN ein und ging an ihr vorbei in sein Schlafzimmer. Sie kam ihm hinterher.

„Ich wollte nur sagen …“

Mateo blieb stehen. Als er sich umwandte, stand Alice nur wenige Zentimeter von ihm entfernt und lächelte immer noch. „Ja?“, fragte er schroff.

„Ich weiß, dass Sie mich nicht hierhaben wollen.“ Sie verzog das Gesicht und verdrehte die Augen. „Mir ist klar, dass Sie hier abschalten wollen, und es tut mir leid, dass ich Sie dabei störe. Aber als ich losgegangen bin, wusste ich wirklich nicht, dass das Wetter umschlägt. Ich hatte so große Angst dort draußen … Ich schätze, ich war völlig neben der Spur!“

„Das ist … in Ordnung.“

„Und dann habe ich hier Licht gesehen und war so erleichtert, dass ich nicht da draußen würde sterben müssen, dass ich mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht habe, dass … Ich meine, Sie hätten wer weiß wer sein können!“

„Ich … Ja, das wäre möglich gewesen.“ Er war so an betont aufreizende Anmachversuche gewöhnt, dass ihre natürliche Art ihn ein wenig durcheinanderbrachte.

„Man liest ja einiges darüber. Und dann gibt es diese Filme …“

„Ja, die gibt es wohl, aber ich schaue keine Filme. Wie gesagt, vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben. Hören Sie, ich hole Ihnen jetzt ein paar Sachen. Sie können sich etwas aussuchen, und wenn Sie Ihre nassen Sachen im Bad lassen, tue ich sie in die Waschmaschine.“

„Das ist sehr nett von Ihnen. Ich fasse nicht, dass ich je glauben konnte, Sie wären vielleicht ein Serienmörder.“

„Das dachten Sie wirklich?“ Starr betrachtete er sie, woraufhin Alice errötete und verlegen lächelte.

„Ich habe viele Filme gesehen, aber ich schätze, der typische Serienmörder würde kein Chalet wie dieses hier mieten … Allerdings ist das vielleicht auch ein Klischee.“

„Zufällig gehört dieses Chalet mir!“

„Das macht das Serienmörder-Szenario noch unwahrscheinlicher.“

„Wir sollten dieses Gespräch … später fortsetzen. So, es gibt hier drei Schlafzimmer. Sie können sich also eins der beiden anderen aussuchen und sich dann in Ruhe … frisch machen. Wenn Sie lieber schlafen möchten, brauchen Sie sich zum Essen nicht zu mir zu setzen. Ich schätze, Sie sind ziemlich erschöpft.“

„Tatsächlich bin ich ziemlich hungrig.“ Alice blickte an sich hinunter, bevor sie ihn wieder ansah und errötete. „Ich wollte schon lange Diät machen, aber ich schaffe es einfach nicht.“

Mateo wich einige Schritte zurück. Sie hatte seine Aufmerksamkeit wieder auf ihren wohlgeformten Körper gelenkt. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, als er an der Tür stand und mit einem Nicken auf die beiden anderen Schlafzimmer deutete, die von dem breiten Flur abgingen.

„Gut. Sie finden mich in der Küche.“ Dann wandte er sich ab. Er wünschte, er könnte wieder den Ärger heraufbeschwören, den er bei ihrem Anblick vor der Tür verspürt hatte. Doch sie schien ihn abzulenken, und als er in die Küche zurückkehrte, wurde ihm das Ausmaß der Situation bewusst.

Mit der Ruhe war es vorbei. Und er hätte sie bestimmt noch einen Tag am Hals, vielleicht sogar länger. Und schon jetzt war ihm klar, dass er hier nicht auf Abstand bleiben konnte. Schlimmer noch, er wusste nicht genau, ob das ein Problem für ihn darstellte oder nicht.

Mateo kochte weiter, doch zu seinem Leidwesen sah er immer wieder Bilder von Alice vor seinem geistigen Auge. Tatsächlich hatte er Dinge, Erfahrungen in sich verschlossen, an die er lieber nicht rühren wollte. Sie würden sicher an Ort und Stelle bleiben, solange sein Leben nicht aus den Fugen geriet, doch Alice Reynolds’ Erscheinen hatte ihn irgendwie aus der Bahn geworfen. Während er die Soße umrührte, stiegen Erinnerungen an seine Jugend in ihm auf, die er normalerweise verdrängte.

Mit neunzehn war er Bianca begegnet. Er hatte kurz vor Abschluss seines Studiums gestanden, das er wegen herausragender Leistungen bei den Aufnahmeprüfungen trotz seines nicht vorhandenen Schulabschlusses antreten durfte, und das anderthalb Jahre vor Beendigung der Regelstudienzeit. Sie tauchte bei einem seiner Boxkämpfe auf und haute ihn mit ihrer Schönheit um. Welcher normale Teenager hätte ihrem langen dunklen Haar, ihren blitzenden dunklen Augen und verheißungsvollen Lippen schon widerstehen können? 

Er verliebte sich rettungslos in sie. Nach etwa sechs Monaten wurde ihm klar, dass selbst der heißeste Sex nicht über die nüchterne Tatsache hinwegtäuschen konnte, dass sie nicht zusammenpassten. Er hatte Ziele. Er wusste, dass es dauern würde, er sie aber irgendwann erreichen würde.

Bianca hingegen liebäugelte mit dem vielen Geld, das er verdient hätte, wenn er als Boxer Karriere gemacht hätte. Sie sehnte sich nach dem Glamour, der mit dem Rampenlicht und dem Ruhm gekommen wäre. Sie wurde ungeduldig und wollte das große Ganze nicht sehen.

Schließlich musste er sich eingestehen, dass sie ihn langweilte, und er begann, sich nach anderen Frauen umzusehen. Das Glück, das er einmal bei ihrem Anblick verspürt hatte, war Ungeduld und zunehmender Gereiztheit gewichen.

Doch dann war sie plötzlich schwanger gewesen, und dann hatte sich alles geändert. Er heiratete sie. Mit gerade einmal zwanzig war er werdender Vater, und seine Träume davon, in der Welt der Start-ups groß herauszukommen, drohten sich in Wohlgefallen aufzulösen. Sie brauchten dringend Geld. Bianca mochte nicht die Richtige für ihn sein, doch er war entschlossen, seine ganze Energie seinem Kind zu widmen, auf das er sich aufrichtig freute.

Allerdings erfuhr er nie, wie dieses Abenteuer verlaufen wäre, denn eine Fehlgeburt im vierten Monat warf alles über den Haufen. Sie blieben noch acht Monate zusammen. Er mit ihr, weil Bianca ihm leidtat und er es als seine Pflicht betrachtete, ihr in einer Zeit beizustehen, in der sie ihn brauchte. Außerdem hatte er selbst mit seiner Trauer über den Verlust seines Kindes zu kämpfen. Und Bianca mit ihm, ja … Sie war durcheinander und klammerte sich noch für eine Weile an ihn, doch sie war tough und selbstsüchtig.

„Wir sind jung, wir können noch einmal versuchen, ein Kind zu kriegen“, sagte sie unbekümmert. Nicht einen Moment lang zweifelte sie daran, dass er Karriere als Boxer machen würde. So war er erleichtert gewesen, als sie ihn endlich verließ, nachdem er ihr klargemacht hatte, dass er einen anderen Weg einzuschlagen gedachte.

Mateo runzelte nun die Stirn und fand sich mit der Tatsache ab, dass er vielleicht noch weiter in Erinnerungen schwelgen würde. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, verdrängte Gedanken zuzulassen. Vielleicht musste er sich ihnen ab und zu stellen und sie analysieren, sich ins Gedächtnis rufen, warum er der Mensch war, der er war – jemand, der nie wieder eine Bindung eingehen würde oder an die Liebe glaubte.

Vielleicht zahlte es sich manchmal aus – zum Beispiel wenn plötzlich eine Fremde seine Ruhe störte –, sich an eine Ex-Frau zu erinnern, die fünf Jahre nach ihrer Scheidung wieder aufgetaucht war, um Geld von ihm zu verlangen. Sie war von einem anderen Mann schwanger gewesen, doch das hatte sie nicht davon abgehalten, ihn seelisch zu erpressen.

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