Mit dir auf der Insel des Glücks

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Zu zweit im Paradies: Nach einem Orkan strandet Ellie mit einem Fremden auf einer Insel. Jake hat etwas an sich, das sie gleich Vertrauen fassen lässt. Doch kaum beginnt sie, in seinen Armen den Glauben an die Liebe wiederzufinden, werden sie gerettet – und er lässt sie allein …


  • Erscheinungstag 20.10.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520355
  • Seitenanzahl 140
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nein. Diesmal nicht.

Jacob Logan wollte auf keinen Fall, dass sein älterer Bruder die Verantwortung für die katastrophale Lage übernahm, in der sie sich befanden. Schließlich hatte dieser immer noch mit den Narben vom letzten Mal zu kämpfen. Ben war nur zwanzig Minuten älter als er, und ihre Eltern waren schon lange tot. Warum war es nur so unglaublich schwer, sich von den Ansichten zu befreien, die diese ihnen früher eingetrichtert hatten?

Diesmal musste er die Kontrolle übernehmen. Und wieder einmal hatte er sie beide in dieses Schlamassel reingeritten. Es war viel schlimmer als der Zorn ihres Vaters, wenn sie als Kinder etwas ausgeheckt hatten. Schlimmer als in Afghanistan, nachdem sie beide die Flucht ergriffen und sich bei der Army verpflichtet hatten. Diesmal ging es um Leben und Tod, und es sah nicht gut aus.

Schon am Vortag hatte es Sturmwarnungen gegeben, aber mit einem derartigen Unwetter hatten sie nicht gerechnet. Der Zyklon Lila hatte unerwartet die Richtung geändert, und bereits im Morgengrauen hatten sie mit tückischen Winden, hohen Wellen und peitschendem Regen, der ihnen die Sicht genommen hatte, gekämpft. Hinzu kamen starke Strömungen, und so waren alle Teilnehmer der Weltumseglung im Osten von Neuseelands Nordinsel auf offener See den Elementen ausgesetzt.

Sie hatten noch einige Berichte im Radio gehört, bevor die Jacht gekentert war und sie sich vor orkanartigen Winden und bis zu fünfzehn Meter hohen Wellen in die Rettungsinsel flüchten mussten.

Viele Teilnehmer hatten versucht, den nächsten Hafen anzusteuern, es allerdings nicht mehr geschafft. Unzählige Boote waren gekentert, Masten wie Streichhölzer gebrochen. Man hatte Notrufe abgesetzt, weil Männer über Bord gegangen waren, und ein Ertrunkener war schon geborgen worden. Man suchte bereits mit Flugzeugen und Hubschraubern nach Überlebenden, doch das Einzige, was die Brüder Logan außer dem Tosen des Sturms und der Wellen gehört hatten, war das Geräusch eines Propellerflugzeugs der Air Force gewesen, allerdings in weiter Ferne.

Der Südliche Ozean war unendlich weit, wenn man in Schwierigkeiten steckte. Stundenlang waren sie umhergetrieben, wobei die Rettungsinsel wie ein Korken auf den Wellen tanzte. Doch wie durch ein Wunder hatte man sie schließlich entdeckt. Ein Hubschrauber schwebte jetzt über ihnen, und ein Mann an einem Seil wurde herabgelassen. Jake sah den zweiten Gurt hin und her schwingen.

Es konnte jedoch nur eine Person hochgezogen werden, und er würde nicht als Erster gehen. Das Unwetter wurde von Minute zu Minute schlimmer. Was wäre, wenn der Hubschrauber nicht zurückkehren konnte?

„Du zuerst“, schrie Jake.

„Den Teufel werde ich tun. Du gehst!“

„Auf keinen Fall. Du bist verletzt.“

Der Mann am Seil war gerade hinter dem Kamm einer Welle verschwunden. Völlig durchnässt, schwang er plötzlich in ihre Richtung. Er riskierte sein Leben, um sie zu retten.

„Das Ganze war meine dämliche Idee. Deswegen entscheide ich, wer zuerst dran ist.“

Er hätte es gar nicht aussprechen müssen. Es war seine Schuld. Wie immer.

Aus Verzweiflung hatte Jake so laut geschrien, dass der Mann am Seil ihn offenbar gehört hatte. Er war jetzt nahe genug bei ihnen, um ihm den Gurt in die Hand zu drücken. Sofort versuchte Jake, ihn Ben anzulegen, doch dieser wehrte sich und versuchte wiederum, ihn seinem Bruder anzulegen.

„Irgendjemand muss ja auf dich aufpassen“, brüllte er.

„Mir wird schon nichts passieren.“

„Das hier ist die Realität, Jake, kein Film, in dem du den Helden spielen kannst.“

„Glaubst du etwa, das wüsste ich nicht?“

„Das tust du nicht. Du bist völlig realitätsfern, genau wie Mum.“

Nun begann auch die Person am Seil zu schreien, und entsetzt stellte Jake fest, dass es sich um eine Frau handelte.

Noch immer leistete er Widerstand. „Was, zum Teufel, soll das heißen?“

„Sie konnte sich nicht den Tatsachen stellen. Was glaubst du denn, warum sie sich umgebracht hat?“

Bens Worte schockierten Jake so sehr, dass er sich nicht mehr sträubte, und Ben gelang es mit Hilfe der Unbekannten, seinem Bruder den Gurt anzulegen.

„Der Hubschrauber ist voll“, rief die Fremde Ben noch zu. „Wir kommen, so schnell wir können, zurück.“

Nachdem sie ihn mit Karabinerhaken gesichert hatte, tauchten sie in das eiskalte Wasser ein und wurden dann hochgezogen. Jake sah, wie die orangefarbene Rettungsinsel immer kleiner wurde und sein Zwillingsbruder ihm nachblickte. In seinen Schock mischte sich Verzweiflung.

Ben …

Würde er seinen Bruder je wiedersehen?

2. KAPITEL

Diese Welle gab ihr den Rest, und Eleanor Sutton glaubte für einen Moment, sie würde ertrinken.

In den letzten Stunden hatte sie einen Adrenalinschub nach dem anderen verspürt. Zusammen mit der Hubschraubercrew versuchte sie, die Schiffbrüchigen aus der tosenden See zu bergen. Sie hatten zwei Menschen aus einer Rettungsinsel und einen Mann gerettet, der dank seiner Schwimmweste auf den Wellen trieb.

Außerdem hatten sie einen Segler von einer Jacht geborgen, der durch einen gebrochenen Mast schwere Kopfverletzungen erlitten hatte. Der Hubschrauber war total überladen, mit der Folge, dass Ellie immer noch am Seil hing.

Da sie sich ganz dicht über der Wasseroberfläche befand, hatte sie die beiden zuerst entdeckt. Auf dem dunklen Meer war die orangefarbene Rettungsinsel sehr gut auszumachen gewesen, und mittels ihres Mikrofons konnte Ellie sich trotz des Getöses um sie her gut mit dem Piloten Dave und ihrem Kollegen, dem Rettungssanitäter Mike, verständigen.

„Rettungsinsel mit zwei Personen auf neun Uhr.“

„Wir können niemanden mehr aufnehmen“, erwiderte Dave. „Wir sind schon überladen, und der Sturm nimmt noch zu.“

Obwohl er das ruhig sagte, bemerkte sie sehr wohl den warnenden Unterton in seiner Stimme. Dave war ein brillanter Pilot und betrachtete es immer als Herausforderung, unter Bedingungen wie diesen zu fliegen. Doch er ging kein unnötiges Risiko ein.

Trotzdem konnten sie die beiden Männer nicht ihrem Schicksal überlassen. Der Zyklon würde zwar erst in einigen Stunden seine volle Stärke erreichen, aber sie hätten schon jetzt nicht mehr in der Luft sein dürfen. Vermutlich würden sie ohnehin als Letzte landen. Es war sehr unwahrscheinlich, dass diese Rettungsinsel von anderen Schiffen entdeckt werden würde, und selbst dann könnte man die Insassen vermutlich nicht retten.

Wenn sie nichts unternahmen, bedeutete es das Todesurteil für zwei weitere Menschen, und bei diesem Jacht-Racing war ohnehin schon zu viel passiert. Ein Mensch war ums Leben gekommen, zahlreiche Segler waren schwer verletzt, und viele wurden noch vermisst.

„Wir könnten wenigstens einen aufnehmen“, schrie Ellie verzweifelt. „Er kann mit mir am Seil hängen. Dann setzen wir ihn ab und kehren zurück, um den anderen zu holen.“

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann meldete Mike sich zu Wort. „Willst du das wirklich machen, Ellie?“

Wollte sie das? Trotz des Neoprenanzugs, den sie unter ihrem Fliegeroverall trug, war sie bereits unterkühlt und konnte die Finger kaum noch bewegen. Werde ich überhaupt die Karabiner öffnen und wieder einhaken können? überlegte sie. Außerdem war sie völlig erschöpft, und ihre alte Rückenverletzung machte sich bemerkbar. Womöglich geriet der Geborgene in Panik und schlug um sich, und dann wäre eine sichere Landung unmöglich.

Doch sie wussten alle, dass sie keine andere Wahl hatten.

„Wir können es wenigstens versuchen, oder?“, meinte Ellie.

Dave fiel es allerdings schwer, den Hubschrauber ruhig in der Luft zu halten, und kurz bevor sie die Rettungsinsel erreichten, schlug eine Welle über Ellie zusammen, und sie befand sich plötzlich unter Wasser und wurde wie ein Fisch an der Angelschnur durch das eisige Meer gezogen.

Obwohl es nicht lange dauerte, schien die Zeit stillzustehen, und unzählige Gedanken jagten ihr durch den Kopf und gipfelten schließlich in einer klaren Erkenntnis.

Sie, Eleanor Sutton, war zweiunddreißig, hatte Rückenprobleme, und ihr Leben verlief ganz anders, als sie es vor drei Jahren geplant hatte. Sie hätte eigentlich glücklich verheiratet sein und ein Baby haben wollen. Dann hätte sie Teilzeit gearbeitet und eines der Fächer unterrichtet, in denen sie so gut war: Luftrettung oder Katastrophenschutz vielleicht.

Adrenalinschübe wie diese hatten ihr über die letzten drei Jahre geholfen, nachdem ihr Lebensplan hoffnungslos gescheitert war. Sie hatte ihre persönlichen Ziele für die ultimative Herausforderung zurückgestellt, nämlich die, ihr Leben für andere Menschen zu riskieren.

Doch nun funktionierte es nicht mehr. Als Ellie durch das Wasser gezogen wurde und dann über der Rettungsinsel hing, wurde es ihr klar. Sie würde das hier zum letzten Mal tun.

In ihrem in den Helm integrierten Kopfhörer knackte es so laut, dass Ellie zusammenzuckte.

„Hörst du mich noch?“, erklang Daves Stimme.

„Ja.“ Sie streckte die Hand aus, damit die Rettungsinsel nicht gegen sie prallte. Eben noch hatte sie geglaubt, das Eintauchen hätte ihr den Rest gegeben, aber nun reichte es ihr wirklich. Sie riskierte hier alles, und dass die beiden Männer in dieser Situation miteinander stritten, machte alles umso gefährlicher. Plötzlich wurde sie wütend.

Wütend auf sich selbst, weil sie alle Hubschrauberinsassen in Gefahr brachte. Wütend auf diese beiden Männer, die nicht sich, sondern den jeweils anderen in Sicherheit bringen wollten. Wütend, weil sie wusste, dass sie jetzt nicht mehr vor der Realität flüchten konnte.

Wieder knisterte es laut in ihrem Kopfhörer. „Was ist da los?“, fragte Dave.

„Bleib in der Leitung“, erwiderte Ellie scharf. Sie war immer noch zornig. Doch nun stellte sie fest, dass der Mann, dem sie den Gurt hatte anlegen wollen, erstarrt war. Sie nutzte die Gelegenheit und schaffte es trotz ihrer klammen Finger, die Karabiner einzuhaken und sich zu vergewissern, dass er sicher am Drahtseil hing.

„Legen Sie die Arme um mich, und halten Sie sich an mir fest“, befahl sie Jake grimmig und wies Dave dann an: „Zieh uns hoch und lass uns von hier verschwinden.“

„Ben …“, schrie Jacob Logan verzweifelt, als er nach oben gezogen wurde und dabei heftig hin und her schwang, doch das Tosen des Sturms übertönte es.

Da es zu schmerzhaft war, die Augen offen zu halten, kniff Jake sie zusammen und klammerte sich an seine Retterin. So seltsam es sich auch anfühlte, er hatte keine andere Wahl, als diesem Menschen zu vertrauen.

Doch er hatte Angst. Schreckliche Angst, vor allem als er merkte, wie der Hubschrauber sich vorwärtsbewegte und sie dabei infolge der heftigen Turbulenzen hin und her schlingerten.

Und er war wütend. Nicht nur, weil er sich nicht gegen Ben durchgesetzt hatte, sondern einfach auf alles. Auf den- oder diejenigen, die die dämliche Idee gehabt hatten, andere für die Aussicht auf einen prestigeträchtigen Preis mit ihren teuren Luxusjachten in gefährliche Gewässer zu schicken. Auf das Universum, weil es genau zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort einen Zyklon entfesselte. Auf das Schicksal, weil es ihn brutal von seinem Zwillingsbruder, seiner anderen Hälfte, getrennt hatte.

Aber vielleicht war er auch wütend auf Ben. Warum hatte dieser derart schreckliche Dinge über ihre Mutter gesagt? Etwas so Unfassbares, dass es eine Kluft zwischen sie zu treiben drohte. Falls Ben die Wahrheit gesagt hatte, könnte es das Band zertrennen, das seit ihrer Geburt zwischen ihnen bestand.

Würde das Leben, so, wie er es kannte, enden, egal, ob er diesen furchtbaren Tag überlebte oder nicht?

Und da war noch etwas, das ihn an seine Kindheit erinnerte und das er verdrängen musste. Inzwischen ging er ganz selbstverständlich damit um, dank seines Talents, das ihn zu einem internationalen Star gemacht hatte. Dank der Fähigkeit nämlich, sich vorstellen zu können, wie ein anderer mit der Situation umgehen würde, sodass schließlich alles gut werden würde. Dank der Fähigkeit, sich in diesen Menschen zu verwandeln, solange es nötig war.

Also stellte Jake sich vor, er würde einen Film drehen. Er hatte nicht Schiffbruch erlitten, sondern war ein Fallschirmjäger. Nicht er wurde gerettet, sondern eine Frau. Eine sehr schöne Frau.

Es war ihm immer leichtgefallen, sich etwas vorzugaukeln und so der Realität zu entfliehen. Diesmal fiel es ihm allerdings schwer, aber er strengte sich an. Falls es ihm gelang, war es dann nicht auch eine Art Realität?

Er sollte die Welt retten. Der Hubschrauber würde irgendwo landen und er, Jake, die Frau aus ihrem Gurt befreien. Natürlich wollte er dann bei ihr bleiben, weil er in sie verliebt war, doch er musste sich wieder in das Unwetter wagen und sein Leben riskieren, um … nicht um seinen Zwillingsbruder zu retten, das wäre zu abgedroschen, sondern vielleicht seinen Feind, weil er, Jake, der Held schlechthin war.

Doch plötzlich funktionierte das Ganze nicht mehr, obwohl er sich in solche Vorstellungen geflüchtet hatte, seit Jake sich erinnern konnte.

Vielleicht war Ben jetzt der Feind.

Und auch wenn sie nicht erfolgreich war, half diese Taktik Jake dabei, sich abzulenken. Dieser albtraumhafte Flug konnte nicht länger als einige Minuten gedauert haben, doch es kam ihm wie eine Ewigkeit vor.

Er hörte, wie seine Retterin sich mit dem Piloten zu verständigen versuchte. Da der Wind immer noch heulte, musste sie schreien, und selbst aus der Nähe konnte er nicht alles verstehen.

Sie sagte etwas von einem Licht. Einem Mond.

Ging seine Fantasie jetzt mit ihm durch?

„Der Leuchtturm“, rief Ellie. „Auf fünf Uhr. Das ist Half Moon Island.“

„Roger.“ Daves Stimme klang gequält. „Wir fliegen nach Südwesten.“

„Nein. Zum Strand …“

„Zu welchem Strand?“

„Zu dem gegenüber von Half Moon Island, am Ende der Landzunge. Setz uns dort ab.“

„Was? Mitten im Nirgendwo.“

„Ich weiß. Da ist ein Haus …“

Es war schwer, sich bei der Lautstärke des Sturms und dem Knistern im Funkgerät zu verständigen. Ellie kannte diese Gegend aus ihrer Kindheit. Ihr Großvater war der letzte Leuchtturmwärter auf Half Moon Island gewesen, und von dem Strandhaus ihrer Familie, das an einem abgelegenen Abschnitt an der Küste gegenüber lag, hatte man einen herrlichen Blick auf die halbmondförmige Insel, die sie alle so geliebt hatten.

Doch die Erinnerungen waren jetzt unwichtig. Wenn Dave sie hier absetzte, konnten sie dort Schutz suchen, während er zurückflog und den anderen Schiffbrüchigen holte.

Der Mann hielt sie immer noch so fest umklammert, dass Ellie kaum Luft bekam.

Sein Haar, das für ihren Geschmack zu lang war, klebte ihm am Kopf und schien dunkel zu sein. Seine Gesichtszüge waren schwer auszumachen, weil er einen Vollbart trug und die Augen zusammengekniffen hatte.

Außerdem war er so groß, dass sie sich mit ihren eins achtundsiebzig geradezu klein vorkam. Sie hatte grazilere Frauen immer um ihre Weiblichkeit beneidet, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie stark sein musste. Da hatte sie endlich das kämpferische Erbe ihrer Vorfahren zu schätzen gelernt.

Nie wieder würde ein Mann bewirken, dass Eleanor Sutton sich klein und unbedeutend fühlte.

Ellie presste die Lippen so dicht an das Ohr des Mannes, dass sie seine eisige Haut spürte. „Der Pilot setzt uns gleich am Strand ab. Ziehen Sie die Beine an, und überlassen Sie alles mir.“

Dave bemühte sich, sie langsam hinunterzulassen, und Ellie versuchte, die Entfernung zum Boden einzuschätzen, was jedoch noch nie so schwierig gewesen war. Die hohen Wellen erschwerten die Sicht, und der Sturm blies den Sand in alle Richtungen.

„Fünfzehn Meter … zehn …“ Es war verrückt, sie würden sich beide alle Knochen brechen. „Langsamer, Dave!“

Obwohl der Pilot sein Bestes gegeben haben musste, landeten sie hart, und der stechende Schmerz in ihrem Knöchel sagte Ellie, dass sie sich diesen trotz ihrer schweren Stiefel verstaucht hatte. Sie kam mit dem Rücken auf, der Fremde auf ihr, und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie groß und muskulös er war.

Im nächsten Moment wurden sie allerdings umgedreht und ein kurzes Stück im Sand mitgeschleift. Ellie spürte ihn schmerzhaft im Gesicht und Mund, als ihr Mikrofon weggerissen wurde. Der Kopfhörer in ihrem Helm funktionierte noch, doch auch ohne Daves Anweisungen wusste sie, dass sie sofort die Karabiner lösen musste, um nicht zu den Bäumen, die den Strand säumten, mitgeschleift zu werden. Das wäre das Todesurteil für sie und den Fremden, und im schlimmsten Fall würde sich das Seil in den Ästen verheddern und den Hubschrauber abstürzen lassen.

Irgendwie schaffte sie es, sich und den Fremden von dem Seil loszumachen, und sofort gewann der Hubschrauber wieder an Höhe. Sobald sie ihren Gurt von dem des Mannes getrennt hatte, konnte Dave das Seil wieder zu ihr herunterlassen.

Es dauerte jedoch zu lange. Ihre Hände waren eiskalt, und sie zitterte vor Kälte.

Ihr Begleiter versuchte, ihr zu helfen.

„Nein!“, schrie sie und spuckte dabei Sand aus. „Überlassen Sie das mir. Sie machen es mir noch schwerer.“

Daraufhin ballte er die Hände zu Fäusten. „Sie fliegen doch zurück, oder? Um Ben zu holen?“

„Ja.“ Endlich konnte sie den letzten Karabiner öffnen, sodass sie voneinander getrennt waren. Als sie den verletzten Knöchel zu belasten versuchte, verlor sie beinah das Gleichgewicht. Humpelnd entfernte sie sich ein wenig von dem Mann, um Dave zuzuwinken. Obwohl sie das Mikrofon verloren hatte, bedeutete sie ihm, dass er das Seil hinunterlassen sollte.

„Es tut mir leid, El. Das geht nicht“, schrie er. „Der Wind nimmt weiter zu, und wir haben einen Schwerverletzten an Bord, der beatmet werden muss.“

Dann gewann der Hubschrauber zunehmend an Höhe.

„Nein!“, protestierte Ellie, verzweifelt winkend. „Neiiiiiin!“

Der Fremde hatte sich inzwischen aufgerichtet und stand jetzt neben ihr. „Was ist los? Wohin will er denn jetzt?“ Er umfasste ihre Schultern, und sie spürte, dass es ihm schwerfiel, sie nicht zu schütteln. „Sie müssen zurückfliegen und Ben holen“, rief er verstört.

„Das dürfen wir nicht. Es ist zu gefährlich.“

Nun ließ er sie los, um selbst verzweifelt zu winken. Doch der hellrote Hubschrauber verschwand schnell aus ihrem Sichtfeld. Noch immer vernahm Ellie die Stimme des Piloten.

„Wir haben eure GPS-Koordinaten und kommen zurück, sobald das Wetter aufklart. Sucht irgendwo Zuflucht. Dein anderes Funkgerät müsste immer noch funktionieren. Wir melden uns.“ Sie hörte ihm an, dass er sie nur ungern zurückließ. „Passt auf euch auf, Ellie.“

Eine Ewigkeit, wie es ihr schien, standen sie und der Fremde am Strand und blickten starr zum bedrohlich dunklen Himmel empor, der das Meer schwarz erscheinen ließ. Die weißen Kämme auf den sich brechenden Wellen nahmen sich dagegen geradezu unheimlich aus.

Der Mann machte einige Schritte darauf zu. Dann blieb er stehen und stieß einen derart verzweifelten Schrei aus, dass sie schauderte. Er ahnte offenbar, dass er seinen Freund verloren hatte. Die Kehle schnürte sich ihr zu.

„Ich wäre zurückgeflogen“, rief Ellie ihm zu. „wenn sie mich gelassen hätten.“

Nun kam er wieder näher. „Und ich wäre in der Rettungsinsel geblieben“, antwortete er.

Ist er etwa wütend auf mich, weil ich ihm das Leben gerettet habe? schoss es ihr durch den Kopf.

Ellie nahm ihren Helm ab.

„Wer hat Ihnen das Recht gegeben, zu entscheiden, wer zuerst gerettet wird?“, schrie er sie an.

Sie spuckte noch mehr Sand aus. „Sie können sich glücklich schätzen, dass Sie noch am Leben sind“, erwiderte sie aufgebracht. „Und wenn wir nicht bald irgendwo Schutz suchen, werden wir wahrscheinlich beide an Unterkühlung sterben, und das Ganze wäre umsonst gewesen. Wer hat Ihnen denn das Recht gegeben, mein Leben in Gefahr zu bringen?“

Ellie wartete seine Reaktion nicht ab, sondern drehte sich um und versuchte, irgendeinen markanten Punkt auszumachen, um herauszufinden, in welche Richtung sie gehen sollte. Der Leuchtturm befand sich zu ihrer Linken, sie mussten also nach Norden gehen. Das Strandhaus befand sich auf direktem Weg dorthin.

Nun etwas zuversichtlicher, begann sie, den Strand entlangzugehen. Sie drehte sich nicht um, um zu sehen, ob der Mann ihr folgte. Wenn er hier bleiben und sterben wollte, dann war das seine Entscheidung. Sie wollte auf jeden Fall überleben.

Doch schon nach wenigen Schritten sank sie mit einem gequälten Aufschrei zu Boden.

Im nächsten Moment hockte der Fremde sich neben sie. „Was ist los?“

„Mein Knöchel … Er ist möglicherweise gebrochen.“

Autor

Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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