Wiedersehen im Rosengarten

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Drake ist zurück! Tausend Tränen hat Tessa geweint, als der Arzt sie verlassen hat. Sie wird mit ihm zusammenarbeiten - und ihn privat ignorieren. Doch eine zärtliche Begegnung im Rosengarten und ihre kleine Tochter, die Drake beharrlich "Daddy" nennt, machen das unmöglich …


  • Erscheinungstag 24.02.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505734
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sie hatten sich ein letztes Mal geliebt, während die Abendsonne sanft auf ihre Körper schien. Es hatte sich so intensiv wie immer angefühlt, liebevoll und leidenschaftlich zugleich. Dennoch hatte Tessa diese tiefe Traurigkeit in sich verspürt, denn sie wusste genau, dass es das Ende ihrer Affäre war. Auch wenn damals keiner von beiden bereit gewesen war, es auszusprechen.

Dabei hatten sie bereits kurz nach ihrem Kennenlernen abgemacht, dass sie beide nichts Ernstes suchten, sondern zusammen den Moment genießen wollten. Eheringe, da waren sie sich einig gewesen, waren eine Farce, eng verknüpft mit Babys und Hypotheken. Die Jahre ihrer Kindheit mit sich streitenden Elternteilen, Untreue und drohender Scheidung hatten Tessa gezeigt, was dieser goldene Ring am Finger mit sich bringen konnte.

Kein Wunder, dass sie Männer, die sie kennenlernte, stets auf Abstand gehalten hatte. Bis Drake Melford in ihr Leben getreten war und alles verändert hatte. Er machte von Anfang an keinen Hehl daraus, dass er mit ihr schlafen wollte. Und als sie miteinander ins Bett gingen, war es eine einzigartige Erfahrung, auch wenn sie sich keinerlei Versprechen gaben.

Anfangs war Tessa sehr glücklich. Die Anziehungskraft zwischen ihnen beiden war enorm. So stark, dass sie gar nicht anders konnten, als übereinander herzufallen, wenn sie sich sahen. Sie liebten sich auf dem Teppich, auf dem Küchentisch und sogar auf einer Parkbank im Mondschein, als weit und breit niemand zu sehen war. Dabei verschwendeten sie keinen Gedanken an die Zukunft, nur die Gegenwart zählte.

Was war falsch gelaufen? Die magischen Momente waren mehr und mehr Zweifeln und Bedenken gewichen, die ihr sagten, dass es vorbei war. Und immer wenn sie Drake fragen wollte, was passiert war, hatte sie sich an ihre Abmachung erinnert, keinerlei Ansprüche an den anderen zu stellen, und war verstummt.

Ihr einziger Trost war es gewesen, zu wissen, dass sie nicht gegen eine andere Frau gekämpft hatte. Es war seine Karriere gewesen, die ihn ihr genommen hatte. Seitdem hatte sie ihre Erinnerungen an die unbeschwerte Zeit wie ein abgeschlossenes Kapitel ihres Lebens vergraben.

Nun sah sie den dunklen Haarschopf eines Mannes, der vor einer Londoner U-Bahn-Station in ein Taxi stieg, und schon kamen die Erinnerungen an die Zeit mit Drake Melford wieder in ihr hoch.

Sie strich sich mit der Hand über die Augen, als würde sie ein blendendes Licht abwehren. Es war nicht das erste Mal, dass sie an ihrer eigenen Vernunft zweifelte, während die schmerzvollen Erinnerungen in ihr neues Leben platzten, das sie sich nach der Trennung von Drake so mühevoll aufgebaut hat. Sie seufzte leise, und die alte Dame neben ihr in der Taxi-Warteschlange sah sie besorgt an. „Geht es Ihnen nicht gut, meine Liebe?“

Tessa zwang sich zu lächeln und erklärte, dass sie Seitenstechen habe. Den Stich ins Herz verschwieg sie.

Es war Freitag. Als sie den dunkelhaarigen Mann sah, hatte sie gerade auf ein Taxi gewartet. Sie war zur Jahreshauptversammlung nach London gekommen, und ihre Gedanken kreisten um die Sitzung und mögliche Ankündigungen, die sie dort erwarteten.

Sie war aus der Grafschaft Gloucestershire angereist, wo sie arbeitete. Ihr Plan war es, die Nacht im Hotel zu verbringen, um gleich morgens einen frühen Zug zurück nach Glenminster zu nehmen.

Die Horizons Augenklinik lag am Rande der pittoresken Stadt Glenminster, umringt von den grünen Hügeln der Grafschaft. Sie war bekannt für ihre Spezialbehandlungen und genoss einen guten Ruf. Tessa war dort als leitende Managerin angestellt und stand voll und ganz hinter dem Krankenhaus.

Es hieß, dass das Gesundheitswesen über mehr Manager als Ärzte verfügte. Und sosehr Tessa die fantastische Arbeit des medizinischen Teams auch schätzte: Sie waren es nicht, die mitten in der Nacht aufstehen mussten, wenn ein Patient sich überraschend entlassen ließ und die Aushändigung seiner Wertsachen aus dem Kliniksafe forderte. Als hauptverantwortliche Verwaltungsangestellte musste Tessa immer wieder mit derartigen Problemen rechnen.

Ebenso hieß es, dass sie sich in ihrer Position mehr um die Heilung der Patienten als um die Organisation kümmern sollte. Dabei war Tessa schon immer der Meinung gewesen, dass eine saubere und effiziente Einrichtung sowie eine gesunde, abwechslungsreiche Kost genauso wichtig für die Genesung eines Patienten waren wie die medizinischen Wunder, die an ihm vollbracht wurden.

Als ihr Taxi die Auffahrt zum Gebäude hinauffuhr, in dem die Versammlung stattfinden sollte, schoss Tessa eine zweideutige Bemerkung durch den Kopf, die ein Vorsitzender des Krankenhauses ihr gegenüber gemacht hatte.

Der Oberarzt des Krankenhauses würde bald in den Ruhestand gehen, sein Abschied stand nun bei der Jahreshauptversammlung an. Der Vorsitzende hatte ihr gegenüber angemerkt, dass der Nachfolger die Klinik im Bereich der Augenheilkunde noch weiter voranbringen würde. Als sie sich nach dem Namen des Nachfolgers erkundigte, hatte er geheimnisvoll gelächelt. „Das wird auf der Jahreshauptversammlung verkündet.“

Und nun war sie hier, immer noch zu eingenommen von der Vergangenheit, um neugierig in die Zukunft zu blicken. Bis zu dem Moment, in dem sie den Konferenzraum betrat und ihr bewusst wurde, dass sie sich am Taxistand nicht geirrt hatte: Es war Drake Melford, den sie dort gesehen hatte, denn hier stand er leibhaftig und unterhielt sich mit ihren Kollegen – entspannt und charmant wie eh und je.

Tessa macht auf dem Absatz kehrt und floh in die Damentoilette, wo ihr ein hochrotes Gesicht aus dem Spiegel entgegenblickte. Sie schloss die Augen, als könnte sie so das eben Gesehene verdrängen. Ich hätte wissen müssen, dass Drake wirklich der Mann war, der ins Taxi gestiegen ist, schoss es ihr durch den Kopf.

Unzählige Male hatte sie seinen Nacken liebkost, sein markantes Gesicht geküsst, hatte ihre Finger durch seinen dunklen Haaransatz gleiten lassen … Schluss damit! Die Jahreshauptversammlung kann jeden Augenblick beginnen, schalt sie sich.

Die Geschäftsführung der Klinik saß bereits am großen ovalen Tisch, als sie zurück in den Raum trat. Drake, der Vorsitzende und der Oberarzt, der sich in den Ruhestand verabschiedete, hatten an der gegenüberliegenden Seite des Tisches Platz genommen. Als Drake Tessa erblickte, spürte er seinen Herzschlag schneller werden, er wünschte sich, ihr Treffen wäre privater Natur. Und er fühlte tiefe Reue. Aber ein Teil von ihm wusste, dass es so richtig war, dass sie sich nun wie zwei gute alte Freunde begegnen sollten und nicht wie… Ja, wie was eigentlich, fragte er sich.

Als Tessa sich am anderen Ende des Tisches auf einen Stuhl fallen ließ, nahm sie die Ankündigungen wie aus weiter Ferne wahr.

Nach einer detaillierten Präsentation des Vorsitzenden schloss der scheidende Oberarzt mit einer kurzen Abschiedsrede. Dann wurde Drake all denjenigen vorgestellt, die mit ihm zusammen in der angesehenen Klinik arbeiten würden.

Ein Mann hier aus der Gegend, Experte auf seinem Gebiet der Augenheilkunde und abgeworben von einer Schweizer Klinik, um Oberarzt der Horizons Klinik zu werden – so stellte der Vorsitzende Drake vor und hieß ihn herzlich willkommen.

Es folgte ein lauter Applaus, in den Tessa zaghaft mit einstimmte. Drake stand auf, erklärte, wie sehr er sich freue, zurück in Großbritannien und bald ein Teil des Teams zu sein.

Für Tessa fühlte es sich wie ein Traum an, aus dem sie jeden Moment erwachen müsste. Im Anschluss wurden nur noch Routinefragen geklärt, dann dauerte es nicht lange, und alle versammelten Mitglieder brachen in ein nahe gelegenes Hotel auf, wo ein gemeinsames Abendessen geplant war.

Bis zu diesem Augenblick hatten Tessa und Drake noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Als Tessa sich gerade mit einem Mitglied der Geschäftsleitung unterhielt, ging Drake zusammen mit dem Geschäftsführer an ihr vorbei und grüßte: „Hi, Tessa, du bist also auch noch hier, wie ich sehe!“

Sie antwortete nicht, lächelte nur verkrampft bei dem Gedanken, dass er sie soeben als festes Inventar der Klinik dargestellt hatte. So hatte sie sich ihr Wiedersehen in all den Nächten, in denen sie sich hin und her gewälzt hatte, ganz und gar nicht ausgemalt.

Im Laufe des Abends stellte sich heraus, dass ein Großteil der Teilnehmer der Versammlung für die eine Nacht im Hotel untergebracht war – auch Drake. Kaum vorzustellen, dass sie mit ihm zusammen unter einem Dach schlafen würde.

Als Tessa später auf ihr Zimmer ging, hatten die meisten es sich an der Bar gemütlich gemacht. Sobald die Zimmertür hinter ihr zufiel, sprang ihr Gedankenkarussell an. Als sie Drake das erste Mal getroffen hatte, war sie auf Anhieb von ihm fasziniert gewesen. Heute bin ich es nicht weniger, wenn auch aus einem anderen Grund, gestand sie sich ein, während sie mit weit aufgerissenen Augen auf dem Bett lag.

Am meisten beschäftigte sie der Gedanke, dass sie ihm nun tagtäglich begegnen würde. In den vergangenen drei Jahren hatte sie seine Existenz, so gut es ging, verdrängt. Wie soll das funktionieren? fragte sie sich. Er hatte sie damals von einem Tag auf den anderen verlassen, als sich ihm die Möglichkeit bot, seinen Doktor zu machen. Ihre gemeinsame Abmachung wurde zum Freifahrtschein. Er war gegangen, und sie hatte nie wieder ein Wort von ihm gehört. Kein einziges. Und nun würden sie plötzlich Kollegen sein. Tessa seufzte und barg ihr Gesicht in den Händen.

Kurz nach Tessa zog auch Drake sich auf sein Hotelzimmer zurück. Als er damals das Angebot erhalten hatte, in der Schweiz zu arbeiten, war alles andere für ihn unwichtig gewesen. Er hatte diese Gelegenheit als Möglichkeit gesehen, seine Fähigkeiten noch zu verbessern, und war nahezu versessen darauf gewesen, diese Chance zu ergreifen. Keinen Gedanken hatte er daran verschwendet, was Tessa und ihn miteinander verband.

Erst als aus den Monaten Jahre geworden waren, begriff er, was er in seiner Arroganz aufgegeben hatte. Und dann war irgendwann zu viel Zeit vergangen, um sich noch bei ihr zu melden. Er hatte selbst nicht mehr gewusst, was er fühlte. War es Reue? Schämte er sich?

Manchmal hatte er daran gedacht, dass er gern mit ihr zusammen gewesen wäre. Aber dann sagte er sich selbst, dass sie nach all den Jahren sicherlich längst verheiratet war und Kinder hatte. Gleichzeitig hatte er gehofft, dass ihn dies nicht davon abhalten würde, sein Verhalten wiedergutzumachen, sobald sich eine Möglichkeit ergab. Wie ein Wink des Schicksals war dann die Nachricht gekommen, dass an der Horizons Klinik eine Stelle frei wurde, die genau seinem Profil entsprach. Die Tatsache, dass Tessa dort als leitende Managerin tätig war, hatte er als Extrabonus angesehen.

Er hatte sie genau beobachtet, als sie in den Konferenzraum trat, und so war ihm ihr erschrockener Gesichtsausdruck nicht entgangen, als sie ihn erblickte.

Dass er ein Idiot war, hatte er mit seiner gönnerhaften Begrüßung nach der Sitzung eindrucksvoll bewiesen. Als hätte ihr Leben stagniert, während er die Gipfel der Welt erklommen hatte. Und auch wenn einige Schweizer Berge tatsächlich wie die Gipfel der Welt wirkten: In all den Jahren hatte er keine einzige Chance gehabt, sie zu erklimmen, weil er immer zu beschäftigt gewesen war, seine Karriere voranzutreiben. Er konnte auch nicht leugnen, dass er sich für seine Rückkehr ein anderes erstes Wiedersehen erhofft hatte. Nun übermannten ihn all die Erinnerungen daran, wie die Dinge einmal zwischen ihnen beiden gewesen waren.

Nur ein paar Zimmer weiter auf demselben Flur erinnerte auch Tessa sich an ihre erste Begegnung mit Drake. Es war bei einer Personalversammlung im Krankenhaus gewesen, auf der er über die Fortschritte in seiner Arbeit sprach.

Sie hatte eigentlich nur einen kurzen Eindruck von dem Mann gewinnen wollen, der sich gerade einen Namen in der Augenchirurgie machte, schließlich arbeitete sie in der Verwaltung und nicht als Medizinerin.

Und er hatte gerade mit einer Gruppe Krankenschwestern geplaudert, die gebannt an seinen Lippen hingen, während sie auf den Beginn der Versammlung warteten. Sein Aussehen hatte Tessa auf Anhieb fasziniert.

Aber sie war ihm ebenfalls aufgefallen, als sie den Raum betrat. Er hatte einen Schritt zur Seite gemacht, um sie besser sehen zu können. Die Art, wie er sie betrachtete, verriet ihr, dass ihm gefiel, was er sah. Schlank, mit goldblondem Haar und in einen eleganten Anzug mit weißem Seidentop gekleidet, war Tessa Gilroy einfach betörend, aber sie schien sich ihrer Wirkung auf Männer nicht bewusst zu sein, wirkte konzentriert und auf ihre Arbeit fokussiert.

Dieser großgewachsene Fremde mit den haselnussbraunen Augen und dem dunklen, dichten Haarschopf war ganz anders als alle Männer, die sie zuvor getroffen hatte. Und als er ihr als Drake Melford vorgestellt wurde, wusste sie auch, warum.

Sein Name war in medizinischen Kreisen häufig gefallen, da er mit einem ganz neuen, unkonventionellen Ansatz arbeitete und erfolgreich war.

Bei dieser Gelegenheit stellten sie sich nur kurz mit einem Handschlag vor, sie ging, sobald der Vortrag zu Ende war, und ließ ihn umringt von anderen Medizinern zurück.

Am nächsten Morgen um sechs Uhr wurde sie von einem Türklingeln geweckt, Drake Melford stand vor ihrer Tür. „Ich konnte nicht schlafen, ich musste an dich denken. Kann ich reinkommen?“

Barfuß und nur mit einem weißen Baumwollnachthemd bekleidet, nickte sie und ließ ihn hinein. Als wäre es ganz normal, einen Mann, den sie kaum kannte, in ihrer Wohnung zu begrüßen.

Nachdem sie den Frühstückstisch gedeckt hatte, aßen sie schweigend. Tessa schloss die Augen bei jedem Bissen, den sie zu sich nahm. Dann schob er seinen Stuhl zurück, hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer.

Ihr erstes Mal war leidenschaftlich. Sie schien seine Berührungen und Liebkosungen so sehr zu genießen, als hätte sie ihr ganzes Leben lang darauf gewartet, dass er auftauchte.

Dann liebten sie sich sanfter und zärtlicher. Und als Drake schließlich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen neben ihr auf der Seidenbettdecke lag, sagte er lächelnd: „Wow, es hat sich noch nie so intensiv angefühlt, Tessa. Du bist unglaublich!“

Es war genau dieser Augenblick, in dem sie ihren Pakt aussprachen, immer noch erschöpft und erfüllt, aber nicht zu entkräftet, um klar denken zu können.

Sie würden es so nehmen, wie es kam, beschlossen sie. Keine Bindung, keine Verpflichtungen, keine Versprechen. Stattdessen würden sie ihre Affäre einfach genießen

Und so war es auch an dem Abend, an dem sie sich das letzte Mal geliebt hatten. Drake hatte sich angezogen, seine Sachen in ein paar Taschen gepackt. Stumm vor Kummer hatte ihm Tessa dabei zugesehen. Es war kein einziges Wort gefallen, weil es nichts zu sagen gab. Es war genau das eingetreten, was sie zu Beginn vereinbart hatten.

Aber Tessa hatte für sich erkannt, dass es zu spät war. Sie hatte sich längst in ihn verliebt. Und dass er nun nach Glenminster zurückgekehrt war und Teil ihres Teams wurde, brachte ihr Leben gehörig durcheinander.

Ob sich sein Leben mittlerweile verändert hatte, wusste sie nicht. Aber ihres war komplett auf den Kopf gestellt, seit es Poppy gab. Poppy, der kleine Sonnenschein, der auf der Kinderstation der Klinik gelegen hatte. Tessa hatte sie dort in ihr Herz geschlossen und später adoptiert. Mit dieser Entscheidung hatte sie auch genau die beiden Abmachungen über den Haufen geworfen, die Drake und sie einmal getroffen hatten: Sie hatte ein Kind in ihr Leben gelassen und dazu auch noch einen Kredit aufgenommen.

Sie war aus der Wohnung ausgezogen, in der sie zusammengelebt und sich leidenschaftlich geliebt hatten. Tessa hatte ein kleines Haus aus Sandstein nicht weit vom Krankenhaus gekauft – und war wieder glücklich, denn sie liebte wieder. Es war eine andere Art zu lieben, aber nicht weniger intensiv.

Drake stand am Fenster seines Hotelzimmers und betrachtete das Treiben rund um die Restaurants und Bars der Innenstadt.

Der stets präsente Straßenlärm klang dumpf durch das Fensterglas, am helllichten Tag wäre er noch lauter, nicht zu vergleichen mit der Stille der schneebedeckten Bergwelt der Schweiz.

Aber das war nicht seine Sehnsucht. Er hatte Glenminster vor drei Jahren verlassen, ohne seine Entscheidung ein zweites Mal zu überdenken, denn Tessa schien entschlossen zu sein, an den Vereinbarungen festzuhalten, die sie in der ersten gemeinsamen Nacht beschlossen hatten.

Warum, fragte er sich selbst, hatte er in dem Moment, in dem sein Schweizer Arbeitsvertrag ausgelaufen war, den erstbesten Flug nach London genommen, um an der Tagung teilzunehmen?

Er hatte nicht erwartet, dass Tessa ihn freudig und mit Tränen in den Augen begrüßen würde, um genau dort fortzufahren, wo sie vor drei Jahren aufgehört hatten. Hätte er dies gehofft, hätte ihn ihre Reaktion schnell eines Besseren belehrt. Tessa hatte ihn während der Sitzung so freudlos beobachtet, dass ihn die überschwängliche Aufmerksamkeit aller anderen Teilnehmer nahezu erdrückte.

Ob sie sein Angebot annehmen würde, am nächsten Morgen mit ihm heimzufahren, fragte er sich. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie die Jahreshauptversammlung nutzte, um einen Shopping- und Theatertag in London dranzuhängen. Aber er konnte nun schlecht den Flur hinuntergehen, an ihre Tür klopfen und sie nach ihren Plänen fragen. Nach drei Jahren Totenstille zwischen ihnen und allem, was passiert war …

Sein Plan war es, früh zu starten, denn er musste sich in Gloucestershire zunächst eine Unterkunft für die nächste Zeit suchen. Das würde er gern klären, ehe er Montagmorgen in seiner neuen Rolle als Oberarzt am Krankenhaus anfing. Sollten sie sich also nicht beim Frühstück treffen, würde ihre erste richtige Begegnung bei der Arbeit stattfinden – unter den Argusaugen ihrer Kollegen. Aber sie würden auch das überstehen und es professionell meistern.

Tatsächlich aber saß Tessa bereits mit den anderen Frühaufstehern im Frühstücksraum, als er am nächsten Morgen um sechs Uhr die Treppe hinunterging. Und ehe er es sich anders überlegen konnte, stand er an ihrem Tisch und bot ihr an: „Ich habe einen Mietwagen und fahre bald los. Ich kann dich gern nach Gloucestershire mitnehmen!“

„Danke, aber ich habe schon ein Zugticket“, erklärte sie ihm, während sie Butter auf ihr Toast strich. „Das Taxi, das mich zum Bahnhof fährt, kommt in Kürze.“

„Hast du immer noch die gleiche Adresse?“, fragte er betont locker, um sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

„Nein, ich bin vor Kurzem umgezogen“, war die knappe Antwort. Dann fügte sie aber zu seinem Erstaunen hinzu: „Wenn du noch keine Unterkunft gefunden hast, frag doch mal nach dem Haus auf dem Grundstück der Klinik, in dem dein Vorgänger gelebt hat. Das hat irgendwann mal ein Patient als Dank erbauen lassen, und es müsste nun wieder leer stehen. Das kann man dir sicher zur Verfügung stellen.“

Drake runzelte die Stirn. „Ich will kein großes Aufsehen, Tessa, ich bin hier, um zu arbeiten.“ Sofort bemerkte er, wie schroff das geklungen hatte, und fügte hinzu: „Aber womöglich ist es keine so schlechte Idee, in der Nähe der Klinik zu wohnen.“

Tatsächlich war er erleichtert. Nach ihrer bislang eher zurückhaltenden Reaktion auf seine Rückkehr hatte er nicht mit einem Tipp gerechnet. Er war derjenige, der sich damals wie ein egoistischer Mistkerl verhalten hatte. Und jeder ahnungslose Beobachter würde in diesem Augenblick nicht einmal im Traum darauf kommen, dass sie mal ein Paar gewesen waren.

„Das werde ich mir mal ansehen“, entgegnete er und bemühte sich, nicht mehr an das Vergangene zu denken.

Tessas einziger Gedanke wiederum war, ob er dieses Haus allein beziehen würde, wenn es tatsächlich noch frei war.

Es war ein altes Haus mit hohen Decken, geschwungenen Treppen und antikem Mobiliar. Alles war gut in Schuss, da es vom Vorbesitzer gehegt und gepflegt worden war. Aber noch besser war natürlich, dass es unmittelbar neben der Klinik lag.

„Jetzt, wo du es sagst, glaube ich, dass sie es mir sogar angeboten haben, als ich den Job zugesagt habe“, ließ er sie wissen, „aber da hatte ich so viel im Kopf, dass ich es einfach wieder vergessen habe. Also danke für deinen Tipp, Tessa.“ Kann man noch idiotischer klingen, ärgerte sich Drake, kaum dass er es ausgesprochen hatte.

Sie zuckte mit den Schultern, als wäre es ihr egal. „Du hättest es sowieso früher oder später erfahren.“

„Ja, gut, trotzdem danke“, entgegnete er, und als die Kellnerin ihm einen Tisch zuweisen wollte, fügte er hinzu: „Dann bis Montag.“

Tessa nickte und widmete sich wieder Tee und Toast, in der Hoffnung, dass ihm nicht aufgefallen war, dass ihr Herz wie wild schlug. Da sie schon ausgecheckt hatte, konnte sie das Hotel verlassen, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, als ihr vorbestelltes Taxi schließlich vorfuhr.

So weit, so gut, dachte Drake, als er sie gehen sah. Immerhin haben sie ein paar Worte gewechselt, und Tessa hatte sich die Mühe gemacht, ihm einen Tipp für seine Wohnungssuche zu geben. Aber mit wem ist sie zusammengezogen?

Sie hätte niemals einfach so ihre geliebte Wohnung aufgegeben. Und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass ihr Leben sich, während er im Ausland gewesen war, nicht verändert hatte. Damals hatte sie ihn ziehen lassen, ohne auch nur zu versuchen, ihn umzustimmen. Oder hatte er ihr damals gar keine Chance gegeben, ihn von seinem Entschluss abzuhalten, in die Schweiz zu ziehen, um Karriere zu machen und zu forschen?

Aber er hatte damals einen Entschluss gefasst und den Preis dafür gezahlt. Es war vorbei zwischen ihnen, und daran würde sich auch nichts ändern. Schließlich war er nicht ihretwegen an die Horizons Klinik zurückgekehrt. Er wollte den Job – und sie um der alten Zeiten willen sehen. Aber er wollte nicht das wiederbeleben, was einmal zwischen ihnen gewesen war.

Was aber nicht bedeutete, dass er die Leidenschaft vergessen hatte, die zwischen ihnen gewesen war, und wie es sich anfühlte, in ihren Armen zu liegen. Diese Erfahrung war so intensiv gewesen, dass er seitdem mit keiner anderen Frau geschlafen hatte. Jetzt, Jahre danach, wusste er, wie besonders das zwischen ihnen gewesen war – aber er bereute nicht, den Job in der Schweiz angenommen zu haben. Für ihn war das eine einmalige Chance gewesen, seine Fähigkeiten weiter auszubauen. Nun war er zurück. Trotzdem konnte er nicht abstreiten, dass ein Teil von ihm nur zu gern wüsste, ob sie beide noch etwas verband.

Tessas Verhalten nach zu urteilen, war sie von seiner Rückkehr nicht gerade begeistert. Oder sollte man sagen: ganz und gar nicht begeistert? Aber vielleicht steckte hinter ihrem frostigen Empfang auch ihre eigene Unsicherheit. War es möglich, dass auch sie sich fragte, ob da noch etwas zwischen ihnen war? Die alte Tessa hätte dies mit Sicherheit gern gewusst.

Auf der Zugfahrt zurück nach Gloucestershire rief Tessa ihre Freundin Lizzie an, die Poppy während ihrer Abwesenheit zu sich genommen hatte. Sie war die Einzige, der sie ihre Adoptivtochter über Nacht anvertraute. Poppy ging es gut, lediglich kurz vor dem Schlafengehen war sie quengelig gewesen, hatte sich aber bei der Gutenachtgeschichte beruhigt und durchgeschlafen.

„Ich komme mittags an und mache mich dann gleich auf den Weg zu dir“, erklärte Tessa ihrer Freundin. Aber Lizzy, die selbst Mutter zweier Kinder war, schlug ihr stattdessen vor, sie zusammen mit Poppy am Gleis abzuholen, schließlich konnte sie sich vorstellen, wie groß die Sehnsucht war. Tessa konnte es kaum erwarten, ihre Kleine wieder in den Armen zu halten, und nahm Lizzies Angebot dankend an. Aber als ihre Freundin sie fragte, ob sich die lange Reise nach London gelohnt hatte, antwortete Tessa seufzend: „Sie steckte voller merkwürdiger Überraschungen.“

Sie bereute es nicht, Drakes Angebot, sie mitzunehmen, abgelehnt zu haben, auch wenn sie viel schneller zu Hause gewesen wäre. Allein der Gedanke, stundenlang Seite an Seite mit ihm in einem Auto zu sitzen, war für sie kaum zu ertragen.

Bis gestern hatte er keine Rolle mehr in ihrem Leben gespielt, jetzt war er genauso unvermittelt zurück, wie er damals um sechs Uhr früh vor ihrer Haustür gestanden hatte. Und sie wünschte, er wäre jetzt nicht wieder aufgetaucht … Aber tat sie das wirklich?

In Zukunft wäre er Teil ihres Alltags in der Klinik und nicht länger ein Schatten der Vergangenheit. Sie würde ihn täglich sehen und mit ihm sprechen, müsste ihn aber gleichzeitig auf Distanz halten.

Seit es Poppy gab, hatte sich ihr Leben komplett verändert. Die Kleine hatte sich in staatlicher Fürsorge befunden und darauf gewartet, adoptiert zu werden, nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Kurz darauf war sie mit einer Blutung hinter dem Auge – einer Folge des Unfalls – ins Horizons eingeliefert worden. Tessa hatte sich sofort für das kleine Waisenmädchen verantwortlich gefühlt und jede freie Minute an Poppys Bett verbracht.

„Du bist genau das, was die Kleine braucht“, hatte die Sozialarbeiterin ihr verkündet.

„Eine Singlemutter?“, hatte sie damals entgegnet. „Auf keinen Fall! Es war nie mein Plan, Kinder zu haben.“

Aber je länger sie darüber nachgedacht hatte, desto klarer hatte sie gewusst, dass sie Poppy zu sich nehmen wollte. Und mit jedem Schritt des langwierigen Adoptionsvorgangs war sie überzeugter, das Richtige zu tun. Und die beste Bestätigung war, dass Poppy wieder ein glückliches Kind wurde.

Wenn Drake sich noch an unseren damaligen Pakt erinnert, wartet eine dicke Überraschung auf ihn, dachte sie, während der Zug Richtung Heimat rollte. Und sie wünschte sich, dass er an dem Ort geblieben wäre, an den er damals verschwunden war. Schließlich hatte sie nun ihr Leben neu geordnet.

Lizzie und Poppy warteten bereits am Bahnsteig, als der Zug einrollte. „Mama zwei“, rief die Kleine, als sie aus dem Zug stieg. So hatte Tessa es ihr beigebracht, schließlich sollte ihre „Mama eins“ nie in Vergessenheit geraten. Als sie das kleine Mädchen in ihren Armen hielt, war ihre Welt wieder in Ordnung.

Autor

Abigail Gordon
Abigail Gordon ist verwitwet und lebt allein in einem Dorf nahe der englischen Landschaft Pennines, deren Berggipfelkette auch das „Rückgrat Englands“ genannt wird.
Abigail Gordon hat sich besonders mit gefühlvollen Arztromanen einen Namen gemacht, in denen die Schauplätze meistens Krankenhäuser und Arztpraxen sind.
Schon immer war Abigail Gordon ein Fan von...
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