Dein Kuss verrät mir alles

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Jedes Mal, wenn der Rancher Cag Hart die bildhübsche Tess arbeiten sieht, keimt ein heißes Begehren in ihm auf. Dabei kennt er sie doch von Kindesbeinen an. Kann es wirklich sein, dass aus dem süßen Mädchen eine so traumhaft schöne Frau geworden ist?


  • Erscheinungstag 12.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737191
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Tess stolperte beinahe über die Katze, die um ihre Beine herumstrich. Obwohl Tess eigentlich gerne noch schnell einen Blick in den Backofen geworfen hätte, drehte sie sich mit einem bedauernden Lächeln auf der Stelle um, öffnete eine Dose mit Katzenfutter und füllte sie in eine kleine Schüssel. Die Katze schien ständig hungrig zu sein. Wahrscheinlich hatte sie noch immer Angst, darben zu müssen. Immerhin war sie herumgestreunt, ehe Tess sie aufgenommen hatte.

Es wurde Tess Brady schon fast zum Verhängnis, dass sie keinem herumstreunenden oder verletzten Tier widerstehen konnte. Die meiste Zeit ihres jungen Lebens hatte sie auf Rodeo-Plätzen verbracht. Ihr Vater war zweimaliger Weltmeister im Kälber-Einfangen mit dem Lasso gewesen. Tess selbst hatte wenig mit den Tieren zu tun gehabt, was vielleicht eine Erklärung dafür war, dass sie Tiere liebte. Seit ihr Vater nicht mehr lebte und sie sich selbst überlassen war, machte es ihr Freude, sich um Tiere zu kümmern. Ob es Vögel mit gebrochenen Flügeln oder kranke Kälber waren, sie hatte sie alle versorgt. Und die Hilfsaktionen nahmen kein Ende.

Dieses Kätzchen war ihre bislang letzte gute Tat. Es war an einem dunklen, regnerischen Abend kurz nach Thanksgiving an der Hintertür aufgetaucht. Tess hatte das Tier hereingenommen trotz des Murrens von zweien ihrer drei Bosse. Ausgerechnet der „Oberboss“, der sie anfangs nicht leiden konnte, hatte sich dann als ihr einziger Verbündeter erwiesen. Er ließ das Kätzchen im Haus bleiben.

Das überraschte Tess. Callaghan Hart war ein Macho von der schlimmsten Sorte. Er war als Captain bei den legendären Green Berets im Golfkrieg eingesetzt gewesen. Als Zweitältester der fünf Hart-Brüder stand er dem Besitz der ausgedehnten Hart-Ranch-Ländereien vor, einem Konglomerat von Ranches und Viehweiden in mehreren Weststaaten. Der Hauptsitz war die Ranch in Jacobsville im Staate Texas.

Simon, der älteste Bruder, war Anwalt in San Antonio. Corrigan, der vier Jahre jünger war als Simon, hatte vor anderthalb Jahren geheiratet. Er und seine Frau Dorie waren erst kürzlich Eltern eines Jungen geworden.

Drei der Hart-Brüder waren als Junggesellen in Jacobsville verblieben. Reynard, der jüngste, Leopold, der zweitjüngste, und Callaghan, der genau zwei Jahre jünger als Simon war. Sie lebten alle auf der Ranch von Jacobsville.

Tess’ Vater hatte knapp ein halbes Jahr für die Hart-Brüder gearbeitet, als er im Korral nach einem Herzanfall tot zusammenbrach. Für Tess war es entsetzlich gewesen. Ihre Mutter hatte sich aus dem Staub gemacht, als Tess noch klein gewesen war. Cray Brady, ihr Vater, war ein Einzelkind. Deshalb hatte sie keine weitere Familie, jedenfalls keine, die sie kannte. Die Harts hatten davon gewusst. Als ihre Haushälterin den Wunsch geäußert hatte, sich zur Ruhe zu setzen, war ihnen Tess als der perfekte Ersatz erschienen, weil sie kochen und den Haushalt besorgen konnte.

Tess konnte außerdem wie ein Cowboy reiten, wie ein Experte schießen und in fließendem Spanisch fluchen. Nur wussten die Hart-Jungs nichts von diesen Fertigkeiten, weil Tess niemals die Gelegenheit hatte, sich damit zur Schau zu stellen. In diesen Tagen waren ihre Talente beschränkt auf das Backen von weichen Brötchen, ohne die alle drei Brüder nicht leben konnten, sowie das Kochen von einfachen, aber herzhaften Mahlzeiten. Die Brüder aßen alles, bis auf Süßspeisen, die keiner von ihnen zu mögen schien.

Es wäre der perfekte Job, sogar trotz Leopolds Streichen, wenn Tess sich nicht vor Callaghan gefürchtet hätte. Und leider sah man ihr das an, was die Dinge nicht besser machte.

Callaghan beobachtete sie die ganze Zeit, musterte sie von ihrem lockigen rotgoldenen Haar und den hellblauen Augen bis zu den zierlichen Füßen, so als ob er nur darauf wartete, dass sie einen Fehler machte, damit er sie feuern konnte. Am Frühstückstisch ließ der Blick dieser schwarzen spanischen Augen ihr Gesicht nicht los, obwohl Tess sich ständig von ihm abgewandt hielt. Sein tief gebräuntes Gesicht war schmal, seine Stirn breit, und er hatte buschige Augenbrauen. Er hatte eine große Nase, große Ohren und große Füße, aber sein scharf geschnittener Mund war perfekt, und er hatte volles, glattes Haar, so schwarz wie ein Rabe. Er sah nicht direkt gut aus, aber er war gebieterisch, arrogant und furchterregend selbst für andere Männer.

Leopold hatte ihr einmal erzählt, dass seine Brüder versuchten einzuschreiten, wenn Cag vor Wut seine Beherrschung verlor und kurz davor stand, gewalttätig zu werden. Cag hatte genug Erfahrung gesammelt, um im Kampf beschlagen zu sein, aber allein seine Größe machte ihn schon gefährlich. Man konnte von Glück reden, dass er nur selten in Zorn geriet.

Tess verstand nicht, warum Cag sie nicht leiden konnte. Er hatte kein Wort des Protestes geäußert, als die anderen entschieden, ihr den Job der Haushälterin und Köchin anzubieten nach dem so plötzlichen Tod ihres Vaters. Und er war es gewesen, der Leopold dazu brachte, sich nach einem besonders unerfreulichen Streich auf einer Party bei ihr zu entschuldigen. Aber er hörte niemals damit auf, Tess wie Luft zu behandeln oder an ihr herumzunörgeln.

Genau wie an diesem Morgen. Sie hatte immer Erdbeermarmelade zum Frühstück auf den Tisch gestellt, weil die Brüder es so verlangten. An diesem Morgen jedoch hatte Cag Apfelbutter haben wollen, und sie konnte keine finden. Er hatte bissige Bemerkungen über den Mangel an Organisation gemacht und war weggegangen ohne ein zweites weiches Brötchen oder eine weitere Tasse Kaffee.

„Sein Geburtstag ist Samstag in einer Woche“, hatte Leopold erklärt. „Er hasst es, älter zu werden.“

Reynard stimmte ihm zu. „Im letzten Jahr war er um die Zeit eine ganze Woche verschwunden. Keiner wusste, wo er sich aufhielt.“ Er schüttelte den Kopf. „Armer alter Cag.“

„Warum nennst du ihn so?“, fragte Tess neugierig.

„Das weiß ich nicht“, antwortete Rey und lächelte nachdenklich. „Wahrscheinlich, weil er von uns allen der einsamste ist.“

So hatte Tess das noch nicht betrachtet, aber Rey hatte recht. Cag war einsam. Er traf sich mit keiner Frau, und er ging auch nicht „mit den Jungs“ aus, wie es so viele andere Männer taten. Er blieb für sich. Wenn er nicht arbeitete – was äußerst selten der Fall war –, las er Geschichtsbücher.

Es hatte Tess während der ersten Wochen als Haushälterin überrascht, als sie herausfand, dass er über die spanische Kolonisation in Spanisch las. Sie hatte nicht gewusst, dass er zweisprachig war. Obwohl sie es später herausgefunden hatte, als zwei der hispanischen Cowboys in eine Schlägerei mit einem texanischen Cowboy gerieten, der die zwei absichtlich gereizt hatte. Der texanische Cowboy war gefeuert worden, und über die zwei Latinos hatte sich eine Flut von ausdrucksstarken Flüchen ergossen – im scharfzüngigsten perfekten Spanisch, das Tess jemals gehört hatte. Sie selbst war zweisprachig aufgewachsen, da sie die längste Zeit ihrer Jugend im Südwesten der USA verbracht hatte.

Cag wusste nicht, dass sie Spanisch sprach. Es war eine von so vielen Fähigkeiten, die sie ihm aus Scheu verheimlichte. Sie blieb die meiste Zeit für sich, außer wenn Dorie mit Corrigan zu Besuch auf die Ranch kam. Die beiden lebten einige Meilen entfernt in einem eigenen Haus, obwohl es immer noch Hart-Ranch-Gebiet war. Dorie war lieb und freundlich, und Tess hatte sie sehr gern. Vor allem jetzt, wo auch das Baby da war, freute Tess sich umso mehr auf die Besuche. Sie liebte Kinder über alles.

Was sie nicht mochte, war Herman. Obwohl sie wirklich eine Tierliebhaberin war, hörte ihre Zuneigung bei Schlangen auf. Der große Albino-Python mit seiner gelblich gezeichneten weißen Haut und den roten Augen jagte ihr Angst und Schrecken ein. Er lebte in einem riesigen Aquarium, das eine Wandseite von Cags Zimmer einnahm, und hatte die widerliche Angewohnheit, auszubüxen. Tess hatte die Schlange schon in den unmöglichsten Plätzen gefunden, wie zum Beispiel in der Waschmaschine. Sie war nicht gefährlich, weil Cag sie gut gefüttert hielt. Allmählich hatte Tess gelernt, nicht zu schreien, wenn sie sich aus irgendeiner Ecke herausschlängelte. Wie die Masern oder eine Erkältung war Herman eine Plage, der man sich einfach fügen musste. Cag mochte das abscheuliche Reptil. Es schien das einzige Lebewesen zu sein, um das er sich kümmerte.

Nun ja, vielleicht mochte er die Katze auch. Tess hatte ihn einmal dabei gesehen, wie er mit einem langen Stück Bindfaden mit ihr spielte. Wenn er sich unbeobachtet glaubte, schien er ein ganz anderer Mensch zu sein. Und keiner hatte vergessen, was während des Films geschah, auf den man sich hinterher als „Schweine-Film“ bezog. Rey hatte geschworen, dass sein älterer Bruder Tränen in den Augen hatte bei einer der Szenen in dem rührenden, witzigen Film. Cag hatte ihn im Kino gesehen und später das Video gekauft.

Seit er diesen Film gesehen hatte, wollte Cag kein Schweinefleisch mehr essen, weder Schinken noch Wurst, noch Speck. Und er vermieste es jedem, der es aß. Das war einer der Widersprüche in dem komplizierten Mann. Er hatte vor nichts, aber auch gar nichts Angst, doch offensichtlich hatte er tief in seinem Inneren ein weiches Herz verborgen. Tess würde dieses Herz niemals entdecken, weil Cag sie nicht mochte. Sie wünschte bloß, sie wäre um ihn herum nicht so befangen. Andererseits waren es die meisten.

Heiligabend fiel auf einen Freitag, und Tess servierte ein wahrhaft fürstliches Festessen mit allem Drum und Dran. Die verheirateten Harts fingen mit ihrer eigenen Weihnachtstradition an, deshalb war die Familienfeier am Heiligabend.

Tess aß mit ihnen, weil alle vier Brüder empört dreingeblickt hatten, als sie für sich das Geschirr auf den Küchentisch setzte. Sie hatte vorgehabt, mit der verwitweten Mrs. Lewis zu essen, die fast jeden Tag kam, um aufzuräumen und zu putzen, wie überhaupt all die Hausarbeit zu tun, für die Tess keine Zeit fand. Es war sehr demokratisch von den Brüdern, fand Tess, und es war schön, nach außen hin zur Familie zu gehören, auch wenn es nicht die eigene war. Mrs. Lewis ging nach Hause zu ihren Kindern, die sie über das Fest besuchten. Also wäre Tess alleine in der Küche gewesen.

Sie zog das beste Stück an, das sie besaß – ein hübsches, rot kariertes Kleid. Aber es war billig gewesen, und so sah es auch aus im Vergleich zu dem Kleid, das Dorie Hart trug. Die Familie strengte sich besonders an, um ihr die Befangenheit zu nehmen. Doch erst als sie mit dem Nachtisch anfingen – den Kürbis- und Pecan-Pies und der großen dunklen Früchtetorte –, machte Tess sich keine Sorgen mehr um ihr Kleid. Ein jeder schloss sie mit in das Gespräch ein. Wenn Cag nicht geschwiegen hätte, wäre es perfekt gewesen. Aber er sah sie nicht einmal an. Tess versuchte angestrengt, sich nicht darum zu kümmern.

Sie bekam Geschenke – noch eine unerwartete Freude – als Bescherung für ihre selbstgemachten. Für das Hart-Ehepaar hatte Tess Bordüren für zwei Kissenbezüge gehäkelt, die sie außerdem noch in den Farben des Schlafzimmers bestickt hatte. Sie hatte vorher Dorie danach ausgefragt. Tess machte wunderschöne Häkelarbeiten. Für Dories kleinen Jungen hatte sie in ihrer Freizeit schon einiges gehäkelt.

Die Geschenke, die sie erhielt, waren nicht selbstgemacht, aber Tess mochte sie genauso. Die Brüder hatten für einen Wintermantel zusammengelegt. Er war aus schwarzem Leder mit Ärmelaufschlägen und Knöpfe bis zum Hals. Noch nie zuvor in ihrem ganzen Leben hatte Tess etwas so Schönes gesehen, und sie musste unwillkürlich weinen. Die Frauen machten ihr ebenfalls Geschenke. Von Dorie bekam sie ein nach Blüten duftendes Parfum und von Mrs. Lewis ein Designertuch in allen Schattierungen vom hellsten bis zum dunkelsten Blau. Tess war richtig glücklich, während sie das Geschirr abräumte und sich in der Küche zu schaffen machte.

Leo blieb am Arbeitstisch stehen und zupfte an ihren Schürzenbändern mit einem ausgelassenen Grinsen.

„Wag es ja nicht“, warnte Tess ihn. Doch sie lächelte, bevor sie sich zurück zum Geschirrspüler drehte.

„Cag hat kein einziges Wort gesagt“, bemerkte Leo. „Er ist verschwunden, um mit Mack die Abzäunung vor dem Fluss entlangzureiten, bevor es ganz dunkel wird.“ Mack war der Viehaufseher, ein Mann, der sogar noch schweigsamer war als Cag.

Die Ranch war so riesig, dass es mehrere Aufseher gab: für die Rinder, für die Pferde, eine Bedienungsmannschaft für die Maschinen, das Büropersonal, die Verkaufsleute. Es gab sogar einen Tierarzt auf Honorarbasis. Tess’ Vater war der Vorarbeiter für den Viehbestand gewesen während der kurzen Zeit, die er auf der Hart-Ranch bis zu seinem frühen Tod verbracht hatte. Tess’ Mutter hatte sie verlassen, als Tess noch ein kleines Mädchen war. Sie war das Herumwandern leid geworden, das ihr Mann so liebte. In den letzten Jahren hatte Tess kein Wort von ihr gehört. Sie war froh darüber, und insgeheim hoffte sie, dass sie ihre Mutter niemals wiedersehen würde.

„Oh.“ Sie stellte einen Teller in den Geschirrspüler. „Meinetwegen?“, fügte sie leise hinzu.

Leo zögerte. „Ich weiß es nicht.“ Er spielte mit einem Messer auf der Arbeitsplatte. „Cag ist nicht er selbst in letzter Zeit. Na ja“, verbesserte er sich mit einem schiefen Lächeln, „er ist es doch, aber er verhält sich schlimmer als sonst.“

„Ich habe doch nichts Falsches getan?“, erkundigte Tess sich und blickte ihn mit besorgten Augen an.

Sie ist so jung, dachte Leo, als er ihr in das zarte, leicht sommersprossige Gesicht sah, das einen zaghaften Ausdruck hatte. Sie war nicht schön, aber sie war reizvoll. Sie hatte ein inneres Licht, das nach außen zu leuchten schien, wenn sie glücklich war. Leo mochte ihr Singen, wenn sie ihre Arbeit im Haus verrichtete oder wenn sie nach draußen ging, um die Hühner zu füttern, die sie wegen der Eier hielten. Trotz der erst kürzlichen Tragödie in ihrem Leben war sie ein glücklicher Mensch.

„Nein“, antwortete er ein wenig verspätet. „Du hast nichts getan. Du wirst dich an Cags Launen gewöhnen. Er hat sie nicht besonders häufig. Nur an Weihnachten, an seinem Geburtstag und manchmal im Sommer.“

„Warum?“, fragte Tess.

Leo zögerte wieder, dann zuckte er die Schultern. „Er war mit seiner Truppe im Golfkrieg eingesetzt“, sagte er. „Er spricht nie davon. Aber er muss dort in irgendeiner schlimmen Situation gewesen sein. Jedenfalls wurde er verwundet. Während er sich in Deutschland im Lazarett erholte, heiratete seine Verlobte einen anderen.“

„Er gehört wohl zu den Männern, die es absolut ernst meinen, wenn sie mit einer Frau eine Beziehung eingehen“, vermutete Tess.

„Stimmt. Es hat ihm wehgetan, wirklich schlimm wehgetan. Seitdem hat er noch keine Zeit für Frauen gefunden.“ Er lächelte milde. „Es ist schon komisch, wenn wir zu diesen Viehversteigerungen gehen. Da steht Cag wie so’n Signalfeuer, die Weiber folgen ihm auf Schritt und Tritt wie die Kälber, und er bemerkt sie nicht einmal. Jedenfalls wirkt es so.“

„Er muss wohl noch heilen“, nahm Tess an und entspannte sich ein wenig. Zumindest war sie es nicht nur allein, die er so seltsam behandelte.

„Wer weiß, ob er jemals geheilt wird“, erwiderte Leo, während er Tess bei der Arbeit beobachtete. „Du bist sehr häuslich, hah?“

Sie schüttete Pulver in den Geschirrspüler und stellte ihn an. „Ich habe es immer sein müssen“, antwortete sie lächelnd. „Meine Mutter hat meinen Daddy und mich verlassen, als ich noch klein war. Sie hat uns einmal besucht, als ich sechzehn war. Wir haben sie nie wiedergesehen.“ Sie schaudert innerlich bei der Erinnerung. „Also habe ich schon früh kochen und putzen gelernt. Daddy hatte anderes zu tun.“

„Keine Brüder und Schwestern?“

Tess schüttelte den Kopf. „Nur wir zwei. Ich wollte einen Aushilfsjob haben oder das College nach der Highschool besuchen. Aber Dad brauchte mich, und ich habe es einfach immer hinausgeschoben. Jetzt bin ich froh darüber.“ Ihre Augen blickten ein wenig traurig drein. „Ich habe meinen Daddy sehr lieb gehabt. Manchmal denke ich, ich hätte noch mehr auf ihn aufpassen sollen. Aber ich wusste nichts von seiner Herzschwäche.“

„Tu dir das nicht an“, sagte Leo entschieden. „Dinge geschehen einfach. Manchmal sind es schlimme Dinge. Du musst erkennen, dass du das Leben nicht in der Hand hast.“

„Das zu lernen ist nicht leicht.“

Er nickte. „Aber es ist etwas, was wir alle lernen müssen.“ Er runzelte die Stirn. „Wie alt bist du genau? Neunzehn?“

Tess sah ihn verblüfft an. „Ich bin einundzwanzig. Im März werde ich zweiundzwanzig.“

Jetzt blickte Leo erstaunt drein. „Du siehst jünger aus.“

Sie lachte in sich hinein. „Ist das ein Kompliment oder eine Beleidigung?“

Leo zog belustigt eine Augenbraue hoch. „Weder das eine noch das andere.“

Sie wischte mit einem Tuch einen Fleck auf der Arbeitsplatte weg. „Callaghan ist der Älteste, nicht wahr?“

„Simon“, verbesserte Leo. „Cag wird am Samstag achtunddreißig.“

Tess wandte den Blick von Leo ab, so als ob sie es nicht wollte, dass er in ihnen was auch immer herauslesen könnte. „Er hat lange gebraucht, um sich zu verloben“, mutmaßte sie.

„Herman ist nicht gerade eine Erleichterung für eine anhaltende Beziehung“, teilte Leo ihr mit einem Grinsen mit.

Das verstand Tess. Sie hatte Cag immer darum gebeten, über das Aquarium ein Tuch zu legen, ehe sie sein Zimmer sauber machte.

„Liebst du mich, dann liebe auch meine Furcht erregende Schlange … hmm?“, sagte sie mit einem Zwinkern. „Nun, immerhin hatte er ja eine Frau gefunden, die anfangs dazu bereit gewesen ist.“

„Sie mochte Herman absolut nicht“, berichtete Leo. „Sie hat Cag klar gesagt, dass sie ihn nicht mit einer Schlange teilen möchte. Und er wollte tatsächlich noch vor der Hochzeit die Schlange einem Mann geben, der Albinos züchtete.“

„Ach so.“ Das sollte wohl heißen, dass Cag unter Umständen bereit wäre, einer Frau nachzugeben. In all den Monaten, die sie und ihr Vater auf der Ranch gewesen waren, hatte sie es noch nie erlebt, dass Cag jemals nachgegeben hätte.

„Er kann sehr nachgiebig sein“, sagte Leo leise. „Wenn er sich nicht oft wie ein Wüterich aufführen würde, bliebe ihm nicht einmal sein letztes Hemd. Keiner scheint in ihm den Sanftmütigen zu sehen, der er in Wirklichkeit ist.“

„Darauf wäre ich nun wirklich nicht gekommen.“

„Du kennst ihn nicht“, sagte Leo.

„Nein, natürlich nicht“, stimmte Tess ihm zu.

„Er ist eine Generation älter als du“, meinte er nachdenklich und fügte dann fröhlich hinzu: „Ich hingegen bin jung und gut aussehend und reich, und ich weiß, wie man mit einem Mädchen umgeht, ohne eine große Sache daraus zu machen.“

Tess zog die Augenbrauen hoch. „Und bescheiden bist du auch!“

Er grinste. „Bescheiden, einfach und schlicht, das bin ich!“ Er lehnte sich mit der Hüfte gegen den Arbeitstisch und wirkte recht verwegen. Leo war der attraktivste der Brüder, hoch gewachsen und breitschultrig mit braunem Haar und dunklen Augen. Er traf sich nicht allzu oft mit Frauen, aber es gab immer einige, die ihn hoffnungsvoll belagerten. Tess hielt ihn für eine Art Frauenheld. Aber sie war nicht im Rennen. Oder sie glaubte zumindest, dass sie es nicht wäre. Sie war regelrecht schockiert, als er hinzufügte: „Also, wie wär’s mit einem Essen und anschließendem Kino am Freitagabend?“

Tess überlegte kurz. „Hör mal, ich bin eure Haushilfe“, antwortete sie dann. „Ich würde mich nicht wohl dabei fühlen.“

Leo musterte sie mit finster zusammengezogener Stirn. „Hey, sind wir Sklavenhalter?“

Tess lächelte beschwichtigend. „Natürlich nicht. Ich denke nur, dass es nicht gut wäre, das ist alles.“

„Du hast deine eigene Behausung über der Garage“, fügte er betont hinzu. „Du lebst nicht mit uns unter einem Dach in Sünde, und keiner wird sich irgendetwas dabei denken, wenn du mit einem von uns ausgehst.“

„Das weiß ich.“

„Aber du möchtest es trotzdem nicht.“

Tess lächelte ein wenig gequält. „Du bist sehr nett.“

Leo blickte sie echt verdutzt an. „Wirklich?“

„Ja, wirklich.“

Er atmete tief ein. „Nun gut, was soll ich dazu sagen? Schön, dass du mich nett findest.“ Er gab sich geschlagen und stieß sich vom Arbeitstisch ab. „Übrigens, das Festessen war ausgezeichnet. Du bist eine tolle Köchin.“

„Danke. Ich koche gern.“

„Wie wär’s mit frischem Kaffee? Ich muss Cag bei der Buchhaltung helfen, und ich hasse es. Ich brauche einen Schuss Koffein, um den Abend zu überstehen.“

„Er wird auch am Heiligabend arbeiten?“, rief sie aus.

„Cag arbeitet immer, das wirst du noch herausfinden. Auf eine Weise ersetzt es ihm all das, was er nicht hat. Obwohl er es nicht als Arbeit ansieht. Er schuftet gern.“

„Jedem das seine“, murmelte Tess.

„Amen.“ Er zupfte an ihren rotgoldenen Locken. „Verbring den Abend nicht in der Küche. Setz dich ins Wohnzimmer, und guck dir die Filme auf dem Filmkanal an, wenn du magst. Rey wird seine Freunde besuchen, die über die Feiertage in der Stadt sind, und Cag wird den Fernseher von seinem Arbeitszimmer aus nicht hören.“

„Sind die anderen denn weg?“

„Corrigan ist mit Dorie und dem Baby abgefahren, um in ihrem Haus ihr eigenes Fest zu feiern.“ Er lächelte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich meinen großen Bruder glücklich verheiratet sehen würde. Ich finde es nett.“

„Die beiden sind auch nett.“

Er blieb an der Tür zögernd stehen und warf einen Blick zurück. „Findest du Cag nett?“

Tess wurde verlegen. „Das weiß ich nicht.“

Etwas flackerte kurz in seinen Augen auf. Sie war nicht so jung, aber sie war unschuldig. Sie war sich nicht bewusst, dass sie ihn mit seinem verheirateten Bruder gleichstellte. Keine Frau, die ihn attraktiv fand, würde ihn als „nett“ bezeichnen. Es begrub seine Hoffnung, aber es brachte ihn dazu, in eine andere Richtung zu denken. Cag war offen feindselig Tess gegenüber, und sie ging ihm aus dem Wege, sobald sie ihn kommen sah. Es sah Cag nicht ähnlich, sich so gehässig aufzuführen, vor allem nicht jemand wie Tess gegenüber, die empfindsam und freundlich war.

Cag war ein verschlossener Mann, zugeknöpft und unzugänglich. Der Treuebruch seiner Verlobten hatte ihn zutiefst verletzt, und er war Frauen gegenüber noch zurückhaltender geworden. Sogar Tess gegenüber, die nicht die aalglatten Umgangsformen an sich hatte, um damit leicht fertig zu werden.

Seine schlechten Launen hatten ungefähr um die Zeit angefangen, als Tess ins Haus kam, um zu arbeiten, und seitdem war es dabei geblieben. Seine Stimmung sank beträchtlich während der Monate, die ihn an den Wüstenkrieg im Irak und das Ende seiner Verlobung erinnerten. Aber nach einem Tag oder so hatte er sich gewöhnlich wieder gefangen. Inzwischen jedoch dauerte diese Stimmung zu lange. Um Tess’ willen hoffte Leo, dass es nicht von Dauer wäre.

Der Weihnachtstag verlief ruhig. Cag arbeitete den Feiertag hindurch, was niemanden überraschte. Und er tat es auch die ganze folgende Woche. Simon heiratete seine Verlobte Tira, ein hübsches Ereignis.

Callaghans Geburtstag wurde nicht gefeiert. Die Brüder sagten, dass er Partys hasse ebenso wie Geburtstagstorten und Überraschungen, und das in dieser Reihenfolge. Aber Tess wollte nicht glauben, dass ihr Boss es sich tatsächlich wünschte, die Menschen um ihn herum sollten ein so besonderes Fest vergessen. Also backte sie am Samstagmorgen nach dem Frühstück eine Geburtstagstorte. Zum Geburtstag gehörte eine Torte, auch wenn keiner der Hart-Jungs scharf auf Süßigkeiten war.

Von der früheren Köchin, Mrs. Culbertson, hatte Tess gehört, dass es daran lag, weil ihre Mutter niemals gebacken hatte. Sie hatte die fünf Jungs dem Vater überlassen und hatte sich abgesetzt. Das hatte Tess gemeinsam mit ihnen, ihre Mutter hatte sich ebenfalls abgesetzt.

Sie überzog die Torte mit Schokoladenguss, und mit Zuckerguss schrieb sie „Happy Birthday“ darauf. Sie steckte nur eine Kerze herein statt der achtunddreißig. Dann stellte sie die Torte auf den Tisch und ging zum Briefkasten, um einige Briefe einzustecken, die der Sekretär der Brüder auf dem Tischchen in der Eingangshalle liegen gelassen hatte. Die Katze folgte ihr auf dem Fuße.

Tess hatte damit gerechnet, dass die Brüder erst zum Abendessen zurück sein würden, weil ein plötzlicher arktischer Kälteeinbruch den Süden heimsuchte und einen für die Jahreszeit ungewöhnlichen Frost mit sich brachte. Alle Hände wurden gebraucht, die trächtigen Kühe zu versorgen und die Wasserheizungen zu überprüfen, um sicher zu sein, dass das Wasser in den Trögen nicht einfror. Rey hatte gesagt, dass sie wahrscheinlich keine Mittagspause machen würden.

Als Tess jedoch zurückkam und noch im Ledermantel die Küche betrat, fand sie Callaghan vor … und die Überreste ihrer schönen Torte auf dem Boden direkt unter einem riesigen Schokoladenfleck an der Küchenwand.

Er drehte sich zu ihr um, war völlig außer sich und wirkte noch breiter und größer in seiner Schaffelljacke als sonst. Seine schwarzen Augen blitzten sie unter dem breitkrempigen Stetson an. „Es ist nicht nötig, mich daran zu erinnern, dass ich achtunddreißig bin“, erklärte er in einem gefährlich leisen Tonfall. „Und ich will keinen Kuchen oder eine Party oder Geschenke. Ich will nichts von dir! Hast du verstanden?“

„Tut mir leid“, flüsterte Tess mit erstickter Stimme.

„Du kannst kein verdammtes Glas mit Apfelbutter für die Brötchen finden, aber du hast genug Zeit, um sie an Dinge wie dies hier zu verschwenden!“, brauste er auf und zeigte mit einer Bewegung des Kopfes auf ihre ruinierte Schokoladentorte auf dem blassgelben Linoleum.

Tess biss sich auf die Unterlippe, stand nur da und blickte auf ihn, ihre blauen Augen waren riesig in dem weißen Gesicht, in dem die Sommersprossen jetzt besonders auffielen.

„Was zum Teufel ist in dich gefahren? Habe ich dir nicht gesagt, dass ich Geburtstage verdammt noch mal hasse?“

Seine Worte trafen Tess wie Peitschenhiebe. Seine flammenden Blicke allein waren genug, um ihre Knie weich werden zu lassen. Sie schluckte. Ihr Mund war so trocken, dass sie befürchtete, die Zunge könne ihr am Gaumen festkleben. „Tut mir leid“, flüsterte sie wieder.

Ihr Mangel an Reaktion machte ihn wild. Er funkelte sie an, so als ob er sie hasste. Dann machte er einen Schritt auf Tess zu. Vor dieser heftigen Bewegung wich sie sofort zurück und flüchtete sich hinter den Küchenblock, der vor der Wand stand.

Ihre ganze Haltung drückte Angst aus. Callaghan blieb abrupt stehen und sah sie finster an.

Ängstlich umfasste sie den Rand des Blocks, sie wirkte jung und gehetzt. Sie hatte doch nur etwas Nettes für ihn tun wollen. Vielleicht war es ein zaghafter Versuch gewesen, mit ihm Freundschaft zu schließen. Sie hatte einen schrecklichen Fehler begangen. Es war offenkundig, dass Callaghan absolut keinen Wert auf ihre Freundschaft legte.

„Hey, Cag, könntest du …“ Rey stoppte mitten im Satz, als er die Küchentür öffnete und die Szene mit einem Blick erfasste. Tess, leichenblass, zitternd – und ganz sicher nicht vor Kälte. Cag, die Hände in den Hüften zu Fäusten geballt, mit Augen, aus denen Feuer zu sprühen schien. Die Torte zermatscht am Boden, der Schokoladenfleck an der Wand.

Durch Cag ging ein Ruck, als ob das Erscheinen seines Bruders ihn aufgeschreckt hätte.

„Nun einmal sachte“, meinte Rey. Er sprach ruhig, weil er seinen Bruder mit seinen Zornesausbrüchen kannte. „Tu so etwas nicht, Cag. Schau sie dir an. Komm, und schau sie dir an, Cag.“

Autor

Diana Palmer
<p>Die US-amerikanische Schriftstellerin Diana Palmer ist für ihre zahlreichen romantischen Liebes- und Familienromane bekannt, die seit 1979 veröffentlicht werden. Über 150 Bücher wurden von der erfolgreichen Autorin bisher verfasst, die weltweit gern gelesen werden. Der Roman „Diamond Girl“ wurde 1998 für das US-amerikanische Fernsehen verfilmt. Für ihr Werk erhielt sie...
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