Mehr als nur ein Flirt

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An die breite Brust des attraktiven Pferdezüchters Cole McAdam geschmiegt, vergisst die junge Lauren ihren Schmerz: Sie hat ihren Verlobten mit ihrer besten Freundin im Bett überrascht! Aber kann der umwerfende Cole, den sie kaum kennt, ihr die Liebe geben, die ihr so fehlt?


  • Erscheinungstag 03.04.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749293
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Am Himmel türmten sich graue Wolken, die ein schweres Gewitter ankündigten. Lauren Taylor verlangsamte ihre Fahrt und hielt durch die staubige Windschutzscheibe nach einem Ort Ausschau, an dem sie unerkannt Rast machen konnte.

Der Tank war zwar noch zu einem Viertel voll, doch sie riskierte es besser nicht, in dieser dünn besiedelten Gegend ohne Sprit liegen zu bleiben.

Seltsam, dass sie gerade in Texas gelandet war. Sie hatte ihre Flucht aus Kalifornien nicht geplant, und erst beim Überqueren der texanischen Staatsgrenze war ihr bewusst geworden, dass sie in ihre eigentliche Heimat zurückkehrte.

Prüfend blickte Lauren in den Rückspiegel. Nach über dreißig Stunden ohne Schlaf, davon fast zwanzig im Auto, hatte sie kaum noch Ähnlichkeit mit der perfekt gestylten High-Society-Lady, die sie sonst war. Wobei sie erst jetzt gemerkt hatte, dass auch das nur eine Rolle war, die sie spielte.

Sie seufzte und beschloss, sich während der Rast zumindest um die wichtigsten Dinge zu kümmern. Zum Glück war sie eigentlich auf dem Weg ins Fitnessstudio gewesen. In der Sporttasche auf dem Rücksitz befanden sich einige Toilettenartikel und Kosmetika. Normalerweise reichte ihr eine Stunde Training völlig aus, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber das Telefongespräch, das sie am Abend zuvor zufällig mit angehört hatte, ließ sich damit nicht ungeschehen machen.

Es war nicht ihre Absicht gewesen zu lauschen. Als sie beim zweiten Klingeln abnahm, war Daniel im oberen Stockwerk ebenfalls an den Apparat gegangen. Doch dann erkannte Lauren am anderen Ende der Leitung die Stimme ihrer Freundin.

„Ich vermisse dich, Daniel.“

„Ich dich auch, Baby. Wann sehen wir uns?“

„Heute Abend, wenn du kannst. Michael hat gerade angerufen und gesagt, dass er heute bis mindestens Mitternacht im Krankenhaus bleibt.“

„Dann erzähle ich Lauren, dass ich ein Treffen mit Wahlkampfhelfern habe.“

„Bist du sicher, dass sie nichts merkt?“

„Mach dir darum keine Sorgen. Sie wird eine perfekte Ehefrau.“

Lauren hatte gefühlt, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, und das Atmen fiel ihr plötzlich schwer. Mit eiskalten Händen hatte sie sich den Hörer ans Ohr gepresst, bis sie im Badezimmer Wasser rauschen hörte.

Plötzlich hatte sie nur noch den Wunsch, eine hysterische Szene zu machen. Mit Gegenständen zu werfen. Etwas zu zerstören.

Das Geräusch eines überholenden LKWs brachte Lauren in die Gegenwart zurück. Ihr Magen knurrte vernehmlich. Tatsächlich kam jetzt eine Tankstelle in Sicht, staubig und vernachlässigt wie aus einem alten Kinofilm. Ein restaurierter roter Pick-up an einer der Zapfsäulen verstärkte das nostalgische Bild noch.

Entschlossen bog Lauren auf den ungepflasterten Parkplatz ein. Als sich die Staubwolke gelegt hatte, rückte sie ihre Sonnenbrille zurecht und stieg aus.

Cole McAdams lehnte mit verschränkten Armen an seinem Truck, während er darauf wartete, dass der Tank sich füllte. Aus dem nagelneuen weißen Geländewagen, der neben ihm hielt, stieg eine schlanke Blondine.

Die engen Jeans, die sie trug, betonten ihre Modelmaße. Ihr glänzendes blondes Haar wurde von einer Bronzespange gehalten, die Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen.

Eine Frau mit Klasse, die in einer verschlafenen Kleinstadt wie Tannen völlig fehl am Platze wirkte.

Als sie im Kassenraum der Tankstelle verschwunden war, betrachtete Cole den Geländewagen näher und registrierte ohne Überraschung das kalifornische Nummernschild.

Cole wandte sich wieder dem Tankvorgang zu. Der Wind zerrte an seinem Stetson, und er drückte sich den Hut fester auf den Kopf. In Kürze würde das Gewitter losbrechen, und so wie der Himmel aussah, war die Springflut-Warnung, die der Wetterdienst am Morgen ausgegeben hatte, mehr als berechtigt.

Er wollte gerade die Wagentür öffnen, als die Blondine aus dem Kassenraum kam. Sie hatte eine Straßenkarte gekauft, die sie jetzt im Gehen studierte. Ganz eindeutig kam sie nicht aus der Gegend. Bevor sie ihren Wagen jedoch erreicht hatte, riss ein Windstoß ihr die Karte aus der Hand.

Spontan eilte Cole ihr zu Hilfe. Sie sah sowieso schon aus, als wäre sie den Tränen nahe. Er schnappte sich die Karte und reichte sie ihr.

„Danke“, sagte sie leise.

Wohin war sie unterwegs? Woher kam sie? Cole unterdrückte seine Neugier. Ihm konnte es gleich sein, schließlich war sie nur eine Fremde auf der Durchreise. Dennoch sprach er sie an.

„Wohin wollen Sie denn?“

Sie betrachtete ihn abschätzend durch die dunklen Gläser.

„Wo ist das nächste Hotel?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage.

Hotel? In diesem Nest? Er zuckte entschuldigend die Schultern. „Wenn Sie der Hauptstraße folgen, kommen sie nach etwa 40 Kilometern an einigen billigen Motels vorbei.“

Sie nickte, als ob ihr die Preisklasse gleichgültig sei, doch er bezweifelte, dass sie sich jemals mit etwas Billigem abgegeben hatte. Ihre Erscheinung und ihre Haltung deuteten auf einen mehr als wohlhabenden Lebensstil hin. Wieder lächelte sie ihm zu, wobei auf einer ihrer Wangen ein Grübchen erschien. Es würde sich lohnen, sie zum Lachen zu bringen, nur um es wieder zu sehen.

Er schalt sich selbst einen Narren. Diese Frau ging ihn überhaupt nichts an. Er hatte schon genügend Probleme.

Sie steuerte auf ihren Wagen zu, hielt dann inne und wandte sich noch einmal um.

„Gibt es in der Nähe ein Restaurant?“

Er nickte zögernd, da er sich fragte, ob sie das Long Shot ein Restaurant nennen würde. „Ein paar Kilometer weiter in Fahrtrichtung. Es ist mehr eine Kneipe, aber sie haben ganz gutes Essen. Ansonsten werden Sie hier in der Gegend nichts finden.“

„Danke.“ Noch einmal bedachte sie ihn mit diesem Lächeln, bevor sie begann, ihren Wagen ebenfalls aufzutanken.

Cole beobachtete sie, bis sie schließlich wegfuhr. Vielleicht hätte er ja doch mehr für sie tun können? Kopfschüttelnd stieg er in seinen Wagen. Es gab nichts, was Cole McAdams einer Frau wie dieser zu bieten hatte.

Nachdem sie sich wieder in den Verkehr eingefädelt hatte, suchte Lauren nach dem Restaurant. Heute war sie wirklich nicht wählerisch.

Tatsächlich entdeckte sie in einiger Entfernung ein pinkfarbenes Neonschild und bog auf den Parkplatz ein. Das Restaurant selbst sah ziemlich heruntergekommen aus. Aber was wollte man in einer Gegend wie dieser anderes erwarten?

Als Lauren sich über die Mittelkonsole beugte, um nach ihrer Handtasche zu greifen, entdeckte sie einen großen gelben Umschlag, der halb unter den Beifahrersitz gerutscht war. Er musste Daniel gehören, da er den Wagen als Letzter benutzt hatte.

Auf der Vorderseite stand in Denise’ zierlicher Handschrift: Daniel, die solltest du besser aufbewahren.

Lauren verzog das Gesicht. Nachdenklich betrachtete sie den Umschlag. Er war fest zugeklebt, und normalerweise respektierte sie die Privatsphäre anderer Menschen, doch in diesem speziellen Fall siegte ihre Neugier. Sie würde ihn beim Essen öffnen.

Lauren steckte den Umschlag in ihre Sporttasche, griff nach ihrer Handtasche und hängte sich beide über die Schulter.

Schon auf den Stufen vor der Eingangstür hörte sie Countrymusik. Als sie eintrat, wandten ein älterer Mann hinter dem Tresen und eine grauhaarige Serviererin ihr kurz ihre Aufmerksamkeit zu, widmeten sie dann jedoch sofort wieder dem Ecktisch, an dem ein offensichtlich aufgebrachter Mann in Jeans und T-Shirt und eine junge Frau mit traurigen Augen saßen.

Laurens Magen knurrte wieder, und sie setzte sich an die Bar, an deren einem Ende ein Fernseher stand. Er war eingeschaltet, wurde jedoch von der Countrymusik aus der Jukebox völlig übertönt.

„Was darf’s denn sein?“, fragte der Barkeeper.

„Eistee, bitte“, verlangte Lauren. „Und die Karte.“

„Gern.“ Der Barkeeper runzelte die Stirn, griff unter die Theke und reichte ihr eine ausgefranste, fleckige Karte. Die ganze Zeit über ließ er das Pärchen am Ecktisch nicht aus den Augen.

„Verdammt, Kerri-Leigh!“ Die ärgerliche Stimme des Mannes war im ganzen Lokal zu hören. „Sag mir nicht immer, was ich zu tun habe. Ich habe keine Lust, schon zu gehen.“ Er wandte den Kopf. „Ben, noch ein Bier!“, rief er zum Barkeeper hinüber.

Lauren betrachtete das Pärchen genauer. Die junge Frau mit dem strähnigen blonden Haar sah verängstigt aus.

„Ich will dich ja nicht drängen, Brady“, erwiderte sie. „Ich bin bloß müde. Ich hatte Nachtschicht und muss einfach schlafen.“

Als Lauren ihren Blick wieder auf die Speisekarte richtete, rutschte ihre Sonnenbrille ein Stück herunter. Kein Wunder, dass es hier drin so dunkel scheint, dachte sie. Doch selbst, als sie die Brille abnahm, blieb das Long Shot verräuchert und düster.

„Ich hätte gern einen Thunfischsalat“, sagte sie. Der Barkeeper nickte nur, ohne ihr oder ihrer Bestellung auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

Lauren spürte deutlich die gespannte Stimmung. Vielleicht sollte sie lieber ein Sandwich zum Mitnehmen bestellen. Bevor sie etwas sagen konnte, griff der Barkeeper zum Telefon und wählte.

„Cole, ich bin’s“, sprach er kurz darauf leise in den Hörer. „Brady ist mit deiner Schwester hier. Er ist ziemlich betrunken und fängt an, sich aufzuregen. Du hast gesagt, ich soll dich das nächste Mal anrufen.“ In der folgenden Pause nickte Ben. „Gut, aber beeil dich. Letztes Mal hat er sie ins Auto gezerrt, und sie sind weggefahren, bevor ich Gelegenheit hatte, dich anzurufen.“ Wieder nickte er. „Klar, kein Problem. Ich habe nichts übrig für Männer, die Frauen misshandeln.“

Na toll, dachte Lauren. Das hörte sich nach Ärger an. Jedenfalls würde sie sich auf keinen Fall in die Sache verwickeln lassen, Aufregung hatte sie auch so schon genug.

„Entschuldigen Sie“, sagte sie zu dem Barkeeper. „Ich habe es mir anders überlegt. Machen Sie mir ein Sandwich mit Tunfisch, bitte. Zum Mitnehmen.“

Ben blickte sie an, dann wieder zum Ecktisch hinüber. „Geht klar. Gute Entscheidung.“

Als er den Kopf wandte, folgte Lauren seinem Blick und sah, dass die junge Frau zu den Toiletten ging. Das verschafft ihr keinen großen Aufschub, dachte Lauren. Der Gedanke an das harte Leben der jungen Frau stimmte sie traurig.

Sie blickte flüchtig zum Fernseher hinüber, wo gerade die Nachrichten liefen. Als sie auf dem Bildschirm das Anwesen erkannte, in das sie mit Daniel gerade erst eingezogen war, weiteten sich ihre Augen vor Überraschung. Sie konzentrierte sich, um trotz der Musik etwas zu hören.

„Lauren Taylor … Verlobte … Kandidat für die Senatoren-Wahl … Daniel Walker … verschwunden … Polizei hinzugezogen … gekidnappt … wohlhabend …“

Lauren umklammerte die Kante des Tresens. Gekidnappt? Sie war davongelaufen! Hatte Daniel die zerbrochene Ming-Vase und den umgekippten Tisch nicht gesehen? Und den Verlobungsring, den sie quer durch den Raum geschleudert hatte? Der riesige Diamant war ein paar Mal aufgesprungen, bevor er in der Pfütze aus Blumenwasser landete, hübsch angerichtet zwischen Scherben und roten Rosen.

Ihr erster Impuls war, Daniel anzurufen und das Missverständnis aufzuklären, doch noch war sie zu erregt und verletzt. Dieses Mal hatte sie die Wahl. Und sie würde erst zurückkehren, wenn sie wirklich bereit dazu war.

Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf, griff nach ihren Taschen und blickte sich um. Hatte noch jemand auf die Nachrichten geachtet? Besser sie ließ es nicht darauf ankommen und verschwand in der Toilette, bis ihr Sandwich fertig war. Und dann nichts wie weg, wenn sie auch keine Ahnung hatte, wohin.

Als Lauren die Damentoilette betrat, blieb sie überrascht stehen. Die junge Frau, Kerri-Leigh, versuchte gerade, sich durch das enge Fenster zu zwängen.

„Ich glaube nicht, dass Sie da durchpassen.“

Kerri-Leigh gab auf und drehte sich um. In ihren Augen standen Tränen. „Ich muss hier irgendwie rauskommen.“

Mitfühlend blickte Lauren sie an. „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“

„Nicht, wenn Sie sich nicht die Zähne ausschlagen lassen wollen. Brady ist ziemlich rücksichtslos, wenn er wütend wird.“ Müde lehnte sie sich an die Wand. „Mein Bruder hat mich gewarnt. Er meinte, dass diese Anti-Aggressions-Workshops, zu denen das Gericht ihn verurteilt hat, bei einem hartherzigen Mann wie Brady gar nichts nützen.“

„Und haben sie was gebracht?“

„Eine Weile lang schon. Als er aufhörte zu trinken und wieder zu den Anonymen Alkoholikern ging, schien alles gut zu werden. Aber Sie hören ja, wie er mich anbrüllt. Und er trinkt auch wieder.“ Sie fröstelte. „Mittlerweile weiß ich schon im Voraus, wann er mich schlagen wird.“

„Also wollen Sie weglaufen.“

Kerri-Leigh blickte sie eindringlich an. „Er lässt mich auf keinen Fall einfach durch die Vordertür rausgehen. Und was anderes ist mir nicht eingefallen. Oder haben Sie eine Idee?“

„Ich habe gehört, wie der Barkeeper jemanden namens Cole anrief. Er wollte sofort kommen.“

Kerri-Leigh sank in sich zusammen und schloss die Augen. „Oh nein!“

„Sie scheinen darüber ja nicht gerade glücklich zu sein.“

„Nein, ganz und gar nicht.“ Kerri-Leigh seufzte. „Sie dürfen das nicht falsch verstehen. Mein Bruder ist der beste Mensch, den man sich vorstellen kann. Und er hat klare Grundsätze, wie anständige Menschen miteinander umgehen sollten.“

„Was ist daran falsch?“

„Das letzte Mal, als Brady mich geschlagen hat, wollte Cole ihn dafür umbringen.“ Kerri-Leigh stand die Sorge ins Gesicht geschrieben. „Glauben Sie mir, wenn er denkt, ich sei in Gefahr, kann Cole sich nicht zurückhalten. Und dann wird’s erst richtig schlimm.“ Sie blickte Lauren beschwörend an. „Mein Bruder darf da nicht mit reingezogen werden. Wenn die Polizei kommt …“ Sie schüttelte den Kopf und blickte zu dem kleinen Fenster hinauf. „Ich muss hier irgendwie raus.“

Lauren wusste nicht viel über das harte Leben, das diese junge Frau führte, aber den Wunsch zu fliehen verstand sie nur zu gut. Sie wollten beide unerkannt von hier verschwinden.

Etwas erschrocken über die Kühnheit ihrer Idee, fragte sie Kerri-Leigh: „Wie dringend wollen Sie von hier weg?“

„Dringender, als Sie sich vorstellen können“, antwortete Kerri-Leigh seufzend. „Aber hier komme ich einfach nicht raus.“

Lauren legte ihr den Arm um die Schultern und drehte sie zu dem fleckigen Spiegel um.

„Was sehen Sie?“

Kerri-Leigh hob die Schultern. „Zwei Frauen.“

„Die zugegebenermaßen niemals als Zwillinge durchgehen würden. Aber mit etwas Make-up und einigen Tricks reicht es vielleicht aus, damit Sie unbemerkt durch die Vordertür verschwinden können.“

Zweifelnd schüttelte Kerri-Leigh den Kopf. „Brady ist betrunken, aber blind ist er nicht.“

„Ihr Gesicht darf er natürlich nicht sehen“, bestätigte Lauren, stellte ihre Sporttasche auf die Ablage und suchte nach ihrer Bürste. „Wenn wir Ihr Haar hochstecken und Sie die Sonnenbrille aufsetzen …“

„Das klappt nie!“

„Ich bin größer, aber …“ Lauren kämmte Kerri-Leighs hellblondes Haar. Die junge Frau hielt vollkommen still.

„Und viel dünner“, fügte Kerri-Leigh hinzu. „Himmel, sie sehen aus, wie ein Model aus New York, und ich bin …“

„… in Schwierigkeiten“, erinnerte Lauren sie. „Hören Sie doch erst mal zu.“

Sie löste die Bronze-Spange und schüttelte ihr Haar aus. „Ich ziehe Ihre Kleider an, verlasse unauffällig die Toilette und gehe zur Jukebox, wobei ich jedem im Raum den Rücken zudrehe. Und während ich ein Lied aussuche, gehen Sie ganz selbstverständlich zur Vordertür hinaus.“

„Und dann soll ich losrennen?“ Kerri-Leigh zog die Augenbrauen hoch. „Ich will ja weg von ihm, aber ich bin nicht verrückt. Er würde mich mit dem Auto jagen und einfangen.“

Einen Moment lang überlegte Lauren, ob es wirklich klug war, sich einzumischen. Doch sie konnte auch nicht einfach zusehen, wie dieser Kerl Kerri-Leigh misshandelte. Und da der Bericht über ihre Entführung sowieso in den Nachrichten lief, war es sicherlich das Klügste, zunächst den auffälligen Wagen loszuwerden. Warum ihn also nicht verleihen? Sie nahm die Autoschlüssel und einen Stift aus ihrer Handtasche. „Mein Auto steht vor der Tür.“

„Aber das geht doch nicht. Wie kommen Sie denn dann nach Hause?“

Lauren lächelte bitter. Sie wusste ja im Moment nicht mal, wo ihr Zuhause war. „Machen Sie sich darüber keine Sorgen“, sagte sie. Ihre Stimme klang mutiger, als sie sich fühlte. Sie drückte Kerri-Leigh die Schlüssel in die Hand. „Lassen Sie den Wagen einfach am nächsten Busbahnhof stehen. Ich finde ihn dann schon. Haben Sie Geld?“

„Nur für die nächsten zwanzig Kilometer“, gestand Kerri-Leigh leise. „Nicht genug, um weit genug von Brady wegzukommen.“

Lauren zog eine 100-Dollar-Note aus ihrer Brieftasche und reichte sie ihr. „Hier.“ Als die junge Frau zögerte, drückte Lauren ihr den Schein in die Hand. „Ich habe genug Geld.“

„Ich werde jeden Cent zurückzahlen.“

„Ich weiß“, sagte Lauren, um es ihr leichter zu machen. Im Grunde war es ihr egal, ob sie das Geld jemals wiedersah. „Hören Sie gut zu. Bleiben Sie auf den Nebenstraßen, und fahren Sie nicht weiter, als es unbedingt sein muss.“

„Und wie kommen Sie von hier weg?“

„Ich rufe ein Taxi und lasse mich zum nächsten Hotel bringen.“

„Hier draußen bekommen Sie nicht so einfach ein Taxi.“

„Dann fahre ich eben per Anhalter“, meinte Lauren leichthin, obwohl ihr mittlerweile selbst Zweifel kamen. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen.“

„Mein Bruder, Cole, wird bald hier sein. Er bringt Sie überall hin, besonders, wo Sie mir so geholfen haben. Sie können ihm vertrauen.“

„Na, dann bin ich ja in besten Händen.“

„Also gut.“ Kerri-Leigh begann, ihre Bluse aufzuknöpfen. „Brady hatte gerade noch ein Bier bestellt, als ich ging. Vielleicht merkt er tatsächlich nichts.“

Sie tauschten die Kleidung, und Lauren bemühte sich, Kerri-Leighs Haar hochzustecken. Mit rot geschminkten Lippen und der Sonnenbrille sah sie tatsächlich älter, aber auf jeden Fall ausreichend verändert aus.

Während Kerri-Leigh sich im Spiegel bewunderte, zupfte Lauren an ihren eigenen Haaren. Sie würden niemals so strähnig wirken wie die ihrer neuen Freundin. Aber die Täuschung musste ja auch nur für einige Minuten reichen. In den pinkfarbenen Leggins und der übergroßen weißen Bluse kam sie sich selbst wie eine Fremde vor. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Na schön, versuchen wir’s.“

An der Tür blieb Kerri-Leigh noch einmal stehen und griff nach Laurens Hand. „Sie sind eine echte Freundin. Nicht jede Frau würde so etwas für eine andere tun. Ich danke Ihnen. Wie heißen Sie?“

Lauren zögerte. Ihre Mutter hatte sie Laurie gerufen. Vielleicht bekam sie ja die Chance herauszufinden, wer sie hätte werden können, wenn man sie nach dem Tod ihrer Mutter nicht zu der eleganten, steifen Lady gemacht hätte, die hauptsächlich anderen zu gefallen hatte. Zu einer Frau, die sich alles kaufen konnte, was ihr Herz begehrte – außer Glück.

„Ich heiße Laurie“, antwortete sie.

Kerri-Leigh lächelte sie an. „Ich werde Sie nie vergessen, Laurie. Sie sind ein Engel.“

Wohl kaum dachte Lauren sarkastisch. Noch immer hörte sie die scharfe, gekünstelte Stimme von Tante Caroline. Laurie Smith klingt einfach zu gewöhnlich. Du bist jetzt eine Taylor. Dein Name muss Geld, Stil und Klasse ausstrahlen. Lauren Taylor passt viel besser zu dir.

Ebenso wie ein Kunststudium, obwohl Lauren sich für Medizin interessierte. Und blondes Haar, wo ihre natürliche Haarfarbe doch braun war.

Als Kerri-Leigh die Türklinke herunterdrückte, legte Lauren ihr die Hand auf die Schulter. „Moment noch. Wo ist hier der nächste Friseur? Ich will mir die Haare tönen lassen.“

Kerri-Leight runzelte die Stirn. „Wieso das denn? Ihre Farbe ist perfekt.“

Lauren lachte. Bei der Summe, die sie Jonathan dafür gezahlt hatte, durfte man das wohl auch erwarten. „Danke, aber ich hätte es gerne dunkler.“

„Es ist günstiger, wenn Sie’s selbst machen.“

Als ob es ums Geld ginge. Jonathan war der teuerste Friseur in Beverly Hills, schon eine einfache Wäsche kostete über hundert Dollar. „Noch mal danke, aber mir ist es lieber, wenn es ein Fachmann macht.“

Kerri-Leigh seufzte. „Nun, dann kann ich Ihnen Sandy empfehlen. Der Salon heißt Carla’s Crazy Curl. Etwa zehn Kilometer von hier an der Hauptstraße. Sandy ist erst seit Kurzem wieder in der Stadt. Aber sie ist die beste Friseurin in der ganzen Gegend.“

„Ist sie eine Freundin von Ihnen?“

Kerri-Leigh zögerte einen Moment. „Ja, eine sehr gute.“

„Dann danke für den Tipp. Ich werde sie schon finden.“

Während Kerri-Leigh die Tür aufhielt, atmete Lauren – nun Laurie – tief durch und wischte sich die Handflächen an dem langen weißen Hemd ab. Unauffällig schlenderte sie dann zur Jukebox hinüber, warf einige Münzen in den Schlitz und drückte auf gut Glück die Nummer B-16. Die ersten Takte einer alten Schnulze erklangen, und erst in diesem Moment wurde ihr klar, wie verrückt der ganze Plan war.

Laurie biss sich auf die Unterlippe und blickte zum Eingang hinüber. Hoffentlich kam Kerri-Leighs Bruder bald. Und hoffentlich war er der Ehrenmann, als den seine Schwester ihn beschrieben hatte.

Cole McAdams schlug mit der flachen Hand aufs Armaturenbrett. Wenn Brady Cooper seine Schwester auch nur anrührte, würde er ihn bewusstlos schlagen.

Zum Glück hatte er Ben und Evie im Long Shot seine Handynummer gegeben. Seit er seine Tochter zu den Petersons gebracht hatte, wo sie übernachten würde, war er nicht zu Hause gewesen.

Cole trat das Gaspedal durch. Er würde nicht zulassen, dass Brady seine Schwester weiterhin quälte. Warum blieb eine Frau bei einem Mann, der sie so schlecht behandelte? Und warum verließ eine andere Frau den Mann, der alles für sie tat?

So wie er für seine Exfrau. Doch eines Tages war sie einfach gegangen, hatte ihre kleine Tochter Beth bei ihm zurückgelassen. Und dazu einen Haufen Schulden.

Cole umklammerte das Lenkrad, als er an die Stapel von Rechnungen dachte. Offensichtlich hatte sie ohne sein Wissen mehrere Kreditkarten beantragt und sie bis zum absoluten Limit ausgeschöpft. Und wegen der Hypothek, die Cole einige Jahre zuvor auf die Ranch aufgenommen hatte, standen die Dinge schlecht.

Sein Buchhalter hatte vorgeschlagen, den Bankrott zu erklären, doch Cole gab nicht auf. Mit einigen kreativen Umschuldungen und dem Verkauf der meisten Pferde hatte er sich gerade so eben retten können. Zusehen zu müssen, wie seine besten Westernpferde zur Auktion kamen, brach ihm das Herz. Doch immerhin konnte er auf diese Weise die Hypothek zur Hälfte abbezahlen und die Gläubiger beruhigen.

Das Bargeld hatte gerade gereicht, um ihn und Beth über den Winter zu bringen. Der Gewinn aus dem Verkauf der Einjährigen im darauf folgenden Frühjahr ließ für die Zukunft hoffen.

Bis auf zehn seiner besten Zuchtstuten hatte er alles verloren, doch mit ihnen konnte er seine Herde nach und nach wieder aufstocken. Sugar Foot, sein As im Ärmel, würde in den nächsten Tagen fohlen, und er setzte große Hoffnungen in den Nachwuchs.

Der Weg aus dem Ruin war lang und hart gewesen. Doch seine Ranch und seine Tochter waren ihm geblieben. Und nun ging der Rest seiner Ersparnisse an einen angesehenen Rechtsanwalt, der verhindern sollte, dass seine Exfrau, die aus heiterem Himmel zurückgekehrt war, das Sorgerecht für Beth bekam.

Er seufzte. Wenn man bedachte, dass er immer versucht hatte, das Richtige zu tun, war sein Leben beinahe so sehr aus den Fugen geraten wie Kerri-Leighs.

Cole bog auf den Parkplatz des Long Shot ein und atmete tief durch. In diesem Augenblick kam ihm der weiße Geländewagen von der Tankstelle entgegen. Vielleicht hatten ja schon der Anblick der Kneipe oder Bradys Großmaul der Unbekannten den Appetit verdorben. Sicherlich war es vernünftiger so. Eine Frau wie sie hielt sich von den Abgründen des Lebens besser fern.

Cole stellte seinen Wagen ab und ging mit großen Schritten zum Eingang. Hinter ihm fiel die Tür zu. Alle Gäste blickten ihn erwartungsvoll an – nur Kerri-Leigh konnte er nirgends entdecken.

Brady stützte sich auf den Tisch und stand auf. „Was ist los mit dir? Hast du keine Manieren?“

Cole ballte die Fäuste. „Wo ist sie?“

Brady stieß ein verächtliches Schnauben aus und deutete mit dem Kopf zur Jukebox, wo eine Blondine mit dem Rücken zum Raum stand. Sie zuckte zusammen, drehte sich dann aber langsam um.

Als Brady ihr Gesicht sah, weiteten sich seine Augen vor Überraschung. „Du bist nicht Kerri-Leigh. Wieso zum Teufel hast du ihre Sachen an? Und wo ist sie?“

Er griff nach der halb leeren Bierflasche auf seinem Tisch und warf sie gegen die Wand. „Verdammter Mist! Sie ist in deinen Sachen abgehauen!“

Cole war beinahe ebenso überrascht wie Brady, als er die Blondine von der Tankstelle wiedererkannte. Offensichtlich hatte sie seiner Schwester zur Flucht verholfen und war sogar bereit gewesen, für sie Schläge zu riskieren.

Als Brady auf sie zuging, schluckte sie schwer.

Cole schüttelte den Kopf und trat Brady in den Weg.

Der ließ sich nicht einschüchtern, sondern hob die geballte Faust. „Aus dem Weg, McAdams. Ich werde schon rausfinden, wo die Schlampe steckt.“

Cole griff nach Bradys Hemd und zog ihn zu sich heran. „Wag es nicht, sie anzurühren.“

„Oder was?“, stieß Brady hervor.

Cole roch seine Alkoholfahne und verzog angewidert das Gesicht.

„Treib es nicht zu weit, Brady.“

Der lachte nur und holte aus. Doch weder in betrunkenem noch in nüchternem Zustand hatte er gegen Cole auch nur die kleinste Chance. Ein schneller linker Haken, und Brady schwankte, dann ging er zu Boden.

Als Cole aufblickte, sah er, wie die Blondine Ben einen Geldschein reichte. „Würden Sie mir ein Taxi rufen?“

„Hierher?“ Ben schüttelte den Kopf. „Das könnte bis zum Abend dauern, aber ich versuche es gerne.“

Draußen blitzte es zum ersten Mal. Cole ging auf die Frau zu. „Sie brauchen kein Taxi. Ich fahre Sie gerne.“

Der Donner folgte nach wenigen Sekunden. Sie blickte ihn zweifelnd an.

„Ich bin Cole McAdams, Kerri-Leighs Bruder. Sie würde wollen, dass ich mich um Sie kümmere.“

Sie seufzte leise. „Kerri-Leigh hat behauptet, Sie wären in Ordnung.“

Ben räusperte sich und gab ihr den Geldschein zurück. „Hier finden Sie keinen ehrenhafteren Mann, Ma’am. Sie können ihm voll und ganz vertrauen.“

Autor

Judy Duarte
<p>Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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