Bianca Herzensbrecher Band 7

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DER PREIS IST LIEBE von VIVIAN LEIBER

Der ganze Ort steht Kopf, seit der höchst attraktive Architekt und alleinerziehende Vater Adam Tyler aufgetaucht ist. Und ausgerechnet Stacy Poplar scheint ihn erobert zu haben. Was niemand ahnt: Stacy hat eine pikante Bezahlung für ihren Job in Adams Haushalt abgemacht: Sex!

DU BIST WIEDER DA! von PAT WARREN

Lizas Enttäuschung war grenzenlos als Sam Rivers sie vor Jahren ohne ein Wort verließ. Nun steht er plötzlich als erfolgreicher Unternehmer wieder vor ihr und bittet sie um eine zweite Chance. Eigentlich sollte sie ihn hassen! Aber sie liebt ihn noch immer. Und muss ihm etwas gestehen …

ES GIBT NUR EINE ANTWORT von NIKKI BENJAMIN

Simon Gilmore traut seinen Augen nicht! Das kleine Baby, das da fröhlich über den Boden krabbelt, ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Kann das wirklich sein Sohn sein? Und wieso kümmert sich die süße Kit um das Kind - die einzige Frau, bei der er von Hochzeit und einem Happy End träumt?


  • Erscheinungstag 28.08.2020
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749323
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Vivian Leiber,Pat Warren, Nikki Benjamin

BIANCA HERZENSBRECHER BAND 7

1. KAPITEL

Adam Tyler fühlte sich großartig nach dem langen Nachtflug von Rio de Janeiro nach Chicago. Und das nicht nur, weil er nach – zwei, drei, vier? – Monaten endlich wieder daheim in den Staaten war, oder weil sein nächster Auftrag einen klarblauen Himmel und Sonnenschein versprach, einschließlich eines eindeutigen Mangels an Giftschlangen.

Er warf einen Blick in den Seitenspiegel, bevor er sich mit seinem tomatenroten Beamer auf dem Drehkreuz von Chicagos Flughafen O’Hara zur nächsten Ausfahrt einfädelte. „Ich bin so froh, wieder zurück zu sein.“

„Was für eine sentimentale Bemerkung!“ Die Stimme seines Kollegen Ryan Jennings klang spöttisch durch das Autotelefon. „Du hast also vor zu bleiben?“

„Auf keinen Fall. Bin praktisch schon auf dem Weg nach Las Vegas.“

„Okay. Reisende soll man nicht aufhalten. Und du hast es verdient. Sechs Monate Bau eines Krankenhauses an den Ufern des Amazonas … du liebe Güte, das ist hart.“

„Fünfeinhalb Monate“, verbesserte Adam. „Wir haben die Arbeit vor Termin abgeschlossen.“

„Dafür bekommst du Pluspunkte im Himmel – und bei Lasser & Thomas. Der alte Lasser wird dir ganz sicher das Vegas-Projekt übergeben.“

„Gut, ich brauche es“, sagte Adam. „Der Dschungel war fantastisch, aber ich möchte nie wieder dorthin zurück.“

„Wie ich gehört hab, war es gar nicht so übel. Es hieß, dass eine gewisse Endrundenteilnehmerin der Miss-Universum-Wahl vom letzten Jahr dich besucht habe.“

„Nur zwei Mal“, sagte Adam. „Und Miss Venezuela war Zweite, kam gleich nach Miss Trinidad & Tobago. Sie war charmant und sehr schön, ganz ohne Zweifel, aber sie war nicht mein Typ.“

„Adam, die sind alle dein Typ. Wir könnten dich zu einem Bauvorhaben in die Antarktis schicken, und du wärst der einzige Mann dort, der eine Verabredung zum Dinner hat. Und sie wäre einfach sagenhaft.“

Adam klemmte den Hörer zwischen Schulter und Ohr, als er aus der Tasche die Mautmünzen hervorkramte. Er wurde nun einmal diesen Ruf nicht los, den er sich vor Jahren, als er noch keine dreißig war, eingeheimst hatte. Aber in diesem Fall hätte er sich nicht tugendhafter verhalten können. Zu mehr als einem Kuss war es bei der Schönheitskönigin nicht gekommen.

„Mich solltest du bedauern“, fuhr Ryan fort. „Mir wurde ein Job angeboten in Deerhorn, Wisconsin. Ein kleiner Farmerort, ein richtiger Krähwinkel. Ich werde eine Grundschule bauen, um ein Einraumschulhaus zu ersetzen. Lasser ist dort aufgewachsen. Also tut er es aus Gefälligkeit. Er trägt die Kosten.“

„Das ist großzügig – für ihn.“

„Aber ich muss es ausführen. Überleg nur, zwei oder drei Monate nur Kühe, Maisfelder, selbst gebrautes Bier und Käsefondue. Warum bekomme nur ich all die glamourösen Aufträge?“

„Lieber wäre mir dann schon der Amazonas“, erwiderte Adam mitfühlend. „Sommer in Wisconsin? Lang-wei-lig!“

„Ich nehme an, dass Lasser es heute amtlich macht, obwohl er wahrscheinlich mit deiner Sache wartet, bis du ins Büro kommst.“

„Ich werde morgen früh da sein.“

„Prima. Wir essen Lunch zusammen. Vergleichen unsere Leben. Du kannst ja vorgeben, dass dir Vegas gleichgültig ist, und ich bewahre Haltung wegen Deerhorn.“

„Ryan, ich weiß nicht, wie du das schaffen willst.“

„Hey, ich habe Familie“, sagte Ryan. „Ich kann keinen Job annehmen, der mich zu lange von zu Hause fernhält. Und bei den langfristigen Aufträgen muss ich imstande sein, die ganze Sippe mitzunehmen – einschließlich Hund. Las Vegas ist kein Platz für eine Familie.“

„Auch ich habe Familie“, gab Adam zu bedenken.

Aber sie beide wussten, dass es nicht das Gleiche war. Ryan war verheiratet, hatte zwei Jungs, Zwillinge, und eine Schwiegermutter im Haus. Er war Trainer einer Juniorliga im Baseball, Führer einer Pfadfindergruppe, und er hatte jeden Freitagabend ein Date mit seiner Frau.

Als Familie hatte Adam seine Haushälterin, ein Handy, eine Reihe von Zeichnungen in seiner Brieftasche und eine Tochter mit dem Namen Karen, die diese Zeichnungen angefertigt hatte und die seine Sekretärin ihm von der Lasser & Thomas-Zentrale zufaxte.

Immerhin führte er ein Leben, das ihm zusagte, hatte die Möglichkeit, sich frei und ungebunden zu bewegen, was ihm wichtig war. Und er brauchte – im Gegensatz zu Ryan – keine Familienkonferenz einzuberufen, sobald er einen neuen Auftrag annahm. Er wünschte sich allerdings, Karen öfter zu sehen. Und dieses Gefühl wurde heftiger, wenn er nach Hause kam und sah, wie sie wieder ein Stück gewachsen war. Er verdrängte den Gedanken, dass er eines Tages von einem Job zurückkehrte und sie kein Kind mehr war.

Wie auch immer, sosehr er sich über das Amazonasprojekt gefreut hatte, sosehr freute er sich jetzt, nach Hause zu kommen. Sogar die nachmittägliche Stoßzeit stimmte ihn froh und auch die Werbeplakate zu beiden Seiten des Freeways und die ersten zehn Tophits im Radio … all das, was er im Amazonasgebiet von Brasilien nicht gehabt hatte. Er winkte dem Fahrer des Lieferwagens freundlich zu, der ihn geschnitten hatte. Und er ging mit dem Tempo runter, um einem anderen Fahrer die Vorfahrt zu lassen. Er lauschte den Radiowerbungen, lachte über Episoden der Situationskomik und über die witzige musikalische Einladung zu einem königlichen Burger in einer der Fast-Food-Ketten.

Er dachte über das Treffen mit Lasser morgen früh nach. Er würde ein neues Projekt bekommen, würde all die Post durchgehen, die seine Sekretärin für ihn aufgehoben hatte, und würde sich um den Flug nach Vegas kümmern.

Er hatte einen Haarschnitt dringend nötig. Das sonst bürstenschnittkurze dunkelbraune, jetzt sonnengebleichte Haar reichte ihm bis zum Kragen des Jacketts. Seine Anzüge waren ein weiteres Problem. Die er nach Brasilien zu den selten stattfindenden Konferenzen mitgenommen hatte, zwängten ihn in den Schultern ein und saßen schlaff um die Taille herum. Seine Muskeln hatten sich während der vergangenen Monate besser ausgebildet, als ein zweimaliger Besuch in der Woche in einem Fitnesscenter es jemals hätte schaffen können.

Adam stand in dem Ruf, dass er alles daransetzte, um ein Bauwerk termingerecht und unter den veranschlagten Kosten abzuschließen. Bei diesem letzten Job war das möglich geworden durch sein Einspringen als Vorarbeiter, nachdem der Maurermeister von Lasser & Thomas nach einem Schlangenbiss ausgeflogen werden musste. Davor hatte er tatkräftig mit seinen Männern zusammen die Lichtung des Urwaldes innerhalb von nur achtzehn Tagen bewältigt. Diese Einsätze hatte er in seine Arbeitszeitblätter nicht eingetragen.

Wenn er ein kurzärmliges Hemd anhätte, würde Lasser ihn hänseln, dass es eher ganz danach aussähe, als ob er zwei Monate am Strand verbracht hätte, statt zu arbeiten. Nachdem der anfängliche Sonnenbrand gewichen war, hatte seine Haut die ebenmäßige Farbe von dulce de leche, einem brasilianischen Karamellpudding, angenommen.

Er verließ die I-294 bei der Ausfahrt Willow Road und steuerte Northfield West an. Im Gepäck hatte er eine Puppe für Karen und eine Samttasche voller loser Edelsteine, die er in Rio de Janeiro gekauft hatte. Er würde die Steine gerecht aufteilen unter den drei Menschen, die ihm am nächsten standen – seine Sekretärin, seine Haushälterin und seine Tochter Karen. Karen würde nicht allzu beeindruckt sein, aber seine Sekretärin hatte es schon immer zu schätzen gewusst, was er ihr von seinen Jobs mitbrachte. Und seine Haushälterin …?

Ihr gegenüber hatte er ein ausgesprochen schlechtes Gewissen, weil er während der vergangenen fünf Monate seltener zu Besuchen nach Hause zurückgekehrt war, als er versprochen hatte. Und so kaufte er im Blumenladen gleich um die Ecke all die Rosen auf, die da waren. Und er sollte es lieber nicht vergessen, ihr eine großzügige Extrazulage zu zahlen, falls sie sich dazu überreden ließ, auch noch für die Zeit zu bleiben, die er für Las Vegas brauchte.

Ryan hatte recht. Las Vegas war kein Ort für eine Familie. Zumindest nicht der Teil von Vegas, wo seine Arbeitsstätte sein würde.

Er fuhr in die Gasse mit den gepflegten grünen Rasenflächen und den Beeten von bunten Blumen, die die schmalen einstöckigen Häuser umgaben. Er parkte vor dem Haus mit dem braunen Gras und den wenigen welken, von der Sonne arg mitgenommenen Tausendschönchen. Daheim. Er holte vom Fondsitz den Strauß aus mehreren Dutzend Rosen.

Als Affie, die Haushälterin, aus dem Haus herausgestürzt kam, erkannte Adam sie nicht sofort. Blondes, lockiges Haar … War sie beim letzten Mal, wo er sie gesehen hatte, nicht brünett gewesen? Oder war es ihre Vorgängerin gewesen?

Und was sollte der Koffer? Adam stieg aus.

„Hallo, Affie. Danke für all das, was Sie …“, sagte er und hielt ihr die Rosen entgegen.

Sie hatte die Augenbrauen hochgezogen, was Affie recht wütend wirken ließ.

„Ich gehe.“

„Was ist mit Karen?“

Affie warf ihren Koffer in den Kofferraum ihres rostigen Zweisitzers und wies mit dem Daumen aufgebracht in Richtung des Hauses. „Vielleicht lernen Sie es noch, für sie ein Vater zu sein“, sagte sie.

Adam umfasste die Rosen fester in seiner Hand, weil sie ihm sonst vor lauter Schreck entglitten wären. „Wo gehen Sie hin?“

„Irgendwohin. Sie sind sechs Monate weg gewesen …“

„Fünfeinhalb.“

„Sechs! Und wissen Sie, wie oft Sie zurück waren, um mir einen freien Tag zu geben?“

„Viermal?“ Adam war sich nicht sicher.

Affie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Drei…?“

„Zweimal!“, rief sie.

„Tut mir leid.“

„Wie oft haben Sie Ihr kleines Mädchen gesehen?“

Adam atmete tief aus und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„Zweimal! Und wie oft haben Sie sie angerufen?“

„So oft wie ich es konnte. Aber die Fernmeldeverbindung im Urwald ist nicht die aller…“

„Vergessen Sie’s. Sorgen Sie nur dafür, dass Ihre Sekretärin mir den letzten Lohnscheck zuschickt. Die Bezahlung ist okay, aber ich habe seit ich-weiß-nicht-wie-lange keinen einzigen freien Tag gehabt.“

Ich auch nicht, dachte Adam. Aber ihm war klar, dass er sich mit Affie nicht vergleichen konnte. Für ihn bedeutete die Arbeit alles.

Er starrte dem kleinen Zweisitzer hinterher, der abrupt am Ende des Häuserblocks anhielt und dann, so plötzlich, wie er davongebraust war, im Rückwärtsgang zurückschoss. Mit einem Ruck blieb er am Straßenrand direkt vor Adam stehen, und Affie kurbelte das Türfenster auf der Beifahrerseite herunter.

„Und noch eins“, sagte sie. „Ich habe Ihren verdammten Hund immer, immer gehasst. Er furzt, er sabbert, und er ist viel zu alt, um niedlich zu sein.“

Sie rammte den Fuß auf das Gaspedal. Der Zweisitzer raste zur nächsten Ecke, wendete und verschwand.

Keine gute Heimkehr. Adam fragte sich, ob ihm genug Zeit verbliebe, bei der Reinigung vorbeizufahren, um seine Hemden noch gewaschen zu bekommen, ehe er sich auf den Weg nach Vegas machte.

Er betrat das Haus und war überrascht, wenn auch nicht geschockt über die Unordnung, die ihn empfing … Spielzeug, Stapel von Tageszeitungen und Illustrierten, leere weiße Pizzalieferkartons und der unmissverständliche Geruch von Zigaretten und Nagellackentferner.

„Hey, Mugs“, sagte er zu dem braunäugigen Köter, der in der Eingangshalle lag. Mugs zog seinen alten Körper hoch und schnüffelte an Adams Hand. Er wedelte dankbar mit dem Schwanz, als sein Herrchen ihn hinter dem Ohr kraulte. „Sie hat es nicht so gemeint. Da bin ich mir sicher.“

Gähnend tapste Mugs hinter ihm her zum Schlafzimmer.

Karen lag auf ihrem Bett. Sie hob den Kopf vom Kissen, als Adam eintrat. Ihr schokoladenbraunes gekräuseltes Haar war in zwei schiefe Zöpfe geflochten.

„Es tut mir leid, Daddy“, schniefte sie und wischte sich die schmutzigen Tränen von den Wangen. „Nun ist auch Affie weg, wie all die anderen.“

„Das hat nichts mit dir zu tun“, erwiderte Adam. Er setzte sich auf den Bettrand.

„Wenn ich brav gewesen wäre, wären sie nicht alle gegangen“, schluchzte Karen und barg das Gesicht an seiner Brust, als Adam sie zu einer Umarmung an sich zog. „Mir tut es leid, dass ich böse bin.“

„Du bist brav. Ich bin der Böse.“

Sie saßen schweigend da und dachten über ihre Fehler nach.

„Wie kommt das, dass du mich niemals mitnimmst?“, fragte Karen. „Ich bin alt genug. Ich kann auf mich aufpassen.“

„Du bist fünf Jahre alt.“

„Aber wo willst du eine andere Haushälterin finden? Wir haben sie alle aufgebraucht.“

„Chicago hat noch eine Reihe mehr.“

Seit fünf Jahren erstaunte es ihn immer noch aufs Neue, dass die Nachtklubbesitzerin in Miami Beach ihm ein Baby übergab mit den Worten, er sei erstens der Vater, und zweitens wirke sich Mutterschaft störend aus auf ihre persönliche Entwicklung. Er hatte Karens Mutter nie wiedergesehen, verschwendete kaum einen Gedanken an sie, nur blieb ihm kaum die Gelegenheit, sich zwischen seinen Jobs um Karen selbst zu kümmern. Es machte ihm Spaß, mit Karen durch den Zoo zu bummeln, mit ihr einen Tag am Michigansee zu verbringen, Hand in Hand mit ihr durch die Arena Schlittschuh zu laufen. Ganz sicher hätte er sie morgen auch mit in sein Büro genommen, wo sie am Computer spielen, aus Büroklammern ein Halsband knüpfen, seiner Sekretärin auf ihren Gängen überallhin folgen und eine Menge Druckerpapier verbrauchen würde. Und dann hätte er sich wieder auf den Weg zu einer neuen Aufgabe gemacht.

Eine endlose Reihe von Haushälterinnen war eingestellt und gefeuert worden … wenn sie nicht selbst gekündigt hatten. Affie war ihm nicht gerade als außergewöhnlich gut oder schlecht vorgekommen mit dem, was sie getan hatte. Ihr zorniges Gehabe hatte ihn auch nicht gerade geschockt, eher zermürbt.

Karen rieb sich die Augen, ihre Unterlippe zitterte vor unterdrücktem Weinen.

Er war kein guter Dad. Adam stritt es auch gar nicht ab. Er bezahlte die Rechnungen, verwöhnte sein einziges Kind, wenn er mit ihm zusammen war, und tat sein Bestes, um von sich hören zu lassen, wenn er weg war. Aber er war kein Dad, kein richtiger Dad. Und da Karen keine Mutter hatte, die sich um sie kümmerte …

„Vielleicht sollte ich dich mitnehmen.“

Karen blickte mit großen Augen zu ihm auf. „Wohin?“

„Las Vegas. Du wirst es mögen. Und auch du, Mugs.“

Mugs klopfte mit dem Schwanz lahm auf den Teppich.

Adam legte sich zurück in Karens Kissen mit den kleinen Ponys auf dem Überzug, und sie schmiegte sich an seine Seite, während er ihr über die Wunderwelt von Las Vegas erzählte … die Wüste, die Swimmingpools, die Restaurants, die Neonlichter, das Pferdereiten – besonders das Pferdereiten. Kein Wort von den Showgirls, dem Glücksspiel, den Elvis-Nachahmern oder den rund um die Uhr bereitstehenden Hochzeitskapellen.

Auch kein Wort über Blondinen.

Adam verdrängte all die beunruhigenden Gedanken, dass er sich um ein fünfjähriges Mädchen kümmern müsse … eine Aussicht, die ihm entmutigender erschien als die Durchführung eines gigantischen Baus auf einem Haufen Wüstensand in Las Vegas.

„Werde ich wirklich auf einem Pferd reiten können?“, fragte Karen.

„Ja, Baby. Gleich als Erstes lassen wir dich in einer Reitschule eintragen.“

Sein Handy meldete sich in seiner Tasche. Er hielt mahnend den Finger hoch, damit Karen ihn jetzt nicht unterbrach. Sie legte gehorsam die Hand auf den Mund.

„Tyler hier.“

„Willkommen in Chicago, Kumpel!“ Die autoritäre Stimme seines Arbeitgebers, J. P. Lasser, dröhnte durch den Hörer. „Wie mir die brasilianische Regierung mitteilte, sieht das Krankenhaus fantastisch aus. Die haben sogar die Zahlungsüberweisung früher freigegeben als erwartet.“

„Danke, Lasser.“

„Es gibt nur ein kleines Problem.“

„Und das wäre?“

„Miss Venezuela. Ihr Vater ist verärgert. Ihr Exverlobter, der zufällig in der technischen Abteilung der brasilianischen Verwaltung für Ingenieurwesen arbeitet, ist wütend.“

„Wie geht es ihr?“

„Hat Ihren Vorschlag befolgt, den Collegeabschluss zu machen.“

„Darüber bin ich froh. Sie ist mehr als nur ein hübsches Gesicht.“

„Nun ja, Sie hätten nicht so charmant sein dürfen, Adam. Wie ich aus inoffiziellen Quellen erfahren habe, bekommt Lasser & Thomas Ihretwegen nicht den Kontrakt für den Bürokomplex in der Nähe des Krankenhauses.“

„Das tut mir leid“, erwiderte Adam. „Wie steht es aber mit der nächsten Aufgabe?“

„Sie werden sie mögen.“

„Gut“, sagte Adam und zwinkerte seiner Tochter zu.

Karen strahlte, und er nahm sich vor, sie in der Reitschule anzumelden, noch bevor er die örtlichen Bauleute und Vertragslieferanten einstellte oder mit den Stadtfunktionären von Vegas verhandelte.

„Ich zähle auf Sie, zähle wirklich auf Sie, weil dieser Job mir sehr viel bedeutet …“, fuhr J. P. fort und fügte hinzu: „Mir ganz persönlich viel bedeutet. Ich verschaffe Ihnen damit eine ruhigere Zeit … die Sie ja auch nötig haben.“

„Nein, nein. Ich brauche keine Ruhe …“

„Wenn Sie hier im Büro sind, dann unterhalten wir uns darüber. Nur um eins möchte ich Sie schon jetzt bitten. Halten Sie Ihren Charme unter Kontrolle. Es ist eine Kleinstadt mit dem Gehabe von Kleinstädtern. Sie werden die Leute für schrecklich altmodisch halten, vielleicht sogar für rückständig.“

„Mr. Lasser, das soll doch wohl ein Scherz sein. Ich habe noch nie gehört, dass man Las Vegas als altmodisch bezeichnet“, entgegnete Adam. „Oder rückständig.“

Es folgte eine lange Pause.

„Oh, nun ja, Adam, darüber wollte ich mich mit Ihnen unterhalten …“

2. KAPITEL

Drei Wochen später in Deerhorn, Wisconsin … Adam war gerade dabei, die Frühstückspfannkuchen zu wenden, als das Telefon klingelte. Das darauffolgende Gespräch war die reinste Zumutung für ihn. Und er konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, um nicht aufzubrausen.

„Lehrerkonferenz! Was meinen Sie mit Lehrerkonferenz?“

„Es ist ein Tag für Lehrersitzungen und Schreibarbeiten“, erklärte die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Aber Sie sind nur ein Einraumschulhaus! Wie können Sie da Sitzungen haben?“

„Vorschrift des Staates Wisconsin. Ich bin verpflichtet, die Sitzung mit mir selbst abzuhalten und meine Überlegungen über den Fortschritt eines jeden Kindes mit mir selbst abzusprechen. Und Ziele und Pläne für das nächste Schuljahr selbst festzusetzen.“

Adam blickte wie Hilfe suchend zur Decke hoch. „Tut mir leid“, sagte er.

„Mir auch. Ich halte es einfach für albern. Aber ich muss der Anweisung der Landesregierung nachkommen. Es steht auf Ihrem Schulkalender, aber da Sie Karen erst vor anderthalb Wochen angemeldet haben, dachte ich, es sei besser, Sie daran zu erinnern.“

„Aber was soll ich jetzt mit ihr tun?“

„Das ist Ihre Sache. Die meisten Moms bleiben an dem Tag zu Hause.“

„Ich bin keine Mom.“

Eine peinliche Stille entstand.

„Ich habe eine Konferenz mit dem Bürgermeister und dem Gemeinderat, um ihnen meine Pläne für das neue Schulhaus vorzulegen“, erklärte Adam. „Ich kann mir den Tag nicht einfach so freinehmen.“

„Viele Mütter – und Väter – arbeiten in der Käsefabrik im nächsten Ort. Gewöhnlich treffen sie Vorkehrungen mit einer Mom, die nicht arbeitet und für sie einspringt“, sagte Mrs. Smith zartfühlend.

„Ich kenne keine anderen Mütter. Und ich habe im Branchenverzeichnis nach einer Agentur für Kindermädchen nachgeschlagen, aber keine gefunden“, setzte er verzweifelt hinzu.

„Eine Agentur für Kindermädchen …“ Sie lachte. „Sie meinen das als Scherz, nicht wahr? Wir sind hier in Deerhorn. Wir haben keine Kindermädchen. Oder Erzieherinnen. Oder Butler. Oder Dienstmädchen.“

„Wie wär’s mit einer guten Haushälterin?“

„Ein jeder hier kümmert sich um seinen eigenen Haushalt. Oder man hat eine Verwandte, die einem aushilft.“

„Ich würde jede adoptieren, die auf eine Fünfjährige achtgibt, kocht, sauber macht und nichts gegen lange Arbeitsstunden einzuwenden hat.“

„Ich kenne niemanden, die das machen würde. Mein Vorschlag ist, nehmen Sie ein Malbuch zur Versammlung mit und sagen Sie Ihrer Tochter, dass sie sich selbst beschäftigen und ruhig bleiben soll. Karen ist ein braves Kind, sie wird Ihnen folgen. Wie auch immer, Mr. Tyler, ich sehe Sie morgen früh zur gewöhnlichen Zeit.“

Adam murmelte ein „Auf Wiedersehen“ und legte auf. Mugs blickte von seinem Morgenschläfchen hoch.

Lehrerkonferenz.

Vor genau drei Wochen hatte er geglaubt, dass das Leben nicht schlimmer werden könnte, als sich mit Giftschlangen herumzuplagen, sich den Weg durch den Dschungel zu schlagen oder mit den örtlichen Stammesfürsten zu verhandeln. Oder dass es nicht schlimmer werden könnte, als von seinem Boss zu hören, er erwarte einen Gefallen …

Er nahm das dünne Deerhorn-Telefonbuch vom Küchentresen und das schnurlose Telefon vom Esstisch. Dann ging er hinauf in das geräumige zweite Schlafzimmer. Die Wände schienen einen grünen Anstrich zu haben … was eine reine Einbildung war und nur durch einen Baldachin von Bäumen ermöglicht wurde, der wie eine Himmelskuppel wirkte.

„Karen, wir müssen miteinander reden“, sagte er und lehnte sich gegen den Türrahmen.

„Nein, ich will heute hierbleiben“, kam eine Stimme von unter der Decke hervor. „Ich hab dich am Telefon gehört. Ich werde wieder stundenlang ruhig sein müssen.“

„Ich muss zu einer Konferenz.“

„Ich will nicht wieder zur Konferenz. Ich mag keine Bilder mehr bemalen.“

Adam konnte es ihr nicht verübeln. Seit J. P. Lasser ihm das Deerhorn-Projekt aufgehalst hatte, war Karen bei fünfzehn Vorstellungsgesprächen mit Haushälterinnen dabei gewesen … von denen jedes katastrophal geendet hatte. Sie wurde zu sechs Geschäftsessen mitgenommen und zu drei Verabredungen mit Frauen, die Adam mittlerweile abgeschrieben hatte, weil er sicher war, dass keine von ihnen Wert darauf legte, ihn jemals wiederzusehen. Eine Fünfjährige mit einem Malbuch ließ nun einmal keine romantische Stimmung aufkommen. Und das war noch nicht alles gewesen. Karen hatte außerdem zwei Runden Golf mit achtzehn Löchern überstehen müssen, während er versucht hatte, J. P. Lasser davon abzubringen, ihn nach Wisconsin zu schicken, und vier Versammlungen der Lasser & Thomas-Mitarbeiter, die unter seiner Leitung das Deerhorn-Projekt durchführen sollten.

Er konnte die Malhefte und die ganzen Stapel von Kinderbüchern auch nicht mehr sehen.

„Wie wär’s mit deiner Sekretärin?“, fragte Karen. „Ich könnte bei ihr im Büro bleiben.“

„Sie ist in Chicago. Im Haupthaus. Wir sind in Wisconsin. Einhundert Meilen entfernt.“

„Ich dachte, wir fahren nach Vegas.“

„Das dachte ich auch.“

„Ich bleibe heute lieber im Bett. Ich werde brav sein.“

„Karen, hast du keine Freundin in der Schule, mit der du gern spielen möchtest?“

„Nein, die sind alle doof.“

„Nicht alle.“

Adam warf einen Blick auf seine Uhr. Viertel vor acht. Und er war mitten in einer Debatte, ob alle Vorschüler in Deerhorn, Wisconsin, doof waren oder nicht. Er hätte den Haushälterinnen eine Streitzulage zu ihrem Lohn zahlen sollen. Außerdem roch es auf einmal merkwürdig …

„Karen, Liebling, das ist wichtig. Hast du überhaupt keine Freundin?“, fragte Adam und schnupperte. Es roch wie damals, als Miss Venezuela im Zelt den Haartrockner zu lange gebraucht hatte. „Karen fällt dir jemand ein, mit dem du einige wenige Stunden zusammen sein möchtest?“

„Stacy!“

Adam ging vor ihrem Bett in die Hocke. „Wie heißt sie noch?“

„Baum.“

„Stacy Baum?“

Seine Tochter kam von unter der Decke hervor. „Nein, sei nicht albern, Daddy“, sagte sie mit einem Gesichtsausdruck, der ihm klarmachte, wie sehr sie ihn zum Verzweifeln fand. „Ihr Name ist ein Baum.“

Kirschbaum. Esche. Fichte. Kiefer. Ahorn. Eiche. Weide. Hagedorn.

Adam ging im Geiste alle Baumbezeichnungen durch, an die er sich erinnern konnte, während er seine Tochter die Treppe hinunterdrängelte. Er wusste, dass er nach Strohhalmen griff, als er in seinem Gedächtnis weiter nach Baumnamen kramte, aber er hatte nur noch zwanzig Minuten Zeit, bevor der Bürgermeister von Deerhorn ihn dem Gemeinderat vorstellte.

Er war noch nicht ganz die Treppe hinunter und hatte auch noch nicht aufgehört, sich den Kopf zu zerbrechen über all die Bäume und Büsche und Sträucher und Reben, als er aus der Küche Schwaden von Rauch ins gegenüberliegende Esszimmer quellen sah.

„Pfannkuchen!“, rief er und schlug sich an die Stirn.

Er stürmte in die Rauchwolke, ergriff den Krug mit dem Orangensaft und leerte den Inhalt über die Pfanne auf dem Gasherd. Ein Zischen, ein Prasseln, ein Ächzen … und der Gestank von verbrannter Butter und Zitrone hing in der Luft.

Die Pfannkuchen waren eine unappetitliche orangefarbene und schwarze Manscherei.

„P wie Pfannkuchen!“, rief Karen aufgeregt und klatschte in die Hände. „Jetzt erinnere ich mich an Stacys Namen. Poplar – wie Pappel.“

Na großartig! Aber das Haus wäre fast abgebrannt. Und es war gemietet. Und Lasser hätte ihn wahrscheinlich dazu gebracht, noch länger hierzubleiben, um es neu aufzubauen, wenn es in Flammen aufgegangen wäre.

Nun, es war nicht das erste Frühstück, das er in den vergangenen Wochen ruiniert hatte.

„Essen wir heute Morgen wieder Pop-Tarts, Daddy?“, fragte Karen und öffnete das Küchenfenster. „Oder haben wir noch von der Torte, die uns die Nachbarn gebracht haben?“

Adam lockerte die Krawatte und setzte sich an den Küchentisch. „Was meinst du, würde Stacys Mutter dich bis Mittag aufnehmen, wenn ich ihr dafür anbiete, dass Stacy hier mit dir den ganzen Nachmittag spielen darf?“

Karen überlegte kurz. „Ich glaube schon.“

Hörte sich nicht schlecht an.

Adam öffnete das Telefonbuch und schickte ein Dankgebet zum Himmel hinauf, als er unter P mühelos den Namen S. Poplar fand. Er vergaß vor Aufregung sogar einen Blick auf die Adresse zu werfen. Das Glück war ihm weiter hold, als er in Sekundenschnelle eine weibliche Stimme am Telefon hatte.

„Sind Sie Mrs. Poplar?“

„Hier ist Stacy Poplar“, antwortete die Stimme vorsichtig.

„Dürfte ich deine Mutter sprechen?“

Es gab eine Pause. „Meine Mutter ist vor Jahren gestorben.“

„Oh … Tut mir leid. Dann muss ich die falsche Nummer erwischt haben.“

„Wird sie mit mir spielen?“, fragte Karen und zupfte ihm am Ärmel. „Wird sie spielen? Wird sie mit mir spielen?“

Mugs schnüffelte um den Herd herum und leckte den heruntertropfenden Saft vom Boden.

„Hör damit auf, Mugs … Nein, Mrs. Poplar, ich meine nicht Sie“, sagte Adam schnell und war machtlos gegen die Verzweiflung, die sich in seine Stimme stahl. „Es muss ein Missverständnis sein. Meine Tochter dachte, dass sie sich mit einem Kind befreundet habe, dessen Name Stacy Poplar ist. Kennen Sie eine Familie in Deerhorn mit dem Nachnamen Poplar und einer Tochter, die Stacy heißt?“

„Ich bin Stacy Poplar, und ich könnte die Freundin Ihrer Tochter sein. Wer ist sie? Und wer sind Sie?“

„Daddy wird sie mit mir spielen?“, flehte Karen.

Mugs machte ein saures Gesicht und spuckte ein Stück vom Pfannkuchen aus. Adam schoss ihm einen Blick zu, von dem er hoffte, dass er den Hund einschüchtern würde. Mugs gähnte.

„Meine Tochter ist Karen Tyler.“

„Oh, wir sind uns gestern begegnet.“

„Daddy, ich hab vergessen, dir zu sagen …“

„Nicht jetzt, Karen. Mrs. Poplar …“

„Miss.“

„Miss Poplar, wo sind Sie meiner Tochter begegnet?“

„Sie war in meinem Haus.“

„Sie war in Ihrem Haus?“, fragte Adam entgeistert und blickte Karen streng an. Er wusste, dass er kein besonders guter alleinstehender Vater war, dass er keine Auszeichnung für sein Kochen oder Saubermachen oder sogar für seine Geschicklichkeit bei der Wäsche gewinnen würde. Aber er könnte darüber Rechenschaft ablegen, wo seine Tochter sich jede Minute des Tages aufhielt. Und das war etwas, was, wie er wusste, ihm über die schlimmste Katastrophe hinweghelfen würde.

Wie vorhin bei den Pfannkuchen, die wie nach einem missglückten Flambieren zu etwas Orangefarbenem erstarrt waren.

„Daddy, ich hab vergessen, dir zu sagen, dass sie gleich …“, flüsterte Karen eifrig und deutete mit dem Finger zum Fenster hinaus.

Adam sah eine Frau, groß und schlank, ihr kupferrotes Haar hob sich im scharfen Kontrast zu dem frühsommerlichen Grün ab. Sie trug ein weißes T-Shirt, gelbe Clogs und einen Overall, der es nicht ganz schaffte, die Kurven darunter zu verhüllen. Als die Frau den Kopf hob, um zum Haus herüberzuschauen, bemerkte er, dass sie ein Handy ans Ohr hielt. Sogar aus der Entfernung erkannte Adam, dass ihre Haut blass und glatt war.

„Daddy, ich hab vergessen, es dir zu sagen.“

„Was?“

„Sie wohnt nebenan, Daddy.“

„Ist das deine Freundin Stacy?“, fragte er leise.

Karen folgte seinem Blick. „Ja. Das ist sie!“

„Schöne Frau, Sie könnten mir das Leben retten“, rief er unbesonnen in den Hörer.

„Ganz sicher haben Sie diesen Satz mindestens hundert Mal gebraucht“, wies Stacy ihn gutmütig zurecht. „Und ich zweifele nicht, dass Sie damit auch hundert Mal Erfolg gehabt haben.“

Sie hatte bei beidem recht. Was für eine wunderbare Frau!

Schöne Frau … Dies bekam Stacy nicht mehr allzu oft zu hören, obwohl es eine Zeit gegeben hatte, wo sie sich über Mangel an Komplimenten nicht zu beklagen brauchte. Aufgehört hatte es, als die Pflege ihres Vaters sie ganz in Anspruch nahm. Seitdem beschrieb man Stacy als liebevoll, geduldig und fügte traurig, traurig, traurig hinzu – so wie in: was für eine liebevolle Tochter, was für eine geduldige junge Frau, was für eine traurige, traurige, traurige Geschichte.

Eigenschaften, die man gewöhnlich jungen Frauen zuschrieb, trafen irgendwie nicht mehr auf Stacy zu. Nicht dass sie weniger schön wäre als noch vor wenigen Jahren. Oder weniger charmant. Sie war nicht einmal ausgesprochen traurig, obwohl die letzten Tage ihres Vaters vor seinem Tod für sie natürlich unendlich schwer gewesen waren. Sie selbst hielt sich für genauso liebevoll, wie es jeder sonst unter ähnlichen Umständen sein würde. Es hatte Tage gegeben, wo sie geduldig war, und Tage, wo sie sich mächtig zusammenreißen musste. Und sie war von Natur aus ein viel zu fröhlicher Mensch, um sich allzu lange der Traurigkeit zu überlassen.

Was sie aber zweifellos vor allem auszeichnete, war die selbstverständliche Art, wie sie ihren kranken Vater versorgt hatte. Und das war auch der Grund gewesen, der sie daran gehindert hatte, Männer besser kennenzulernen, sich mit ihnen zu treffen oder gar zu heiraten. Sie hatte keine Kinder, kein eigenes Heim, obwohl sie bereits achtundzwanzig war. Darüber konnten die Einwohner von Deerhorn nur mitleidsvoll den Kopf schütteln.

Seit Mr. Poplars Tod waren Deerhorns Bürger nicht sehr weit von ihrer früheren Beurteilung abgerückt. Sie bewerteten Stacy immer noch mit liebevoll, geduldig und fügten nach wie vor eine solch traurige, traurige, traurige Geschichte hinzu. Nur gab es jetzt noch eine kleine Ergänzung: niemals geheiratet.

Und dieser Anhang war ganz sicher etwas, was ihr bis zum Ende ihrer Tage anhaften würde.

Niemals geheiratet.

Es wurde nicht einmal mit noch nicht verheiratet umschrieben. Nur knapp und einfach niemals geheiratet. Niemand würde so grob sein, sie als alte Jungfer zu bezeichnen. Aber es kam auf das Gleiche heraus. Die Meinung der Deerhorner war hart und unnachgiebig. Die Möglichkeit zu heiraten bot sich einer Frau nur wenige Jahre an – vergleichbar mit einem Fenster, das man am Tag nur für eine kurze Zeit öffnet. Und in Deerhorn hatte sich das Fenster für Stacy Poplar irgendwann im Laufe der letzten acht Jahre still geschlossen … während der langen Krankheit ihres Vaters und von ihr nur wenig beachtet.

Und schön?

So bezeichnete man sie auch heute noch, nur vergaß man nie, das Wort in die Vergangenheit zu setzen, etwa so: Sie ist ein schönes Mädchen gewesen und hätte heiraten können, wenn Mr. Poplar nicht den Schlaganfall gehabt hätte.

Angenehmer klang das Wort schön zweifellos aus dem Munde ihres neuen Nachbarn.

Es hatte mit der Gegenwart zu tun.

Stacy hörte es gern, auch wenn er das Wort bestimmt bereits einhundert Mal benutzt hatte und es bestimmt auch noch einhundert Mal benutzen würde, nachdem er Deerhorn bereits wieder verlassen hatte.

Stacy stand da, eine Hand in die Hüften gestemmt, und starrte zum Haus hinüber, das einstmals dem guten alten Peterson gehört hatte.

Sie war schon immer eine sachliche Person gewesen und praktisch veranlagt. Wenn jemand sie gefragt hätte, ob sie eher romantisch oder doch mehr realistisch wäre, hätte sie mit der Antwort nicht gezögert.

Realistisch.

Die Gedanken, die sie sich über den Unbekannten gemacht hatte, als sie zuerst von ihm hörte, waren alles andere als romantisch gewesen. Sie hatte nüchtern zur Kenntnis genommen, dass er und nicht wie ursprünglich angekündigt ein Mr. Ryan Jennings die Schule bauen würde, und dass er ihr Nachbar sein würde mit seinem kleinen Mädchen statt Mr. Jennings mit seiner Familie.

Eigentlich war es so sehr nett.

Und nun, da Stacy sich ihre nüchterne Meinung gebildet hatte, konnte sie auch zugeben, dass es ihr schmeichelte, von ihm schön genannt zu werden, auch wenn er es nicht so meinen sollte. Weil er nicht aus Deerhorn stammte, hatte er das Wort auch nicht geschmälert mit der Zugabe liebevoll, geduldig und traurig, traurig, traurig. Und weil er charmant war, hatte er auch die richtige Modulation in das Wort hineingelegt, so als ob er der Erforscher wäre und sie die Entdeckung.

Sie kostete das Wort aus, während sie zwischen den Blumenbeeten stand und auf die Tylers wartete.

Schöne Stacy Poplar.

3. KAPITEL

Karen und ihr Vater überquerten die kiesbestreute Einfahrt des Peterson-Hauses und marschierten zum Nachbarhaus hinüber. Karen hatte ein T-Shirt an und Shorts und gelbe Gummistiefel. Die Gummistiefel waren an einem heißen und trockenen Tag unpassend, aber Stacy erinnerte sich, dass Karen niemals ihre Schuhe band. Ihr Vater machte nicht den Eindruck, als ob er das eine oder das andere bemerken würde.

Er trug einen dunkelgrauen Anzug von der Art, wie die Männer in Deerhorn sie für Hochzeiten, Begräbnisse und Taufen aufsparten. Offensichtlich war er beim Binden der Krawatte unterbrochen worden. Die Enden flatterten über seine Schulter. Der oberste Hemdknopf war offen, eine Kragenecke lag nicht wie die andere flach auf, sondern stand nach oben ab.

Auf dem kurzen Weg von drüben zu ihr herüber hatte er den Arm dreimal angehoben, um nach der Uhr zu sehen, um dreimal zu erkennen, dass er die Uhr nicht umhatte. Beim vierten Mal gab er sich offensichtlich geschlagen.

All das wirkte auf Stacy, als ob dies nicht sein Tag wäre. Als er ihr nahe genug war, betrachtete sie ihn neugierig und fand, dass er nicht nur gut aussah, sondern auch eine ausgesprochen maskuline Ausstrahlung hatte, die ihr das Gefühl gab, feminin zu sein. Es war lange, lange her, dass sie sich so gefühlt hatte. Kurz, Adam Tyler war als Mann aufregender, als Stacy es sich vorgestellt hatte.

Wilde Gerüchte, anzügliche Anspielungen und dummes Gerede waren diesem Mann vorausgeeilt wie eine Staubwolke vor einem Pflugtraktor. Die Klatschbasen, die nach dem Sonntagsgottesdienst vor Deerhorns Kirche standen, hatten ihn zum Playboy erklärt, zu einem Lebemann, der sich womöglich sogar als männliches Pin-up-Model hergegeben hatte … oder war es eher als Stripper?

Und all dieser Klatsch war aufgekommen, weil die Frau vom Bürgermeister Pincham ihren Mann nach Chicago begleitet hatte, als er eingeladen worden war, sich mit den Architekten von Lasser & Thomas in deren Büro zu treffen. Bei Lasser & Thomas hatte Mrs. Pincham eine Sekretärin, eine Empfangsdame, den gesamten Stab von der Postabfertigung und mehrere Zeichner angequatscht.

Mrs. Pincham war nach Deerhorn zurückgekehrt mit einem Haufen befremdlicher und skandalöser Geschichten, die sie angeblich von den Angestellten gehört hatte … Geschichten, die keiner aus Deerhorn jemals in der Lage sein würde nachzuprüfen.

Lasser & Thomas stellte seine eigenen Arbeiter bereit, und die würden in Wohnwagen untergebracht, die die Firma aus Chicago nach Deerhorn einfahren würde. Von diesen Fachkräften war Mrs. Pincham bislang keiner unter die Augen gekommen. Erfahrene Handwerker wie Elektriker, Zimmermänner und Klempner würden erst ankommen, wenn ihre besonderen Fachkenntnisse erforderlich wären. Doch eigentlich interessierte Mrs. Pincham sich nicht so unbedingt für diese Männer.

Es war der Mann, der die Aufsicht hatte – Adam Tyler – für den die Firma das leer stehende Peterson-Haus gemietet hatte, der ihr lebhaftes Interesse erregte.

Adam Tyler, so erzählte Mrs. Pincham ihren Freundinnen mit einer Stimme, die achtungsvoll und zugleich auch entsetzt klang, hatte in jeder Stadt, in der er tätig war, eine Geliebte, manchmal sogar mehrere an einem Ort. Und man bedenke nur, er war von seiner Firma in ganz Nord- und Südamerika eingesetzt gewesen! Und nicht nur das, er hatte ein Kind von einer Frau, die ihm das Baby mir-nichts-dir-nichts überlassen … es einfach auf seinen Schreibtisch abgesetzt hatte. Dabei wurde er zu den schwierigsten Bauvorhaben geschickt.

Diese letzte Mitteilung ließ allerdings eine ganze Reihe Deerhorn-Bürger an der Genauigkeit von Mrs. Pinchams Informationen zweifeln. Der Bau einer sechsklassigen Grundschule schien nicht ganz auf der Ebene von riesigen Bauprojekten wie Krankenhäusern und Bürogebäuden zu sein.

Er könnte genau richtig sein, hatte Stacy heute Vormittag gedacht, als sie nach der Kirche an der schnatternden Schar von Männern und Frauen vorbeikam, die Mrs. Pincham umstanden. Mrs. Pincham war gerade dabei gewesen, ihnen klarzumachen, dass sie es niemals gutheißen könnte, falls eine Frau aus der Deerhorner Umgebung sich zu einer Liebesaffäre hergeben sollte. Väter und Mütter in der Runde schworen sogleich, dass sie über ihre Töchter wachen würden, obwohl so gut wie jedes weibliche Wesen über achtzehn entweder mit einem Mann fest ging, bereits verlobt oder sogar verheiratet war und Kinder hatte.

Niemand von ihnen hatte auch nur einen Gedanken an Stacy verschwendet.

Sie war dicht an ihnen vorbeigegangen mit gesenktem Kopf, hatte sittsam genickt, als der Pastor den Hut zum Gruß hob, seinen Schönes-Wetter-Heute-Satz loswurde, und hatte sich auf den Weg nach Hause gemacht.

Ja, Adam Tyler könnte genau richtig sein, hatte sie gedacht, als sie all die skandalösen und die nicht so skandalösen Punkte auf ihrer Liste durchgegangen war. Diese Liste hatte sie nach dem Tod ihres Vaters aufgestellt.

Adam Tyler würde genau richtig sein.

Aber natürlich würde ein Mann wie er anderes vorhaben, statt seine Zeit damit zu vergeuden, eine Deerhorn-Jungfer in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen.

Sie hatte über Adam nachgedacht, nachdem sie nach Hause gekommen war und auch während sie sich ein Sonntagsmahl zubereitet hatte, mit dem sie unerklärlicherweise erst gegen drei Uhr nachmittags fertig geworden war. Vielleicht würde ihr Interesse verpuffen, wenn sie ihm persönlich begegnete. Nun gut, dann würde sie zur Tagesordnung übergehen und sich endlich damit befassen, was sie sich bereits vorgenommen hatte, wie Tanzstunden nehmen und endlich die Fotos, die sich haufenweise in einem Karton stapelten, in das Familienalbum kleben.

Adam Tyler könnte auch nein sagen, weil er andere Frauen im Kopf hatte oder weil sie nicht sein Typ war, oder weil Mrs. Pincham die Tatsachen verdreht hatte. Stacy könnte natürlich auch die Nerven verlieren und kein Wort herausbringen.

Der Himmel wusste, dass gerade Letzteres am wahrscheinlichsten war.

Und nun auf einmal dies. Drei Donnerstage später, und dieser Adam Tyler stand vor ihr. Eigentlich vollführte er fast einen Tanz, weil sein sabbernder, grauschnäuziger Köter an ihm hochspringen wollte und seine Tochter ihn dauernd am Ärmel zupfte. Bei all dem versuchte er auch noch seine Krawatte zu binden, was nicht gut ging, weil er einen verklebten Pfannenwender in der Hand hielt, der nach verbranntem Orangensaft und Pfannkuchenteig roch.

Er war breitschultrig, schlank um die Hüften und könnte sehr wohl eine Karriere als Muskelprotz hinter sich haben … obwohl etwas an der Haltung seines Kinns Stacy sagte, dass ein solches Gebaren wohl nicht ganz seine Sache wäre. Sie konnte es sich nicht vorstellen, dass er vor einem Publikum des Geldes wegen einen Striptease vollführen würde. Sein Haar war dunkelbraun, hatte die Farbe von schwarzem Kaffee, und es war so voll, dass eine Frau Lust bekam, es mit gespreizten Fingern zu durchkämmen. Seine Oberlippe war schmal und unnachgiebig, aber seine Unterlippe war sinnlich und verwegen.

Er wäre es wert.

Er würde ihr das geben, was sie wollte … falls er einwilligte, ihr überhaupt etwas zu geben.

Er war besser, als Stacy es sich jemals hätte vorstellen können.

Toll!

Frag ihn, Stacy!

Aber natürlich konnte eine Frau einen Mann nicht bitten, sie zu lieben, wenn er eine Tochter an seiner Seite hatte, die ihn am Ärmel zupfte, einen Hund, der ihn umsprang, und in knapp einer halben Stunde eine Konferenz mit dem Bürgermeister angesetzt war.

Stacy besann sich, rief sich ihre guten Manieren in Erinnerung, die immer untadelig waren, bis auf diese augenblickliche Geschmacksverirrung. Dem Himmel sei Dank, dass er es nicht bemerkt hatte, wie sie ihn angestarrt hatte – mit offenem Mund. Sie nahm ihm den Pfannenwender aus der Hand.

„So etwas tue ich nicht jeden Tag“, sagte Adam.

„Daran zweifle ich auch nicht.“

„Sonst hab ich immer malen müssen“, beschwerte sich Karen.

Der Hund schüttelte sein Fell aus, gähnte und schob seine sabbernde Schnauze in eine Pilzansammlung unter einem Baum.

„Und ich habe mich auch noch nicht richtig bedankt für die Torte, die Sie auf unserer Türschwelle am ersten Tag unseres Einzugs hinterlassen haben.“

„Meine Torte war nicht die einzige Torte vor Ihrer Tür“, erwiderte Stacy sanft. „Ich habe bereits sechs gezählt, als ich meine vor Ihre Tür stellte. Es wäre von Ihnen zu viel verlangt, sich bei all den Wohltäterinnen zu bedanken.“ Und als sie Adams verblüfften Gesichtsausdruck bemerkte, fügte sie schnell hinzu: „Natürlich erwartet keiner in Deerhorn ein Dankeschön, nur weil man sich um gute Nachbarschaft bemüht.“

„Gut. Wir haben die Torten nämlich alle aufgegessen, ohne darauf zu achten, von wem sie kamen.“

„Er kann keine Pfannkuchen backen“, meldete Karen sich. „Die werden schwarz und verräuchern die Küche.“

„Ich bin dabei, es zu lernen“, sagte Adam.

Mit dem Geschick einer Lehrerin, die gelernt hatte, in der Sonntagsschule mit kleinen Jungs umzugehen, wozu auch das Zurechtzupfen der Sonntagskrawatten gehörte, pflanzte Stacy sich vor Adam auf und brachte seine Krawatte in Ordnung. Sie ließ die Hand auf der pulsierenden Halsader verweilen. Genau so, wie sie es erhofft hatte, war seine Haut glatt wie Seide – und doch seltsam prickelnd.

Adam war so durcheinander, versuchte wieder einmal – vergeblich – nach der Zeit zu schauen, dass er nicht einmal einen Anflug von Überraschung zeigte, als Stacy mit dem Finger seine Unterlippe berührte.

„Gehen Sie schon los“, sagte Stacy und zog seine Armbanduhr aus seiner Jackentasche. Adam nahm sie verlegen entgegen. „Ihre Tochter und ich werden uns einen guten Tag machen.“

„Hier habe ich einige Telefonnummern, wo Sie mich erreichen können“, murmelte Adam und hielt ihr einen ausgerissenen Notizzettel mit einer Hand hin, während er mit der anderen Hand versuchte, die Uhr umzubinden. „Ich bin im Büro des Bürgermeisters. Seine Nummer ist … Ich hoffe, ich hab sie drauf …“

Stacy sagte die Nummer auswendig auf.

Adam stutzte, dann nickte er. „Und der Name seiner Sekretärin ist …“

„Betty Carbol“, ergänzte Stacy. Sie legte die Arme um Karens schmale Schultern und versicherte dem kleinen Mädchen mit einem belustigten Blick, dass sie beide einen wunderbaren Spieltag zusammen verbringen würden.

„Und falls Sie wegen irgendetwas anrufen müssen, dann steht da auch Bettys Nebenanschluss …“

„Zwei drei.“

„Sagen Sie ihr, dass ich in der Konferenz bin, wegen …“

„Der Grundschule.“

Adam zerknitterte den Notizzettel. „Gibt es etwas, was Sie nicht wissen, zumindest was den heutigen Morgen angeht?“

„Nun, ich weiß zum Beispiel noch, dass der Bürgermeister heute Geburtstag hat“, weihte Stacy ihn ein. „Er mag Eclairs, dieses französische Gebäck aus unserer Bäckerei, aber seine Frau besteht bei ihm auf strikte Diätkost …“ Stacy brachte sich abrupt zum Schweigen.

Eine rätselhafte Frau, die Art Frau, die Männer bewunderten, würde nicht einfach so drauflosschwatzen, hielt Stacy sich vor. Doch sie konnte nicht über ihren Schatten springen. Sie war von Natur aus eine hilfreiche Person. Außerdem wollte sie, dass Adam ihr zuhörte. Das machte ihn für sie ja so besonders attraktiv … er konnte zuhören. Von ihr aus könnte er hier so vor ihr stehen bleiben und ihr aufmerksam zuhören, was sie ihm über die Gewohnheiten des Bürgermeisters zu berichten hatte. Wenn es das war, was ihn ihr näher brachte, dann nur weiter so!

„Also soll ich ihm dieses Gebäck beschaffen oder nicht?“

„Wenn Sie ihm ein Eclair kaufen, dann wird er so tun, als ob er es nur isst, um höflich zu sein. Er könnte sogar ein wenig verärgert dreinblicken, aber das wäre nur eine Show. In Wirklichkeit würde er entzückt sein, und es würde mich überhaupt nicht überraschen, wenn er es in zwei Bissen heruntergeschlungen hätte.“

„Dann soll das wohl ein Ja sein.“

Stacy nickte.

Adam öffnete die Tür seines Beamer und schob die Aktenmappe auf den Beifahrersitz.

„Und wo ist die Bäckerei?“

„Ecke Willow und Linden. Zwei Straßenecken von hier. Der Name ist Deerhorn Patisserie. Leslie ist die Besitzerin.“

Adam glitt hinters Lenkrad und stecke den Kopf durchs Seitenfenster. „Wie kommt’s, dass Sie all das wissen?“

„Deerhorn ist ein kleiner Ort. Jeder weiß alles über den anderen. Oder zumindest bemüht man sich darum.“

„In Ordnung. Bin in zwei Stunden zurück. Und – danke.“

Er setzte den Wagen zurück und fuhr davon in Richtung Bäckerei.

„Werden wir nur zwei Stunden haben?“, fragte Karen.

„Oh nein, wir haben den ganzen Tag für uns“, antwortete Stacy und drückte sie an sich. „Die Abgeordneten von Deerhorn hören sich nur allzu gern reden.“

Karen lächelte spitzbübisch. „Findest du, dass mein Daddy gut aussieht?“

Diese Frage verschlug Stacy den Atem.

„Natürlich sieht dein Daddy gut aus, Karen“, antwortete sie schließlich, und ihr war in diesem Moment klarer als zuvor, dass eine Affäre zwischen ihr und ihm vor Karen geheim gehalten werden müsste … so wie auch vor jedem anderen Mann, jeder anderen Frau, jedem Kind oder Hund in Deerhorn. Leichthin fügte sie hinzu: „Dein Vater gehört zu den Männern, denen die Frauen nur so nachlaufen. Ihr zwei werdet ganz sicher Dutzende von ihnen jeden Morgen von der Veranda kehren müssen, nur um die Zeitung aus dem Briefkasten holen zu können.“

„Oh ja“, sagte Karen stolz. „Wir haben einen ganz großen Besen dafür. Aber werden Sie ihm nachlaufen, Stacy?“

„Nein“, antwortete Stacy, fragte sich aber im Stillen, ob Karens schlichte Frage nicht als Sehnsucht eines kleinen Mädchens nach einer Mutter aufgefasst werden könnte.

„Wenn mein Daddy Sie fragen würde, würden Sie ihn heiraten?“, kam prompt die Bestätigung von Stacys Vermutung.

„Er würde niemals fragen“, antwortete Stacy.

„Warum nicht? Ich brauche eine Mom.“

„Oh Karen, ich glaube, dass dein Vater es immer noch lernen muss, ein Dad zu sein. Ich könnte mir vorstellen, dass es für ihn noch schwerer wäre, wenn er eine Frau hätte“, erwiderte Stacy und ging mit dem Kind und dem Hund auf ihr Haus zu. „Ich muss heute Morgen einige Besuche machen. Hättest du Lust mit mir zu kommen?“

Karen verzog das Gesicht. „Besuche? Igitt. Mein Dad macht dauernd Besuche. Muss ich mein Malbuch mitnehmen?“

Mugs schüttelte den Dreck aus seinem Fell.

„Wenn du es möchtest“, erwiderte Stacy. „Aber dort wo ich hingehe, erwartet man es nicht, dass kleine Mädchen sich still verhalten.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“ Stacy schüttelte den Kopf. „Die mögen es sogar, wenn Mädchen laut reden und singen und gern im Matsch spielen und sich dabei so richtig schmutzig machen, um dann nachher, wenn der Besuch vorbei ist, ein langes Schaumbad zu nehmen.“

Karen überlegte sich das Ganze. „Dann möchte ich das auch schrecklich gern.“

„Diese Leute haben auch nichts gegen Hunde einzuwenden, die dauernd gähnen und sabbern.“

Beide starrten den Hund an.

„Mugs ist genau so. Er gähnt und sabbert und – furzt.“

„Dann möchten meine Klienten euch beide kennenlernen.“

„Das scheinen nette Klienten zu sein.“

„Oh, das sind sie auch“, versicherte Stacy ihr. „Das sind sie wirklich.“

4. KAPITEL

Deerhorns Bürgermeister war seiner Wählerschaft unter einem Spitznamen bekannt, den er vor einem guten Vierteljahrhundert als Berufsboxer der Federgewichtsklasse erlangt hatte, als er sich in Wisconsin die Meisterschaft holte und mit den Goldenen Handschuhen ausgezeichnet wurde. Der ehrenwerte Eugene Lefty Pincham hatte den Boxring gegen den Wahlkampffeldzug eingetauscht und seinen berühmten linken Haken mitsamt Aufwärts- und Seitwärtshaken gegen das Rüstzeug der politischen Zunft eingetauscht.

Er redete. Unterbrach. Stellte Angenommen dass …-Fragen. Warf Anekdoten ein, die ihm von dem einen oder anderen seiner vielen Bürger erzählt worden waren. Schwelgte in Erinnerungen und verstand es, sich wichtigtuerisch in den Vordergrund zu bringen.

Es war keineswegs so, dass er irgendetwas gegen Adams Darstellungen einzuwenden gehabt hätte. Ganz im Gegenteil. Seit er den Eclair mit dem angemessen gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht und in zwei Bissen verzehrt und Adams gute Wünsche für seinen Geburtstag mit einem Nicken entgegengenommen hatte, betrachtete Lefty sich als Adams neuesten und besten Freund.

Nur musste er es genau wissen, ob diese Wand nicht ein wenig niedriger und jene Wand ein wenig höher sein konnte? Könnte Adam nicht diese Tür hier einbauen und jene Tür dort? Und würde das ganze Gebäude nicht besser aussehen, wenn die Turnhalle an der Westseite wäre statt auf der Ostseite und das Büro der Schulleiterin im ersten Stock statt im zweiten? Und wie wäre es mit einem kleinen Bereich außerhalb des Gebäudes, wenn Lehrer ihre Klassen draußen unterrichten wollten?

Immerhin gehörte zu seinen liebsten Erinnerungen aus seiner Schulzeit, dass seine Lehrerin ihren Schülern auf dem Rasen vor der Schule Geschichten vorlas.

Adam notierte sich all das, nickte und fand, dass Bürgermeister Pincham den Funktionären der brasilianischen Regierung noch einiges im Schwierigkeitenmachen beibringen könnte.

Leftys Kollegen vom Gemeinderat waren nicht weniger geschwätzig. Die sechs Männer und Frauen saßen um den langen Konferenztisch im Zimmer des Bürgermeisters und ergingen sich in Ooohs und Aaahs beim Aufstellen des maßstabgetreuen Modells der neuen Grundschule, bestanden jedoch darauf, Adam von dem Einraumschulhaus vorzuschwärmen, das Deerhorns Bürger seit Urzeiten bis in dieses Jahrhundert gedient hatte, nahmen das Modell auseinander, sodass die Teile nicht wieder zusammengefügt werden konnten, und holten Fotos von ihren Enkelkindern hervor, die die von Adam gebaute Schule besuchen würden.

„Das Einraumschulhaus hat nicht mehr genug Raum für all die Kids“, sagte der Vorsitzende des Gemeinderates. „Meine kleine Enkelin fährt deshalb jeden Tag mit dem Schulbus in das vierzig Meilen entfernte Geneva zur Schule.“

Adam nickte ernst, während ihm die Frage durch den Kopf ging, ob es in Las Vegas in diesem Sommer sehr heiß sein werde.

„Aber da fehlt etwas“, erklärte der Bürgermeister, als Adam eine Kohlezeichnung ausbreitete, die die Schule zeigte mit einer asphaltierten kreisförmigen Auffahrt, wo die Schüler abgesetzt werden konnten. „Übrigens, wir sind keine Stadtleute … Die Kids laufen zur Schule und nach Hause. Mit Ausnahme natürlich der Vorschüler, die keinen älteren Bruder oder eine Schwester haben, die sie begleiten können.“

Adam notierte sich, dass die Auffahrt überflüssig sei, und fragte sich, ob Ryan Jennings die Gelegenheit ausnutzte, um in einem der Spielkasinos, wenn auch nur wenige Stunden zu verbringen. Er fragte sich auch, ob Ryans Frau sich etwas aus Kasinos machte, und kam zu dem Schluss, dass sie Kasinos zweifellos schrecklich fände. Was ihn zu der logischen Folgerung brachte, dass Deerhorn für ihn verschwendet wäre, genauso, wie Las Vegas für Ryan verschwendet war.

„Mütter der Vorschüler, die kein Auto oder keine Zeit haben, zahlen einem Schüler, der in der Nachbarschaft wohnt, gewöhnlich fünf Dollar im Monat, damit er die Kleinen nach Hause bringt“, berichtete der Vorsitzende des Gemeinderates.

Adam strich mit einem Kohlestift noch deutlicher die asphaltierte Auffahrt aus. Ihm fiel ein, dass das Luxor-Hotel in Las Vegas ihm einen Coupon für ein freies Wochenende geschickt hatte. Verschwendet. Total verschwendet.

„Sieht immer noch zu hart aus“, nörgelte Lefty Pincham.

„Hart?“, fragte Adam.

„Hart.“

„Genau das habe ich auch gerade sagen wollen“, sagte der Vorsitzende des Gemeinderates. „Es ist überhaupt nicht weich. Kalt. Irgendwie unfreundlich. Was hatten Sie vorhin gesagt, welches Material Sie gebrauchen werden?“

„Granit. Wird aus Utah geliefert“, erklärte Adam. „Der feinste Granit, den man außerhalb von Italien bekommen kann. Und Sie werden nur einen geringen Teil der Kosten übernehmen müssen.“

Bei dem Wort Kosten öffneten die Mitglieder des Gemeinderates ihre Schnellhefter mit den Berichten über die finanziellen Ausgaben.

„Mit dem geringen Teil der Kosten habe ich den Einkaufspreis gemeint.“

Die Schnellhefter wurden geschlossen.

„Granit“, sagte Lefty und nickte verdrossen. „Hierin steckt das Problem. Die Schule wirkt zu steinkalt – wie ein Gefängnis. Nicht dass ich jemals ein Gefängnis gesehen hätte. Aber so wird es sein. Bitte, keinen Granit.“

„Wie wär’s mit Glas?“, schlug Adam vor und breitete eine der früheren Entwürfe aus, die der Gemeinderat zurückgewiesen hatte. „J. P. Lasser dachte, dass Ihnen vielleicht dieses hier zusagen würde, wenn wir einige Änderungen vornehmen. Wir könnten einen Stahlbalken quer über das Dach anbringen, sodass das Glas bis zum First reicht.“

Der Bürgermeister sah aus, als ob er in einen besonders sauren Apfel gebissen hätte.

„Es soll keine Respektlosigkeit Lasser gegenüber sein“, sagte der Vorsitzende des Gemeinderates, und all die Mitglieder des Gemeinderates zogen die Köpfe ein bei der Erwähnung des Mannes, der dieses Projekt möglich gemacht hatte. „Aber könnten wir nicht ein weicheres Material für die Außenwände nehmen?“

Adam rieb sich die Schläfen. „Dachten Sie vielleicht an – Baumwolle?“

„Nun, das wäre eine Möglichkeit“, räumte einer der Gemeinderatsmitglieder ein.

Sie nickten alle einstimmig, überlegten bedachtsam, wie eine Schule wohl aussehen würde, die in Lagen von weicher, flaumiger Baumwolle umhüllt wäre.

Adam brauchte zwanzig Minuten, um einen jeden von ihnen davon zu überzeugen, dass diese Möglichkeit aus praktischen Erwägungen nicht ginge.

Bis er seine Pläne in seine Aktenmappe zurückgesteckt hatte und an Betty Carbols Schreibtisch im Vorzimmer vorbeieilte, um das Stadthaus zu verlassen, war es vier Uhr nachmittags.

Zwei Stunden. Zwei Stunden!

Wussten diese Kleinstädter überhaupt, wie man Dinge erledigte?

Die Konferenz hatte zu keinem Beschluss geführt. Sobald der Bürgermeister in der mittleren Schublade seines Schreibtischs seinen Amtshammer gefunden hatte, hatte er ihn hart auf die Schreibunterlage geschlagen und verkündet, dass die Sitzung bis zur nächsten Woche vertagt sei.

„Tanglewood“, sagte Betty Carbol, des Bürgermeisters Sekretärin.

Adam blieb abrupt vor Deerhorns Gemeindeflagge stehen, die gleich neben der Bürotür drapiert war. Er drehte sich um und starrte die kecke ältere Frau an, die hinter ihrem Vorzimmerschreibtisch saß. Sie hatte hochgestecktes Haar und eine eindrucksvolle Sammlung von Armringen um ihr Handgelenk. Sie war gerade dabei, einen knallig roten Lippenstift aufzutragen, wohl als Vorbereitung für den Feierabend.

„Wie bitte?“

„Tanglewood“, wiederholte sie und kritzelte eine Adresse auf einen Notizzettel. „Es ist der einzig anständige Platz in der Stadt. Sie könnten sie nicht zu Burger Joint ausführen nach allem, was sie für Sie getan hat.“

„Wer soll wen ausführen?“

Betty ließ die Handtasche zuschnappen. „Erzählen Sie mir nicht, dass Sie sich nicht daran erinnern können, wem Sie Ihr Kind überlassen haben!“

„Hat sie angerufen?“

„Nur um mir zu sagen, dass sie in Ihr Haus hinüberginge.“

Jetzt erst dachte Adam an die Nachbarin mit dem frischen Gesicht, die ihm halbwegs das Leben gerettet hatte … Immerhin hätten es die Malbücher nicht länger als eine Stunde getan. Allenfalls zwei Stunden. Aber bis um vier Uhr nachmittags!

Stacy war eine Schönheit, wenn auch nicht der Typ Schönheit, der ihm lag. Trug kein Make-up, jedenfalls sah das nicht danach aus. Könnte auch einen fachmännischen Haarschnitt vertragen und eine Spezialbehandlung in einem guten Salon, um die Locken glatt zu ziehen. Adam liebte glattes, glänzendes, gut geschnittenes Haar. Und Overalls waren für seinen Geschmack für eine Frau zu maskulin. Obwohl der Jeansstoff ihren Kurven nicht viel anhaben konnte.

Und dann fiel ihm seine Küche ein. Während er im Stillen an seiner Nachbarin herummäkelte, bot seine Küche ihr einen katastrophalen Anblick.

„Sind Sie in Ordnung?“, fragte Betty. „Sie sehen auf einmal ein wenig spitz um die Nase aus.“

„Nein. Ich meine, ja. Sie ist in meinem Haus? Wirklich in meinem Haus?“

Betty nickte. „Rief um ein Uhr an. Sagte, sie würde rübergehen mit Karen. Ihre Tochter müsse in die Wanne.“

In diesem Moment wurde Adam klar, dass jede Frau, die unvorbereitet seine Küche betrat, die sich seit dem Frühstück in einem verheerenden Zustand befand, es verdiente, an diesem Abend ausgeführt zu werden. Auch wenn sie nicht den ganzen Tag über auf seine Tochter aufgepasst hatte.

„Okay … wohin soll ich mit ihr gehen? Tanglewood?

„Ich habe bereits einen Tisch für halb sechs reservieren lassen. Dachte, dass es lieber ein wenig später sein sollte, damit die beiden Mädchen sich frisch machen können. Sagen sie Stacy, ich hätte angeordnet, dass sie ein hübsches Kleid aus ihrem Schrank holt. Nicht diese Overalls, ts, ts.“

„Danke.“

Betty zwinkerte ihm zu. „Keine Ursache, Darling“, erwiderte sie lächelnd, und bevor sie an ihm vorbei zur Tür hinausging, fügte sie hinzu: „Sie wissen hoffentlich, dass Stacy sehr hübsch ist.“

„Ja“, stimmte Adam ihr vorsichtig zu.

„Und sie ist Single.“

„Aha.“

„Und ich darf wohl behaupten, dass ich recht weltoffen bin und Sie ein weltkluger Mann sind. Ich meine, dass achtundzwanzig für eine Frau nicht zu alt ist, meinen Sie nicht auch?“

„Nein … natürlich nicht.“

„Und sie ist gut zu Kindern. Und Hunden. Und Pflanzen.“

„Alles sehr gute Qualitäten.“

„Würde einem Mann eine ausgezeichnete Frau abgeben.“

Adam kniff die Lippen zusammen. Nichts, aber auch nichts würde ihn von jetzt davon abhalten, sich seine Arbeitsaufträge selbst auszusuchen. Er mochte Vegas verpasst haben, doch dafür würde er einen Ausgleich verlangen!

„Kein Zweifel, dass sie eine wunderbare Ehefrau sein würde“, sagte er achtsam.

„Ich glaube kein Wort von diesem Gerede, sie sei Männern gegenüber scheu. Sie hat Feuer in sich. Und es ist schon eine Schande mit ihrem Vater, der vor zwei Monaten starb“, fuhr Betty fort und kehrte ganz lässig noch einmal zu ihrem Schreibtisch zurück, als ob sie noch etwas vergessen hätte. „Jetzt hat sie das große Haus für sich allein … Stacy, die so unschuldig und so erfrischend ist, nicht wie diese modernen Frauen dieser Tage, die nehmen, was sie bekommen können. Und sie ist eine durch und durch praktische und vernünftige Person. Aber mit dem richtigen Mann könnte sie lockerer werden. Sie könnte wie Wachs in …“

Adam erinnerte sich an J. P. Lassers Worte: Bringen Sie den Auftrag in Deerhorn zu Ende. Aber schnell. Und unter dem Kostenvoranschlag … vor allem, da es ja ein Geschenk ist. Absolut keine Verwicklungen mit den Einheimischen! Danach werden Sie niemals, aber auch wirklich niemals wieder diese Art von Pflicht auf sich nehmen müssen!

„Miss Carbol, es soll keine Zurückweisung sein, aber im Augenblick habe ich keine Zeit, um mich mit einer Frau zu treffen.“

Betty legte eine blau geäderte Hand feierlich auf ihren üppigen Busen. „Aber ich bitte Sie. Ich schwöre, dass ich so etwas niemals vorgeschlagen habe.“

Auf der Fahrt durch Deerhorns Straßen hielt Adam sich vor, dass es nur angemessen sei, Stacy Poplar zum Essen auszuführen. Es war eine nachbarschaftlich-freundliche Geste.

Und nur der Himmel allein wusste, wie oft er noch in den kommenden Tagen in eine Notlage geraten könnte.

Eigentlich sollte er sie sogar fragen, ob sie nicht einen Job haben möchte. Wenn er ihr das zahlte, was er seinen Haushälterinnen in Chicago zahlte, würde es auf alle Fälle mehr sein, als was sie hier in der Umgebung bekommen könnte.

Er fuhr seinen Beamer in die Garage und blickte über den Rasen hinweg zum Haus seiner Nachbarin. Ja, biete ihr einen Job an. Jeden Tag nach der Schule. Manchmal auch an den Wochenenden. Wenn sie willens war, Karen über Nacht bei sich zu behalten, könnte er einen Kurztrip nach Chicago machen, um seine Batterien aufzuladen.

Mit Amanda. Oder Basha. Oder Chynna.

Oder mit irgendeiner der Frauen, die alphabetisch sauber geordnet in seinem schwarzledernen Telefonbuch standen. Er würde nicht einmal mit diesen Frauen schlafen müssen. Nur die Gelegenheit haben, in einen Klub zu gehen und sich bei einem guten Essen gut zu amüsieren. Das allein wäre genug.

Er würde dieser kleinen Miss Baum erzählen, dass es bei ihm gewöhnlich morgens nicht so ablief, wie es heute geschah. Er würde ihr eine Sonderzulage geben, wenn sie auch sauber machte oder kochte oder sich um die Wäsche kümmerte.

Er würde das gewinnendste Lächeln aufsetzen.

Er öffnete die Küchentür.

Und blieb wie vom Donner gerührt stehen.

Die Küche sah nicht anders aus als an dem Tag, wo der Makler sie ihm gezeigt hatte, nur knapp drei Minuten nach der Unterzeichnung des Mietvertrags. Nur roch sie jetzt besser – nach Putzmittel und Vanille.

Er ging auf Zehenspitzen zum Herd, fuhr mit dem Finger über die Herdplatte, die seit einer Woche verkrustet gewesen war mit verkohltem Fett von seinem verunglückten Versuch, Frikadellen zu braten.

Die Herdplatte fühlte sich unter seinem Finger glatt an, so als ob sie mit Talk gepudert worden wäre.

Adam öffnete den in den Angeln quietschenden Geschirrspüler. Glänzende Teller und kristallklare Gläser mit winzigen Wasserperlen auf den Rändern.

Er stellte seinen Fuß hierhin. Dorthin. Da drüben hin.

Sein Schuh glitt über einen Boden, der bis zur Perfektion gefeudelt worden war. Nichts von dem vergossenen und verklebten Saft war mehr zu merken.

So gut wie eingestellt, dachte er. Ich stelle sie sofort ein.

„Karen? Miss Poplar?“

Adam marschierte ins Wohnzimmer … Die ihm aus Chicago täglich nachgeschickten und überall verstreut herumliegenden Tageszeitungen waren zur Wiederverwertung säuberlich gestapelt und mit einem weißen Band zusammengebunden. Die sieben Tassen – für jeden Tag der Woche eine – waren vom Couchtisch geräumt. Die Staubflocken waren verschwunden.

Adam fand, dass er es wagen könne, sich auch oben umzuschauen.

Oben war es sogar noch ordentlicher, roch eindeutig femininer, wie nach Pfirsich und Puder. Jedes Zimmer erwies sich als so sauber, wie er es eigentlich nur vom Hörensagen kannte. Sein Arbeitszimmer erschien ihm auf Anhieb, als ob niemand es betreten hätte. Nur war es jetzt blitzblank, oh ja …

Sie weiß, dass sie gewisse Dinge nicht verändern darf, dachte Adam verwundert und höchst befriedigt.

Stacy wusste, dass ein Bleistift auf seinem alten Platz zu bleiben hatte, genauso das Notizbuch eines Bauunternehmers und das Musterbuch mit den Farbproben. Sogar die zerknüllten Papierseiten, die auf seinem Zeichentisch verstreut herumlagen, schienen unberührt. Nun, ein Mann konnte nie wissen, ob er nicht vielleicht doch einen zweiten Blick nötig hätte.

Sie wäre genau richtig, dachte Adam.

Nein, sie wäre nicht nur genau richtig.

Sie würde perfekt sein.

Perfekt, perfekt, perfekt.

Vergiss den Haarschnitt, das Make-up und auch die Overalls.

Zu bedenken wäre nämlich, dass sobald dieser Mangel korrigiert würde, es Stacy womöglich anfällig für andere Angebote machen könnte.

Bring dich dazu, diese Overalls zu mögen, hielt Adam sich vor. Schau ihr einfach nicht auf die Finger mit den kurz geschnittenen Nägeln. Besorg ihr keinen Haartrockner. Und lass diese Frau absolut nicht in die Nähe einer Illustrierten mit der Anzeige für Lippenstifte, die den ganzen Tag über haften bleiben.

„Karen?“, rief er und ging zum Zimmer seiner Tochter.

Das Bett war gemacht, der Quilt mit den kleinen Ponys lag gefaltet am Fußende. Mugs schlief zusammengerollt auf einem Kissen mit spitzenbesetztem Bezug. Unten im Wohnzimmer schlug die Standuhr einmal an. Es war halb fünf. In einer Stunde würde er sie zum Essen ausführen.

Er würde wie nebenbei das Thema Einstellung aufbringen.

Sie würde ja sagen. Er wäre gerettet.

„Wo sind die beiden, Mugs?“

Mugs blickte mit verschlafenen Augen hoch und schmiegte den Kopf wieder in das daunenweiche Kissen.

„Du bist mir aber eine Hilfe. Karen?“

Keine Antwort.

„Miss Poplar?“

Stille.

Adam drehte sich zur Tür um. Er würde im Hinterhof nachschauen, obwohl er niemanden gesehen hatte, als er den Wagen in die Garage fuhr. Er würde hinübergehen zu dem kleinen altmodischen Haus. Vielleicht erholten sie sich dort von dem Reinmachewirbel.

In diesem Moment erblickte er zwei Füße.

Zierlich. Rosa. Von glatter Haut.

Die Zehennägel trugen einen Hauch von Nagellack.

Adam bückte sich, schaute unters Bett und fand seine Tochter dicht neben Stacy Poplar. Beide schliefen.

Sie ist perfekt, entschied Adam und fuhr mit dem Zeigefinger über den glatten, staubfreien Boden.

Perfekt.

Seine junge Nachbarin war perfekt für sein Haus. Für seine Tochter.

Nur die zarten Füße, so überraschend gepflegt, beunruhigten ihn ein wenig.

War an dieser Miss Stacy Poplar doch mehr dran, als er angenommen hatte?

Doch wen sollte das kümmern, solange er Deerhorn im September ade sagen konnte.

5. KAPITEL

„Okay, ihr zwei, kommt da heraus.“

Die zarten Füße mit den hellrosa gelackten Zehennägeln verschwanden mit einem Ruck unterm Bett.

„Will aber nicht rauskommen“, murmelte Karen mit dösiger Stimme. „Will weiterschlafen.“

„Karen, bitte …“, sagte Adam.

Dem folgte eine gedämpfte Beratung, die damit endete, dass Stacy unter dem Bett hervorkroch. Adam reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Ihre rotgoldenen Locken standen nach allen Seiten ab, und die Sommersprossen quer über ihrer Nase schienen mehr rosa als blassbraun zu sein, wie er sich vom Morgen her erinnern konnte. Ihr Overall saß eng genug an den richtigen Stellen.

Betty Carbol hatte absolut recht. Miss Stacy konnte gut mit Kids umgehen und mit Pflanzen, das heißt, wenn ihr Garten nicht von einem Gärtner gestaltet wurde.

Sie war sehr schön, falls man auf dieser Art von Schönheit stand, und Adam fragte sich, was Stacy davon abgehalten hatte zu heiraten. Doch eigentlich war es für ihn klar, dass Deerhorn sich nicht sehr viel vom Rest der übrigen kleinbürgerlichen Welt, die er auf seinen Reisen auch zu sehen bekommen hatte, unterschied. Frauen heirateten jung, und achtundzwanzig Jahre alte alleinstehende Frauen wurden als ungewöhnlich und exzentrisch eingestuft … nicht selten sogar als altjüngferlich. Und man sagte ihnen oft genug nach, dass das Leben an ihnen vorbeigegangen sei. In New York, Chicago und anderen Großstädten in Amerika jedoch war eine unverheiratete Frau, die die fünfunddreißig oder sogar die vierzig überschritten hatte, einfach nur – ein Single.

„Tut mir leid, dass ich spät dran bin“, sagte er. „Ich habe immer wieder angesetzt, dass ich unbedingt zu Hause anrufen müsse, aber der Bürgermeister hat mich nicht zu Wort kommen lassen.“

„Das überrascht mich nicht“, sagte Stacy gleichmütig.

Adam erinnerte sich an Affie, seine letzte Haushälterin, an ihr Aufbrausen. Affie war nicht so leicht zu versöhnen gewesen.

„Ich möchte mich erkenntlich zeigen“, sagte er. „Sie haben mir heute aus einer großen Patsche geholfen.“

„Ich habe nichts Besonderes getan“, entgegnete Stacy und blickte zu Karen hinüber, die auf der anderen Seite unter dem Bett hervorgekrabbelt war. „Nun ja, es war doch etwas Besonderes. Ich habe einen sehr besonderen Tag mit einer sehr besonderen Freundin verbracht.“

Adam starrte verblüfft seine Tochter an. Karens Haar war ordentlich gekämmt, sie hatte ein fröhliches Lächeln auf ihrem Gesicht, und das erste Mal seit drei Wochen waren ihre Knie nicht schwarz und ihre Fingernägel geschnitten. Sie trug ein Kleid aus rosa Baumwolle, bestickt mit Gänseblümchen um den Saum herum.

Das Kleid war ein wenig zu chic für einen gewöhnlichen Sommernachmittag. Aber dann fiel Adam ganz schnell ein, wie schwierig es war, Karen dazu zu bringen, sich umzuziehen. Sie war ein Dickkopf ersten Grades, was ihn erst letzte Woche so zur Verzweiflung gebracht hatte, dass er zur Bücherhalle geeilt war, um in den diversen Publikationen – vergeblich – nach einem Handbuch mit praktischen Erziehungsanleitungen zu suchen. Zum Beispiel unter dem Punkt: Wie bringe ich ein Kind dazu, in die Badewanne zu steigen und ein frisches Kleid anzuziehen?

Er blickte Stacy an – die Frau, die Wunder vollbrachte. „Wie wär’s, wenn wir essen gingen?“

Stacy schüttelte den Kopf. „Lieber nicht.“

„Hey, wunderbare Lady, sagen Sie nicht nein. Sagen Sie ja. Tanglewood?

„Es ist nett gemeint, aber nein, danke.“

Okay, die Lady zierte sich gern. Na wenn schon. Aber irgendwie konnte Adam es auf einmal besser verstehen, warum sie in einem doch durchaus fortgeschrittenen Alter hier in Deerhorn ohne Familienanhang lebte.

Ein Mann musste offensichtlich einiges daransetzen, um sich ein Rendezvous mit ihr zu verschaffen.

Es ist kein Rendezvous, ermahnte Adam sich schnell.

„Ich habe einen Tisch reservieren lassen.“

Stacy sah ihn groß an. Wie kann man nur so lügen, drückten ihre Augen aus.

„Ich meine, Betty hat es getan. Aber es kommt aufs selbe raus.“

„Warum gehen Sie nicht mit Karen zum Essen?“

„Hat Tanglewood Pommes?“, wollte Karen sogleich wissen und legte die Arme um Adams Taille.

„Wohl nicht. Es ist ein vornehmes Lokal“, antwortete Adam.

Karens Begeisterung ließ sofort nach. Was kein Wunder war. Während der letzten Wochen, bevor sie Chicago verließen, hatte Adam seine Tochter mit zu den feudalsten Restaurants genommen … zu Essen mit früheren Auftraggebern, zukünftigen Auftraggebern, Freunden aus der Studienzeit, Bauunternehmern, Vertragslieferanten. Sie alle hatten die ersten dreißig Sekunden viel Wirbel um Karen gemacht, um sie dann den Rest der Zeit völlig zu ignorieren. Mitsamt ihren Malbüchern.

Karen verzog das Gesicht.

„Warum entspannen Sie sich heute Abend nicht zu Hause?“, schlug Stacy vor.

Halt stopp! Frauen sagten nicht einfach nein.

Adam lächelte berechnend. Dieses Lächeln … Es brachte mühelos Sekretärinnen dazu, die Verhandlungsberichte ohne Murren sofort zu tippen, davon hundert Kopien zu machen, sie auf die richtige Anzahl zu prüfen und sie schließlich einzeln in Plastikfolie abzuheften. Es veranlasste die weiblichen Angestellten bei den Flugschaltern dazu, ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen andere Passagiere freundlich, aber bestimmt umzubuchen, damit Adam einen Sitz beim erstmöglichen Flug bekommen konnte. Dieses Lächeln hatte ihm Frauen eingebracht … so viele Frauen.

„Ich gehe jetzt nach Hause“, verkündete Stacy und schlüpfte an Adam – und seinem Lächeln – vorbei.

Komisch, dieses Lächeln scheint in Wisconsin nicht anzukommen, dachte Adam und folgte Stacy und Karen die Treppe hinunter.

„Nun ja, ich danke Ihnen, dass Sie auf Karen achtgegeben haben“, sagte er etwas lahm. „Und auch für die Küche. Ich bin heute nicht zum Saubermachen gekommen.“

Stacy sah ihn mit ihren großen bernsteinfarbenen Augen aufmerksam an.

Sie wusste es.

Und er wusste, dass sie wusste.

Sie wusste, dass er wusste, genau, wie sie wusste, dass die Küche seit dem Tag, wo er sie zum ersten Mal betreten hatte, nicht sauber gemacht worden war.

„Keine Ursache“, erwiderte Stacy und öffnete die Eingangstür in einer anmutigen Bewegung. „Zögern Sie nicht, mich zu rufen, falls Sie mich wieder brauchen. Karen hat mir heute bei der Gartenarbeit geholfen, und sie hat sich sehr geschickt angestellt.“

Sie umarmte Karen noch einmal rasch, und bevor es Adam so richtig klar wurde, stand er auf der Veranda und war ganz baff über das Hin- und Herschwingen von Miss Stacys Hüften, während sie den Rasen zu ihrem Haus überquerte. Mugs bellte kurz, und es klang fast wie ein Bedauern.

Autor

Vivian Leiber
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Nikki Benjamin
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Pat Warren
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