Bittersüße Heimkehr

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Eine süße Sache! Der reiche Jack Travers weiß genau, dass er die Fehler seines Vaters nicht wieder gutmachen kann. Aber Eve soll darunter nicht länger leiden. Ihre Ahornsirup-Produktion braucht seine Unterstützung. Und sie auch …


  • Erscheinungstag 17.01.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733772895
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ich hätte nicht ans Telefon gehen sollen, dachte Eve Larkin.

„Ich habe ihn selbst gesehen, Eve“, vertraute Agnes Waters ihr aufgeregt an. „Ich half Mary gerade, ihre Einkäufe zum Auto zu tragen, als dieser schwarze Wagen mit New Yorker Nummer die Hauptstraße entlangkam. Er lebt jetzt in New York, musst du wissen.“

Sie senkte die Stimme. „Meine Cousine im Amtsgericht hat seine Adresse gesehen, als er das Grundstück ins Grundbuch eintragen ließ. Du weißt ja, dass wir um diese Jahreszeit nicht viele Touristen hier haben, also habe ich mir den Wagen besonders gut angesehen“, plapperte die Besitzerin des Gemischtwarenladens in Maple Mountain weiter. „Und er war es ohne Zweifel. Ich habe noch zu Mary gesagt, dass ich der armen Eve sofort erzählen muss, dass Jack Travers hier ist.“

Der armen Eve.

Bei dieser Bezeichnung zuckte Eve zusammen, zumal die Neuigkeit wirklich nicht gerade gut war. „Danke, dass du an mich gedacht hast, Agnes“, sagte sie.

„Ist doch selbstverständlich“, erwiderte die ältere Frau mit Nachdruck. „Nach allem, was sein Vater deinem angetan hat, ist es eine Frechheit, dass er es überhaupt wagt, hier aufzutauchen. Zumal ich mir gar nicht vorstellen kann, warum er das möchte, wo er doch hier nur Feinde hat.“

Ihre Entrüstung wuchs mit jedem Wort. „Zum Beispiel dieses Stück Land, das er gekauft hat. Der Gemeinderat wird auf keinen Fall zulassen, dass er auf diesen vier Hektar irgendwelche neumodischen Eigentumswohnungen baut. Ich jedenfalls glaube nicht daran, dass er sich dort nur ein Ferienhaus hinstellen will. Mary meinte, das wäre wohl möglich, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum er ausgerechnet dort Urlaub machen will, wo weder er noch der Rest seiner Familie willkommen sind.“

Eve zog die Spiralschnur des altmodischen Telefonhörers lang und angelte ihren blauen Winterparka vom Garderobenhaken. Seit zwei Wochen war Jack Travers jetzt schon das Gesprächsthema Nummer eins in Maple Mountain. Wann immer sie zur Post, ins Gemeindehaus oder in den Gemischtwarenladen kam, redeten die Leute darüber, dass Jack Travers das Grundstück gekauft hatte – was zwangsläufig zu den alten Geschichten darüber führte, was sein Vater ihrem angetan hatte. Sobald sie Eve bemerkten, breitete sich jedoch betretenes und mitfühlendes Schweigen aus.

Sie war jetzt siebenundzwanzig, und noch immer wagte niemand offen vor ihr darüber zu sprechen, wie Ed Travers ihren Vater ruiniert hatte. Das Grundstück, um das es nun ging, hatte früher ihrem Vater gehört. Das Land war Teil seiner Ahornplantage, wo er aus den Bäumen vorsichtig den kostbaren Saft gewann, um daraus Ahornsirup zu machen. Er hatte dieses Grundstück als Sicherheit für ein Darlehen von Jacks Vater benutzt, um neue Maschinen zu kaufen. Allerdings hatte er es nicht geschafft, das Geld pünktlich zurückzuzahlen, und Ed Travers war nicht bereit gewesen, es ihm einen Tag länger als vereinbart zu stunden. Er hatte das Land zwangsversteigern lassen, und es war weit unter Wert an einen Fremden gegangen.

Eves Vater und seine Ahornplantage hatten sich von diesem Schlag nie erholt. Ohne die Bäume auf dem Grundstück verringerte sich das Einkommen aus der Sirupproduktion um ein Drittel.

Und nun rief Agnes sie an, um sie vor Jacks Rückkehr zu warnen. Offenbar wartete sie auch auf eine Antwort – damit sie etwas Neues mitzuteilen hatte, wenn der nächste Kunde in den Laden kam.

Wie die meisten Einwohner der ländlichen Gemeinde Maple Mountain in Vermont klatschte Agnes nicht aus Böswilligkeit, sondern eher aus Gemeinschaftssinn. Hier draußen gab man aufeinander acht, und Außenseiter hatten einen schweren Stand. Stets über die Privatangelegenheiten von allen Einwohnern informiert zu sein, betrachtete Agnes nicht als Neugier, sondern als heilige Pflicht.

„Wir werden wohl abwarten müssen, was er vorhat“, erwiderte Eve vernünftig wie immer. „Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er sich hier besonders wohlfühlen wird.“

Genau wie die anderen Einwohner fragte auch sie sich, warum Jack das Grundstück gekauft hatte, das an ihres grenzte. Alle paar Jahre hatte es zum Verkauf gestanden, weil die auswärtigen Investoren immer schon nach kurzer Zeit einsahen, dass sich ihre hochfliegenden Pläne nicht verwirklichen ließen.

Jack Travers dagegen wusste genau, dass er vier Hektar schwer bebaubares Hügelland erstanden hatte, schließlich hatte er als Junge Eves Vater beim Zapfen des Ahornsafts geholfen.

Den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, schlüpfte Eve in ihren Parka. Auf dieses Zeichen hin sprang Rudy, ihr Golden Retriever-Mischling, aus seinem Korb unter dem Schreibtisch und setzte sich neben die Tür. Seine dunklen Augen funkelten erwartungsvoll.

„Tut mir leid, Agnes“, sagte Eve und griff nach ihrer grauen Fleecemütze. „Ich muss mich beeilen. Ich wollte mir schnell etwas zu essen holen, bevor ich die nächste Ladung eindampfe.“

Sie ging mit dem Hörer wieder in Richtung Telefon und zog dabei ihre Handschuhe aus der Jackentasche. Wenn sie noch vor Einbruch der Dunkelheit eine Pause haben wollte, beeilte sie sich besser. „Danke für deinen Anruf, Agnes. Ich muss jetzt Schluss machen. Bis bald.“

Agnes nahm es ihr nicht übel, dass sie das Gespräch so schnell beendete. Wie alle Einheimischen wusste sie, dass das Veredeln von Ahornsaft zu Sirup ein zeitaufwendiger Prozess war, der während der kurzen Erntezeit den Tagesablauf aller Sirupproduzenten bestimmte. Außerdem war sie natürlich darüber informiert, dass Charlie, Eves einzige Hilfskraft, wegen eines Gichtanfalls zurzeit ausfiel.

Kaum hatte Eve aufgelegt, als Rudy wie immer anfing, vor der Tür aufgeregt im Kreis zu laufen. Sie liebte ihn dafür, dass er so berechenbar reagierte. Ihr Leben war immer unvorhersehbar gewesen und hatte ihr oft unangenehme Überraschungen beschert. Von Veränderungen hatte sie mehr als genug.

Sie zog die Mütze über ihren langen, rotbraunen Pferdeschwanz und lächelte dem Hund zu, als sie die Tür des verwitterten Gebäudes öffnete, das in der Sprache der Siruphersteller „Zuckerhütte“ hieß.

Rudy schoss hinaus in die Kälte und rannte mit der Nase am Boden durch den dreißig Zentimeter hohen Schnee, der im Sonnenschein funkelte.

Eve folgte ihm langsam auf dem Pfad, der zwischen Bäumen hindurch zu ihrem schneebedeckten Garten und ihrer hinteren Veranda führte. In ein paar Wochen würde der Schnee vielleicht schon geschmolzen sein. Sie freute sich auf die Krokusse und Osterglocken, die sie im Herbst gesetzt hatte. Doch der Gedanke an ihren frühlingshaften Garten lenkte sie nur kurz ab.

Noch immer dachte sie darüber nach, warum Jack an den Ort zurückgekommen war, an dem man seinen Nachnamen mit Gier und Verrat gleichsetzte und noch immer den armen Stan Larkin bedauerte, seine arme Frau und die arme Eve.

Eve zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie daran dachte, dass dieses Adjektiv so etwas wie ihr zweiter Vorname geworden war. Dass die Neuigkeit über Jack sie nun wieder zum Tagesthema in Maple Mountain machte, war ihr genauso unangenehm wie die mitleidigen Blicke.

Ihr war oft genug der Boden unter den Füßen weggezogen worden, und jahrelang hatte sie gleichsam den Atem angehalten, weil sie den nächsten Schicksalsschlag fürchtete. Nur langsam war sie über die ständige Angst hinweggekommen, doch die Nachricht über Jacks Rückkehr ließen ihre alte Hilflosigkeit und Unsicherheit wieder in ihr aufsteigen.

Dabei hatte sie gelernt, sehr gut allein zurechtzukommen. Sie war mit ihrem Leben zufrieden, hatte ein halbwegs gesichertes Einkommen, und über Langeweile konnte sie sich auch nicht beklagen.

Durch die stille Märzluft klang Motorengeräusch. Eve blieb wie angewurzelt stehen, als sie den schwarzen BMW mit der New Yorker Nummer die Auffahrt zu ihrem Haus hinaufkommen sah. Das zweistöckige Haus mit der einladenden umlaufenden Veranda war ihr ganzer Stolz, seit sie es letzten Sommer eigenhändig gestrichen hatte – strahlend weiß mit dunkelblauen Akzenten.

Unter der kahlen Platane neben dem ehemaligen Stall, den sie zur Garage umgebaut hatte, blieb der Wagen stehen.

Neben ihr knurrte Rudy laut und vernehmlich.

Sie streichelte seinen runden Kopf. „Schon gut“, murmelte sie beruhigend. „Wir werden sehen, was er will.“

Aus dem Wagen stieg jetzt ein großer, dunkelhaariger Mann, den sie als Jack Travers erkannte, obwohl sie erst zwölf gewesen war, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Viele der alltäglichen Erinnerungen an ihre gemeinsame Kinderzeit waren in den vergangenen fünfzehn Jahren verwischt, doch sie hatte nie vergessen, dass er für sie wie der große Bruder gewesen war, den sie sich immer gewünscht hatte.

Jack hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Seine dicke Jacke stand offen, was seine breiten Schultern betonte. Er blickte vom Haus zu der Rauchwolke, die aus dem Schornstein der Zuckerhütte aufstieg, und sah schließlich Eve auf dem Pfad.

Als er auf sie zukam, verkrampfte sich ihr Magen. Schon damals war er überdurchschnittlich groß gewesen, doch jetzt wirkte er riesig und dazu sehr durchtrainiert.

Niemand schien zu wissen, womit er sein Geld verdiente, doch er strahlte Erfolg und Machtbewusstsein aus. Sie kannte diesen Typ nur zu gut. Männer wie er stiegen oft mit ihren ebenso arroganten wie verwöhnten Ehefrauen oder Freundinnen in der Frühstückspension ab, die Eve und ihre Mutter nach dem Tod ihres Vaters eröffnet hatten.

Jack betrachtete sie unverhohlen, und sie erwiderte seinen prüfenden Blick, um einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht. Er wirkte reifer als früher, was seinen fein geschnittenen Zügen jedoch gut stand.

Seine Mutter war einmal die beste Freundin ihrer Mutter gewesen, und seine Ähnlichkeit mit Ruth Travers war auffallend. Sein kurz geschnittenes, schwarzes Haar glänzte wie ihres, und er hatte auch die langen, dunklen Wimpern geerbt. Alles andere dagegen wirkte geradezu aufreizend männlich: die strahlend blauen Augen unter den dichten dunklen Brauen, die gerade Nase, das markante Kinn.

Eve konnte sich nicht daran erinnern, dass er damals auch schon so gut ausgesehen hatte. Aber sie war ja auch erst zwölf gewesen, und als relativer Spätentwickler hatte sie damals ihr Pferd Chaps attraktiver gefunden als jeden Mann.

Er lächelte zögernd und ließ seinen Blick von ihrem ungeschminkten Gesicht über ihre schlanke Gestalt und wieder zurück wandern. Auch er schien sie wiederzuerkennen.

„Hi, Eve.“ Seine tiefe, warme Stimme klang verhalten. „Es ist schon lange her. Ich bin Jack. Jack Travers“, fügte er hinzu, als sie keine Reaktion zeigte.

„Ich weiß, wer du bist.“

Als er ihr kurz zunickte, bemerkte sie das kleine Grübchen in seinem Kinn. „Ja, das habe ich mir gedacht.“

An seinem Kiefer zuckte ein Muskel, als er von ihr zur Zuckerhütte sah, über der eine Rauch- und Dampfwolke stand. „Ist dein Vater da?“

„Mein Vater?“ Die Frage kam völlig unerwartet. „Mein Vater ist vor langer Zeit gestorben.“

Er öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder. Fassungslos fragte er: „Stan ist tot?“ Offensichtlich hatte er damit nicht gerechnet. „Ich meine, es tut mir sehr leid“, verbesserte er sich hastig. „Ich hatte keine Ahnung.“ Prüfend betrachtete er ihr Gesicht. „Wann ist er gestorben?“

„Vor zwölf Jahren.“

Auch das schien ihn zu überraschen. Als Eve nichts weiter sagte, fragte er: „Und deine Mutter? Kann ich sie sprechen?“

Eve trat einen Schritt zurück. Offensichtlich wusste er nichts von den Ereignissen, die letztendlich ihre Eltern ins Grab gebracht hatten, und diese Unkenntnis war wie eine Ohrfeige für sie. „Meine Mutter lebt auch nicht mehr.“

Ihre leise Antwort schnürte ihm die Kehle zu. Er wusste, wie nahe sie ihrer Mutter gestanden hatte. Ihren Vater hatte sie geradezu angebetet.

„Eve“, sagte er leise, „es tut mir sehr leid, wirklich. Ich wusste nichts davon.“ Er merkte selbst, wie unzureichend seine Worte klangen. „Meine Mutter auch nicht. Sie wird sehr traurig sein.“

Sie wandte den Blick ab und trat noch einen Schritt zurück. Erst nach einer ganzen Weile murmelte sie: „Danke.“

Es überraschte ihn nicht, dass sie ihm misstraute, doch darauf, wie sehr ihn ihre Verletzlichkeit rührte, war er nicht gefasst.

In seiner Erinnerung war sie ein stilles, hochgewachsenes junges Mädchen mit langen, roten Haaren gewesen. Sie hatte ihn an seine Schwester Liz erinnert, und er hatte sie auch wie eine kleine Schwester behandelt und umsorgt.

Bis zu dem Tag, an dem er sie im Stich gelassen hatte.

Nie hatte er den Moment ihres letzten Zusammentreffens vergessen, genauso wenig wie den gehetzten Ausdruck in ihren großen grauen Augen. Er war gekommen, um die Ersatzschlüssel für den Pick-up ihres Vaters zurückzubringen, den er benutzt hatte, um totes Holz aus der Ahornplantage zu ziehen. Eve hatte Hand in Hand mit ihrem Vater auf der Veranda gestanden. Als Jack ihm die Schlüssel reichte, hatte Eve zu ihm aufgeblickt und ihn flehend angesehen – eine stumme Bitte, ihre Welt wieder in Ordnung zu bringen.

Er wusste nicht mehr, was er zu Stan gesagt hatte, doch die Tränen, die Eve übers Gesicht liefen, als er sich abwandte, hatte er nie vergessen. Ihre Traurigkeit und Verständnislosigkeit hatten ihn tief getroffen. „Dann muss ich wohl mit dir reden“, sagte er.

Sie war kein kleines Mädchen mehr. Ihre ungeschminkten Lippen waren weich geschwungen, ihr Teint klar und strahlend. Von ihrer Figur ließ sich unter dem schweren Parka nicht viel erkennen, doch ihre zarten, von der Mütze umrahmten Gesichtszüge wirkten engelsgleich, was ihr einen Anschein von Zerbrechlichkeit gab.

„Können wir reingehen?“, fragte er, als er seine Vorgehensweise überdachte. „Ich brauche nur ein paar Minuten.“

Als ob schon ein paar Sekunden zu viel wären, wandte sie sich von ihm ab. „Tut mir leid, aber ich habe keine Zeit für Besucher.“

Er machte einen Schritt auf sie zu, streckte die Hände aus und hielt sie am Arm fest. Es gab wichtige Gründe, mit ihr zu reden. Doch als sie ihn aus großen Augen ansah, vergaß er sie alle. Selbst durch die dicke Jacke spürte er, wie Eve bei seiner Berührung erstarrte.

Sie standen so dicht voreinander, dass er die kleinen silbernen und bronzefarbenen Pünktchen in ihren grauen Augen sehen konnte. Doch sein Blick fiel auf ihre vollen, roten Lippen, und er spürte ein schmerzhaftes Ziehen in der Leistengegend.

Das er schlagartig vergaß, als er das tiefe, drohende Knurren ihres Hundes hörte. Hastig ließ er sie los. Er hatte mit einem kühlen Empfang gerechnet, doch nun stand er vor einer völlig veränderten Situation. „Ich bin nicht nur auf einen Besuch gekommen, Eve“, sagte er. Angesichts des Hundes an ihrer Seite war nun er es, der einen Schritt zurückwich. „Ich will etwas mit dir besprechen, aber dazu müsstest du mich anhören.“

„Wenn du hier bist, um mir zu sagen, dass du das Nachbargrundstück gekauft hast, vergiss es. Das weiß schon die ganze Stadt.“

„Schön zu wissen, dass die örtliche Gerüchteküche noch arbeitet. Aber die inoffiziellen Berichte sind nicht vollständig, weil niemand weiß, was ich mit dem Land anfangen will.“

„Das ist deine Sache“, sagte sie und versuchte, an ihm vorbeizukommen. „Und die des Gemeinderats. Sie werden sämtliche Anträge abschmettern.“

„Der Gemeinderat hat in dieser Sache überhaupt nichts zu melden“, beharrte er und stellte sich ihr wieder in den Weg, den Hund immer im Auge. „Ich habe das Land gekauft, um es deinen Eltern zurückzugeben.“

Verunsichert blickte sie ihn an.

„Mein Vater ist letztes Jahr gestorben“, erklärte er. „Meine Mutter fand es schrecklich, was zwischen unseren Familien geschehen ist, und mich hat es auch immer belastet. Ich wollte das Grundstück zurückgeben und euch um Verzeihung bitten. Ich hatte ja keine Ahnung, dass deine Eltern gestorben sind. Als ich den Immobilienmakler fragte, der das Land für mich kaufte, erfuhr ich, dass die Firma Larkin Ahornprodukte noch besteht, also nahm ich an, dass dein Vater sie führt. Die Abtretungsurkunde, die ich mitgebracht habe, ist auf seinen Namen ausgestellt.“

Er berührte die Jackentasche, in der das Dokument steckte. „Ich werde sie neu ausstellen lassen, das dauert nicht lange. Dazu bräuchte ich nur deinen vollen Namen. Ich kenne dich nur als Eve.“

Sein Blick fiel auf ihre Hand, doch wegen der Handschuhe konnte er nicht sehen, ob sie einen Ring trug. „Heißt du noch Larkin, oder bist du verheiratet?“

Sprachlos sah Eve den Mann an, der den Weg zu ihrem Haus blockierte. Er wollte ihr das Land zurückgeben. Sie hatte sich alles Mögliche ausgemalt, doch darauf wäre sie nie gekommen.

Leider hatte er die lange Reise umsonst gemacht. „Mein Name spielt keine Rolle.“

„Natürlich, ich brauche ihn, um die Urkunde ändern zu lassen.“

„Du brauchst sie nicht zu ändern.“

„Eve“, sagte er, um Geduld bemüht. „Ich weiß nicht, wie die Grundsteuer hier abgerechnet wird, aber es ist viel einfacher, wenn das Land auf deinen Namen eingetragen ist. Dann gibt es keine Rückfragen und keine Probleme, es gehört einfach wieder dir.“

„Aber ich will es nicht.“

Überrascht hob er die Augenbrauen. Darauf war er offensichtlich nicht vorbereitet gewesen.

Warum sollte es ihm auch besser gehen als ihr? Sie war ja ebenso überrascht – von seinem Angebot, aber auch von seiner verstörenden Ausstrahlung. Während er sie aus seinen stahlblauen Augen eindringlich betrachtete, spürte sie seine Anspannung genauso stark wie ihre. Gleichzeitig breitete sich unter seinem Blick eine innere Hitze aus, die bis in ihre Brüste strahlte.

Sie senkte den Kopf. Ihr Blick fiel auf seine verwaschenen Jeans, die den Schaft von schweren und teuren Trekkingstiefeln verdeckten. Sie hatte keinen Grund, Jack zu mögen, aber unfair wollte sie auch nicht sein.

Sein Vater trug die Verantwortung für das Schicksal ihrer Eltern, und Jack selbst hatte in Maple Mountain auch keinen guten Ruf. Jeder wusste, dass die Narbe an Joe Sheldons Mund auf sein Konto ging. Aber immerhin war er gekommen, um sich zu entschuldigen, auch im Namen seiner Mutter.

„Ich nehme deine Entschuldigung an“, sagte sie. „Aber sonst brauche ich nichts von dir. Jetzt lass mich bitte vorbei.“

Wieder versuchte sie, an ihm vorbeizukommen. Mittlerweile hatte sie zum Glück keinen Appetit mehr, denn sie hätte es sowieso nicht mehr geschafft, etwas zum Abendessen zu machen. „Ich bin gerade am Eindampfen“, fügte sie hinzu, was in der Sprache der Siruphersteller das Eindicken des Ahornsafts zu Sirup bezeichnete. „Ich muss wieder an die Arbeit.“

Schnell drehte sie sich um und ging in Richtung Zuckerhütte davon, Rudy dicht an ihrer Seite.

Während er Eve, die sich schnell entfernte, nachblickte, überdachte Jack die Situation, die er offenbar völlig unterschätzt hatte. Zwar verfolgte er seine Ziele immer entschlossen und geradlinig, aber er dachte auch meistens an einen Plan B. Bei all dem Stress, den er in letzter Zeit gehabt hatte, war ihm allerdings gar nicht der Gedanke gekommen, dass ein anderer Larkin als Stan die Sirupfirma führen könnte.

Oder dass man sein Angebot einfach zurückwies.

Doch Jack Travers war es nicht gewohnt, so schnell aufzugeben. Er würde einen anderen Weg finden. Da Eve allerdings im Augenblick nicht einmal mit ihm reden wollte, kehrte er zu seinem Wagen zurück.

Sein Vater hatte nach ihrem Umzug nach Maine, der nötig geworden war, weil die Familie Travers in Maple Mountain geschnitten wurde, nie wieder über den Vorfall gesprochen. Erst nach seinem Tod hatten Jack und seine Mutter die Papiere gefunden und seitdem daran gearbeitet, das Land seinem rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben.

Jack war damals siebzehn gewesen und hatte unter der Verachtung und offenen Anfeindung seiner früheren Freunde sehr zu leiden gehabt. Er hatte immer gehofft, dass alles ein Missverständnis war und diejenigen unrecht hatten, die seinen Vater einen Dieb und Verräter nannten.

Doch als sie die Papiere fanden, hatte seine Mutter die wesentlichen Fakten bestätigt. Stan Larkin hatte das Land nur mit fünftausend Dollar beliehen, obwohl es dreimal so viel wert war, und nichts zurückbekommen, als Jacks Vater es für diesen Schleuderpreis verkauft hatte.

Jack hatte nicht viel Zeit, aber er würde alles daransetzen, die alte Geschichte in Ordnung zu bringen. Eigentlich hatte er gegen Mitternacht wieder zu Hause sein wollen, doch wenn er am kommenden Nachmittag gegen fünf wieder in Manhattan ankam, blieb ihm noch genügend Zeit, seine persönlichen Sachen einzupacken, bevor am Montag die Umzugsfirma alles abholte.

In der Zwischenzeit würde er Eves vollen Namen herausfinden und einen Notar suchen, der die Abtretungsurkunde beglaubigte. Wenigstens hatte er damit gerechnet, dass Stan das Grundstück auf seine Frau oder die Firma übertragen wollte, und hatte in seiner Aktentasche noch eine Blanko-Urkunde, in die nur der Name des Begünstigten eingetragen werden musste.

Sobald das erledigt war, würde er wieder bei Eve vorsprechen und hoffen, dass sie das Grundstück diesmal annehmen würde. Er selbst hatte nämlich absolut keine Verwendung dafür.

Da Maple Mountain kein ausgesprochener Touristenort war, gab es außer einigen Frühstückspensionen, die im Winter geschlossen hatten, nur ein einziges Motel. Als Jack die Rezeption betrat, fiel ihm ein Schild auf, das dieses Haus als „das freundlichste Motel im nördlichen Vermont“ anpries.

Die Besitzerin Hanna Talbot, deren Großeltern das Motel eröffnet hatten, wurde dieser Beschreibung allerdings nicht gerecht. Sie sah Jack finster an.

„Was kann ich für dich tun?“

„Ich bräuchte ein Zimmer für eine Nacht. Hast du etwas frei?“, fragte er aus reiner Höflichkeit, denn alle acht Schlüssel hingen an ihren Haken. Einen Augenblick lang fürchtete er aber tatsächlich, sie würde behaupten, ausgebucht zu sein.

„Deinen Führerschein, bitte“, sagte sie schließlich, und er zog seine Brieftasche hervor.

Er selbst erinnerte sich nur vage an die Frau, die ein paar Jahre älter war als er und braune Locken hatte. Sie jedoch war offenbar über seine Familiengeschichte bestens informiert, denn als sie die Adresse vom Führerschein notierte, bemerkte sie: „New York. Ich dachte, ihr wärt nach Maine gezogen.“

Erstaunlich, was manche Menschen für ein gutes Gedächtnis hatten. „Sind wir auch“, erwiderte er. „Ich bin der Einzige, der in New York lebt.“

„Lange Fahrt hierher“, sagte sie, als sie ihm das Dokument wieder über den blank polierten Tresen schob.

Jack zog es vor, einen unbestimmten Laut von sich zu geben und die Frau unverbindlich anzulächeln.

„Im Gemeindehaus ist heute eine Zusammenkunft, und jeder bringt etwas zu essen mit. Dora hat also geschlossen.“ Sie meinte damit Dora’s Diner, das einzige Restaurant im Ort.

„Danke für die Information, ich finde schon etwas“, erwiderte er. „Was ist denn mit dem kleinen Schnellimbiss, gibt es den noch?“

„Hat im Winter geschlossen“, erwiderte sie. „Wie fast alles hier.“

Jetzt, wo sie übers Essen sprachen, meldete sich sein Magen vernehmlich. Er hatte auf der Fahrt hierher nur an einer Tankstelle einen Hamburger gegessen.

„Und der Gemischtwarenladen? Wie lange hat der geöffnet?“

Aus dem Durchgang zu den Privaträumen erklangen Kinderstimmen, die sich offenbar darüber stritten, wer mit der Benutzung des Videospiels dran war. Hanna blickte missbilligend in die Richtung, dann auf die altmodische Kuckucksuhr an der Wand. „Noch etwa fünf Minuten.“

„Eine Sache noch“, sagte er und steckte den Zimmerschlüssel in seine Jackentasche. „Kennst du Eve Larkin?“

Nun war Hannas Neugier geweckt. „Natürlich.“

„Kennst du zufällig ihren vollen Namen?“

Ihre Neugier wandelte sich in Misstrauen. „Wieso willst du das wissen?“

„Ich muss ihr etwas bringen.“

„Dann kannst du sie bei der Gelegenheit ja gleich selbst fragen.“

Jack nickte angesichts dieser bestechenden Logik und hob grüßend die Hand, als er rückwärts zur Tür ging. „Gute Idee. Danke für das Zimmer.“

„Sie ist jetzt beim Eindampfen, da wird sie keine Zeit für dich haben!“, rief Hanna ihm hinterher.

„Ich wollte auch erst morgen früh hin.“

„Da ist sie nicht da, der Gottesdienst ist erst um elf zu Ende.“

Jack war sich nicht sicher, ob die Frau ihn entmutigen oder ihm tatsächlich helfen wollte. Jedenfalls beeilte er sich, nach draußen zu kommen, bevor er weitere Kostproben ihrer „Freundlichkeit“ erhielt.

Draußen wurde es schon dunkel, und Straßenlaternen gab es in Maple Mountain nicht. Die gewundene zweispurige Hauptstraße, die den Ort durchquerte, war rechts und links von meterhohen Schneebänken begrenzt, die ein Pflug aufgehäuft hatte.

Es war erst kurz vor sechs an einem Samstagabend, doch die Geschäfte im Ortskern hatten bereits geschlossen. Nur im Gemischtwarenladen brannte noch Licht. Jack überquerte den Parkplatz des Motels und ging darauf zu. Er würde sich etwas zum Abendessen und Frühstück kaufen und mit etwas Glück vielleicht sogar Eves Namen erfahren.

Als er den Laden betrat, sah er, dass er sich kaum verändert hatte. Ein Kanonenofen in der Mitte spendete angenehme Wärme, ein Fass mit eingelegten Gurken, auf dem ein Damebrett thronte, stand daneben. Das Sortiment war genauso breit gestreut wie damals – es gab gekühlte Milchprodukte und andere Lebensmittel, aber auch Schneeschuhe und Bratpfannen, Zündkerzen und Sägeblätter.

Auch die stämmige Besitzerin hatte sich kaum verändert, außer dass ihre braunen kurzen Locken nun mit Silberfäden durchzogen waren. Jack war mit ihrem jüngsten Sohn zur Schule gegangen. Die Lachfältchen um ihre braunen Augen hatten sich vertieft, doch ihr Blick war genauso aufmerksam wie immer.

Offenbar hatte auch sie ein Gedächtnis wie ein Elefant, denn als sie Jack erkannte, blickte sie ihn missbilligend an.

Autor

Christine Flynn
Der preisgekrönten Autorin Christine Flynn erzählte einst ein Professor für kreatives Schreiben, dass sie sich viel Kummer ersparen könnte, wenn sie ihre Liebe zu Büchern darauf beschränken würde sie zu lesen, anstatt den Versuch zu unternehmen welche zu schreiben. Sie nahm sich seine Worte sehr zu Herzen und verließ seine...
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