Der Milliardär und die Kellnerin

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Maks Marchetti sieht nicht nur umwerfend sexy aus, der Modemogul hat auch eine faszinierende Ausstrahlung. Als Zoe ihm auf der Pariser Fashion Week begegnet, gerät sie ohne es zu wollen sofort in seinen verführerischen Bann. Mit jedem Tag lodert die Leidenschaft stärker. Und ehe Zoe sich versieht, steckt sie mitten in einer heißen Affäre mit Maks. Doch sie muss aufpassen, dass sie nicht ihr Herz an ihn verliert! Denn eine einfache Kellnerin wie sie passt auf Dauer nicht in seine schillernde Welt der Reichen und Schönen, oder?


  • Erscheinungstag 21.09.2021
  • Bandnummer 2511
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719012
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Paris

Er war der schönste Mann, den Zoe Collins je gesehen hatte, und das wollte mitten auf der Pariser Fashion Week etwas heißen.

Dies war die wichtigste Veranstaltung der ganzen Woche. Zoe war umgeben von den Reichen und Schönen aus aller Welt. Der Mann, der ihre Aufmerksamkeit fesselte, saß in der ersten Reihe. Er musste extrem einflussreich sein.

Zoe merkte, dass sie ihn anstarrte, und zwang sich, ihren Blick abzuwenden. Neugierig sah sie sich in dem großen Ballsaal um. Man hatte den riesigen Raum in eine märchenhafte Waldszene verwandelt, mit echten Bäumen auf dem Laufsteg. Der Duft edler Parfums hing im Saal. Die zahlreichen Gäste warteten gespannt darauf, dass die Show endlich anfing.

Zoes Herz klopfte aufgeregt.

Sie hatte draußen vor dem Grand Palais gestanden und Fotos von den vielen Influencern gemacht, die das Gebäude über den roten Teppich betraten. Zufällig hatte sie beobachtet, wie ein Mitarbeiter des Servicepersonals durch eine kleine Seitentür nach draußen gekommen war, um eine Zigarette zu rauchen. Als er wieder reingegangen war, hatte er die Tür einen Spalt breit offen gelassen.

Zoe hatte kurz überlegt, wie gut ihre Chancen standen, bis ins Innere des prunkvollen Gebäudes zu gelangen. Wenn sie es schaffte, bis zu den Profifotografen vorzudringen, die sich am Ende des Laufstegs drängten, dann konnte sie die Fotografen vielleicht sogar davon überzeugen, dass sie eine von ihnen war.

Eigentlich war sie nur eine Amateurfotografin und hatte sich alles selbst beigebracht. Sie war auf keinen Fall gut genug, um auf die Pariser Fashion Week eingeladen zu werden.

Zoe hatte sich einen Ruck gegeben, war durch die angelehnte Tür geschlüpft und hatte es tatsächlich geschafft, bis zu der Traube offiziell geladener Fotografen vorzudringen. Sie hatte einige skeptische Blicke geerntet. Hoffentlich fiel niemandem auf, dass sie keinen Presseausweis um den Hals hängen hatte. Sie beugte sich ein wenig vor, um ihr Gesicht hinter ihrem schulterlangen Haar zu verbergen.

Sie war wahnsinnig aufgeregt.

Sie war noch nie auf einer Modenschau gewesen, aber sie träumte schon lange davon, das einmal live zu erleben. Sie träumte auch davon, als Modefotografin berühmt zu werden. Schon immer konnte sie stundenlang in Hochglanzmagazinen blättern und die Arbeit der Designer und Starfotografen bewundern.

Die Konkurrenz war hart in diesem Gewerbe. Sich hier hochzuarbeiten war, als würde man den Mount Everest ohne Sauerstoff bezwingen wollen. Ohne Kontakte und die nötige Erfahrung war es eigentlich unmöglich.

Zoe konnte nicht widerstehen und blickte erneut zu dem Mann in der ersten Reihe hinüber, auch wenn es besser wäre, keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich noch ein wenig, als sie ihn bewundernd ansah. Er sah nicht nur sexy aus, er hatte auch eine faszinierende Ausstrahlung. Er sprach mit niemandem und sah niemanden an. Von Zeit zu Zeit schaute er prüfend auf sein Handy. Er wirkte irgendwie unnahbar.

Er musste sehr groß sein, denn er füllte den Raum um sich herum vollständig mit seiner Präsenz aus. Er war schlank und hatte breite Schultern. Seine Haare waren dunkelblond und sehr kurz, fast wie ein militärischer Schnitt. Seine Gesichtszüge waren männlich und klassisch schön.

Instinktiv hob sie ihre Kamera und schaute durch den Sucher. Ihr stockte der Atem. Durch die Vergrößerung wirkte er noch atemberaubender. Er war unfassbar attraktiv.

Er hatte hohe Wangenknochen, ein markantes Kinn, faszinierende Augen und einen schönen Mund. Seine Haut hatte einen leicht olivfarbenen Ton. Auf seinem festen Kinn lag ein leichter Bartschatten. Der Mann wirkte, als wäre mit ihm nicht zu spaßen.

Plötzlich drehte er sich unvermittelt um und sah Zoe direkt an.

Sie erstarrte.

Seine Augen waren dunkelgrau, und sein kalter, harter Blick hielt ihren gefangen.

Ohne darüber nachzudenken, drückte Zoe auf den Auslöser. Ihre Kamera machte ein klickendes Geräusch. Sie hatte seinen eisigen, wachsamen Blick für immer festgehalten.

Noch bevor Zoe die Kamera gesenkt hatte, brach um sie herum ein Tumult aus. Plötzlich wurde sie am Arm gepackt.

„Warum zur Hölle machen Sie Fotos von mir?“

Seine Stimme war tief und männlich und passte perfekt, stellte Zoe fasziniert fest. Er sprach mit einem leichten Akzent und war noch größer, als sie angenommen hatte. Mindestens eins fünfundachtzig. Sie selbst maß gerade einmal eins fünfundsechzig.

Er musterte sie von oben bis unten. „Wer sind Sie? Wo ist Ihr Presseausweis?“

„Ich …“ Zoe sackte in sich zusammen. Ihr Mut, der sie bis hierher gebracht hatte, verließ sie. Sie schluckte schwer und murmelte: „Ich habe keinen.“

Sie hörte ein aufgebrachtes Raunen unter den Fotografen und lief schamrot an. „Es tut mir leid, ehrlich. Ich habe eine offen stehende Seitentür entdeckt und …“

Er schnaubte. „Und da dachten Sie, dass Sie die Gelegenheit nutzen, um sich unerlaubt Zutritt zu verschaffen?“ Er hielt ihren Arm immer noch fest und schob sie in Richtung Haupteingang auf der anderen Seite des Saals.

Zoes Gesicht brannte vor Scham.

Für wen hielt der Typ sich eigentlich? Es gab schlimmere Dinge, als sich bei einer Modenschau einzuschleichen.

Die Gäste, an deren Stuhlreihen sie vorübergingen, zogen eilig ihre Füße ein, und maßen sie mit abfälligen Blicken. Als sie schließlich die andere Seite des Saals erreicht hatten, befreite sich Zoe aus seinem Griff.

Einige Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes hatten sie mittlerweile bemerkt und waren auf dem Weg zu ihnen. Doch der gut aussehende Fremde hob abwehrend die Hand, und die Männer blieben unschlüssig stehen.

Zoe schaute atemlos zu ihm auf.

Das Adrenalin rauschte durch ihre Adern, und ihr lief ein Schauer über den Rücken.

„Wer sind Sie?“, fragte sie und rieb sich die Stelle, wo er sie festgehalten hatte. Sein Griff war zum Glück nicht allzu fest gewesen.

Er antwortete nicht und griff stattdessen nach der Kamera, die ihr um den Hals hing. Bevor sie ihn daran hindern konnte, hatte er ihr den Gurt über den Kopf gezogen.

„Hey, das ist meine Kamera!“, rief Zoe aufgebracht und wollte sie ihm entwenden. „Sie können nicht einfach …“

Blitzschnell legte er seine Hand auf ihren Brustkorb, um sie auf Distanz zu halten.

Entsetzt beobachtete sie, wie er geschickt mit nur einer Hand durch die Fotos auf der Speicherkarte scrollte. Sie hatte im Inneren des Gebäudes bisher nur ein einziges Bild geschossen – das von ihm.

„Die hier behalte ich“, sagte er und hielt die Kamera hoch. Dann nahm er die Hand von ihrer Brust und fügte hinzu: „Sie können gehen.“

Zoe wurde eiskalt. „Aber Sie können mir nicht einfach meine Kamera wegnehmen – die gehört mir.“

Die Kamera war ihr wertvollster Besitz. Sie hatte ihrem Vater gehört und begleitete Zoe seit jenem schrecklichen Ereignis überall hin. Sie sprach schnell weiter, um die unwillkommenen Erinnerungen zu verdrängen. Die konnte sie jetzt wirklich nicht gebrauchen. „Gehören Sie zum Sicherheitsdienst? Sie können alle Fotos löschen, das ist mir ganz egal, aber ich brauche meine Kamera zurück. Bitte!“

Sie spürte Panik in sich aufsteigen und streckte flehend die Hand aus.

Er musterte sie skeptisch. „Sie wissen nicht, wer ich bin?“, fragte er ungläubig.

Zoe schüttelte den Kopf. Sie kannte sich in der Musikszene nicht gut aus und las auch selten Klatschgeschichten, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er weder Sänger noch Schauspieler war. Trotzdem kam er ihr irgendwie bekannt vor. Vielleicht war er Model, gut genug sah er dafür auf jeden Fall aus. Allerdings schien es unwahrscheinlich, dass er freiwillig für einen Fotografen posierte, bei der Autorität, die er ausstrahlte.

„Gehören Sie nicht zum Sicherheitsdienst?“, fragte sie unsicher.

„Ich bin Maks Marchetti.“

Sie schauten sich einen Augenblick lang schweigend an.

Kaltes Entsetzen machte sich in Zoe breit.

Maks Marchetti.

Er hob fragend eine Augenbraue. „Die Marchetti Group? Uns gehört das Modehaus, dessen Show Sie gerade aufgemischt haben.“

Alles Blut wich aus Zoes Gesicht. Sie nickte und erwiderte schwach: „Ich weiß, wer Sie sind.“

Er und seine zwei Brüder hatten das Unternehmen vor ein paar Jahren von ihrem Vater geerbt. Maks lebte jedoch viel zurückgezogener als seine Brüder, deshalb hatte sie ihn nicht gleich erkannt.

Der Marchetti Group gehörten die exklusivsten Modemarken weltweit. In den vergangenen fünf Jahren, seitdem die drei Brüder das Unternehmen übernommen hatten, war der Unternehmenswert konstant gestiegen. Es gab keine Edelmarke, die ihnen nicht gehörte, und wenn doch, dann waren sie mit Sicherheit gerade dabei, dies zu ändern. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Modemarken, die nicht zur Marchetti Group gehörten, nicht der Rede wert waren.

Und jetzt stand Zoe vor einem dieser drei unfassbar reichen und mächtigen Brüder.

Plötzlich erklang Musik. Vermutlich begann jetzt die Show, doch er ließ sie nicht aus den Augen. Anscheinend war ihm egal, dass er den Anfang verpasste. Zoe erinnerte sich, wie distanziert er vorhin gewirkt hatte.

„Sollten Sie nicht wieder reingehen? Wenn Sie mir meine Kamera wiedergeben, verschwinde ich sofort, und Sie sehen mich nie mehr wieder“, sagte sie.

Maks Marchetti betrachtete die zierliche junge Frau vor sich.

Sie faszinierte ihn, auch wenn er sich das nur ungern eingestand.

Auf den ersten Blick wirkte sie eher durchschnittlich. Sie war eher klein und schlank. Doch auf den zweiten Blick hatte sie etwas an sich, das ihn völlig in ihren Bann zog.

Ihre glatten honigblonden Haare trug sie schulterlang. Sie hatte eine schmale gerade Nase, ein zierliches Kinn und ausdrucksstarke meergrüne Augen, über denen sich schmale Brauen wölbten. Sie war hübsch, mehr als das, dabei war sie ungeschminkt.

Doch sie hatte zwei deutlich sichtbare Narben, eine auf ihrer Oberlippe und eine vom Wangenknochen bis zum Haaransatz.

Maks fragte sich, woher sie wohl stammten.

Als hätte sie seinen Blick gespürt, senkte die unbekannte Schöne den Kopf, sodass ihre Haare ihr Gesicht verdeckten. „Es ist unhöflich, jemanden so anzustarren“, sagte sie leise.

Maks widerstand nur mühsam dem Impuls, die Hand auszustrecken und mit dem Finger ihr Kinn anzuheben, sodass er sie weiter betrachten konnte. Sie war schließlich eine vollkommen fremde Frau. Dann schaute sie ihn wieder mit ihren großen, strahlenden Augen an. Ihre Haut war makellos, bis auf die Narben, die sich in hellem Rosa von ihrer blassen Haut abhoben.

Maks fragte sich, wie sie auf dem Gipfel der Lust aussah. Ob ihre Augen ganz dunkel wurden, wenn sie erregt war? Wurden ihre Wangen rosig? Ein unerwartetes Begehren erfasste ihn. Sie war nicht nur hübsch, sie war schön, auf eine natürliche Art, die man in seiner Welt vergeblich suchte. Die Modebranche war so besessen von Perfektion, dass die glatte Schönheit der Models und Stars nichts Besonderes war.

Aber diese Fremde war bezaubernd. Sie berührte etwas tief in seinem Innern.

Dio. Was war nur mit ihm los?

Er trat hastig einen Schritt zurück.

„Es ist unhöflich, unerlaubt irgendwo einzudringen“, sagte er barsch. „Wenn Sie jetzt gehen, sehe ich davon ab, Sie strafrechtlich verfolgen zu lassen.“

Sie wurde blass bei seinen Worten.

Er überhörte sein schlechtes Gewissen und fuhr fort: „Wir dulden bei unseren Shows keine Paparazzi.“

Sie öffnete den Mund, und Maks starrte fasziniert auf ihre Lippen. Weich und voll. Und unheimlich verlockend. Sein Blick fiel erneut auf die Narbe.

„Ich arbeite nicht für die Klatschpresse“, entrüstete sie sich schließlich atemlos. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, und Maks musste zugeben, dass sie eine wirklich gute Schauspielerin war. Er widerstand der Versuchung, seinen Blick über ihren Körper gleiten zu lassen. Er konnte keine Ablenkung gebrauchen, obwohl sein Körper eindeutig reagierte.

„Sie haben sich auf die wichtigste Veranstaltung der gesamten Fashion Week, zu der nur Prominente geladen sind, geschlichen. Das ist höchst verdächtig. Wie auch immer, die Diskussion ist hiermit beendet.“

Maks gab jemandem hinter ihr ein Zeichen.

Als Zoe sich umsah, kamen zwei muskulöse Security-Männer direkt auf sie zu.

„Bitte, ich wollte niemandem schaden. Ich bin wirklich nicht von der Presse!“, rief sie. Doch ihre Worte trafen auf taube Ohren.

„Bitte bringen Sie die junge Frau nach draußen. Und sorgen Sie dafür, dass sie nie wieder zu einer unserer Modenschauen kommt“, sagte Maks.

Zoe wurde rechts und links am Arm gefasst.

„Setzen Sie mich ernsthaft auf die schwarze Liste?“ Sie funkelte Maks wütend und fassungslos zugleich an. Wie hatte sie ihn nur attraktiv finden können? Er war kalt und herzlos.

Jetzt würde ihr Traum, einmal eine Modenschau live zu erleben, nie mehr in Erfüllung gehen. Und auch ihre Hoffnung, irgendwann als Modefotografin in der Branche Fuß zu fassen, zerplatzte jäh.

„Was ist mit meiner Kamera?“, fragte sie verzweifelt.

Maks hielt das Gerät hoch. „Die haben Sie verspielt, als Sie hier unerlaubt eingedrungen sind. Ich hoffe für Sie, dass wir uns nie wiedersehen.“

Die beiden Security-Männer führten sie mit lockerem, aber bestimmtem Griff in Richtung Ausgang, doch Zoe schaute unverwandt zurück. Wie hatte sie Maks Marchetti attraktiv finden können? Jetzt hasste sie ihn. Dennoch konnte sie ihren Blick nicht von ihm wenden.

Seine Worte hatten ein Gefühl in ihr geweckt – einen Schmerz, den sie nicht richtig einordnen konnte. Dabei konnte es ihr doch gleichgültig sein, ob er sie wiedersehen wollte oder nicht.

Was war nur mit ihr los?

Schnippisch rief sie: „Sie sind bestimmt der letzte Mann auf Erden, den ich wiedersehen will, Mr. Marchetti.“

Unbeeindruckt hob er zum Abschied die Hand, in der er ihre Kamera hielt, und nickte.

Maks beobachtete, wie die Security-Männer die Frau nach draußen brachten. Am liebsten wäre er ihnen nachgelaufen, um ihnen zu sagen, dass sie die Frau freilassen sollten.

Irritiert schüttelte er den Kopf.

Was war nur mit ihm los?

Was sollte das bringen? Nur um sie noch ein wenig länger anschauen zu können?

Entschieden ging er zurück, um sich die Modenschau vom Ende des Saals aus anzuschauen. Doch obwohl er einige der schönsten Frauen der Welt auf dem Laufsteg sah, stahl sich immer wieder die Erinnerung an ein strahlendes Paar grüner Augen mit langen dunklen Wimpern in seine Gedanken. Nicht einmal den tobenden Applaus am Ende der Show nahm er wirklich wahr.

Stirnrunzelnd fiel ihm auf, dass er gar nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.

Gut, dass sie in keine Show mehr reingelassen wurde. Sie lenkte ihn viel zu sehr ab.

Er betrachtete die Kamera in seiner Hand. Es handelte sich um eine alte Nikon, die bestimmt schon zwanzig Jahre auf dem Buckel hatte und ziemlich ramponiert aussah. Am besten wäre, er warf den Fotoapparat einfach weg und dachte nicht weiter über den Zwischenfall nach.

Er würde die Besitzerin sowieso nie wiedersehen.

Ein paar Stunden später fuhr Zoes Zug in London ein. Trübsinnig schaute sie aus dem Fenster.

Der Sommer wurde langsam vom Herbst abgelöst. In Paris war es noch sonnig und warm gewesen, doch in London war der Himmel trüb und grau. Das Wetter passte zu ihrer Stimmung.

Jedes Mal wenn sie an Maks Marchetti mit ihrer Kamera in der Hand dachte, hätte sie am liebsten geschrien. Tränen brannten in ihren Augen. Die Nikon hatte ihrem Vater gehört. Wieso hatte sie nicht besser darauf aufgepasst? Jetzt lag ihr Erbstück vermutlich in irgendeinem Mülleimer und alle Fotos und Erinnerungen waren gelöscht.

Gedankenverloren berührte Zoe ihre Nabe auf ihrer Oberlippe.

Die Narbe, die sie damals bei dem Autounfall vor siebzehn Jahren von der Kamera davongetragen hatte. Bei dem Unfall hatte sie ihre gesamte Familie verloren – ihre Eltern und ihren kleinen Bruder Ben. Sie war erst acht gewesen, ihr Bruder fünf.

Ihr Vater hatte hinter dem Steuer gesessen. Er hatte sich kurz zu ihr umgedreht, um ihr zu sagen, dass sie gut auf die Nikon in ihren Händen achtgeben sollte. Und dann war es passiert.

Alles um Zoe herum war in Schmerz und Flammen aufgegangen, und ihr gesamtes Leben hatte sich innerhalb von Sekunden geändert.

Sie war auf einmal eine Waise. Nur sie und die Nikon ihres Vaters hatten den Unfall überlebt.

Zoe ließ ihre Hand sinken und schloss für einen Moment die Augen. Sie drängte die schmerzhaften Erinnerungen mit aller Kraft zurück. Sie wollte jetzt nicht daran denken, in ihren Träumen durchlebte sie die schrecklichen Augenblicke oft genug.

Sie seufzte und öffnete ihre Augen wieder.

Vor Kurzem hatte ihr ein bekannter Fotograf gesagt, dass sie eine echte Chance hätte, Modefotografin zu werden, wenn es ihr nur gelang, bei einer der großen Modeschauen die richtigen Kontakte zu knüpfen. Deshalb war sie nach Paris gefahren.

Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie wieder an Maks Marchetti dachte. Er war ein wirklich beeindruckender Mann. Sie hatte sich in seiner Gegenwart lebendig gefühlt, und das hatte nicht nur am Adrenalin und der aufregenden Situation gelegen.

Natürlich hatte er ihre Narben bemerkt, so wie jeder.

Zoe war es gewohnt, dass die Leute sie anstarrten. Meistens folgte dann ein verschämtes Lächeln oder auch ein Moment unangenehmen Schweigens.

Dabei wusste Zoe, dass sie Glück gehabt hatte. Ihre Narben waren zwar unansehnlich, aber nicht dramatisch. Komischerweise waren sie ihr vor Maks Marchetti heute gar nicht peinlich gewesen. Sie hatte zwar den Kopf gesenkt, aber aus einem anderen Grund – sie war sich seiner Gegenwart viel zu deutlich bewusst gewesen.

Als sie das letzte Mal einem Mann gegenüber so etwas gespürt hatte, war die Sache nicht gut ausgegangen, dachte sie erschrocken. Sie hatte jemandem ihr Vertrauen geschenkt und war nur um Haaresbreite einer Katastrophe entkommen.

Der Zug hielt, und die Fahrgäste stiegen aus.

Wieso stimmte sie der Gedanke, Maks Marchetti nie wiederzusehen, so wehmütig? Sie müsste es doch eigentlich besser wissen. Vermutlich feierte er jetzt gerade auf der glamourösen After-Show-Party und dachte gar nicht mehr an sie, während sie sich auf den Weg durch die labyrinthischen Tunnel der Londoner U-Bahn zurück in ihre winzige Wohnung im Osten der Stadt machte.

Sie trug Narben, auf ihrer Haut und in ihrem Inneren. Maks Marchetti nicht.

Zoe hatte versucht, Zugang zur Modewelt zu bekommen, und war kläglich gescheitert. Sie hatte sich dadurch nur in Schwierigkeiten gebracht, aber sie würde daraus lernen. Ihre Leidenschaft für die Fotografie war ein Hobby. Es war sinnlos, weiter von einer großen Karriere als Fotografin zu träumen.

Zwei Wochen später, London

Zoes Arm schmerzte und ihre Gesichtsmuskeln brannten vom erzwungenen Lächeln. Unermüdlich servierte sie den vornehmen Gästen der Londoner High Society Getränke.

Die Catering-Firma, für die Zoe gelegentlich arbeitete, war für ein wichtiges Modeevent in der Bond Street gebucht. Alle, die Rang und Namen hatten, waren gekommen, um den neuen Chefdesigner kennenzulernen. Welch Ironie des Schicksals, dass das Modelabel ausgerechnet der Marchetti Group gehörte.

Zoe spürte ein Kribbeln im Nacken, doch sie schob die Empfindung beiseite. Bestimmt lag es daran, dass sie ihre Haare heute hochgesteckt trug, wie es ihr Arbeitgeber verlangte. Sie kam sich dann immer besonders verletzlich vor und schämte sich für ihre Narben – ein Andenken an das Ereignis, das ihr Leben so stark geprägt hatte.

Unwahrscheinlich, dass Maks Marchetti bei einer Veranstaltung wie dieser auftauchte, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie schob die Erinnerung an ihn in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses und verteilte weiter Gläser mit Champagner an die Gäste. Doch als sie sich umdrehte, entdeckte sie eine große, breitschultrige Gestalt auf der anderen Seite des Raumes.

Sie erstarrte.

Der Mann hatte kurze dunkelblonde Haare und trug einen stahlgrauen Anzug. Den obersten Knopf seines weißen Hemdes hatte er leger geöffnet. Er unterhielt sich gerade mit einer großen rothaarigen Frau, die ein sehr kurzes, glitzerndes Kleid trug.

Er war es.

Als habe er Zoes Blick gespürt, schaute er auf und sah ihr direkt in die Augen. Zoe war unfähig, sich zu bewegen. Sie hatte in letzter Zeit so oft an diese grauen Augen denken müssen.

Er kniff die Augen zusammen. Als er sie erkannte, wurde sein Gesichtsausdruck hart.

Er sagte etwas zu den Frauen neben sich und kam dann direkt auf Zoe zu. Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen.

Wie ein Reh, das direkt in die Scheinwerfer eines herannahenden Autos blickt, stand Zoe einfach nur da.

Er blieb direkt vor ihr stehen.

In den vergangenen Wochen hatte sie sich eingeredet, dass er gar nicht so gut aussah, doch sie hatte sich getäuscht. Er sah umwerfend aus, egal wie unfreundlich er auch war.

„Wie sind Sie hier hereingekommen?“, schnaubte er wütend.

„Ich arbeite für die Catering-Firma.“

„Nicht sehr glaubwürdig.“ Mit beiden Händen griff er nach dem Tablett, und die vollen Gläser darauf wackelten besorgniserregend.

Das riss Zoe aus ihrer Erstarrung. Empört rief sie: „Vorsicht! Ich arbeite wirklich hier.“

„Das glaube ich Ihnen nicht. Geben Sie mir das Tablett und verschwinden Sie!“

Zoe funkelte ihn böse an. „Nein, ich mache hier meine Arbeit. Sie können mich nicht jedes Mal rauswerfen, wenn Sie mich sehen.“ Sie wollte ihm das Tablett abnehmen, doch weil er im selben Augenblick losließ, verlor sie die Balance und stolperte rückwärts. Wie in Zeitlupe beobachtete sie, wie sämtliche Gläser voller Champagner in hohem Bogen durch die Luft flogen und dann klirrend auf dem polierten Betonboden zersprangen.

Ein Raunen ging durch die Menge. Dann herrschte Stille.

Schockiert starrte Zoe auf die Bescherung. Ihre Bluse und auch ihr Gesicht waren nass vom Champagner. Zögernd sah sie zu Maks Marchetti auf. Sein Blick war finster. Dann sah sie ihren Chef auf sich zueilen. Er war ein wichtigtuerischer Schnösel, der den ganzen Abend schon gestresst gewirkt hatte. Jetzt sah er aus, als würde er gleich explodieren. Sein Gesicht war knallrot.

Wie zum Schutz hielt Zoe das Tablett vor ihre Brust und stammelte: „Es tut mir leid …“

„Sei still! Mach das weg und komm dann in die Küche!“ Er winkte einen anderen Kellner heran, damit der ihr half.

Zoe konnte Maks nicht in die Augen sehen. Sie bückte sich und begann die Glassplitter einzusammeln. Sie atmete scharf ein, als sie sich in den Finger schnitt.

Plötzlich war Maks neben ihr, griff nach ihrer Hand und begutachtete die Verletzung. „Lassen Sie das, Sie tun sich noch weh.“

Aufgebracht entzog sie ihm die Hand. Der Stromschlag, den seine Berührung ausgelöst hatte, erschütterte sie bis ins Mark. „Als ob Ihnen das etwas ausmachen würde. Lassen Sie mich einfach in Ruhe, Sie haben schon für genug Aufregung gesorgt.“ Ihr Gesicht brannte vor Scham. Sie tat, als bemerke sie die Schmerzen in ihrem Finger nicht, und sammelte weiter Scherben ein.

Als sie nach einer Weile aufstand, war er zum Glück fort.

Sie ging in die Küche, wo ihr Chef bereits auf sie wartete.

„Hast du überhaupt eine Ahnung, wer das war?“, fragte er aufgebracht.

In Zoes Magen bildete sich ein Knoten. Die Sache würde nicht gut für sie ausgehen. „Leider ja “, erwiderte sie.

„Warum um Himmels willen hast du dich mit ihm um ein Tablett gestritten?“ Ihr Chef schüttelte ungläubig den Kopf. „Maks Marchetti ist einer der einflussreichsten Männer in der Modebranche. Sein Bruder Nikos ist heute Abend auch hier. Es tut mir leid, Zoe, aber wir können dich nach dieser Sache nicht weiter beschäftigen.“

Sie öffnete den Mund, um etwas zu ihrer Verteidigung zu sagen, doch dann schloss sie ihn wieder. Sie konnte nicht ungeschehen machen, was passiert war, und ihr Chef würde ihr diese öffentliche Blamage nie verzeihen.

Er bemerkte das Blut an ihrer Hand. „Du schmierst alles voll. Mach ein Pflaster auf die Wunde und dann geh.“ Dann verließ er die Küche.

Zoe betrachtete fassungslos die blutende Wunde. Schließlich machte sie sich auf die Suche nach einem Verbandskasten und versorgte dann die Wunde. Es tat weh, doch sie hieß den Schmerz willkommen. Dieser verdammte Maks Marchetti, hoffentlich sah sie ihn nie wieder.

Leider wurde diese Hoffnung jäh zerstört, als sie kurze Zeit später durch den Personaleingang auf die Straße trat. Am Straßenrand stand ein silberner Sportwagen. Die Tür öffnete sich, und Maks Marchetti stieg aus.

Zoe beachtete ihn nicht und lief los, doch er holte sie mühelos ein und ging neben ihr her. Sie war sich ihrer abgetragenen Hose, der einfachen weißen Bluse mit den noch feuchten Flecken vom Champagner und ihrer alten Lederjacke schmerzlich bewusst. Sie trug flache Schuhe und einen Rucksack auf dem Rücken. Sie konnte mit den hübschen und eleganten Frauen auf der Party in keiner Weise mithalten.

Es ärgerte sie, dass sie das überhaupt störte. Sie blieb stehen und fragte gereizt: „Was wollen Sie? Ich bin gefeuert worden, reicht Ihnen das nicht? Soweit ich weiß, sind Straßen öffentlich und jeder darf sich hier aufhalten, also befinde ich mich nicht auf heiligem Marchetti-Boden, oder?“

Sie verstummte, selbst überrascht von ihrem Gefühlsausbruch.

Er hob abwehrend die Hand. Irgendwie wirkte er verlegen. Das überraschte sie.

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.“

„Ja, das stimmt“, pflichtete sie ihm bei.

„Ich wollte wirklich nicht, dass Sie gefeuert werden. Ich habe Sie schon von der anderen Seite des Raumes aus gesehen und …“ Maks verstummte plötzlich und wusste zum ersten Mal in seinem Leben nicht, wie er sich richtig ausdrücken sollte.

Es war ihm nicht gelungen, die Frau, die jetzt vor ihm stand, zu vergessen. Seit zwei Wochen musste er ständig an sie denken und hatte fast jede Nacht von ihr geträumt. Auf der Party war er von ihrem Anblick so überrascht gewesen, dass er jede Vernunft in den Wind schlug. Eigentlich war er zu dem Schluss gekommen, dass sie wirklich keine Pressefotografin war, aber selbst das war ihm in dem Moment entfallen.

Sie war ihm unter die Haut gegangen.

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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