Die Braut des griechischen Playboys
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Vor zwölf Jahren.
„Hör mir zu.“
Thanos schaute zu seinem Bruder hoch. Vor lauter Zorn und Fassungslosigkeit sah er ihn wie durch Nebel.
„Wir werden sie zurückbekommen.“
Thanos schloss die Finger noch fester um den Füller und senkte den Blick wieder auf die dicke schwarze Linie unter dem Vertrag. Dieses Papier besiegelte den Verkauf von Petó, jener Firma, die seinem Großvater, Nicholas Stathakis, besonders am Herzen gelegen hatte. In der Thanos das Geschäft von der Pike auf gelernt hatte. Die ihm alles bedeutete.
„Nein.“ Er ließ den Füller auf den Konferenztisch fallen, richtete seine einsachtundneunzig Meter auf und marschierte mit sehr geradem Rücken im Zimmer auf und ab.
Er wusste, dass sein Halbbruder genauso empfand wie er. Nur gelang es Leonidas besser, mit dieser Sache umzugehen. Äußerlich blieb er ruhig, während ihre Welt zusammenstürzte. Thanos hingegen hätte das Gebäude am liebsten niedergebrannt.
Jetzt legte er beide Handflächen an das bodentiefe Fenster und schaute auf das Zentrum von Athen. All dies hatten sie einst beherrscht.
All dies hatte ihr Vater zerstört.
„Wir werden die Firma zurückbekommen“, wiederholte Leo nachdrücklich. „Aber vorher müssen wir sie verkaufen.“
Thanos wurde speiübel. Das Herzstück der Stathakis Corp verkaufen, die ihr Großvater immer weiter ausgebaut hatte? Weil ihr Vater Geschäfte mit der Mafia gemacht hatte?
Er biss die Zähne so fest zusammen, dass es knirschte. Eigentlich wollte er sagen, dass es eine andere Option gab. Er wollte diese Sache in Ordnung bringen. Alles sollte gut werden. Plötzlich war er wieder acht Jahre alt und schaute seiner Mutter nach, als sie ihn verließ. Ein Achtjähriger, der wusste, dass er der Grund für das Scheitern einer Ehe war. Der sich verantwortlich fühlte für alles Schlechte auf der Welt. Dies hier war allerdings noch viel grausamer.
Nicholas hatte ihm Petó anvertraut, und Thanos war nachlässig gewesen. Hatte Dion Stathakis – seinem und Leos Vater – vertraut, statt zu erkennen, was direkt vor seiner Nase ablief.
Was konnte er jetzt tun?
„Ich ertrage den Gedanken nicht, dass jemand anders unser Unternehmen leitet“, stieß er mit vor Wut bebender Stimme hervor.
„Glaubst du etwa, ich ertrage die Vorstellung?“, knurrte Leonidas.
Thanos wandte sich vom Fenster ab und sah seinem Bruder in die Augen. Sie fühlten dasselbe. Das hier war falsch. Grundfalsch.
„Aber diese Lösung ist die beste, die wir uns erhoffen konnten“, fuhr Leonidas etwas milder fort. „Kosta Carinedes will Petó. Sein Plan, die Firma in sein Logistikimperium zu integrieren, hat Hand und Fuß. Petó bleibt erhalten und wird gedeihen.“
Thanos’ Magen krampfte sich zusammen. „Aber nicht dank uns.“
„Nein“, räumte sein Bruder ein.
„In einer Welt, in der Petó nicht mir gehört, will ich nicht leben. Eines Tages, so oder so, wird es wieder unser Unternehmen sein.“
Leonidas nickte bedächtig, doch das stellte Thanos nicht zufrieden. „Schwör es mir, Leo. Schwör mir, dass wir dieses Unrecht – alles Unrecht, das unser Vater begangen hat – in Ordnung bringen, auch wenn es den Rest unseres Lebens dauert.“
Sein Bruder atmete langsam aus. „Ich schwöre es. Aber jetzt musst du den Vertrag unterschreiben.“
Er hat recht, dachte Thanos. Trotzdem betrachtete er das Blatt, als wäre es eine Schlangengrube. Es kostete ihn riesige Überwindung, den Füller zu nehmen. Einen Moment lang ließ er die Feder über der dicken Linie schweben. Seine sonnengebräunte Haut wirkte plötzlich bleich.
Hastig kritzelte er seinen Namen unter den Vertrag. Dies ist nicht das Ende, versprach er sich stumm.
Es war nicht vorbei – noch lange nicht. Petó gehörte zu ihm. Es lag ihm im Blut, bildete einen Teil seiner DNA, und so würde es auch immer bleiben.
Alice brauchte volle zehn Sekunden, um sich in Erinnerung zu rufen, wer sie war und was sie gerade tat. Das Auftauchen eines einzigen Mannes hatte genügt, damit sie alles vergaß. Ihre Arbeit. Ihre Verpflichtungen. Die Arztrechnungen in ihrer Handtasche, die sie während ihrer Mittagspause durchsehen wollte. Die Kreditkarte, die fast am Limit war. Die Tatsache, dass ihr Aushilfsjob in zwei Wochen endete und sie wieder eine neue Stelle finden musste. Der Zustand ihrer Mutter, der sich weiter verschlechterte. Ihre eigene Unfähigkeit, eine langfristige Lösung für die Pflege ihrer kranken Mom zu finden. Diese Überlegungen verfolgten sie normalerweise vierundzwanzig Stunden täglich. Doch als die Aufzugtüren im obersten Stockwerk des aus Glas und Stahl konstruierten Stathakis Towers auseinanderglitten, verflogen sämtliche Gedanken, und sie war nur noch in der Lage, ihren Chef anzustarren.
Alice beobachtete, wie er durch das Büro schritt. Je näher er ihrem Schreibtisch kam, desto schneller raste ihr Puls.
Thanos Stathakis war hier. In seinem Büro. In Manhattan.
Obwohl sie schon seit fünf Monaten für ihn arbeitete, hatte sie ihn kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Abgesehen von den Fotos im Internet. Fotos von ihm, nie vollständig bekleidet, stets entspannt, umgeben von Supermodels und Schauspielerinnen, feiernd, einen Drink in der Hand, ein Leben führend, das Alice sich kaum ausmalen konnte.
Jenes Leben, das auch ihr Vater geliebt hatte. Diese Assoziation hätte sie eigentlich ernüchtern sollen. Fehlanzeige. Sie war wie hypnotisiert angesichts seiner Aura.
Thanos Stathakis war nicht bloß ein Mann.
Er war eine Legende.
Berühmt für seinen geschäftlichen Erfolg. Gemeinsam mit seinem Bruder hatte er ein schwächelndes Unternehmen wieder zu einem Imperium gemacht, wie ein Phönix, der aus der Asche von Skandalen und Misserfolgen emporstieg. Aber es war nicht nur das. Thanos Stathakis war anders als alle Menschen, die sie je kennengelernt hatte. Bei seinem Anblick fiel es ihr leicht, zu verstehen, warum Medien auf der ganzen Welt von ihm besessen waren.
Er verkörperte das Idealbild des großen, dunkelhaarigen, attraktiven Mannes mit breiten Schultern, schmalen Hüften und langen Beinen. Bei jedem seiner Schritte strahlte er Kraft und Charisma aus. Anders als auf den Fotos trug er einen dunkelblauen Anzug mit einem perfekt gebügelten weißen Hemd, das seine Sonnenbräune hervorhob. Seine Augen hatten den Farbton von Karamell, und die dichten schwarzen Wimpern wirkten fast so, als hätte er Überstunden mit einem Mascarabürstchen gemacht. Er war der Inbegriff des milliardenschweren Unternehmers – mit Ausnahme seiner Haare, die ungezähmt aussahen, als wäre er gerade von einem Schnellboot an der Riviera in diesen Wolkenkratzer getreten.
Sie starrte ihn an, weil sie nicht anders konnte. Nicht einmal, als er ihr in die Augen sah. Und das dauerte gefühlt einige sehr lange Sekunden.
Beinahe unmerklich verzog er die Lippen. Es hätte ebenso gut ein Lächeln wie Spott sein können. Er blieb so dicht vor ihrem Schreibtisch stehen, dass Alice unwillkürlich die Luft anhielt.
„Sie sind die Aushilfe?“
Mit dieser Frage riss er sie auf den Boden der Tatsachen zurück – und machte ihr bewusst, wer sie für ihn war. Die Aushilfe! Als hätte sie sein Leben nicht fünf Monate lang reibungslos organisiert.
„Alice. Ja.“
„Alice.“ Er nickte, als sei ihr Name unerheblich.
Thanos Stathakis würde ihn sofort wieder vergessen, das stand für sie fest. Allerdings wandte er sich nicht ab, um zu gehen. Sondern er schaute sie auf eine Weise an, die ihr den Atem raubte. Sie zwang sich, daran zu denken, dass er sich normalerweise mit glamourösen Models umgab. Dass nichts in ihrem eher durchschnittlichen Gesicht ihn veranlassen könnte, sie so eindringlich zu mustern. Nein, es musste eine andere Erklärung dafür geben, dass er ihr in die Augen sah, als wäre er ihr schon einmal begegnet.
Jetzt blinzelte er. Seine dunklen Wimpern senkten sich auf die Wangen und bildeten zwei vollkommene Bögen. Dann öffnete er die Augen und richtete den Blick wieder auf Alice. „Drucken Sie den Bericht über P&A Industries aus. Ich habe in zehn Minuten eine Besprechung.“
Er drehte sich auf dem Absatz um und steuerte auf das Büro zu, das links von Alice lag. Sie war nur wenige Male in dem Raum gewesen, denn seit sie für Stathakis Corp arbeitete, hatte ihr Chef sich nie in New York blicken lassen.
Sein abrupter Abgang ließ Alice aus ihrer Starre erwachen.
Vor Jahren war sie von einem anderen Mann so gebannt gewesen, wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Wie eine Ertrinkende hatte sie sich gefühlt – und es bitter bereut. Sie war auf Clintons routiniertes Flirten hereingefallen und hatte eine wertvolle Lektion gelernt. Nie wieder würde sie sich vom lässigen Charme eines Mannes blenden lassen. Und Thanos Stathakis spielte in einer weit höheren Liga als Clinton. Er war … größer, irgendwie gefährlicher.
Es gehörte sich nicht, dass sie ihn anstierte, als wäre er ein Gottesgeschenk.
Resolut stand sie auf und folgte ihm. „Eine Besprechung, Sir?“
Er öffnete die Tür und betrat das riesige Büro, ohne Licht zu machen. Es war Alice, die auf den Schalter für das Deckenlicht drückte.
Wie der Rest des Gebäudes besaß auch dieses Zimmer einen skandinavischen Touch mit seinen hellen Holzmöbeln, dem cremefarbenen Teppich und den modernen Lampen. Hinter dem Schreibtisch mit dem neuesten Laptop hing ein kostbares Gemälde an der Wand. Am anderen Ende befand sich ein Konferenztisch, der Platz für zwanzig Personen bot. Die beiden seitlichen Wände bestanden aus bodentiefen Fenstern mit einem traumhaften Blick auf Manhattan.
„Mhm“, bestätigte er, zog das Jackett aus und legte es nachlässig über den Schreibtischstuhl. Die Bewegung betonte seine breiten Schultern und die muskulösen Arme. Alice spürte, dass ihre Lippen sich wie von selbst öffneten. Wieder starrte sie ihren Chef an. Sie bemerkte es selbst, aber fast zum ersten Mal in ihrem Leben war ihre Selbstbeherrschung verschwunden.
„Sie wissen schon“, meinte er mit einem sündigen Lächeln, das verboten gehörte. „Diese Sache, bei der Leute zur selben Zeit zum selben Ort kommen, um über eine im Vorfeld festgelegte Tagesordnung zu reden?“
Verlegen blinzelte sie. „Ich weiß, was eine Besprechung ist“, antwortete sie leise. Die Tatsache, dass er sie neckte, schien tausend kleine Flammen in ihrer Seele zu entzünden. „Ich meinte nur, dass sie nicht in Ihrem Kalender steht.“
Etwas blitzte in seinen Augen auf. Triumph? Wachsamkeit? Er nickte knapp. „Der Termin wurde erst heute Morgen vereinbart. Kosta Carinedes ist zufällig in New York, also dachte ich, es wäre eine gute Gelegenheit, ihn zu … sehen.“
„Verstehe. Wie viele Personen nehmen an der Besprechung teil?“, fragte sie geschäftsmäßig. Wie schnell konnte das Catering-Team wohl Erfrischungen herbringen? Wie viele Kopien von welchen Unterlagen würde sie anfertigen müssen?
„Nur er und ich. Und Sie“, schickte er hinterher, als würde es ihm gerade erst einfallen. „Für den Fall, dass ich zwischendurch irgendetwas brauche.“
Sie nickte. „Ich lasse Sandwiches kommen und …“
„Nicht nötig. Nur Kaffee. Stark und schwarz.“
Wieder nickte sie und dachte an die Notizen, die seine abwesende Assistentin ihr hinterlassen hatte. Darin stand auch detailliert, wie Thanos Stathakis seinen Kaffee trank. „Gut.“
„Sie denken an den Ausdruck?“
„Ja, Sir.“
„Alice?“
Sie war schon fast an der Tür. Hastig drehte sie sich um. Sein sinnlicher Mund war ein wenig missbilligend verzogen. „Ich mag es nicht, wenn man mich ‚Sir‘ nennt.“
„Entschuldigen Sie, S…“
„Thanos.“
„Thanos.“ Es war wie verhext. Kaum hatte sie seinen Namen ausgesprochen, wollte sie es wieder und wieder tun. Innerlich sagte sie ihn vor sich hin, während sie den Bericht ausdruckte, Kaffee kochte und die Kanne in das Büro ihres Chefs trug. Er telefonierte gerade. Sie legte ihm den Bericht auf den Schreibtisch und versuchte, die Hitze nicht zu beachten, die ihr die Wirbelsäule hinunterzukriechen schien, als er etwas auf Griechisch hervorstieß. Die Worte erinnerten sie an einen Sonnenuntergang nach einem Sturm, unglaublich strahlend und betörend.
Alice fiel nicht auf, dass sein Blick ihr folgte, als sie das Büro verließ, sich ihren Laptop und eine Flasche Wasser schnappte und beides zu dem Besprechungstisch trug.
Inzwischen telefonierte er nicht mehr. „Mein Bruder denkt manchmal, dass ich nicht mal meine Schnürsenkel ohne seine Hilfe zubinden kann“, sagte er belustigt. Er stand auf, streckte beide Arme über den Kopf, gähnte und hielt sich eine Hand vor den Mund.
Wie sie ihn um sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein beneidete! Es hatte sie harte Arbeit gekostet, stark und souverän zu wirken. So, als hätte sie die Verletzungen überwunden. Ihr war bewusst, dass viele Menschen sie als kühl und distanziert empfanden, aber ihre Reserviertheit wurzelte in dem Bedürfnis, ein allzu verletzliches Herz zu schützen.
Wahrscheinlich hatte Thanos nie auch nur den Anflug eines Selbstzweifels erlebt.
Er strahlte nicht nur Selbstvertrauen aus, sondern auch Entschlossenheit. Alice konnte sie förmlich spüren. So intensiv, dass sie wie angewurzelt stehen blieb, obwohl sie zu ihrem Schreibtisch zurückkehren und auf Kosta Carinedes warten musste.
„Gibt es irgendetwas, das ich vor der Besprechung wissen sollte?“, hörte sie sich fragen.
„Nein. Es ist ganz einfach: Er besitzt etwas, das ich will. Ich habe vor, es heute zurückzukaufen. Vermutlich ist die Besprechung schnell vorbei.“
„Gut.“ Sie vergewisserte sich, dass alles vorbereitet war, und ging in ihr Büro. Dabei vermied sie es, in die Richtung ihres Chefs zu sehen – vielleicht aus Angst, sie könnte ihren Blick wieder nicht losreißen.
Keine fünf Minuten später öffneten sich die Fahrstuhltüren, und ein grauhaariger Mann kam herein. Er sah älter aus, als Alice erwartet hatte, mit vielen Falten und einem gütigen Lächeln. Der leicht gebückte Körper steckte in einem maßgeschneiderten Anzug und teuren Schuhen.
„Stathakis?“, fragte er und ging auf Alice zu.
„Hier entlang, Sir.“ Sie erhob sich und zeigte auf die Tür zu Thanos’ Büro. Dort angekommen, klopfte sie zweimal, drückte die Klinke herunter und ließ den Gast vorgehen.
Der Körper ihres Chefs spannte sich an. Da war sie wieder, diese Entschlossenheit, die Alice schon vorhin gespürt hatte, wie eine fast mit Händen zu greifende Kraft.
Kosta begrüßte Thanos auf Griechisch. Der erwiderte etwas und sagte dann auf Englisch: „Alice, meine Assistentin, spricht kein Griechisch.“
Der ältere Herr sah sie über die Schulter an und zuckte mit den Achseln. „Vielleicht können Sie mir erklären, warum ich herbeizitiert wurde?“, fragte er auf Englisch.
Die Frage ließ tief blicken. Thanos Stathakis war mächtig genug, um so ziemlich jeden Menschen in sein Büro zu zitieren. Und diese Macht hatte er heute Morgen ausgeübt. „Wissen Sie es denn nicht?“, entgegnete er.
Wieder zuckte Kosta die Schultern. „Ich vermute, es hängt mit P&A zusammen?“
Thanos blickte ihm in die Augen. „Ja. Bitte, setzen Sie sich.“
Nach kurzem Zögern nahm der Gast an einer langen Seite des Besprechungstisches Platz. Thanos setzte sich an die Kopfseite. „Sie haben mein Angebot erhalten?“, fragte er zuversichtlich.
Alice schenkte Kaffee ein, bevor sie sich über Eck zu ihrem Chef setzte und den Laptop aufklappte, um sich Notizen zu machen.
„Mein Anwalt hat mich darüber informiert.“
„Und?“
Kosta schnaubte leise. „War mein Schweigen keine Antwort auf Ihre Frage?“
„Schweigen kann vieles bedeuten“, erwiderte Thanos ungerührt.
„Nicht in diesem Fall.“
„Sie wollen verkaufen.“
„An den richtigen Käufer: ja.“ Kosta nippte an seinem Kaffee.
Alice legte beide Hände auf die Tastatur.
„Ihnen ist bekannt, dass Ihre Firma einen Teil meiner Firma beinhaltet?“, fragte Thanos.
Kostas Augen verengten sich. „Ich habe Petó vor vielen Jahren von Ihnen und Ihrem Bruder gekauft. Damals ist jeglicher Anspruch von Ihnen auf Petó erloschen.“
Von ihrem Platz aus konnte Alice sehen, wie Thanos eine Hand unter die Tischplatte senkte und zur Faust schloss, bis die Knöchel weiß wurden.
„Aber Sie müssen verkaufen“, sagte er langsam, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen.
„Warum muss ich das?“
„Weil Sie ledig sind, weder Kinder noch Enkel haben und P&A ein Familienunternehmen ist. Sie möchten es nicht öffentlich auf den Markt bringen, und Sie wollen bestimmt nicht, dass es nach Ihrem Tod aufgeteilt und verkauft wird.“
Alice biss sich auf die Unterlippe. Sie fühlte mit dem älteren Herrn. Wie eigenartig musste er es finden, dass jemand so leichthin über seinen Tod sprach!
„Das Schicksal meiner Firma geht Sie nichts an.“
Jetzt war Thanos derjenige, dessen Augen sich verengten. Alice’ Herz machte einen Satz. Attraktiv war ihr Chef ohnehin, doch so Respekt einflößend wie jetzt wirkte er noch beeindruckender.
Er sah Kosta einen langen Moment in die Augen. Nur Alice, die so nah bei Thanos saß, konnte erkennen, dass ein Muskel an seinem Kinn zuckte. „Seit zwei Jahren sinkt Ihr Profit.“
„Die Wirtschaftslage ist schwierig.“
„Nein, ist sie nicht. Sie verlieren Marktanteile und wissen nicht, wie Sie sie zurückgewinnen können.“
Kosta funkelte Thanos an. „Glauben Sie, ich bin hergekommen, um mich belehren zu lassen?“
„Ich erzähle Ihnen nichts, was Sie nicht schon wissen. Wenn Sie jetzt untätig bleiben, wird Ihre ehemals großartige Firma in der Bedeutungslosigkeit versinken. Tausende von Menschen werden ihre Jobs verlieren, weil Sie zu stur sind, einzusehen, was Sie tun müssen.“
„Meine Firma. Mein Problem.“
Thanos straffte die Schultern. „Ich mag eingewilligt haben, Petó an Sie zu verkaufen, aber ich habe nie aufgehört, es als mein Eigentum zu betrachten. Sie haben es in Ihre Firmengruppe integriert, also interessiere ich mich auch für Ihr Unternehmen. Verkaufen Sie mir P&A, und ich stelle sicher, dass Ihr Erbe in guten Händen ist.“
Kosta lachte ungläubig. „Denken Sie etwa, ich würde Ihnen meine Firma anvertrauen?“
„Warum sollten Sie das nicht tun?“ Alice hörte den harten Unterton in der banalen Frage. Ihr Chef lächelte angespannt. Sie merkte ihm an, wie zornig er war.
„Weil Sie der Sohn Ihres Vaters sind und ich nicht zulasse, dass das Erbe meiner Familie durch den Schmutz gezogen wird.“
Alice atmete scharf ein, erstaunt darüber, wie sehr der Vorwurf sie kränkte. Thanos sah sie kurz an. Als sich ihre Blicke trafen, stieg Mitgefühl in ihr auf.
„Ich weiß, dass Sie nicht so sind wie er“, meinte Kosta entschuldigend. „Sie sind anders, aber das Potenzial für Skandale ist identisch. Ich kann keine Zeitung aufschlagen, ohne Ihr Foto zu sehen. Sie trinken zu viel, feiern zu viel und schlafen mit jeder Frau, die nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ihr Ruf als Playboy-Prinz Europas ist fast noch zu milde für Ihren ausschweifenden Lebensstil.“
„Was hat mein Lebensstil damit zu tun?“, fragte Thanos mit undurchdringlicher Miene. „Glauben Sie, er beeinträchtigt meine Fähigkeit, Ihre Firma zu leiten?“
„Im Gegenteil, aus meiner Sicht eignet sich niemand besser als Sie. Ich habe Ihren Geschäftssinn immer bewundert. Schon in jungen Jahren, als Sie Ihrem Großvater auf Schritt und Tritt gefolgt sind, waren Sie cleverer als er und ich zusammen.“
Alice fragte sich, ob das Kompliment ihren Chef stolz machte.
„Ich habe vom Besten gelernt“, räumte Thanos ein.
„Ja. Nicholas war einer der besten Männer, die ich je getroffen habe.“ Kosta lehnte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Ich habe ihn stets respektiert. Gemocht. Was Ihr Vater getan hat …“
Wieder zuckte der Muskel an Thanos’ Kinn. „Das ist irrelevant. Ich habe längst meinen Frieden damit geschlossen.“
„So?“ Kosta sah ungläubig aus, ließ das Thema jedoch fallen. „Ihr Großvater und ich stammen aus einer anderen Generation. Unseren Eltern und uns war und ist die Familie sehr wichtig. Wir hatten altmodische Moralvorstellungen und wollten, dass es seriös zugeht. Ein Handschlag galt genauso viel wie ein Vertrag.“ Wehmütig schüttelte er den Kopf. „Heute ist die Welt anders. Vielleicht bin ich ein Relikt, das keinen Platz mehr in ihr hat. Aber wenn Sie glauben, dass ich meine Firma in die Hände eines Mannes fallen lasse, der Frauengeschichten als Sport betrachtet, irren Sie sich gewaltig.“
Thanos wich Kostas Blick nicht aus. Alice fühlte sich, als würde sie in einen zutiefst persönlichen Moment platzen.
„Niemand wird härter für P&A arbeiten als ich“, versprach ihr Chef.
„Mag sein. Trotzdem verkaufe ich nicht an Sie.“
Alice schloss kurz die Augen. Das Ergebnis dieser Besprechung bedeutete ihr mehr, als sie für möglich gehalten hatte.
„Ich habe nicht vor, mich mit einem Nein abzufinden.“
„Sie hören ein Nein immer ungern, egal, von wem es kommt. Auch deshalb ist es Ihnen gelungen, den Schaden zu beheben, den Ihr Vater angerichtet hat. Doch das ändert nichts an meiner Antwort. Ich werde P&A nicht an einen Mann wie Sie verkaufen, Thanos Stathakis. Nicht für doppelt so viel, wie Sie mir bieten. Für kein Geld der Welt. Nicht, solange Sie nicht erwachsen geworden sind.“
Ein halb aufgegessenes Sandwich neben sich, blätterte Alice einen Stapel Rechnungen durch. Auf ihrem Konto war nur noch wenig Guthaben. Nicht annähernd genug, um den letzten Klinikaufenthalt ihrer Mutter zu bezahlen.
Ihr Herz zog sich zusammen, als sie sich daran erinnerte, wie man Jane Smart mit einem lebensgefährlichen Blutgerinnsel eilig auf einer Liege durch die Korridore des Krankenhauses geschoben hatte. Entgegen der geringen Chancen hatte ihre Mom überlebt – sie lag im Koma, aber sie lebte.
Alice überflog die nächste Rechnung. Ihr wurde übel. Wie sollte sie diese Kosten jemals bezahlen?
Sie war derart in ihre Finanzen vertieft, dass sie nicht hörte, wie die Tür von Thanos’ Büro geöffnet wurde. Auch nicht, wie ihr Chef näherkam, bis er dicht vor ihr stand.
Ertappt legte sie eine Hand auf die Rechnungen, wobei ihr bewusst war, dass sie die roten Blätter mit den sofortigen Zahlungsaufforderungen kaum verdecken konnte. „Brauchen Sie etwas, Sir?“
Diesmal korrigierte er die formelle Anrede nicht. „Was halten Sie von Kosta Carinedes?“, fragte er stattdessen.
Überrascht lehnte Alice sich zurück und vergaß vorübergehend sowohl die Rechnungen als auch ihren Lunch. „In welcher Hinsicht?“
„In jeder. Haben Sie den Eindruck, dass er allen Ernstes nicht an mich verkaufen will?“
Nachdenklich biss sie in ihre Unterlippe. „Ich wüsste nicht, warum er lügen sollte.“
„Nein, ich auch nicht. Mein Angebot liegt weit über dem Marktwert seiner Firma. Es ist dumm von ihm, nicht zuzugreifen.“
„Vielleicht will er gar nicht wirklich verkaufen?“
„Er weiß, dass er es muss.“ Ihr Chef fuhr sich mit einer Hand durch die ohnehin schon strubbeligen Haare. „Er ist bloß stur.“
Alice nickte. Der Besucher hatte ein stichhaltiges Argument genannt: Thanos war ein berüchtigter Casanova. Seine Begleiterinnen wechselten ständig, und er feierte beinahe in jeder freien Minute. Aber welche Rolle spielte das? Was er geschäftlich anpackte, verwandelte er in Gold. Das war doch gewiss wichtiger, wenn es um eine Firmenübernahme ging? „Vielleicht ändert er seine Meinung.“
Ihr Chef starrte aus dem Fenster. „Das glaube ich kaum.“
„Dann werden Sie dafür sorgen müssen, dass er es tut.“ Mit gerunzelter Stirn beugte sie sich wieder über die Rechnungen, ohne wahrzunehmen, wie er den Blick auf sie richtete.
Nachdenklich betrachtete Thanos seine sanftmütige Assistentin. Sie war offen und ungekünstelt. Anders als die meisten weiblichen Wesen, mit denen er zu tun hatte, überschlug sie sich nicht, um ihm zu schmeicheln und zu gefallen. Ihr schien kaum aufzufallen, dass er ein Mann war. Er fand es ungewöhnlich, einer Frau zu begegnen, die nicht nach dem üblichen Muster reagierte.
Und faszinierend.
Hübsch war sie wohl, auf eine dezente Art – wenngleich sie sich kaum Mühe mit ihrem Äußeren gab. Ihr Kostüm war alt und weit und verbarg jegliche Kurven, die sie haben mochte. Sie hatte seidige, dichte Haare. Wie lang sie waren, konnte er nur vermuten, denn Alice hatte sie im Nacken zu einem Dutt zusammengesteckt. Schlicht. Geschäftsmäßig.
Er senkte den Blick auf ihre Finger, mit denen sie gerade in einem Papierstapel blätterte – rote Blätter mit dem Wort MAHNUNG. Trotz seiner gravierenden Probleme erwachte seine Neugierde. „Was machen Sie da?“
Sie blickte zu ihm hoch, als hätte sie gedacht, er wäre schon gegangen. „Ich kümmere mich um etwas Privates. Dies ist meine Mittagspause.“
Thanos schaute auf seine Armbanduhr. „Es ist schon Abend.“
„Vorher hatte ich keine Zeit“, erwiderte sie, als würde sie befürchten, sich seinen Unmut zuzuziehen. Dafür gab es keinen Grund. Alice war zwar nur eine Aushilfe, und er hatte das New Yorker Büro fast ein Jahr nicht betreten, doch er wusste, dass sie härter arbeitete als die meisten Festangestellten. Sie war oft die Letzte, die abends mit ihrer Zugangskarte auscheckte, und die Erste, die morgens erschien.
Trotz seines beachtlichen Arbeitspensums hatte sie es irgendwie geschafft, sowohl seine geschäftlichen als auch seine privaten Termine reibungslos zu organisieren.
Wenn sein Privatjet aufgetankt werden sollte, mailte er Alice. Wenn er Geschenke brauchte – Alice. Reparaturen in einem seiner Apartments – Alice. Sie managte sämtliche Aspekte seines Lebens, obwohl sie sich heute zum ersten Mal trafen.
Er wusste nichts über sie.
Warum störte ihn das? Stathakis Corp beschäftigte weltweit dreißigtausend Menschen. Eine einzelne Frau hätte ihn nicht so sehr interessieren sollen.
Und doch ertappte er sich dabei, wie er sich mit der Hüfte an ihren Schreibtisch lehnte, um die Rechnungen genauer anzuschauen. Verlegen schob sie den Stapel zur Seite.
Also wusste er jetzt eine Sache über sie: Sie konnte nicht gut mit Geld umgehen. Angesichts des Lohns für die persönliche Assistentin der Geschäftsführung musste es so sein. Einen Teil strich zwar die Zeitarbeitsfirma ein, aber unabhängig davon zahlte er großzügig.
„Wünschen Sie noch irgendetwas, Sir?“