Romantische Träume in Barcelona - 4 prickelnde Lovestorys

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  • Erscheinungstag 06.03.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536967
  • Seitenanzahl 489
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
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Geschäftsführung: Ralf Markmeier
Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2018 by Angela Bissell
Originaltitel: „A Mistress, A Scandal, A Ring“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2371 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Natasha Klug

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733711931

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

„Sie müssen jetzt gehen, Señorita .“

Jordan Walsh legte den Kopf in den Nacken, bis sie dem uniformierten Sicherheitsmann in die Augen sehen konnte. „Das werde ich nicht tun“, erklärte sie ihm und machte keinerlei Anstalten, von dem Stuhl aufzustehen, auf dem sie nun schon seit über zwei Stunden saß.

Der große Mann runzelte die Stirn. „Sie müssen gehen. Das Gebäude schließt jetzt.“

Das Gebäude – damit war nichts anderes als der Vega Tower gemeint. Ein riesiger Monolith aus Glas und Stahl, der im Herzen des Geschäftsdistrikts von Barcelona stand und alles um ihn herum in den Schatten stellte. Er hatte beinahe zweieinhalb Milliarden Dollar gekostet und erstreckte sich vom Fundament bis zur Spitze über vierundvierzig Stockwerke. Das alles wusste Jordan deshalb so genau, weil sie genug Zeit gehabt hatte, die Hochglanzbroschüre mit dem Titel Die Vega Unternehmensgruppe – Sechzig Jahre Erfolg durchzulesen, die neben ihr auf dem niedrigen Beistelltisch im Warteraum lag.

Zwei Mal, um genau zu sein.

„Ohne einen Termin bei Mr. de la Vega werde ich dieses Gebäude nicht verlassen“, stellte sie entschieden klar.

Das war keine wirkliche Neuigkeit für den Sicherheitsmann. Dieselbe Forderung hatte sie auch gestellt, als sie vor zwei Stunden eingetroffen war. Und noch einmal eine Stunde später, als deutlich geworden war, dass seine Nachfrage bei der Assistentin des Geschäftsführers nicht zum gewünschten Ergebnis führen würde.

„Er ist nicht verfügbar.“

„Weshalb ich auch nicht um ein sofortiges Treffen, sondern lediglich um einen Termin gebeten habe“, entgegnete sie mit engelsgleicher Geduld.

„Das ist leider nicht möglich.“ Er umfasste ihren Oberarm mit seiner riesigen Pranke und zog sie auf die Füße.

Jordan atmete scharf ein. „Warten Sie!“ Sie stemmte ihre Fußsohlen gegen den weißen Marmorfußboden. „Sie wollen mich doch nicht ernsthaft aus dem Gebäude schleifen, oder?“

„Es tut mir wirklich sehr leid“, sagte er, doch sein Blick wirkte weniger entschuldigend als vielmehr mitleidig. Und das war etwas, das Jordan überhaupt nicht leiden konnte.

Es war nicht schwer, sich auszurechnen, was er und seine Kollegen über sie dachten. Ein Mann, so wohlhabend und mächtig wie ihr Boss, musste eine Vielzahl von weiblichen Bewunderern haben. Und als seine Angestellten hatten sie diesbezüglich sicher genaue Anweisungen.

Aber Jordan war keine beleidigte Verflossene oder Möchtegerngeliebte.

„Bitte“, wiederholte sie und verabscheute den flehentlichen Klang ihrer Stimme. „Können Sie nicht einfach noch mal in seinem Büro anrufen?“

Irgendjemand musste doch noch da sein. Sicher, es war fast halb sieben. Aber sie hatte erst gestern in einem Online-Artikel über ihn gelesen, dass er oft bis spät in die Nacht arbeitete und das auch von seinen Mitarbeitern erwartete.

Doch der Sicherheitsbeamte schüttelte den Kopf. „Rufen Sie morgen wieder an.“

Frustriert kniff Jordan die Augen zusammen. Sie hatte schon am Tag zuvor angerufen. Und dem davor. Und jedes Mal war sie an der hochnäsigen Assistentin des Geschäftsführers gescheitert. Deshalb hatte sie sich an diesem drückend heißen Augustnachmittag auf den Weg gemacht, ihrem Anliegen persönlich Nachdruck zu verleihen.

Sie gab sich alle Mühe, sich zu wehren, und machte sich so schwer wie möglich, aber der Sicherheitsmann war einfach viel zu stark für sie. Und als er sich in Bewegung setzte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm hinterherzustolpern. Sie waren schon fast beim Ausgang angelangt. Nur noch ein paar Schritte, und sie würde sich draußen auf dem Gehweg wiederfinden.

Die Glastüren öffneten sich und ließen einen Schwall heißer Luft herein. Jordan dachte an den Umschlag in ihrer Tasche – den Brief, den sie um den ganzen Globus getragen hatte – und verspürte das überwältigende Gefühl, versagt zu haben.

Und das alles, weil sie es einfach nicht schaffte, zu diesem einen Mann vorgelassen zu werden.

Bei dem Gedanken mobilisierte sie noch einmal all ihre Kräfte. „Ich bin Mr. de la Vegas Stiefschwester!“, rief sie aus, und der Sicherheitsmann blieb stehen. Sein Griff um ihren Arm lockerte sich für einen Moment – genug Zeit für sie, um sich von ihm loszumachen.

Es schien, als würde mit einem Mal alles in dem weitläufigen Foyer zum Stillstand kommen. Die anderen Sicherheitsbeamten und die Büroangestellten, die sich gerade auf dem Weg nach Hause befanden, starrten sie an.

Hitze brachte ihre Wangen zum Glühen. Sie schluckte hart und versuchte, die aufdringlichen Blicke zu ignorieren. „Ich bin sicher, dass Sie ihm nicht erklären möchten, warum Sie mich abgewiesen haben.“

Der Mann runzelte die Stirn, dann sagte er: „Warten Sie bitte.“

Er trat wieder an den Empfangstresen und führte ein kurzes Telefongespräch. Keine zwei Minuten später trat eine große, elegante Frau in einem blauen Businesskostüm aus dem Fahrstuhl.

Jordan spürte ihren prüfenden Blick auf sich, während die Frau auf sie zukam. „Miss Walsh.“ Ihre Stimme klang kühl. „Mr. de la Vega ist sehr beschäftigt, aber er hat sich bereit erklärt, Ihnen zehn Minuten seiner Zeit zu schenken.“

Sie sprach mit Akzent, aber Jordan hätte die Stimme auch so erkannt. Es war die Assistentin, die ihre Anrufe entgegengenommen und sich geweigert hatte, ihr einen Termin zu geben.

Jordan zwang ein Lächeln auf ihre Lippen und widerstand der Versuchung zu fragen, ob Mr. de la Vega wirklich sicher war, dass er zehn Minuten für sie erübrigen konnte. „Vielen Dank“, sagte sie, doch die Frau hatte bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und überzeugte sich nicht einmal davon, dass Jordan ihr folgte.

Der Sicherheitsmann hatte die Fahrstuhlkabine aufgehalten und stieg mit ihnen ein. Jordan hämmerte das Herz bis zum Hals, als sie ins vierundvierzigste Stockwerk hinaufbefördert wurden. Sie hatte sich lange auf diesen Moment vorbereitet und sich genau überlegt, was sie sagen würde. Doch sie hatte nicht erwartet, dass sie so nervös sein würde.

Wobei – es war nicht gerade eine Kleinigkeit, die ihr da bevorstand. Sie hatte keine Ahnung, wie Xavier de la Vega sie empfing. Wie er reagieren würde. Sie wusste nicht einmal genau, wie sie in seiner Situation reagieren würde.

Aufgeregt musterte sie sich in der verspiegelten Kabinenwand. Sie trug eine ärmellose weiße Bluse und kakifarbene Caprihosen, kombiniert mit bequemen Schuhen. Sie wirkte schlicht und unauffällig neben der hochgewachsenen Spanierin. Das Einzige, was an ihr hervorstach, war ihr langes kupferfarbenes Haar.

Die Aufzugtüren öffneten sich, und jeder Gedanke an ihr Outfit war vergessen, als sie der anderen Frau durch einen breiten Korridor folgte. Der Teppich war so dick, dass er ihre Schritte zu verschlucken schien, und an den Wänden hingen Kunstwerke, die ein Vermögen gekostet haben mussten.

Schließlich betraten sie ein riesiges Büro, und ihre gesamte Aufmerksamkeit richtete sich sofort auf den Mann, der hinter dem gewaltigen Eichenschreibtisch saß.

Jordan hatte Fotos von ihm online gesehen. Nicht viele, nein. Anders als sein jüngerer Bruder, der sich bei praktisch jeder Gelegenheit fotografieren zu lassen schien, schätzte Xavier de la Vega seine Privatsphäre.

Doch die Schnappschüsse im Internet hatten sie in keiner Weise darauf vorbereitet, dem Mann in Fleisch und Blut gegenüberzutreten.

Er war unglaublich attraktiv. Und diese Augen. Grau … Wie die von Camila.

Ihre Kehle war mit einem Mal wie zugeschnürt. Jordan blinzelte, um sich wieder in die Gegenwart zurückzubringen.

Er stand auf, und seine schiere Größe traf sie wie ein kleiner Schock. Mindestens eins neunzig, dachte sie überrascht. Ihre Stiefmutter war klein und zierlich gewesen. Schon mit sechzehn hatte Jordan sie weit überragt.

Er trat um den Schreibtisch herum, und sie nahm seine gesamte Erscheinung in sich auf, von seinem kurzen schwarzen Haar über seinen maßgeschneiderten grauen Anzug bis hin zu den teuer aussehenden Lederschuhen. Alles war perfekt und makellos. Sogar der Windsor-Knoten seiner Krawatte war absolut ohne Tadel.

Eine Aura von Kompetenz und Autorität umgab ihn – und noch etwas, das Jordan nicht ganz identifizieren konnte.

Arroganz?

Ungeduld?

Sie ließ den Blick über sein Gesicht wandern – das markante Kinn, die hohe Stirn und die tiefschwarzen Brauen – und kam zu dem Schluss, dass dieser Mann definitiv keine Toleranz für Schwäche besaß.

Die Stille, die über dem Raum hing, wurde ihr bewusst. Er lächelte nicht. Er trat nicht einmal vor, um ihr die Hand zu reichen, wofür sie vermutlich dankbar sein sollte. Ihre Handinnenflächen waren nämlich schweißnass.

Seine Aufmerksamkeit wanderte zu seiner Assistentin. „ Gracias , Lucia“, sagte er – seine Stimme war tief und unglaublich maskulin. „Lassen Sie uns bitte allein.“

Er schaute den Sicherheitsmann an und sagte etwas auf Spanisch – oder Katalan?, denn sie hatte gelesen, dass er beide Sprachen fließend sprach, ebenso wie Englisch und Französisch –, und ihre Knie wurden dabei ganz weich.

Sie liebte romanische Sprachen, und trotz seines unfreundlichen Benehmens war es unbestreitbar sexy, ihn seine Muttersprache sprechen zu hören.

Der Sicherheitsmann antwortete, dann verließen Lucia und er den Raum.

Seine Augen – sie waren ein oder zwei Schattierungen dunkler als Camilas, wie sie jetzt bemerkte – ruhten wieder auf ihr.

„Meine Angestellten sind um meine Sicherheit besorgt.“

Es waren nicht unbedingt die ersten Worte, die sie von ihm erwartet hatte. Sie blinzelte verwirrt. „Warum?“

„Sie glauben, dass Sie eine Bedrohung darstellen könnten“, führte er aus. „Tun Sie das, Miss Walsh?“

Sie riss die Augen auf. „Eine körperliche Bedrohung, meinen Sie?“ Der Gedanke war so absurd, dass sie ein Lachen nicht unterdrücken konnte. „Wohl kaum.“

„Das sehe ich genauso.“ Er neigte den Kopf zur Seite. „Sind Sie Reporterin?“

„Nein“, antwortete sie stirnrunzelnd. „Wie kommen Sie darauf?“

„Reporter haben die Angewohnheit, bei ihren Bemühungen, mit mir in Kontakt zu treten, sehr kreativ zu werden.“

„Ich fürchte, ich kann nicht ganz folgen.“

„Ihre Behauptung, meine Stiefschwester zu sein.“

„Ah …“ Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. „Das kann ich erklären …“

„Können Sie das, Miss Walsh?“ Seine Stimme klang barsch. „Denn als ich das letzte Mal mit ihnen sprach, waren meine Eltern nach wie vor glücklich verheiratet – miteinander. Meines Wissens hat keiner von ihnen irgendwelche geheimen Ehepartner oder Stiefkinder.“

Sie hatte ja durchaus erwartet, dass es nicht leicht werden würde. Genau deshalb hatte sie ja solche Sorgfalt darauf verwendet, ihre erste Begegnung penibel zu planen. Doch jetzt, wo sie ihm gegenüberstand, konnte sie sich plötzlich an gar nichts mehr erinnern.

Sie schluckte hart. „Ähm … Vielleicht sollten wir uns setzen?“

Erst stand er einfach nur da und schaute sie an, die Augen zu Schlitzen verengt, so als würde er überlegen, ob er sie nicht doch vor die Tür setzen sollte. Schließlich deutete er auf den Stuhl, der vor dem Tisch stand.

Sie lächelte erleichtert. „Vielen Dank“, sagte sie und bemerkte, dass er wartete, bis sie saß, ehe er auf seinem eigenen Stuhl Platz nahm. Es war eine einfache, altmodische Geste, die sie ihm gegenüber für einen Moment milder stimmte – zumindest, bis er den Mund öffnete.

„Reden Sie schon, Miss Walsh. Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit.“

Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht. Um Himmels willen, war er immer so brüsk? Oder wurde diese spezielle Behandlung nur Fremden zuteil, die um eine Audienz bei ihm ersuchten?

Sie setzte sich gerade auf und sagte. „Jordan.“

„Wie bitte?“

„Mein Vorname ist Jordan.“

Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, ehe er abrupt aufhörte und die Hand zur Faust ballte. „Ihr Akzent – sind Sie Australierin?“

„Ja, ich komme aus Melbourne.“ Sie hielt inne, atmete tief durch und öffnete ihre Tasche, um das rote, ledergebundene Tagebuch hervorzuholen. Sie öffnete den Verschluss, schlug es auf – und da waren sie: der versiegelte Umschlag und die beiden Fotos, wegen denen sie hergekommen war. „Bis vor Kurzem habe ich dort mit meiner Stiefmutter gelebt.“ Sie nahm eines der Fotos und hielt es ihm entgegen. „Camila Walsh.“

Er schaute das Bild an, doch seine Miene zeigte keinerlei Reaktion. Jordan wusste nicht, warum sie das enttäuschte. Natürlich würde er ihre Stiefmutter nicht erkennen.

Doch ihre Augen … Konnte er nicht sehen, dass es seine Augen waren?

„Ihr Mädchenname war Sanchez“, fuhr sie fort. „Sie kam ursprünglich aus einem kleinen Ort nördlich von hier.“

„War?“

Jordan zögerte. In den vergangenen zehn Tagen hatte sie sich von der Überzeugung tragen lassen, dass sie nicht nur das einzig Richtige tat, sondern dass es zudem auch eine gute Sache war.

Nach Wochen, in denen sie sich verloren und allein gefühlt hatte, ohne Job, ohne irgendjemanden auf der Welt, hatte sie ihren Flug nach Spanien gebucht und sich dabei beinahe euphorisch gefühlt.

„Sie starb vor sechs Wochen.“ Irgendwie schaffte sie es, die Worte ohne Zittern in der Stimme hervorzubringen. Sie starrte auf das Foto ihrer Stiefmutter.

„Mein Beileid.“

Sie sah auf. Es hatte ehrlich geklungen. „Danke.“ Dann atmete sie tief durch den Mund ein und langsam durch die Nase aus. So hatte Camila es ihr beigebracht, um mit stressigen Situationen umzugehen.

Sie wusste, er wartete darauf, dass sie ihm erklärte, warum sie hier war. Ob er schon eine Ahnung hatte? Sie musterte ihn, doch er wirkte absolut ungerührt.

„Camila war Ihre leibliche Mutter.“

Ihre Worte schienen von den Wänden widerzuhallen. Jordan wappnete sich innerlich, doch Xavier de la Vega schien unbeeindruckt.

„Haben Sie Beweise dafür?“

Sie blinzelte. Er wirkte so kühl und kontrolliert – sehr viel weniger emotional als alles, was sie erwartet hatte. Doch vermutlich war es ein Fehler, zu viel in seine Reaktion hineinzuinterpretieren. Mit sechsundzwanzig – und nach fünf Jahren als Krankenschwester in der Notaufnahme – hatte sie vieles gesehen und erlebt. Und eines wusste sie genau: Menschen reagierten auf lebensverändernde Nachrichten auf unterschiedliche Weise. Manche wirkten oberflächlich ruhig, doch darunter herrschte ein wahrer Tumult von Gefühlen.

Sie schob ihm das andere Foto zu. „Das sind Sie“, sagte sie, und ihr Herz schlug einen Purzelbaum bei dem Gedanken, dass dieses winzige, unschuldige Baby zu dem mächtigen und einschüchternden Mann herangewachsen war, der vor ihr saß.

Er beugte sich vor und schaute sich das Bild an. Dann lehnte er sich wieder zurück. „Das beweist gar nichts“, erklärte er abweisend. Er runzelte die Stirn. „Dieses Kind könnte praktisch jeder sein.“

Sie griff nach dem Foto und drehte es um. Die blaue Tinte auf der Rückseite war im Laufe der Zeit verblasst, doch Camilas Handschrift war noch lesbar.

„Da steht Ihr Vorname“, sagte sie und wartete. Er schien unwillig, sich die Fotografie noch einmal anzusehen. Doch als er es schließlich tat, sah sie, wie seine Augen groß wurden. „Und das Geburtsdatum darunter ist, soweit ich weiß …“

„Meines“, fiel er ihr ins Wort. „Es ist kein Geheimnis, dass ich adoptiert bin. Ein altes Foto mit meinem Vornamen und meinem Geburtsdatum muss gar nichts heißen.“

„Vielleicht nicht“, lenkte sie ein, entschlossen, die Nerven zu behalten. „Aber meine Stiefmutter hat mir Dinge erzählt. Dinge, die nur Ihre Adoptiveltern oder Ihre leibliche Mutter wissen können.“

Sein Blick wurde eisig. „Zum Beispiel?“

Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippe. „Vor fünfunddreißig Jahren arbeitete Regina Martinez als Haushälterin für Ihre Eltern“, begann sie und wiederholte damit das, was Camila ihr etwa einen Monat vor ihrem Tod anvertraut hatte. „Sie hatte eine achtzehnjährige unverheiratete Nichte, die schwanger wurde. Zur selben Zeit spielten Ihre Eltern bereits mit dem Gedanken, ein Kind zu adoptieren, nachdem Ihre Mutter mehrere Fehlgeburten gehabt hatte. Eine private Adoption wurde arrangiert, und kurz darauf wurden Sie geboren – in einer Privatklinik hier in Barcelona. Und danach haben sie Sie mit nach Hause genommen.“

Und die junge Camila war am Boden zerstört gewesen, auch wenn ihr keine andere Wahl geblieben war. Mit der Alternative – als unverheiratete Mutter unter dem Dach ihres strengen Vaters in einem konservativen Dorf zu leben – hätte sie weder sich selbst noch ihrem Kind einen Gefallen getan.

Jordan wusste sehr gut, wie es sich anfühlte, von der eigenen Mutter nicht gewollt zu sein. Sie hoffte, dass Xavier die Entscheidung seiner leiblichen Mutter nicht als Akt der Zurückweisung, sondern der Liebe sehen würde.

Sie wartete angespannt darauf, dass er etwas sagte. Natürlich war es mehr als nachvollziehbar, dass er ein paar Minuten brauchte, um zu verarbeiten, was sie gesagt hatte.

„Was wollen Sie, Miss Walsh?“

Sie blinzelte. Die Frage und sein eisiger Tonfall kamen für sie völlig überraschend. „Wie bitte?“

„Geld?“

Sie starrte ihn an. „Geld?“, wiederholte sie.

Sein Blick war durchdringend. „Es ist allgemein bekannt, dass meine Familie zu den wohlhabendsten in ganz Spanien gehört. Sie wären nicht die erste Person, die versucht, sich auf diese Weise Almosen zu erschleichen.“

„Almosen?“ Sie konnte nicht fassen, was sie da hörte. „Das ist beleidigend.“

„Ziemlich“, gab er zu. „Deshalb frage ich Sie noch einmal: Was wollen Sie, Miss Walsh?“

Jordans Herz hämmerte wie verrückt. Wie, um Himmels willen, konnte dieser arrogante, befehlshaberische Mann der Sohn ihrer Stiefmutter sein?

Camila war sanft und liebevoll gewesen und hatte stets das Beste im Menschen gesehen, ganz gleich, wie sehr sie in ihrem Leben auch gelitten hatte.

Jordan schaute den Umschlag an, den sie zwischen die Seiten ihres Tagebuchs gesteckt hatte. Sie hatte ihn um die halbe Welt bis hierher gebracht und war nicht ein einziges Mal versucht gewesen, einen Blick hineinzuwerfen.

Der Brief, der sich darin befand, war eine private Angelegenheit. Die Worte einer sterbenden Frau an ihren Sohn.

Sie hob das Kinn und schaute ihm in die Augen, um ihn wissen zu lassen, dass sie sich von ihm nicht einschüchtern ließ. Dass es nichts gab, wegen dem sie sich schämen müsste.

Sie hielt den Umschlag hoch. „Ich bin hier, um Ihnen das hier zu geben.“

„Und was ist das?“

„Ein Brief von Ihrer leiblichen Mutter.“

„Camila Walsh?“

„Ja. Von Ihrer leiblichen Mutter.“

„Eine Behauptung, die bisher noch nicht bewiesen ist.“

Jordan widerstand nur mit Mühe der Versuchung, ihrer Frustration Luft zu machen, indem sie die Faust auf den Tisch sausen ließ. Sie war niemand, der bei der kleinsten Provokation gleich an die Decke ging. Sie war glücklich darüber, das flammend rote Haar ihrer Mutter geerbt zu haben, aber – zum Glück! – nicht deren Persönlichkeit.

Ärger stieg in ihr auf. Allem voran auf sich selbst, weil sie eine solche Situation nicht vorhergesehen hatte.

Das hier war das Letzte, was sie für ihre Stiefmutter noch tun konnte. Für die Frau, deren Liebe und Freundlichkeit dabei geholfen hatten, die Wunden zu heilen, die ihre richtige Mutter bei ihr hinterlassen hatte.

Und, so beschämend der Gedanke auch sein mochte, Jordan hatte sich in ihrem Kopf eine kleine Fantasie zurechtgelegt. Sie hatte sich vorgestellt, dass sie Freundschaft mit Camilas Sohn schließen und eine geschwisterliche Beziehung zu ihm aufbauen könnte. Ein lachhafter Gedanke, wie sie jetzt feststellen musste.

Dies war ganz sicher nicht der Mann, mit dem sie eine solche Beziehung haben konnte. Sie mochte ihn nicht einmal. Genau genommen entsprach er allem, was sie nicht ausstehen konnte. Er war arrogant. Überheblich. Gefühllos. Ein selbsternannter Halbgott im maßgeschneiderten Anzug, der sein Königreich von seinem Elfenbeinturm aus regierte.

Und wenn Jordan sich mit einem auskannte, dann mit Männern, die unter einem Gottkomplex litten. Sie war mit einem Chirurgen ausgegangen, dessen Ego die Größe des Opernhauses von Sydney besaß. Schlimmer noch, sie war bei ihm eingezogen und hatte entschieden, dass sie ihn liebte.

Sie zügelte ihre Gedanken und konzentrierte sich auf das kalte, attraktive Gesicht des Mannes vor ihr. Und dann traf sie eine Bauchentscheidung. „Ich glaube nicht, dass Sie bereit für diesen Brief sind, Mr. de la Vega.“

Die Wahrheit war vielmehr, dass sie nicht bereit war, ihn aus der Hand zu geben. Was, wenn er ihn nicht mit dem Respekt behandelte, der ihm gebührte? Was, wenn er ihn wegwarf, ohne ihn auch nur gelesen zu haben?

Sie steckte den Umschlag wieder in ihr Tagebuch und riss ganz hinten eine leere Seite heraus. Dann nahm sie einen Stift aus ihrer Tasche und schrieb ihre Handynummer auf. „Ich werde noch ein paar Tage im Hostel Jardí bleiben und von dort aus nach Mallorca und dann nach Madrid weiterreisen.“ Sie legte das Blatt auf seinen Tisch. „Wenn Sie mich erreichen möchten, das hier ist meine Nummer.“ Sie packte ihre Sachen wieder in die Tasche und schlang sich den Träger über die Schulter. „Vielen Dank, dass Sie mich empfangen haben, Mr. de la Vega.“ Dann drehte sie sich um.

„Miss Walsh.“

Seine tiefe Stimme und sein Kommandoton ließen sie innehalten. Ihr Herz klopfte heftig. Hatte er es sich doch anders überlegt? War ihm womöglich bewusst geworden, wie furchtbar er sich verhalten hatte?

Sie hielt den Atem an, drehte sich um – und erlebte eine Enttäuschung. Er stand da und hielt ihr das Foto entgegen, das sie auf dem Tisch hatte liegen lassen. Es war das Bild, das ihn selbst als Baby zeigte. „Sie haben das hier vergessen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Es gehört Ihnen. Behalten Sie es – oder werfen Sie es weg. Ihre Entscheidung.“ Sie ging weiter, und auf dem ganzen Weg bis zur Tür spürte sie seinen Blick in ihrem Rücken. Doch er rief sie nicht noch einmal zurück.

Sie ging am Schreibtisch seiner Assistentin vorbei, die sich halb erhob, als Jordan den Kopf schüttelte. „Ich finde schon hinaus, vielen Dank.“

Als sie etwas später durch den Haupteingang auf den Gehweg trat, atmete sie tief durch.

Was sollte sie nun mit dem Brief ihrer Stiefmutter anfangen?

2. KAPITEL

„Ich habe die Papiere ausfindig gemacht“, erklärte Roberto Fuentes, langjähriger Anwalt und Freund der Familie de la Vega am anderen Ende der Leitung. Dann zögerte er, und Xav spürte, wie seine eiserne Selbstbeherrschung für einen Moment ins Schwanken geriet.

Er stand auf und presste sein Handy fest ans Ohr. Drei große Schritte brachten ihn zu dem riesigen Panoramafenster, von dem aus man einen fantastischen Blick über die ganze Stadt hatte.

„Der Mädchenname deiner Mutter war Camila Sanchez“, fuhr Roberto weiter fort.

Xavs Blut schien sich in Eiswasser zu verwandeln, dabei hatte der Anwalt nur bestätigt, was er längst geahnt hatte. Er stützte sich mit dem linken Arm am Fenster ab, weil er sich plötzlich schwach auf den Beinen fühlte.

„Xavier?“

„Ich habe gehört, was du gesagt hast, Roberto.“ Er trat vom Fenster weg und wieder zu seinem Schreibtisch. „War sie mit jemandem verwandt, der für meine Eltern gearbeitet hat?“

Wieder dieses Zögern. „Bei allem Respekt, Xavier, aber das ist eine Unterhaltung, die du mit Elena und Vittorio führen solltest. Sie haben immer gesagt …“

„Nein“, fiel Xavier ihm ins Wort. Er wusste, was seine Eltern immer sagten. Dass sie ihn liebten und dass sich daran nie etwas ändern würde. Und genau so war es auch immer gewesen. Schon ganze fünfunddreißig Jahre lang.

Nicht einmal, als plötzlich und unerwartet sein jüngerer Bruder Ramon – das Wunderkind, von dem die Ärzte ihrer Mutter versichert hatten, dass sie es nie haben würde – zur Welt gekommen war.

Seine Eltern sagten auch immer, dass sie ihn unterstützen würden, sollte er sich eines Tages entschließen, seine biologische Familie ausfindig machen zu wollen. Er hatte dieses Angebot niemals in Anspruch genommen, aber er wusste, dass sie ihr Wort halten würden.

Vittorio und Elena de la Vega waren gute Menschen. Gute Eltern. Xav hatte über die Jahre hart gearbeitet, um sie stolz zu machen. Hatte noch härter gearbeitet, um auch die entferntere Verwandtschaft zu überzeugen, die ihn nie als würdig betrachtet hatte, den Namen de la Vega zu tragen.

Nein, ganz gleich, ob sich sein Anwalt nun gut dabei fühlte oder nicht – er würde seine Eltern nicht in diese Sache mit hineinziehen. Er würde sie beschützen. Zumindest, bis ihm klar war, womit – oder mit wem – er es zu tun hatte.

Er setzte sich an den handgeschnitzten Eichenschreibtisch, der seit vier Generationen zusammen mit der Rolle des Hauptgeschäftsführers vom Vater an den ältesten Sohn weitergegeben wurde.

„Diese Unterhaltung bleibt unter uns“, sagte er. „Haben wir uns verstanden?“

„Wie du willst“, erwiderte der ältere Mann mit einem resignierten Seufzen. „Einen Moment …“

Xav hörte, wie mit Papier geraschelt wurde. Dann ergriff Roberto erneut das Wort.

„Ah … ja, jetzt erinnere ich mich. Miss Sanchez war die Nichte der Haushälterin deiner Eltern. Die Adoption war privat, alle Formalitäten liefen über dieses Büro.“

Xav schwieg einen Moment, während er die Informationen verarbeitete, die er gerade erhalten hatte. Schließlich sagte er: „ Gracias , Roberto. Ich danke dir für deine Hilfe – und Diskretion.“ Danach beendete er das Gespräch, nur um sofort den nächsten Anschluss zu wählen.

Der Sicherheitsspezialist der Vega Corporation ging beim ersten Klingeln an den Apparat. „Ich habe Ihnen gerade das Dossier zugemailt“, sagte der Mann ohne Einleitung.

„Irgendetwas Alarmierendes?“

„Nichts. Ein paar Parkverstöße, aber das war’s auch schon. Sie ist Single und Krankenschwester in der Notaufnahme, zurzeit arbeitslos. Auf sozialen Plattformen nur mäßig aktiv. Mutter lebt in Nordamerika, der Vater ist verstorben und … ja, er war mit einer Camila Walsh, geborene Sanchez, verheiratet – inzwischen ebenfalls verstorben.“ Er hielt inne. „Sie scheint mir relativ harmlos.“

Xav presste die Lippen zusammen. Jeder Mann, der Frauen für harmlos hielt, war ein Narr. Er wusste aus Erfahrung, dass sie das nicht waren. Dieses Wissen war ein Grund, warum er in den letzten zehn Jahren seine Affären mit äußerster Sorgfalt ausgewählt hatte – und weshalb er bei der Wahl einer Ehefrau ebenso besonnen vorging.

„Und die Überwachung?“

„Wir haben sie noch immer im Blick. Sie war bis ein Uhr in einem Club. Heute Morgen hat sie das Hostel noch nicht verlassen.“

Xav runzelte die Stirn. Jordan Walsh war also ein arbeitsloses Partygirl? „Halten Sie mich über ihre Bewegungen auf dem Laufenden. Ich werde Sie informieren, sollte ich darüber hinaus etwas benötigen.“

Er legte auf, öffnete seinen Laptop und rief den Posteingang auf, in dem sich, wie versprochen, das Dossier befand. Er überflog den ersten Absatz, der lediglich die grundlegenden Daten aufführte. Das – und ein Foto.

Sie lächelte strahlend, und er verspürte dieselbe heftige Reaktion wie am vergangenen Abend, als sie sein Büro betreten hatte.

Über die Jahre hatte er viele schöne Frauen getroffen und mit einigen davon auch geschlafen. Doch noch nie hatte ihn eine gleich auf Anhieb so gefesselt wie sie.

Alles an ihr war faszinierend: Ihr tizianrotes Haar, die grünbraunen Augen, die hohen Wangenknochen und der sinnliche Mund. Nicht konventionell schön und doch atemberaubend.

Er lehnte sich abrupt zurück und runzelte die Stirn. Jordan Walshs Aussehen, so anziehend es auch sein mochte, war völlig irrelevant. Sie war ein Problem, mit dem er sich befassen musste, nicht mehr und nicht weniger. Eines, das er besser unter Kontrolle hielt, bis er genau wusste, womit er es zu tun hatte. Doch nicht jetzt. Er konnte im Augenblick eine solche Ablenkung wirklich nicht gebrauchen. Er hatte einen Multi-Millionen-Dollar-Deal auf die Beine zu stellen – und er wusste von mindestens einem Vorstandsmitglied, das froh darüber wäre, ihn scheitern zu sehen.

Dennoch öffnete er die Schreibtischschublade, in die er gestern Abend das Foto und den Notizzettel mit ihrer Nummer geworfen hatte. Ehe er sichs versah, gab er auch schon ihre Nummer in sein Handy ein. Doch bevor er eine Verbindung herstellte, entschied er sich um. Stattdessen steckte er Zettel und Telefon in die Tasche seines Jacketts und stand auf.

In seinem Vorzimmer blieb er kurz an Lucias Tisch stehen und sah auf die Uhr. Es war zwanzig nach zehn am Vormittag.

„Ich bin kurz weg“, erklärte er.

Sie blinzelte, so als hätte sie ihn nicht recht verstanden. „Aber … Sie haben in zehn Minuten ein Meeting mit dem Marketingdirektor.“

„Dann verschieben Sie es. Und sorgen Sie dafür, dass Juan und Fernando mich gleich unten am Wagen treffen.“

Lucia starrte ihn an. „Und Ihre Videokonferenz mit Peter Reynaud am Mittag?“

„Ich werde rechtzeitig dafür zurück sein“, sagte er, denn das musste er. Die Übernahme von Reynaud Industries war wichtiger als alles andere. Er knöpfte sein Jackett zu und wandte sich ab.

Lucia sprang auf. Sie wirkte leicht panisch. „Aber wo gehen Sie denn hin?“

„Mich um ein Problem kümmern“, entgegnete er und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, zum Fahrstuhl.

Die Sonne brannte vom strahlend blauen Himmel über Barcelona, als Jordan um kurz vor elf aus dem Hostel trat. Sie war spät aufgestanden und hatte sich dann beim Frühstück mit einem Kanadier und einem jungen deutschen Pärchen unterhalten, die sie mit Fragen über Australien bombardierten.

Sie kramte ihre Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. Ihr Kopf schmerzte noch immer von der überlauten Musik in dem Club letzte Nacht. Nun, wenigstens hatte sie keinen Kater. Sie hatte einen Tequila getrunken und sich den Rest des Abends an Zitronenlimonade gehalten.

Das Tanzen hatte Spaß gemacht, aber Clubbing war eigentlich nicht so ihr Ding. Sie war nur gegangen, weil die beiden jungen Irinnen, mit denen sie sich das Zimmer teilte, sie eingeladen hatten.

„Señorita Walsh?“

Sie blickte auf und sah sich einem stämmigen Mann im Anzug und mit dunkler Sonnenbrille gegenüber. „Ja?“

„Señor de la Vega möchte mit Ihnen sprechen“, sagte er und deutete in Richtung des Fahrzeugs, das am Straßenrand stand. „Bitte, steigen Sie ein, Señorita.“

Ihr Blick wanderte von dem Mann zu dem schwarzen SUV. Jordan fragte sich, warum ihr der Wagen nicht schon früher aufgefallen war. Es war definitiv um einiges größer und glänzender als alle anderen in der Gegend.

Die verdunkelten Fenster verliehen dem Fahrzeug etwas Bedrohliches. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie weder diesen Mann kannte – noch Xavier de la Vega. Nicht wirklich.

Sie trat zurück. „Eigentlich … habe ich etwas anderes vor. Vielleicht könnte Mr. de la Vega ja … Hey!“

Der Mann umfasste ihren Arm und zog sie in Richtung Geländewagen. Ehe sie sichs versah, fand sie sich auf der Rückbank des SUV wieder. Sie wollte schreien, doch es blieb ihr in der Kehle stecken, als sie den Mann sah, der ihr gegenüber auf dem Sitz saß.

„Guten Morgen, Miss Walsh.“

Ihr Puls raste. Hastig richtete sie sich auf und bemerkte, dass der Wickelrock, den sie trug, vorne aufklaffte und einen Schenkel bis hoch zum Schritt entblößte.

Sie errötete. „Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich ein guter Morgen ist, Mr. de la Vega.“

Die Autotür wurde hinter ihr geschlossen. Mit einem Mal wurde Jordan bewusst, auf welch engem Raum sie sich befanden – und wie überwältigend die Präsenz des Mannes vor ihr war.

Sie atmete tief durch und bemühte sich, nicht so überhitzt und nervös auszusehen, wie sie sich fühlte. Wie stellte er das nur an? Wie konnte er so cool und gelassen wirken in seinem makellosen dreiteiligen Anzug samt Krawatte, wo sie selbst in luftiger Kleidung beinahe dahinschmolz?

Er hob eine Braue. „Lange Nacht gehabt?“

„Nicht sonderlich“, entgegnete sie kühl, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Technisch gesehen war es nicht spät in der Nacht gewesen, sondern vielmehr früh am Morgen, als sie erschöpft und noch immer voll bekleidet in ihr Bett gefallen war. Sie reckte das Kinn. „Ich bezog mich allerdings mehr darauf, dass ich mit körperlicher Gewalt in diesen Wagen gezerrt wurde.“

Er runzelte die Stirn. „Wurden Sie verletzt?“

Einen kurzen Augenblick lang war sie versucht, Ja zu sagen, nur um seine Reaktion zu sehen. Doch sie war keine besonders gute Lügnerin. „Nein“, sagte sie daher, denn der Griff des Mannes war zwar fest gewesen, aber nicht grob. Und das Einzige, was schmerzte, war ihr gekränkter Stolz. „Aber darum geht es nicht.“

„Und worum dann?“ Sie bemerkte, dass seine Mundwinkel leicht zuckten. Er wirkte definitiv amüsiert.

„Es geht darum, dass dies ein mehr als unangebrachter Weg ist, ein Treffen herbeizuführen. Hätten Sie nicht einfach anrufen können?“

„Verzeihen Sie“, sagte er, doch sein Tonfall klang alles andere als entschuldigend. „Aber nach gestern Abend nahm ich an, dass Sie ein persönliches Gespräch vorziehen würden.“

Am liebsten hätte sie ihm das selbstzufriedene Grinsen vom Gesicht gewischt! Doch sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da schämte sie sich auch schon dafür. Sie war in ihrem ganzen Leben noch niemals jemanden körperlich angegangen, hatte nie auch nur über so etwas nachgedacht. Und die Tatsache, dass er sie so einfach provozieren konnte, ärgerte sie unsagbar.

Sie schluckte die Entgegnung herunter, dass sie nicht in seinem Büro hätte auftauchen müssen, hätte Lucia sich nicht geweigert, ihre Anrufe durchzustellen oder ihr einen Termin zu geben. Sie hatte die junge Frau nicht plötzlich in ihr Herz geschlossen, aber sie wollte sie auch nicht in Schwierigkeiten mit ihrem Boss bringen.

Sie seufzte. „Okay, ich weiß, dass wir auf dem falschen Fuß miteinander angefangen haben …“

„Was ich bedaure“, fiel er ihr ins Wort.

Sie blinzelte. „Tun Sie das?“

„Ja“, entgegnete er. „Und ich würde das gerne korrigieren, wenn Sie es mir erlauben.“

Mit einem Schlag wurde ihr alles klar. Sie war wie geblendet gewesen von ihrer eigenen Reaktion auf ihn, dass sie das Offensichtliche nicht bemerkt hatte. „Sie glauben mir“, stellte sie fest – denn warum sollte er sonst hier sein? „Das mit Camila.“

„Ja“, sagte er erneut. „Ich glaube, dass Ihre verstorbene Stiefmutter meine leibliche Mutter war.“

Ihre Kehle wurde eng. Sie schluckte hart. „Ich … bin froh.“ Sie wollte noch mehr sagen, so viel mehr – doch sie hielt sich zurück. Er wirkte ruhig und gelassen, aber sie merkte, dass er angespannt war.

Und sie verstand ihn nur zu gut. Es war schließlich eine große Sache. Aber irgendwann würde er bereit sein. Er würde mehr über Camila wissen wollen, und dann könnte Jordan ihre Erinnerungen mit ihm teilen. Sie könnte über die warmherzige, großmütige Frau sprechen, die mehr als eine Stiefmutter für sie gewesen war. Mehr als eine beste Freundin.

„Sie müssen mir erlauben, Ihnen echte katalanische Gastfreundschaft zu zeigen“, sagte er. „Ich habe eine Villa an der Küste, und meine Haushälterin bereitet ein Gästezimmer vor, während wir hier sprechen. Für die Dauer Ihres Aufenthalts in Barcelona gehört es Ihnen.“

Jordan starrte ihn überrascht an. Vergangene Nacht hatte er sie mit offenem Misstrauen und kaum verborgener Feindseligkeit begrüßt, und nun lud er sie in sein Haus ein?

Einen kurzen Moment fragte sie sich, ob sie vielleicht argwöhnisch ihm gegenüber sein sollte.

Aber warum? Er hatte sein Bedauern ausgedrückt und streckte ihr nun den sprichwörtlichen Olivenzweig entgegen. War das wirklich so ungewöhnlich?

Dennoch zögerte sie. Obwohl es keinen guten Grund gab, sein Angebot auszuschlagen.

Du fühlst dich zu ihm hingezogen!

Okay, das konnte sie nicht leugnen. Aber was machte das für einen Unterschied? Keine heterosexuelle Frau auf diesem Planeten konnte diesen Mann treffen, ohne ein gewisses Maß an Anziehungskraft zu verspüren. Das war aber auch schon alles. Eine hormongesteuerte Reaktion auf einen gut aussehenden Mann in den besten Jahren.

Abgesehen von seinem Aussehen war er ganz und gar nicht ihr Typ. Und sie mit Sicherheit auch nicht seiner.

Zudem war er nun einmal Camilas leiblicher Sohn. Und schuldete sie es ihrer Stiefmutter nicht, ihm wenigstens eine Chance zu geben?

Wenn sie sein Angebot annahm und als Gast in seinem Haus wohnte, würde sich mit Sicherheit die Gelegenheit für eine Unterhaltung bieten. Nicht in seinem Büro oder auf der Rückbank seiner Limousine, sondern in einer etwas entspannteren Umgebung.

Und sie hatte noch immer den Brief.

Seinen Brief.

Irgendwann würde sie sich davon trennen müssen.

Sie lächelte. „Vielen Dank“, sagte sie. „Das ist sehr freundlich von Ihnen.“

Seine Reaktion bestand lediglich aus einem knappen Nicken, doch in seinen grauen Augen schimmerte etwas, das aussah wie … Zufriedenheit.

Er hob seine linke Hand und klopfte mit den Fingerknöcheln zweimal kurz gegen das dunkel getönte Fenster. Nur Sekunden später schwang die Tür auf Jordans Seite auf.

„Juan wird Ihnen mit Ihren Sachen helfen“, sagte er. „Ich nehme an, es wird nicht allzu lange dauern?“

„Wir gehen jetzt gleich?“

Er begegnete ihrem Blick nüchtern. „Ist das ein Problem für Sie?“

„Ähm … nein“, sagte sie nach kurzem Zögern. „Natürlich nicht.“

Es machte im Grunde genommen sogar Sinn. Der Wagen war schon einmal da, und sie reiste ohnehin nur mit einem einzigen großen Rucksack. Sie brauchte lediglich ein paar Minuten, um ihre Sachen zusammenzupacken.

Die beiden Irinnen schliefen noch immer ihren Rausch aus, als sie ihr Zimmer betrat. Leise suchte sie ihre Sache zusammen und hinterließ den beiden eine Nachricht, in der sie ihnen alles Gute für ihre weitere Reise wünschte.

Als sie nach draußen trat, stand Juan neben der Tür und griff nach ihrem Rucksack. „Lassen Sie mich das für Sie tragen, Señorita Walsh.“

Obwohl sie durchaus in der Lage war, ihre eigenen Sachen zu tragen, ließ sie es geschehen. Er führte nur die Anweisungen seines Chefs aus. Und selbst ein bulliger Typ wie Juan war sicher nicht erpicht darauf, Xaviers Unmut auf sich zu ziehen.

„Ich muss nur noch rasch meine Rechnung begleichen“, erklärte sie.

„Ist schon erledigt.“

Sie runzelte die Stirn. „Aber …“

„Bitte kommen Sie, Señorita. Señor de la Vega mag es nicht, warten gelassen zu werden.“

Jordan gefiel das alles nicht, doch sie hielt sich zurück. Es war sinnlos, mit Juan zu streiten. Sie würde sich direkt an Xavier wenden. Sie konnte nicht zulassen, dass er die Rechnung für ihr Zimmer übernahm. Es ging ihr ums Prinzip. Und obwohl sie nicht nachtragend war, würde sie nicht so schnell vergessen, was er ihr unterstellt hatte. Sie wollte ihm auf keinen Fall einen Anlass geben, ihr noch einmal niedere Motive anzudichten.

Doch als sie kurz darauf wieder in den Wagen stieg, konnte sie nichts zu Xavier sagen, denn der telefonierte gerade mit jemandem auf Spanisch oder Katalanisch.

Egal, sagte sie zu sich selbst. Sie konnte das Thema auch noch später ansprechen. Und davon abgesehen war es irgendwie entspannend, einfach nur dazusitzen und ihn reden zu hören. Seine Stimme war tief und wohlklingend, auch wenn sein Tonfall brüsk und befehlsgewohnt klang.

„Un moment“ , hörte sie ihn nach einer Weile sagen – und es war einer der wenigen Ausdrücke, die sie verstehen konnte. Und dann: „Anschnallen.“

Es dauerte einen Moment, bis sie merkte, dass er Englisch gesprochen hatte. „Entschuldigung?“

Sein Blick ruhte auf ihr, und in ihrem Bauch flatterte es sofort.

Er hob eine Braue. „Sie sollen sich anschnallen“, sagte er, und als sie nicht sofort reagierte, schnaubte er, legte sein Telefon ab und griff über sie hinweg nach ihrem Sicherheitsgurt.

Es dauerte genau drei Sekunden, bis er den Gurt über ihrem Oberkörper positioniert und befestigt hatte. Doch diese drei Sekunden reichten, um ihren Puls zu neuen Rekordspitzen anzutreiben.

Er hatte sie nicht einmal berührt. Doch sie hatte seinen Atem auf ihrer Wange gespürt und seinen Duft – Sandelholz und Zitronengras – gerochen.

Sie schluckte hart, und er musste es gehört haben, denn sein Blick wanderte zu ihrer Kehle, und für einen winzigen Augenblick auch tiefer zu ihrem Dekolleté.

Dann begegneten sich ihre Blicke, und in seinem lag beinahe so etwas wie ein Vorwurf, was sie nicht ganz verstehen konnte.

Abrupt wandte er sich ab und nahm sein Telefonat wieder auf.

Sie runzelte die Stirn. Hatte sie irgendetwas falsch gemacht? Außer dass sie vergessen hatte, sich anzuschnallen?

Sie blickte an sich herab und … oh …

Oh nein! Ihre Brustwarzen zeichneten sich deutlich unter dem Stoff ihres T-Shirts ab.

Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Beschämt verschränkte sie die Arme vor der Brust.

Um Himmels willen, was war bloß mit ihr los? Mit ihrem Körper? Es war ja nicht so, als wäre sie noch nie einem attraktiven Mann begegnet. Josh, ihr Ex, hatte immer viel weibliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, aber nie eine solche Reaktion in ihr ausgelöst – zumindest nicht ohne jegliche Berührung.

Wenn Xavier sie nicht einmal berühren musste, was würde dann erst passieren, wenn er sie wirklich berührte?

Sex war für sie nie wirklich die Erfüllung gewesen. Wenn sie in Büchern darüber las, dass Sex explosiv und überwältigend war, tat sie das in der Regel als Übertreibung oder Fiktion ab. Sex mit Josh hatte Spaß gemacht – meistens. Doch es hatte nie ein Feuerwerk der Leidenschaft in ihr ausgelöst, und wenn sie denn tatsächlich einmal zum Orgasmus gekommen war, hatte sie es genossen – aber mehr auch nicht. Mit Xavier jedoch …

Unsinn. Allein der Gedanke war vollkommen absurd. Was sie in Xaviers Augen gesehen hatte, war Wut gewesen, kein sexuelles Interesse. Offenbar fand er Rothaarige mit mäßigen Kurven und zu vielen Sommersprossen nicht sonderlich attraktiv.

Die Erkenntnis reichte aus, um alle Leidenschaft im Keim zu ersticken – wofür sie dankbar war. Wer wollte sich schon zu jemandem hingezogen fühlen, der diese Gefühle ganz offensichtlich nicht erwiderte?

Nein, das brauchte sie ganz sicher nicht. Sie hatte im zarten Alter von sechs Jahren gelernt, wie schmerzhaft Zurückweisungen waren. Und heute, zwanzig Jahre später, wusste sie es besser, als sich erneut so verletzbar zu machen. Sie hatte diesen Fehler mit Josh gemacht, es aber zum Glück rechtzeitig erkannt und die Sache beendet.

Gute Männer existierten, denn ihr Vater war einer davon gewesen. Sie musste einfach nur die richtigen Entscheidungen treffen, dann würde sie früher oder später ihren Mr. Right treffen.

Und dieser Mr. Right war ganz sicher nicht der Mann, der gerade neben ihr saß.

Acht Stunden später erwachte Jordan von einem Nickerchen, das sie nie zu machen geplant hatte. Die Erinnerungen kehrten langsam zurück, sodass sie nicht erschrocken war, als sie sich in unbekannter Umgebung wiederfand.

Sie setzte sich auf dem Bett auf. Durch eine Lücke in den zugezogenen Vorhängen fiel Sonnenlicht in den Raum. Sie schaute auf ihre Uhr und erschrak nun doch, als sie erkannte, wie lange sie geschlafen hatte.

Dabei hatte sie überhaupt nicht schlafen, sondern sich nur ein paar Minuten hinlegen und ausruhen wollen.

Rasch rollte sie sich vom Bett und lief barfuß über den dicken Teppich zum Fenster. Sie zog die Vorhänge zurück, öffnete die Balkontür und trat nach draußen. Was für ein Ausblick!

Von hier aus konnte sie den Weg sehen, auf dem sie nach dem Mittagessen einen Spaziergang unternommen hatte und der zu einem Sandstrand am Fuße des Hügels führte.

Direkt unter ihr erstreckte sich die gewaltige Terrasse, die die Villa auf drei Seiten umfasste. Es gab natürlich auch einen Pool, und beschattet von Bäumen und geschickt arrangierten Tüchern stand ein Esstisch, an dem Jordan vorhin ihren Lunch eingenommen hatte.

Allein.

Sie war nicht sonderlich überrascht gewesen, als Xavier wieder zur Arbeit zurückgekehrt war, anstatt sie zur Villa zu begleiten. In allen Quellen, die sie über ihn gefunden hatten, wurde er als fokussiert und ehrgeizig beschreiben. Es gab vermutlich nicht viel, was ihn an einem Wochentag von seiner Arbeit weglocken konnte.

Heute Morgen im Wagen hatte er sein Telefonat erst beendet, als sie den Vega Tower bereits erreicht hatten. „Meine Haushälterin Rosa wird Sie in Empfang nehmen und alles Weitere mit Ihnen besprechen“, hatte er erklärt und war dann ausgestiegen.

Und so war es dann auch gekommen. Rosa hatte sie mit einem freundlichen Lächeln willkommen geheißen und sie im Haus herumgeführt. Es war groß und lichtdurchflutet – und sehr viel luxuriöser als alles, was Jordan je zuvor gesehen hatte.

Das Grundstück selbst war auch wunderschön. Draußen auf der Terrasse hatte sie dann auch Rosas Mann Alfonso kennengelernt, der als Gärtner für Xavier arbeitete, und Delmar, den Neffen der beiden, der seinen Onkel bei einigen schwereren Arbeiten unterstützte.

Das ganze Anwesen war einfach herrlich. Und ruhig. Ein Zuhause, wie es sich nur ein Multimillionär leisten konnte. Dumm nur, dass der vermutlich die meiste Zeit auf der Arbeit verbrachte.

Jordan riss sich von dem herrlichen Ausblick los und ging wieder nach drinnen. Nach einer raschen Dusche zog sie sich ein Paar Jeans und eine kurzärmelige weiße Bluse an. Sie hatte vergessen, Rosa nach dem Dresscode fürs Dinner zu fragen. Dies war das erste Mal, dass sie mit einem Milliardär in dessen Haus zu Abend aß – gehobene Freizeitkleidung erschien ihr da angemessen.

Sie schlang ihr Haar zu einem lockeren Knoten zusammen und schaute auf die Uhr. Dann machte sie sich auf den Weg nach unten, obwohl es noch etwas früh war. Für manche Leute war Pünktlichkeit das oberste Gebot, da wollte sie lieber zu früh sein als auch nur eine Sekunde zu spät.

Auf dem Weg zum Esszimmer verlief sie sich zweimal. Als sie schließlich eintrat, war Rosa bereits da und lächelte ihr zu. Jordan bemerkte erst, dass nur für eine Person gedeckt war, als sie näher trat.

„Señor de la Vega bittet vielmals um Verzeihung – er muss lange im Büro bleiben.“

Sie unterdrückte ein Seufzen. Nach all der Aufregung war es irgendwie enttäuschend, dass sie allein essen würde – schon wieder.

Dennoch zwang sie ein Lächeln auf ihre Lippen. „Das ist schon in Ordnung. Vielleicht sehe ich ihn ja später noch, wenn er nach Hause kommt.“

Rosa stieß ein Seufzen aus. „Ich fürchte, er wird heute Abend nicht heimkommen.“

Überrascht schaute Jordan die Haushälterin an. „Er bleibt die ganze Nacht auf der Arbeit?“

Doch warum wunderte sie das eigentlich? Jemand wie er arbeitete die ganze Nacht und auch gerne mal das Wochenende durch. Er war ein Workaholic – und für die gab es bekanntermaßen nur eine Priorität.

„Er hat ein Penthouse über seinem Büro“, erklärte Rosa. „Er übernachtet häufig dort. Señor de la Vega arbeitet sehr hart“, fügte sie dann hinzu, und Jordan war sich nicht sicher, ob Rosa die Arbeitsmoral ihres Chefs bewunderte oder missbilligte.

Sie ließ den Blick über den langen Esstisch schweifen, an dessen Ende einsam und allein ein Platz eingedeckt war. „Rosa, könnte ich vielleicht draußen auf der Terrasse essen?“

Dort hätte sie wenigstens die Vögel und Grillen als Gesellschaft. Und sie konnte aufs Meer hinaussehen und den Sonnenuntergang beobachten.

Die Haushälterin lächelte. „ , natürlich.“

Eine Stunde später saß Jordan satt auf der Terrasse, in der Hand ein Glas Weißwein, während der Himmel über ihr sich in feurigem Orange und Magenta färbte.

Sie vernahm leise Gesprächsfetzen und erkannte die Stimmen als die von Rosa, Alfonso und Delmar.

Sie konnte die drei beinahe vor sich sehen, wie sie bei ihrer eigenen Mahlzeit draußen zusammensaßen, lachten und sich unterhielten. Es verstärkte das Gefühl von Einsamkeit, das sie im Laufe der vergangenen sechzig Minuten beschlichen hatte.

Nachdenklich nahm sie einen Schluck von ihrem Wein. War es Xavier von Anfang an darum gegangen? Sie zu isolieren? Mit einem Mal erschien ihr seine Gastfreundschaft gar nicht mehr so großzügig.

Aber warum sollte er das tun? War es eine Art Prüfung? Hatte er sie hierhergebracht, um zu sehen, was sie tun würde? Was erwartete er denn für eine Reaktion? Dass sie sich über das Silberbesteck hermachte? Seine Briefmarkensammlung einsteckte? Sich mit einem seiner unbezahlbaren Gemälde aus dem Staub machte?

Wieder hörte sie Gelächter und nahm einen weiteren Schluck Wein. Sie kannte dieses hohe Gefühl in der Brust. Einsamkeit. Und sie zwang sich, sich nicht davon herunterziehen zu lassen. Selbstmitleid hatte noch nie jemandem weitergeholfen.

Selbstmitleid war Zeitverschwendung. Das hatte sie schon als Kind gelernt, als ihre Mutter sich still und heimlich davongestohlen hatte. Sich unter der Bettdecke zu verkriechen und zu weinen, hatte ihr ihre Mutter nicht zurückgebracht. Also hatte sie ihre Tränen getrocknet, war aus dem Bett geklettert und hatte sich auf den Menschen konzentriert, der ihr noch geblieben war.

Sie hatte sich für ihren Vater unersetzbar gemacht. Denn wenn Daddy sie brauchte, dann würde er sie nicht verlassen, so wie ihre Mummy es getan hatte.

Jordan schüttelte die Kindheitserinnerungen ab. Das gehörte alles der Vergangenheit an, und die beste Medizin, um die Niedergeschlagenheit abzuschütteln, war, sich mit etwas anderem abzulenken.

Mit diesem Gedanken erhob sie sich, nahm ihr Weinglas und ging dem Gelächter nach.

3. KAPITEL

Es war fast halb zwei am Samstagnachmittag, als Xav zu Hause ankam – ein paar Stunden früher als erwartet. Er nahm seine Aktentasche und entließ seinen Fahrer für den Rest des Wochenendes, ehe er die Villa betrat.

Eigentlich sollte er zu Tode erschöpft sein. Immerhin hatte er kaum mehr als zwei Stunden Schlaf bekommen. Doch er fühlte sich gut. Aufgepeitscht. So ging es ihm immer, wenn er gerade mitten in einem großen Geschäftsabschluss steckte.

Konzentriert.

Entschlossen.

Rücksichtslos.

Das war genau die richtige Stimmung, um sich um eine ganz bestimmte Rothaarige zu kümmern. Etwas, das er schon früher angegangen wäre, hätten Peter Reynauds Anwälte nicht bis sechs Uhr abends gewartet, ehe sie die mit Anmerkungen versehene Version des einhundertfünfzig Seiten langen Vertrags endlich zurückschickten.

Xav war wütend gewesen, denn diese Aasgeier zerpflückten so ziemlich jede einzelne Klausel. Ob es von ihnen selbst ausging oder ob sie auf Reynauds Anweisung handelten, konnte er nicht sagen. Fest stand nur, dass er für seine eigene Rechtsabteilung eine Nachtschicht hatte anordnen müssen. Und was Xavier von seinen Angestellten erwartete, dazu musste er auch selbst bereit sein.

Wenigstens war er in der Lage gewesen, sich vollkommen auf die Arbeit zu konzentrieren, wohl wissend, dass sein anderes „Problem“ für den Moment in sicherer Verwahrung war.

Ihr seine Villa anzubieten, war ein echter Geistesblitz gewesen, und sie hatte so reagiert wie erwartet. Nur wenige Frauen konnten den Verlockungen von Luxus und Komfort widerstehen – ganz besonders, wenn er umsonst war.

Alles, was er jetzt noch brauchte, war ihre Unterschrift auf den Papieren in seinem Aktenkoffer. Danach wäre es ihr verboten, irgendetwas über die biologische Beziehung zwischen ihrer verstorbenen Stiefmutter und ihm einer dritten Partei gegenüber zu offenbaren. Im Gegenzug würde sie eine stattliche Einmalzahlung erhalten – ein kleiner Preis dafür, dass er endgültig seinen Frieden haben würde.

Das Letzte, was er wollte, war, dass irgendein Schmierenreporter die ganze Geschichte in der Öffentlichkeit ausbreitete.

Und was den kleinen Ausrutscher gestern betraf – der kurze Moment, in dem er sie angeschnallt hatte und ihr weiblicher Duft in seine Nase gestiegen war … Er hatte an ihr herabgeblickt, über ihre weichen, vollen Lippen, ihren langen, schlanken Hals bis hinunter zu ihrem Dekolleté, bis sein Blick schließlich bei ihren aufgerichteten Brustspitzen hängen blieb, die sich deutlich unter dem dünnen Stoff ihres T-Shirts abzeichneten.

Lust und Wut waren gleichermaßen in ihm aufgestiegen. Wut auf sie, weil sie ihn in Versuchung führte. Wut auf sich selbst, weil er sich in Versuchung führen ließ.

Und so war es ihm nur ganz recht gewesen, dass er über Nacht im Büro in der Stadt hatte bleiben müssen. Für ein paar Stunden war es ihm gelungen, sie sich aus dem Kopf zu schlagen und den Vorfall als simple körperliche Reaktion abzutun.

Er blieb in der Eingangshalle stehen, zog seine Sonnenbrille ab und wartete auf Rosa.

Doch niemand kam.

Seltsam.

Seine Haushälterin hatte einen unfehlbaren Sinn dafür, wenn jemand die Villa erreichte – das galt insbesondere für ihren Arbeitgeber.

Als er weiter ins Haus trat, hörte er Musik. Genauer gesagt die Klänge der Gaita – des galizischen Dudelsacks, den Rosas Ehemann Alfonso spielte. Er hörte auch Stimmen. Und Gelächter.

Stirnrunzelnd legte er Aktenkoffer und Sonnenbrille ab, ehe er den Geräuschen durch das Haus folgte. Er gelangte schließlich durch die Küche in Rosas sorgsam gepflegten Kräuter- und Gemüsegarten,...

Autor

Clare Connelly
<p>Clare Connelly liebt Liebesromane – von Jane Austen bis E L James. Nachdem sie lange erfolgreich Selfpublisherin war, ging 2017 ihr Traum in Erfüllung, als ihr erstes Buch bei einem Verlag erschien. Seitdem ist sie nicht mehr zu stoppen. Clare liest und schreibt leidenschaftlich gerne, und lebt in einem kleinen...
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Lucy Monroe
<p>Die preisgekrönte Bestsellerautorin Lucy Monroe lebt mit unzähligen Haustieren und Kindern (ihren eigenen, denen der Nachbarn und denen ihrer Schwester) an der wundervollen Pazifikküste Nordamerikas. Inspiration für ihre Geschichten bekommt sie von überall, da sie gerne Menschen beobachtet. Das führte sogar so weit, dass sie ihren späteren Ehemann bei ihrem...
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Olivia Gates
<p>Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind. Sie fragen sich jetzt bestimmt...
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Angela Bissell
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