Eine Nacht voller Sinnlichkeit

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Vicky muss auf jeden Fall vermeiden, dass ihr neuer Boss Max Forbes ihre Tochter Chloe kennenlernt! Denn dann würde er, so glaubt Vicky, alles daransetzen, ihr die Kleine zu nehmen. Schließlich ist er Chloes Onkel und könnte ihr Wohlstand und eine gute Ausbildung ermöglichen, während Vicky hart arbeiten muss, um für sie beide den Unterhalt zu sichern. Doch leicht ist es nicht, Max von ihrem Privatleben fernzuhalten. Denn seit dem ersten Moment herrscht zwischen ihnen eine magische Anziehungskraft. Immer wieder sucht er Vickys Nähe, bittet sie, ihn auf Geschäftsreisen zu begleiten, und erscheint unangemeldet bei ihr zu Hause. Doch von Liebe spricht er nicht ...


  • Erscheinungstag 17.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759780
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Guten Tag, Miss Lockhart!“ Eine sorgfältig frisierte, korrekt gekleidete Frau mittleren Alters betrat das eindrucksvolle Foyer der Paxus PLC und begrüßte Vicky mit einem strahlenden Lächeln. „Ich bin Geraldine Hogg und leite den Schreibsaal“, stellte sie sich vor und schüttelte Vicky fest die Hand. „Das hier sind Ihre Bewerbungsunterlagen, meine Liebe“, sagte sie und schwenkte die zusammengehefteten Unterlagen. „Machen Sie sich auf eine Überraschung gefasst.“

Bei ihren Worten sank Vickys Mut. Sie hasste Überraschungen. Dafür hatte sie sich nicht eine halbe Stunde lang durch den morgendlichen Berufsverkehr gequält! Vicky hatte sich als Schreibkraft bei Paxus PLC beworben, weil das Unternehmen ausgezeichnet zahlte und sie dringend einen Job brauchte, während sie ihr Leben neu ordnete. Die Arbeit im Schreibsaal würde sie zwar beruflich nicht voranbringen, aber es war momentan genau das Richtige. Vicky hätte dann Zeit, um ihr seelisches Gleichgewicht wiederzugewinnen.

„Lassen Sie uns in mein Büro gehen. Dort erkläre ich Ihnen alles“, schlug Geraldine Hogg resolut vor. Ihre Stimme klang klar und herzlich. Vicky vermutete, dass Geraldine im Internat aufgewachsen war und ihre Schulzeit bevorzugt auf dem Hockeyfeld verbracht hatte. Geraldine Hogg wirkte entschlossen, aber nicht aggressiv, und Vicky wusste, sie würde gut mit ihr auskommen können, Überraschung hin, Überraschung her. Sie folgte Geraldine in einen mit einem schweren Teppichboden ausgelegten Flur.

„Meiner Meinung nach sind Sie für die ausgeschriebene Stelle überqualifiziert“, sagte Geraldine freimütig, und Vicky unterdrückte einen Seufzer der Enttäuschung.

„Ich bin daran gewöhnt, hart zu arbeiten, Miss Hogg“, antwortete sie ausweichend und beeilte sich, mit dem schnellen Gang der Frau Schritt zu halten.

Vicky spürte, wie sich die Nadeln aus ihrem hochgesteckten Haar zu lösen begannen. Nervös versuchte sie, die rebellischen Strähnen an ihren Platz zurückzuschieben, ohne ihr Tempo zu verlangsamen. Sie brauchte den Job und wollte keinen falschen Eindruck erwecken. Aber es war schwer, reif und erfahren zu wirken, wenn man widerspenstige rotblonde Locken hatte und Sommersprossen, die jeden Versuch zunichtemachten, eine strenge Miene aufzusetzen.

„So, da wären wir!“ Geraldine Hogg blieb so unvermittelt vor einer der Türen stehen, dass Vicky einen Zusammenprall nur mit Mühe verhindern konnte. „Meine Mitarbeiterinnen sind gleich da drüben untergebracht.“ Geraldine wies auf den offenen Bereich gegenüber ihrem Büro. Vicky sah sich neugierig um und stellte sich vor, wie es sein mochte, dort zu arbeiten.

Zwischen der Arbeit im Schreibsaal und ihrem früheren Job in Australien lagen Welten. In Australien war sie eine der Assistentinnen des Direktors eines internationalen Unternehmens gewesen.

„Hereinspaziert! Möchten Sie Tee oder Kaffee?“ Geraldine Hogg wies auf den Sessel gegenüber ihrem Schreibtisch und wartete, bis Vicky sich gesetzt hatte. Dann bat sie eine junge Frau, ihnen etwas zu trinken zu bringen.

„Ja gern, eine Tasse Kaffee bitte“, sagte Vicky. Geraldine legte ein so schwindelerregendes Tempo vor, dass Vicky nach Atem rang. „Mit Milch, ohne Zucker. Vielen Dank.“

„Also, ich werde Sie nicht in meiner Abteilung behalten.“ Geraldine stützte die Ellbogen auf, beugte sich vor und betrachtete Vicky prüfend. „Ich komme gleich auf meine kleine Überraschung zu sprechen!“ Sie verschränkte die Finger und legte den Kopf zur Seite. „Aber vorher möchte ich Ihnen sagen, dass ich Ihren Lebenslauf überaus beeindruckend finde.“ Sie warf einen Blick auf Vickys Unterlagen und blätterte sie flüchtig durch, während Vicky krampfhaft überlegte, welche Schwierigkeiten sich aus dieser sogenannten Überraschung ergeben könnten. „Sie haben einiges zu bieten. Sicher hat Ihr früherer Chef Sie nur ungern gehen lassen.“

„Das hoffe ich.“ Vicky bemühte sich, selbstbewusst zu lächeln. Aber sie war froh, als sie von der jungen Frau unterbrochen wurden, die den Kaffee servierte.

„Warum sind Sie eigentlich aus Australien weggegangen?“ Geraldine sah Vicky fragend an, aber ehe Vicky antworten konnte, hob sie die Hand und sagte: „Nein! Sie brauchen mir nicht zu antworten. Ich beschreibe Ihnen einfach die Position, die wir Ihnen anbieten möchten. Wir haben den Eindruck, dass Sie als Schreibkraft Ihr Talent verschwenden würden.“

„Ach so.“ Vicky spürte, wie ihr Tränen der Enttäuschung in die Augen traten. Sie hatte in den vier Monaten seit ihrer Abreise aus Australien verschiedene Aushilfsjobs angenommen, doch keiner hatte ihr wirklich zugesagt. Zwei Mal hatte sie sich um eine feste Stelle beworben, aber sie wurde aus genau den gleichen Gründen abgelehnt, die anscheinend auch Geraldine zu denken gaben. Wenn es ihr nicht gelang, einen festen Job zu finden, würde es finanziell eng für sie werden, und Vicky konnte es sich nicht leisten, ihre kargen Ersparnisse anzugreifen. Nicht in ihrer Situation.

„Aber glücklicherweise“, fuhr Geraldine zufrieden fort, „kommen Sie für eine viel bessere Position infrage. Der Konzernchef wird sich künftig oft in unserer Tochtergesellschaft aufhalten und braucht eine Sekretärin. Sie sind zwar noch sehr jung, aber sehr qualifiziert. Deshalb habe ich Sie für den Job vorgeschlagen, der übrigens doppelt so gut dotiert ist wie die Stelle, um die Sie sich beworben haben!“

„Ich soll für den Konzernleiter arbeiten?“ Vicky wusste aus Erfahrung, dass die Sache einen Haken haben musste. Geraldines Angebot klang einfach zu gut, um wahr zu sein.

„Ich bringe Sie jetzt zu ihm. Natürlich kann ich nicht versprechen, dass Sie den Job bekommen werden, aber mit Ihrer Erfahrung haben Sie gute Chancen.“

Vicky glaubte zu träumen. Gleich würde sie aufwachen und in die Wirklichkeit zurückkehren. Schon als sie die Bewerbung geschrieben hatte, hatte sie ein seltsam unwirkliches Gefühl gehabt. Sie hatte die Stellenanzeige in der Zeitung gesehen, und der Name des Konzerns hatte eine dunkle Erinnerung in ihr wachgerufen. Shaun hatte in seiner großspurigen Art erwähnt, dass die Firma zu den zahllosen Unternehmen seiner Familie gehörte. Der Name hatte sich ihr eingeprägt, weil die Straße in Sydney, in der sie damals bei ihrer Tante wohnte, genauso hieß. Vicky hatte sich zwingen müssen, auf die Anzeige zu antworten, denn Shaun war der einzige Mensch auf der Welt, an den sie mit Abscheu zurückdachte. Aber dann hatte sie sich doch entschlossen, sich zu bewerben, teils, weil sie gern die legendäre Forbes-Dynastie kennenlernen wollte, teils, weil das angebotene Gehalt sie lockte.

Sie sah sich erwartungsvoll um, als sie in den mit dezentem Luxus ausgestatteten dritten Stock geführt wurde. Der große, offene Bereich in der Mitte war von kleinen Privatbüros umgeben, die gegen indiskrete Blicke mit den gleichen Rauchglastüren geschützt waren, die Vicky schon im Foyer gesehen hatte. Zwischen üppig grünen künstlichen Blumen blühten Rosen und Orchideen, die viel Pflege erforderten.

„Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass wir die Treppe genommen haben“, sagte Geraldine neben ihr. „Ich kann Aufzüge nicht ausstehen, ich laufe lieber. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn mehr Leute ab und zu ihren Hintern – entschuldigen Sie die Ausdrucksweise – erheben würden.“

Vicky war außer Atem. Sie stimmte zu, ohne den Blick von ihrer Umgebung zu wenden. Es fiel ihr schwer, Shaun mit einem so gut durchorganisierten Büro in Verbindung zu bringen. Sie merkte, wie ihre Gedanken abschweiften, und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Geraldine zu, die sich in einer Lobrede auf die weitverzweigte Forbes Holdings erging. Vicky war gespannt, ob Geraldine Shaun oder dessen Bruder, der in New York lebte, erwähnen würde, aber in Geraldines Wortschwall über Wachstum, Gewinne und Aktienkurse kam weder der eine noch der andere Name vor.

„Ich arbeite jetzt schon seit zwanzig Jahren für die Familie, und ich habe es nicht eine Minute bereut. Dabei wollte ich eigentlich Sportlehrerin werden, doch der Rücken machte nicht mit“, vertraute sie Vicky an. Vicky erwartete, das Gespräch würde sich nun um persönlichere Dinge drehen, aber Geraldine blieb vor einer Tür stehen und klopfte entschlossen.

„Ja, bitte!“

Geraldine machte die Tür einen Spaltbreit auf. Vicky nahm interessiert zur Kenntnis, dass eine sanfte Röte ihr unscheinbares Gesicht überzog und ihre Stimme etwas kokett klang.

„Ich bringe Miss Lockhart, Sir.“

„Wen?“

„Miss Lockhart.“

„Jetzt?“

Verlegen blickte Vicky auf das abstrakte Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Kam dieses überraschende Jobangebot für ihren potenziellen Chef ebenso unerwartet wie für sie, oder brauchten Firmenchefs keine guten Manieren zu haben?

„Ich habe Sie vor einer Woche informiert“, sagte Geraldine, und ihre Stimme klang jetzt wieder so bestimmt wie vorhin im Gespräch mit Vicky.

„Bringen Sie sie herein, Gerry.“

Sogleich machte Geraldine die Tür weiter auf und trat einen Schritt zurück, um Vicky vorbeizulassen.

Der Mann saß an einem riesigen Schreibtisch in einem weit nach hinten geschobenen schwarzen Lederdrehsessel. Die Beine hatte er übereinandergeschlagen.

Mit Herzklopfen hörte Vicky, wie die Tür leise hinter ihr geschlossen wurde. Dann stand sie schutzlos und allein in dem großen Büro. Sie atmete schwer und wagte sich kaum zu rühren aus Angst, die Beine würden ihr den Dienst versagen.

Was sie sah, erschien ihr wie ein böser Traum. Das dunkle Haar, das markante Gesicht, die seltsam grauen Augen und der harte Blick, das alles kannte sie nur zu gut.

„Geht es Ihnen gut, Miss Lockhart?“ Seine Stimme klang ungeduldig und überhaupt nicht besorgt. „Sie sehen aus, als würden Sie gleich zusammenbrechen, und ich habe wirklich keine Zeit, mich mit einer ohnmächtigen Sekretärin abzugeben.“

„Es geht mir gut. Vielen Dank.“ Wenn man bedenkt, dass der Schock, den ich erlitten habe, mich bis ins Mark erschüttert hat, dann geht es mir wirklich noch relativ gut, dachte sie. Wenigstens hatte sie sich auf den Beinen halten können. Das war immerhin etwas.

„Dann setzen Sie sich.“ Kurz angebunden wies er auf den Besuchersessel vor dem Schreibtisch. „Ich hatte leider vergessen, dass Sie heute kommen würden. Ihre Bewerbung muss hier irgendwo liegen. Warten Sie einen Moment …“

„Schon gut!“ Plötzlich fand Vicky ihre Stimme wieder. „Sie brauchen Ihre Zeit nicht mit mir zu verschwenden. Ich glaube nicht, dass ich für den Job geeignet bin.“

Vicky wollte nur eines: So rasch aus seinem Büro verschwinden, wie ihre Beine sie tragen konnten. Ihr brannte die Haut, und ihr pochten die Schläfen.

Er antwortete nicht sogleich. Stattdessen unterbrach er die Suche nach dem verlegten Lebenslauf und sah sie abschätzend an.

„So?“, sagte er langsam. „Und wie kommen Sie darauf?“ Er stand auf und ging zu dem Erkerfenster hinter seinem Sessel. Dann lehnte er sich gegen das Fensterbrett, sodass er Vicky noch besser beobachten konnte.

Überwältigt von widerstreitenden Gedanken und Gefühlen, suchte Vicky krampfhaft nach einer Entschuldigung. Sie musste erklären, warum sie sich in seinem Unternehmen vorstellte, nur um nach wenigen Minuten zu verkünden, gleich wieder gehen zu wollen. Aber ihr fiel nichts ein.

„Sie wirken ziemlich nervös.“ Nachdenklich rieb er sich das Kinn, während er ihr Gesicht so intensiv wie ein Raubtier musterte, das seine Beute beäugt. „Sie sind doch nicht etwa eine dieser neurotisch überreizten Frauen?“

„Doch“, antwortete Vicky. Sie war froh, nach dem rettenden Strohhalm greifen zu können. „Ich bin wirklich sehr neurotisch und überreizt. Das ist nichts für einen Mann wie Sie.“

„Einen Mann wie mich? Wie meinen Sie das?“

Vicky zog es vor, den Blick zu senken, statt die Frage zu beantworten. Die Entgegnung, die ihr auf der Zunge lag, hätte ihn sicher in Erstaunen versetzt.

„Jetzt setzen Sie sich endlich. Sie fangen an, mich zu interessieren, Miss Lockhart.“ Er wartete, bis Vicky den Raum durchquert und Platz genommen hatte. Dann ließ er noch einige Sekunden verstreichen, in denen er sie so aufmerksam ansah, als würde er versuchen, ihre Gedanken zu lesen. „So, erklären Sie mir, warum ich allmählich das Gefühl bekomme, dass hier etwas abläuft, wovon ich nichts weiß.“

„Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“

„Nun gut.“ Sein Lächeln besagte, dass er das Thema auf sich beruhen lassen, aber nicht vergessen würde.

Der Kerl kommt sich vor, als wäre er ein Gott, und denkt, er könne über mein Leben bestimmen und über das aller anderen auch, hatte Shaun erzählt. Vicky erinnerte sich noch gut daran, wie missmutig Shauns Stimme geklungen hatte, wenn er über seinen Bruder sprach. Langsam konnte sie wieder klar denken, und sie sah Max Hedley Forbes fest in die Augen. So hieß ihr Gesprächspartner nämlich. Shaun hatte seinen Namen oft genug erwähnt. In endlosen Litaneien hatte er immer wieder behauptet, das Lebensziel seines Bruders sei, möglichst rasch möglichst viele Leute zu ruinieren. Als selbstsüchtiges Ungeheuer hatte Shaun ihn beschrieben, als einen Mann, der sich nahm, was er begehrte, und der rücksichtslos mit der Menschheit im Allgemeinen und seinem einzigen Bruder im Besonderen umsprang, dessen Namen er so gründlich in Verruf gebracht hatte, dass selbst sein Vater sich von ihm abgewandt hatte.

Als Vicky sich um den Job beworben hatte, hatte sie nicht einen Augenblick daran gedacht, dass das Schicksal ihr einen so unerwarteten Streich spielen würde. Max Forbes lebte seit Jahren in New York. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihm ausgerechnet in einem Bürogebäude in Warwick zu begegnen. Der Gedanke an die Vergangenheit gab ihr einen Stich, und ihr wurde ganz schwindlig. Einen Augenblick lang schloss sie die Augen.

Shaun mochte sich als Ungeheuer erwiesen haben, aber als Ungeheuer wurde man nicht geboren, man wurde dazu gemacht. Shauns Umwelt und die Menschen um ihn herum hatten ihn geprägt, und der Mann, der sie jetzt so kühl musterte, hatte die Entwicklung seines Bruders entscheidend beeinflusst. So schändlich Shaun sie behandelt hatte, war der Mann, der ihr gegenübersaß, nicht noch schlimmer als er?

„Sie behaupten also, nervös und neurotisch zu sein.“ Max Forbes’ tiefe, wohlklingende Stimme riss Vicky aus den Erinnerungen und holte sie zurück in die Gegenwart. „Und trotzdem“, er beugte sich vor und zog aus einem Stapel Unterlagen ein Dokument hervor, „haben Sie es geschafft, in Australien eine beachtliche Position zu bekleiden und glänzende Zeugnisse von Ihren Arbeitgebern zu bekommen. Das ist doch seltsam, finden Sie nicht? Oder hatten Sie Ihre Neurosen damals besser unter Kontrolle?“

Vicky schwieg und begnügte sich damit, aus dem Fenster zu sehen, das den Blick auf den Himmel und rote Backsteinhäuser freigab.

„Hat Geraldine angedeutet, warum diese Position frei geworden ist?“ Max kam um den Schreibtisch herum und setzte sich direkt vor Vicky auf die Schreibtischkante. Dann blickte er auf sie hinunter.

„Nein“, erwiderte sie. „Aber ehrlich gesagt, es sind auch keine weiteren Erklärungen nötig. Denn Tatsache ist …“ Ja, was eigentlich?, überlegte sie. „Tatsache ist, ich möchte wirklich lieber als Schreibkraft arbeiten.“

Ein Lächeln umspielte Max’ Lippen, aber seine Stimme klang ernst und verständnisvoll. „Natürlich. Ich kann gut verstehen, dass Sie Ihr bemerkenswertes Talent nicht an eine anspruchsvolle Aufgabe mit guten Aufstiegschancen verschwenden möchten.“

Vicky blickte ihn durch ihre dichten dunklen Wimpern kurz an. Einen Augenblick lang brachte der Humor, der sich unter seinem Sarkasmus verbarg, sie aus dem Konzept. „Ich habe momentan schrecklich viel am Hals“, antwortete sie ausweichend. „Einer größeren beruflichen Herausforderung wäre ich zurzeit nicht gewachsen.“

„Was?“

„Wie bitte?“

„Was haben Sie am Hals?“ Max überflog Vickys Lebenslauf und sah sie dann fragend an.

„Na ja“, begann sie zögernd. Seine direkte Frage verblüffte sie. „Ich bin erst vor Kurzem aus Australien zurückgekehrt und habe eine Menge zu tun. Ich muss mich um mein Haus kümmern und mich einleben“, improvisierte sie und errötete.

„Warum sind Sie überhaupt nach Australien gegangen?“

„Als meine Mutter gestorben ist, habe ich gedacht, ein Ortswechsel würde mir gut tun. Und dann bin ich einfach viel länger geblieben als geplant. Ich habe schon bald einen Job in einer großen Firma gefunden und wurde gleich in den ersten sechs Monaten befördert. Ich fand es leichter, dort zu bleiben, als nach England zurückzukommen und den … den …“

„Den Verlust zu verarbeiten?“

Max’ Einfühlungsvermögen erschreckte Vicky. Eine Zeit lang hatte sie Shaun für feinfühlig und sensibel gehalten. Vielleicht verstanden sich auch andere Mitglieder der Forbes-Familie darauf, diesen Eindruck zu erwecken.

„Ich würde unser Gespräch gern beenden.“ Ohne Max anzusehen, stand Vicky auf und strich sich nervös den anthrazitgrauen Rock glatt, als wollte sie den letzten unsichtbaren Staubpartikel davon entfernen. „Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit verschwendet habe. Wenn ich Ihre Absichten gekannt hätte, hätte ich das Vorstellungsgespräch abgesagt. Wie ich schon erwähnt habe, bin ich nicht an einem Job interessiert, der mir wenig Freizeit lässt.“

„Die Houghton Company hat Ihnen ein glänzendes Zeugnis ausgestellt“, stellte Max kühl fest. Vickys Absicht zu gehen beeindruckte ihn offenbar nicht. Unsicher blieb sie stehen. Sie konnte sich nicht einfach umdrehen und verschwinden. Aber sie wollte sich auch nicht wieder hinsetzen und ihm den Eindruck vermitteln, sie sei doch an der Stelle interessiert. „Wirklich hervorragend. Das überrascht mich umso mehr, als ich James Houghton sehr gut kenne.“ Er sah Vicky nachdenklich an.

„Sie kennen ihn?“ Bei seinen Worten schossen Vicky mehrere denkbare Katastrophenszenarien durch den Kopf, und sie ließ sich wie betäubt in den Sessel sinken. Max Forbes durfte auf keinen Fall Kontakt zu ihrem früheren Chef in Australien aufnehmen! Es gab viel zu viele Geheimnisse, die sie keinesfalls preisgeben wollte.

„Wir sind vor Urzeiten zusammen in die Schule gegangen.“ Max stand auf und begann, ruhelos umherzulaufen, sodass er sich bald in Vickys Sichtfeld befand, bald als körperlose Stimme hinter ihr. Er verunsicherte sie, und vielleicht war das auch seine Absicht. „James ist ein guter Geschäftsmann. Eine Referenz von ihm hat Gewicht.“ Max unterbrach sich, und die plötzliche Stille hinter ihr verursachte Vicky ein Unbehagen. „Wo haben Sie in Australien gewohnt?“

„Bei meiner Tante. Sie hat in Sydney ein Haus.“ Mit seinen Fragen führte Max sie auf gefährliches Terrain, aber Vicky wusste nicht, wie sie ihn ablenken sollte.

„Sind Sie viel ausgegangen?“

„Mit wem?“, fragte Vicky vorsichtig.

„Mit Kollegen zum Beispiel.“ Sie spürte, dass Max sich neben sie stellte. Seine Nähe irritierte sie. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er sich gegen die Wand lehnte, die Hände tief in die Hosentaschen schob und den Kopf leicht zur Seite neigte, als würde er ihre Worte sorgfältig abwägen. Und als würde er sie abspeichern, um sie später als Beweismittel gegen mich zu verwenden, dachte Vicky.

Aber es wird kein Später geben, beruhigte sie sich. So mächtig Max auch war, er konnte sie nicht zwingen, für seine Firma zu arbeiten. Er konnte sie aushorchen, weil sie ihm dummerweise das Gefühl vermittelt hatte, hinter ihrer Geschichte stecke mehr, als auf den ersten Blick erkennbar war. Aber gleich würde sie gehen, und sie würde Max Forbes höchstens als Erinnerung an die mysteriösen Launen des Schicksals im Gedächtnis behalten. Der Gedanke an den bevorstehenden Abschied beruhigte Vicky, und es gelang ihr sogar, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

„Ab und zu. Ich hatte in Sydney viele Freunde. Die Australier sind sehr offen und freundlich.“ Sie riskierte es, ihn von der Seite anzusehen.

„Das habe ich gehört. Mein Bruder fand das auch.“

„Sie haben einen Bruder, der dort lebt?“ Sie errötete.

„Shaun Forbes.“ Max machte eine Pause, als erwartete er, dass der Name ihr etwas sagte. „Mein Zwillingsbruder.“

Das war Vicky neu. Sie war fast eineinhalb Jahre mit Shaun befreundet gewesen, und er hatte nie erwähnt, dass Max sein Zwillingsbruder war. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sehr es Shaun verbittert haben musste, in keiner Weise so erfolgreich zu sein wie sein Bruder, der am selben Tag geboren war wie er und dieselbe Erziehung genossen hatte.

Vicky wäre vorhin beinah das Herz stehen geblieben, als sie Max Forbes so unvermutet gegenübergestanden hatte. Seine unverkennbare Ähnlichkeit mit Shaun hatte sie zurück in die Vergangenheit katapultiert, und Erinnerungen, die sie seit Langem zu verdrängen suchte, hatten sie wieder eingeholt.

„Soviel ich weiß, war er in bestimmten Kreisen ziemlich bekannt.“ Max verzog den Mund zu einem rätselhaften Lächeln und ging zu seinem Schreibtisch.

„Nein. Der Name sagt mir nichts.“ Die Worte blieben Vicky fast im Hals stecken. So fühlt man sich also, wenn der Teufel mit einem spielt, dachte sie. Sie hatte es seit ihrer Rückkehr nach England nicht leicht gehabt. Die Mieter, die das Haus ihrer Mutter zuletzt bewohnt hatten, hatten es verwahrlosen lassen, und die für die Vermietung zuständige Agentur hatte jede Verantwortung für den Schaden abgelehnt. Deshalb musste Vicky nicht nur Arbeit finden und ihre Finanzen ordnen, sondern sich zu allem Überfluss auch noch um ein Haus kümmern, das von Grund auf renoviert werden musste. Sogar die Wände schienen seltsam zu riechen.

Und dann gab es noch Chloe.

Vicky senkte den Blick, Übelkeit stieg in ihr auf.

„Das überrascht mich. James hatte geschäftlich mit Shaun zu tun. Ich hatte damit gerechnet, Sie hätten ihn im Büro gesehen.“

Vicky versagte die Stimme. Sie schüttelte den Kopf und begegnete Max’ prüfendem Blick.

„Wirklich nicht?“, hakte Max nach und überflog noch einmal Vickys Lebenslauf. „Nun gut. Vermutlich hätte Shaun Sie ohnehin nicht bemerkt.“

Max’ Worte brachten augenblicklich Klarheit in Vickys Gedanken. Max hatte sie sicher nicht verletzen wollen, trotzdem empfand sie seine Bemerkung als kränkend. Wenn er wüsste, wie hartnäckig sein abscheulicher Bruder sie umworben hatte! Shaun hatte sie mit seiner Eloquenz, seinen Blumen und seinen leeren Komplimenten verzaubert. Er hatte ihr gesagt, sie sei dazu bestimmt, ihn vor sich selbst zu retten. Und er hatte ihr mit Tränen in den Augen dafür gedankt, dass sie ihn zu einem besseren Menschen machen wollte. Sie war gutgläubig auf seine Phrasen hereingefallen. Es hatte jedoch nicht lange gedauert, bis Shaun sein wahres Gesicht gezeigt und Vicky das Ungeheuer hinter der Fassade erkannt hatte.

„Herzlichen Dank“, erwiderte sie kühl.

„Aber warum haben Sie sich entschlossen, aus Australien wegzugehen? Sie hatten doch einen guten Job und einen großen Freundeskreis.“

Da Vicky ihr Desinteresse an seinem Jobangebot bereits signalisiert hatte, hatte Max kein Recht mehr, sie auszufragen. Aber aus Angst, seine Neugier anzustacheln, verzichtete Vicky darauf, ihn in seine Schranken zu weisen.

„Ich wollte nie für immer dort bleiben und habe gedacht, es sei an der Zeit, nach England zurückzukehren.“ Chloe hat den Ausschlag gegeben, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Und seit Ihrer Rückkehr haben Sie als Aushilfe gearbeitet? Solche Jobs werden ziemlich schlecht bezahlt, finden Sie nicht?“

„Ich komme zurecht.“

„Und Sie wohnen …?“ Sekundenlang wandte er den Blick ab und blätterte in den Unterlagen, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. „Ja, am Stadtrand von Warwick. Haben Sie dort etwas gemietet?“

„Ich habe das Haus meiner Mutter geerbt. Es war in den letzten Jahren vermietet.“

Er schob die Unterlagen zur Seite, lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah Vicky unverhohlen neugierig an.

Autor

Cathy Williams
<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
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