Entführt ins Reich der Sinne

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"Mögen Sie Sex?" Bei Viktors Worten schießt Jada das Blut in die Wangen. Wie kann der mächtige Milliardär, den sie kaum kennt, sie das nur so frech fragen? Und obwohl sie mehr als empört ist, erwacht eine unbekannte, drängende Sehnsucht in ihr. Wie soll es erst werden, wenn sie mit diesem gefährlich attraktiven Mann zusammenlebt, von dem es heißt, er habe ein Herz, härter als Diamant und kälter als Eis? Jada sollte fliehen, solange sie kann! Aber sie hat keine Wahl: Sie muss mit Viktor eine Scheinehe eingehen. Sonst nimmt er ihr das, was sie am meisten liebt …


  • Erscheinungstag 09.12.2014
  • Bandnummer 2156
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701208
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Viktor Vasin trank seinen Wodka aus und wartete auf die Wirkung. Nichts. Heute Abend würde er mehr Alkohol brauchen. Um Spaß zu haben. Und etwas zu fühlen.

Oder er brauchte eine Frau. Dann sollte er mit dem Alkohol besser aufhören.

Viktor verließ die Bar und schob sich durch das Menschengewühl auf der Tanzfläche. Dort war die Musik besonders laut, der Bass so dröhnend, dass er durch Mark und Bein ging. Hier drinnen war es unmöglich, mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Was ihm nur recht sein konnte. Ihm war nicht nach reden.

Ihm fiel eine Blondine auf, die an der Tanzfläche vorbeischlenderte. Auch sie schien keine Lust zum Reden zu haben.

Locker ging er auf sie zu. Sie lächelte ihn an. Ach ja. Kein Zweifel. Der Abend war gerettet.

Als Viktor vor ihr stehen blieb, strich sie ihm aufreizend über die Brust. Die direkte Art. Das mochte er. Vielleicht gehörte sie zu den Frauen, die es kaum erwarten konnten, mit ihm im Hotelbett zu landen.

Sein Handy summte, und er griff in die Hosentasche. Ablenkende Anrufe schätzten Frauen nicht. Aber nun, falls es der Blonden nicht passte, ergab sich schnell etwas anderes. Heute Nacht würde er nicht allein schlafen.

Er nahm das Handy heraus und las eine Nummer, die er nicht kannte. Wenn ein Unbekannter über seinen Geheimcode anrief, musste er etwas Wichtiges wollen.

Viktor hob den Finger und bedeutete der Blondine zu warten. Vielleicht tat sie es. Vielleicht auch nicht. Letztlich war es ihm egal.

Er presste das Handy ans Ohr, ehe er die Bar verließ, und trat auf die belebte Brüsseler Straße hinaus. Eine Gruppe Frauen ging vorbei, die ihm einladende Blicke zuwarfen. Vielleicht sollte er sich merken, in welchem Klub sie verschwanden, statt zu der Blonden zurückzukehren, die drinnen auf ihn wartete.

„Vasin“, meldete er sich.

Und plötzlich schien der Boden unter ihm zu wanken. War ihm der Wodka zu Kopf gestiegen? Eine seltsame Enge legte sich um seine Brust, die Gebäude schienen auf ihn zuzukommen. Hatte er sich verhört? Bildete er sich nur ein, was die Frauenstimme am anderen Ende gesagt hatte?

Ja, vor über einem Jahr war er in Oregon gewesen …

Einen Moment lang stand Viktor ganz still und wartete, dass der Schock sich legte. Alles verschwamm vor seinen Augen. Die Klubs. Die Frauen. Was tat er hier, in der dunklen Brüsseler Straße?

Es gab nur noch den Anruf.

Auf einmal war er wie elektrisiert. So ein Kick hatte ihm den ganzen Abend gefehlt. Die Nachricht traf ihn wie ein Schlag. Aber er war ein Mann der Tat.

Er schaltete das Handy ab und schob es in die Tasche. Mit raschen Schritten ließ er den Klub hinter sich. Er musste zum Flughafen. Die Nachricht durch einen Labortest bestätigen lassen.

Im Laufen schüttelte er das Handy aus der Tasche und suchte nach Sayids Nummer. Sein Freund würde wissen, was von der Sache zu halten war.

Nein, es war nicht der Wodka. Es stimmte. Das spürte Viktor im tiefsten Inneren.

Er war Vater.

1. KAPITEL

„Glauben Sie wirklich, mir mein Kind vorenthalten zu können?“

Jada blieb auf der Treppe des Familiengerichts stehen, der kalte Schweiß brach ihr aus. Der Gedanke an diesen Mann hatte sie bis in die schlimmsten Albträume verfolgt. Und obwohl sie seine Stimme nur in ihren Träumen gehört hatte, wusste sie, dass er es war.

Viktor Vasin.

Ein Fremder. Dennoch konnte er ihr das Herz aus der Brust reißen und ihr Leben zerstören.

Der Vater ihrer Tochter.

„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ Langsam tastete Jada sich die Stufen zum Gerichtsgebäude hinauf. Doch sie wusste, dass Viktor Vasin ihr folgte.

„Sie haben den Gerichtstermin vorverlegen lassen.“

„Es ging nicht anders“, log Jada tapfer. Sie war keine Lügnerin, wollte einfach nur ihr Kind schützen. Ihr Leben lang hatte sie sich korrekt verhalten, sich stets an die Regeln gehalten. Doch für dieses Drama gab es keine Regeln. Kein Richtig und kein Falsch. Nur das eine: Sie musste Leena behalten.

„Da ich um die halbe Welt fliegen musste, um den Termin einhalten zu können, hatten Sie offenbar darauf gesetzt, dass ich ihn platzen lassen würde, Ms Patel. Pech für Sie, dass ich einen Privatjet besitze.“

Wie der Eigentümer eines Privatjets sah Viktor Vasin im Moment wirklich nicht aus. In diesem Aufzug wollte er den Sorgerechtsprozess gewinnen? Schon die Hüftjeans mit dem breiten Gürtel wirkten lachhaft. Dann das verknitterte Button-up-Hemd mit den aufgekrempelten Ärmeln, das seine muskulösen nackten Unterarme freigab. Und diese Pilotenbrille! Der Mann könnte glatt als Rockstar durchgehen.

Viktor rückte sich die Gürtelschnalle zurecht, sodass an seinem Handgelenk ein dunkel tätowierter Anker sichtbar wurde. Das dürfte ganz schön wehgetan haben, dachte Jada. Schon allein das sagte alles über ihn: Viktor Vasin war ein gefährlicher Mann. Sein bloßer Anblick jagte ihr Schauer über die Haut.

Aber vielleicht war sein Rockerauftritt gar nicht so übel. Mit der offen zur Schau gestellten Missachtung des Gerichts dürften ihre Chancen sich bessern, Leena zu behalten. Ein Jahr lang hatte sie das Kind wie ihr eigenes aufgezogen. Da konnte dieser Mann es ihr nicht einfach wegnehmen – obwohl er biologisch der Vater war.

Blut ist dicker als Wasser. Aber täglich dreißig Windeln wechseln stach selbst Blutsbande aus. Und sie, Jada, hatte in diesem Jahr mehr als genug Windeln gewechselt!

Gelassen blickte Viktor Vasin auf die Uhr. „Uns bleibt noch etwas Zeit. Ich bin gleich wieder da.“

„Nur keine Eile.“ Jada setzte sich auf einen Stuhl vor dem Gerichtssaal und wartete. Was gäbe sie darum, Leena jetzt in den Armen halten zu können, doch das Kind war bei der Sozialarbeiterin. Jada nahm ihre Tasche vom Boden auf, kramte das Handy hervor und öffnete eine App, um sich zu beschäftigen. Und nicht an die bevorstehende Verhandlung zu denken.

„So, da bin ich wieder. Wie ich sehe, habe ich nichts versäumt.“

Sie blickte auf – und ihr stockte der Atem. Viktor Vasin hatte sich umgezogen und trug einen schwarzen Anzug mit schlichtem Hemd. Und sah umwerfend aus. Der elegante Maßanzug war wie geschaffen für seine athletische Gestalt und passte sich seinen geschmeidigen Bewegungen an. Dieser Mann verströmte Kraft und Macht. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen und bekam, was er wollte. Und die Frauen dürften ihm reihenweise zu Füßen sinken.

Im Handumdrehen hatte er sich vom staubigen Reisenden in James Donnerblitz Bond verwandelt.

„Wie ich sehe, ist Ihnen der Ernst der Lage aufgegangen“, konnte Jada sich nicht verkneifen zu bemerken.

Auch die Sonnenbrille hatte er abgenommen, und zum ersten Mal sah sie seine Augen. Sie waren von einem beunruhigenden Blaugrau – wie das Meer im Sturm.

„Das hielt ich für ratsam.“ Nun lächelte er schwach. Er wirkte völlig gelassen, als wäre er keineswegs beunruhigt, wie der Richterspruch ausfallen könnte. Für Jada hing alles davon ab. Leena war ihr Leben, ihr Ein und Alles. Das Einzige, was ihr geblieben war.

„Ratsam? Mehr bedeutet Leena Ihnen nicht? Versuchen Sie es einfach auf gut Glück? Warum sind Sie überhaupt gekommen?“

„Sie ist meine Tochter“, erwiderte er sachlich, ohne jede Gefühlsregung. „Deshalb bin ich für sie verantwortlich.“

„Sie fühlen sich verantwortlich? Mehr nicht?“

In Viktor Vasins stahlblauen Augen blitzte es auf. „Sie ist meine Tochter – nicht Ihre.“

Jada gab einen Laut der Verachtung von sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was bedeutet es schon, dass ich seit dem Tag ihrer Geburt für sie gesorgt habe?“ Sie wusste selbst nicht, woher sie die Kraft nahm, die Klingen mit diesem Mann zu kreuzen, aber sie würde kämpfen wie eine Löwin. Keiner stand ihr zur Seite. Niemand half ihr. Hier war sie völlig auf sich allein gestellt.

„Ich wusste nichts von ihr“, erklärte Viktor Vasin.

„Weil ihre Mutter Sie für tot hielt. Und warum wohl? Weil Sie in geheimer Mission unterwegs waren? So etwas sagt ein Mann wie Sie doch sicher, um eine Frau ins Bett zu bekommen.“

„Falls ich das gesagt habe, war es so“, erwiderte Viktor ruhig.

Gespielt erstaunt sah Jada ihn. „Falls? Sie erinnern sich nicht einmal daran?“

Er zuckte die Schultern. „Nicht besonders.“

Nun fiel ihr auch der Rest der Geschichte ein. „Sie waren wirklich in geheimer Mission unterwegs?“

„Wie alt ist das Kind?“

Jada war fassungslos. „Sie wissen es nicht?“

„Ich wusste überhaupt nichts“, erklärte er. „In Brüssel erreichte mich ein Anruf, in dem mir mitgeteilt wurde, mein Anspruch auf ein Kind, von dessen Existenz ich keine Ahnung hatte, würde unwiderruflich erlöschen, falls ich ihn nicht bis zu einem bestimmten Termin anmelde. Daraufhin ließ ich Tests machen, um festzustellen, ob ich tatsächlich der Vater bin. Und zu Ihrer Information: Ich bin es. Erst gestern erhielt ich ein amtliches Schreiben, in dem mir mitgeteilt wurde, mein Vaterschaftsanspruch würde erlöschen und das Kind zur Adoption freigegeben, falls ich bei der heutigen Anhörung nicht erscheine.“

„Leena ist jetzt ein Jahr alt. Vor einigen Tagen war ihr Geburtstag.“ Zu zweit hatten sie ihn in Jadas kleinem Haus gefeiert, das sie seit acht Jahren bewohnte. „Wo waren Sie vor gut eineinhalb Jahren?“

Wieder lächelte Viktor schwach. Nicht weit von hier. Ich hatte geschäftlich in Portland zu tun.“

Jada stemmte die Hände in die Hüften. „Aha. Geschäftlich.“

„Um was es ging, darf ich nicht verraten.“

Abscheu erfüllte sie. Gott sei Dank hatte sie mit Typen wie Viktor Vasin nichts zu tun. Sie hatte viel zu jung geheiratet, einen wirklich anständigen Mann. Männer wie Vasin, die wahllos von einem Bett ins andere hüpften, waren nur Typen in schrecklichen Filmen. „Ich kann es mir denken. Um das Ergebnis dieses Geschäfts habe ich mich gekümmert.“

Er zog eine Braue hoch. „Es war ein privater Abstecher. Ich bin kein Sextourist.“

Jada wurde heiß. „Sie nehmen kein Blatt vor den Mund.“

„Und Sie haben eine scharfe Zunge und sind ziemlich vorschnell mit Ihrem Urteil.“

Und nicht an Leute gewöhnt, die sich ungeniert über ihre Bettgeschichten auslassen. Viktor schien sie wie Ehrenmedaillen vor sich her zu tragen. „Sie sind gekommen, um mir das Kind wegzunehmen. Sollte ich Sie da herzlich willkommen heißen?“

Viktor blickte sich im Vorzimmer um. Sie waren die einzigen Geladenen. „Offen gestanden war ich nicht darauf gefasst, mit Ihnen hier im Warteraum herumzusitzen.“

„Aber genau das ist der Fall. Beantworten Sie mir eine Frage: Was will ein Mann, der ständig in der Weltgeschichte herumkutschiert und wer weiß was tut, mit einem Kleinkind? Haben Sie eine Frau?“ Jada konnte nur hoffen, dass es so war.

„Nein.“

„Haben Sie sonst noch Kinder?“

„Nicht, dass ich wüsste.“ Viktor Vasin lächelte anzüglich. „Die Nachricht kam für mich völlig überraschend.“

„Für die meisten Männer nicht, Mr Vasin“, konnte Jada sich nicht verkneifen zu sticheln. „Warum wollen Sie Leena überhaupt haben?“

Gute Frage. Auf die Viktor keine Antwort hatte. Es wusste nur: Wenn er jetzt ging, würde er seine kleine Tochter nie kennenlernen, niemals erfahren, ob sie gut aufgehoben war. Wenn er sie hier ließ und sie sich später wie er allein durchs Leben schlagen musste, verdiente er, in der Hölle zu schmoren.

Anfangs hatte er erwogen, den Anruf zu ignorieren, bei der Anhörung einfach nicht zu erscheinen. Doch dann waren ihm Gewissenbisse gekommen – und Regungen, die er sich nicht zugetraut hätte.

Er war nicht gerade versessen darauf, das kleine Mädchen zu beanspruchen. Aber es seinem Schicksal zu überlassen, brachte er auch nicht über sich.

Ihm fiel nur eine Antwort ein: „Weil sie meine Tochter ist.“

„Ein wenig überzeugender Grund – jedenfalls in Ihrem Fall.“

„Warum wollen Sie Leena unbedingt behalten, Ms Patel?“, versuchte er, den Spieß umzudrehen. „Sie ist nicht Ihr Kind – ganz gleich, was Sie für die Kleine empfinden.“

„Ach so? Blutsbande – auch wenn der Vater ein Fremder ist – sind wichtiger als die Liebe und Zuwendung, die sie von mir bekommt?“

Viktor betrachtete die Frau, die sich so leidenschaftlich für das Kind einsetzte. Sie war schön, und in einer anderen Situation hätte es ihn gereizt, sie zu verführen … glänzendes schwarzes Haar, zarte, leicht gebräunte Haut, bernsteinfarbene Augen, tolle Figur – die Versuchung in Person.

Doch im Moment war Jada Patel gefährlich, obwohl sie zierlich war und ihm gerade bis zur Brust reichte. Komisch, dass sie keine Angst vor ihm hatte. Sogar bereit zu sein schien, sich notfalls auf ihn zu stürzen.

Leider nicht so, wie er es sich gewünscht hätte.

„Hier geht es nicht um Gefühle, sondern um nackte Tatsachen“, erklärte Viktor. „Ich bin ihr Vater – und Sie sind nicht seine Mutter.“

Jada zuckte zurück wie eine Kobra, die zum tödlichen Biss ansetzt. „Was fällt Ihnen ein?“

„Mr Vasin? Ms Patel?“ Eine schlanke Frau in schwarzer Uniform öffnete die Tür des Gerichtssaals und steckte den Kopf heraus. „Wir sind bereit, Sie beide zu empfangen.“

„Da der hier anwesende Viktor Vasin erwiesenermaßen bei guter geistiger Gesundheit und laut DNA-Test der Vater des Kindes Leena ist, sehen wir keinen Grund, ihm das Sorgerecht für das Kind vorzuenthalten.“

Wieder und wieder liefen die letzten zehn Minuten vor Jada ab. Die Entscheidung tat dem Richter leid, die Sozialfürsorger bedauerten sie tief – doch es gab beim besten Willen keinen Grund, warum Leena nicht bei ihrem Vater leben sollte. Bei ihrem milliardenschweren Vater, wie sich inzwischen herausgestellt hatte. Was die richterliche Entscheidung natürlich beeinflusst hatte, egal, was alle behaupteten.

Es war doch sonnenklar! Als Hausfrau hatte Jada niemanden, der sie finanziell unterstützte. Ihr einziges Einkommen waren die monatlichen Zahlungen aus der Lebensversicherung ihres verstorbenen Mannes. Damit kam sie gut über die Runden, aber mit einer Milliarde Dollar konnte sie natürlich nicht konkurrieren.

Hinzu kam der unwiderlegbare Beweis von Viktor Vasins Vaterschaft und der Umstand, dass er von der Existenz des Kindes keine Ahnung gehabt hatte, weil er Opfer von Missverständnissen geworden war. Nein, in den Augen der anderen gab es für sie, Jada, keine Chance, dass ihr das Kind zugesprochen wurde – obwohl sie wie eine Mutter für das Mädchen gesorgt hatte. Doch das kümmerte niemanden.

Und jetzt war Leena mit diesem Viktor Vasin in einem Nebenraum, damit die beiden sich ungestört kennenlernen sollten. Sie dürfe Leena nicht mitnehmen, hatte man Jada erklärt. Fluchtgefahr. Auch das bedauerten alle sehr.

Hilflos lehnte Jada sich an die Wand des verlassenen Ganges und rang nach Atem. Sie hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Ihr war, als hätte ihr Herz aufgehört zu schlagen.

Die Knie gaben unter ihr nach, sie ließ sich an der Wand zu Boden gleiten und zog schützend die Beine an, egal, ob jemand ihr unter den Rock sehen konnte. Sie hasste dieses Gefühl, das ihr so vertraut war: Schock. Trauer. Verlust …

Sunil zu verlieren, war grausam genug gewesen. So ungerecht. Unerwartet. Wer war schon darauf vorbereitet, mit fünfundzwanzig Witwe zu werden? Sich damit abfinden zu müssen, plötzlich allein dazustehen. Nachdem ihr vorher die Eltern und ihr Mann zur Seite gestanden hatten, war es das Schrecklichste, was sie je durchlitten hatte … immer noch durchlitt.

Und jetzt hatte sie auch Leena verloren. Unfasslich! Sie konnte einfach nicht weiter! Alles in ihr war leer und tot, sie hatte nichts und niemanden mehr. Was sollte sie ganz allein anfangen?

Ihre Schultern bebten, ein Schluchzer entrang sich ihr. Leute gingen an ihr vorbei und versuchten, nicht zu bemerken, dass sie völlig aufgelöst auf dem Boden des Gerichtskorridors saß.

Ihr war alles egal. Es machte ihr nichts aus, dass Fremde denken mussten, sie wäre ausgeflippt. Und war sie das nicht letztlich auch in ihrem grenzenlosen Schmerz?

„Ms Patel.“ Wieder diese Stimme.

Jada hob den Kopf und hatte den Mann mit den sturmgrauen Augen vor sich, der ihr die Tochter genommen hatte. Nur eins hielt sie davon ab aufzuspringen und ihm an die Kehle zu gehen.

Leena.

Er trug das zappelnde Kind auf den Armen. Es wollte zu ihr, das war nicht zu übersehen. Sekundenlang konnte Jada ihre kleine Tochter nur stumm ansehen – um sich jede Einzelheit einzuprägen. Für immer …

Dann raffte Jada sich auf und streckte die Arme nach Leena aus. Das Kind reckte sich ihr entgegen, und Viktor Vasin blieb nichts anderes übrig, als ihr die ungeduldig strampelnde Kleine zu übergeben.

Verzweifelt drückte Jada ihre Tochter an sich, die sich instinktiv an sie klammerte. Sie schloss die Augen, grub das Gesicht in Leenas seidiges Haar und atmete ihren Duft ein. Sie roch nach Blütenshampoo und verströmte diesen unverkennbaren wundervollen Babygeruch.

Und plötzlich hatte Jada nicht mehr das Gefühl zu ertrinken. Sie konnte wieder atmen, ihr Herz fand zu seinem Rhythmus zurück.

„Mama!“, rief Leena erleichtert und glücklich.

Jada zerriss es das Herz. „Es ist ja gut“, flüsterte sie. „Alles wird gut.“ Dabei war nichts gut! Doch sie brauchte diese Lüge, um atmen zu können.

„Sie mag mich nicht“, bemerkte Viktor. Zum ersten Mal zeigte er fast so etwas wie Unbehagen über die Situation.

„Für Leena sind Sie ein Fremder“, erinnerte Jada ihn.

„Ich bin ihr Vater“, erklärte er, als würde eine Einjährige etwas auf genetische Zusammenhänge geben.

„Es interessiert sie nicht, ob Sie mit ihr verwandt sind oder nicht. Für Leena bin ich ihre Mutter. Die einzige Mutter, die sie kennt.“

„Wir müssen uns unterhalten.“

„Worüber?“

„Über das hier.“ Seine Stimme klang rau, und etwas von seinem weltmännischen Charme begann abzublättern. „Was mit Leena geschehen soll.“

Sie wusste nicht, wie er das meinte, doch solange sie Leena in den Armen hielt, war alles andere unwichtig.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie kurzerhand.

„Zu meinem Wagen. Er ist mit Kindersitz ausgestattet.“

„Gut.“ Es müsste ihr komisch vorkommen, diesem Fremden einfach zu folgen, doch da das Gericht ihn für einen guten Vater hielt und er ihr Leena wegnehmen wollte, musste sie am Ball bleiben und Viktor Vasin zu seinem Wagen folgen. Sie würde jede Minute mit Leena auskosten, so lange sie konnte.

Während Jada ihm aus dem Gerichtsgebäude die Treppe hinunterfolgte, holte Viktor sein Handy hervor und telefonierte in einer fremden Sprache. Russisch, Englisch oder Hindi war es nicht, soviel wusste Jada. Viktor Vasin schien ein Mann mit vielen Talenten zu sein.

Einen Moment später fuhr eine schwarze Limousine am Gehsteig vor, und Viktor hielt Jada die hintere Tür auf. „Am besten, Sie machen es sich mit der Kleinen hier bequem.“

Schweigend folgte Jada der Aufforderung und setzte sich mit dem Kind auf der Rückbank zurecht. Nach den Aufregungen des Nachmittags begann es, friedlich einzuschlummern.

Eine völlig verrückte Situation, dachte Jada.

Im ersten Moment war sie fast beeindruckt von dem Luxusgefährt. Nach der Trauung war sie mit ihrem Mann in so einer Limousine gefahren. Doch hier herrschte Luxus pur. In der Mitte des geräumigen Wagens gab es sogar einen Sektkühler mit einer Flasche Champagner.

Bei ihrem Anblick erschauderte Jada. War Viktor Vasin sich seiner Sache so sicher, dass er vorgehabt hatte, den Sieg mit Champagner zu feiern? Ein Hoch auf den Diebstahl ihres Kindes? Am liebsten hätte Jada ihn geohrfeigt. Ihm wehgetan. Um ihm einen Vorgeschmack auf den Kampf zu geben, auf den er sich mit ihr gefasst machen musste.

„Worüber wollen Sie mit mir reden?“, fragte sie schärfer als beabsichtigt.

Er schloss die Tür und machte es sich neben ihr bequem. „Wie wär’s mit einem Schluck Champagner?“

„Nein. Kein Champagner. Worüber wollen Sie reden?“

„Wie haben Sie die Mutter der Kleinen kennengelernt?“

„Leena“, belehrte Jada ihn. „Ihr Name ist Leena.“

„Was ist das für ein Name?“

„Sie heißt nach meiner Mutter.“

„Hm … seltsamer Name.“

„Ich habe indische Vorfahren, und Leena ist meine Tochter. Finden Sie es nicht reichlich arrogant, hier einfach aufzukreuzen, mir mein Kind wegnehmen und ihm auch noch einen anderen Namen verpassen zu wollen?“

Viktor zog die Brauen hoch. „Ich werde sie nicht umtaufen. So übel finde ich den Namen gar nicht.“

„Danke“, erwiderte Jada und ärgerte sich über sich selbst. Sie sollte diesem Mann nicht danken, sondern ihn erschlagen.

„Okay, wie Sie meinen …“ Er setzte sich aufrecht hin, als wollte er eine Geschäftssitzung eröffnen. „Wie haben Sie Leenas Mutter kennengelernt?“

„Über … eine Adoptionsvermittlung. Die junge Frau erzählte mir, der Vaters des Babys sei tot und sie könne es nicht allein aufziehen. Sie wolle eine offene Adoption und könne für das Kind eine Person ihres Vertrauens bestimmen. Die Entscheidung sei ihr nicht leichtgefallen.“ Jada dachte daran, wie müde und traurig die Frau nach der Geburt ausgesehen hatte, als sie ihr Leena übergab. Aber auch erleichtert. „Für die Mutter war es die einzige mögliche Lösung.“

„Und wie lief die Adoption ab?“

„Normalerweise wird sie sechs Monate nach Übergabe des Kindes rechtskräftig. Hier in Oregon kann die biologische Mutter die Papiere nach der Geburt unterschreiben. Aber dann verzögerte sich alles … weil wir den Vater als tot angegeben hatten, jedoch keine offizielle Todeserklärung beibringen konnten. Natürlich kannte die Mutter Ihren Namen. Schon deshalb konnten wir Ihre Rechtsansprüche nicht einfach übergehen. Und auch, weil Sie erst kürzlich für unauffindbar erklärt worden waren.“

„Und dann fand man mich.“

„Ja. Leider. Mein Pech.“

„Sie tun mir leid, Jada.“ Es tat ihm überhaupt nicht leid, wie schon sein Ton verriet. „Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Leena meine Tochter ist. Ich kann sie Ihnen nicht überlassen.“

„Wieso nicht? Weil sie plötzlich in tiefer väterlicher Liebe zu ihr entbrannt sind?“, höhnte Jada.

„Nein. Weil es sich gehört, für seine Kinder zu sorgen. Und außer Leena habe ich niemanden.“

Normalerweise hätte Viktor Vasin ihr leidgetan. Doch bei diesem Mann empfand sie nichts. Am allerwenigsten Mitgefühl.

„Sorgen bedeutet für mich, sie ständig um mich zu haben“, trumpfte sie auf.

„Ich verstehe ja, dass Sie so denken.“ Viktor blickte aus dem Fenster. „Leena mag mich nicht und schreit, wenn ich sie nehme. Und offen gestanden fehlt mir auch die Zeit, mich rund um die Uhr um ein Kind kümmern zu können.“

„Warum sind Sie dann gekommen?“

„Weil die einzige andere Möglichkeit wäre, auf Leena zu verzichten. Und diese Lösung gefällt mir noch weniger.“

„Was soll das heißen? Wollen Sie ein Kindermädchen einstellen?“

„Genau das habe ich vor. Hätten Sie Lust, als Leenas Kindermädchen für mich zu arbeiten?

„Wie bitte?“

Das konnte der Mann unmöglich ernst meinen! Kindermädchen ihrer eigenen Tochter? Angestellte eines Mannes, der ihr alles nahm?

Leena war ihr einziger Lichtblick. Sie bedeutete ihr alles. Ihre Mutter zu sein, war ihr ganzer Lebensinhalt.

Viktor wollte sie zum Kindermädchen herabwürdigen, das er nach Belieben feuern konnte.

„Sie fragen mich allen Ernstes, ob ich bei meiner eigenen Tochter Kindermädchen spielen will?“

„Wie das Vormundschaftsgericht gerade entschieden hat, ist sie nicht Ihre Tochter.“

„Wenn Sie das noch einmal sagen, werde ich …“

„Es liegt bei Ihnen. Klammern Sie sich an ihren Stolz. Ich biete ihnen immerhin die Möglichkeit, mit Ihrer Tochter zusammenzubleiben.“

„Wie können Sie mir das antun?“, brachte Jada matt hervor. Ihr brach das Herz. Dieser Mann drängte sich gewaltsam in ihr Leben, das sie sich mühsam wieder aufgebaut hatte, und schlug alles in Scherben. Was sollte sie jetzt tun?

Sie hatte ihren Mann geliebt, aber er hatte ihren Kinderwunsch nicht erfüllen können. Und von anderen Möglichkeiten wie künstlicher Befruchtung oder Adoption hatte er nichts wissen wollen.

Nachdem Jada den Tod ihres Mannes akzeptiert hatte, war ein Gedanke in ihr gewachsen: Sie war nicht mehr verheiratet – aber warum sollte sie nicht trotzdem Mutter werden? Durch Adoption …

Und jetzt wollte Viktor Vasin ihr auch dieses Glück entreißen.

„Ich tue Ihnen gar nichts an“, hörte sie ihn sagen. „Leena ist mein Kind, und ich nehme sie rechtmäßig zu mir, weil das am vernünftigsten ist.“

„Sie haben eine ziemlich verdrehte Auffassung von vernünftig, Mr Vasin!“

„Viktor“, sagte er. „Nennen Sie mich Viktor. Und meine Auffassung von vernünftig deckt sich völlig mit der Rechtsprechung. Somit könnte ich Ihnen vorhalten, ein verdrehtes Rechtsempfinden zu haben.“

Das konnte Jada nicht auf sich sitzen lassen. „Mein Rechtsempfinden schließt Gefühle ein. Auf Papier gedruckte Gesetze haben oft nichts mit lebenden Menschen und Empfindungen zu tun.“

„Da bin ich anderer Meinung. Was ich tue, hat nichts mit Gefühlen zu tun.“

Sie blickte Viktor in die Augen, die jetzt dunkel und seelenlos wirkten. Nur in dem Moment im Gerichtsgebäude, als er die Kleine auf den Armen gehalten hatte, war Jada so etwas wie eine Regung in ihnen aufgefallen. Furcht? Unsicherheit? Natürlich! Der Mann hatte keine Ahnung von Kindern.

Und er wollte sie als Kindermädchen anheuern! Er spielte sich als Leenas Vater auf …

Ausgerechnet dieser Mann, der immer allein gelebt und Leena noch nie gesehen hatte, kam daher und wollte sie ihr wegnehmen!

„Sie ist alles, was ich habe.“ Jadas Stimme verriet, wie aufgewühlt sie war. „Ich habe doch nur sie.“

„Sie lehnen mein Angebot aus Stolz ab?“

„Weil ich nicht Leenas Kindermädchen bin, sondern ihre Mutter. Die bloße Vorstellung, mich zu bezahlen, damit ich mich um sie kümmere, ist …“ Sie war Sunils Frau gewesen und dann Leenas Mutter. Ein Nichts wollte sie nie wieder sein.

„Natürlich müsste ich Sie dafür bezahlen. Ich kann Sie doch nicht auffordern, Ihren Job aufzugeben, um kostenlos Leenas Kindermädchen zu werden.“

„Sie werden nicht …“

Autor

Maisey Yates
<p>Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin. <br/>Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. <br/><br/>Von da an konnte nichts und niemand...
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