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Für Ava gleicht das unerwartete Wiedersehen mit Flynn Marshall einem Traum, denn der smarte CEO ist nicht nur ihr Held aus Jugendtagen, hier in Paris wirkt er sogar noch aufregender als früher … und da Ava schon immer für den Sohn ihrer ehemaligen Hausangestellten schwärmte, gibt sie sich den heißen Küssen des Self-Made-Millionärs nur zu gerne hin. Als Flynn ihr einen Heiratsantrag macht, schwebt Ava endgültig auf rosa Wolken … bis die Tochter aus bestem Haus erkennen muss, auch für Flynn ist sie nur eine Trophäe. Aber hat der sexy Rebell seine Liebe wirklich nur gespielt?


  • Erscheinungstag 30.08.2016
  • Bandnummer 2247
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706968
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Motor des Autos dröhnte laut durch die Nacht und zerriss brutal die angenehme Stille, die Flynn nach dem ganzen Trubel in London so dringend benötigte.

Während er sich die Beine bei einem Mitternachtsspaziergang auf Michael Cavendishs Landgut vertrat, hatte er bisher außer dem gelegentlichen Ruf einer Eule oder dem Rascheln eines kleinen Tiers im Unterholz nichts gehört. Er war viel zu weit vom Haupthaus entfernt, um durch den Lärm des jährlichen Winterfests gestört zu werden.

Der Wagen näherte sich einer engen Kurve in der langen Auffahrt, bremste allerdings nicht rechtzeitig ab. Alarmiert beschleunigte Flynn seine Schritte. Der Fahrer konnte die Kurve niemals in diesem Tempo schaffen!

Als das Geräusch quietschender Reifen die Nacht durchdrang, gefolgt von einem scheppernden Aufprall, rannte Flynn bereits so schnell, wie er konnte. Und dann sah er im fahlen Mondlicht, was geschehen war: ein dunkles Cabrio steckte mit der Front tief im Gestrüpp am Wegrand. Unter Flynns Füßen knirschten die Scherben der zersprungenen Windschutzscheibe.

Die Person auf dem Fahrersitz kämpfte mit der verzogenen Tür, und Flynn starrte sie wie gebannt an. Silberblondes Haar fiel locker um ein Paar nackte Schultern, und es schien so, als wären die schmalen Arme blutbefleckt. Aber wenigstens war die Fahrerin bei Bewusstsein.

„Nicht bewegen!“, rief er, weil er zuerst herausfinden wollte, wie schwer sie verletzt war.

„Wer ist da?“ Sofort ließ die Frau den Türgriff los.

Erschrocken fuhr er zusammen. Ava? Das konnte doch wohl unmöglich die kleine Ava Cavendish sein? Nicht in diesem tief ausgeschnittenen Abendkleid … mit diesem üppigen Dekolleté.

„Wer sind Sie?“

Jetzt hörte Flynn einen angsterfüllten Unterton in ihrer Stimme. Und während Ava sich abmühte, auf der Beifahrerseite aus dem Auto zu steigen, verfing sich ihr Kleid an der Handbremse.

„Ava? Ist schon gut. Ich bin es, Flynn Marshall.“ Auch ihm gelang es nicht, die Fahrertür zu öffnen. Das Metall war völlig verzogen.

„Flynn? Mrs. Marshalls Sohn?“

Sie sprach undeutlich, und Flynns Alarmglocken meldeten sich. Könnte das ein Anzeichen für eine Gehirnerschütterung oder sogar eine ernsthafte Hirnverletzung sein?

„Ja, genau“, bestätigte er in beruhigendem Tonfall. Krampfhaft versuchte er, sich an seine Erste-Hilfe-Kenntnisse zu erinnern. „Du kennst mich doch schon lange.“

Erleichtert stöhnte sie auf und murmelte etwas Unverständliches. Doch er glaubte, das Wort Sicherheit herauszuhören.

Daraufhin runzelte er die Stirn. „Natürlich bist du bei mir in Sicherheit.“

Schließlich waren sie beide auf diesem Anwesen aufgewachsen. Ava im Haupthaus und er in einem bescheidenen Mietcottage für Angestellte.

„Steig schnell aus und komm her!“ Flynn wollte sie zügig vom Wagen wegführen. Es roch zwar noch nicht nach Benzin, aber man musste ja kein unnötiges Risiko eingehen.

Falls sie ernsthaft verletzt war, konnte sie immerhin noch Arme und Beine bewegen. Das bedeutete hoffentlich: keinen Schaden an der Wirbelsäule.

Im Augenblick kniete Ava auf dem Autositz, und als sie sich keuchend drehte, fiel geräuschvoll eine Flasche zu Boden.

Seit wann trank sie denn Champagner? Sie war doch höchstens – was? – siebzehn Jahre alt? Vor allem aber würde sich die Ava, die er kannte, niemals angetrunken hinter das Steuer eines Fahrzeugs setzen!

„Sicher, dass du Flynn bist?“, fragte sie und hockte sich auf den Sitz. „Du siehst irgendwie anders aus.“

Noch nie hatte Ava ihn in derart teurer Kleidung gesehen. Maßanzug und Kaschmirmantel. Wenn er seine Mutter besuchte, trug er normalerweise lässigen Freizeitlook. Aber heute Nacht würde seine Ma auf dem Fest durcharbeiten. Und er?

Flynn war extra spät hierhergefahren und hatte erst einmal einen Spaziergang gemacht, um nach der langen, anstrengenden Fahrt den Kopf wieder frei zu bekommen. Und um sich auf seinen Abschied vorzubereiten. Dies würde sein letzter Besuch hier werden, denn er hatte seine Mutter endlich davon überzeugen können, Frayne Hall zu verlassen.

„Ich bin auf jeden Fall Flynn“, bestätigte er und legte seine Arme um ihren Körper. Dann hob er sie aus dem Cabrio, doch als er sie wieder absetzen wollte, schmiegte sie sich plötzlich eng an ihn.

„Du musst es mir versprechen“, verlangte sie und sah ihn mit flehenden Augen an, die ihm einen Schauer über den Rücken jagten. „Versprich mir, dass du mich nicht zurückbringst!“

„Du brauchst aber Hilfe. Du bist verletzt.“ Da waren tatsächlich Blutspuren auf ihrer hellen Haut. Zum Teufel, noch mal! Er musste sie dringend irgendwo hinbringen, wo er ihre Verletzungen genauer begutachten konnte.

Du kannst mir helfen. Nur du!“

Ihr Schmollmund sah im silbrigen Mondlicht gefährlich einladend aus, und Flynn stellte erschrocken fest, wie sich seine männliche Libido regte.

„Bitte!“, drängte sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Flynn konnte kaum fassen, dass sich die kleine Ava in eine hinreißend sinnliche junge Frau verwandelt hatte.

„Natürlich werde ich dir helfen“, versprach er heiser.

„Und du versprichst, mich nicht zurückzubringen? Du wirst ihnen nicht verraten, wo ich bin?“

Die Dringlichkeit in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen. Ava klang nicht betrunken, sie hatte ganz offensichtlich panische Angst.

Oder bildete er sich das bloß ein? War ihr die Party einfach zu stressig? Hatte sie zu viel getrunken und daraufhin leichtsinnig den Wagen kaputt gefahren? Sicher, ihr Vater wäre darüber nicht gerade erfreut. Doch Flynn kannte den alten Michael Cavendish: Auch wenn er ein schrecklicher Arbeitgeber war, bedeutete ihm seine Familie einfach alles. Demnach hatte Ava nichts von ihm zu befürchten.

„Versprich es mir endlich!“ Inzwischen klang sie fast hysterisch.

Ratlos blickte er zum hell erleuchteten Haus hinüber. Noch war niemand auf sie aufmerksam geworden. Vermutlich hatte man Avas Verschwinden gar nicht bemerkt.

Er seufzte. „Ich verspreche es. Vorerst!“ Spontan beschloss er, sie zum Cottage seiner Mutter zu bringen, um zu sehen, wie ernst Ava verletzt war. Danach konnte er sie immer noch ins Krankenhaus fahren und ihren Vater anrufen … auch wenn dies der letzte Mann auf Erden war, mit dem er sprechen wollte!

„Danke, Flynn.“

Lächelnd lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Ihr Haar kitzelte ihn am Kinn, und der Duft von Rosen und Limonen hüllte ihn ein.

„Dich mochte ich schon immer“, seufzte sie. „Ich wusste, dass man dir vertrauen kann.“

Ava zuckte zusammen, als sie die von der Morgensonne hell erleuchtete Küche betrat. Es war nicht so sehr das grelle Licht, das ihre Kopfschmerzen verstärkte, sondern die Tatsache, dass es für jedermann sichtbar machte, was sie gerade eben in dem kleinen Badezimmerspiegel gesehen hatte.

Dunkel umrandete Augen und blutleere Lippen mit Resten ihres verschmierten Make-ups. Dazu einige winzige Schnittwunden auf ihrer viel zu blassen Haut. Sie versuchte, ihre Korsage etwas höher zu ziehen, doch es war zwecklos. Dieses Kleid war dazu geschaffen, zu entblößen und nicht zu verbergen.

Der Feigling in ihr wäre am liebsten aus der Hintertür verschwunden, ehe Flynn sie entdeckte. Er war wirklich großartig gewesen – eine echte Hilfe. Aber was musste er jetzt von ihr denken? Sie hatte ihren Wagen zu Schrott gefahren und sich anschließend geweigert, ihren Vater zu informieren oder dieses Haus wieder zu verlassen.

Entsetzt hielt sie den Atem an. Würde sie heute etwa auch Mrs. Marshall unter die Augen treten müssen?

„Hast du Kopfschmerzen? Ich habe hier ein paar Tabletten für dich.“

Ava fuhr auf dem Absatz herum und starrte Flynn an, der sie mit besorgter Miene betrachtete. Groß, breitschultrig und umwerfend attraktiv stand er vor ihr und reichte ihr ein Glas Wasser und eine Pappschachtel. Ihr Herz begann vor Aufregung zu flattern, und sie wurde rot im Gesicht.

Offenbar ging er davon aus, dass sie einen heftigen Kater hatte. Konnte diese Situation noch peinlicher werden? Dachte er etwa, sie würde sich ständig derartige Eskapaden leisten? Dass sie dauernd wilde Partys feierte und sich gehen ließ?

Sanft wurde sie von ihm zu einem bequemen Sessel geführt, dann legte er ihr eine weiche Decke um die Schultern.

Sie duftete frisch … wie ein Wald nach einem warmen Sommerregen … wie Flynn selbst. Und das stieg ihr gleich wieder zu Kopf.

„Danke.“

Ava begegnete seinem intensiven Blick und verspürte plötzlich eine tiefe Verbindung zu Flynn. Hastig sah sie zur Seite. Seit frühester Jugend war sie schon fasziniert von ihm – trotz der sieben Jahre Altersunterschied. In ihm vereinigten sich verwegene Abenteuerlust und unendliche Güte. Eine Mischung, der wohl keine Frau, die bei Verstand war, widerstehen konnte.

Und jetzt bekam Ava buchstäblich kein Wort mehr über die Lippen, weil Flynn mit den Jahren zu einem umwerfend attraktiven Mann geworden war! Selbst sein etwas eigenwilliger, lässiger Gang hatte mittlerweile richtig Sex-Appeal. Ob er ahnte, dass er ihr Herz zum Rasen brachte? Dass sie innerlich regelrecht dahinschmolz, wenn er seine dunklen Augen auf sie richtete? Dass sie davon träumte, wie sie beide …

„Und vielen Dank auch für das Wasser“, stieß sie hervor und schluckte eine Kopfschmerztablette. Es kostete sie ordentlich Selbstbewusstsein, halb nackt vor ihm zu sitzen und so zu tun, als wäre diese Situation völlig normal für sie. „Ist deine Mutter zu Hause?“

„Nein. Bei einer Feier dieser Größenordnung schläft sie doch meistens im Haupthaus, um rechtzeitig das Frühstücksbuffet vorzubereiten.“

Ava nickte. Sie wollte gar nicht daran denken, was sich zu diesem Zeitpunkt in Frayne Hall abspielte.

„Bist du schon in der Lage, mit mir über gestern Abend zu sprechen, Ava?“

Seine Stimme klang weich und leise, wie Samt. Und sie liebte die Art, wie er ihren Namen aussprach. Allerdings durfte sie sich nicht von ihm aus dem Konzept bringen lassen, denn wenn sie nicht sofort verschwand, könnte sie eine Dummheit begehen.

„Danke für deine Hilfe, Flynn.“ Entschlossen stellte sie das Glas auf dem Küchentisch ab. „Aber es wird höchste Zeit für mich zurückzugehen.“

„Du willst wieder zurück zum Haus?“ Misstrauisch zog er die Brauen zusammen. „Vergangene Nacht hätten dich keine zehn Pferde dorthin bringen können.“

„Da war ich nicht ich selbst.“

„Also willst du nicht darüber reden?“, schloss er. „Du warst nämlich wirklich außer dir.“

Sie erstarrte. Was hatte sie bloß alles verraten? Es wäre grauenhaft, wenn Flynn wüsste, weshalb sie gestern Hals über Kopf geflohen war …

„Ava? Vertraust du mir denn nicht?“ Er setzte sich neben sie.

Und für einen Moment wollte sie sich ihm tatsächlich öffnen und ihm alles erzählen. Er wirkte so anziehend und stark, und sie streckte automatisch die Hand aus, um sein rabenschwarzes Haar zu berühren. Doch dann hielt sie inne. Flynn konnte ihre Probleme nicht lösen, das würde sie nur ganz allein schaffen.

„Natürlich vertraue ich dir.“ Er war sogar der einzige Mann, dem sie momentan Vertrauen schenkte. „Als du mir gestern geholfen hast, war das … Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Aber nun muss ich wirklich los.“

Es war Zeit, sich den Tatsachen zu stellen. Allein.

Sieben Jahre später

Flynn lehnte sich in seinem Sitz zurück und beobachtete die Touristen im vorderen Teil des Ausflugsboots. Sie unterhielten sich angeregt miteinander und beugten sich weit über die Reling hinaus, um einen gelungenen Schnappschuss von Paris in der späten Nachmittagssonne zu ergattern.

Nur eine Touristin war ganz allein dort, genau wie er selbst. Sie hatte sich die Sonnenbrille in ihr weizenblondes Haar geschoben und gab damit den Blick auf ihr helles, herzförmiges Gesicht frei. Ebenmäßige Züge, eine gerade Nase und ein auffallend voller Mund fesselten seinen Blick, obwohl Flynn sich automatisch gegen die Gefühle wehrte, die dieser hinreißende Anblick in ihm auslöste.

Ihre Lebhaftigkeit hatte Avas Gesicht schon immer auf besondere Weise zum Strahlen gebracht. So wie jetzt, als sie am Ufer die berühmte Kathedrale Notre Dame bemerkte und dabei ehrfürchtig vor sich hin lächelte.

Das letzte Mal war Flynn ihr begegnet, als sie ihren Wagen zu Schrott gefahren und anschließend im Haus seiner Mutter übernachtet hatte. Damals war ihr Körper schon der einer Frau, ihr Gesicht aber noch das eines Mädchens gewesen. Und er hatte sich für die Anziehungskraft geschämt, die sie auf ihn ausübte.

Mittlerweile musste sie Mitte zwanzig sein. Die Wangenknochen waren ausgeprägter als früher und verliehen ihrem Mienenspiel Charakter und Eleganz – nur das umwerfende Lächeln war noch das alte!

Trotzdem überraschte Flynn die heftige Reaktion seines Körpers auf Avas besondere Weiblichkeit. Für gewöhnlich wäre sie eigentlich gar nicht sein Typ gewesen, zumindest nicht in dieser Bluse und mit der ausgewaschenen Jeans dazu. Er bevorzugte Frauen mit mehr Glamour, die mondäne Kultiviertheit ausstrahlten. Obwohl auch Ava durchaus kultiviert war … sie stammte eben aus den richtigen sozialen Kreisen.

Erleichtert nickte er. Das musste es sein. Das war die Erklärung für ihre magnetische Anziehungskraft auf ihn. Es machte ihn eben schlicht zufrieden, dass sie exakt die richtige Wahl für seine Pläne war. Das hatte er auf den ersten Blick gewusst. Die Sache würde funktionieren, und zwar perfekt.

Und er liebte es, wenn ein Plan aufging.

Dann fiel ihm auf, wie intensiv Ava ein verliebtes Pärchen beobachtete und dabei wehmütig den Kopf zur Seite neigte. Das machte ihn neugierig. In aller Ruhe erhob er sich und schlenderte bis zum Bug des Schiffs.

Nachdem er sie erreicht hatte, blickte er stumm in ihre tiefblauen Augen, die sich vor Erstaunen weiteten. In seiner Magengegend breitete sich Hitze aus, die allmählich auch seine Lenden entflammte.

Erschrocken über diesen sinnlichen Effekt schnappte er nach Luft.

„Flynn?“ Ihre Stimme klang heiser. Verführerisch.

Er durfte sich glücklich schätzen, dass sie ihm endlich gegenüberstand!

Eine Woche später sah Flynn wieder in diese kornblumenblauen Augen und spürte eine kribbelnde Vorfreude, als Ava nach seiner Hand griff. Sie verschränkten die Finger ineinander und drückten sie.

Sie wirkte enttäuscht darüber, dass er gehen musste, wollte es ihm aber scheinbar nicht offen zeigen.

Im Stillen verfluchte er seine Arbeit, die ihn dazu zwang, Ava zu verlassen. Er war so dicht dran gewesen, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Mit ein bisschen mehr Zeit …

„Zu schade, dass du mich allein lässt. Aber ich verstehe das natürlich.“ Tapfer nickte sie ihm zu. „Man braucht dich dort in London.“

„Ja, leider.“ Als Geschäftsführer eines Großunternehmens lebte man eben ständig auf Abruf. Und ihm war es lieber, die Zügel persönlich in der Hand zu halten, als seine Verantwortung auf Angestellte zu delegieren.

Doch heute, an diesem speziellen Tag, bereute Flynn, dass niemand anderes dieses jüngste Problem für ihn lösen konnte. Denn er wollte Ava nicht einfach verlassen, bevor die Dinge zwischen ihnen endgültig geklärt waren.

„Außerdem …“ Nachdenklich tippte sie sich mit dem Zeigefinger gegen das Kinn. „Ich verlasse Paris ebenfalls schon morgen und fahre weiter nach Prag.“

Ob sie ahnte, wie verräterisch ihr sehnsüchtiger Blick war? Genauso gut hätte sie ihn hier und jetzt in ihr Bett einladen können.

Wie vielversprechend! Vielleicht war es gar nicht mal schlecht, dass sie sich vorübergehend voneinander trennen mussten. Das könnte für ihn durchaus ein Vorteil sein.

2. KAPITEL

Ava blätterte im Touristenführer und freute sich darauf, Prag auf eigene Faust zu erkunden. Auf diese Weise würde sie viel zu sehen bekommen, ohne dauernd von Flynns intensiven Blicken abgelenkt zu werden – oder von seinem lauernden Lächeln.

Ihre gemeinsame Woche in Paris war aufregend und schön gewesen. Wie eine romantische Fantasie. Allerdings konnte das nicht von Dauer sein, so viel wusste Ava. Träume wurden eben nicht immer wahr.

Nachdem Flynn nach London abgereist war, hatten sie sich getrennt, ohne über ein Wiedersehen zu sprechen. Es war alles zu schnell gegangen, und plötzlich war er in der Menschenmenge auf den Champs-Élysées verschwunden, verfolgt von den sehnsüchtigen Blicken aller anwesenden jungen Frauen.

Er hatte kein einziges Wort über die Zukunft verloren. War sie für ihn etwa bloß ein netter Zeitvertreib gewesen?

Sie presste die Lippen aufeinander. Im Grunde war es lächerlich, sich in diese alberne Sehnsucht nach Flynn hineinzusteigern. Schließlich kannten sie sich schon eine Ewigkeit, und es war keine große Sache, dass sie unverhofft ein paar gemeinsame Tage zusammen verbracht hatten.

Trotzdem war die Zeit mit ihm in Paris absolut magisch gewesen. Nach seinen offiziellen Geschäftsterminen hatte er sogar ihretwegen seinen Aufenthalt verlängert.

Vergiss ihn, Ava! befahl ihr eine innere Stimme. Märchen sind nichts für dich.

Energisch zwang sie sich, wieder in den Touristenführer zu schauen und die Einzelheiten des Prager Fenstersturzes von 1618 zu studieren, wo damals wütende Protestanten drei Männer aus genau diesem Fenster des alten Königspalastes geworfen hatten.

Der Fenstersturz. Ein Ausdruck, der sie auf seltsame Weise an ihren Vater erinnerte. Nicht dass Michael Cavendish jemals bei einem vergleichbaren Übergriff erwischt worden wäre. Seine Spezialität war das verdeckte Manipulieren hinter den Kulissen.

Seufzend klappte sie den kleinen Reiseführer zu.

Das Leben wäre für viele Menschen angenehmer gewesen, wenn jemand schon vor langer Zeit Michael Cavendish aus dem Fenster gestoßen hätte.

„Ava.“

Sie erstarrte. Bestimmt bildete sie sich diese vertraute, tiefe Stimme bloß ein. Diese Stimme, die ihre Begierde weckte …

„Ava?“

Erschrocken blickte sie hoch, und da stand Flynn – direkt vor ihr. Wie die Antwort auf das Flehen, das sie sich die ganze Zeit über zu verbieten versuchte.

Im lässigen Freizeitlook stand er da und lächelte sie schweigend an. Er war mit Abstand der attraktivste Mann, den sie jemals gesehen hatte. Und in seinen glänzenden, schwarzen Augen entdeckte sie Geheimnisse, die sie um jeden Preis lüften wollte.

„Flynn? Das kann ich ja kaum glauben!“, rief sie strahlend. Es war ihr unmöglich, ihre Begeisterung zu verbergen.

Die ganzen Jahre, in denen sie ihre Gefühle verdrängt und der Welt nur eine kontrollierte Fassade ihrer selbst gezeigt hatte, waren wie weggefegt. In Flynns Gegenwart brauchte sie sich nicht zu verstellen. Bei ihm fühlte sie sich geborgen und sicher.

Und wenn sie bei seinem Anblick doch einmal den Anflug einer Gefahr verspürte, war das eher eine anregende Erfahrung … ein süßes Risiko, das sie liebend gern einging. Eine Erinnerung daran, dass sie kein kleines Mädchen mehr war, sondern eine erwachsene, sinnliche Frau, die einem umwerfenden Mann gegenüberstand.

„Warum ziehst du so ein komisches Gesicht?“, wollte er wissen und streifte ihre gerunzelte Stirn mit seinen Fingerspitzen.

In ihrer Magengegend kribbelte es wie verrückt. Flynn war tatsächlich hier! Das konnte kein Zufall sein. Aber was wollte er hier? Man hatte ihn doch gerade nach London beordert?

„Ava?“

Sie blinzelte verwirrt. Bestimmt schnitt sie unbewusst eine Grimasse, weil sie gerade an ihren Vater gedacht hatte. Daher wartete sie keine Antwort ab. „Ich habe gerade die Touristeninfos gelesen. Wusstest du, dass der zweite Fenstersturz genau hier stattgefunden hat? Na, der erste hat es ja an Bedeutung nie mit dem zweiten aufnehmen können, und …“ Sie brach ab.

Plapperte sie gerade Unsinn? Vermutlich. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, solange Flynn sie mit diesem hungrigen Blick anstarrte. Ihr Körper reagierte darauf mit Lust und mit einer verwegenen Sehnsucht nach echter Erfüllung.

In Paris hatte er sie noch nicht derart … eindeutig angesehen. Sonst hätte sie sicherlich alle Skrupel über Bord geworfen und ihn in ihr Bett gelockt.

„Vielleicht handelt es sich ja um eine Lieblingsbeschäftigung der Einheimischen? Einfach mal Leute aus dem Fenster werfen …“ Seinem Scherz folgte ein heiseres Lachen, das unheimlich sexy klang.

Und dieser herrlich maskuline Duft, der von ihm ausging. Ava war hin und weg.

„Aber die Tschechen sind extrem friedliche, freundliche Menschen“, widersprach sie.

„Wer weiß das schon genau? Vielleicht haben auch sie ihre charakterlichen Untiefen?“ Genau wie er.

In Paris hatten sie fast die ganze Woche miteinander verbracht, und Ava fühlte sich mehr mit Flynn verbunden als mit irgendeinem anderen Mann in ihrem Leben. Vielleicht, weil sie ihn schon seit frühester Kindheit kannte. Er war immer der Große gewesen, zu dem sie aufgeschaut hatte. Cool, beneidenswert selbstsicher, mit viel mehr Freiheiten, als sie je gehabt hatte. Außerdem war er ihr ein echter Freund, wann immer sie einen brauchte. Niemals würde sie vergessen, wie er sich am Abend der großen Winterfeier ihres Vaters um sie gekümmert hatte.

Trotzdem gab es da noch einen Teil seiner Persönlichkeit, den Flynn vor ihr versteckt hielt. Andererseits, wer tat das nicht? Ihre eigenen Erfahrungen hatten Ava gelehrt, vieles konsequent für sich zu behalten.

„Du guckst schon wieder so ernst?“, bemerkte er vorwurfsvoll.

„Ich frage mich nur, was du hier tust“, log sie schnell. „Da war doch diese Krise in London, die du dringend lösen solltest, oder?“

Er zuckte seine breiten Schultern, und Ava schluckte trocken. Am liebsten hätte sie sich ihm am liebsten gleich hier und jetzt an den Hals geworfen.

„Ach, ja, der Notfall.“

Aber anstatt die Situation zu erklären, ging er ein paar Schritte zur Seite und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Sofort wurde ihr Platz am Fenster von einer kleinen Familie eingenommen, die von dort aus voller Bewunderung über die roten Dächer Prags blickte.

Ava und Flynn standen nun etwas abseits in einer ruhigen Ecke des Saales. Der spektakuläre Ausblick war Ava sowieso egal gewesen, für sie gab es momentan ausschließlich Flynn und seine verheerende Wirkung auf ihren Hormonhaushalt!

Sein Gesicht war von klassischer und gleichzeitig wilder Schönheit: ein markantes Kinn, volle Lippen, ausdrucksstarke Augen und eine ausgeprägte, römische Nase. Dazu das pechschwarze Haar und die muskulöse Figur – fertig war der Traum aller Frauen.

„Du wolltest mir gerade erklären, was du hier machst“, erinnerte sie ihn, und ihr Ton klang schärfer als beabsichtigt.

Sein Mundwinkel zuckte, was absolut hinreißend aussah, und Ava presste ihr Büchlein fester an sich, als könnte sie sich damit gegen Flynns Anziehungskraft wappnen. In seinen Augen funkelte es belustigt, sie bekam dagegen kein Wort mehr heraus.

Sie wünschte sich viel mehr von ihm als nur ein spöttisches Lächeln. Wie konnte das sein? Im Grunde hatten sie doch bloß eine Woche gemeinsam verbracht, und nun war sie unsterblich in ihn verliebt? Ihr gefiel nicht, wie verletzlich sie das machte. So hatte sie sich niemals wieder im Leben fühlen wollen …

Widerwillig streckte sie ihr Kinn vor und besann sich auf den angeborenen Hochmut ihrer Familie, der eigentlich das Markenzeichen ihres Vaters war.

Sofort erlosch das Lachen in Flynns Augen, und er wirkte sehr ernst.

Es war verrückt, dass sie ohne Worte kommunizieren konnten, genau das hatten sie schon in Paris häufig getan. Doch mittlerweile erkannte Ava, wie gefährlich es war, sich derart auf Flynn einzulassen.

„Ich bin deinetwegen hier.“ Sein warmer Atem streifte ihre Haut wie eine Sommerbrise.

Autor

Annie West
<p>Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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