Geheimnis einer heißen Sommernacht

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Die Rückkehr nach Kalifornien weckt Jake Lonergans Erinnerungen: An die Sommerferien, die er hier mit seinen Cousins verbrachte. Und an die einzige Nacht mit seiner Jugendliebe Donna. Als Jake seine unvergessliche Traumfrau jetzt wiedersieht, steht das Geheimnis jener Sommernacht fast bedrohlich zwischen ihnen - und dem großen Glück.


  • Erscheinungstag 23.08.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733742805
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Jake Lonergan war nicht daran gewöhnt, unter so vielen Leuten zu sein. Während der letzten fünfzehn Jahre war er zum Einzelgänger geworden. Immer von einem Ort zum anderen unterwegs und von einem Motorradrennen zum nächsten, hatte er keine Freundschaften geschlossen und sich nicht bei seiner Familie gemeldet. Das hatte das Leben einfacher gemacht.

Und wahrscheinlich hätte er auch die nächsten fünfzehn Jahre so weitergemacht, wenn er nicht die Nachricht erhalten hätte, dass sein geliebter Großvater Jeremiah Lonergan im Sterben liegen würde. Der todkranke alte Mann hatte nur noch einen Wunsch. Er hatte darum gebeten, dass seine drei Enkelsöhne nach Hause kommen und einen letzten Sommer gemeinsam bei ihm auf der Ranch verbringen würden.

Als Jake die Nachricht erreicht hatte, war er gerade in Spanien gewesen. Deshalb hatte er lange gebraucht, um nach Coleville in Kalifornien zurückzukommen. Er hatte schon Angst gehabt, dass Jeremiah inzwischen gestorben sein könnte und er die Chance verpasst hätte, sich von seinem Großvater zu verabschieden.

Erst bei seiner Ankunft auf der Lonergan-Ranch hatte er entdeckt, dass Jeremiah keineswegs im Sterben lag – sondern einfach nur hinterlistig und trickreich gewesen war. Der alte Mann hatte Jake und seine Cousins Sam und Cooper durch seine vorgespielte Krankheit dazu gebracht, nach Hause zurückzukehren. Alle drei Cousins hatten in den vergangenen fünfzehn Jahren keinen Fuß mehr auf die Ranch in Coleville gesetzt.

Jake drehte die Schraube am Fahrgestell seines schwarz lackierten und mit glänzenden Chromteilen versehenen Motorrads fest, einer Spezialanfertigung. Dann stand er auf und streckte sich, um die Muskelverspannungen in seinem Rücken zu lockern. Durch das Doppeltor der großen Scheune warf er einen Blick auf das Ranchhaus gegenüber auf dem Hof. Alle Fenster waren hell erleuchtet, das leise Gemurmel und Lachen seiner Familie drang zu ihm herüber. Alle schienen sich angeregt zu unterhalten.

Er starrte einen Moment lang auf das Haus und hatte wie immer das Gefühl, ein Außenseiter zu sein. Das war natürlich seine eigene verdammte Schuld. Aber als ihm dieser Gedanke kam, korrigierte er sich sofort selbst. „Nein, nicht meine Schuld“, murmelte er und wandte den Blick von dem Haus ab, in dem sich seine Familie versammelt hatte. „Ich habe mir das ja selbst so ausgesucht.“

Dennoch war er hier, oder? Er war zu dem Ort zurückgekommen, der ihn in seinen Träumen bis heute verfolgte, und er hatte seinem Großvater sein Wort gegeben, den Rest des Sommers über hierzubleiben. Dass Jake hinaus zur Scheune gegangen war, bedeutete nicht, dass er wegfahren würde. Er hatte einfach etwas Zeit und Raum für sich und ein bisschen Ruhe gebraucht, um nachzudenken und herauszufinden, was jetzt zu tun war.

Also hatte er das Haus verlassen und der Familie den Rücken zugekehrt, die er gerade neu zu entdecken begann. Er war in die Scheune gegangen, um nach seinem Motorrad zu sehen. Es beruhigte ihn, an der Maschine herumzubasteln und sie zu perfektionieren. Das hatte es schon immer getan. Er konnte sich ganz in dieser Arbeit verlieren und die Welt um sich herum vergessen.

Jake legte den Schraubenschlüssel zurück in den Werkzeugkasten und verstaute den Kasten dann in der stählernen Satteltasche des Motorrads. Er war ungeheuer erleichtert darüber, dass Jeremiah gesund und quicklebendig war. Und es tat auch verdammt gut, seine Cousins Sam und Cooper nach so langer Zeit wiederzusehen. Aber zurück in Coleville zu sein war schwerer zu ertragen, als er es sich vorgestellt hatte.

Und seitdem Jeremiah vor einer halben Stunde mit seiner großen Ankündigung herausgerückt war, fiel es Jake noch schwerer, hier zu sein. Allein bei der Erinnerung an die Worte seines Großvaters schlug sein Puls schneller. Er schwankte zwischen Wut und Bedauern. Beide Gefühle waren ihm im Laufe der Jahre nur allzu vertraut geworden. Jake ließ den Blick durch die nur schwach beleuchtete Scheune wandern, schaute noch ein letztes Mal auf sein Motorrad und ging dann los. Er musste sich einfach bewegen. Alles in seinem Kopf drehte sich, und er konnte keinen klaren Gedanken fassen, während die Erinnerungen ihn einholten und ihm fast den Atem verschlugen.

Mit einem Kopfschütteln marschierte er aus der Scheune und überquerte den Hof zur Hälfte. Doch dann blieb er wie angewurzelt stehen, als wenn er unsicher wäre, welche Richtung er jetzt einschlagen sollte. Der Abendhimmel war mit Sternen übersät, und der Mondschein tauchte den Hof in silbriges Licht. Jakes Gedanken überschlugen sich, als ihm im Kopf immer wieder Jeremiahs Ankündigung herumging, die bei allen wie eine Bombe eingeschlagen hatte.

Donna Barrett ist zurück in der Stadt – und sie hat Macs Sohn mitgebracht.

Er ging weiter bis zu dem Holzzaun, der den Hof von den Feldern trennte, und hielt sich mit beiden Händen daran fest, als ob er einen festen Halt bräuchte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

„Macs Sohn“, flüsterte er mit brüchiger Stimme, als er die funkelnden Sterne am Himmel anstarrte. Das raue Holz des Zauns schnitt in seine Handflächen, und er hieß den leichten Schmerz willkommen. Um ihn herum lag das weite, flache Land mit den um diese Jahreszeit abgeernteten Feldern und Äckern. Er konnte die Umrisse der erleuchteten Fenster des Hauses von Jeremiahs nächstem Nachbarn fast zwei Kilometer weiter weg ausmachen. Und irgendwo in der Entfernung bellte ein Hund.

Er atmete tief ein und spürte, wie die kühle Abendluft seine Lungen füllte. Sein Herz hämmerte, und die Kehle wurde ihm so eng, dass er schlucken musste. Jake ließ den Blick wieder über die vertraute Lonergan-Ranch schweifen. Er kannte hier jeden Zentimeter. In seiner Kindheit hatte er jeden Sommer auf dieser Ranch verbracht und mit seinen Cousins viele verrückte Sachen angestellt. Die vier Lonergan-Jungs waren immer auf Streiche aus gewesen und hatten Herausforderungen gesucht. Bis zu diesem letzten, gemeinsam verbrachten Sommer.

Jake konnte es nicht glauben. Fünfzehn Jahre lang war er nicht mehr in Coleville, Kalifornien, gewesen. Fünfzehn Jahre lang hatte er es vermieden, an diesen Ort zurückzukommen und seinen Großvater und seine Cousins, die er liebte, zu sehen. Weil er nicht dazu in der Lage gewesen war, mit den Erinnerungen an diesen letzten Sommer umzugehen. Doch jetzt musste er feststellen, dass damals noch viel mehr passiert war, mit dem er fertig werden musste. Und das war fast mehr, als er ertragen konnte.

Doch ob er es wollte oder nicht, die Flut der Erinnerungen war nicht mehr aufzuhalten. Die Bilder von damals gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf und drohten, ihn zu überwältigen. Er starrte in die Dunkelheit um ihn herum und sah stattdessen die Vergangenheit.

Die Tage waren lang gewesen, und die Sonne hatte von einem wolkenlosen Himmel geschienen. Die Sommertage, die vor den vier Cousins gelegen hatten, waren wie ein Versprechen gewesen, und sie hatten sich um nichts Gedanken machen müssen als darum, wer wohl den täglichen Wettstreit am See gewinnen würde.

Und Jake hatte sich nicht einmal darum sorgen müssen. Denn er gewann immer. Er mochte es, die anderen zu besiegen, und er war gut darin.

An diesem letzten Morgen hatten sie sich wie immer nebeneinander auf den Felsvorsprung über dem See der Ranch gestellt. Die Spielregeln des Wettstreits waren simpel. Es ging darum, so weit wie möglich in den eiskalten See zu springen und dann so lange wie möglich unter Wasser zu bleiben.

Also nahmen die vier Lonergan-Jungs nacheinander Anlauf, um weiter als die anderen in den See zu springen. Dann versuchten sie, länger als die anderen die Luft anzuhalten und unter Wasser zu bleiben.

Jake fühlte, wie ihm das kalte Wasser aus den langen Haaren die Brust hinunterlief, als er nach seinem Sprung wieder auf dem Felsvorsprung stand und im hellen Sonnenlicht blinzelte. Er starrte auf die Oberfläche des Sees und kochte vor Wut, während er darauf wartete, dass Mac, der als Letzter an der Reihe war, wieder auftauchen würde. Macs Sprung war genauso weit wie sein eigener gewesen. Nun würde er nur noch länger unter Wasser bleiben müssen, um dieses Mal zu gewinnen.

Aber Mac wird nicht länger unter Wasser bleiben als ich, dachte Jake. Keiner von den anderen kann den Atem so lange anhalten wie ich.

Verdammt.

Allmählich begann Sam, sich Sorgen zu machen. Er wollte, dass sie ins Wasser springen, um nach Mac zu sehen, weil er vorher noch nie so lange unter Wasser geblieben war.

„Gib ihm noch eine Minute, Sam“, sagte Cooper. „Er will Jake wirklich schlagen. Und ich will auch, dass er es schafft. Mac ist okay. Hör auf, dich wie eine Memme aufzuführen.“

Jake war noch wütender geworden und hatte laut geflucht. Er hatte nicht glauben können, dass Mac ihn tatsächlich überbieten und den Wettstreit gewinnen könnte.

„Wir lassen ihm noch dreißig Sekunden Zeit“, hatte Sam gemeint und gegrinst. „Wenn er es noch so lange schafft, wird er Jakes Bestzeit übertreffen.“

Jake ballte die Hände, mit denen er den Holzzaun umklammerte, zu Fäusten und rammte sich einen Holzsplitter in die Handfläche. Der Schmerz riss ihn aus seinen Erinnerungen, die keine guten waren. Er dachte nicht gern an diesen Sommertag zurück. In seinen Träumen hatte ihn dieser Tag oft genug verfolgt.

Die Emotionen wühlten ihn auf und schnürten ihm die Kehle zu. Er drehte sich halb um und sah über die Schulter zurück auf das Haus. Aus allen Fenstern drang Licht zu ihm hinaus. Durch den Spitzenvorhang der Küche hindurch konnte er seine Familie sehen, die anscheinend immer noch damit beschäftigt war, Jeremiahs überraschende Nachricht zu verarbeiten. Wahrscheinlich hätte Jake bei ihnen bleiben und mit ihnen die sich daraus ergebenden Konsequenzen besprechen sollen. Aber was gab es da noch zu sagen?

Sie alle wussten, was sie zu tun hatten. Es gab nichts zu bereden und nichts zu entscheiden. Mac hatte einen Sohn. Schluss. Aus.

Gerade als Jake diese Erkenntnis gewonnen hatte, ging die Hintertür des Hauses auf. Das Licht aus der Küche fiel kurz auf den Hof, als seine Cousins Sam und Cooper nach draußen kamen. Es dauerte nur einen Moment, bis sie ihn gesehen hatten. Dann gingen sie auf ihn zu.

Jake ließ den Zaun los, drehte sich um und lehnte sich dagegen. Der Holzsplitter in seiner Handfläche tat ziemlich weh, aber er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass seine Cousins ihn erreichen würden. Der Wind frischte auf und wirbelte ein wenig Sand vom Boden auf.

Jeremiahs Welpe, ein Golden Retriever namens Sheba, rannte noch durch die Hintertür nach draußen, bevor die Tür langsam wieder zufiel, und sprang die wenigen Stufen der Veranda hinunter in den Hof. Sie raste hinter Sam und Cooper her und wand sich voller Freude, als Sam sich bückte und sie auf den Arm nahm.

Als die beiden Männer näher kamen, betrachtete Jake ihre Gesichter. Es war unverkennbar, dass sie miteinander verwandt waren. Sie alle drei sahen sich ziemlich ähnlich. Ihre Großmutter, Jeremiahs mittlerweile verstorbene Frau, hatte die Ähnlichkeiten immer besonders hervorgehoben: dunkle Haare, dunkle Augen, ein markantes Kinn und ein Dickschädel.

Meine Güte, habe ich die beiden vermisst, dachte Jake. Die Cousins hatten sich einmal so nahe wie Brüder gestanden. Und die fünfzehn Jahre, in denen er Sam und Cooper nicht gesehen hatte, waren die einsamsten seines Lebens gewesen. Dennoch war er gerade nicht in der Stimmung, um sich zu unterhalten. Nicht einmal mit diesen beiden Männern. „Ich bin nach draußen gegangen, um allein zu sein“, sagte er, obwohl er wusste, dass der Einwand keinen Erfolg haben würde. Seine Cousins würden kommen und gehen, wie es ihnen passte. Genau wie er selbst.

„Ja, nun“, meinte Sam und reckte das Kinn, um der feuchten Schnauze des Hündchens auszuweichen. „Du bist aber nicht allein. Also gewöhne dich daran.“

Jake glaubte nicht, dass er das konnte. Allein zu sein war besser und machte vieles einfacher.

„Wir müssen uns überlegen, was jetzt zu tun ist“, erklärte Cooper.

Es überraschte Jake nicht, Cooper das sagen zu hören. Er war immer derjenige von ihnen gewesen, der sich gerne einen Plan zurechtlegte. Das kam ihm sicher zugute, wenn er einen seiner Horrorromane schrieb, die in den letzten paar Jahren immer ganz oben auf den Bestsellerlisten gestanden hatten. Wahrscheinlich waren seine Romane für die Hälfte der Albträume verantwortlich, die in ganz Amerika geträumt wurden.

„Was gibt es da noch zu überlegen?“, fragte Jake, der sich jetzt breitbeinig hinstellte, als wenn er sich für einen Kampf rüsten wollte. „Mac hat einen Sohn. Der Junge ist ein Lonergan. Einer von uns.“

„Entspann dich.“ Sam setzte Sheba wieder auf den Boden. Er schüttelte den Kopf über die kleine Hündin, die jetzt wilde Kreise über den Hof zog, und sah dann Jake an. „Ich meine ja nur, dass wir nicht sofort dort antanzen, mit der Tür ins Haus fallen und den Jungen in unserer Familie willkommen heißen sollen.“

„Und warum nicht, zum Teufel?“ Wut stieg in Jake hoch, aber er versuchte, ruhig zu bleiben. „Das sind wir ihm schuldig. Das sind wir Mac schuldig.“

„Verdammt, Jake“, fuhr Sam ihn an. „Du bist nicht der Einzige, der sich schlecht fühlt, weißt du? Aber das heißt nicht, dass wir bei Donna hereinplatzen und sie zwingen sollten, uns am Leben ihres Kindes teilnehmen zu lassen.“

„Wer hat denn etwas davon gesagt, dass wir sie zwingen wollen?“, entgegnete Jake. „Ich habe nur gesagt, dass wir zu dem Jungen gehen und mit ihm reden sollten. Dass wir ihm von Mac erzählen sollten und davon, wie viel er uns bedeutet hat. Was ist daran verkehrt?“

„Meine Güte, Jake. Vielleicht weiß der Junge noch nicht einmal, dass er ein Lonergan ist“, mischte Cooper sich ein. „Wir wissen nicht, was Donna ihm erzählt hat. Oder ob sie vielleicht überhaupt nicht will, dass er es erfährt.“

Das traf Jake wie ein Schlag in die Magengrube, und er sog scharf die Luft ein. Natürlich würde Donna dem Jungen von Mac erzählt haben. Oder etwa nicht? Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und atmete wieder aus. „Gut, ich werde zu Donna gehen und mit ihr reden.“

„Du meinst, wir werden zu Donna gehen und mit ihr reden“, korrigierte Sam ihn und pfiff nach dem Golden Retriever, der auf die Scheune zurannte.

„Ich meine, ich werde das tun. Allein.“ Jake sah von einem Cousin zum anderen, um sicherzugehen, dass beide das auch verstanden hatten. „Ich werde mit ihr sprechen.“

„Und warum bist du dazu auserwählt?“, fragte Cooper.

Eine gute Frage, dachte er. Aber er konnte ihnen keine Antwort darauf geben. Zumindest keine, die plausibel wäre. Stattdessen meinte er: „Du und Sam, ihr habt mit anderen Sachen zu tun. Sam hat eine neue Arztpraxis, mit der er zurechtkommen muss. Und du bist wahrscheinlich gerade dabei, ein neues Buch zu …“

„Ach ja?“, fragte Cooper.

„Ja, und ihr habt auch noch Maggie und Kara, an die ihr denken müsst. Im Gegensatz zu mir. Ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen.“ Das klang nicht gerade überzeugend, aber bessere Argumente fielen ihm im Moment nicht ein. „Ich werde zu Donna gehen und nach dem Jungen sehen. Danach können wir drei entscheiden, was zu tun ist.“

Sheba raste laut bellend auf sie zu, und Jake war dankbar für die Ablenkung. Seine beiden Cousins nahmen ihn noch einen Moment lang vorsichtig ins Visier, bevor sie nickten.

„Also gut“, sagte Sam. „Aber du wirst ohne uns nicht mit dem Jungen reden. Das werden wir gemeinsam tun. Es geht uns alle an.“

„Gemeinsam“ war ein Wort, das Jake in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht oft benutzt hatte. Als ein Mann, der allein war, machte er gewöhnlich, was er wollte und wann er es wollte, ohne an irgendjemand anderen zu denken. Aber jetzt war er zurück in Coleville, und die Dinge lagen anders. Zumindest eine Weile lang.

„Wie meinst du das, du ‚hast eine Verabredung‘?“ Donna Barrett blinzelte und schaute ihre Mutter an, als hätte sie Catherine noch nie vorher gesehen. Ihre Mutter? Eine Verabredung?

„Denk einmal darüber nach, Schatz“, erwiderte ihre Mutter, die über die linke Schulter einen Blick in den Spiegel warf, um zu überprüfen, ob ihr schwarzer Rock auch richtig saß. „Was könnte das denn bedeuten?“

Donna ließ sich auf dem Ende des Bettes im Schlafzimmer ihrer Mutter nieder. Der Bettüberwurf, eine Handarbeit, fühlte sich weich und kühl unter ihren nackten Oberschenkeln an. In Coleville, Kalifornien, war es im Sommer so heiß, dass sie selbst im Haus, in dem die Klimaanlage auf Hochtouren lief, Shorts trug.

Mit einem Kopfschütteln beobachtete sie ihre Mutter, die sich mit einem Aufwand zurechtmachte wie ein Teenager, der zum Schulball gehen wollte. Die ältere Frau trat näher an den Spiegel heran, trug Lippenstift auf und fuhr dann durch ihre kurzen, rotbraunen Haare. Dann überprüfte sie ihre Erscheinung im Spiegel und lächelte wissend. „Dein Dad ist vor zwei Jahren gestorben, Süße.“

Das stimmt, dachte Donna und seufzte. Jeff Barrett, ein gesunder und robuster Mann, war vor zwei Jahren mit erst fünfundfünfzig Jahren ganz plötzlich einem Herzanfall erlegen. Donna hatte damals noch in Colorado gelebt. Ihre Mutter hatte gesagt, dass sie gut allein damit fertig werden würde, und darauf bestanden, dass Donna wie bisher mit ihrem Leben fortfahren solle. Und das hatte Donna auch getan. Zumindest hatte sie es versucht und den Kontakt zu ihrer Mutter durch tägliche Telefonanrufe und mehrere Besuche aufrechterhalten. Bis sie sich vor zwei Monaten schließlich über die Einwände ihrer Mutter hinweggesetzt hatte und wieder zu Hause eingezogen war. Und obwohl Catherine es nicht hatte zugeben wollen, hatte die Erleichterung im Gesicht ihrer Mutter Donna gezeigt, dass sie das Richtige getan hatte.

Sie hatte nach Hause zurückkommen müssen – aus einer Vielzahl von Gründen. Aber das machte es nicht einfacher für sie, hier zu sein. Besonders jetzt, da zwei der Lonergan-Cousins zurück in Coleville waren. Sie war Cooper schon im Tante-Emma-Laden über den Weg gelaufen. Und da Sam der neue und einzige Arzt in der Stadt war, würde sie ihm ebenfalls früher oder später begegnen.

Irgendwann würde Sam dann auch Eric sehen. Bei dem Gedanken an ihren Sohn nagte Donna nervös an ihrer Unterlippe. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie lebte wieder daheim. Das war besser für ihre Mutter, besser für sie und besser für Eric. Es fiel ihr nur verdammt schwer, sich einzugewöhnen und ihren Weg zu finden. So lange Zeit hatte es nur sie und Eric gegeben. Und jetzt veränderte sich alles. Sie war völlig durcheinander, fühlte sich hin- und hergerissen, ihr Magen zog sich zusammen, und jeder Atemzug schien sie anzustrengen.

Ihre Mutter beobachtete sie mit einem sorgenvollen Blick. Also schob Donna ihre Gedanken beiseite und versuchte zu lächeln. „Es ist kaum zu glauben, dass Daddy jetzt schon so lange nicht mehr bei uns ist.“

„Netter Versuch“, sagte ihre Mutter weich. „Aber du hast gerade nicht an deinen Dad gedacht.“

„Doch, habe ich. An Dad und Mac und Eric und … An alles. Ich glaube“, fügte sie mit einem hilflosen Lächeln hinzu, „ich mag einfach keine Veränderungen.“

„Ich weiß.“ Catherine ließ den Blick zu dem kleinen gerahmten Foto von Jeff Barrett wandern, das auf dem Frisiertisch stand. „Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um zu realisieren, dass dein Dad tatsächlich nicht mehr da ist. Manchmal erwarte ich immer noch, ihn im anderen Zimmer nach mir rufen zu hören.“

Na, großartig. Mach nur so weiter und deprimiere deine Mutter, kurz bevor sie zu ihrer tollen Verabredung geht, dachte Donna. „Nun, wenn er noch hier wäre, wäre er der Erste, der dir sagen würde, wie toll du aussiehst.“

Catherine lächelte erfreut.

Donna wusste, dass sie ihre Mission erfüllt hatte. „Also, wie lange gehst du denn schon mit diesem Mann aus? Und was genau wissen wir über ihn?“

„Sehr komisch“, meinte ihre Mutter trocken. „Und ich weiß alles, was ich über ihn wissen muss. Ich habe vor sechs Monaten angefangen, mich mit Michael zu treffen.“

„Vor sechs Monaten?“ Donna starrte sie verblüfft an. „Und ich erfahre erst jetzt etwas davon, weil …“

„Weil ich dachte – auch wenn es dumm von mir war –, dass du es nicht gut aufnehmen könntest.“

Draußen bellte der Hund der Nachbarn den Mond an, und die Sprinkleranlage, die den Rasen bewässerte, gab zischende Geräusche von sich. Der Ventilator an der Zimmerdecke surrte und sorgte für einen kühlen Windhauch. Die Sekunden verstrichen, während Donna versuchte, sich mit der simplen Tatsache abzufinden, dass ihre Mutter ein aufregenderes Privatleben hatte als sie selbst. „Ich bin nur überrascht. Das ist alles“, wich sie dann aus. „Wer ist dieser Michael, und warum bin ich ihm noch nicht begegnet? Ich lebe doch jetzt schon seit zwei Monaten wieder hier.“

Catherine lachte, und ihre dunkelblauen Augen, die Donnas so ähnlich waren, sprühten Funken. „Seit du nach Hause gekommen bist, haben Michael und ich uns nicht oft gesehen. Ich wollte dir erst die Möglichkeit geben, dich einzugewöhnen, bevor …“ Sie verstummte und nahm dann den Faden wieder auf. „Außerdem kennst du ihn. Es ist Michael Cochran, Schatz.“

„Mister Cochran?“, rief Donna fassungslos und sprang auf. „Mein Biologielehrer?“

Ihre Mutter nahm ihre Handtasche, öffnete sie und steckte ihre Geldbörse und den Lippenstift ein, bevor sie erwiderte: „Er ist nicht mehr dein Lehrer.“

„Ja, aber …“

„Donna …“ Ihre Mutter verschärfte leicht die Tonlage. „Ich freue mich sehr, dass du nach Hause gekommen bist, Schatz. Aber Michael hat dir schon seit fünfzehn Jahren keinen Biologieunterricht mehr gegeben.“

„Das stimmt.“ Donna ließ sich langsam wieder auf die Matratze sinken. „Es ist nur irgendwie merkwürdig“, fügte sie hinzu. „Der Gedanke, dass du mit jemandem ausgehst, der nicht, nun, … Dad ist, meine ich.“

Catherine lächelte und setzte sich neben ihre Tochter auf das Bett. Sie legte einen Arm um Donnas Schultern und sagte: „Für mich war das zuerst auch sehr hart. Aber das Leben geht weiter – ob uns das nun gefällt oder nicht, Süße. Und ich bin das Alleinsein leid. Das verstehst du doch, oder?“

Dass sich jemand allein fühlte? Und Angst hatte und sich Sorgen machte? Oh ja, das verstand Donna. „Sicher tue ich das. Ich war nur überrascht. Das ist alles.“

Ihre Mutter nahm sie einen Augenblick lang ganz fest in die Arme und sprang dann auf, als es an der Tür läutete. Sie warf einen Blick in den Flur und sagte: „Das wird Michael sein.“

„Dann viel Spaß.“ Donna zwang sich zu einem Lächeln, nach dem ihr nicht wirklich zumute war. Es war nicht gerade einfach, seine Mutter zu einer Verabredung gehen zu sehen. Besonders wenn es ein ehemaliger Lehrer von einem war, mit dem sie ausging.

„Bist du sicher, dass es dir gut geht?“

Donna verdrehte die Augen. „Ja, Mom, alles in Ordnung. Eric und ich werden uns eine Pizza bestellen. Jetzt geh und amüsier dich gut.“

„Bis später dann.“ Catherine winkte ihr kurz zu, während sie aus dem Schlafzimmer lief und zur Haustür eilte.

„Ja, bis dann.“ Donna blieb noch einen langen Moment auf dem Bett sitzen und betrachtete sich im Spiegel ihrer Mutter. Nichts bleibt so, wie es ist. Das weiß ich doch besser als irgendjemand sonst, dachte sie. Aber muss sich denn alles auf einmal ändern?

Als das Telefon klingelte, stand sie auf und ging eilig in den Flur, um den Hörer abzunehmen. Wahrscheinlich war das Eric mit der Bitte, noch ein bisschen länger auf dem Minigolfplatz bleiben zu dürfen.

Sie lächelte, als sie den Hörer ans Ohr hielt. „Hallo, Eric“, sagte sie.

„Das ist der falsche Lonergan, Donna“, erwiderte eine tiefe Stimme. „Ich bin es, Jake.“

2. KAPITEL

„Donna?“, fragte Jake. „Bis du noch dran?“

Er hatte das Gefühl, dass die Stille am anderen Ende der Leitung ewig andauerte. Lautes Lachen und einige Gesprächsfetzen drangen vom Wohnzimmer, wo sich der Rest der Familie versammelt hatte, zu ihm in die Küche herüber. Jake stand am Küchenfenster, sah hinaus in die Nacht und versuchte, sich Donnas Gesicht vorzustellen.

Er dachte daran, wie sie ausgesehen hatte, als er ihr das letzte Mal begegnet war, und fast wünschte er sich, er würde sich nicht mehr erinnern. Sie war über den Friedhof gegangen, und ihre Schritte waren langsam und unsicher gewesen. Sie hatte den Kopf gesenkt, und ihre langen blonden Haare waren ihr auf beiden Seiten wie ein weicher Vorhang, der sie vor den Blicken der Menschen schützen sollte, vor das Gesicht gefallen. Auf dem Weg zu ihren Eltern war sie vor ihm stehen geblieben und hatte ihm das Gesicht zugewandt.

Jake fühlte wieder diese Hilflosigkeit, die er empfunden hatte, als sie ihn mit ihren blauen Augen angesehen hatte, die vom Weinen ganz gerötet waren. Die frischen Tränen, die ihr über die blassen Wangen gelaufen waren, hatten im Sonnenlicht geglitzert. Donna hatte die sinnlichen Lippen fest aufeinandergepresst und keinen Ton gesagt. Sie sah ihn nur einen Moment lang an, bevor sie sich umdrehte und weiterging. Er war allein zurückgeblieben und hatte ihr nur hinterherstarren können.

Zwei Wochen später hatte Donna Coleville verlassen, ohne einer Menschenseele zu sagen, wohin sie gehen würde.

„Was willst du, Jake?“, fragte sie schließlich und holte ihn aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück.

„Jeremiah hat es uns erzählt“, sagte er, während er diese Erinnerungen verdrängte, wie er es schon all die Jahre vorher getan hatte, „dass Mac einen Sohn hat.“

Sie sog scharf die Luft ein. „Er ist mein Sohn“, korrigierte sie ihn.

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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