Geheimnisvolle Sehnsucht

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  • Erscheinungstag 12.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783955766504
  • Seitenanzahl 508
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Prolog

Kincaid-Ranch
Whitehorn, Montana

„Laura, ich habe wirklich schlechte Nachrichten“, sagte Garrett Kincaid, während er sich eine Tasse Kaffee eingoss. Anschließend stellte er die Emaille-Kanne wieder zurück in die Glut des Lagerfeuers, die noch schwelte. Dunkle Kohlestückchen glühten rot, und Tausende Sterne glitzerten am Nachthimmel über dem Gebirgskamm der Crazy Mountains. Irgendwo in der Nähe heulte ein Kojote.

Laura antwortete ihm nicht. Wie denn auch? Sie war vor Jahren verstorben. Doch nachdem er sie knapp ein halbes Jahrhundert lang geliebt und mit ihr zusammengelebt hatte, musste er einfach manchmal mit seiner Frau sprechen. Ein Teil von ihr war noch immer in seiner Nähe, daran glaubte er fest – wenn auch nur in seinem Herzen.

Als er nahe am Feuer kniete und an dem heißen, bitter schmeckenden Getränk nippte, versuchte er, die Einsamkeit zu verdrängen, die ihn nie ganz losließ. Nachdenklich betrachtete er Ricco, seinen Paint-Horse-Hengst, der im Schein der Flammen graste.

„Laura, auch wenn Larry unser Erstgeborener war: Wir wissen beide, wie viele Fehler er hatte.“ Gequält schloss Garrett die Augen. „Larry glaubte nie, dass Regeln auch für ihn galten. Mit seiner Trinkerei, Spielerei, Raucherei und seinen Frauengeschichten hat er sich selbst viel zu früh ins Grab gebracht.“ Garrett fühlte den Kloß im Hals und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er bei seinem einzigen Jungen versagt hatte. Ob er zu geradlinig, zu unbeugsam für seinen eigensinnigen Sohn gewesen war. Doch für Reue war es nun zu spät. „Liebling, da er nun ebenfalls von uns gegangen ist, möchte ich nicht schlecht über ihn reden. Verflucht, ich habe ihn fast so sehr geliebt wie du. Ich hoffe nur, dass er das gewusst hat.“

Stirnrunzelnd streckte Garrett ein Bein im hohen Gras aus. Das Rauschen des Baches konnte er nun, da es durch das Frühjahrshochwasser angestiegen war, deutlich hören. „Ich habe die Sachen unseres Sohnes durchgeschaut und eine Schatulle gefunden, in der er private Dokumente und dergleichen aufbewahrte. Anscheinend hat sich unser Sohn in seinen Teenagerjahren seine Hörner nicht ganz abgestoßen. Und als wäre das nicht genug, hat er auch noch eine ganze Schar Jungen gezeugt. Sechs an der Zahl. Vielleicht auch sieben, doch da bin ich mir nicht so ganz sicher. Ich habe einen Detektiv mit der Suche beauftragt.“

Er hielt inne und beobachtete, wie der Mond am Himmel strahlte. Das hier war wahrlich das Gelobte Land.

„Die Detektivin heißt Gina Henderson. Sie ist ein süßes Ding und dazu noch brillant. Ohne viel Aufhebens hat sie sechs unserer unehelichen Enkel aufgespürt, Laura. Ein höllisch gutes Mädchen ist sie. Du hättest sie gemocht.“ Bei dem Gedanken an die kurvige Rothaarige musste Garrett lächeln. „Sie wird nächste Woche hierherkommen und versuchen, Larrys Jüngsten aufzuspüren, falls es ihn wirklich gibt. Bis dahin muss ich aber alle unsere Enkel anrufen und ihnen von ihrem Vater erzählen. Denn sie haben keinen Schimmer, dass in ihren Adern Kincaid-Blut fließt.“ Er seufzte. Durch die Berge wehte ein laues Lüftchen, das durch die Zweige der Drehkiefer am Rande der Wiese strich.

„Laura, was für ein Durcheinander! Ich wünschte, du wärst hier, um mir zu helfen. Ich werde bei Larrys Söhnen alles wiedergutmachen und in Ordnung bringen. Es bricht mir beinahe das Herz, wenn ich daran denke, dass unser Junge so … na ja, so verdammt verantwortungslos gewesen ist. Andererseits haben wir es schon immer gewusst, nicht wahr? Larry war von Anfang an ein ungestümer Bursche.“

Garrett stellte sich das hübsche Gesicht seiner Frau vor. Wahrscheinlich ist es besser, dass sie nichts von Larrys Unbesonnenheit geahnt hat, dass sie nicht hat darunter leiden müssen, dass so viele Kinder von ihrem Vater im Stich gelassen worden sind, dachte er. Garrett rieb sich den Nacken und spürte mit einem Mal die Last seiner 72 Jahre. Er leerte die Tasse mit einem Schluck und kippte den Bodensatz ins Feuer. Die Kohlen zischten und rauchten.

„Als Ersten werde ich Trent Remmington anrufen. Er ist zwar nicht der Älteste, aber er scheint mir derjenige zu sein, der eine anständige Vaterfigur am nötigsten gehabt hätte. Ich fürchte, er könnte Larry sehr ähnlich sein. Trent ist ein Rebell, hat es im Ölgeschäft weit gebracht. Heute steht er ganz gut da. Damals hat er kaum die Highschool geschafft und oft genug die Nerven seiner Mutter strapaziert. Sein Zwillingsbruder und er sind in dem Glauben aufgewachsen, der Ehemann ihrer Mom wäre auch ihr Vater. Um ihre Erziehung haben sich Nannys gekümmert.“ Garrett schnaubte bei dem Gedanken und goss die Kaffeekanne über dem Gras aus. „Blake hat sich angepasst. Trent hingegen war ein richtiger Satansbraten. Ein echter Eigenbrötler. Ist er immer noch, schätze ich.“ Sobald er sich streckte, knackten Garretts Knie, und er merkte den Anflug von Arthritis in seiner Hüfte. Er kickte Staub in das Lagerfeuer und packte die Reste eines Sandwichs und die Kanne in seine Satteltasche. Wie stellte man es an, einem Mann zu sagen, dass alles, was er ein Leben lang für wahr gehalten hatte, eine Lüge gewesen war?

Man tat es einfach. Garrett sammelte die restlichen Sachen zusammen und verstaute sie ebenfalls in der Satteltasche. Das Feuer erlosch, und er schaute den Berg hinab zum Herzen der Ranch, wo ein halbes Dutzend Lichter aus Schlafbaracke und Ställen zu ihm heraufleuchteten. Die silberfarbene Beleuchtung der drei Sicherheitslampen spiegelte sich auf den Schuppendächern und auf der Vorderseite des Haupthauses, das leer stand. Schon seit Jahren.

Na ja, das würde sich nun ändern.

Gott, wie sehr er Laura vermisste! Sie hatte fest zu ihm gehalten, in den guten wie in den schlechten Tagen ihrer Ehe. Niemals hatte er sie überleben wollen, doch man konnte sich weder aussuchen, wie man in diese Welt kam, noch wie man sie verließ.

Er entschied sich, Trent noch in derselben Nacht in Houston anzurufen, und ignorierte den Schmerz in der Hüfte. Dann lief er hinüber zu Ricco und tätschelte den weißen Fleck auf dem Hals des Hengstes. „Lass uns gehen“, sagte er, schlang die Satteltasche über das Sattelhorn, griff nach den Zügeln und schwang sich nach oben.

Noch einmal hörte er das einsame Heulen des Kojoten und blickte zum Himmel. Eine Sternschnuppe schoss am Himmel entlang. Garrett lächelte, denn er deutete es gerne als ein Zeichen seiner Frau.

„Danke fürs Zuhören, Liebling“, flüsterte er in den Wind. Er zog an den Zügeln, und der große Hengst und er machten sich auf den Weg nach unten.

1. Kapitel

„Jetzt mal langsam, ja?“ Trent Remmington schrie fast schon in das Handy, das er sich fest ans Ohr hielt, um den Mann am anderen Ende der Leitung zu verstehen. Regen trommelte gegen die Windschutzscheibe, und das Krachen des Donners war lauter als das Getöse des Verkehrs in diesem Teil Houstons. „Wer sind Sie? Und was wollen Sie?“ Ihm war, als hätte der Alte gesagt, er wäre sein Großvater. Doch das war völlig unmöglich.

Trent steuerte seinen BMW durch die Straßen, die langsam von dem plötzlichen Regenguss überflutet wurden. Wasser spritzte unter seinen Reifen hervor, die Scheibenwischer klatschten hin und her, und ein altes Garth-Brooks-Lied tönte aus den Boxen. Scheinwerfer blendeten ihn, während er schnell in die Straße einbog, in der er in einem Apartment-Hochhaus wohnte, das ihm auch gehörte.

„… Kincaid … mein Sohn … dein Vater … tot … gerade seine Papiere gefunden …“

Er konnte kaum hören, was der Mann sagte. „Einen Moment“, presste er hervor und schaltete das Radio aus, gerade als er den Wohnungskomplex erblickte. Er drückte auf den Garagentoröffner, lenkte den Wagen in die Tiefgarage und stellte sich auf seinen Parkplatz. Die Leitung brach zusammen.

„Toll! Einfach toll!“ Er stopfte das Handy in die Tasche seiner Wildlederjacke und stieg aus. Schultern und Kragen seiner Jacke waren nass: das Ergebnis des wilden Sprints von einem Anwaltsbüro zu seinem Auto. Hier in der Garage mit den zischenden Rohren und dem Zementboden war es heiß und drückend.

Während er zum Aufzug ging, seinen Schlüssel benutzte und in das oberste Stockwerk fuhr, wo er seine Suite – der Ort, den er sein Zuhause nannte – betrat, lauschte er, ob das verdammte Telefon noch einmal klingeln würde. Die Jalousien waren hochgezogen. Hinter seinen Ledercouches und den Tischen aus Rosenholz, Glas und Messing hatte man einen herrlichen Ausblick über die Stadt. Die Fenster waren beschlagen, die Klimaanlage lief auf Hochtouren. Doch durch die zum Teil klaren Fensterscheiben konnte er Blitze sehen, die vom Himmel mit einer Helligkeit zu Boden zuckten, die anscheinend mit dem Lichterglanz Houstons wetteiferte.

Er entledigte sich seiner nassen Jacke und schenkte sich einen Drink ein. Dabei überlegte er, ob er den Verkauf der Hälfte aller Bohrlöcher, die ihm in Wyoming gehörten, durch seine Unterschrift besiegeln und mehr als zehn Millionen vor Steuern einstreichen sollte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ein derartiger Deal ihn zutiefst befriedigt hätte, weil er all diese Leute Lügen strafte, die ihn für einen völligen Versager hielten. Jetzt war es ihm völlig egal.

Während der Scotch – der pro Flasche mehr kostete, als er in seinen Anfangstagen pro Tag verdient hatte – seine Kehle hinunterrann, lehnte er sich mit einer Schulter an die Scheibe und fragte sich, wer ihn wohl angerufen hatte. Wahrscheinlich ein Streich oder falsch verbunden. Die Verbindung war ja auch lausig gewesen.

Er war beunruhigt. Vielleicht war es allerdings auch nur seine schlechte Laune. In letzter Zeit hatte sich sein ganzes Leben verändert, und er war sich nicht sicher, ob ihm die neue Richtung, die es nahm, auch gefiel. Mit zweiunddreißig war er ruhelos und rastlos, so war er immer schon gewesen. Doch er spürte nicht mehr den Rausch, den das Meistern von Herausforderungen in seinem Leben bisher ausgelöst hatte.

Trent wandte sich ab und kippte den Drink hinunter. Das mit dieser neuen Sicht auf die Dinge hatte vor ein paar Wochen in Dallas auf einer Ölindustrie-Tagung begonnen. Es war furchtbar langweilig gewesen, bis er diese Rothaarige getroffen hatte. Celia O’Hara. Er hatte sie in der Bar auf der Terrasse des DeMarco-Hotels erspäht, und sie hatte ihn sofort fasziniert. Sie war sexy, ein wenig schüchtern, besaß Beine, die nicht zu enden schienen, und große grüne Augen, mit denen sie einen von einem Moment auf den anderen gerissen oder treuherzig anschauen konnte. Kaum hatte sie die Bar betreten, hing er an ihrem Haken. In seiner Arroganz hatte er angenommen, sie würde, wie so viele Frauen, seinem Charme erliegen.

Aber in dieser Nacht war ihm alles um die Ohren geflogen.

Er fragte sich, was mit ihr passiert war, denn sie war am Morgen einfach aus seinem Bett verschwunden gewesen. Und er hatte Nachforschungen angestellt.

Dabei hätte er sie vergessen sollen. Doch stattdessen hatte er einen Privatdetektiv kontaktiert. Ein Nein kam für ihn als Antwort nicht infrage. Vor allem nicht, nachdem sie nachts zuvor Ja gesagt hatte.

Das Klingeln des Handys zerstreute seine Gedanken. Er zog es aus der Jackentasche und ging ran. „Remmington.“

„Trent?“

„Jepp.“

„Ich hatte vor ein paar Minuten schon mal angerufen.“ Trent erkannte die tiefe Stimme mit dem leichten schleppenden Tonfall, der so typisch für den Westen der USA war. Trent setzte sich auf die Kante der Couch. „Da ich nicht weiß, wie viel du vorhin verstanden hast, fange ich noch einmal von vorn an.“

„Das klingt gut.“

„Ich heiße Garrett Kincaid und bin dein Großvater.“

Trent saß regungslos da; mit einer Hand hielt er das Handy an sein Ohr, mit der anderen umfasste er das Glas, in dem das Eis langsam schmolz.

„Mir ist klar, dass du Harold Remmington für deinen Vater hältst. Und ja, zum Teufel, ihm gebührt wirklich alle Ehre dafür, dass er deinen Bruder und dich aufgezogen hat. In Wirklichkeit hatte sich deine Mutter aber mit meinem Sohn Larry eingelassen. Und ihr zwei Jungs wart das Ergebnis.“

Der Mann redete wie ein Wasserfall. Und auch wenn Trent den Drang verspürte, ihn einen komplett Gestörten zu nennen und einfach aufzulegen, war die Geschichte des Typen mit so viel Wahrheit gespickt, dass er es unterließ. Möglich, dass Kincaid ein Irrer war, aber selbst wenn, war er ein taktvoller, langsam sprechender Irrer. In seiner Stimme konnte Trent einen Anflug von Bedauern wahrnehmen, ehrliche, nüchterne Reue.

„… da sind noch andere. Ich möchte, dass ihr euch trefft.“

„Ich verstehe nicht ganz.“ Sicherlich meinte der Kerl Blake, seinen Zwillingsbruder. Oder waren da etwa noch mehr?

„Das wirst du schon noch.“

„Vielleicht möchte ich das gar nicht. Wissen Sie, Kincaid, das hier ist mehr als bizarr.“

„Da erzählst du mir nichts, was ich nicht schon wüsste. Hör mal, ich hoffe, deine Termine lassen sich so organisieren, dass du in einer Woche hierher nach Montana fliegen kannst, damit wir uns in Ruhe unterhalten können. Wir alle.“

Trent dröhnte der Kopf, und Erinnerungsfetzen aus seiner Kindheit tauchten vor seinem inneren Auge auf. Blake und er, wie sie Fahrradfahren lernten, den Babysitter als Lehrer. Ihre Mom Barbara war nicht sehr oft da gewesen. Als sie noch in Montana lebten, war sie State Commissioner, eine Verwaltungsrätin auf Bundesstaatsebene, gewesen und eine echte Draufgängerin, die, wenn überhaupt, ihren ungestümen Zwillingsjungs nur wenig Beachtung geschenkt hatte. Internate und Nannys, das hatte ihre Mom unter Kindererziehung verstanden. Trent hatte die meiste Zeit damit verbracht, sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen, damit ihm Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Sein Bruder hingegen hatte auf Teufel komm raus versucht, perfekt zu sein, in der Hoffnung, dass das seinen Eltern auffallen würde. Falsch gedacht. Barbara war voll und ganz mit ihrer Karriere beschäftigt gewesen; Harold Remmington hatte sich nie sonderlich für sie interessiert.

„… so viel zu bereden“, meinte der Anrufer. „Ich habe Pläne für euch Jungs …“

„Ich bin es gewohnt, meine eigenen Pläne zu machen.“

„Ich weiß. Das meinte ich nicht.“ Der Mann fügte hinzu: „Aber da wir jetzt eine Familie sind, möchte ich euch alle treffen.“

„Familie?“ Trent stieß ein verächtliches Schnauben aus. „Sie denken, Sie seien Teil meiner Familie?“

„Ja, Sohn, das tue ich.“

„Ach, hören Sie mit dieser unaufdringlichen Cowboy-Masche auf, ja? Diesen Brocken muss man schließlich erst verdauen! Und dabei bin ich mir immer noch nicht sicher, ob Sie die Wahrheit sagen, ein erstklassiger Spinner oder jemand sind, der mich ausnehmen will. Noch vor einer Stunde war mein Leben so wie die ganzen zweiunddreißig Jahre zuvor. Und nun soll ich Ihnen abkaufen, dass alles, woran ich geglaubt habe, falsch ist?“

„Das fasst es in etwa zusammen.“

„Verdammt!“

„Komm nach Whitehorn. Hier kannst du den Rest der Familie kennenlernen. Nur so erfährst du mit Sicherheit, ob ich die Wahrheit sage oder – wie hast du mich noch gleich genannt? – ‚ein erstklassiger Spinner‘ bin.“ Zum ersten Mal hörte er einen gerissenen Unterton in der Stimme des alten Mannes. Sein raues Lachen erinnerte an Kieselsteine, die in einer Holzschachtel klapperten. „Na ja, vielleicht bin ich das ja. Jedenfalls kannst du mich auf der Ranch besuchen. Was hast du schon zu verlieren?“

„Das ist eine gute Frage, nicht wahr?“

Kincaid ignorierte den Sarkasmus, beschrieb ihm den Weg zur Ranch und legte auf.

Trent trank den Rest seines verwässerten Drinks und marschierte anschließend direkt auf seinen Schlafzimmerschrank zu. Er würde sicher keine Woche warten. Mit dem Gedanken zog er eine ramponierte Ledertasche hervor und warf sie auf das Bett. Er ignorierte die Anzüge und Sportsakkos, die neben den Krawatten in seinem Schrank hingen, und lief zur Kommode, suchte ein paar alte Jeans und ein paar Hosen aus, die zu den Shirts passten, und ließ alles auf die Matratze fallen. Er hielt gerade so lange inne, dass er seiner Sekretärin und seinen Vorarbeitern kurzfristige Anweisungen auf die Mailbox sprechen konnte. Außerdem trug er ihnen auf, ihn auf dem Handy oder per E-Mail zu kontaktieren. Danach verstaute er noch eine Hose und ein ordentliches Hemd, sein Rasierzeug und ein Fläschchen mit Migränetabletten in der Tasche.

Ein Anruf am Airport ergab, dass der erste Flug, der auch nur ansatzweise in die Nähe von Helena ging, erst für den Morgen geplant war.

Gut.

Morgen also würde er nach Whitehorn, Montana, aufbrechen, wo auch immer das war. Er würde den Alten nicht vorwarnen, dass er früher eintraf als vereinbart. Nein. Er wollte Garrett „Großvater“ Kincaid unvorbereitet erwischen.

Trent glaubte an das Überraschungsmoment, an das Überrumpeln seines Gegners. Unglücklicherweise hatte Kincaid gerade das Gleiche mit ihm getan. Zeit also, den Spieß umzudrehen. Aus dem Gedächtnis wählte er die Nummer eines Privatdetektivs, der schon früher für ihn gearbeitet hatte.

„Ich bin’s“, erklang die Anrufbeantworter-Ansage, „Sie wissen, wie’s funktioniert. Hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton.“

Trent wartete und sagte dann: „Hier ist Remmington. Wieder. Ich will immer noch, dass Sie alles in Erfahrung bringen, was es über Celia O’Hara, die Rechtsanwaltsgehilfin aus L. A., zu wissen gibt. Zusätzlich möchte ich aber, dass Sie ein paar Leute aus Montana überprüfen – Garrett Kincaid und seinen Sohn Larry. Sie stammen aus einem kleinen Ort namens Whitehorn, irgendwo östlich von Helena, direkt am Highway 191 in der Nähe des Laughing-Horse-Reservats. Finden Sie absolut alles über die beiden heraus, und schreiben Sie mir eine Mail- oder rufen Sie mich auf dem Handy an. Danke.“ Er legte auf, entschied sich gegen einen zweiten Drink, starrte hinaus in das Gewitter und wartete darauf, dass der Morgen anbrach.

Während sie in ihrem gemieteten Ford Explorer auf den Straßen von West-Montana fuhr, blickte Gina auf ihre Armbanduhr und lächelte vor sich hin. Seit sie am Flughafen losgefahren war, kam sie gut voran, und ihr Job war fast abgeschlossen. Sie hatte Garrett Kincaid geholfen, sechs der unehelichen Kinder seines Sohnes ausfindig zu machen. Die einzig verbliebene offene Frage war, ob Larry noch ein siebtes Kind in die Welt gesetzt hatte.

Sie würde ihr Leben darauf verwetten, denn es gab da diese Notiz in dem Tagebuch, das Larry geführt hatte. Da stand kurz und knapp: Habe erfahren, dass Ex einen kleinen Sohn hat. Überprüfen. Könnte meiner sein. Zeitpunkt passt. Natürlich konnte es bloßes Gekritzel sein, doch das glaubte sie nicht; das passte einfach nicht zu Larry. Nein, es gab ein Baby. Und angesichts von Larrys Erfolgsbilanz hinsichtlich der Zeugung unehelicher Kinder war sie sich sicher, dass der Junge ein Kincaid war. Das Tagebuch hatte sich in der Kiste mit Larrys persönlichen Gegenständen befunden, in der Kiste, die im Zusammenhang mit all seinen unehelichen Kindern stand. Gina hatte das Gefühl, dass tatsächlich noch ein weiteres Kind, also der siebte Sohn, geboren worden war, vielleicht im vergangenen Jahr. Aufgrund von Larrys Aufenthalten in seinem letzten Jahr würde Gina ihr letztes Hemd darauf verwetten, dass sich das Baby irgendwo hier im Staat aufhielt, vielleicht sogar nicht allzu weit weg von Whitehorn. Nun ja, dachte sie mit der Entschlossenheit, für die sie bekannt war. Sie würde nichts unversucht lassen, um dieses Kind aufzuspüren.

Auch wenn sie dem Mann nie begegnet war: Gina hegte eine besondere Abneigung für Larry; er war das genaue Gegenteil seines Vaters Garrett gewesen. Larry Kincaid, ein trinkfester Spieler, der ständig den Frauen nachstieg, der durchs Leben stolziert war ohne ein Fünkchen Einfühlungsvermögen, Verständnis oder gar Interesse für andere. Uneheliche Kinder hatte er in die Welt gesetzt, als wäre es irgendein Wettbewerb. Anschließend ignorierte er die Sprösslinge und auch die Frauen, die sie geboren hatten, so ziemlich. Garrett dagegen war anständig und geradlinig, ein Mann mit strikten Moralvorstellungen, ein Mann, so verlässlich und treu wie Montana, das weite Land, das ihn hervorgebracht hatte.

Alles in allem hatte es ihr gefallen, Garretts verlorene Enkel ausfindig zu machen … na ja, bis auf einen. Den Satansbraten. Aber an Trent Remmington wollte sie jetzt gerade nicht denken. Denn als sie sich im Monat zuvor kennengelernt hatten, hatte sie ihn über ihre wahre Identität belogen und damit ihre eigenen Regeln über Bord geworfen. Und dieser Gedanke bereitete ihr immer noch Magenschmerzen.

Sie hatte einen Riesenfehler begangen und dabei fast ihr Herz verloren.

„Dummkopf“, murmelte sie und kickte ihre Sandalen weg, um barfuß zu fahren. Sie griff in ihre offene Handtasche auf dem Beifahrersitz und kramte, immer wieder hinschielend, darin herum. Dabei wich sie einem Truck aus, der auf der Gegenfahrbahn auf diesem langen Highway-Abschnitt auf sie zuraste. Das Etui ihrer Sonnenbrille endlich in der Hand, schaffte sie es, diese aus der Box zu holen und aufzusetzen.

Vor ein paar Jahren, nachdem sie den Collegeabschluss in der Tasche hatte, hatte sie ihren Bruder Jack noch angefleht, sie bei ihm als Privatdetektivin mitarbeiten zu lassen. Erst hatte er sich dagegen gesperrt, doch schließlich stimmte er zu, und sie hatte damals geschworen, sich niemals mit einem ihrer Kunden einzulassen.

Das war ja auch nie ein Problem gewesen. Bis sie Trent Remmington getroffen hatte.

„Blöde, blöde Kuh“, schalt sie sich leise und stellte das Radio an. Während sie den wenigen Nachrichten lauschte, lehnte sie den Arm aus dem Fenster und fühlte den heißen Maiwind in ihren Haaren. Unter dem tiefblauen Himmel Montanas erstreckte sich ein Hektar um den anderen sanft ansteigendes Farmland, so weit das Auge reichte.

Zäune trennten Felder, auf denen Rinder und Pferde weideten, in allen nur denkbaren Farben und Rassen. Sie lächelte, als sie ein Brahman-Kalb mit dem charakteristischen kleinen Buckel an der Schulter erblickte, das ihr aus großen neugierigen Augen beim Vorbeifahren zusah. Gefleckte Longhorn-Rinder trabten gemächlich entlang des Ufers eines Wasserlaufs. Auf einer anderen Weide begann ein verspieltes Fohlen, das den Schweif einer Fahne gleich in die Höhe hielt, loszulaufen, schlug mit den schwarzen Beinen aus und schüttelte die Mähne, als es zu einer kleinen Appaloosa-Herde aufschloss.

Diese Weite hatte nur sehr wenig mit dem überfüllten L. A. zu tun. Hier war es still – für ihren Geschmack vielleicht ein wenig zu still, doch es war eine nette Abwechslung zu der Hektik der Großstadt. Gina würde nur kurze Zeit hier sein. Garrett hatte sie eingeladen, auf der Ranch zu wohnen, während sie auf der Suche nach Larrys Baby unter jeden Stein guckte, der noch nicht umgedreht worden war. Sie hatte entschieden, Garretts Angebot anzunehmen. Es war ein lang gehegter Wunsch von ihr, eine Woche lang die Arbeit auf einer echten Ranch kennenzulernen, und so wie es schien, würde er endlich in Erfüllung gehen. Länger als eine Woche würde sie ganz sicher nicht bleiben; sie wusste ja, dass der Rest von Larrys Kindern bald auftauchen und sie dann wieder mit Trent Remmington konfrontieren würde.

Irgendwie würde sie das zu verhindern wissen. Auch wenn Garrett hatte anklingen lassen, dass sie bleiben, die Jungs kennenlernen und ihre Aufgabe bei der Suche erklären sollte. Aber dieses Angebot musste sie höflich ablehnen.

Es gab einfach keinen Grund, zu bleiben.

Gerade als Faith Hills Stimme aus dem Lautsprecher schallte, erspähte sie die Abzweigung zur Kincaid-Ranch. Sie riss das Lenkrad herum und fuhr eine lange, enge zweispurige Landstraße entlang. Zwischen den parallel laufenden Schotterpfaden wuchs hohes trockenes Gras, das das Fahrwerk des Autos streifte. Schlaglöcher und Steinbrocken übersäten die staubige Fahrbahn. Gina musste beim Anblick des kargen Bodens in diesem Teil des Landes lächeln. Auf einem Feld tuckerte ein Traktor dahin, und etwas weiter entfernt erhoben sich über sanft ansteigenden, mit Kiefern bedeckten Anhöhen zerklüftete Berge bis in den Himmel.

Als der Weg eine Biegung hin zu dem machte, was anscheinend das Herz der Ranch war, fuhr Gina langsamer. Um einen festgestampften Parkplatz herum waren die Ställe, die irgendeiner Renovierung unterzogen wurden, die Arbeiterunterkunft und eine Vielzahl weiterer Gebäude angeordnet, unter anderem ein verwittertes Pumpenhaus, mehrere Maschinenschuppen und Ähnliches. Das eindrucksvollste Gebäude von allen war jedoch – trotz seiner Baufälligkeit – das einst stattliche zweigeschossige Ranch-Haus. Früher einmal wunderschön, zerfiel es langsam in seine Einzelteile. Fensterläden, denen etliche Holzlatten fehlten, hingen an den Fenstern hinab, die ehemals weiße Farbe begann abzublättern, und mehr als eine Fensterscheibe war mit Brettern zugenagelt worden. Das Erdgeschoss wurde von einer breiten Veranda umrandet, auf deren Stufen sie einen Mann entdeckte. Einen großen Mann mit breiten Schultern, dunklem Haar und … und …

„O Gott!“

Gina trat so heftig auf die Bremse, dass der Explorer ruckelnd zum Stehen kam.

Dort, in voller Lebensgröße – nein, eher überlebensgroß –, stand Ginas ganz persönlicher Albtraum.

Trent Remmington wartete auf sie.

Und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er fuchsteufelswild.

2. Kapitel

Gina nahm den Fuß langsam von der Bremse und stellte den Motor ab. Wie hatte das nur passieren können? Trent sollte doch erst nächste Woche hier eintreffen!

„Gib mir Kraft“, flehte sie leise. Plötzlich wurden ihre Handflächen feucht, während sie verkrampft das Lenkrad umschlossen hielt. Durch das geöffnete Sonnendach schien die Sonne Montanas grell und unnachgiebig auf sie herab, die ihr grell und unnachgiebig erschien. Die Hitze breitete sich bis zu ihrem Nacken aus, und ein Kaleidoskop von dunklen verführerischen Bildern spukte durch ihren Kopf. Vor ihrem inneren Auge sah sie nur allzu lebhaft seine gebräunte Haut, das Spiel seiner Muskeln, nackte breite Schultern, als er sich in Dallas neben sie auf das Bett legte, sie küsste, sie berührte, sie vor Verlangen förmlich brennen ließ …

Hör auf damit!

Obwohl es erst Mitte Mai war, fühlte sie sich schlagartig so erhitzt, als wäre es Ende August. Sie konnte jetzt nicht an ihre gemeinsame Nacht in Dallas denken. Wollte es nicht. Zähneknirschend rief sie sich in Erinnerung, dass sie eine erwachsene Frau war. Eine Privatdetektivin, Himmelherrgott noch mal! Sie musste sich kein bisschen schämen oder verpflichtet fühlen oder … Oder sich vormachen, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Niemals!

Wieso also spürte sie bei seinem bloßen Anblick ein erwartungsvolles flaues Gefühl im Magen?

Gina hielt die Daumen gedrückt, blinzelte und betete leise, dass sie sich das alles nur einbildete.

Aber nein.

Trent Remmington war hier auf der Ranch. Zu voller Größe aufgerichtet – er war eins achtundachtzig groß – stand er auf der vorderen Veranda des weitläufigen zweistöckigen Ranch-Hauses, die Arme über der Brust verschränkt, die Lippen missbilligend zusammengepresst. Die helle Frühjahrssonne ließ ihn die Augen zusammenkneifen. Aus denen funkelte er sie – die Gesichtszüge angespannt, eine Strähne des dunklen Haares, das sie so anziehend gefunden hatte, in der Stirn – wütend an.

Wohl oder übel musste sie sich mit ihm auseinandersetzen. Jetzt. Ganz sicher würde er Antworten fordern, die zu geben sie nicht bereit war. Ihre Füße zwängten sich in die Sandalen, und für einen kurzen Moment dachte sie, dass sie vielleicht Glück hatte. Vielleicht war der Mann auf der Veranda ja gar nicht Trent, sondern sein eineiiger Zwilling Blake. Das würde den ungewöhnlichen Aufzug in Jeans und verwaschenem Jeanshemd erklären.

Nein, sie machte sich etwas vor. Über beide Brüder hatte sie sich eingehend informiert. Auch wenn sie sich zum Verwechseln ähnlich sahen, waren die Persönlichkeiten von Blake und Trent so unterschiedlich wie Tag und Nacht.

Blake, ein Kinderarzt, der nun in Südkalifornien lebte, war gütig und warmherzig, ohne diese eiskalte Überlegenheit seines respektlosen einzelgängerischen Zwillings. Und dieser Mann dort drüben, der zäh wie Leder wirkte und sie durch die staubige, von Mücken übersäte Windschutzscheibe zornig anstarrte, war Trent Remmington. Zweifellos. Schon möglich, dass er seinen zweitausend Dollar teuren Anzug und die Designer-Krawatte abgelegt hatte, doch es umgab ihn immer noch dieselbe arrogante Haltung, die einem erfolgreichen Öl-Unternehmer, wie er einer war, zu eigen war.

Zu allem Übel hatte er sie anscheinend erkannt. Wenn Blicke töten könnten, würde sich Gina Henderson alias Celia O’Hara jetzt die Radieschen von unten anschauen.

Sie öffnete die Tür des Explorers und trat auf den Schotterparkplatz. „Schenk mir Kraft!“, flüsterte sie in der Hoffnung, dass irgendein Schutzengel, der gerade in der Nähe war, sie erhören würde. Aktenkoffer, Laptop und Reisetaschen ließ sie im Auto. Stattdessen straffte sie sich und marschierte über den Platz. Plötzlich war sie sich ihres zerknitterten kakifarbenen Rocks und der ärmellosen Bluse bewusst, die sie vor ein paar Stunden in L. A. übergeworfen hatte. Ihr Lippenstift war sicher verblasst und ihr Haar ein zerzaustes Durcheinander, weil der Wind durch das geöffnete Fenster und das Schiebedach des Explorers heftig daran gezogen hatte. Jetzt war keine Zeit mehr, ihre weibliche Rüstung auf Vordermann zu bringen. Nicht dass es überhaupt etwas genützt hätte.

Ein alter zotteliger Hund, in dessen Genen mehr Schäferhund als Labrador steckte, lag auf einem Flecken nackten Bodens in der Nähe der Veranda. Aus dem Schatten eines Busches ließ er, als sie näher kam, ein leises „Wuff“ hören.

„Ist schon gut“, beruhigte sie den Mischling, auch wenn sie selbst keinen Moment lang daran glaubte. Dumpf klopfte er mit dem Schwanz auf den Boden und machte keinerlei Anstalten aufzustehen.

Vor den Stufen blieb sie stehen und sah nach oben. „Wir müssen aufhören, uns so zu treffen“, sagte sie, um das Eis zu brechen.

Er versuchte nicht einmal, sich ein Lächeln abzuringen.

Wer konnte es ihm verdenken?

„Was, zum Teufel, machst du hier?“

So viel zum Thema „Höflichkeiten austauschen“.

„Suchst du mich?“, fuhr er fort.

„Bitte?“ Beinahe hätte sie gelacht. Wenn er wüsste, dass sie in die andere Richtung davongelaufen wäre, hätte sie auch nur erahnt, dass er hier sein würde.

„Ich glaube nicht an Zufälle.“ Blaue Augen bohrten sich in die ihren.

„Ich auch nicht.“ Seine Stimme weckte Erinnerungen an Lachen und Verführung, Erinnerungen, die sie schnell von sich schob. Ihr Lächeln erlosch, und sie räusperte sich, während sie in das kantige Gesicht blickte, das sich für immer in ihr Gedächtnis gebrannt hatte. „Ich bin hier, um mit Garrett Kincaid zu sprechen.“

„Du kennst ihn?“ Aus schmalen Augen beobachtete er, wie sie die unterste Stufe erreichte. Aber er ging nicht auf sie zu, bewegte sich nicht, lächelte sie nicht im Mindesten an. Er stand einfach nur da: Die Beine, mit einer Jeans bekleidet, waren leicht gespreizt, das Jeanshemd flatterte in der leichten Brise, die mit dem Duft der Heckenkirsche gewürzt war, und die Arme hatte er über seiner breiten, ihr so vertrauten Brust verschränkt.

Für Lügen war jetzt kein Platz. „Ich arbeite für Garrett“, gestand sie und konnte fast sehen, wie die Rädchen in seinem Kopf angesichts dieser neuen Information zu arbeiten begannen.

„Du arbeitest für ihn?“, wiederholte er und maß sie erneut von oben bis unten.

Sie erklomm die Stufen und stand so dicht neben ihm, dass sie ihn zum ersten Mal berühren konnte, seit sie vor fünf oder sechs Wochen im Morgengrauen aus dem DeMarco-Hotel in Dallas geschlichen war. Sie errötete bei dem Gedanken an ihre letzte Begegnung, schaffte es aber, ihre Augen nicht von seinen abzuwenden.

„Er hat mich engagiert.“

„Dann bist du wohl keine Rechtsanwaltsgehilfin?“

„Nein“, bestätigte sie und wünschte sich gleichzeitig, durch die verwitterten Dielenbretter fallen zu können. „Ich bin Privatdetektivin und wurde damit beauftragt, Garretts Enkel zu finden.“

Um seinen Mund herum zeichneten sich tiefe Furchen ab. „Sonst noch was, worüber du mir Lügen aufgetischt hast?“

„Äh … ja“, räumte sie nickend ein. Als sie erneut rot wurde, streckte sie ihr Kinn nach oben. „Leider über ein paar Dinge. Es … ähm …“ Ihre Blicke trafen sich, beschämt wandte sie den Kopf ab. „Damals schien es angebracht, aber … Na ja, jetzt besteht kein Grund mehr, um den heißen Brei herumzureden. Ich finde nur, dass Garrett an dieser Unterhaltung teilhaben sollte.“

„Wieso?“

„Das hier ist seine Veranstaltung. Ich wurde nur von ihm beauftragt. Außerdem weiß ich nicht, was er dir schon alles gesagt hat. Wenn er überhaupt etwas gesagt hat. Vielleicht möchte er dir einige Dinge selbst erklären?“

„Darauf möchte ich wetten.“

Sie warf einen Blick zum Haus. „Er ist wohl nicht hier?“

Trent schüttelte den Kopf, und das nachmittägliche Sonnenlicht fiel auf die dichten mahagonifarbenen Strähnen, die den Kragen seines Hemdes und die Ohren berührten. „Der Vorarbeiter meinte, er sei in die Stadt gefahren, um Vorräte abzuholen.

Na toll, dachte sie sarkastisch. Nun war sie hier gefangen. Mit Trent und ihren Lügen. „Aber du hast ihn getroffen.“

„Noch nicht.“ Er fixierte sie mit seinen unnachgiebigen blauen Augen. „Er hat angerufen, mich für die kommende Woche hierher eingeladen, und ich habe entschieden, einen Frühstart hinzulegen und etwas eher zu kommen.“

Deswegen also hatte Garrett sie nicht vorgewarnt, dass Trent hier sein würde. Er hatte es selbst nicht gewusst.

„Dann lebst du hier in Whitehorn?“ Offenbar war die peinliche Befragung noch nicht vorüber.

„Nein“, sagte sie schnell. „Der Teil mit L. A. war die Wahrheit.“

„Und was ist gelogen?“

Innerlich zuckte sie bei dem Gedanken an den Namen zusammen, der ihr spontan eingefallen war. „Für den Anfang: Ich heiße Gina Henderson.“

Er zog eine Augenbraue nach oben und bedeutete ihr so, fortzufahren. Sie sah zu der Scheune hinüber, wo gerade ein Traktor polternd anhielt. Er zog einen Anhänger, der bis obenhin mit Heuballen beladen war. Die beiden Rancharbeiter, die oben auf dem Heuberg saßen, sprangen ab und begannen damit, die Ballen zu entladen. Sie warfen sie auf ein Fließband, das so positioniert war, dass es die Packen nach oben beförderte und durch ein offenes Tor auf das obere Geschoss der Scheune fallen ließ. Dort konnte sie weitere Arbeiter sehen, die bereitstanden, um die Bündel auf dem Heuboden übereinanderzustapeln.

„Sonst noch etwas, was ich wissen sollte, Gina?“

„Ähm, ja. Wahrscheinlich vieles, aber lass uns einfach warten. Dann kann Garrett all die schmutzigen Details erklären“, schlug sie vor, während sie einen kleinen Schweißtropfen wegwischte, der ihr seitlich über das Gesicht lief.

„In Ordnung. Spielen wir nach deinen Regeln. Aber wenn er ankommt, erwarte ich, die Wahrheit zu hören.“

„Die wird dir kaum gefallen.“

Sein Lächeln war so kalt wie Regen im November. „Da bin ich mir sicher“, bestätigte er. „Ich bin verdammt sicher, dass es mir nicht gefallen wird.“

„Warte einen Moment“, beharrte Jordan Baxter, der sich in seinem Schreibtischstuhl zurücklehnte und seine Tochter Hope mit verbittertem Blick betrachtete. Er legte den Absatz eines polierten Stiefels auf einen Haufen säuberlich aufeinandergelegter Verträge und sah mit zusammengekniffenen Augen auf das einzig Gute, das er in seinem Leben erreicht hatte. „Du willst mir sagen, dass Garrett Kincaid alle unehelichen Kinder von Larry versammeln will? Hier in Whitehorn?“ Bei dem Gedanken wurde ihm übel. Seit dem Tag, an dem ihn Dugin, einer dieser hochnäsigen Kincaid-Brüder, in der Grundschule White Trash genannt hatte, hasste Jordan Baxter die gesamte Familie.

Hope klatschte eine Akte auf die Kante des Schreibtisches ihres Vaters und lehnte sich mit der Hüfte gegen das Eck. „Ich sage dir nur, was ich vorhin beim Essen im Hip-Hop-Café gehört habe. Wahrscheinlich stimmt es sowieso nicht.“

Jordan hoffte, dass sie recht behielt. Das Hip-Hop-Café war Whitehorns Gerüchteküche schlechthin. Einige Informationen, die man beim Verzehr von Elch-Hackfleisch, Blaubeerkuchen und heißem Kaffee hörte, stimmten haargenau; der Rest war einfach nur das Gerede gelangweilter kleingeistiger Gemüter, die gerne für ihre eigene Aufregung sorgten.

Hope hob ihre schmalen Schultern, als sei es ihr egal, was ihr Vater dachte. Sie war 25 Jahre alt, sah aber in ihrem T-Shirt, den schwarzen Hosen und mit dem blonden Pferdeschwanz viel jünger aus. Sie war etwas blauäugig, aber angesichts der Tatsache, dass ihr Vater sie über die Jahre vor allem beschützt hatte, war das zu erwarten. Trotzdem war sie schlau wie ein Fuchs.

„Sechs Bastarde?“, wiederholte er und stieß einen langen leisen Pfiff aus. „Und alles Jungs?“

Hope lächelte milde. „Ich bin nicht sicher, Dad. Das habe ich nur gehört, und jetzt regst du dich wieder darüber auf.“ Seufzend erhob sie sich und ging hinüber zum Türrahmen des Vorzimmers. Dort lehnte sie sich an. „Ich hätte nichts erwähnen dürfen.“ Tatsächlich sah sie auch so aus, als würde sie bereuen, ihn eingeweiht zu haben.

„Hör mal, mein Schatz. Genau solche Dinge muss ich wissen. In einer kleinen Stadt kann ein einziger Schnipsel an Information ein Vermögen bringen oder zerstören. Wenn es denn wahr ist. Also, wer hat darüber gesprochen? Und sag jetzt nicht Lily Mae Wheeler. Diese alte Hetzerin lebt ausschließlich für Klatsch, der noch nicht einmal verlässlich ist.“

„Ich habe zufällig gehört, wie Janie mit Winona Cobbs sprach.“

„Winona? Tja, das erklärt es.“ Jordan seufzte angewidert. „Man sollte diese Frau mit ihrem übernatürlichen Hokuspokus wegsperren, anstatt ihr zu erlauben, Trödel an der Interstate zu verkaufen.“ Er sah auf und erwischte Hope dabei, wie sie versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. „Was denn? Du weißt genauso gut wie ich, dass sie sich benimmt, als hätte sie Peyote geraucht.“

„Janie war diejenige, die darüber sprach. Und du solltest vorsichtiger sein, Dad“, meinte Hope. „Wenn du so über Winona redest, könnte dich das in Schwierigkeiten bringen. Wenn ich mich nicht täusche, nennt man so etwas Verleumdung.“

Jordan ließ beide Füße auf den Boden fallen. „Ich nenne eben alles beim Namen.“ Aber wenn Janie Austin diese Informationen über die Kincaids verbreitete, könnte der neueste Klatsch ein Fünkchen Wahrheit enthalten. Normalerweise beherrschte Janie ihr Handwerk. Intelligent und hübsch, wie sie war, konnte sie nicht nur auf alle Informationen zugreifen, die im Hip-Hop-Café von Tisch zu Tisch weitergegeben wurden. Sie war außerdem mit Reed Austin, dem Hilfssheriff, verheiratet, der so ziemlich über alles Bescheid wusste, was im County passierte. Nein, Janie war keine, die Wasser auf die Mühlen des Tratsches von Whitehorn goss.

Es könnte also wahr sein.

Also könnte Whitehorn ein riesiger Ansturm von Kincaids bevorstehen.

In Jordans Speiseröhre brannte die Magensäure. Er griff in seiner Schreibtischschublade nach einer Packung Rennie, die gegen das Sodbrennen helfen sollte. Er schob den Stuhl zurück. „Ich schätze, das muss ich selbst überprüfen.“

„Tu das“, empfahl ihm Hope, während sie zu ihrem Schreibtisch am Empfang zurückkehrte.

Jordan nahm seinen Hut und betrachtete sich selbst im Spiegel, der neben der Tür angebracht war. Mit 46 hatte er seine besten Jahre noch lange nicht hinter sich, aber das Grau in seinen dunklen Haaren und die Linien um die Augen und den Mund herum erinnerten ihn daran, dass auch er nicht jünger wurde. Zwar trainierte er regelmäßig, war fit und hatte noch nicht einmal den Ansatz eines Bäuchleins. Aber so langsam sah man ihm die Jahre an. Er hasste den Gedanken an die Frage, wie viele dieser grauen Haare und Falten direkt aus dem Umgang mit diesen verdammten Kincaids resultierten. Schon sein ganzes Leben lang war diese Familie der Fluch seines Daseins. Und dass es weitere sechs bisher unbekannte Brüder geben sollte, die demnächst in Whitehorn auftauchen würden, trug nicht gerade dazu bei, seine Laune aufzuhellen.

„Vergiss nicht, dass Jeremiah Kincaid deine Großmutter umgebracht hat“, sagte er, als er am Schreibtisch seiner Tochter vorbeikam.

Hope verdrehte die Augen. „Ach, komm schon, Dad. Das ist unfair. Der Leichenbeschauer hat gesagt, sie hätte zu viel getrunken und im Bett geraucht. Das hat das Feuer verursacht, nicht irgendeine hinterhältige Verschwörung der Kincaids. Du bist der Einzige im gesamten Bundesstaat Montana, der Jeremiah für den Drahtzieher hält.“

„Er war es.“ Der Bastard. Reich, mächtig und tödlich, hatte er Vera Baxter erst in sein Bett gelockt, um sie dann von sich zu stoßen. Als sie seine Zurückweisung nicht akzeptieren wollte, starb sie in einem Großbrand, von dem Jordan keine Sekunde glaubte, dass sie ihn verursacht hatte.

„Ist es denn wichtig? Sie sind beide tot. Lass es los.“

„Ich denke darüber nach“, log er und ballte frustriert die Fäuste. Langsam streckte er die Finger aus. Gerne hätte er argumentiert, jeden Vorfall aufgezählt, wo ein Kincaid einem Baxter übel mitgespielt hatte, damit seine Tochter endlich den Schmerz verstand, den jeder Baxter in sich trug, doch er unterließ es. Hope hätte ihm sowieso nicht geglaubt. Manchmal war sie naiver, als gut für sie war.

„Ich hoffe, du liegst hier falsch“, sagte er und rückte seine Krawatte zurecht.

„Ich auch.“ Einen Moment lang hielt sie seinem Blick stand. „Ich möchte nicht, dass du deswegen durchdrehst.“

„Das werde ich nicht.“ Nun ja, durchdrehen vielleicht nicht. Aber allein der Gedanke, dass sich ein Kincaid mehr in der Gegend aufhalten könnte, brachte sein Blut gehörig in Wallung. Jeremiah war Garretts Halbcousin gewesen oder so etwas in der Art. So wie diese Kincaids herummachten, war es schwierig, den Überblick über die Familienverhältnisse zu behalten. Nicht, dass er das unbedingt wollte.

„Dann hat Larry sechs außereheliche Kinder gezeugt? Na, das passt ja.“ Er lachte freudlos, setzte seinen Hut ordentlich auf und griff nach dem Türknauf. „Ich wette, als Garrett davon erfahren hat, hat es ihn fast umgebracht.“

„Lily Mae hat erzählt, Garrett wolle die Whitehorn-Ranch unter den Erben aufteilen. Als Wiedergutmachung oder so.“

Bei dieser Aussage stutzte er. Langsam ließ er den Türknauf los und betrachtete seine Tochter aufmerksam. „Sagtest du nicht, dass Janie Austin die Informationen hatte?“

„Ja, und Lily Mae hat ihre Meinung dazu kundgetan.“

Zähneknirschend dachte Jordan an die Kincaid-Ranch – den Ort, an dem er sich als Kind abgerackert hatte, die Ranch, die ihm versprochen worden war. „Du weißt, dass das Land mir gehören sollte. Uns. Bevor es sich die Kincaids von uns erschwindelt haben, nannte man es das Baxter-Anwesen.“

Hope seufzte, und Traurigkeit überschattete ihren Blick. Wieder spürte er diesen unglaublichen Drang, sie zu beschützen, denn sie war das Licht seines Lebens.

„Wieso kannst du das nicht loslassen, Dad?“, fragte sie resigniert. „Was soll deine Faszination für das Kincaid-Haus überhaupt bringen? Ich weiß, dass Onkel Cameron dir die Ranch versprochen hat, als sie ihm gehörte. Aber das ist viele Jahre her. Und du hast sowieso schon so viel.“

Das stimmte. Vor Jahren hatte es Jordan bei einer Investment-Firma in New York zu Reichtum gebracht. Jung, frisch von der Uni und entschlossen, seine ärmliche Vergangenheit hinter sich zu lassen, war er in das Investmentbanking eingestiegen und hatte sich gefühlt wie ein Fisch im Wasser. Aber seine Heimat war hier. In Whitehorn. Auch wenn er jetzt Tausende Acres im County besaß, bedeuteten sie ihm nichts. Das alte Baxter-Anwesen dagegen schon. In wirklich schweren Zeiten war es sein Zuhause gewesen. Wie immer spürte er einen Kloß im Hals und schluckte ihn eilig herunter.

„Weißt du, Dad, du könntest ein Dutzend Anwesen hier in der Umgebung kaufen und verkaufen. Und alle würden die Kincaid-Ranch in den Schatten stellen.“

„Es geht doch nicht ums Geld, Schatz“, erwiderte er und wünschte, sein einziges Kind könnte ihn verstehen. Aber im Gegensatz zu ihm kannte sie keine drückende Armut, hatte nicht die Sticheleien reicherer Kinder in Whitehorn ertragen müssen, die er zu hören bekommen hatte, als er hier aufwuchs. Am schlimmsten waren die abfälligen Kommentare und der gemeine Spott gewesen, mit denen die Kincaid-Jungs ihn bedacht hatten. „Nein, es geht überhaupt nicht ums Geld, Hope“, wiederholte er mit leicht rauer Stimme. „Es geht um Stolz. Um Familienehre. In dieser Welt zählt nichts anderes, und du solltest es langsam begreifen.“

„Wann, sagtest du, wollte Garrett zurückkommen?“, fragte Gina und überlegte dabei, wie sie es nur schaffte, mit diesem Mann Small Talk zu machen.

„Ich habe dazu nichts gesagt. Der Vorarbeiter …“

„Rand Harding“, fügte sie automatisch hinzu.

Trent nickte. „Er war sich nicht sicher, glaubte aber nicht, dass es lange dauern würde.“

Gina drückte sich im Geiste die Daumen. Je weniger Zeit sie allein mit Trent verbrachte, desto besser.

„So! Das ist doch eine hervorragende Gelegenheit, uns besser kennenzulernen“, schlug er, die Hüfte an das Geländer gelehnt, vor. „Wenn ich mich recht entsinne, gibt es noch unerledigte Punkte zwischen uns.“

Mehr, als du ahnst, dachte sie. Plötzlich war ihr Mund staubtrocken. Sie entschied, dass es wohl am besten wäre, das Geheimnis vorerst für sich zu behalten. Bis sie sich sicher war.

„Du sprichst von Dallas.“ Ihr Herz schlug rasend schnell, als sie an jene Nacht dachte. Er fixierte sie so intensiv, dass sie kaum zu atmen wagte. Gütiger Gott, wieso war sie nicht einfach immun gegen ihn? Wieso hatte sie ihn nach dieser unglaublichen Nacht, die sie miteinander erlebt hatten, nicht einfach vergessen? Wieso verhielt sie sich wie ein vollkommener Idiot, wenn es um ihn ging? „Ich finde nicht, dass wir das vertiefen sollten.“

„Wieso nicht?

Unausgesprochene Vorwürfe schwangen in seinen Worten und hingen in der warmen Frühlingsluft. „Weil es unsinnig ist. Wir haben eine Nacht miteinander verbracht. Es war ein Fehler, und damit hat es sich.“

Er griff nach ihrem Arm, als befürchtete er, dass sie flüchten würde. „Es hat sich wohl nicht so ganz. Immerhin sind wir jetzt beide hier.“

„Na und? Dann sind wir das eben“, antwortete sie patzig. Sie wünschte, sie wäre an jedem anderen Ort auf der Welt als hier, von Angesicht zu Angesicht mit ihm, Schuhspitze an Schuhspitze, Sandale an abgewetztem Stiefel, wo sie seine von der Arbeit aufgerauten Fingerspitzen auf ihrer Haut spürte und den schwachen Duft des Aftershaves roch, das er auch an ihrem ersten Abend getragen hatte. Einen Moment lang dachte sie, er würde sie so küssen wie in Dallas. Ihr steckte ein Kloß im Hals, und sie musste alle Kraft aufbringen, um ihren Arm loszureißen. „Ich finde trotzdem nicht, dass wir uns mit alldem befassen müssen.“

Glücklicherweise trottete der alte Hund die Stufen hinauf und legte sich zu ihren Füßen. „Du bist ja mal ein Wachhund“, meinte sie, dankbar für die Entschuldigung, nicht in Trents still anklagende Augen schauen zu müssen. Sie beugte sich nach unten und kraulte dem Faulpelz die Ohren. Mit seinen dunklen Augen schaute er sie schmachtend an. Eine nasse pinkfarbene Zunge lugte seitlich aus seinem Maul heraus, und er rollte sich auf den Rücken, um ihr seinen Bauch zum Streicheln anzubieten.

„Anscheinend hast du einen Freund fürs Leben gewonnen“, stellte Trent fest.

Und gerade jetzt brauche ich jeden einzelnen davon, dachte sie bei sich.

Das Geräusch eines Lastwagenmotors drang an Ginas Ohren, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie ein großer Pick-up schwerfällig den Weg entlangrumpelte. Über und über mit Getreidesäcken beladen, saß die Ladefläche schon fast auf den Reifen auf. Hinter dem Lenkrad, mit einer Fliegersonnenbrille auf der Nase, saß Garrett Kincaid, der Patriarch einer Brut von sechs, vielleicht sogar sieben unehelichen Enkeln. Genau genommen hatte Gina nie einen der erwachsenen Männer und Frauen getroffen, durch deren Adern Kincaid-Blut floss.

Außer Trent.

Und dieses Treffen hatte sich als Riesendesaster erwiesen. In seinem Fall – und nur in seinem Fall – hatte sie zugelassen, dass ihre persönliche Neugier über ihre selbst auferlegte Regel, sich von ihren Kunden fernzuhalten, siegte.

„Siehst du? Jetzt musstest du gar nicht mehr so lange warten“, stichelte Trent sarkastisch. „Lass uns ein wenig mit Opapa plaudern gehen. Kommst du?“

Sowie er nach ihrem Handgelenk griff, beschleunigte sich ihr Puls. Mit weiten, ausladenden Schritten zog er sie hinter sich her auf seinem Weg zu den Ställen, wo Garrett unter einer einzelnen Kiefer geparkt hatte.

„He, warte einen Moment“, sagte sie, während sie neben ihm herjoggte, um mit ihm mitzuhalten. Sie riss ihren Arm los. „Ich … Äh, ich denke, es wäre das Beste, wenn Garrett nichts darüber erfahren würde, was sich in Dallas zwischen dir und mir abgespielt hat“, gab sie zu bedenken. Sie bemerkte, wie ihre Wangen Farbe annahmen, was allerdings nichts mit der Hitze der Sonne zu tun hatte. Ohne darauf zu antworten, wartete er, die Augen zusammengekniffen. Die Sehnen an seinem Hals traten vor Anspannung deutlich über dem Kragen seines Shirts hervor.

„Weil er es nicht gutheißen würde?“

„Nicht deshalb. Aber …“

„Mach dir meinetwegen keine Sorgen, Schätzchen. Ich bin kein Mann, der aus dem Nähkästchen plaudert.“ Trents Lächeln war zuckersüß.

Sie kam sich so dermaßen dumm vor! „Gut. Denn das, was zwischen uns beiden passiert ist, hatte rein gar nichts damit zu tun, dass du Garretts Enkel bist. Du bist der einzige, dem ich je begegnet bin, und … na ja …“ Ihre Stimme brach ab; es hatte keinen Sinn, das weiter auszuführen.

„Der einzige. Heißt das, du hast Blake nicht kennengelernt?“

Sie nickte. „Oder einen der anderen Brüder.“

Er erstarrte. „Andere Brüder?“

„Garrett hat nichts erwähnt?“, fragte sie zögernd.

Seine Miene wurde hart. „Wieso tust du es nicht?“

Wer A sagt, muss wohl auch B sagen, schätzte sie. Er würde es sowieso früh genug erfahren. „Larry Kincaid hat sechs uneheliche Söhne gezeugt, sehr wahrscheinlich sogar sieben.“

Misstrauisch kniff Trent die Augen zusammen. „Willst du damit etwa sagen, dass es außer meinem Zwillingsbruder und mir noch fünf weitere gibt? Dass ich fünf Halbbrüder habe?“

„Na ja, eigentlich hast du sechs Halbbrüder, ohne deinen Zwilling, und eine Halbschwester. Mit seiner Frau Sue Ellen hatte Larry einen Sohn, Collin, und eine Tochter, Melanie. Die übrigen Kinder sind das Ergebnis seiner Affären mit mehreren Frauen.“

Trent starrte sie an, als sei sie völlig übergeschnappt. „Das kann nicht sein“, stieß er hervor, während das Förderband, das die Heuballen verlud, ruckelte und ein Kalb auf einem nahe gelegenen Feld klagend brüllte. „So dämlich ist niemand. Nicht heutzutage.“

„Das kann dir Garrett alles viel besser erklären“, wiegelte sie ab, nachdem ihr klar wurde, dass sie schon zu viel preisgegeben hatte. „Er kann dir von deinem Vater erzählen.“

„Lass uns eine Sache klarstellen“, erwiderte er leise. Seine Nasenflügel bebten nur ein klein wenig, als er sich zu ihr hinabbeugte, fast so, als wolle er sie mit diesen unglaublich blauen Augen durchbohren. „Larry Kincaid ist nicht mein Vater. Es braucht schon sehr viel mehr als nur einen One-Night-Stand, damit sich ein Mann diesen Titel verdient.“

„Wahrscheinlich.“ Bei der Ironie, die in seinen Worten lag, musste sie schwer schlucken.

Er warf einen Blick hinüber zum Parkplatz, wo Garrett in der Nähe der Ställe aus seinem Wagen stieg „Und was die Vorfälle in Dallas betrifft: Ich behalte es für mich. Vorerst.“

„Gut.“

„Und jetzt ist es wohl an der Zeit, mit dem alten Mann reinen Tisch zu machen.“ Damit schritt er zum Auto hinüber und ließ Gina allein zurück. Sie fühlte sich wie ein Volltrottel.

Trent stürmte auf den Mann zu, der behauptete, sein Großvater zu sein, gerade als der Alte um den zerbeulten Kotflügel des Lastwagens lief.

„Du bist sicher Trent.“ Garrett nahm seine Sonnenbrille ab, verstaute sie in einer Tasche in seinem verwaschenen Karohemd und streckte die Hand aus. „Ein bisschen früh hier angekommen, was?“

„Ich konnte wohl nicht länger warten.“

„Na gut.“ Garrett lächelte unerschütterlich. „Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen. Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“

Trent ergriff die Hand, die ihm der Alte reichte. Garretts Händedruck war stark und selbstsicher, das Gesicht wettergegerbt, sein glattes Haar fast völlig ergraut. Eine Spur indianischen Blutes floss in seinen Adern, die kupferfarbene Haut und die hohen Wangenknochen zeugten davon, doch seine Augen waren von einem überraschenden Blau. So durchdringend, dass sie, so schätzte Trent, jeden Unsinn, der dem Alten erzählt wurde, sofort durchschauen konnten.

„Also, wie soll ich dich jetzt nennen? Opa?“ Der sarkastische Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. Trent hatte vor langer Zeit gelernt, sich nicht auf die Familie zu verlassen. Ein Mann musste sein Glück in der Welt allein machen. Basta. Er vertraute niemandem.

„Garrett genügt.“

„In Ordnung.“

„Womöglich sollte ich damit beginnen, mich für meinen Sohn zu entschuldigen.“ Der Blick des alten Mannes nahm einen schmerzvollen Zug an. „Ich hatte keine Ahnung, dass es dich oder einen der anderen überhaupt gab.“ Er hob beide Hände, und aus dem Augenwinkel bemerkte Trent, dass Gina ihnen nun im Schatten des Baumes Gesellschaft leistete. Auch der Hund folgte ihrem Beispiel und lief nun über den Kies, der von Sonnenlicht besprenkelt war, um sich zu Garretts Füßen zu legen.

„Es ist nicht deine Schuld.“

Garrett rieb sich das Kinn. „Nein. Das heißt allerdings nicht, dass ich mich nicht schlecht oder verpflichtet fühle, es bei dir und den anderen wiedergutzumachen.“

„Vielleicht will niemand etwas haben?“

„Vielleicht.“ Garrett klang skeptisch, und Trent wurde klar, dass es sich hier um einen aufrichtigen Mann handelte, einen Mann, der sich für seinen Sohn schämte. Für Trents biologischen Vater.

Als Vater oder Vorbild muss Larry Kincaid offenbar die weit schlimmere Wahl gewesen sein. Denn Trents Mutter hatte Harold Remmington als den Vater der Zwillinge ausgegeben. Harold war ein anständiger Kerl gewesen, zumindest schien es Trent so. Wenn man Schwächlinge mochte. Trent mochte sie nicht.

Aber, verdammt noch mal, Larry Kincaid?

„Wie ich sehe, hast du Gina schon kennengelernt“, meinte Garrett und deutete mit dem Kinn in ihre Richtung.

„Gerade eben.“

Gina – wenn das ihr wirklicher Name war – rang sich ein Lächeln ab, das bestenfalls einstudiert wirkte. Oh, sie war ein echter Hingucker, das musste er ihr lassen. In der Terrassenbar des DeMarco-Hotels war sie ihm auf Anhieb aufgefallen. Sie war allein in die Bar spaziert, und ihm war gewesen, als hätte er die sanfte Berührung eines Fingers an seinem Nacken gespürt. Er hatte aufgesehen und dabei die schönste Frau erblickt, die ihm seit langer Zeit begegnet war. Ihr rotes Haar, in sanften Stufen geschnitten, umrahmte ein vollkommenes ovales Gesicht, dessen blasse Haut ein paar Sommersprossen schmückten. Tiefgrüne Augen mit golden schimmernden Wimpern schienen im Mondlicht zu funkeln. Ihre vollen Lippen umspielte ein sanftes Lächeln, das er absolut hinreißend fand und sein Untergang gewesen war. In dem Moment, als er sie zum ersten Mal wahrgenommen hatte, hatte er sich dafür entschieden, sie zu verführen.

Gerade fiel ihm noch das rosige Leuchten auf, das ihre Wangen färbte. Sie war also verlegen? Das sollte sie auch sein. Sie hatte ihn belogen. Und war erwischt worden. Für Lügner hatte Trent nichts übrig. Sie waren für ihn schlimmer als Schwächlinge.

„Tatsächlich sind wir uns schon einmal begegnet“, gab sie zu und schüttelte Garrett mit einer Vertrautheit die Hand, die Trent störte. Als würden sie ein gemeinsames, sehr privates Geheimnis teilen, eines, das auch ihn betraf. „Ganz kurz. In Dallas.“

Garrett zog zwar eine silbergraue Augenbraue hoch, aber er kommentierte das nicht weiter.

„Vielleicht sollten wir woandershin gehen und das alles bereden“, regte Trent an, der sich plötzlich unbehaglich fühlte. Er schaute zum Himmel, wo ein Falke Kreise zog, und weit darüber sah er den Kondensstreifen eines Düsenjets, der den weiten Himmel Montanas in zwei Teile trennte.

„Gute Idee. Treffen wir uns im Haus“, schlug Garrett vor. „Ich nehme an, ihr habt beide Gepäck dabei?“

„Meins ist im Wagen, aber ich nehme mir ein Zimmer in der Stadt“, stellte Gina eilig klar.

Garrett blickte finster drein. „Unsinn. Wir haben reichlich Platz, und ich wüsste dich gern in der Nähe.“

Sie würde einziehen? Hier?

„Lass uns deine Taschen reinbringen.“

„Und was ist mit dir?“ Er schaute zu seinem Enkel.

„Ich habe schon mit Rand gesprochen. Er hat mir ein Zimmer im Haupthaus gezeigt. Anscheinend hat er angenommen, dass es für dich okay ist.“ Trent besah sich das zweistöckige Haus, das auf einer kleinen Anhöhe thronte.

„Absolut. Solange ihr euch alle hier einlebt.“

„Zumindest für eine Weile“, schränkte Trent ein. Er kratzte sich am Unterarm und stellte die Frage, die ihn schon seit Längerem beschäftigte: „Ich nehme an, du hast Blake kontaktiert?“

„Ja, ich habe heute Morgen mit ihm gesprochen. Er meinte, er würde dich anrufen.“

„Er hat mich wohl nicht erreicht.“

„Hast du denn nicht mit ihm telefoniert?“

„Nein.“

Trent schüttelte den Kopf und ging nicht weiter darauf ein, während er und Garrett Gina zu ihrem Auto begleiteten. Es gab schließlich keinen Grund, die Probleme, die zwischen ihm und seinem Zwillingsbruder bestanden, hier zu diskutieren. Er hatte sowieso das Gefühl, dass alles früh genug ans Tageslicht kommen würde.

„Blake wird nächste Woche hier sein“, meinte Garrett. Gina öffnete den Kofferraum. „Wie die anderen auch.“

Trent sah sich einem halben Dutzend Taschen gegenüber. Leichtes Reisegepäck schien für diese Dame ein Fremdwort zu sein. „Also ein richtiges, ordentliches Familientreffen?“, kommentierte Trent und zog eine mittelgroße Tasche heraus.

„Eher ein außerordentliches“, korrigierte Garrett.

Mit zusammengekniffenen Augen dachte Trent an seinen Erzeuger. „Acht Kinder von sechs verschiedenen Frauen. Wusste Larry denn gar nichts über Verhütungsmittel?“

„Sieht nicht so aus.“ Garrett verzog das Gesicht und griff sich ebenfalls eine Tasche. „Andererseits würde ich sagen, dass du wirklich froh darüber sein kannst.“

3. Kapitel

Gina ließ ihren Koffer auf das Bett fallen. Am liebsten hätte sie sich selbst in den Hintern getreten. Trent Remmington! Wieso war ausgerechnet er als Einziger unangemeldet erschienen? Welch eine grausame Ironie war das? Mit jedem anderen Spross wäre sie klargekommen, aber nicht mit Trent. Zumindest nicht, bis sie sicher war, dass sie ihm wieder gegenübertreten könnte. Was vielleicht niemals der Fall sein würde. Aber das alles hatte sich nun geändert.

Sie hängte ein paar Kleider in einen Schrank, der die Größe eines Sarges hatte, legte mehrere Paar Jeans und T-Shirts neu zusammen und anschließend alles in eine große Eichenkommode. Als sie ihr Bild in dem gesprungenen ovalen Spiegel betrachtete, der über der Kommode angebracht war, bemerkte sie ihre zerzausten Haare und die Überbleibsel dessen, was einmal ihr Make-up gewesen war.

„Na, super“, brachte sie stöhnend hervor. Missmutig war sie und nicht ganz auf dem Damm. Und das wahrscheinlich nur, weil sie Trent wieder gegenübertreten musste. Es gab sonst keinen Grund dafür, oder?

Sie biss sich auf die Unterlippe und berührte sanft ihren festen flachen Bauch.

War es möglich? Könnte sie schwanger sein? Das Wiedersehen mit Trent hatte ihre Sorgen nur verstärkt. Sie hatte nie zu den Frauen gehört, deren Menstruation sich mit der Genauigkeit eines Uhrwerks einstellte, aber selbst für ihre Verhältnisse war sie überfällig.

„Das sind nur deine Nerven“, versuchte sie, sich zu beruhigen, griff nach ihrer Bürste und machte sich daran, ihr verheddertes Haar zu bändigen. „Dieser Fall hat dich völlig verwirrt.“

So ganz war sie davon jedoch nicht überzeugt. Sie drehte ihr Haar zusammen, steckte es mit einer Klammer fest und trug anschließend etwas Lippenstift auf, bis sie mit ihrem Aussehen zufrieden war. Seufzend setzte sie sich auf die Kante des schmalen Bettes und fragte sich, wie lange sie es wohl ertragen würde, diesen Raum ihr Zuhause zu nennen. Ein sonnengebleichter Teppich bedeckte den Holzfußboden, und ein kleiner Schreibtisch, den man in eine Ecke gestellt hatte, fungierte gleichzeitig als Nachttisch. Da der Raum leicht moderig roch, öffnete sie ein Fenster, und die frische Luft bauschte die alten Spitzengardinen auf.

Von ihrem Aussichtspunkt im zweiten Stock aus konnte sie den Hund dabei beobachten, wie er sich den Weg zu einer alten Eiche erschnüffelte, anhielt und ein Eichhörnchen beäugte, das in den Zweigen des Baumes herumkletterte. Auf der anderen Seite des Zaunes grasten auf einer Weide ruhig einige Stuten, deren Fell in der Sonne glänzte. Fohlen mit langen, spindeldürren Beinen sprangen so ausgelassen auf und ab und tollten herum, dass Staubwolken aufwirbelten. Ein nahe gelegenes Feld war so groß, dass sie die Umzäunung nicht sehen konnte. Dort trampelte eine Rinderherde am Ufer eines Flusses entlang, der durch die üppigen Weiden lief.

Gina wunderte sich über die Männer und Frauen, die hier lebten, so weit weg von einer Großstadt. Sie beobachtete Garrett und einen strammen Mann in Cowboyhut und staubigen Jeans dabei, wie sie die Futtersäcke von der Ladefläche des Pick-ups luden. Das Förderband stand still, und auf dem Traktor saß wieder ein Helfer. Laut brummend fuhr der alte John Deere durch ein offenes Gatter, während er eine schwarze Rauchwolke ausstieß.

Pferde wieherten, Rinder brüllten, und eine Wespe summte und arbeitete fleißig an einem schlammigen Nest, das direkt unter dem Dachvorsprung hing. Gina sog die frische Luft ein, die nach Frühlingsblumen und frisch gemähtem Gras roch, dann seufzte sie.

„Der Himmel auf Erden“, hörte sie, fuhr herum und sah Trent in der Tür stehen, eine Schulter gegen den Türrahmen gelehnt, die Arme über der Brust verschränkt.

„Sieht ganz danach aus.“

„Selbst für eine Städterin?“

„Vor allem für eine Städterin.“

Zu ihrer Überraschung betrat er das Zimmer und warf die Tür ins Schloss. „Ich glaube, wir sollten reden“, meinte er und griff sich den Schreibtischstuhl. Mit einem Schwung drehte er ihn um, nahm rücklings darauf Platz und legte seine Arme auf der Rückenlehne ab. „Du fängst an.“

„Womit?“

„Damit, dass du mir sagst, was hier vor sich geht. Mit dem Alten, mit dir – wer immer du auch bist. Beginnen wir mit Dallas.“

„Das war ein Fehler“, stellte sie fest und begegnete ruhig seinem Blick. „Ich glaube, das ist uns beiden bewusst.“

„Es war kein abgekartetes Spiel?“

„Bitte? Abgekartet? Was …?“ Sie starrte in seine wuterfüllten blauen Augen, und plötzlich verstand sie. „Du glaubst, ich hätte geplant, dich zu treffen und … und was?“

„Mich zu verführen.“

Fast hätte sie aufgelacht. Der Mann hatte seinen Verstand verloren. „Bilde dir bloß nichts ein, Remmington. Ich hatte zu viel getrunken. Du auch. Ich wusste nicht, dass du in der Nacht in der Hotelbar sein würdest und …“

„Du wusstest, wer ich war. Ein klarer Vorteil, würde ich sagen.“

„Es war kein Spiel.“

„Nein?“ Während er sich das Kinn rieb, blickte er finster drein. „Fühlt sich jetzt aber so an. Und zwar wie eines, das ich irgendwie verloren habe.“ Durchdringend sah er sie an. „Ob du es glaubst oder nicht, ich bin es nicht gewöhnt, zu verlieren.“

Dieser Mann reizte sie so ungemein. Andererseits war er aber auch jemand, mit dem sie sich wohl oder übel auseinandersetzen musste. „Ich weiß.“

„Genau das ist es ja. Du weißt alles über mich.“ Er stand auf, überwand die wenigen Meter, die sie trennten, und baute sich so groß vor ihr auf, dass sie fast zum offenen Fenster zurückgewichen wäre. Doch sie blieb standhaft. „Und ich weiß nichts über dich, nicht wahr?“

„Außer dem, was ich dir erzählt habe.“

„Richtig. Also lass uns etwas sehr Wichtiges klarstellen. In meinem Leben schnüffelt niemand herum. Punkt. Und ich vertraue niemandem, der mich belogen hat. Schon zwei Treffer, die du in diesem kleinen Theaterstück, das ja kein Spiel ist, gegen dich erzielt hast. So wie ich das sehe, bist du bei drei Treffern disqualifiziert.“

Sie ermahnte sich, nicht aufzubrausen. An ihrer Beherrschung festzuhalten. Doch es ging nicht. Es war einfach nicht ihre Art. „Hör mal genau zu, Trent – ich darf dich doch so nennen, in Anbetracht der Umstände? ‚Mr. Remmington‘ scheint da etwas zu förmlich zu sein. Ja, ich wurde von Garrett engagiert, um dich zu finden. Nicht um in deinem Privatleben herumzuschnüffeln, sondern um dich ausfindig zu machen und zu ermitteln, ob du einer von Larry Kincaids Söhnen bist. Das ist alles. Ich habe dich in der Nacht in Dallas angelogen, weil ich … ich …“

„Weil du deine Tarnung nicht auffliegen lassen wolltest?“

„Na ja, so würde es wahrscheinlich ein Fernseh-Cop ausdrücken. Aber ich habe mir gesagt, ich würde sowieso keinen der Kincaid-Nachkommen treffen. Dass ich das so professionell wie möglich handhaben würde und dann … Okay, ich hab’s vermasselt. Zugegeben, als ich dir in der Nacht über den Weg gelaufen bin und du angefangen hast, mit mir zu flirten, konnte ich nicht anders. Du bist eben einfach zu unwiderstehlich. Ist es das, was du hören wolltest?“

Er betrachtete sie mit einem Ausdruck, als könne er nicht glauben, was er da hörte. Sie konnte es ja selbst nicht glauben! Nur leider konnte sie nicht mehr an sich halten, denn sie war noch lange nicht fertig mit ihm.

„Also, die Antwort auf deine Frage ist …“, sie schloss den Abstand zwischen ihnen bis auf wenige Zentimeter und warf ihm einen derart zornigen Blick zu, als würde sie nicht innerlich zittern. „Dich zu treffen war nicht Teil irgendeines miesen Plans oder einer Gaunerei oder wie auch immer du es nennen möchtest. Wie schon gesagt, es war ein Fehler. Vielleicht einer, über den wir hinwegkommen sollten, geht das?“

Blitzschnell fasste er sie am Handgelenk. „Hinwegkommen? Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber so etwas passiert mir nicht jeden Tag.“

„Oh, lass mich damit in Ruhe.“ Demonstrativ sah Gina zu seiner Hand. „Und nimm die gefälligst weg. Ich falle nicht auf deine Neandertaler-Praktiken rein.“ Sofort ließ er sie los. Demonstrativ ging sie um ihn herum, nahm ihre Laptop-Tasche und öffnete sie. „Gibt es sonst noch etwas, wozu du mich verhören willst?“, erkundigte sie sich, wobei sie über ihre Schulter schaute und danach ihren schicken kleinen Computer auf den Schreibtisch neben ihrem Bett stellte.

„Ich wollte nur die Dinge zwischen uns klären.“

„Soeben geschehen.“ Sie fand eine Steckdose, schloss ihr Gerät an und sah sich dann – sie versuchte, ihr wildes Herzklopf zu ignorieren – suchend nach einer Telefonbuchse um.

Als hätte er ihr Dilemma verstanden, erklärte er: „In den Zimmern gibt es keine Anschlüsse. Ich habe das schon überprüft.“ Er zeigte mit dem Daumen auf die Wand und fügte hinzu: „Ich bin im Zimmer nebenan.“

Ihr Magen zog sich zusammen. Er war nah. Viel zu nah. Nur eine Tür den Flur entlang? In einem Haus mit sieben Schlafzimmern. Das war einfach … toll!

„Ich habe schon mit Garrett darüber gesprochen und die örtliche Telefongesellschaft instruiert, noch ein paar Anschlüsse zu legen. Aber das wird seine Zeit dauern.“ Er ging zur Tür und öffnete sie schwungvoll, spazierte hindurch und warf ihr über die Schulter zu: „Wie ich schon sagte: Das hier ist nicht L. A.“

Dann stimmte es also, dachte Jordan und schob seinen Teller ans andere Ende des Tisches. Er hatte sich ein ausgiebiges, wenn auch spätes Mittagessen gegönnt, bei dem er sich den Tratsch angehört hatte, der um ihn herumschwirrte wie ein Schwarm Moskitos über stehendem Gewässer. Garrett Kincaid hatte mithilfe einer Privatdetektei aus Kalifornien Larrys uneheliche Brut aufgespürt. Außerdem hatte er es geschafft, die Ranch in Besitz zu nehmen, die Jordan als sein ganz persönliches Erbe betrachtete. Natürlich war er herausgedrängt worden. Die Versprechungen seines Onkels Cameron waren nichts als heiße Luft gewesen. Wieder einmal hatten die Kincaids den Baxters einen Tritt in den Hintern versetzt.

Zur Hölle!

Mit finsterem Blick rührte Jordan in seinem Kaffee und spürte, wie sein Blut in Wallung geriet. Doch irgendwie schaffte er es, seine Zunge im Zaum zu halten. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, dass es besser war, es jemandem heimzuzahlen, als wütend zu werden. Doch das erforderte eine beträchtliche Menge an Selbstkontrolle.

Jordan nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse, beäugte die Desserts, die in der Dreh-Auslage langsam auskühlten, und entspannte sich allmählich in seiner Nische. Er war allein, was seiner Ansicht nach auch gut so war. Seit er als mehrfacher Millionär nach Whitehorn zurückgekehrt war, hatte er viele sogenannte Freunde gewonnen, aber er traute keinem von ihnen über den Weg. Er wusste, dass sie ihn nur wegen seines Geldes mochten und für all das, was er für sie tun konnte. Ja, er entwickelte sich hier in der Stadt zu einem mächtigen Mann, und er hatte sich in seiner Rolle ganz wohlgefühlt. Bis Wayne Kincaid sein Angebot ausgeschlagen hatte, die Ranch zurückzukaufen, die sein Erbe hätte sein sollen.

„Wie wäre es mit einem Stück Kuchen?“ Janies Frage riss ihn aus seinen hasserfüllten Gedanken. Sie war ein süßes Ding und wirklich äußerst effizient. Das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, stets ein freundliches Lächeln auf den Lippen, leitete die Oberkellnerin und Möchtegern-Geschäftsführerin inzwischen das Hip-Hop-Café. „Wir haben frischen Erdbeer-Rhabarber-Kuchen, den magst du doch am liebsten.“

„Schon. Aber ich glaube, ich passe.“

„Dein Pech“, zog sie ihn auf und schenkte ihm Kaffee nach.

„Hey, was hört man da über Garrett Kincaid? Er hat Wayne die Ranch abgekauft und will sie nun mit Enkeln bevölkern, die Larry im ganzen Land gezeugt hat?“

Feine Fältchen bildeten sich zwischen Janies Augenbrauen, und sie zögerte. Eigentlich neigte sie nicht dazu, zu tratschen – anders als die meisten ihrer Gäste. „So heißt es zumindest. Aber ich habe nicht selbst mit Garrett darüber gesprochen, also ist es einfach nur ein Gerücht.“ Als die Eingangstür geöffnet wurde und eine Gruppe Teenager eintrat, knallte sie eilig Jordans Rechnung auf den Tisch. „Ruf mich an, wenn du es dir mit dem Kuchen anders überlegst, ja?“

„Mach ich.“ Er griff nach seinem Geldbeutel und beäugte die Menschenmenge. Da war Lily Mae, das größte Klatschmaul der Stadt, wie üblich todschick zurechtgemacht in einem engen lavendelfarbenen Pullover und einer passenden Hose. An einem anderen Tisch hatte Winona Cobbs ihren ergrauten Kopf eingezogen und Christina Montgomery, die jüngste Tochter des Bürgermeisters, in ein leises Gespräch verwickelt.

Er hörte den Namen Kincaid an mehreren Tischen in dem brechend vollen Café mehrmals fallen.

„Gleich sechs! Unglaublich!“, war von Lily Mae zu hören. „Und alle von verschiedenen Müttern, abgesehen von den Zwillingen natürlich“, spie sie einer Frau gegenüber aus, die Jordan nicht erkannte. „Und es ist von einem weiteren die Rede. Ich kann dir sagen! Egal, was man sonst von Larry Kincaid hält, ein Charmeur war er allemal.“

Jordan schnaubte und trank seinen Kaffee aus.

Er hatte genug gehört. Larry Kincaids uneheliche Söhne würden bald wie die Heuschrecken über die Stadt herfallen. Nachdem er mehrere Scheine, inklusive eines großzügigen Trinkgeldes, herausgezogen und hingelegt hatte, warf er seine Serviette auf den Tisch. Genau das fehlte der Stadt. Noch mehr Kincaids und dann auch noch Bastarde.

Na ja, dachte er bitter, ging gedankenverloren bei Rot über die Straße und wich dabei einem Sportwagen aus, der die Hauptstraße entlangraste. Waren nicht alle Kincaids Bastarde?

Wieso hatte er nur zugelassen, dass diese Frau ihm so unter die Haut ging? Trent überlegte hin und her, während er half, die Futtersäcke erst abzuladen und sie dann später in den Ställen zu verstauen. Sie hatte herumgeschnüffelt, ihn angelogen, und er hatte ihr in jener einen heißen Nacht in Dallas nicht widerstehen können. Na und? Vergiss sie. Er musste sie noch ein paar wenige Tage hier in Whitehorn ertragen, und dann würde er wegfliegen und sie für immer verlassen.

Richtig?

Er biss die Zähne zusammen. Mit seinem ganzen Körpereinsatz wuchtete er die Säcke näher an die Wand und stapelte sie ordentlich übereinander. Das Gefühl, dass Gina anders war, versuchte er zu ignorieren. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die man liebte und dann verließ, zu jenen Frauen, die er mit einem einmaligen sexuellen Abenteuer verband. Sein Mund wirkte ganz verkniffen. Vor Jahren noch hätte er auf keinen Fall lange darüber nachgedacht, wenn es darum ging, eine Frau kennenzulernen und mit ihr zu schlafen. Doch mit dem Alter war er wählerischer geworden, passte auf, beherrschte sich. Schließlich hatte er gelernt, dass die Menschen – Frauen eingeschlossen – ständig etwas von ihm wollten, manchmal mehr, als er zu geben bereit war.

Also ging er besonnen vor. Bis zu jener verdammten Nacht in Dallas.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Garrett, zog den letzten Sack vom Pick-up und warf ihn auf den Stapel. Für einen alten Mann war er stark, ein fleißiger Arbeiter, obwohl Trent aufgefallen war, dass er leicht humpelte und ihm der Schweiß über den Nacken den Rücken hinunterlief. Garrett zog seine ramponierten Lederhandschuhe aus und legte sie auf ein Fass Haferflocken. „Du siehst so aus, als würde dich etwas beschäftigen.“

„Ich muss über vieles nachdenken.“

„Müssen wir das nicht alle?“ Gemeinsam schlenderten sie im schwindenden Sonnenlicht zum Haupthaus. An der hinteren Veranda angekommen, zogen sie ihre Stiefel von den Füßen und gingen in die Küche. Dort führte eine hübsche Frau mit dunklen hochgesteckten Haaren, die gerade in den Ofen spähte, die Aufsicht über die Kochtöpfe auf dem Herd. „Das Hühnchen ist bald fertig“, meinte sie und sah Garrett mit dunklen leuchtenden Augen an. „Ich püriere eben noch schnell die Kartoffeln, dann könnt ihr im Esszimmer Platz nehmen. Oh, hallo.“ Sie erblickte Trent, wischte sich eine Hand an der Schürze ab und streckte sie ihm entgegen. „Ich bin Suzanne.“

„Rands Frau“, ergänzte Garrett. „Mein Enkel, Trent Remmington. Ich habe Suzanne gebeten, in der Küche einzuspringen, bis ich jemanden finde, der die Arbeit hier übernimmt. Suzanne ist eigentlich Buchhalterin in der Stadt.“

„Das heißt, wenn ich nicht gerade die Superköchin Julia Child spiele“, zog sie ihn auf. Beim Anblick der gespielten Entrüstung auf Garretts Gesicht musste sie lachen.

„Mir macht es nichts aus“, beruhigte sie ihn, nahm sich ein paar Ofenhandschuhe und trug einen Topf mit gekochten Kartoffeln zum Spülbecken. Einen Großteil des Wassers schüttete sie weg, etwas fing sie in einer kleineren Schüssel auf. „Seit ich mein Baby, Joe, bekommen habe, geht es im Job ein bisschen langsamer zu. Die Buchführung mache ich nur noch für ein paar Leute. So.“ Den Topf mit den Kartoffeln stellte sie auf die Theke, dann öffnete sie die Ofentür und zog ein paar goldbraun gebackene Hähnchen heraus. „Ich muss noch die Soße machen. In ungefähr fünfzehn Minuten wird serviert. Dann muss ich allerdings auch schon nach Hause. Ich habe Joe bei meinem Bruder gelassen.“ Sie verdrehte grinsend die Augen.

„Mack ist ein guter Junge, aber so viel Zeit mit seinem Neffen zu verbringen, erträgt er nur selten.“ Bei dem Gedanken lachte sie hell auf. „Er ist siebzehn, und wenn es um Babys geht, hat er zwei linke Hände. Andererseits ist es wahrscheinlich an der Zeit, dass er etwas über Kinder lernt, bevor er sich mit einem Mädchen einlässt und selbst eins bekommt.“

„Die beste Art der Empfängnisverhütung“, bemerkte Trent leichthin.

Suzannes Lächeln verschwand, und auch Garrett wirkte ernüchtert. „Wir sollten uns um den Abwasch kümmern.“

Da ihm klar wurde, dass der Alte offensichtlich Schwierigkeiten mit den Abenteuern seines Sohnes hatte, sagte Trent nichts mehr. Er ging über einen langen Flur zur Haupttreppe, doch am Torbogen, der zum Wohnzimmer führte, verlangsamte er seine Schritte. Ginas gedämpfte Stimme drang zu ihm.

„Ich habe gesagt, ich komme zurück, sobald die Angelegenheit beendet ist, Jack“, fuhr sie hitzig auf. Dann wartete sie ein paar Sekunden, während der Kerl am anderen Ende der Leitung seinen Teil sagte. „Ja, ich weiß. Ich weiß. Ich bringe es so schnell wie möglich zu Ende.“

Und wieder war Ruhe.

Trent sagte sich, dass er weitergehen müsste, dass sie etwas Privatsphäre verdiente. Doch dann erinnerte er sich daran, dass sie sich um die Wahrung seiner Privatsphäre überhaupt nicht geschert hatte. Soweit er wusste, hatte sie ihre Nase in seine intimsten Angelegenheiten gesteckt.

Hast du nicht auch das Gleiche bei ihr versucht? Hast du nicht einen Privatdetektiv angeheuert, der Celia O’Hara ausfindig machen sollte? Und als das nicht gefruchtet hat, ihn darauf angesetzt, Garrett Kincaids Leben zu durchleuchten?

Den plötzlichen Angriff seines Gewissens ignorierte er.

„Ich weiß nicht, Jack“, erwiderte Gina und seufzte schwer geplagt. „Ich bin immer noch an der Sache dran. Aber ich komme bald zurück, versprochen.“ Dann lachte sie. Jenes tiefe kehlige Lachen, das auch schon in Dallas seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Kurz durchzuckte ihn Eifersucht. „Ja, ich vermisse dich auch … Ach, komm schon. Du weißt, dass es so ist. Bitte? Hörst du wohl auf, dir Sorgen zu machen? Ich kann sehr gut allein auf mich aufpassen.“ Und wieder hatte er wohl etwas unheimlich Amüsantes gesagt, denn nun kicherte sie. „Also gut, ich denk daran. Wenn ich nicht in ein paar Tagen zurück bin, musst du eben ohne mich weitermachen. Und ja, ich bin sicher, es bricht dir das Herz, aber glaube mir, Jack, du packst das.“ Wieder hörte sie ihm zu, dann stöhnte sie theatralisch. „Ich auch. Okay, ich muss jetzt los. Ich rufe wieder an.“ Eine Minute lang herrschte Stille, während der Kerl am anderen Ende sich seinerseits verabschiedete. „Ich liebe dich auch“, sagte sie, bevor sie auflegte.

Trent, der sich wie ein Spion fühlte, erwog kurz, über die Treppe nach oben und in sein Zimmer zu verschwinden. Dann kam ihm das aber hinterhältig vor, wo er sich doch rühmte, so geradlinig zu sein.

Die Fäuste in die Hosentaschen gerammt, schlenderte er ins Wohnzimmer. Sie saß, in einer Ecke der geblümten Couch, die schon bessere Tage gesehen hatte, eingekuschelt, und starrte in den kalten Kamin. „Dein Freund?“, fragte er sie.

Sie war überrascht. „Bitte?“

Er deutete auf das Telefon. „Ich habe das Ende deiner Unterhaltung mit deinem Freund mitbekommen. Klingt fast, als würde er dich vermissen.“

Ein kleines Lächeln stahl sich in die Winkel ihrer vollen Lippen. „Oh, das tut er“, bestätigte sie nickend. Aus ihren grünen Augen sprühte Belustigung, als ob sie ihn gerade auf die Schippe nahm.

„Ein besonderer Typ?“ Er konnte nicht anders, er musste fragen. Dabei versuchte er gleichzeitig, einen weiteren Stich dieser elenden Eifersucht zu ignorieren.

„Sehr.“ Die Art, wie sie ihren Kopf hielt, zeigte deutlich ihren Stolz. Dieser Mann bedeutete ihr sehr viel. Sonnenlicht fiel durch das Fenster und verfing sich in den feurig roten Strähnen ihres Haares.

„Kennst du ihn schon lange?“

„Mein ganzes Leben lang.“

Das störte Trent. Dieser Jack hatte erlebt, wie sie aufwuchs. Er dagegen hatte sie erst vor wenigen Wochen kennengelernt. „Dann ist er der Junge von nebenan?“

„So könnte man das sagen.“ Jetzt ist sie mehr als amüsiert, dachte er. Wie sie da mit angezogenen Beinen auf dem ausgeblichenen Sofa saß, mit einem Notizbuch auf dem Schoß, gab sie ein heimeliges warmes Bild ab. Es schien, als gehöre sie in dieses Haus mit der veralteten vergilbten Tapete und der eigentümlichen Sammlung an Erinnerungsstücken. An den Wänden hingen alle möglichen Arten von Waffen, Geweihen und Tierköpfen, Trophäen aus längst vergangenen Jagden, die nun Staubfänger im Arbeitszimmer waren. Am Ende des Flures gab es sogar einen Schaukasten mit alten Western-Kostümen und Utensilien der amerikanischen Indianer.

Trent schlenderte zum Kamin. „Dieser Kerl … Jack“, meinte er beiläufig mit einem Kopfnicken in Richtung Telefon. „Weiß er von mir?“

„Er hat von dir gehört, ja.“

„Und von Dallas?“

Sie errötete und schüttelte den Kopf. „Nein. Und ich hoffe, er findet es nie heraus.“ Sie legte ihren Notizblock zur Seite, zögerte, sagte dann aber doch: „Ich dachte, wir wollen das, was geschehen ist, vergessen?“

„Kannst du das?“

Sie biss sich auf die Lippe. Jedes Anzeichen von Belustigung war aus ihrem Gesicht gewichen. „Ich weiß es nicht“, gab sie zu, und es war die erste Aussage, die er ihr glaubte. „Aber ich werde mir Mühe geben. Die allergrößte Mühe. Da wir beide hier sind, mag es die nächsten paar Tage schwierig werden, aber ich werde mich bemühen, über den Dingen zu stehen.“ Sie kniff die Augen ein klein wenig zusammen. „Das heißt, wenn du endlich aufhören würdest, es mir ständig vorzuhalten. Weißt du, es ist ja nicht so, als wäre das allein meine Schuld gewesen. Wie heißt es doch so schön? ‚Es gehören immer zwei dazu.‘“

„Ja, aber eine Person war aufrichtig.“

„Dann versetze mir doch ein Dutzend Peitschenhiebe mit einer neunschwänzigen Katze, oder stell mich an den Pranger, oder brandmarke mein T-Shirt mit einem scharlachroten Buchstaben oder …“ Sie schnippte mit den Fingern und sprang wütend auf die Beine. „Nein! Ich weiß etwas viel Besseres! Wieso reitest du nicht einfach ständig darauf herum, um mir Schuldgefühle zu machen, hm? Wie wär’s denn damit?“ Mit diesen Worten drehte sie sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Zimmer.

Er wollte ihr folgen, doch sie warf ihm einen derart kalten Blick über die Schulter zu, dass selbst Quecksilber gefroren wäre. „Lass es, ja? Lauf nicht hinter mir her, sag kein Wort! Und wenn ich das nächste Mal telefoniere, schiele nicht durchs Fenster, und lausche nicht am Schlüsselloch. Es geht dich wirklich nichts an.“

„Und genau da liegst du falsch, mein Schatz“, meinte er lang gezogen. „Du hast damit angefangen, deine Nase in mein Leben zu stecken. Erinnerst du dich? Nicht umgekehrt. Und darum denke ich, dass alles, was du hier tust, mich sehr wohl etwas angeht.“

„Geh mir einfach aus dem Weg.“

„Das könnte sich als unmöglich erweisen.“

„Versuch es, ja?“ Wie ein Blitz war sie aus dem Zimmer und die Treppen hoch verschwunden.

Gerade als Trent sich fragte, wo der alte Mann in diesem Haus den Whiskey aufbewahrte, hörte er Suzanne Harding rufen: „Alles klar, das Essen ist fertig. Kommt- und holt es euch!“

Garrett hatte keine Ahnung, was in Trent und Gina gefahren war, aber es gefiel ihm nicht. Nein, das gefiel ihm ganz und gar nicht. Während der gesamten Mahlzeit – Suzanne hatte leckeres Hühnchen, Kartoffelpüree und Soße, Apfelmus und grüne Bohnen zubereitet – stocherten sie lustlos in ihrem Essen herum, taten ihr Möglichstes, den jeweils anderen zu ignorieren, und zwangen sich ein Lächeln auf die Lippen, das bei beiden gekünstelt und angespannt wirkte.

Da war etwas im Busch.

Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er gedacht, dass sie eine Art Krach unter Liebenden ausfochten. Denn danach sah es aus. Obwohl es eigentlich unmöglich war. Sie kannten einander ja kaum.

Trent, der seinen Teller zur Seite schob, sagte schließlich: „Okay, dann erzähl mir von diesen anderen ‚Brüdern‘, die ich habe. Wie hast du von uns erfahren?“

Garrett schob seinen Stuhl von der langen Tafel zurück und ging die wenigen Schritte zum Sideboard, wo Suzanne eine Kanne Kaffee bereitgestellt hatte. Nachdem er drei Tassen eingeschenkt hatte, stellte er diese auf den Tisch und entgegnete: „Eigentlich wollte ich es euch allen zusammen erklären, aber da du schon hier bist, kann ich auch zur Sache kommen.“ Er nahm erneut auf seinem Stuhl Platz und spürte die schmerzende Arthritis in seiner Hüfte, die er aber ignorierte. Der Versuch, die unverantwortlichen Handlungen seines einzigen Sohnes zu erklären, fiel ihm schwer. „Lasst uns hinausgehen und auf die Veranda setzen.“

Obwohl die beiden im Laufe des Abends kein einziges höfliches Wort miteinander gewechselt hatten, folgten sie Garrett durch die Verandatür zu einem Picknicktisch mit Bänken. Gina folgte Garretts Beispiel und setzte sich an den Tisch. Trent blieb auf der Veranda stehen und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Säule, die das Dach stützte.

„Na, dann schieß mal los“, forderte Trent ihn auf.

Garrett umfasste seine Tasse mit beiden Händen. Jetzt kam der schwierige Teil der Geschichte. Das alles schmerzte ihn unheimlich. Als Larry vor über 50 Jahren geboren worden war, wäre Garrett vor Stolz fast geplatzt. Ein Sohn! Ein gesunder, gut aussehender, kräftiger Junge. Doch mit den Jahren erwies sich Larry als widerspenstig, leicht reizbar, selbstsüchtig und faul. Schlimmer noch, schon als Teenager hatte er seine Hände nicht von den Frauen lassen können. Aber das alles war sehr lange her.

„Das ist nicht einfach, verstehst du? Ein Kind zu begraben ist eine qualvolle Erfahrung. Egal, wie schwierig es gewesen ist.“ Garrett runzelte die Stirn und betrachtete nachdenklich die dunkle Flüssigkeit. „Als Larry starb, hat es mich fast umgebracht“, gab er zu und gestand sich selbst die große Leere ein, die er in seinem Herzen hatte. „Kurze Zeit vorher war Laura von uns gegangen, und ich war einfach nur dankbar, dass sie nicht mehr lebte.“ Er schürzte die Lippen und unterdrückte den Schmerz, der ihn immer überkam, wenn er an seine Frau und an seinen Erstgeborenen dachte. „Jedenfalls bin ich nach Larrys Tod seine Habseligkeiten durchgegangen und habe dabei einen Schlüssel für ein Schließfach bei einer örtlichen Bank gefunden. Vor Jahren hatte Larry mich gebeten, für das Schließfach zu unterschreiben. Das hatte ich völlig vergessen. Als ich es öffnete, lag ein Brief von Larry darin, an mich oder Collin adressiert …“

„Seinen ehelichen Sohn?“, vermutete Trent.

„Richtig. Außerdem enthielt es noch eine kleinere Box, und das wichtigste Dokument darin war ein Brief, der alle Einzelheiten über die anderen Kinder, die Larry gezeugt hatte, enthielt und alles erklärte.“ Er hob eine Hand. „Da waren Namen, Daten, einige Adressen, Bilder und annullierte Schecks, Notizen, Babyfotos, Geburtsurkunden. Selbst Kopien alter Schulzeugnisse. Er muss alles aufbewahrt haben, was ihm je in die Finger gekommen ist. Ich nehme an, er hat diese Dinge in dem Schließfach aufbewahrt, damit im Falle seines Todes jemand in der Familie über dich und deine Brüder Bescheid weiß.“

„Wie aufmerksam von ihm“, erwiderte Trent sarkastisch.

„Es ist wenigstens etwas. Nicht besonders viel, da hast du recht“, bestätigte ihm Garrett, der wünschte, es gäbe einen Weg, seinen Sohn zu entschuldigen. „Aber zumindest habe ich so von euch erfahren.“

„Niemand wusste über uns Bescheid?“

„Soweit ich das beurteilen kann, nur die Mütter. Und sie hielten alle den Mund.“

„Wieso?“

„Ich weiß es nicht.“

„Ein paar von ihnen wurden bezahlt“, warf Gina ein.

„Willst du damit sagen, dass sie ihn erpresst haben oder dass man ihnen Schweigegeld bezahlte? Meinst du das?“

Gina zuckte mit den Schultern.

„Wer weiß“, sagte Garrett. „Ich fand, ich sollte sie in Ruhe lassen. Das ist eine Sache zwischen den Müttern und ihren Söhnen.“

Trent schnaubte verächtlich. „Der Begriff ‚zerrüttete Familie‘ wäre für diese hier noch schmeichelhaft.“ Er schüttete den Rest seines Kaffees auf den ausgetrockneten Rasen.

„Dann ist es wohl höchste Zeit, dass wir das geraderücken.“

„Womöglich ist es dafür zu spät.“

„Wir werden das wohl erst erfahren, wenn wir es versuchen, nicht wahr? Also? Versuchen wir es?“, erkundigte sich Garrett, bevor Trent Gina einen letzten Blick zuwarf und wortlos hineinging.

Gina bemühte sich, gleichgültig zu wirken. Doch Garrett hatte schon mehr als genug Zeit in seinem Leben mit Männern und Frauen verbracht, sodass es ihm leichtfiel, zu erkennen, wenn zwei Menschen aneinander interessiert waren. Und bei Trent und Gina ging es weit darüber hinaus.

Gina hatte zugegeben, dass sie Trent in Dallas getroffen hatte.

Garrett überlegte, was vorgefallen war. Aber er fragte nicht. Vielleicht war es besser für ihn, wenn er es nicht wusste.

4. Kapitel

So viel zum Thema Stille auf dem Land, die sie in den Schlaf wiegen würde. Gina warf die Decke ihres winzigen Bettes zurück und tapste barfuß durch den Raum zu ihrem Morgenrock – einem kurzen Etwas aus Baumwolle, das besser als Überwurf für den Strand taugte, aber leicht und somit einfach einzupacken war. Lautlos schlich sie die Treppen hinunter und zur Hintertür hinaus. Der Mond stand hoch am schwarzblauen Himmel, der mit Millionen Sternen übersät war – viel mehr Sternen, als sie jemals gesehen hatte.

Die Arme fest um ihren Körper gelegt, eilte sie einen ausgetretenen Pfad entlang zu den Ställen. Dort betrachtete sie, über das Geländer des Gatters gelehnt, die dunklen Silhouetten der Pferde, die sich in der Finsternis bewegten. Die Luft war warm, eine leichte Brise wehte durch das frisch gemähte Heu und spielte über ihrem Kopf mit den Zweigen einer Kiefer.

Friedvoll. Ruhig. Ein wunderbares Panorama. So anders als das geschäftige Treiben in L. A., einer Stadt, in der zu jeder Tages- und Nachtzeit das Brummen des Verkehrs, das Piepen von schlüssellosen Schlössern und die schreienden Sirenen überall zu hören waren. Hier waren die einzigen Ablenkungen von einer reinen, beinahe schon himmlischen Ruhe das Zirpen von Grillen, das Quaken von Fröschen und ein gelegentliches Wiehern der Pferde.

Dass Trent Remmington in dem Zimmer im Haupthaus neben ihrem schlafen musste! Unglaublich! Ihre Finger verkrampften sich um den obersten Balken. Stille und Seelenfrieden. Pah! Warum war sie so dumm gewesen und hatte sich auf ihn eingelassen – wenn man das so nennen konnte. Grausamere Beobachter konnten das, was zwischen ihnen vorgefallen war, durchaus als einen One-Night-Stand oder einen Aufriss in einer Bar titulieren.

Diese Begriffe ließen sie innerlich zusammenzucken. Sie war nie der Typ gewesen, der sich leicht auf jemanden einließ. Wenn je ein Name zu ihr gepasst hatte, dann Eisprinzessin, wegen ihrer abwehrenden Haltung gegenüber Männern. Zumindest während der ersten paar Dates. Als Kind hatte sie mitansehen müssen, wie ihre geschiedene Mutter sich abmühte, um über die Runden zu kommen. Nur um letzten Endes einen Mann zu heiraten, um finanziell abgesichert zu sein. Damals hatte Gina entschieden, dass sie diesen Pfad nicht beschreiten würde. Auf gar keinen Fall. Nie. Niemals würde sie ihr Glück oder ihr Selbstwertgefühl für einen Mann – egal für welchen – opfern. Und so hatte sie nie einen gefunden, der sie wirklich interessiert hatte.

Bis auf Trent. Dieser verdammte Kerl! Vom allerersten Moment an, als sie Larry Kincaids Schachtel mit den Erinnerungsstücken geöffnet hatte, war sie von Trent Remmington fasziniert gewesen. Trent, der „böse Zwilling“, war so aufsässig und wild gewesen wie sein Bruder Blake gut und pflichtbewusst. Trent trank, rauchte, fuhr Motorrad und Boote, ritt auf Pferden, alles in halsbrecherischer Geschwindigkeit, und besaß auch noch die Vorladungen von Gerichten und die blauen Flecke und Narben, um diese Erfahrungen zu belegen.

Eine Vielzahl an Babysittern und Nannys hatte er verschlissen, und er hatte es sogar geschafft, aus mehr als einem Internat zu fliegen. Gina hatte sich beim Lesen seines Profils augenblicklich zu dem sexy respektlosen Rebellen hingezogen gefühlt. Mit fünfzehn hatte er einen wartenden Bus „ausgeliehen“ und versucht, ihn durch den Drive-in-Schalter eines örtlichen Burger-Ladens zu fahren. Mit sechzehn sprang er auf einen Güterwaggon und fuhr quer durch das Land. Mit siebzehn stieg er in die efeubewachsenen Hörsäle seines exklusiven Internats ein, um einen Test zu stehlen, woraufhin er der Schule verwiesen wurde. Ein paar Jahre später, nachdem er sein Studium geschmissen hatte, bluffte er sich durch ein Pokerspiel mit hohen Einsätzen, das er zum Schluss gewann. Er hatte seinen Sportwagen gesetzt. Am Ende ging er daraus nicht nur als Eigentümer seines Sportwagens hervor – für den er Blake immer noch fünftausend Dollar schuldete, die der ihm geliehen hatte –, sondern ihm gehörte auch die Urkunde für ein Stück Land, auf dem er schließlich Öl fand.

Der Satansbraten, der um Haaresbreite im Gefängnis gelandet wäre, endete als hitzköpfiger Ölmagnat, der plötzlich, ohne Collegeabschluss und einen Großvater oder Vater, der ihm den Weg geebnet hätte, zu Reichtum kam. Mit Glück, Mut und Köpfchen hatte er seine Millionen gemacht.

Trent war nicht nur gut gebaut, attraktiv und mit einem umwerfenden Lächeln gesegnet, er war auch ein verlorenes Kind gewesen, ein Teufelsbraten von einem Teenager und ein Mann, der allen Widerständen zum Trotz alles wiedergutmachte.

Autor

Lisa Jackson
Ihre Schwester animierte Lisa Jackson zum Schreiben. Mittlerweile zählt sie zu den amerikanischen Top-Autorinnen, ihre Romane erobern regelmäßig die Bestsellerlisten. Die Schriftstellerin hat zwei erwachsene Söhne und lebt im Bundesstaat Oregon.
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<p>Als Cindy Gerard anfing, ihr erstes Manuskript zu schreiben, wollte sie vor allem eins: es auch beenden. Der Gedanke, es zu verkaufen, kam ihr viel später. Und erst, als sie einen Verlag gefunden hatte, der es veröffentlichen wollte, wurde ihr klar, dass es nicht bei diesem einen Werk bleiben würde....
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