Am Ende dieser Nacht

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Seit vier Jahren hatte Alison keinen Sex mehr! Und John Tyler scheint die Idealbesetzung für eine lustvolle Affäre zu sein. Doch der gut aussehende Rancher ist nicht nur viel jünger als sie - zudem hat Alison noch immer das Gefühl, ihrem verstorbenen Mann David treu sein zu müssen. Nach einer Party jedoch siegt ihr Verlangen! John verwöhnt sie so sinnlich, dass Alison einen Höhepunkt nach dem anderen erlebt. Endlich scheint das Glück zu ihr zurückgekehrt zu sein! Aber zu ihrer Überraschung flüchtet John aus ihrem Haus, als er ein Bild von David sieht ...


  • Erscheinungstag 17.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747626
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Keine Frage. Es wäre anständiger von ihm gewesen, ihr gleich zu helfen. Aber das Schauspiel, das sich John Tyler bot, war einfach zu schön. Vor ihm im Staub wälzte sich die neue Tierärztin mit einem störrischen Kalb. Sie versuchte verzweifelt, das unbändige junge Tier niederzuringen, um ihm eine Spritze zu verpassen. Aber bisher war Alison Samuels weit davon entfernt, das Tier in den Griff zubekommen. Das Kalb führte deutlich nach Punkten.

Grinsend verfolgte John Tyler das Getümmel. Aber auch wenn er sich auf fremde Kosten amüsierte, hielt sich sein schlechtes Gewissen in Grenzen. Erstens hatte sie sich jede Einmischung ausdrücklich verbeten. Zweitens war der Anblick der tapferen Ärztin in ihrer engen Jeans, der sich ihm bei dieser Gelegenheit in unterschiedlichen Perspektiven bot, wirklich nicht zu verachten. Tyler schob seinen Cowboyhut Marke Resistol in den Nacken, setzte einen Stiefel auf die unterste Latte des Weidezauns und lehnte entspannt mit den Ellenbogen oben auf dem Zaun.

Die neue Tierärztin war eine hübsche, kleine Person. Ihr langes blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen. Als John sie heute Morgen angerufen hatte, wirkte sie am Telefon professionell und kompetent. Als sie dann hier ankam, war er überrascht gewesen, dass diese Stimme einer Frau gehörte, die er spontan als niedlich beschreiben würde. Aber was sich jetzt gerade vor seinen Augen abspielte, wirkte erheblich weniger professionell, doch es war nicht ohne Reiz. Einige Strähnen hatten sich aus dem blonden Schopf gelöst und ihr Gesicht war vor lauter Anstrengung gerötet. Ganz kurz überkam John der Gedanke, dass er jetzt selbst gern die Stelle des Kalbs einnehmen würde.

Es war wirklich merkwürdig, dass ausgerechnet sie, eine Städterin aus Kansas City, nach Sundown, Montana gekommen war, um hier in der tiefsten Provinz die Praxis des alten Viehdoktors Sebring zu übernehmen. Man konnte sie sich eher im kleinen Schwarzen auf einer Cocktailparty vorstellen. Wenn man sah, wie sie jetzt vergeblich versuchte, dem Kalb ihren Willen aufzuzwingen, wie sie die Hacken ihrer Stiefel in den Boden stemmte und sich bemühte, das Tier festzuhalten – wobei John jetzt schon sagen konnte, dass das auf diese Weise nie funktionieren konnte –, war es ziemlich offensichtlich, dass sie es in ihrer bisherigen Laufbahn höchstens mit Katzen, Hunden und Kaninchen zu tun gehabt hatte.

Hier aber standen knapp siebzig ziemlich schlecht gelaunte Kilo Lebendgewicht gegen sie. Das Kalb brüllte unwillig und stieß den Kopf nach oben. Mit voller Wucht traf es dabei das Kinn der Tierärztin. John verzog das Gesicht. Das sah schmerzhaft aus. Er kannte diese Kopfstöße aus eigener Erfahrung. Aber eines musste man ihr lassen: Mumm hatte sie. Verbissen kämpfte sie weiter, als ginge es darum, einen Rodeopreis zu gewinnen, obwohl sie ganz sicher Sterne sah.

John Tyler fluchte leise. Er konnte diesem Fiasko nicht länger zusehen. Mit einem schnellen Sprung setzte er über den Zaun, nahm das Tier in den Schwitzkasten und warf es auf die Seite.

„Ich habe Sie nicht um Hilfe gebeten“, stieß Alison Samuels atemlos hervor. Schnell holte sie die Spritze aus der Tasche, zog mit den Zähnen die Schutzhülle von der Nadel und spritzte dem Kalb das Antibiotikum in den Hals.

John grinste spitzbübisch. „War ganz sicher überflüssig. Aber ich fand es einfach ungerecht, dass Sie den ganzen Spaß für sich alleine haben.“

Er ließ das Kalb laufen, das laut brüllend zu seiner Herde und seinem Muttertier zurücklief. Während er aufstand und sich den Staub von der Jeans klopfte, schaute er in ein Paar graublaue Augen und in ein Gesicht, das so ebenmäßig und zart war, dass er unwillkürlich an feines Porzellan denken musste.

Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde sie wütend werden. Dann aber schüttelte sie den Kopf und konnte schon wieder lachen. „Ich werde doch einem Jungen nicht sein Spielzeug wegnehmen.“ Nach einer kleinen Pause rang sie sich ein nicht eben überschwängliches, aber immerhin ernst gemeintes „Dankeschön“ ab, während sie die Plastikhülle wieder über die Nadel schob und die Spritze in ihrer Arzttasche verstaute.

Vielleicht war es die spöttische Bemerkung über den Jungen und sein Spielzeug, vielleicht ihre Verbissenheit, mit der sie den aussichtslosen Kampf mit dem Kalb ausgefochten hatte, vielleicht auch einfach nur die Freude darüber, sie wieder lächeln zu sehen – und beim Lächeln einer schönen Frau wurde John jedes Mal schwach. Jedenfalls sagte er etwas, worüber er sich selbst wunderte: „Wie wär’s, wenn ich Sie zum Essen ausführen dürfte als Dankeschön?“

Alison Samuels zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie packte ihre Sachen zusammen, wusch sich die Hände in einem bereitstehenden Eimer mit Wasser und trocknete sich ab. Dann ging sie zu ihrem Pick-up. Dort kramte sie eine Weile in einer Kühlbox und brachte schließlich zwei Ampullen zum Vorschein. Sie zog zwei Spritzen auf, sicherte die Nadeln und drückte sie John, der ihr gefolgt war, in die Hand.

„Unser Patient wird diese Dosis noch brauchen – eine morgen und die andere übermorgen. Wenn Sie dann immer noch keine Besserung feststellen können, rufen Sie mich an.“

Er steckte die Spritzen in die Brusttasche seines Hemds. „Mach ich. Und was wird aus unserem Essen?“

Sie überhörte die Frage. Sie klappte die Kühlbox zu, stellte ihre Tasche auf der Ladefläche ab und ging um ihn herum zur Fahrertür. „Schönen Tag noch, John.“

Aber John hielt die Tür fest, bevor sie sie zuwerfen konnte, und grinste. „Sagen Sie doch J.T. zu mir. Alle meine Freunde nennen mich J.T.“

Von ihrem Fahrersitz schaute sie streng auf ihn herab. „Ich muss jetzt los.“

Verdammt, an der Frau ist was dran, dachte John bewundernd. Zwar waren ihr noch die Spuren der Anstrengung in der Mittagshitze anzusehen. Um die Schläfen und in ihrem Nacken ringelten sich verschwitzte Haarsträhnen, auf ihrer Stirn konnte man noch Reste des Drecks sehen, in dem sie sich eben noch mit dem Kalb gewälzt hatte. Aber selbst in diesem Zustand war sie in Johns Augen eine Frau, die ein Date wert war, selbst wenn man sich wie jetzt eine Abfuhr holte.

Er bemerkte, wie sich an ihrem Kinn allmählich ein schwarz-blauer Bluterguss abzeichnete, dort, wo der Kopf des Kalbs sie getroffen hatte. Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Stelle. „Sie sollten besser etwas Eis darauf tun“, riet er.

„Wenn ich dazu komme, mach ich das.“

„Warten Sie eine Sekunde. Ich hole Ihnen etwas.“

„Machen Sie sich keine Mühe.“

„Doch. Rühren Sie sich nicht vom Fleck. Ich bin gleich wieder da.“

Noch bevor sie protestieren konnte, lief er schnell in die Werkzeugkammer in der Scheune. Dort lagen im Kühlschrank Kühlkompressen, denn auf einer Ranch musste man immer auf Blessuren vorbereitet sein. Mit einer davon lief er zurück zum Wagen.

Zögernd nahm Alison die angebotene Hilfe an. „Danke.“

„Wie gesagt: Nehmen Sie meine Einladung an. Das wäre Dank genug.“

Sie verdrehte die Augen. „Können Sie nicht endlich damit aufhören?“, fragte sie unwirsch. „Sie kennen die Antwort doch.“

„Es macht mir aber trotzdem Spaß, Sie zu fragen.“

„Ich glaube, es macht Ihnen Spaß, mich zu ärgern. Ich verstehe auch gar nicht, warum Sie so scharf darauf sind, mit mir essen zu gehen.“

„Wirklich nicht? Dann schauen Sie doch gelegentlich mal in den Spiegel.“

Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, und John wurde sich plötzlich der sengenden Sonne bewusst, in der er stand.

„Danke für das Kompliment. Sie sind ein netter Bursche.“

„Ja, und außerordentlich gut aussehend noch dazu“, fiel er ein und freute sich über das Lächeln, das über ihr Gesicht huschte. Das Geplänkel zwischen ihnen begann ihm Spaß zu machen.

„Und dabei so außerordentlich bescheiden“, spottete sie.

„Aber im Ernst“, begann er von neuem. „Was ist denn dabei, zusammen etwas zu essen? Sie müssen es ja nicht als ein Rendezvous auffassen. Nehmen Sie es einfach als nachbarschaftliche Geste.“

Sie drehte den Zündschlüssel und startete den Motor. „Geben Sie sich keine Mühe“, sagte sie und sah ihn scharf von der Seite an. „Und wenn Sie lieber einen anderen Tierarzt nehmen wollen, mit dem Sie essen gehen können, bin ich Ihnen auch nicht böse.“

John hob abwehrend die Hand. Das war wirklich eine harte Nuss, die er hier zu knacken hatte. Aber warum wehrte sie sich so? Er wollte mit ihr essen gehen und nicht ins Bett – obwohl … Hatte er nicht für einen winzigen Moment in ihren Augen so ein merkwürdiges Funkeln gesehen, als er das über den Spiegel sagte?

Mehr Zeit zu überlegen blieb ihm nicht. Alison Samuels hatte den Gang eingelegt und Gas gegeben. Er blieb in der Staubwolke zurück, die die Räder des Pick-ups aufwirbelten.

„Verdammt noch mal“, fluchte John Tyler in sich hinein. Dann drehte er sich um und ging in den Stall. Wovor fürchtete sie sich? War es der Altersunterschied? Acht Jahre lagen zwischen ihnen – er war zweiunddreißig und sie vierzig. Das wusste er von seiner alten Freundin Peggy Reno, die in der kurzen Zeit schon recht vertraut mit der neuen Tierärztin war. Ihm machte der Unterschied nichts aus. Alison Samuels war eine umwerfende Frau. Aber offenbar auch eine sehr komplizierte.

John holte Sattel, Decke und Halfter aus der Sattelkammer und ging zur Box seiner Lieblingsstute Snowy. Seine Gedanken drehten sich immer noch um Alison. Sie war nicht nur anziehend, sondern auch intelligent und – im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen in seinem Leben – erfahren. Sex mit ihr musste großartig sein, stellte er sich vor. Und da war noch etwas: Alles sprach dafür, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die alles zerredeten oder einen gleich vereinnahmen wollten.

Er trat in den Stall und sprach Snowy mit sanfter Stimme an: „Na, mein Mädchen, jetzt kannst du dir deinen Hafer verdienen.“ Bevor er sie sattelte, striegelte er die Stute. Dabei wanderten seine Gedanken wieder zu Alison Samuels graublauen Augen, deren Farbe ein wenig an Salbeiblätter erinnerte. Augen, die immer sehr wachsam blickte, so als wäre sie stets auf Distanz bedacht.

Ihm konnte das nur recht sein. Ihm lag sehr daran, seine Privatsphäre zu wahren. Jeden Tag hatte er zu kämpfen, musste er darauf achten, nicht wieder in dieses schwarze Loch zu fallen – eine Depression, die ihn sonst tagelang nicht losließ. Meistens gewann er diesen Kampf. Aber an manchen Tagen brachte er es nicht fertig, sich gegen die Bilder zu wehren, die ihn verfolgten – Bilder vom Krieg.

Das waren dann Tage, in denen er niemanden um sich herum und kaum sich selbst ertragen konnte. Wenn es einigermaßen gut ging, schaffte er es, Snowy zu satteln, und auf einem langen, einsamen Ritt der Dunkelheit in seinem Inneren zu entfliehen. Wenn es schlecht ging, schloss er sich in seinem Schlafzimmer ein und verkroch sich bei zugezogenen Vorhängen, unfähig, etwas anderes zu tun als warten, bis die Attacke vorüberging. Dann fühlte er sich wie das elendste Geschöpf auf Erden, ohne Kraft, ohne Kontrolle über sich selbst.

Posttraumatisches Stress-Syndrom hatten die Seelenklempner bei den Marines das genannt. Das Trauma dieses Kriegs lag nun schon über zwei Jahre zurück. Aber die Folgen waren geblieben. Er hatte selbst in den Kampf ziehen wollen. Er hatte sogar bei den Eignungstests gemogelt, damit er vorn an der Front stehen konnte und nicht auf einem Posten an irgendeinem Schreibtisch oder Computer landete. Ganz vorn war er dann auch gewesen, allerdings nicht mit einem Gewehr in der Hand, sondern mit Mullbinden und Jodtinktur. Sie hatten ihn in den Lazarettdienst gesteckt, und das Grauen, das er dort gesehen hatte, hatte sich ihm unauslöschlich eingebrannt.

Posttraumatisches Stress-Syndrom – das klang so schön gelehrt. Für ihn war es etwas anderes: Schwäche. Eine Schwäche, die er sich nicht verzieh und für die er sich so schämte, dass er sie vor der ganzen Welt verstecken wollte. Dieses Versteckspiel war ihm bisher gelungen. Wer immer nach John Tyler fragte, bekam zur Antwort: J.T.? Ein Sunnyboy! Immer gut drauf, immer ein Grinsen im Gesicht. Flirtet mit jedem Mädchen. Aber es soll keine glauben, sie könnte ihn jemals an die Leine nehmen.

Jemanden zu dicht an sich heranzulassen vermied John schon deshalb, weil er es nicht zulassen konnte, eine Frau in das hineinzuziehen, was er von Zeit zu Zeit durchmachen musste. Wenn eine Frau anfing, stärkeres Interesse zu zeigen, wenn sie offenbar mehr wollte als ein Abenteuer und anfing, ihre Lebensgeschichte zu erzählen, und von ihm vielleicht sogar etwas Ähnliches erwartete, war er weg.

Merkwürdigerweise kam es ihm vor, als ginge es seiner neuen Tierärztin ähnlich wie ihm. Irgendetwas lag in ihrem Blick, als hüte sie ein Geheimnis, als gäbe es etwas in ihrer Vergangenheit, das sie sorgfältig unter Verschluss hielt. Er wollte es gar nicht so genau wissen. Und er war sich sicher, dass auch sie es nicht wollte.

„Was meinst du, mein Mädchen“, murmelte er, während er Snowy über den Hals strich, „eigentlich ist sie doch genau die Richtige: hübsch, unabhängig und an Verwicklungen absolut nicht interessiert.“

Snowy hielt ganz still, als er ihr die Decke und den Sattel auflegte.

John zog die Gurte an. „Könntest du auch mal was dazu sagen? Nein? Dann eben nicht.“

Er führte die Stute ins Sonnenlicht auf den Hof und stieg auf. Es würde wieder ein langer Ritt werden. Was er brauchte, war eine Herausforderung, ein Ziel, anstatt sich von einem Tag zum anderen zu retten. Und Alison Samuels für seine Auffassung von einem Abenteuer zu gewinnen, war bestimmt ein lohnendes Ziel, das ihn eine Zeit lang von seinen schwarzen Schatten ablenken konnte.

2. KAPITEL

Alison blickte versunken die verlassene Straße hinunter, die aus der Stadt hinaus in die Berge führte. Hinter der Gipfelkette, die sich am Horizont abzeichnete, versank orangerot die Sonne. Alison saß neben ihrer neuen Freundin Peggy Reno auf den Stufen ihrer Veranda. „Ich weiß nicht, Peggy. Manchmal glaube ich, hierher zu kommen war der größte Fehler meines Lebens.“

Sie schwiegen eine Weile. An dem Glas mit Eistee, das Alison in ihren Händen hielt, rannen die Wassertropfen herunter. Auch wenn ihre Freundschaft noch am Anfang stand, hatte Alison in dem einen Monat, den sie erst hier lebte, rasch Vertrauen zu Peggy gewonnen. Niemand anderes hatte ihr so viel Verständnis und Unterstützung entgegengebracht wie sie.

„Ich glaube, es ist ganz normal, dass dir ab und zu Zweifel kommen“, sagte Peggy schließlich. „Immerhin muss es für dich eine enorme Umstellung sein.“

Alison rieb sich das lädierte Kinn. „Das kann man wohl sagen. Die Hamster und Kätzchen, die ich in Kansas City verarzten musste, hatten bei weitem nicht so harte Schädel.“

Peggy streckte sich. Sie stand auf, um sich die Beine zu vertreten. Dann drehte sie sich zu Alison um. „Ich kann mir vorstellen, dass das alles ziemlich viel auf einmal ist: der Umzug, die Übernahme der Praxis, die Arbeit, die ganz andere Anforderungen stellt. Aber trotzdem glaube ich, dass dir etwas anderes noch mehr zu schaffen macht. Das hier ist nun mal nicht Kansas City.“

Alison schaute die Straße hinunter zur Stadt. Wie viele Straßen mochte es in Sundown, Montana geben? Bestimmt nicht mehr als ein paar Dutzend. Und diese Kleinstadt sollte jetzt ihre Heimat sein? Schwer vorstellbar, wenn man in Chicago aufgewachsen war und den Rest der Zeit in Kansas City gelebt hatte. Sie war im Grunde durch und durch eine Großstadtpflanze.

Im Gegensatz zu Peggy, obwohl man der das Landleben nicht ansah. Sie hatte braune Augen, langes, dunkelblondes Haar, war groß gewachsen mit einer tollen Figur und hätte selbst jetzt in ihren abgeschnittenen Jeans und dem schlichten roten Top den Models aus den Magazinen Konkurrenz machen können. Aber Peggy war in Sundown geboren und lebte hier mit ihrem Cowboy, Cutter Reno, einem Bild von einem Ehemann, und zog ihre Kinder groß. Sie hatte Sundown nie verlassen und würde es vermutlich auch niemals tun.

Alison wurde es ein wenig schwer ums Herz, als sie an Peggys Familienleben dachte. Seit Davids Tod vor vier Jahren hatte sie das Gefühl nicht mehr gekannt, morgens im Bett neben jemandem aufzuwachen. „Wie machst du das?“, fragte sie unvermittelt.

„Wie mache ich was?“ fragte Peggy mit einem zweideutigen Lächeln zurück, als hätte sie Alisons Gedanken erraten.

„Hier zu leben und zurechtzukommen, meine ich.“

„Für mich ist das nicht so schwer.“ Peggy steckte die Hände in die hinteren Taschen ihrer Shorts. „Ich kenne ja von klein auf nichts anderes. Wahrscheinlich hätte ich genauso große Schwierigkeiten, mich an ein Leben in der Großstadt zu gewöhnen wie du umgekehrt. Man muss sich Zeit damit lassen, sich einzuleben – gerade hier. Hier geht das Leben einen gemächlicheren Gang. Aber das hat ja auch seine Vorteile. Ach, apropos sich einleben“, wechselte Peggy plötzlich das Thema, „stimmt es, dass John Tyler dich schon ein paar Mal hat rufen lassen?“

„Zweimal. Woher weißt du das?“

„Der übliche Dorftratsch. Hat er versucht, dich anzubaggern?“

Alison zuckte verächtlich mit den Mundwinkeln. „Ich glaube, der kann gar nicht anders.“

„Und? Macht er Fortschritte?“, stichelte Peggy weiter und kicherte dabei.

„Peggy, bitte! Fang gar nicht erst nicht davon an. John Tyler interessiert mich nicht. Er ist ein Baby.“

Für die letzte Bemerkung erntete Alison schallendes Gelächter.

„Na schön, ich übertreibe etwas. Aber er ist trotzdem zu jung für mich.“

„Soll das heißen, dass er dich schon reizen würde, wenn die acht Jahre zwischen euch nicht wären?“

Alison gab einen ungeduldigen Laut von sich. „Oh Gott, Peggy, du bist fast schlimmer als er mit seiner Hartnäckigkeit. Ich sag es gern noch mal: keine Chance! Aber das scheint hier keiner zu begreifen.“

Peggy hob abwehrend die Hände. „Wenn du das sagst. Ich dachte nur, es wäre vielleicht nicht das Schlechteste für dich.“

„Hast du mir vor kurzem nicht selbst erzählt: ‚Nimm dich vor dem in acht. Der Junge macht nur Kummer‘?“

„Ja, schon – macht er auch. Aber eigentlich nur, wenn man zu viel von ihm erwartet.“

Alison runzelte die Stirn. „Mit anderen Worten: Er ist nur etwas für ein paar schöne Stunden?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Das ist nichts für mich.“

Peggy sah sie nachdenklich an. Dann setzte sie sich wieder neben ihre Freundin. „Pass auf. Ich erzähl dir etwas. J.T. ist im Grunde ein sehr feiner Kerl. Ich liebe ihn wie meinen Bruder. Da war schon mal mehr zwischen uns, aber das war, bevor ich mit Cutter zusammengekommen bin. Ich kenne ihn also recht gut. Das heißt, ich kannte ihn gut – bevor er vor ein paar Jahren aus Sundown wegging an die Westküste. Er hatte sich freiwillig zu den Marines gemeldet. Als er zurückkam, war er nicht mehr der Alte. Von da an hatte er auch einen ziemlichen Verschleiß an Frauen. Mehr Quantität als Qualität, wenn du verstehst, was ich meine.“

Peggy schüttelte den Kopf, als suchte sie noch immer eine Erklärung für das, was John Tyler so verändert haben mochte. Dann fuhr sie fort: „Trotzdem bin ich bis heute davon überzeugt, dass er ein großartiger Mensch ist. Ali, wir sind uns erst vor einem Monat begegnet. Aber ich glaube, ein kleines bisschen kenne ich dich auch schon. Das Merkwürdige ist, dass du mich immer ein wenig an J.T. erinnerst. Es kommt mir so vor, als würde euch beiden etwas fehlen, als ob ihr etwas braucht, das ihr euch aber gleichzeitig selbst verwehrt. Ich weiß nicht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass ihr das im anderen finden könntet.“

„Was ich je brauchte, habe ich in David gefunden“, sagte Alison ernst, „und das ist mit ihm gestorben.“ Sie wusste, dass ihre Freundin es gut mit ihr meinte. Peggy war die Einzige in Sundown, der sie von David und von ihrem Verlust erzählt hatte, und sie hatte ihr das Versprechen abgenommen, mit niemandem darüber zu reden. Sie war nicht zuletzt deshalb aus Kansas City weggegangen, weil sie es nicht mehr ertragen konnte, immer nur als Witwe wahrgenommen zu werden. „Ich kann dir versichern, dass ich nichts in John Tyler suche. Und ich kann dir auch versichern, dass er in mir nichts von dem finden wird, was er sucht, was immer es ist.“

Peggy griff nach Alisons Hand und drückte sie freundschaftlich. „Es ist natürlich deine Sache. Aber wenn du soweit bist, überleg es dir noch mal. Du solltest auch einmal an dich denken.“Peggy stand auf. „Ich muss jetzt gehen. Die Familie wartet.“

Alison erhob sich auch. „Okay. Grüß sie alle schön von mir. Ich hab auch noch zu tun. Ich will heute Abend noch das Wohnzimmer streichen.“

„Wenn das bis Samstag Zeit hat, kann ich dir helfen. Cutter bringt Shelby zu einem Wochenend-Camp, und meiner Mutter ist jeder Vorwand recht, auf Dawson aufzupassen, um ihn nach Strich und Faden zu verwöhnen.“

„Keine Sorge. Wenn du an deinem freien Tag wirklich nichts Besseres zu tun hast, bleibt immer noch genug Arbeit für uns beide. Der Makler hat wahrlich nicht übertrieben, als er sagte, das Haus sei renovierungsbedürftig.“

„Fein. Dann sehen wir uns also spätestens am Samstag.“

Sie verabschiedeten sich. Peggy ging zu ihrem Wagen, winkte noch einmal und fuhr davon. Alison schaute ihr lange nach. Die Renos waren eine großartige Familie. Cutter war nicht nur ein äußerst attraktiver Mann, sondern auch ein Ehemann, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Shelby war zehn, ein lebhaftes, aufgewecktes Mädchen, das es mit jedem Jungen aufnehmen konnte, der kleine Dawson war zwei, aber schon ganz das Ebenbild seines Vaters. Bevor sie länger an das Familienglück dachte, das ihr nicht vergönnt war, riss sie sich von ihren Gedanken los und machte sich an die Arbeit.

Nachdem sie zwei Stunden lang die Farbrolle und den Pinsel geschwungen hatte, war Alison der Meinung, dass es für diesen Tag genug war. Der Ringkampf mit dem Kalb steckte ihr noch in den Knochen. Sie nahm eine heiße Dusche, zog sich ein Nachthemd über und machte sich ein leichtes Abendessen. Es war fast zehn, als sie mit einem Glas Eistee auf die Veranda hinter dem Haus trat, um den Tag ausklingen zu lassen, bevor sie ins Bett ging.

Man muss sich Zeit lassen – gerade hier.“ Sie dachte an Peggys Worte und hoffte, dass die Geduld, die von ihr gefordert wurde, Früchte tragen würde. Sie musste sich eingestehen, dass gegenwärtig die Zweifel daran überwogen, ob ihr Entschluss wirklich der richtige gewesen war: Ihre Idee nämlich, David so nahe wie möglich zu bleiben, indem sie seinen Traum von einem Leben auf dem Land auch ohne ihn lebte. Aber was war schon richtig? Was hätte noch richtig sein können, nachdem der Krebs David besiegt hatte? Sie waren beide auf diesen frühen Tod nicht vorbereitet gewesen. Wie sehr hätte sie sich gewünscht, Davids Traum von einem kleinen, verträumten Ort im Westen gemeinsam mit ihm in Erfüllung gehen zu lassen und das alles hier zusammen zu genießen: die Berge, das freiere, ruhigere Leben, das als fester Bestandteil zu Amerikas Vergangenheit und, wie man an Sundown sah, auch zu seiner Gegenwart gehörte. Hier hätte es ihm gefallen, dachte Alison und versuchte ihre Tränen zurückzuhalten.

Alison gab sich einen Ruck. Es war spät geworden, und sie war müde. Welchen Sinn hatte es, hier draußen zu stehen und die Nacht mit Grübeleien darüber zu verbringen, was hätte sein können? Dazu war sie nicht hierher gekommen.

Sie war gekommen, weil sie dringend eine Veränderung brauchte. In Kansas City war es mit ihr bergab gegangen. Sie war in ihren Erinnerungen und in der Vergangenheit gefangen gewesen. Es war Stillstand. Sie hatte jeden Antrieb verloren. Eines Morgens vor ungefähr zwei Monaten hatte sie genauer als sonst in den Spiegel geschaut und war erschrocken. Was sie sah, war kaum mehr als die Hülle ihrer selbst gewesen. An diesem Tag hatte sie den Entschluss gefasst, dass etwas geschehen musste. David hätte es bestimmt nicht gewollt, dass sie allmählich vor die Hunde ging.

Vier lange Jahre hatte es gedauert, bis sie bereit war, sich auf etwas Neues einzulassen. Und dieses Abenteuer hatte jetzt einen Namen: Sundown, Montana, und es nahm in diesem alten Haus seinen Anfang. Alison hatte das Haus auf den ersten Blick gefallen – trotz abblätternder Farbe, bröckelndem Putz und den Dellen im Parkett. Sie versuchte, es sich in seiner alten Pracht vorzustellen als feine viktorianische Lady. Und sie versuchte sich vorzustellen, wie es einmal aussehen würde, wenn es renoviert war, alles wieder in frischem, sauberen Anstrich leuchtete und das Fenster aus buntem Glas über der Eingangstür restauriert war, in dessen Mitte man im gegenwärtigen Zustand die Darstellung eines kleinen Kolibris allenfalls erahnen konnte.

Ihr gefiel es hier. Von allem anderen abgesehen hatte sie es nicht schlecht getroffen. Die Berglandschaft war atemberaubend, die Luft würzig vom Harz der Nadelbäume. Selbst der Staub hier schien sauberer zu sein als der in der Stadt. Und wie schon an anderen Abenden zuvor versetzte der klare Sternenhimmel sie in Erstaunen. Zumal heute der Vollmond groß am Himmel stand. „Wie schön“, seufzte sie leise. Es war ein Mond für Verliebte. Zu schön eigentlich, um allein zu sein.

Bevor die Melancholie sie wieder einholte, drehte Alison sich um und ging zurück ins Haus. Es war Zeit, schlafen zu gehen.

Kaum hatte sie die Küche betreten, läutete das Telefon.

„Oh bitte, nicht heute Abend noch“, stöhnte sie auf, während die Tür hinter ihr leise knarrte und dann zufiel. Sie war in dieser Nacht mit dem Notdienst an der Reihe, den die Veterinäre im Bezirk unter sich aufteilten.

Bevor sie den Hörer abnahm, griff sie nach Notizblock und Bleistift und bereitete sich innerlich darauf vor, ihre Kraftreserven zu mobilisieren.

Autor

Cindy Gerard
<p>Als Cindy Gerard anfing, ihr erstes Manuskript zu schreiben, wollte sie vor allem eins: es auch beenden. Der Gedanke, es zu verkaufen, kam ihr viel später. Und erst, als sie einen Verlag gefunden hatte, der es veröffentlichen wollte, wurde ihr klar, dass es nicht bei diesem einen Werk bleiben würde....
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