Romana Weekend Band 18

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KANN ICH DIR JEMALS WIDERSTEHEN? von CINDY GERARD

Tierfotografin Tonya traut ihren Augen kaum: Mitten in der Wildnis von Minnesota steht Webster Tyler vor ihr! Vor Jahren hat sie ihn stürmisch geküsst – und er hat sie nur belustigt angesehen. Nun findet sie sich bald allein mit Webster in ihrer kleinen Hütte wieder ...

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  • Erscheinungstag 07.09.2024
  • Bandnummer 18
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527859
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cindy Gerard, Lynne Graham, Daly Thompson

ROMANA WEEKEND BAND 18

1. KAPITEL

Es war Liebe. Heiße Liebe, die einem Herzklopfen bescherte und weiche Knie. Verliebte Frauen verhielten sich oft schändlich, taten unverzeihliche Dinge – aus lauter Liebe.

Tonya Griffin ging im Schatten des Waldes in Deckung und hoffte, dass der scheue Damien nicht ahnte, dass sie ihn beobachtete. Und gleichzeitig dankte sie dem Himmel, dass sie ihm endlich wieder begegnet war. Als sie ihn vor einer Woche zum ersten Mal gesehen hatte, war es um sie geschehen gewesen. Seitdem ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf, und sie sehnte sich nach seinem Anblick.

Es war Liebe, und deshalb hatte sie keine Schuldgefühle, seine Arglosigkeit auszubeuten und in seine Intimsphäre einzudringen. Sie blickte durch den Sucher ihrer Kamera, stellte die richtige Schärfe ein und nahm das Objekt ihrer Begierde, das sich ihr jetzt im milden Licht der Septembersonne darbot, ins Visier.

„Habe ich dich erwischt, du kaltschnäuziger Teufel“, flüsterte sie und schlich auf der Suche nach unverstellter Sicht vorsichtig um eine Fichte herum.

Damien merkte nichts von der Verfolgung und ahnte nichts von ihrem Vorhaben – noch nicht. Aber ihr war klar, dass er ihre Nähe bald spüren würde, daher beeilte sie sich, um die guten Lichtverhältnisse auszunutzen und nicht in das angekündigte Unwetter zu geraten. Denn wenn Damien ihr auf die Schliche kam, würde er blitzartig verschwinden, so viel stand fest. Es würde ihm gar nicht gefallen, dass sie ihn eingefangen hatte, und sei es auch nur mit der Kamera.

Nicht böse sein, Damien, bat sie innerlich, ohne ihn aus dem Auge zu lassen, und zoomte ihn näher heran.

Die klare Auflösung der Naheinstellung sandte ihr einen kalten Schauder über den Rücken, obwohl der Spätsommertag warm war. Damien war einmalig schön mit seinen funkelnden Augen, die ebenso dunkel waren wie seine üppige Brustbehaarung. Außerdem war er groß – eindeutig weit über eins achtzig. Und natürlich brachte er auch das entsprechende Gewicht auf die Waage.

„Groß, dunkel und gefährlich“, murmelte sie mit einem liebevollen Lächeln. „Der Herr des Universums, nicht wahr, mein Junge?“

Damien drehte den markanten Kopf in ihre Richtung. Als er Tonya erblickte, reagierte er mit einem tiefen Knurren. Und wenn ein Bursche seines Formats knurrte, konnte das gar nicht anders als bedrohlich wirken.

„Oh!“ Tonya ließ die Kamera sinken und hatte plötzlich Mühe zu atmen, denn sie erkannte, dass plötzlich sie die Rollen getauscht hatten und nun sie die Gejagte war.

Ihr Puls beschleunigte sich rapide, ihr brach der kalte Schweiß aus bei dem Gedanken. Ihr Herz raste. Das Geräusch hallte in ihren Ohren wider wie die Brandung am etwa hundert Meter entfernten felsigen Seeufer.

Er ist gefährlich.

Wie ein Warnschuss hallte dieser Satz in ihrem Kopf nach. Dennoch hob sie erneut die Kamera und machte hastig mehrere Aufnahmen von Damien.

Von den wütenden Bewegungen seines wuchtigen Körpers erbebte der mit Blättern und Tannennadeln bedeckte Boden des Waldes, und eine eigenartige Spannung schien plötzlich in der Luft zu liegen, so als würde gleich ein Gewitter losbrechen. Regungslos, ja fast wie erstarrt stand Tonya da, während Damien auf sie zustürmte, um klarzustellen, wer hier das Sagen hatte. Und um ihr unmissverständlich zu zeigen, dass sie zu weit gegangen war.

Dies könnte ihr Tod sein. Wochenlang würde niemand sie vermissen. Plötzlich fühlte sie sich sehr allein und hatte große Angst. Aber trotz all ihrer Panik verspürte sie einen Stich von Wehmut wegen all der Dinge, die sie im Leben noch vorhatte. Wegen aller Erlebnisse, die ihr entgehen würden. Und dann setzte ihr Denken aus, denn Damien machte einen weiteren Schritt auf sie zu.

Sie hielt den Atem an, ihr Herz pochte zum Zerspringen, und sie wappnete sich gegen den Hieb, der sie zweifellos treffen würde. Doch plötzlich, wie durch ein Wunder, blieb Damien stehen und wandte sich ab.

Erleichtert atmete Tonya auf, als er im dichten Unterholz der Fichten und Birken verschwand. Ihre Finger begannen zu prickeln, so fest hielt sie die Kamera umklammert. Und der Druck auf ihre Blase zeigte, wie stark der Stress sie mitgenommen hatte.

Nervös lachte sie auf.

„Er liebt mich“, murmelte sie, lächelte zitterig und machte sich auf den Rückweg zur Hütte.

Es muss Liebe sein, sinnierte sie. Sonst hätte er sie ganz sicher angegriffen. Ein verspäteter Adrenalinstoß brachte sie auf Trab, sie sprintete los und erblickte bald den dünnen Rauchfaden aus dem Kamin der Hütte, die auf einer Lichtung in etwa fünfhundert Metern Entfernung von ihrem jetzigen Standort stand. „Es kann nicht anders sein, oder ich wäre jetzt tot, anstatt mich zu fragen, ob ich es bis zur Toilette schaffe, bevor ich in die Hose mache.“

Trotz der ausgestandenen Ängste lachte sie vor Freude über den glücklichen Zufall, Damien auf freier Wildbahn gestellt zu haben, wo sie ihn in seiner ganzen Herrlichkeit hatte fotografieren können. Ohne Zweifel war er der größte, bedrohlichste und schönste Schwarzbär in ganz Koochichin County, Minnesota. Und einen Moment lang hatte er ihr, der Fotografin Tonya, gehört.

„Unglaublich“, sagte Webster Tyler leise, als die laut lachende Frau an ihm vorbei durch den Wald stürmte. Tonya Griffin würdigte ihn keines Blickes aus ihren hellblauen Augen.

Zumindest glaubte er, dass es sich bei diesem seltsamen weiblichen Wesen um die einsiedlerische Miss Griffin handelte. Er war ihr nie persönlich begegnet. Allerdings hatte er Fotos der preisgekrönten Naturfotografin gesehen – die meisten in körnigem Schwarz-Weiß und in irgendeinem entlegenen Winkel des Erdballs aufgenommen. Er kannte ihre Arbeiten sehr gut. Wer je eine Ausgabe von National Geographic oder ähnlichen Zeitschriften aufgeschlagen hatte, merkte sich ihren Namen. Ihr Talent war überragend.

Deshalb war er jetzt hier. Tonya Griffin war die Beste ihres Fachs. Und da Webster das Beste brauchte, hatte er zähneknirschend die Zivilisation und sein weiches Bett hinter sich gelassen, in aller Herrgottsfrühe einen Flug vom Kennedy Airport in New York genommen, um sie aus den Wäldern zu locken und zu einem Vertrag mit dem Verlag Tyler-Lanier zu überreden. Und seitdem war alles schiefgegangen.

Angefangen hatte es damit, dass der Firmenjet nicht verfügbar war, sodass Webster einen Linienflug nach Minnesota nehmen musste. Seine Sekretärin Pearl hatte vergessen, ihm das mitzuteilen. Nach einem dreistündigen Aufenthalt in Minneapolis, der ihm schier endlos erschienen war, hatte ihn ein winziger Flieger in zwei Stunden nach International Falls, Minnesota, gebracht, eine Kleinstadt an der kanadischen Grenze. Da bei der einzigen Mietwagenfirma in diesem Provinznest alle komfortablen Limousinen ausgeliehen waren, musste er sich mit einem abgenutzten Kombi zufriedengeben.

Und als wäre das schon nicht schlimm genug, sagte man ihm, dass er das Bärenrefugium in den Wäldern, wo Tonya Griffin sich verbarg, in zwei Stunden erreichen könnte – vorausgesetzt, er verfuhr sich nicht. Was er prompt tat, und zwar gleich mehrfach. Erst nach einer wahren Odyssee von vier Stunden und siebenunddreißig Minuten gelangte er ans Ziel. Unterwegs war er irgendwo in ein riesiges Schlagloch geraten, seitdem gab der Wagen merkwürdige Geräusche von sich, was Webster jedoch ignorierte, da er ohnehin nichts dagegen unternehmen konnte. Er war kein Kraftfahrzeugmechaniker, ebenso wenig wie Pfadfinder oder Frischluftfanatiker.

Die Hände in die Hüften gestützt, schaute er sich grimmig um und konnte nur den Kopf schütteln über sich und seine Dummheit. Er befand sich Lichtjahre entfernt von seinem üblichen Terrain. Als eingefleischter Stadtmensch sehnte er sich von ganzem Herzen fort aus diesem Land der Elche und Mücken. Und während er so dastand, umgeben von Felsen, Bäumen, weitem Himmel und der für ihn völlig ungewohnten Stille, fragte er sich, was er sich eigentlich dabei gedacht hatte, sich in diese Wildnis zu begeben.

Die Antwort war einfach. Er hatte einzig und allein ans Überleben gedacht. Genauer, an sein wirtschaftliches Überleben. Und an seinen guten Ruf als Verleger. Dafür brauchte er Tonya Griffin – ob sie wollte oder nicht.

Er stieß die Luft aus und sah Tonya nach, wider Willen von ihr fasziniert. Sie musste ihn doch bemerkt haben, wie er hier am Rand der Lichtung stand, oder? Es war verwirrend, ja ärgerlich, dass sie ihn ignoriert hatte, dennoch lächelte er über die beharrliche Konzentration, mit der sie an ihm vorbeigeschossen war, als wäre er mit seinen eins dreiundachtzig praktisch unsichtbar.

Anstatt sich bemerkbar zu machen, verhielt er sich still und schaute ihr nach, wie sie auf die alte Blockhütte am Rand der Lichtung zueilte.

„Was wäre gegen ein kurzes Hallo einzuwenden?“, murmelte er, während sie im Innern verschwand.

Eine Weile starrte er die geschlossene Tür an. Okay, du kleine Hexe, und was jetzt? dachte er.

Jetzt musste er offenbar warten. Es war am klügsten, diplomatisch vorzugehen. Sein Ruf in der Wirtschaftswelt, ja die Zukunft des Verlages hing davon ab.

Er sagte sich, dass er hier war, um Tonya Griffins Sympathie zu gewinnen, und nahm sich vor, an der Exzentrik dieser als Einsiedlerin bekannten Frau keinen Anstoß zu nehmen.

Er war doch tolerant. Immerhin kam er ihr sehr weit entgegen, oder nicht? Er war bereit, eine Frau zu umgarnen, die ohne jeden Zweifel ein rechtes Ekel war.

Er bückte sich und hob die Mütze mit Tarnzeugmuster auf, die ihr beim Laufen vom Kopf geflogen war. Jawohl, dachte er, während er eine auf seinem Hals sitzende Mücke erschlug, ich bin äußerst tolerant. Vor allem, wenn mir gar nichts anderes übrig bleibt.

Eine Tür klappte, Webster wandte den Kopf und richtete den Blick auf die Blockhütte. Der Anlass für seine Pilgerreise ins Herz der Wildnis stand an der Treppe und starrte ihm ungehalten direkt ins Gesicht. Tonyas hellblaue Augen hatten sich verdunkelt und wirkten plötzlich so drohend wie ein Gewitterhimmel.

„Sie befinden sich auf Privatbesitz“, erklärte sie.

Was in diesem Fall offensichtlich mit Feindgebiet gleichzusetzen ist, schoss es ihm durch den Kopf. Dennoch brachte er ein Lächeln zustande. Im Grunde fiel es ihm nicht schwer, Tonya anzulächeln. Es war nie schwierig, einer Frau zuzulächeln, und obwohl diese Frau keine strahlende Schönheit war, hatte sie doch eine angenehme Ausstrahlung und einen natürlichen Charme.

„Sie sind nicht gerade leicht aufzuspüren“, stellte er fest.

Sie verschränkte die Arme, was seinen Blick auf ihre Brüste lenkte, und musterte ihn misstrauisch. „Offenbar immer noch zu leicht.“

Er trat vor und streckte ihr die Hand hin. „Ich bin Webster Tyler“.

Sie kam ihm kein bisschen entgegen. Sie gab ihm auch nicht die Hand, sondern riss ihm die Mütze weg, die er aufgehoben hatte. „Das weiß ich.“

„Großartig“, gab er ein wenig überrascht zurück. „Dann brauche ich Ihnen ja meinen Lebenslauf nicht herunterzubeten. Und Sie werden lachen, ich weiß auch, wer Sie sind.“

Tonya verzog keine Miene. Sie betrachtete ihn nur schweigend und stieß dann sichtlich gereizt die Luft aus. „Was wollen Sie, Tyler?“, fragte sie kurz angebunden.

Am liebsten ganz woanders sein, Schätzchen, hätte er beinahe geantwortet. „Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee, für den Anfang?“

Sie lehnte sich mit der Hüfte ans Verandageländer und wies mit dem Kinn auf das, was man nur mit einigem Wohlwollen als Straße bezeichnen konnte. „Da müssen Sie schon ins Driftwood Café gehen“, erwiderte sie ungnädig. „Etwa zwanzig Meilen an dem Weg, den Sie gekommen sind, auf der linken Seite. Es ist nicht zu verfehlen. Sie haben dort auch ganz guten Kuchen.“

Das stimmte vermutlich. Wahrscheinlich war es gar nicht zu verfehlen, zumal er auf seiner Irrfahrt bereits drei Mal an der Kreuzung gelandet war, wo das Driftwood Café stand. Unwillkürlich lachte er über seine Unbeholfenheit, über die ganze unmögliche Situation und über Tonyas finsteren Gesichtsausdruck. „Sie halten wohl nicht viel von Gastfreundschaft, wie?“

„Ich bin beschäftigt, Mr Tyler. Es dauert mindestens noch fünf Stunden, bis ich Feierabend mache.“

„Schön.“ Ganz auf seinen männlichen Charme setzend, zwang Webster sich zu einem neuerlichen gewinnenden Lächeln, als sie die Stufen herunterkam und zum zweiten Mal an diesem Tag an ihm vorbeiging. „Ich warte, bis Sie fertig sind, damit wir uns unterhalten können.“

Tonya blieb stehen und blickte ihn über die Schulter an. „Wie Sie wollen.“

Wie gebannt stand er da und beobachtete sie bei ihren diversen Tätigkeiten. Die Spätnachmittagssonne zauberte goldene Glanzlichter in ihr hellblondes Haar, das sie achtlos zu einem dicken, langen Zopf geflochten hatte. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst und umspielten ihre Wangen und ihren Hals. In den geflochtenen Haaren steckten Blätter und kleine Zweige, fast so, als wären sie in einem feinen Spinnennetz gelandet. Bestimmt haben sich in ihrem Zopf auch ein paar Spinnweben verfangen, dachte Webster missbilligend und ging hinüber zur Verandatreppe.

Er ließ sich auf der untersten Stufe nieder, faltete die Hände und stützte die Ellbogen auf die Knie. Er würde warten. Irgendwann musste sie ja Zeit für ihn haben.

Er schaute sich auf der Lichtung um, doch immer wieder ging sein Blick zu Tonya. Schließlich gab er es auf, sich etwas vorzumachen, und konzentrierte sich ganz auf sie. Er schrieb es seiner Langeweile zu, denn diese Frau hatte absolut nichts an sich, das einen Mann zu näherem Hinsehen veranlassen könnte.

Ja, die Langeweile war schuld daran, dass er sich so verhielt. Keine zwei Stunden hatte er an diesem gottverlassenen Fleck verbracht, und schon fühlte er sich gründlich angeödet. Alles war langweilig: die Bäume, die Einsamkeit, die beängstigende Stille der Wälder, der frühherbstliche Himmel, der herbe Duft der Bäume und Gräser. Er sehnte sich nach New York, dem Pulsschlag der Großstadt, den Lichtern, dem Tempo. Er hätte sogar lieber die ungesunde abgasreiche Stadtluft geatmet als die klare Luft hier draußen. Verdammt! Er konnte es sich nicht leisten, seine Zeitschrift so lange zu vernachlässigen. Andererseits – laut Pearl – konnte er es sich auch nicht leisten, diese Reise zu unterlassen; er musste die unvergleichliche Tonya Griffin persönlich in seine Netze, sprich, in seinen Verlag locken.

Er hörte sie in einem kleinen Schuppen rumoren, und als sie wieder auftauchte, beladen mit Näpfen, die gefüllt waren mit etwas, das nach Hundefutter aussah, fand er ihren Anblick zu seinem eigenen Erstaunen reizvoll. Es war lächerlich. Warum sollte ausgerechnet diese seltsame Frau ihn erregen? Schließlich war sie ganz und gar nicht sein Typ. Er fragte sich sogar, wessen Typ sie überhaupt sein mochte.

Welcher Mann, überlegte er, würde sich für diese halbe Portion interessieren, eine Fotografin, die sich lieber mit vierbeinigen Raubtieren als mit Männern umgab und deren Garderobe nur eine Farbe zu kennen schien: Kaki. Mit höchstens einem T-Shirt in Tarnfarben als minimalem Farbtupfer. Und dazu diese hässlichen schlammfarbenen geschnürten Wanderstiefel. Echt abturnend, diese martialische Kluft!

Er streckte die Beine lang aus, schlug die Füße übereinander, stützte die Ellbogen hinter sich auf die nächsthöhere Stufe und bereitete sich auf eine längere Wartezeit vor. Allerdings gelang es Tonya nicht, ihre Weiblichkeit vollständig zu verbergen. Wenn er die Augen zusammenkniff, gewahrte er ein interessantes Wippen unter ihrem Shirt, während sie sich eifrig bewegte. Intelligent, wie er war, schloss er daraus, dass Miss Griffin einen Busen hatte. Vielleicht sogar einen hübschen, doch sie war eindeutig nicht auf Bewunderung aus.

Mit schräg gelegtem Kopf begutachtete er ihre Beine. Die waren auch nicht übel, wenn man sich die Beulen von den Mückenstichen, die Kratzer und Risse und die Schmutzstreifen an den Knien wegdachte. Und dann ihr Po … Webster musste zugeben, ihr Po war perfekt mit seiner prallen Form, die an einen knackigen Apfel erinnerte. Nicht einmal die weiten Shorts konnten das verbergen.

Verbergen schien ohnehin Tonya Griffins Hauptinteresse neben dem Fotografieren zu sein. Er kannte sie zwar nicht persönlich, aber er wusste einiges über sie. Alles an dieser Frau mit dem hübschen Busen, dem erstklassigen Po und dem glänzenden blonden Engelshaar verkündete, wie sehr sie drauf bedacht war, ihre Reize zu verbergen. Offenbar versuchte sie, ihre Weiblichkeit zu leugnen. Und sie vergrub sich weit weg von der Zivilisation in einsamen Wäldern, die für einen Großstädter der pure Horror waren, weil dort alle möglichen Gefahren in Gestalt von wilden Tieren lauerten. Von giftigem Efeu und anderen reizenden Pflanzen ganz zu schweigen.

Keine Frage, mit einer Frau, die sich freiwillig in eine solche Umgebung begab, konnte er nicht viel anfangen. Natürlich war sie auf ihre Art attraktiv. Sie hatte schöne blaue Augen – die vermutlich niedlich funkelten, wenn sie lachte. Er hatte jedoch nur ein umwölktes Blau gesehen, wie ein Gewitterhimmel. Ihre vollen Lippen waren sinnlich geschwungen; außerdem hatte sie eine hübsche, zierliche Nase, eine hohe Stirn und Wangenknochen, die jedem Model zur Ehre gereicht hätten. Mit ein wenig Make-up könnte sie ein ganz anderer Mensch sein.

So wie die Frauen aus seiner Welt. Frauen, die ihre Vorzüge durch ein geschicktes Make-up betonten, Designerkleidung trugen und perfekt geschnittenes Haar hatten. Oh ja, er kannte sich mit sorgfältig manikürten Nägeln, aufreizendem Verhalten und Stilettoabsätzen aus. Er mochte Raffinesse, Ehrgeiz und die Spielchen, die in der Großstadt zwischen Männern und Frauen abliefen.

Was er nicht begriff, war eine Frau, die nach Insektenspray roch und deren einziger Luxus in der teuren Kamera bestand, die sie bei sich hatte, als sie wie die Feuerwehr aus dem Wald gestürmt kam. Er verstand diese Frau nicht, die nicht einmal den Versuch machte, mit ihm zu flirten, sondern sich ausgesprochen kratzbürstig gab. Sie ging ihm bereits mächtig auf die Nerven, obwohl sie nur wenige Worte miteinander gewechselt hatten.

Eine halbe Stunde verging. Allmählich verlor er die Geduld und beschloss, ein Gespräch mit ihr anzufangen – so oder so. Er wollte ihre Unterschrift, und dann würde er schnellstens verschwinden. Doch kaum war er aufgestanden und hatte sich den Staub vom Hosenboden abgeklopft, als sich seine Nackenhaare sträubten.

Er fühlte sich beobachtet. Von wem, wusste er nicht, aber da hier außer Tonya niemand wohnte, wie er in Erfahrung gebracht hatte, waren die Möglichkeiten begrenzt.

Langsam wandte er den Kopf. Und erstarrte.

Keine zwei Meter von ihm entfernt stand ein gewaltiger Schwarzbär auf den Hinterbeinen – ein wahres Monster und vermutlich sehr, sehr hungrig. Mit einem einzigen Tritt oder Prankenhieb könnte dieser Riese ihn umbringen. Und er gab ein tiefes Knurren von sich, das nichts Gutes verhieß.

Jeder Muskel in Websters Körper spannte sich. Nur weg hier! sagte sein Instinkt. Je schneller, desto besser. Er wollte gerade lossprinten, als er jemanden hinter sich spürte.

„Nicht bewegen“, sagte seine unfreundliche Gastgeberin mit leiser, ruhiger Stimme direkt hinter ihm. Er hatte weder sie noch den Bären kommen hören.

Jetzt hörte er ohnehin nichts anderes als das drohende Knurren des Tieres und das Rauschen des Bluts in seinen Ohren. Und obwohl sein erster Impuls Flucht gewesen war, musste er nun erkennen, dass er unfähig war, sich zu rühren. Der Bär mit seinen furchterregenden Zähnen und messerscharfen Krallen musterte ihn mit seinen großen kohlschwarzen Augen und schnüffelte laut.

„Haben Sie etwas Essbares bei sich?“

Ohne den Blick von dem schwarzen Ungeheuer zu nehmen, das in ihm offensichtlich die Vorspeise zu seinem Abendmenü sah, versuchte Webster nachzudenken. „Nein. Oh ja, doch. After Eight.“ Er hatte die Packung am Flughafen aus einem Automaten gezogen.

„Holen Sie sie ganz, ganz langsam heraus. Keine hastigen Bewegungen. … Ja, so ist es gut. Und jetzt werfen Sie sie ein paar Meter weit weg. Gut. Heben Sie nun langsam die Hände, die Handflächen nach außen, damit er sieht, dass sie leer sind.“

Webster gehorchte schweigend. Der Bär schnüffelte ein letztes Mal, dann trabte er davon, um sich die Leckerei zu holen. Erstaunlich geschickt riss das Tier die Packung auf, verschlang die dünnen Schokoladenplätzchen und trottete einen Pfad entlang zu einem der Näpfe mit Hundefutter, die Tonya am Rand der Lichtung platziert hatte.

Erst jetzt konnte Webster wieder Luft holen. Er brachte sogar ein Lächeln zustande. „Überlebenslektion Nummer eins“, erklärte er und schaute in Tonyas düstere Miene. „Nie zwischen einem Bären und seinem Pausensnack stehen. Außer, man möchte der Snack sein.“

Der Scherz entspannte ihn, aber bei Tonya blieb er wirkungslos.

„Lektion Nummer zwei: Lektion eins wird nicht wiederholt.“ Sie ging um ihn herum und die Treppe zur Veranda hinauf, wobei sie in Richtung Straße wies. „Oscar ist der Erste aus der Bärentruppe, die sich innerhalb der nächsten Stunde ihren Abendimbiss holen wird. Nicht alle sind so freundlich wie er. Wenn ich Sie wäre, würde ich mich aus dem Staub machen, solange ich noch kann. Zur Schnellstraße und zur Zivilisation geht es dort entlang.“

Webster starrte die zufallende Tür an. Er fuhr sich durchs Haar und stellte beschämt fest, dass seine Hand zitterte.

„Amüsieren wir uns nicht prächtig, Tyler?“, murmelte er und stapfte ebenfalls die Treppe hoch, nachdem er sich hastig überzeugt hatte, dass der Bär sich in die andere Richtung davongemacht hatte.

Nein, er amüsierte sich überhaupt nicht. Man hatte ihn aus New York weggescheucht, er war stundenlang in einem Müllkübel auf Rädern in fremder Landschaft umhergeirrt, um dann auf eine schlecht gelaunte Frau in Wanderstiefeln zu stoßen, die ihn widerstrebend vor einem hungrigen Bären gerettet hatte.

Das war alles andere als lustig. Während er zunächst nur leicht irritiert war, hatte er jetzt endgültig die Nase voll. Es lag nicht allein daran, dass er sich hier nicht in seinem Element fühlte. Auch nicht daran, dass Miss Wildnis so abweisend war und nicht einmal sein Angebot hören wollte. Es lag an der Tatsache, dass sie diejenige war, die das Kommando führte. Das war er nicht gewohnt.

Das ging ihm gewaltig an die Substanz.

Dies war ihr Terrain, so viel stand fest. Führungsetagen, Schlafzimmer, elegante Restaurants, die Börse – das war sein Gebiet. Unbefestigte Landstraßen, Blockhütten, Wald, so weit das Auge reichte, das alles interessierte ihn nicht, und lebendige Bären schon gar nicht. Oder barsche Absagen.

Und hier war Miss Griffin im Irrtum. Er mochte kein Nein hören. Besonders dann nicht, wenn er noch nicht mal seinen Vorschlag unterbreitet hatte.

Zwar fühlte er sich hier draußen nicht wohl, und er war Ablehnung nicht gewohnt. Aber er dachte nicht daran, sich wie ein kleiner Junge sagen zu lassen, er solle seine Spielsachen einsammeln und nach Hause laufen. Tonya Griffin hatte erwähnt, dass sie wusste, wer er war. Wenn sie ihn wirklich kannte, musste sie wissen, dass er vielleicht nicht immer fair spielte, aber stets auf Sieg setzte. Und dieses Spiel war noch längst nicht vorüber.

Er würde einen Weg finden, Tonya Griffin nach New York zu locken. Die Vorstellung, der widerspenstigen Fotografin ein paar von den Tannennadeln abzubürsten, brachte ihn sogar zum Lächeln – es war das Siegerlächeln, das ihm so oft in Aufsichtsräten Stimmen einbrachte, jedenfalls von den weiblichen Mitgliedern.

Im Geist rieb er sich bereits die Hände, als er die Treppe hinaufging. Er würde die Sache trotz des misslungenen Auftakts mit Bravour hinter sich bringen und verschwinden.

Okay, das Spiel beginnt, Miss Griffin.

2. KAPITEL

In dem Moment, als Webster die Hand hob, um an die Tür der Blockhütte zu klopfen, meldete sich sein Handy. Er holte es aus der Tasche, las den Namen auf dem Display und musste erst mal tief durchatmen.

„Ja, Pearl?“, fragte er und betete um Geduld.

Er setzte sich auf die oberste Treppenstufe und lauschte Pearl Reasoners Stimme. Pearl war eine Magnolie aus Stahl, wie sie im Buche stand. Sie erkundigte sich nach seinem Flug und dem Wetter und ob er Tonya Griffin aufgespürt habe. Pearl war nicht nur seine Privatsekretärin, sondern auch noch seine Patentante. Und gerade jetzt war sie auch der Grund für den pochenden Schmerz in seiner rechten Schläfe.

Er hatte seine Büroleiterin, Miss Price, herschicken wollen, oder seinen Stellvertreter, Hawkins. Aber Pearl hatte darauf bestanden, dass er selbst nach Minnesota in die Wildnis fuhr und Tonya Griffin überredete, einen Exklusivvertrag zu unterschreiben, damit sein neuestes Projekt, die Zeitschrift „Abenteuer Natur“, ein Erfolg wurde.

Der gestrige Auftritt mit Pearl in seinem Büro lief vor seinem geistigen Auge noch einmal ab, während sie sich am Telefon über Ruhe und Erholung ausließ, über die wohltuende frische Luft und die Schönheit klarer Bergseen. Nord-Minnesota war eine andere Welt als die Büros des Tyler-Lanier-Konzerns im 58. Stock an der Sixth Avenue. Dennoch war sein Argument, dass er Verleger und kein Holzfäller sei, bei Pearl auf taube Ohren gestoßen.

„Als Verleger musst du dich voll einsetzen“, hatte sie ausgeführt. „Wenn du den Werbeetat von C.C. Bozeman haben willst, brauchst du Tonya Griffin. Wenn ihre Fotos nicht in der ersten Nummer von ‚Abenteuer Natur‘ zu sehen sind, bucht Bozeman keine Anzeigenseiten. Wenn wir den Auftrag für Bozemans Freizeitmode und Sportartikel verlieren, ist das Projekt zum Scheitern verurteilt.“

Als Webster einwandte, er habe keine Zeit für ein Abenteuer in der Natur, hatte Pearl nur geseufzt und auf seine momentane körperliche Verfassung hingewiesen.

„Mein Junge, du bist ausgebrannt. Denk nur an all die Umstrukturierungen im Haus nach der Firmenübernahme. Eine kleine Auszeit wird dir guttun.“ Und dann hatte Pearl begeistert ausgeführt, wie schön es wäre, wenn er sich einen Urlaub gönnte und angeln ginge.

Er starrte in das Dickicht und versuchte, sowohl Pearl zu ignorieren – die er trotz ihrer ständigen Einmischung in sein Leben herzlich liebte – als auch die Erinnerung an das Gesicht zu verdrängen, das ihn jeden Morgen im Spiegel anblickte. Er gefiel sich selbst nicht mehr. Der Blick seiner braunen Augen wirkte leer. War es Ernüchterung? Überdruss? Eine Mangelerscheinung? Gewiss, er arbeitete hart. Und die Jagd nach Erfolg hatte viel von ihrem anfänglichen Reiz verloren. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er mehr als wohlhabend, doch er hatte das Gefühl, dass es da noch etwas anderes geben müsste.

Er bildete sich nicht ein, dieses andere in Nord-Minnesota zu finden. Schon gar nicht, indem er einer Fotografin nachlief, die nicht nur für ihr Werk berühmt war, sondern auch für ihre Abneigung gegen das Leben in der modernen Zivilisation.

„Ich nehme an, du hast gehört, was Jimmy Lawler aus der Buchhaltung passiert ist“, sagte Pearl nun.

Er sah sie im Geist vor sich, wie sie an seinem unbesetzten Schreibtisch stand. Sie war siebzig, doch sie gab nur achtundfünfzig Jahre zu. Mit ihren wachen grünen Augen, dem kunstvoll gestylten rotbraunen Haar und dem tadellosen Make-up konnte sie das auch locker behaupten.

„Er war erst vierzig“, fuhr sie fort und machte eine Pause, um Websters volle Aufmerksamkeit zu bekommen. „Letzte Woche brach er tot zusammen. Herzschlag. Soll ich dir sagen, was garantiert nicht auf seinem Grabstein stehen wird? Ich wünschte, ich hätte mehr gearbeitet.“

Webster dachte an Tonya Griffin in der Blockhütte.

„Webster …“

„Ich bin hergefahren, okay?“ Manchmal war es klüger nachzugeben. Und letztlich hatte Pearl recht. Er brauchte Tonya Griffin für sein neues Projekt. „Kannst du dich nicht einfach damit zufriedengeben?“

„Nur wenn du versprichst, endlich einmal richtig abzuschalten und mindestens zwei Wochen dort zu bleiben. Dann ist immer noch genügend Zeit übrig, um Tonya nach New York zu bringen, die Fotos zu entwickeln und unseren Termin für die erste Nummer zu halten. Ich habe ein paar Prospekte in deine Reisetasche gesteckt. Hast du sie schon gefunden?“

Allerdings hatte er sie gefunden. Es waren Hochglanzfotos eines rustikalen Hotels nahe der kanadischen Grenze. Bilder von glücklichen Anglern, sonnengebräunt und mit Baseballkappen auf dem Kopf. Und alle Angler hielten prächtige Fische in die Kamera.

„Zum letzten Mal, Pearl, ich bin kein Angler. Ich will auch keiner werden. Himmel noch mal, hier gibt es so große Mücken, dass man sie für Vampire halten könnte. Und Bären, Pearl. Echte Bären mit Zähnen und Krallen und viel Appetit auf Fleisch und Schokolade. Vor fünf Minuten hätte mich fast einer gefressen. Ich komme zurück, sobald ich dieser Frau die Unterschrift unter den Vertrag abgerungen habe.“

„In zwei Wochen und keinen Tag eher“, gab Pearl in jenem Ton zurück, der ihn als kleinen Jungen das Fürchten gelehrt und nichts von seiner Wirkung verloren hatte. „Außerdem hast du jede Menge passende Kleidung dabei.“

Er strich sich über das Gesicht. Oh ja, er war perfekt ausgerüstet. Pearl hatte sich erlaubt, den halben Laden von C.C. Bozeman leer zu kaufen und die Sachen in sein Apartment bringen zu lassen. Als er gestern Abend nach Haus gekommen war, hatte alles schon bereitgelegen. Er hatte kaum einen Blick darauf geworfen, als sie die Sachen in die ebenfalls neue Sporttasche von C.C. Bozeman gepackt hatte.

„Eine Woche“, gab er zurück. Schließlich war er der Boss – jedenfalls solange Pearl ihm die Illusion gestattete. „Und ich schwöre, wenn du noch ein Wort darüber sagst, werde ich …“

„Schon gut. Sei nicht gleich beleidigt, Webster. Du bist bei ihr, richtig? Dann haben wir für den ersten Tag genug erreicht.“

Wir haben überhaupt nichts erreicht. Du dagegen …“

„Ich weiß, mein Lieber, ich habe das Unmögliche möglich gemacht. Und glaub mir, es war eine Leistung.“

Nun ja. Sie hatte es geschafft, ihn auf Trab zu bringen, das konnte er nicht leugnen. Aber jetzt musste er das Unmögliche versuchen und die kratzbürstige Miss Griffin auf Trab bringen, sonst konnte er sein neues Projekt vergessen.

Zunächst jedoch lief er hastig die Treppe hinauf, weil er einen weiteren Bären erblickt hatte, der auf einen Futternapf zusteuerte.

Verflixt, wie hielt Tonya dieses Leben nur aus? Webster würde es lieber mit einem Straßenräuber aufnehmen als mit einem dieser Giganten der Wildnis. Bei Ersteren kannte er wenigstens das Motiv: Sie wollten Geld. Bei wilden Bären wusste man jedoch nie, worauf sie aus waren. Die würden einen Mann glatt für ein After Eight umbringen.

Pearl konnte den zweiwöchigen Urlaub vergessen. Spätestens um Mitternacht würde er im Flugzeug sitzen, den unterschriebenen Vertrag in Händen – vorausgesetzt, er hatte seine beiden Hände dann überhaupt noch.

Tonya hielt einen angeschlagenen Teekessel aus Kupfer unter das spärliche Rinnsal aus dem Wasserhahn und versuchte, das Zittern ihrer Hände zu ignorieren. Webster Tyler war der allerletzte Mensch, mit dem sie hier draußen gerechnet hätte. Überhaupt der letzte Mann, den sie jemals zu sehen erwartet hätte. Zumal sie alles daransetzte, Männern wie ihm aus dem Weg zu gehen.

Okay, gestand sie sich ein, während sie mit einem Streichholz den alten Gaskocher entzündete und den Kessel daraufsetzte, sie war speziell ihm aus dem Weg gegangen.

Webster Tyler war der Enkel Fulton Tylers und Inhaber des berühmten Tyler-Lanier-Verlags in New York. Außerdem war er ihr ehemaliger Chef und der Anlass für einen den peinlichsten Momente ihres Lebens.

Sie schaute über die Schulter zur Tür der Hütte. Verflixt, sie hatte immer noch Herzklopfen. Reiß dich zusammen! sagte sie sich. Denk nicht an die Kränkung, dass er dich nicht wiedererkannt hat.

„Ich hinterlasse eben keine bleibenden Eindrücke“, murmelte sie, während sie in dem winzigen Küchenschrank nach einem Kaffeebecher suchte. Dabei fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe über dem Ausguss, und ihr wurde ganz anders.

Zwölf Jahre dachte sie. Das ist ein halbe Ewigkeit. Vor zwölf Jahren hatte sie Webster Tyler zum letzten Mal gesehen. Da er Zeitschriften herausgab und sie ihre Fotos an alle möglichen Blätter verkaufte, war damit zu rechnen gewesen, dass sie ihm eines Tages wieder begegnen würde, auch wenn sie noch so sehr versuchte, das zu vermeiden. Mehr als ein Mal hatte sie sich die Szene vorgestellt. In ihrer Fantasie lief es immer gleich ab: Sie wäre perfekt gestylt, der Inbegriff der erfolgreichen Frau, und er wäre total verblüfft von ihrer Verwandlung.

Schön, sagte sie sich, verblüfft war er jetzt auch. Sie klaubte sich ein Blatt aus dem Haar. Ein winziger Zweig kam gleich mit. Unwillig warf sie beides in den Mülleimer, dann wischte sie sich mit dem Geschirrtuch den Schmutz vom Kinn. Sie überlegte, ob sie ihre Beine noch säubern sollte, aber da warf sie buchstäblich das Handtuch. Was sie gebraucht hätte, war ein Tag auf einer Schönheitsfarm. Und ein kleines Wunder, um all die Kratzer und Abschürfungen verschwinden zu lassen.

Zögernd trat sie ans Fenster, hob die verblichene Gardine ein wenig an und spähte hinaus. Webster stand an der Treppe und telefonierte. Er wirkte entschlossen, ja fast hart – ganz der Mann, den sie hatte vergessen wollen.

Umwerfend sah er aus. Wenn die verstrichenen Jahre bei ihm Spuren hinterlassen hatten, dann nur solche, die ihn noch attraktiver erscheinen ließen. Seine braunen Augen besaßen heute mehr Ausdruckskraft, ebenso wie seine Gesichtszüge. Die Ausstrahlung, die er mit Anfang zwanzig gehabt hatte, war nun, mit Mitte dreißig, noch intensiver. Und dass er aus heiterem Himmel hier aufgetaucht war, sie regelrecht überfallen hatte, als sie sich in einem Zustand befand, den man nur noch als „nicht vorzeigbar“ bezeichnen konnte, machte ihr sehr zu schaffen. So sehr, dass sie sich feige in der Hütte versteckte, obwohl sie doch sonst nie einer unangenehmen Situation auswich.

Der Teekessel begann zu pfeifen. Sie eilte zum Kocher und stellte das Gas ab. Dann atmete sie tief durch und wandte sich zur Tür. Vermutlich würde er nicht weggehen, ohne sein Anliegen vorgebracht zu haben, und jetzt, da sie ihren ersten Schock überwunden hatte, schämte sie sich für ihre Feigheit.

Außerdem wurde sie allmählich neugierig. Was wollte Webster Tyler – der allgewaltige Verleger, Stadtmensch durch und durch, Gebieter über Heere fähiger Mitarbeiter – mitten in dieser Wildnis? Und warum hatte er sich solche Mühe gegeben, sie aufzuspüren?

Er steckte sein Handy in die Brusttasche seines Hemdes und hob gerade die Hand, um anzuklopfen, als Tonya die Tür aufriss.

„Oh“, sagte er erschrocken. Er schien sich nicht besonders wohl in seiner Haut zu fühlen. „Nochmals hallo.“

„Wenn Sie mit Tee zufrieden sind“, erwiderte Tonya ohne Umschweife, „kann ich Ihnen eine Tasse anbieten. Es ist allerdings Kräutertee“, setzte sie herausfordernd hinzu.

„Hört sich gut an.“

Sie warf ihm einen Blick zu, der so etwas wie „das will ich meinen“ vermitteln sollte, ihm jedoch nur ein Grinsen entlockte, was sie wiederum so nervös machte, dass sie sich wortlos umdrehte und ihn an der Tür stehen ließ.

Sie versuchte, nicht auf ihn zu achten, und nahm einen zweiten Becher aus dem Schrank. Rasch wischte sie ihn aus und füllte heißes Wasser in die Tassen.

„Aha“, bemerkte er, während sie die Becher auf einen kleinen, verkratzten und mit Brandflecken übersäten Resopaltisch stellte, „dies ist also Ihr reizendes Heim.“

„Momentan, ja.“ Sie nahm zwei Teelöffel aus der Schublade eines Schränkchens, das auf klebrigen Rollen stand. Mit der Hüfte stieß sie die Schublade zu und verfolgte, wie Webster sich in der kleinen Hütte umschaute. Plötzlich sah sie alles wieder so, wie es auf sie bei ihrer Ankunft vor fast einem Monat gewirkt hatte.

Man konnte es als rustikal bezeichnen oder aber als spartanisch. Wie die meisten dieser Hütten bestand auch diese aus einem Raum, wenn man das winzige Badezimmer nicht mitrechnete, das später angebaut worden war. Ursprünglich war die Hütte um 1930 errichtet worden.

Die Wände bestanden aus knorrigem Fichtenholz, das mit der Zeit einen warmen goldbraunen Ton angenommen hatte, der an Honig erinnerte. Auch die Dielen bestanden aus Fichtenholz. Sie waren dunkelbraun, hatten Risse und Schrammen. Ein großer geflochtener Teppich in gedämpften Rost-, Grau- und Blautönen bedeckte fast die gesamte Fläche der ungefähr zwanzig Quadratmeter.

Die Küchenzeile – wenn man sie so nennen wollte – enthielt einige Hängeschränke aus Holz, die jemand vor vielen Jahren in Königsblau gestrichen hatte, ein kleines gusseisernes Waschbecken, einen ramponierten kleinen Gasherd, den man mit einem Streichholz anzünden musste, sowie einen geräumigen Kühlschrank aus den späten sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, der ein Mal in der Woche abgetaut werden musste.

Mitten im Raum stand der Esstisch, an dem Webster Tyler nun saß. Vor ein paar Tagen hatte Tonya einen bunten Strauß aus Wildblumen in leuchtendem Gelb, Orange und Weiß gepflückt. Jetzt zeugten die traurigen Reste nur noch davon, wie sehr ihre Arbeit sie inzwischen in Anspruch genommen hatte. Desgleichen das ungemachte Doppelbett an der Nordwand, das bei Bedarf als Couch diente. Da Tonya gewöhnlich von früh bis spät arbeitete und sich kaum jemand so tief in Charlie Ericksons Wald hinauswagte, gab es selten Bedarf dafür. An der gegenüberliegenden Wand stand auf einem gemauerten Sockel ein kleiner gusseiserner Ofen, in dem noch ein bisschen Glut glomm.

Ja, es war spartanisch. Aber es gab Elektrizität und ein funktionierendes Telefon, falls die Leitungen nicht gerade unterbrochen waren. Insofern war es fast ein Palast im Vergleich zu so mancher Lehmhütte, die Tonya auf ihren Reisen um die Welt als Unterkunft gedient hatte. Webster Tyler jedoch, der an italienischen Marmor, Perserteppiche und Designermöbel gewöhnt war, mochte das anders sehen.

Sie zog einen abgewetzten Stuhl an den Tisch und öffnete die Blechdose, in der sie ihre Teebeutel verwahrte.

„Rotbusch, Brombeerblätter, Verbenenkraut, Kamille, Pfefferminze, Fenchel, Süßholz und Zimt“, zählte sie auf.

„Hört sich lecker an.“

Bei seinem nachsichtigen, um Wohlwollen bemühten Ton musste sie beinah lächeln. „Wie haben Sie mich gefunden?“, fragte Tonya, während Webster seinen Teebeutel ins dampfende Wasser tauchte wie ein vornehmer englischer Gentleman, der mit seiner unverheirateten Tante Tee trank. „Und warum haben Sie nach mir gesucht?“

„Nicht ich habe Sie gefunden, sondern meine Sekretärin. Ihr Agent hat Ihren Aufenthaltsort verraten. Damit komme ich zum Warum. Ich habe einen Auftrag für Sie, falls Sie interessiert sind.“

„Bin ich nicht.“ Sie zog ihren Teebeutel durchs Wasser in ihrem Becher und griff nach dem Zucker. „Ich bin voll ausgelastet.“

Webster lehnte sich zurück, einen Arm lässig über die Stuhllehne gelegt. Seine Haltung drückte Selbstsicherheit und Überlegenheit aus. „Ich zahle das Doppelte von dem, was Sie momentan bekommen.“

Sie grinste breit.

Webster legte den Kopf schräg und musterte sie. „Was ist daran so lustig?“

Sie gab etwas Zucker in ihren Becher und rührte mit einem Teelöffel darin herum. „Es ist lustig, weil nichts mal zwei immer noch nichts ergibt. Wenn ich auf Geld aus wäre, würde ich Modefotos machen oder in der Werbung arbeiten.“

„Aber Sie brauchen doch ein Einkommen, oder? Warum hören Sie mich nicht erst einmal an, bevor Sie die Tür zuschlagen?“

Sie trank einen Schluck Tee und sah Webster dann in die Augen. „Hören Sie, Mr Tyler …“

„Webster.“

„Also gut, Webster“, wiederholte sie nach kurzem Zögern. Sie fragte sich, wie viele Frauen er vor ihr mit dieser Stimme betört hatte – einer Stimme, die wie edler Whisky war: Mit jedem Jahr steigerte sich die Qualität.

Und sie, Tonya, hätte mit den Jahren klüger werden sollen.

„Wenn es um eine konkrete Fotostrecke geht, sprich mit meinem Agenten.“ Sie duzte Webster kurzerhand. „Er wird mit dir verhandeln, wenn er meint, es könnte mich interessieren. Du hättest dich gleich an ihn wenden sollen, anstatt die weite Reise nach Minnesota zu machen.“

„Es geht nicht um eine Fotostrecke“, entgegnete er entschieden, „sondern um mehr. Und ich bin persönlich gekommen, weil ich dir einen Exklusivvertrag anbieten möchte.“

Langsam nahm sie noch einen Schluck. Zusammen mit dem Kräuterduft nahm sie Websters ganz persönliche Duftnote wahr, die sich nur als eine angenehme Mischung aus Mann und Macht beschreiben ließ. In letzter Zeit hatte Tonya nichts außer frischer Luft, Fichtennadeln und Mückenspray gerochen. Noch länger war es her, seit sie an erlesenes Rasierwasser auf Männerhaut gedacht und sich nach körperlicher Nähe gesehnt hatte. Aber dies war ganz bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt für solche Sehnsüchte. Jetzt musste sie … Moment, was hatte er da gesagt?

„Wie bitte?“

Webster beugte sich vor und tippte abwesend mit dem Daumen an den Rand seines Bechers. „Ein Exklusivvertrag mit
Tyler-Lanier. Du hast richtig gehört.“

Ihr Blick glitt von seinen Augen – wunderbare Schattierungen von Braun, Zimt und Mokka – zu seinen ebenso faszinierenden kräftigen Händen. Sie ließ das unglaubliche Angebot auf sich wirken. Früher hätte sie begeistert zugegriffen. „Tut mir leid, du hast deine Zeit verschwendet. Ich bin und bleibe selbstständig. Ich schließe mit niemandem Exklusivverträge.“

Webster runzelte die Stirn, als könnte er ihre Ablehnung nicht fassen. Jeder Fotograf der westlichen Welt hätte das Angebot zumindest überdacht – außer ihr.

„Auch nicht, wenn du alle Freiheiten bekommst?“ Seine Stimme klang sachlich, doch er beugte sich weiter vor. „Ein unbegrenztes Spesenkonto? Bei festem Jahresgehalt?“ Er nahm ein Notizbuch aus der Brusttasche seines nagelneuen blauen Safarihemdes und schrieb eine Zahl auf. Dann riss er das Blatt heraus und schob es ihr über den Tisch zu.

Als Tonya die Summe las, blieb ihr fast das Herz stehen. „Das ist nicht dein Ernst!“

„Und ob.“

„Das verstehe ich nicht“, stieß sie hervor. „Warum gerade ich?“

Webster betrachtete die Frau ihm gegenüber, wie sie in ihrer Pseudo-Militärkleidung an ihrem Tee nippte. Sie hatte sich ein wenig hergerichtet, wie er feststellte. Offenbar war die eigenbrötlerische, abweisende Miss Griffin doch nicht ganz frei von weiblicher Eitelkeit. Das ließ ihn wieder hoffen. Und er bemerkte ein Grübchen in ihrer linken Wange, das ihm bisher entgangen war.

„Warum ich gerade dich will? Weil du gut bist. Ich brauche ganz einfach die Beste ihres Fachs. Es ist ein großzügiges Angebot, Tonya.“

Da sie weiterhin die Stirn runzelte, hielt er inne. Wie sollte er vorgehen, ohne seinen Vorteil zu verspielen? Er hatte gehört, dass sich hinter Tonya Griffins rauer Schale ein ehrlicher, ungekünstelter Mensch verbarg. Winkelzüge lagen ihr nicht. Das hieß jedoch nicht, dass sie Tricks nicht durchschaute und ihn nicht aufs Kreuz legen würde, sollte er so etwas versuchen.

Er entschied sich für Offenheit. „Du würdest exklusiv für eine neue Zeitschrift arbeiten, die wir in einem halben Jahr auf den Markt bringen wollen: ‚Abenteuer Natur‘ ist der Titel. Jede einzelne Ausgabe wird ausschließlich Fotos von Tonya Griffin enthalten.“

Sie runzelte so stark die Stirn und bemühte sich so sehr, ein strenges, grimmiges Gesicht zu machen, dass es ihn rührte. Denn es passte überhaupt nicht zu ihren sanften blauen Augen mit den seidigen Wimpern und zu der zarten, leicht gebräunten Haut, die ohne die Schmutzflecken weich wie ein Blütenblatt wirkte.

„Ich begreife es noch immer nicht.“ Sie zog die schmalen Augenbrauen zusammen. „Es gibt so viele gute und erfahrene Fotografen, die der Zeitschrift weit mehr zur Ehre gereichen würden.“

Okay, sie hatte also keine Starallüren, und das gefiel ihm außerordentlich. Er beschloss, den bekannten Tyler-Charme einzusetzen. „Ich will keinen anderen Fotografen, ich will dich. Tyler-Lanier hat genug eigenes Renommee, Tonya. Ich brauche deinen Blickwinkel. Ich mag deine Arbeiten, und deshalb möchte ich dich.“

Sie stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. Die Hände in den Gesäßtaschen, die Beine verschränkt, schaute sie hinaus.

Ihre Haltung betonte die langen, schlanken Beine. Ihre Shorts waren über dem Po straff gespannt und zeigten jede Einzelheit der reizvollen Rundungen. Er verspürte einen scharfen Stich des Begehrens, und das schockierte ihn.

Sie war eine Wildkatze, die in den letzten Klamotten herumlief. So unnachgiebig, eigensinnig und kratzbürstig, wie sie war, konnte er sich beim besten Willen keine Romanze mit ihr vorstellen. Am besten dachte er gar nicht erst an so etwas. Es ärgerte ihn ziemlich, dass er in der letzten Stunde mehr als ein Mal Fantasien gehabt hatte, die in diese Richtung gingen.

Unsinn. Er hatte nichts mit ihr im Sinn. Hätte C.C. Bozeman nicht auf Tonya Griffin bestanden und gedroht, sonst seinen Werbeauftrag zurückzuziehen – und C.C. Bozeman war der wichtigste Anzeigenkunde –, wäre Webster gar nicht hier, um diese kleine Hexe zu umgarnen.

„Versteh mich bitte nicht falsch“, sagte sie schließlich, „ich fühle mich geschmeichelt und verstehe eure Situation, aber ich kann euch nicht helfen. Ich möchte mich nicht durch einen Exklusivvertrag binden.“ Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu, ein wenig bedauernd, doch entschlossen, und schaute wieder auf die Lichtung hinaus. „Es tut mir leid, aber ich bleibe bei meinem Nein.“ Dann ging sie nach draußen und ließ ihn sprachlos zurück.

„Diese Frau ist störrisch wie ein Esel“, murmelte er.

Aber mit Dickköpfen kannte er sich aus. Sein Großvater war einer gewesen. Zwar hatte es immer eine Weile gedauert, doch letzten Endes hatte Webster den alten Herrn unweigerlich dazu gebracht, das zu tun, was er wollte.

Verärgert starrte er auf die Tür und verabschiedete sich von der Hoffnung auf einen mitternächtlichen Heimflug.

Okay. Bis morgen würde er die Sache geregelt haben. Irgendwie würde es ihm schon gelingen, Tonya zur Vernunft zu bringen. Er musste sich nur ein unschlagbares Argument einfallen lassen. Jeder Mensch war käuflich, da würde sie keine Ausnahme machen. Allerdings, da weder Geld noch totale künstlerische Freiheit als Lockmittel bei ihr Wirkung gezeigt hatten, fragte er sich, welches ihr Preis war.

Er stand auf und trat hinaus auf den Treppenabsatz. Es war Abend geworden. Draußen war es jetzt kühl geworden, und bald würde die Sonne untergehen. Wind war aufgekommen. Von Westen näherte sich eine gewaltige dunkle Wolke. Das gefiel Webster gar nicht. Er hatte schon Schwierigkeiten gehabt, bei Tageslicht seinen Weg zu finden. In einem Unwetter und im Finstern nach International Falls zu gelangen würde eine noch härtere Prüfung bedeuten.

Vielleicht hätte ich doch zu den Pfadfindern gehen sollen, dachte er übellaunig.

Bei den Futternäpfen, die sich in einiger Entfernung vom Haus befanden, leckten sich die Bären die Tatzen. Manchmal ging einer zu einem Baum, um sich das Fell zu schaben. Zwischen zwei Jungtieren war ein Gerangel entstanden. Es endete rasch, als ein älterer Bär ein tiefes, drohendes Knurren in ihre Richtung verlauten ließ.

Sie wirken noch immer hungrig, dachte Webster. Die Aussicht, im Dunkeln die Viertelmeile zu seinem Mietwagen laufen zu müssen, erfüllte ihn mit Unbehagen – nach seiner Begegnung mit dem gar nicht kuscheligen Teddy vorhin. Vielleicht lauerten noch mehr von diesen zotteligen Monstern im Wald und warteten sehnsüchtig auf Süßigkeiten aus seinen Taschen.

Apropos Hunger – ihm knurrte der Magen. Den Mücken offenbar auch. Er erschlug eine in seinem Nacken. Je dunkler es wurde, desto zahlreicher schienen sie zu werden. Er schaute blinzelnd in das schwindende Tageslicht. Seine Gastgeberin wider Willen kam aus einem kleinen Schuppen, beladen mit Feuerholz.

„Du solltest dich allmählich auf den Weg machen.“ Mit gesenktem Kopf stapfte sie an ihm vorbei. „Die Fahrt dauert zwei Stunden, und da dies die letzte Woche der Angelsaison ist, wirst du es schwer haben, in der Stadt ein Zimmer zu bekommen. Und wenn das Unwetter ausbricht, wird das Fahren mühselig … gelinde gesagt.“

Auf keinen Fall würde er im Dunkeln zurück in die Stadt finden. „Ich habe auf dem Weg hierher ein paar Gasthäuser gesehen.“

„Die sind ausgebucht. Du kannst es nur in International Falls versuchen.“

Das konnte ja heiter werden. Nur wegen ihres Starrsinns saß er in dieser Wildnis fest. Ob ihr eigentlich klar war, welchen Anteil sie an seinem Dilemma hatte?

„Tja“, sagte er, als das erste Donnergrollen im Westen zu hören war und die Windböen zweifelsfrei das nahende Gewitter ankündigten, „wenn ich dich wirklich nicht überreden kann …“

„Kannst du nicht“, versicherte sie. „Schade, dass du vergeblich gekommen bist.“

„Es war den Versuch wert“, entgegnete er galant. „Außerdem kann ich jetzt erzählen, dass ich Minnesota gesehen habe und fast von einem Bären gefressen wurde.“

Sie schaute von ihm weg zu den Bären und fragte zögernd: „Soll ich dich zum Auto begleiten?“

Sein männlicher Stolz kämpfte mit feiger, jämmerlicher Furcht und gewann. „Nicht nötig.“ Er würde sich nicht hinter Tonya Griffin verstecken, selbst wenn er dann ungehindert ihren sexy Po betrachten konnte.

Sie schien kurz zu überlegen, dann zuckte sie die Schultern. „Wie du meinst. Halt dich strikt an den Pfad, und du bekommst keinen Ärger mit den Eingeborenen.“

Mit einer knappen Kopfbewegung wies sie auf die wenigen Bären, die noch bei den Futternäpfen verweilten, bevor sie in der Hütte verschwand und die Tür hinter sich zuknallte.

Nachdenklich betrachtete Webster den Pfad zu dem Parkplatz, wo sein Wagen stand. Er fragte sich, was für ein Empfang ihn wohl erwarten würde, wenn er am nächsten Tag bei Tonya mit neuen Argumenten auftauchte.

Der Donner wurde lauter, bedrohlicher. Webster schaute zum finsteren Himmel auf, die letzten blauen Flecken waren von grauen Wolken verschlungen worden. Ein dicker Regentropfen traf ihn mitten zwischen die Augen.

„Na, großartig“, murmelte er verstimmt und begann, den Pfad hinunterzulaufen.

Eins musste er zugeben. In der Wildnis war es nicht langweilig, sondern höchst aufregend. Was das Gefahrenpotenzial anging, konnte so ein einsamer Wald locker mit New York konkurrieren …

3. KAPITEL

Tonya hatte geduscht und sich mit Hautcreme eingerieben – Letzteres vergaß sie oft aus Gedankenlosigkeit – und hatte sich einen kuscheligen rosafarbenen Trainingsanzug und warme Socken angezogen. Soeben hatte sie im Ofen Holz gegen die beginnende Kälte nachgelegt, als der erste Blitz die Fenster der kleinen Hütte erleuchtete.

Während sie ihre Haare mit einem Badetuch abrubbelte, zählte sie gewohnheitsmäßig die Sekunden zwischen Blitz und Donner. „Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dr…“

Wäre das Geschirr nicht bereits gehörig angeschlagen gewesen, hätte der markerschütternde Donnerschlag das besorgt.

„Das war knapp.“ Sie schaute zum Dach hoch und horchte auf das Trommeln des Regens. Eine Badekabine aus Metall war nicht der richtige Aufenthaltsort bei so einem Gewitter, und so war sie froh, dass sie sich nach Websters Aufbruch mit dem Duschen und Haarewaschen beeilt hatte.

Sie reckte sich, um die Öllampe auf dem hölzernen Bücherregal, das mit Westernromanen des einstmals sehr beliebten Schriftstellers Zane Grey und uralten Bauernkalendern gefüllt war, zu erreichen. Charlie Ericksons Bücherschatz war zwar begrenzt, aber heiß geliebt, nach dem Zustand der Bände zu schließen.

Anstatt sich um Webster Tyler zu sorgen und sich zu fragen, ob er es geschafft hatte, noch vor Ausbruch des Unwetters die Hauptstraße zu erreichen, dachte sie an Charlie. Wie mochte es ihm gehen? Der Regen prasselte auf seine Hütte, der Sturm zerrte an den verwitterten Balken, peitschte die Fichten und Eschen.

Äste schlugen aufs Dach. „Das Haus hat schon viele Stürme überstanden“, sagte sie laut zu sich selbst. Das Licht flackerte, doch erstaunlicherweise hielt die Stromleitung stand.

Tonya stellte die Lampe auf den Tisch und dachte an Charlie, der sechzig von seinen achtzig Jahren in dieser Hütte zugebracht hatte, lange bevor die Strom- und Telefonkabel gelegt worden waren. Er liebte die Einsamkeit, die Natur und vor allem seine Bären. Er hatte die Bären mit Nüssen, Beeren und Hundefutter auf sein Grundstück gelockt, um sie vor Jägern und Wilderern in Sicherheit zu bringen.

Gestern hatte sie ihn im Krankenhaus angerufen und ihm versichert, dass sie sich um alles kümmerte. Er hatte ihr versprechen müssen, sich Ruhe zu gönnen und auf den Arzt zu hören. Zwar hatte er den Herzanfall vor drei Wochen überlebt, aber um vollständig zu genesen, musste er sich schonen.

Inzwischen trommelte der Regen in Strömen auf das Schindeldach und schoss über die Gauben herunter. Es war nicht das erste Unwetter, das Tonya seit ihrer Ankunft erlebte. Minnesota war ein Land der Extreme. Es gab extreme Hitze und extreme Kälte, und manchmal, so wie heute, beides am selben Tag. Und es war wunderschön und zuweilen extrem einsam.

Gut, dass Charlie es in seinem Klinikbett in International Falls warm und bequem hatte. Eine ältere Frau namens Helga sah täglich nach ihm, umsorgte ihn hingebungsvoll und munterte ihn mit ihrer guten Laune auf.

„Sie ist bloß eine Bekannte“, hatte Charlie Tonya bei ihrem Besuch vor zwei Tagen versichert.

„Wenn du es sagst, Charlie“, hatte sie erwidert und dabei gelacht.

Ein neuer Donnerschlag, heftig wie ein Peitschenknall, erschütterte die Hütte.

Tonya beschloss, lieber auf Nummer sicher zu gehen, und suchte nach Streichhölzern für den Fall, dass das Licht ausging. In der Besteckschublade fand sie eine Schachtel Streichhölzer und eine Kerze. In dem Moment, als sie ein Hölzchen anstrich, flackerte das Licht und ging aus, gefolgt von einem grellen Blitz.

„Glück gehabt“, sagte Tonya zu sich selbst, während sie den Glaszylinder der Lampe abnahm, um den Docht entzünden zu können. Dann stülpte sie den Zylinder über die Flamme, und der sanfte Lichtschein erhellte die Hütte. Der leichte Kirschduft des Lampenöls mischte sich mit dem Duft des regennassen Waldes und Tonyas Shampoo.

„Und ich führe schon wieder Selbstgespräche“, setzte sie hinzu. Da sie so viel allein war – entweder auf Fotosafari in entlegenen Weltgegenden oder zur Erholung in ihrer Freizeit –, bekam sie oft nur ihre eigene Stimme zu hören.

Charlie hatte das verstanden. Das alte Raubein war ihr sehr ähnlich. Und er ähnelte seinen Bären. Ein mürrischer, aber harmloser Geselle, der in seinem geliebten Wald umherstreifte und das Gebiet kannte wie seine Hosentasche. Genau wie Tonya war er ein Einzelgänger und glücklich damit. Allerdings war er keineswegs ungesellig, wie es manche Tonya unterstellten. Er hatte das Zusammensein mit ihr genossen und sie ohne Zögern zum Bleiben aufgefordert, als sie mit ihrer Fotoausrüstung, ihren Campingutensilien und der Bitte um Erlaubnis zum Fotografieren seiner Bären bei ihm angekommen war.

Wieder zerriss ein Blitz die Finsternis. Der Donner folgte diesmal so schnell, dass Tonya zusammenzuckte. Unwillkürlich legte sie die Hand auf ihr pochendes Herz.

„Meine Güte!“, stieß sie hervor. „Der hat bestimmt in einen Baum eingeschlagen.“

Interessehalber nahm sie den Telefonhörer ab. Wie erwartet, war die Leitung tot. Die Drähte führten meilenweit über unbewohntes Land, und so beschädigte ein abgebrochener Ast oder ein umgestürzter Baum sie oft, dazu brauchte es mitunter nicht einmal ein Unwetter wie dieses.

Erneut dachte sie automatisch an Webster Tyler. Aus irgendeinem Grund behagte es ihr nicht, ihn bei diesem schrecklichen Unwetter allein da draußen zu wissen.

„Er ist ein erwachsener Mann, er kann selbst auf sich aufpassen.“

Zumindest in der Stadt konnte er das. Hier in der Wildnis war er eindeutig im Nachteil. Tonya schüttelte den Kopf bei dem Gedanken daran, wie tadellos seine teure Freizeitkleidung gesessen hatte. Eben der typische Städter, der in jeder Situation passend angezogen sein möchte. Aber auch wenn er in einem alten T-Shirt und löcherigen Jeans aufgetaucht wäre, hätte ein einziger Blick auf seinen perfekten Haarschnitt und die gepflegten Fingernägel genügt, um den Stadtmenschen zu erkennen.

Ihr jedenfalls hatte ein Blick genügt. Selbst jetzt ging ihr Puls schneller, und das keineswegs wegen des Gewitters.

Seit zwölf Jahren redete sie sich ein, ihre Schwärmerei für Webster überwunden zu haben. Offenbar hatte sie sich die ganze Zeit etwas vorgemacht. Dabei erinnerte er sich nicht einmal an sie. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Fast hätte sie tatsächlich gelacht, doch in diesem Augenblick sprang die Hüttentür auf, schlug mit einem Knall gegen die Wand und jagte ihr einen Schreck fürs Leben ein.

Ein paar Herzschläge lang stand sie wie erstarrt da, die Augen weit aufgerissen, während ein tropfnasser, sehr zorniger Mann im Türrahmen erschien wie eine Gestalt aus einem Gruselfilm.

Die schlammbedeckte Gestalt schloss die Tür und knurrte: „Danke für den herzlichen Empfang. Ich komme gern herein.“

Tonya wusste nicht, sollte sie vor Erleichterung lachen, weil es kein Axtmörder war, oder sollte sie mit ihrem Schicksal hadern, weil es Webster Tyler wieder auf ihre Türschwelle geweht hatte.

Eine Stunde lang hatte Webster Rot gesehen. Jetzt sah er nur Rosa. Rosa Socken, rosa Wangen, rosa Lippen. Die wilde Tonya Griffin in Pink war anbetungswürdig. Das feuchte Haar fiel ihr auf die Schultern und den Rücken, sie sah sanft und feminin aus und … Ach, verflixt, jetzt war nicht der passende Moment für romantische Anwandlungen.

Durchnässt und durchgefroren, war er heilfroh, dieser Sintflut draußen entronnen zu sein. Seine Reaktion auf Tonya würde er später analysieren, wenn seine Stiefel nicht mehr voller Schlamm waren und seine Zähne nicht mehr aufeinanderschlugen. Wenn sein Gehirn wieder wie gewohnt funktionierte und er Tonya als das sah, was sie war – ein Problem, das er mit Geschick und Überredungskunst zu bewältigen hatte. Und das möglichst schnell, damit er wieder in die Zivilisation zurückkehren konnte, wo Bären nur im Zoo herumspazierten und „Nachtwanderungen“ für ihn nicht mehr bedeuteten als einen Gang in die nächste Bar.

Vorerst wäre er jedoch zufrieden mit trockener Kleidung und ein paar Litern von dem heißen Kräutertee, den Tonya ihm vor dem Gewitter serviert hatte. Alles wäre ihm recht, solange es nur die schreckliche Kälte aus seinen Gliedern vertrieb.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Tonya zögernd.

„Abgesehen davon, dass ich mich gerade noch mit Ach und Krach aus meinem zerquetschten Mietwagen befreien konnte, nachdem ein Baum darauf gestürzt war, ja.“

„Allmächtiger!“

Webster brummte nur etwas, das sie nicht verstand, denn ein heftiger Schauer durchfuhr ihn.

Nun machte sie sich doch Sorgen. „Du frierst. Du musst aus den nassen Kleidern heraus und etwas Trockenes anziehen.“

Er ließ seine Segeltuchtasche, die er über der Schulter getragen hatte, auf den Boden fallen. Wasser rann heraus. „Falls du nicht etwas in einer großen Männergröße hier hast, werde ich wohl weiter leiden müssen.“

„Ich werde schon etwas auftreiben“, erwiderte sie leichthin. „Zieh erst mal das Hemd aus.“

Bei jeder anderen Frau hätte er das als Einladung zu mehr verstanden. Bei dieser Frau war es lediglich ein nüchterner Befehl ohne jeden sexuellen Unterton.

„Was ist passiert?“, fragte sie. Seine eiskalten Finger waren steif wie Schraubenzieher, ungeschickt zerrte er an den Knöpfen.

„Fast hätte es mich erwischt“, begann er. Ein neuer Kälteschauer jagte ihm über den Rücken. „Als ich durch eine Bodendelle fuhr, ging der Motor aus.“

„Eine tiefe Delle?“

„Oh, der Wasserspiegel war ungefähr einen Meter hoch.“

Sie murmelte etwas vor sich hin – er hörte etwas wie „Narr“ und „sträflicher Leichtsinn, auf überfluteten Straßen zu fahren“. Da sie seine Schwierigkeiten erkannte, schob sie seine Hände sanft weg und knöpfte ihm das Hemd selbst auf.

„Ja, die Welt ist voller Narren“, bestätigte er. Er zitterte so sehr, dass er die Zähne zusammenbeißen musste, damit ihm nicht die Füllungen herausfielen. „Ich konnte gerade noch meine Tasche schnappen und aussteigen, bevor ich ein lautes Krachen hörte. Es war wie ein Erdbeben.“

„Wie ein umstürzender Baum.“

„Mitten auf das Auto“, setzte er hinzu. Plötzlich machte es ihm sehr zu schaffen, dass sie ihm das Hemd aus dem Bund zog, es über seine Schultern herunterstreifte.

„Ein großer Baum?“

„Kaliber Urwaldriese.“

Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Okay, stell dir vor, du stehst da und schaust hoch, und ein Baumwipfel kommt auf dich zu. Dann hast du garantiert dasselbe Gefühl. Immerhin war er so groß, dass das Auto jetzt flach wie ein Pfannkuchen ist.“

Tonya erstarrte. „War es so schlimm? Ist es noch fahrtüchtig?“

„Fahrtüchtig? Honey, es ist nicht mehr zu sehen.“

Die schmalen Finger, sanft und heiß, wie Feuer auf seiner unterkühlten Haut, zögerten. Dann glitten sie unerwartet sinnlich über seine Schulterblätter, während sie ihn herumdrehte und seinen Rücken untersuchte.

„Au.“ Webster zuckte zusammen, denn sie hatte eine empfindliche Stelle berührt.

„Der Baum hatte es augenscheinlich auf di...

Autor

Cindy Gerard
Als Cindy Gerard anfing, ihr erstes Manuskript zu schreiben, wollte sie vor allem eins: es auch beenden. Der Gedanke, es zu verkaufen, kam ihr viel später. Und erst, als sie einen Verlag gefunden hatte, der es veröffentlichen wollte, wurde ihr klar, dass es nicht bei diesem einen Werk bleiben würde....
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Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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Daly Thompson
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